Henrik Pontoppidan
Das gelobte Land
Henrik Pontoppidan

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Fünfter Teil

Einige Tage später – zur Abendzeit – wurde ein Fischerboot in der Richtung nach Skibberup über den Fjord gerudert.

Im Hintersteven saß Emanuel in eine Decke gehüllt, die sogar den ganzen Kopf verbarg; der sehnlichst erwartete Regen war endlich gekommen. Der Himmel hing schwarz und schwer über dem Wasser, und große Tropfen schlugen klatschend auf die Ruderbank. Emanuel kam von Sandinge herüber, wohin er am Tage nach des Bischofs Besuch in Gesellschaft von Zimmermann Nielsen, der ihn als eine Art Adjutant begleitet hatte, gefahren war. Er hatte den vielen Fragen bezüglich des Bischofs entgehen wollen, mit denen man ihn in Skibberup sofort bestürmt hätte, und die er vorläufig nicht beantworten durfte. Es war ihm auch ein Bedürfnis gewesen, ein wenig wegzukommen, um in Ruhe den Vorschlag des Bischofs zu erwägen, und außerdem hatte die Begegnung mit dem alten Hochschulvorsteher seine Ungeduld gesteigert, endlich die Bekanntschaft dieser merkwürdigen Schule zu machen, die die geistige Heimat Hansinens und der ganzen Skibberuper Jugend war. Er war nicht enttäuscht worden. Er verstand es jetzt, warum die Augen der jungen Leute strahlten, sobald die Sandinger Hochschule genannt wurde. Der großartige Gebäudekomplex, dessen rote mit Efeu und Geißblatt überwucherte Mauer ihn an ein altes Schloß erinnerte, der mächtige Vortragssaal, als altnordische Halle mit getäfelter hölzerner Decke und geschnitzten Balkenköpfen erbaut, vor allem aber die achtzig frischen, jungen Bauermädchen, die in diesem Sommer Zöglinge der Schule waren, und der eigenartige Unterricht, der in Form von Gesang, Vorträgen, Vorlesen und täglichen Bibelstunden gehalten wurde, zu denen sich die Bevölkerung der Gegend jeden Abend nach beendigter Arbeit einfand, die Häusler in ihren Wollhemdärmeln, die Handwerker in ihren Arbeitsblusen, – alles hatte ihn vom allerersten Tage an erfüllt und begeistert. Auch die Liebe der Bevölkerung für den Hochschulvorsteher verstand er jetzt, nachdem er ihn in seinem rechten Element, in seiner Schule gesehen hatte, wo er mit seinem Stock zwischen Schülern und Lehrern herumstolzierte, wie ein Vater für sie alle, überall Ermunterungen, Liebkosungen und sanfte Zurechtweisungen erteilend. Namentlich begriff er die Macht dieses merkwürdigen Mannes über die Gemüter der Jugend, als er ihn zum erstenmal auf einer Rednertribüne stehen sah, so voll jugendlicher Begeisterung, so warm in seinem Glauben, so hingerissen von seinen Gefühlen, daß ihm die Tränen in den hellbraunen Augen standen, während er mit weitausgebreiteten Armen redete, als wolle er in seiner Nächstenliebe die ganze Menschheit an sein Herz drücken.

Am Tage nach Emanuels Ankunft war eine große Volksversammlung in der Schule abgehalten worden, auf der er als Hauptredner aufgetreten war, mit einem religiösen Vortrag über Gottes Kinder und Christi Nachfolger, in diesem Vortrag betonte er, daß man sich nur mit Wahrheit das erstere nennen könne, wenn man mit aller Macht bestrebt sei, das letztere zu werden. Während der folgenden Tage hatte er zusammen mit dem Vorsteher verschiedene Freundeskreise ringsumher in der Nachbarschaft besucht und war überall mit Entzücken aufgenommen worden. Viele neue Freunde hatte er gewonnen, so daß die ganze Reise allmählich den Charakter eines förmlichen Triumphzuges angenommen hatte.

Ganz besondere Bedeutung hatte der Besuch für seinen Entschluß bezüglich der Zukunft erlangt. Er sah jetzt ein, daß der Bischof recht hatte, und daß die kleine Bauernstelle draußen in Egede nur schlecht zu der Idee stimmte, die in der Sandinger Hochschule verwirklicht war. Da waren größere Lokale nötig, viel Raum, Platz für Pferde und Wagen der hier Angereisten usw., mit anderen Worten: gerade der Vejlbyer Pfarrhof war wie geschaffen zu einem solchen großen offenen allgemeinen Heim für die Gemeinde, wie er es zu errichten wünschte.

Er hatte denn auch beschlossen, den Rat des Bischofs zu befolgen und sich im Amt konstituieren zu lassen, wenn der Propst versetzt würde, und er sehnte sich nun danach, mit Hansine über die Sache zu reden. Ihr gegenüber mußte er das Recht haben, das Gelübde der Verschwiegenheit zu brechen, das er dem Bischof gegeben hatte. Und sein Herz war so voll Glück, sein Kopf so voll von Plänen, daß er Luft haben mußte.

Es wurde ganz dunkel, ehe das Boot das Ufer erreichte, und nur mit Mühe fanden er und Zimmermann Nielsen die Wagenspur, die von dem kleinen Skibberuper Bootshafen zwischen den Hügeln nach dem Dorfe führte. Hier nahm Emanuel Abschied von seinem Begleiter und eilte nach dem Hause seiner Schwiegereltern. Aus dem Wohnstubenfenster schimmerte Licht und einen Augenblick später stand er auf der Diele, Hansinens Taille umschlingend, und schon ganz in Anspruch genommen von seinem Bericht.

Ein paar Tage später enthielt das »Volksblatt« für die Gegend folgende Mitteilung: »Sicherem Verlauten nach ist Herr Propst Tönnesen, Pfarrer von Vejlby und Skibberup ausersehen, den Posten als Vorsteher an dem neuerrichteten Staatsseminar in Söborg bei Kopenhagen zu bekleiden. Die offizielle Ernennung steht in den allernächsten Tagen bevor.«

* * *

Obwohl Propst Tönnesens Versetzung in Wirklichkeit als eine Beförderung betrachtet werden mußte, und obwohl er selbst keineswegs versuchte, ihr ein anderes Aussehen zu geben, so faßten die Skibberuper sie sofort als einen Sieg ihrer Partei auf. Weber Hansen hatte Wort gehalten; in wenigen Wochen würde der Propst den Vejlbyer Pfarrhof verlassen haben. In der Tat hatte denn auch der Bischof seine ganze diplomatische Gewandtheit anwenden müssen, um ohne größeres Aufsehen seinen Willen dem eigensinnigen Propst gegenüber durchzusetzen, der in der Erregung des ersten Augenblicks das pharisäische Anerbieten auf das Bestimmteste abgeschlagen hatte. Allmählich hatte Tönnesen freilich eingesehen, daß er in seinem eigenen, hauptsächlich aber in seiner Tochter Interesse diese Gelegenheit benutzen müsse, um auf scheinbar ehrenvolle Weise aus einem Verhältnis ausgelöst zu werden, das ihnen beiden allmählich zu einer täglichen Qual geworden war, und es hatte ihm außerdem ein wenig geschmeichelt, daß man sich seiner pädagogischen Vergangenheit erinnerte und seine administrativen Fähigkeiten anerkannte.

In Skibberup war man eifrig dabei, das Eisen zu schmieden, solange es warm war. Es wurde gleich eine Deputation mit einer Adresse an den Bischof gesandt, in der man der Hoffnung Ausdruck gab, »daß bei der Wiederbesetzung des Amtes Rücksicht auf die Wünsche genommen werde, die in dieser Beziehung von der Mehrzahl der Bevölkerung gehegt wurden.« Emanuels Name wurde freilich nicht in der Adresse genannt, aber sie war in einer solchen Weise abgefaßt, daß die eigentliche Meinung nicht mißzuverstehen war. Der Bischof empfing die Deputation und namentlich ihren Wortführer, Weber Hansen, mit dem größten Wohlwollen; er berührte die bevorstehende Neuregulierung des Amtes, die vorläufig eine längere Vakanz erforderlich machen werde, und äußerte im übrigen, daß er stets mit der größten Freude bemüht sei, berechtigten Wünschen der Gemeinde entgegenzukommen. Dann wurde die Deputation zum Frühstück eingeladen, und hinterher trank man draußen im Garten Kaffee mit Sr. Hochwürden.

Wenige Tage später konnte die Dorfzeitung melden, daß der Bischof sich endlich entschlossen habe, bei der bevorstehenden Volksthingswahl sich als Kandidat der Demokratie im 10. Kreise des Amtes, zu dem ja gerade Vejlby und Skibberup gehörten, aufstellen zu lassen.

Währenddes ging Fräulein Ragnhild daheim im Pfarrhause umher, und wartete mit Ungeduld auf den Tag, an dem sie es für immer verlassen konnte. Obwohl sie sich zu alt fühlte, um etwas von der Zukunft zu erwarten, brannte sie doch vor Sehnsucht fortzukommen aus diesem entlegenen Winkel, wo sie ihre Jugend vergeudet hatte, und wo nicht ein Fleck, nicht ein Mensch war, von dem sie mit Kummer scheiden würde. Namentlich war der notgezwungene Verkehr mit dem Kaplan ihr in der letzten Zeit geradezu eine Qual gewesen. Sie fand ihn lächerlich in seinen krampfhaften Bemühungen, sich ein breites »volkstümliches« Wesen anzueignen. Sie fand, daß er nachlässig in seinem Äußern geworden war, daß sein Haar und seine Kleider nach dem Stall und nach Schweiß rochen, so daß sie es quer über den Tisch merken konnte, wenn er ausnahmsweise einmal im Pfarrhause aß; und sie stimmte mit ihrem Vater darin überein, daß auch gleichzeitig eine entsprechende Veränderung mit seinem Innern vorgegangen sei.

»Es ist eigentümlich für die Leute hier bei uns, die sich zu Propheten ausbilden wollen, – stets nehmen sie unsere Seminaristen zum Vorbilde,« hatte der Propst gesagt: »Während man anderwärts seine mystische Weisheit doch in alten Schriften sucht, holt man sich hier seine Inspiration von Kuhhirten und Stalljungen. Ehe ein Jahr verstrichen ist, wird Herr Hansted auch in geistiger Beziehung auf Holzschuhen gehen; sein ganzer Gedankengang ist schon jetzt plump wie der eines Bauern.«

* * *

Endlich Mitte Juli konnten Tönnesens ihre Sachen zusammenpacken und abreisen. Einige von den Vejlbyer Bauern und die drei Gutsbesitzer der Umgegend hatten die Absicht gehabt, den Propst zum Abschied mit einer Festmahlzeit und einer silbernen Kaffeekanne zu ehren, was er sich jedoch – mit Dank, aber sehr bestimmt – verbeten hatte. Ohne weitere als die allernotwendigsten Formalitäten, scheinbar aber auch ohne besondere Bitterkeit, schied dann der Propst von seiner Gemeinde. Nur Emanuel gegenüber verriet er einmal seine wahre Gemütsstimmung, als er ihm beim Abschied kühl die Hand drückte, und sagte, es sei wohl überflüssig den Leuten Glück zu wünschen, die so glücklich seien, den »Wind der Zeit« in ihren Segeln zu haben.

Sobald der Propst gereist war, zog Emanuel mit seinen wenigen Möbeln aus seinem Mansardenstübchen in Tönnesens Studierzimmer und in eine der Schlafstuben hinunter. Die ganze übrige Wohnung stand nun leer, ausgenommen die Mädchenkammer, in der die alte, lahme Lone als Emanuels Haushälterin vorläufig verblieb. Übrigens hatte sie niemand darum ersucht, aber sie tat, als gehöre sie zu dem niet- und nagelfesten Inventar des Hauses und Emanuel war gutmütig genug, auf ihre Anschauungsweise einzugehen. »Maren« dahingegen hatte den Propst mitsamt den Pferden und der Kutsche begleitet, und es lag keine Veranlassung vor, sich einen neuen Knecht anzuschaffen, da der Pfarracker – zu Emanuels großem Leidwesen – an einen der Vejlbyer Bauern verpachtet war, und erst nach Ablauf eines Jahres frei werden würde.

Er verbrachte daher jetzt wie bisher fast alle Zeit, die sein geistliches Amt ihm ließ, in Skibberup bei den Schwiegereltern, wo er täglich an allen möglichen Arbeiten teilnahm. Er pflügte, säuberte die Rübenfelder von Unkraut und fuhr Dünger auf das Brachfeld. Am Abend saß er mit Hansine draußen auf dem Erdwall, der den Garten umschloß, sah dem Sonnenuntergang zu und sprach von der Zukunft. Hansine lehnte jetzt ganz vertraulich den Kopf an seine Schulter, und während die blauen Nebel der Dämmerung sich über Felder und Wiesen lagerten, zog er sie in überströmendem Glücksgefühl fest an sein pochendes Herz.

Als die Ernte kam mit ihrem bunten Leben und den gelbwerdenden Feldern, mit dem Blitzen der Sense und der klingenden Musik der Wetzsteine, da warf er den Rock ab und zog an der Spitze von Anders Jörgensens Leuten, die Sense über der Schulter, auf das Feld hinaus. Und als er seinen ersten Schlag zur Zufriedenheit des Schwiegervaters gemäht hatte, war er stolzer, als da er seinerzeit seine Auszeichnung vom Examen heimbrachte.

So ging die Zeit glücklich hin, bis sich der Herbst mit kurzen, stürmischen Tagen und langen, dunklen Nächten meldete.

Da ward es Emanuel jeden Abend schwerer, Hansine Gutenacht zu sagen und aus den warmen, traulichen Stuben der Schwiegereltern den langen Weg auf nassem Pfade nach den großen und leeren Räumen des Pfarrhauses zu wandern, wo ihn oft unerklärliche Laute wachhielten, wie sie zu nächtlicher Zeit in unbewohnten Häusern spuken. Eines Nachts, bald nachdem er eingeschlafen war, wurde er von einem langgezogenen Klagelaut geweckt, den er sich lange nicht erklären konnte. Auf einmal wurde es ihm klar, daß es das Tuten des Brandhorns war. Er sprang schnell aus dem Bett und hatte kaum einige Kleider angezogen, als er schon Lärm im Hause hörte; die Tür ging auf und die lahme Lone erschien im Friesunterrock und mit einem brennenden Licht in den krampfhaft zitternden Händen.

»Herr Paster! . . . da is Feuer!« schrie sie, ganz blau im Gesicht. So, wie alle die andern, die die Vejlbyer Feuersbrunst erlebt hatten, konnte sie das Brandhorn nicht hören, ohne ganz wirr vor Schrecken zu werden.

Überall im Dorf war man aus den Betten gekommen und lief mit Laternen auf der Straße hierhin und dorthin. Es stellte sich jedoch bald heraus, daß es nur ein kleines Haus drüben in dem benachbarten Kirchspiel war, das brannte; und als die Spritze mit der nötigen Mannschaft glücklich von dannen gerasselt war, beruhigte sich das Dorf wieder.

Aber die erregte Unruhe und der Anblick von der Angst der andern, hatte Emanuels Gefühl des Unbehagens infolge der Einsamkeit derartig erhöht, daß er noch in derselben Nacht beschloß, Ernst zu machen und sich so schnell wie möglich zu verheiraten. Gleich am nächsten Tage sprach er mit Hansine über die Sache. Sie war im ersten Augenblick ziemlich erschrocken. Sie hatte im stillen gehofft, daß Emanuel wenigstens während des ersten Jahres nicht von Hochzeitmachen reden würde. Je tiefer sie in ihre neuen Verhältnisse hineingesehen hatte, namentlich seit sich die Aussicht erschlossen, daß das große Vejlbyer Pfarrhaus ihr künftiges Heim werden würde, um so ängstlicher war sie geworden, daß sie den Platz, auf den ihre Ehe sie stellen würde, nicht würde ausfüllen können. Als sie aber sah, wie fröhlich und hoffnungsvoll Emanuel beständig war, und wie sehr ihm daran gelegen war, die Hochzeit zu beschleunigen, konnte sie es nicht übers Herz bringen, sich seinem Wunsch zu widersetzen, oder ihn nur mit ihren Sorgen zu beunruhigen, und nachdem auch die Eltern um Rat befragt worden waren, ward im Familienrat bestimmt, daß die Trauung am sechsten Oktober, am Geburtstag des verstorbenen Königs, stattfinden solle.

Jetzt aber entstand eine kleine Zwistigkeit, deren Ausfall man ringsumher im Dorf mit Spannung entgegensah. Während Hansine wünschte, daß die Hochzeit ganz still abgehalten werden solle, war die Mutter der Ansicht, daß sie es sich selbst, wie auch Emanuel schuldig seien, den Tag so festlich zu begehen, wie sie es mit ihren bescheidenen Mitteln vermochten; und sie fand hierin Unterstützung von einer Seite, von der sie es am wenigsten erwartet hatte.

Eines Sonntags nachmittag machten Kaufmann Villing und seine Frau eine feierliche Visite, um in Veranlassung der Verlobung Glück zu wünschen. Das junge Paar war nämlich an dem Tage zum erstenmal von der Kanzel aufgeboten, und damit war die Verbindung nun ganz offiziell. Frau Villing war im seidenen Kleide mit Kreppschal, und über ihrem nonnensanften Antlitz lag ein verklärtes Lächeln. Villing erschien im schwarzen Zylinderhut, Diplomatenrock mit ausgestopften Schultern und weißer Weste mit kugelrunden Glasknöpfen. Seit der Errichtung des Konsumvereins hatten Villings keinen Fuß nach Skibberup gesetzt; aber die Ereignisse der letzten Zeit hatten ihren Sinn in überraschender Weise gemildert. Sie waren endlich zu der Erkenntnis gelangt, daß sie die Skibberuper verkehrt beurteilt hatten; und da es – wie sie gleichsam aus einem Munde sagten – ihrer Natur ganz entgegen sei, mit irgendeinem Menschen in Unfrieden zu leben, so hatten sie sich erlaubt, diese Gelegenheit zu benutzen, um alle Mißverständnisse auszugleichen.

Nur Else und Anders Jörgen waren bei dem Besuch zugegen, und die Unterhaltung drehte sich im übrigen anfänglich um allerlei gleichgültige Dinge. Plötzlich aber warf der Kaufmann eine Frage betreffs der bevorstehenden Hochzeit hin, und als Else nun mit ihrer gewohnten Offenherzigkeit auch die kleine Uneinigkeit bezüglich der Hochzeitsfeier berührte, fuhr er gleichsam erschreckt in die Höhe und fing an, beredt zu werden.

Er müsse bekennen, – sagte er – daß er Hansinens Standpunkt in dieser Sache nicht verstehe. Es scheine ihm, daß ein so bedeutungsvolles Ereignis absolut auf standesgemäße Weise gefeiert werden müsse, ja, daß es geradezu eine Ehrenpflicht für Anders Jörgens Haus sei, den Tag zu einem Jubelfest für alle Freunde der Volkssache zu gestalten. Er wisse, fügte er hinzu, daß man in der ganzen Gegend ein starkes Bedürfnis empfände, bei dieser Gelegenheit die freundlichen Gefühle für das Brautpaar an den Tag zu legen, und er sei überzeugt, daß die Teilnahme der Bevölkerung der Feierlichkeit den Charakter eines wahren Volksfestes verleihen würde.

Als Villing merkte, daß seine Worte Eindruck machten, fuhr er fort zu reden. Und es zeigte sich nun, daß er ein ganzes Festarrangement fix und fertig im Kopf hatte.

Er empfahl ein großes Zelt, in der Koppel hinter dem Gehöft zu errichten, in dem gegessen werden könne; außerdem schlug er ihnen vor, um Erlaubnis zur Benutzung des Versammlungssaals einzukommen, der festlich dekoriert werden und als Tanzsaal dienen müsse. Über die Kosten sollten sie sich keine Sorgen machen; falls sie ihm die Ehre erweisen wollten, die Leitung in seine Hand zu legen, und ihn die verschiedenen Einkäufe machen zu lassen, wolle er ihnen versprechen, daß die Ausgaben ein paar hundert Kronen nicht übersteigen sollten. Er wisse ja freilich, daß ihm die Skibberuper in den letzten Jahren ihr Vertrauen entzogen hatten, aber er wünsche, diese Gelegenheit zu benutzen, um zu zeigen, daß sie sich in ihm geirrt hätten, und daß er wie auch seine Frau ihre wahren und uneigennützigen Freunde seien – eine Äußerung, der sich Frau Villing anschloß, indem sie sanft die Hand auf Elses Arm legte und sie mit einem Blick voll treuer Hingebung betrachtete.

Am nächsten Tage redete Else noch einmal mit ihrer Tochter über die Sache, worauf Hansine sich fügte und die Mutter schalten ließ.

Villing hatte nun wirklich recht gehabt. Es herrschte überall im Kirchspiel ein sich steigerndes Bedürfnis, bei dieser Gelegenheit Emanuel zu ehren, der durch sein sanftes Wesen, seine Schlichtheit und seinen stets bereiten Willen den Wünschen aller entgegenzukommen, allmählich selbst die Vejlbyer Bauern für sich eingenommen hatte, so daß sie jeden Sonntag die Kirche bis auf den letzten Platz füllten. Selbst ein Mann wie der Dorfschulze Jensen fing an, ihm ehrenvolle Annäherungen zu machen, und Tierarzt Aggerbölle hatte ihn schon längst für einen herrlichen jungen Mann und einen »verteufelt schönen Kanzelredner« erklärt.

Aber ein Mensch war da doch, der sich nicht hatte milder stimmen lassen. Das war die Schmiede-Maren – die häßliche kleine Alte, die ihrer Zeit bei Emanuels erstem Erscheinen im Versammlungshaus aufgetreten war. Ihre Lebensgeschichte war in kurzen Zügen folgende:

Weil sie in ihrer Jugend als Küchenmädchen auf einem Gut gedient hatte, war sie lange Zeit hindurch bei allen größeren Festen in der Umgegend als Kochfrau benutzt, bis sie die Schmach erleben mußte, daß ihr auf einer größeren Tauffestlichkeit, bei der ungefähr hundert von den Männern und Frauen der Gegend versammelt waren, der Reisbrei verbrannte. Obwohl ihr damaliger Gatte, der bei derselben Gelegenheit Dienste als Schaffner tat, ihr vor den Augen der Gesellschaft eine gehörige Maulschelle gab, so ließen sich die Leute doch nicht besänftigen, sondern nahmen seither ihre Kochfrauen aus der Stadt.

Hiervon stammte der hexenartige Haß auf die ganze menschliche Gesellschaft, der diese arme Person zum Schrecken der ganzen Gegend gemacht hatte, und seit jener Zusammenkunft im Versammlungshause hatte sich ihre Erbitterung namentlich auf Emanuel geworfen. Aber Hansine, die in diesen Tagen ein wunderliches Bedürfnis empfand zu versöhnen, und die in ihrem bangen Glück gern jeden Schatten zerstreuen wollte, der den Himmel ihrer Zukunft verdüstern konnte, ging eines Tages nach der baufälligen Hütte weit draußen in Egede hinaus, wo Maren wohnte, um sie zu bitten, auf ihrer Hochzeit zu kochen. Die arme Frau war wie zermalmt vor Rührung. Unter lautem Weinen beugte sie sich – zu Hansinens großem Schrecken – in die Knie und küßte ihre Hand.

* * *

Der Hochzeitstag brach mit hoher, stiller Luft und fast sommerlicher Wärme an. Acht Tage und bis tief in die letzte Nacht hinein hatte man im Brauthause geschmort und gekocht; die Keller waren überfüllt mit großen Braten und mächtigen Schinken und Schweinsülzen und geräucherten Hammelkeulen, mit Kübeln voll von Würsten, mit Körben voll gekochter Eier, geschlagenem Zucker, Ochsenzungen und gebratenen Heringen, mit Stapeln von Butterstichen und mühlsteingroßen Zwetschentorten, die des Hauses nächste Freunde nach alter Sitte als Hochzeitsgabe gesandt hatten.

Draußen in der kleinen, grünen Koppel hinter dem Hofe waren Zimmermann Nielsen und ein paar Gehilfen beschäftigt, die letzte Hand an die Errichtung des großen Speisezelts zu legen, und im Versammlungshaus mühten sich zehn junge Mädchen ab, die Wände mit Tannengirlanden und gemalten Wappenschildern zu schmücken, überall im Dorf sah man Flaggen und vor dem Torweg des Brauthauses waren zwei mit Grün umwundene Stangen errichtet, zwischen denen ganz oben ein Stück Segeltuch mit dem Worte »Willkommen« ausgespannt war.

Die Trauung sollte um 12 Uhr stattfinden; aber schon um zehn fingen die ersten Gäste an, sich zu zeigen. Bald darauf kam Emanuel, der sich nach langem Erwägen entschlossen hatte, sich im Ornat trauen zu lassen. Die Frühstückstische waren in dem blaugetünchten »Saal« gedeckt, wo kein geringerer als Kaufmann Villing die Dienste eines Schaffners versah und in dieser Eigenschaft alle Männer mit Schnaps und Bier empfing.

Auf Emanuels ausdrücklichen Wunsch sollte in keinem Punkt mit den alten Hochzeitssitten der Gegend gebrochen werden. Er selbst schlug jedoch den Schnaps ab und ließ sich am Braunbier genügen.

Im Laufe einer Stunde füllten sich die Stuben und der Garten mit geputzten Menschen, und noch immer strömten neue Gäste herzu. Überall drehte sich die Unterhaltung um die große Frage, wer die Trauung verrichten würde. Emanuel war vor einiger Zeit bei dem Bischof in der Hauptstadt gewesen, um mit ihm darüber zu reden, und der Bischof hatte es als eine Möglichkeit berührt, daß er selbst sich einfinden würde, indem er gesagt hatte, daß er als Frau Hansteds alter Freund ja gewissermaßen der nächste dazu sei. Man war nun gespannt zu erfahren, ob eine so große Ehre der Gemeinde wirklich zuteil werden solle.

Um halb zwölf Uhr kamen die Fuhrwerke der Bauern, im ganzen einige dreißig, und man fing an, in die Wagen zu steigen. Die Wagen für das Brautpaar und die nächsten Angehörigen hielten auf dem Hofplatz, die andern bildeten draußen auf dem Wege eine Reihe, die sich vom Brauthause bis ganz an das entgegengesetzte Ende des Dorfes erstreckte. Währenddes saß Hansine in ihrer Kammer, weil kein Gast die Braut sehen durfte, bis sie alle auf die Wagen gestiegen waren. Als dies geschehen war, erschien sie an Emanuels Seite auf der steinernen Treppe, in einem schwarzen, wollenen Kleide mit schmalen Spitzenstreifen um Hals und Handgelenk. Unter dem Brautschleier und dem Myrtenkranz sah man eine perlverzierte, goldgestickte Mütze, die zu der Hochzeitstracht ihrer Urgroßmutter gehört hatte, und die sie heute auf Emanuels Wunsch trug.

Auf dem Wege nach der Kirche schallte munteres Geplauder aus den meisten Wagen; das Frühstück hatte bei verschiedenen von den älteren Männern die Stimmung bereits gesteigert. Erst als man das Läuten der Kirchenglocken hören konnte, verstummte das Reden und Else brach in Tränen aus. Hansine dahingegen behielt während der ganzen Zeit den verschlossenen, fast düstern Ausdruck, den ihr Gesicht bei starken Gemütsbewegungen anzunehmen pflegte.

Die Kirche, die Landzunge, die blaue Fläche des Fjords und die Abhänge des gegenüberliegenden Ufers – alles lag in goldenem Sonnenschein gebadet da. Am Himmel hin fuhren leichte Wolken von Starenschwärmen, und draußen über dem Wasser schrien die schaumweißen Möwen. Vor der Kirchhofsmauer hielt das Gig des Bischofs, und als das Brautgefolge ganz auf die Landzunge hinausgelangt war, sah man den Bischof selber in seinem seidenen Ornat und mit den Orden auf der Brust vor der Kirchentür stehen. Es war ein feierlicher und unvergeßlicher Augenblick für sie alle, als dieser große Mann – indem er seinen weißen Kopf entblößte – ehrerbietig dem Brautpaar entgegenging und dann an der Spitze der Schar in die Kirche hineinschritt.

Die Traurede war kurz und glich eigentlich am meisten einer gewöhnlichen Tischrede. Der Bischof gehörte zu den modernen geistlichen Rednern, die einen leichten Konversationston anschlagen und Worte wie »Christus« und »der Heilige Geist« mit derselben kameradschaftlichen Ungeniertheit aussprechen, mit der man von seinen guten Freunden spricht. Er verglich zuerst Emanuel mit einer Pflanze, die sich einen neuen, nährenden Erdboden gesucht hatte, dann die Gemeinde mit einem großen Baum in dessen Schutz und Schatten die Pflanze aufwachsen solle, und endete damit, daß er den Segen des Herrn auf den neuen Bund herabflehte, der hier geschlossen wurde. Als die Feierlichkeit beendet war, versammelte man sich draußen auf dem Kirchhof, wo der Bischof verschiedene aus dem Gefolge begrüßte, indem er auch bei dieser Gelegenheit Weber Hansen besondere Aufmerksamkeit erwies. Else dankte bewegt dem Bischof für die Ehre, die er ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohne erwiesen hatte und lud ihn ein, am Hochzeitsmahl teilzunehmen; aber der Bischof entschuldigte sich damit, daß er noch vor Abend wieder daheim sein müsse; und als er drinnen in der Sakristei das Ornat mit seinem leinenen Rock vertauscht und noch einmal dem Brautpaar und andern Anwesenden die Hände gedrückt hatte, setzte er sich auf sein Gig und rollte davon.

Gleich darauf bestiegen alle die Wagen, und unter Peitschengeknall fuhr der Brautzug nach Hause. Während man in das Dorf einfuhr, knallten ringsumher von den Gehöften und Kuppeln Gewehrschüsse, die Pferde bäumten sich und die Frauen auf den Wagen stießen kleine Schreie der Angst und Freude aus. Vor dem Brauthause standen vier Musikanten mit Violinen und Hörnern und spielten jedesmal auf, wenn ein neuer Wagen vor dem Torweg hielt, um Gäste abzuladen. Da waren alte, steife Großväter, und da waren dicke, schwere Frauen, denen drei Männer vom Wagen herabhelfen mußten, während junge Mädchen mit roten Flatterbändern im Nacken, lächelnd dem ersten besten Burschen, der sich anbot, in die Arme hüpften. Alle Freunde aus Skibberup, wie aus der ganzen Umgegend waren eingeladen, der größte Teil der Jugend jedoch nur zum Tanz. Selbst den »alten Erik« sah man auf seiner Sonntagskrücke herumhumpeln und mit glückseliger Miene den frischen Duft des Bratens einschnüffeln, der das Haus durchdrang. Auch der Hochschulvorsteher, der infolge von Windstille auf dem Fjord zurückgehalten war, hatte sich jetzt mit seiner Jette, einer großen, grobknochigen Frau mit blutrotem Gesicht und einer Brille eingefunden. Mit Hilfe seines Stockes bewegte er sich zwischen den Gästen, klopfte die Männer auf die Schultern, ergriff unter lauten Ausrufen des Entzückens die Hände der Frauen und zwickte schelmisch die jungen Mädchen in die Wangen. Weber Hansen dahingegen ging schweigend umher, die Hände auf dem Rücken und schob sein zweideutiges Lächeln von der einen Seite des Gesichts nach der andern hinüber.

Als alle Gäste versammelt waren, erschien Kaufmann Villing mit weißen Handschuhen auf der Treppe nach dem Hofe hinaus und bat zu Tische. Mit den vier Musikanten und dem Brautpaar an der Spitze zog die Hochzeitsschar im feierlichen Zuge in das flaggengeschmückte Zelt, wo der lange Brauttisch gedeckt stand mit Schüsseln von dampfenden Reisbrei, großen Bierkrügen und einzelnen Gläsern mit Rotwein. Mitten auf dem Tische ragte eine ellenhohe Torte empor, und vor dem obersten Ende, wo das Brautpaar Platz nahm, breitete sich eine mühlsteingroße Schichttorte aus, mit dem Namenszug der Neuvermählten in Himbeermarmelade.

Nachdem Villing an dem unteren Ende des Tisches Willkommen geheißen und ein Tischgebet gesprochen hatte, setzten sich die Löffel in Bewegung, und alle einigten sich schnell darüber, daß »Schmiede-Maren« diesmal ihre Aufgabe mit Ehren gelöst hatte. Für diejenigen, denen der Brautbrei noch eine Vorbedeutung war, gab es heute nichts zu unken, und die zehn Häuslerfrauen, die das Aufwarten besorgten, fuhren unaufhörlich mit gefüllten Schalen in den erhobenen Händen umher, damit ihnen nicht die Schmach widerfahren solle, daß einer der Gäste mit seinem Löffel an eine leere Schüssel klappte.

Als auch die Braten auf den Tisch gekommen waren, begann die Reihe der Reden. Zuerst hielt der Hochschulvorsteher die eigentliche Hochzeitsrede, einen bewegten Jubelerguß, der ringsumher am Tische Tränen entlockte. Dann sprach Emanuel, der nun das Ornat abgelegt hatte. Er dankte den Freunden für das Vertrauen, mit dem sie ihn – den Fremden – in ihre Gemeinschaft aufgenommen hatten und wandte sich mit diesem Dank insonderheit an seine Schwiegereltern, in deren Hause er ein neues Heim gefunden hatte. Hierauf erhob sich Anders Jörgen mit verlegener Miene, stammelte mit unhörbarer Stimme einige Worte und setzte sich wieder. Es hieß, daß es eine Rede auf das Vaterland gewesen sei, und die Hurrarufe erfolgten klecksweise rings um den Tisch herum. Später sagte der Weber ein paar trockne Worte über den »neuen Geist«, und Kaufmann Villing, der als Festredner gern das Rührende markierte, forderte mit tränenerstickter Stimme auf, »der Verstorbenen zu gedenken«, indem er hiermit namentlich auf Emanuels Mutter hinzielte. Zwischen den Reden wurden Lieder gesungen unter Anführung von Zimmermann Nielsens schallendem Baß.

Währenddes war es fast dunkel geworden, und in dem festlich erleuchteten Versammlungssaal fing die Jugend an, ungeduldig zu werden. Man sehnte sich danach, die Braut aus dem Kreise der Mädchen herauszutanzen. Aber noch einmal erhob sich Villing und brachte in begeisterten Worten sein Hoch auf »die Volkssache« aus, indem er die Hoffnung äußerte, daß sie bald siegreich über die ganze Welt vordringen möge. Nachdem Emanuel schließlich ein Gebet gesprochen und den Glauben bekannt hatte, brach man auf und begab sich nach dem Versammlungshaus hinüber.

Hier wechselten Tanz und Gesang lustig ab bis an den hellen Morgen. –

Emanuel und Hansine brachen freilich schon um Mitternacht von dem Fest auf und fuhren in einem mit Blumen und Grün geschmückten Wagen nach ihrem neuen Heim. Bei der Abfahrt scharten sich alle Gäste um sie und nahmen mit donnernden Hurrarufen Abschied. Kurz zuvor aber war ein Eilbote nach Vejlby entsandt, dessen Jugend ganz im Geheimen beschlossen hatte, dem jungen Paar einen festlichen Empfang zu bereiten. Gleich nachdem Emanuel am Vormittag das Pfarrhaus verlassen, hatte man damit angefangen, eine Ehrenpforte vor der Einfahrt zu errichten, um sie bei der Heimkehr mit Laternen und bunten Lampions zu erleuchten. Außerdem hatte man am Wege entlang eine Reihe Pechfackeln aufgepflanzt, die jetzt in der stillen Nacht und unter dem dunklen Wolkenhimmel einen phantastischen Anblick gewährten.

Als Emanuel vom Landwege aus den roten Lichtschein gesehen, und sich von dem Schrecken des ersten Augenblicks erholt hatte, umfaßte er Hansinens Hand fest. In seinen Augen erschien es, als habe sich die finstere, schwere Masse des dahinterliegenden Pfarrhügels auf flammenden Feuersäulen in die Höhe emporgeschwungen, – und bei diesem Anblick mußte er daran denken, wie er einmal davon geträumt hatte, das Zauberwort zu finden, das die Erdhügel bewegen konnte, sich ihm zu öffnen . . .

Jetzt fuhr er mit seiner Bauernbraut in den Berg hinein.



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