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Kavalierperspektive

Die Welt Balzacs spiegelt sich wieder in dem verschollenen Lebensnotizbuch eines deutschen Aristokraten* aus den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts.

Der Baron Eugen von Vaerst schrieb es unter dem anreizenden Titel »Kavalierperspektive, Handbuch für angehende Verschwender«.

Und als Moyen de parvenir dabei gibt er die gleiche Technik an, die Vautrin dem jungen Rastignac für seine Eroberung von Paris empfiehlt: »Wenn Sie Ihr Glück machen wollen, so müssen Sie reich sein oder es scheinen«, und dieselbe Praktik wandte Casanova an, als er einer Zofe, die ihm die Schokolade brachte, seine letzten drei Goldstücke als Douceur gab, worauf sämtliche Manichäer der Stadt ihm das Haus stürmten, um seine Gläubiger zu werden. So empfiehlt auch Vaerst, viel auszugeben, um großen Kredit zu haben. Und er beruft sich mit seiner Vorliebe für historische Parallelen auf Cäsar, der mit grandiosen Schulden in die Provinzen ging, um als Herr der Welt zurückzukehren.

Der Baron Vaerst ging aber nicht in die Provinz, sondern nach Paris.

Vorher war er Militär, kämpfte mit Auszeichnung in den Freiheitskriegen, nahm 1818 als Kapitän seinen Abschied, lebte in Berlin, Breslau und Weimar literarischen Neigungen, hatte Beziehungen zu E. T. A. Hoffmann, Jean Paul, Holtei, war Mitbesitzer der Breslauer Zeitung, machte, hierin, wie in manchem anderen dem Fürsten Pückler ähnlich, große Reisen durch England, Holland, Italien. Doch erst in Paris erfüllten sich alle seine Ehrgeize, seine façon de vivre durch vollendete Regie bewußt zur erreichbarsten Vollkommenheit zu steigern. Er mischte seine Existenz pikant als Dandy, Gesellschaftsflaneur und kalter, scharf komponierender Börsenspekulant, der für eine anonyme Gruppe die kühnsten und großzügigsten Geschäfte machte und dabei nicht als Professional wirkte, sondern die Miene und Haltung des Gentlemanspielers und Herrenreiters vom Jeu-Tisch bewahrte. Und in allen Vibrationen blieb er ein Beobachter voll heller Witterung und sicheren Jägerblicks, ein Beobachter der Kulissen und der Staffage auf der bunten Komödienbühne, ein Beobachter seiner selbst und seiner Partner. Und seine croquis parisiens sind überraschende deutsche Texte zu Kupfern Gavarnis und Parallelen zu Balzacs Szenen, vor allem aus dem Goriot und dem Roman des »Großen Mannes aus der Provinz«.

Balzac schildert die Welt der Dandys, die nach Brummels kanonischem Rezept nichts Auffallendes tragen und doch den Blick auf sich ziehen, die »nichts Neues und nichts Altes am Leibe haben«, und in ihren Kleidern, ihrer leichten Konversation, ihrem ungezwungenen Sichgeben selbstverständlich wirken. Ihr Luxus scheint ohne jede Betonung als das Allernatürlichste, wovon man nicht spricht, und der arme Novize Lucien kommt sich in der Opernloge diesen Marsay, Châtelet, Montriveau, Vanderesse gegenüber vor wie ein Mensch, der sich zum erstenmal angezogen hat.

Und er merkt, daß gute Manieren nicht aus Rezepten und Einzelregeln (bei uns versuchen neuerdings dickleibige Bücher solche Erziehung zum guten Ton in allen Lebenslagen, wobei das unvermeidliche Röllchenkapitel, das uns nun allmählich zum Ärmel hinauswächst, nie fehlen darf) zu lernen sind, sondern daß sie aus der Harmonie des Wesens, aus dem feinen Gefühl der Situation, aus dem Takt der Anpassung sich ergeben, aus Dingen, die nicht durch Drill erworben werden, und die erst wirklich freispielend funktionieren, wenn sie Eigenschaft und Besitz geworden.

Das Äußerliche, die Requisiten dieser Welt, der Welt des Notwendig-Überflüssigen, werden enthüllt. Der Modeschneider in Paris ist Staub, wie es in London zur Brummelzeit Davidson und Meyer war, Stöcke kauft man bei Verdier, Handschuhe und Knöpfe bei Madame Irlande.

Man trägt zum grünen Rock weiße Hose mit Stegen und Phantasieweste, eine Uhr, so platt wie eine Münze. Wäsche spielt im Budget eine teure Rolle, vor allem die Dessous, denn »die Liebe und die Kirche verlangen schöne Decken auf ihren Altären«. Man speist im Rocher de Cancal, im Palais Royal, bei Véry, wo der Fremdling entsetzt konstatiert, daß ihm das Diner einen Monat seiner Existenz in Angoulème kostet. Man fährt am Vormittag im Tilbury, abends im Koupee, und letzter Stil ist der allerwinzigste Groom – man hätte ihn am liebsten den Muffhunden gleich möglichst faustgroß –. Irländer sind es zumeist, und im Argot der Mondäne heißen sie »Tigres«.

Und in den Champs Elysées reiten die Kavaliere neben den Karossen der Damen. Sie tragen ihre Riechdöschen mit einer Kette an einem Fingerring und »zeigen so ihre zarte, schön behandschuhte Hand, ohne daß es so aussah, als ob sie sie zeigen wollten«.

Solche Bildermappe findet nun ihre Fortsetzung im Notizbuch des deutschen Barons.

Der Tag des Pariser Elegants rollt sich auf. Um elf das Lever, Frühstück bei Tortoni, wo im oberen Stock die Gerichte als lebendige Speisekarte in Parade aufgestellt sind: die Spargelbündel und Artischockenköpfe, die krabbelnden Langusten, die schwimmenden Fische, die in Watte gepackten Edelfrüchte. Dann im leichten Kabriolett durch die Champs Elysées in das Bois. Auf der Rückkehr Flanieren im Garten der Tuilerien unter Orangen- und Pomeranzenbäumen; ein Besuch in den Bazaren der Rue de la Paix. Das Diner nimmt man, ist man nicht eingeladen, im Café de Paris, wenn man Gesellschaft sehen und durch die Glasscheiben dazu das bewegte Panorama der Boulevards haben will. Der sachliche Gourmet jedoch zieht den Rocher de Cancal mit seinen Fischspezialitäten vor, von denen es schwelgerisch heißt: »Wer einen solchen Fisch nicht bezahlen kann, der sollte ihn wenigstens essen und nachher dulden, was ein erbitterter Gläubiger über ihn verhängen mag.«

Danach das Theater, entweder die Oper mit dem magischen Ballet als Dessert oder das Gymnase mit seinem Scribe-Repertoire. Und zum Schluß die Nacht von Paris mit den erleuchteten Boulevards, mit den dichten Reihen der Tische, an denen Eis gegessen wird: fête éternelle du plaisir …

Vaerst deutet auch an, wie das Leben der hommes comme il faut produktiv und nützlich für alle Genuß-Industrien wird, wie sie die Ortolane à la provençale zum Modeessen machen und eine Miene von ihnen ein Phaeton, englisches Geschirr, Silber und Leder lancieren kann, wie sie Schuh- und Kleidermacher in Mode bringen und, auch wenn sie den eigenen Bedarf nicht bezahlen, reich machen können. »Ein homme comme il faut zahlt eben mit idealer Münze.«

Vaerst mag in dieser Kunst selbst profitiert haben, denn er erzählt, wie er bei seinem Flanieren immer die Schaufenster studierte, abpatroullierte, in Schlössern und Parks Beobachtungen sammelte, sich kritische Aufzeichnungen machte und sich so zu einem Experten und Ratgeber, zum arbiter elegantiarum ausbildete und in den Ruf kam, genau zu wissen, wo überall die schönsten für den jedesmaligen Zweck passenden Gegenstände zu finden seien. Er übernimmt für Damen Aufträge in allen dekorativen Angelegenheiten und wird so ein amateurhafter Vorläufer angewandter Kunst-Manager von heute. Und bei seinen eigenen Anschaffungen befolgt er die Rinaldo-Moral, nie den kleinen Mann – den er ja ohnehin kaum bemühte –, sondern nur die ersten und glänzendsten Firmen zu kränken, im Bewußtsein, daß für diese seine Schulden sich indirekt brillant verzinsen würden.

Maskenkostüme komponiert er aus indischem Musselin, spinnwebfein und hauchzart, besetzt mit Blumen und Verflechtungen aus flachgeschliffenen Labradorsteinen von wallendem Schimmer, und um den Turban winden sich Perlenschnüre zwischen syrischen Granaten und feuerfarbenen Hyazinthen.

Dieser Geschmacksinn bestätigt sich aber auch vor allen Erscheinungen der Natur. Er haftet nicht nur am Äußerlichen, er fühlt stets mit wacher Erkenntnis das Wesentliche heraus, Ihm genügt nicht Ausputz und Schmuck, er hat unser Gegenwartsgefühl von der Ästhetik des Zweckmäßigen, von der Schönheit, die im charakteristischen Ausdruck innerer Eigenschaften liegt, Er entzückt sich in einer naturwissenschaftlichen Sammlung, über einen alten Griechenschädel, der vielleicht einem jener dreihundert Unsterblichen angehörte: »im reizenden Oval wölbt sich das Oberhaupt blühend hervor, umschließt den möglichst weiten Raum eines freien Gehirns und läßt einen Tempel jugendlich schöner und reiner Menschengedanken ahnen.«

Man denkt bei dieser Andacht zum Haupt als Form an manche Büsten Klingers, vor allen an die Wilhelm Wundts, in der mit so machtvoll geistig erfüllter Konstruktion und Architektur innere Form abgebildet wird.

Und von den inneren Teilen des Menschen findet Vaerst keinen so schön, als »das edle aber stets bewegliche Herz mit seiner einfachen und doch so mannigfaltigen Form, nach welcher die schönsten Urnen und Vasen geformt wurden.«

»Mon métier et mon art c'est vivre«, den Satz Montaignes hat sich auch Vaerst angenommen. Wir werden das abgenutzte Wort vom Lebenskünstler darum nicht auf ihn anwenden. Und er selbst war viel zu scharfsichtig, um nicht zu wissen, daß in dieser Kunst auch nur Torsi zu schaffen sind.

Und er selbst, der aus seiner Welt und Lebenserkenntnis so viele kluge Winke und Wegweise austeilt, der eine ganze Education sentimentale aufrollt und dabei natürlich als Fundament aller Genußmöglichkeiten den Egoismus, die Ausbildung und Kultivierung der eigenen Wesenstendenzen rühmt, er selbst gibt mit größter Offenheit zu, daß alle diese schönen Theorien nur zu leicht überrumpelt werden können, daß niemand seines Ichs so sicher ist, um nicht einer für sein besseres Teil ungünstigen Windrichtung zu erliegen. Kurz, er täuscht sich gar nicht über die ewige Unsicherheit des Daseins und über die lauernde Gefahr in der eigenen Brust, die Goethe so einfach und erschütternd bekannte, als er von Italien heimkehrend zu seinem Fürsten und Freund von der »unbezwinglichen Gemütsart« spricht, die ihn »auch im Genuß des erflehtesten Glückes manches hat leiden machen«. Doch – und das ist eine Parallele zu Pückler – sein Leiden ist ihm, ob es sich um Liebesenttäuschung oder um wirtschaftliche Krisen handelt, immer intimste Privatangelegenheit, die er mit niemand teilt, und die aufrechte Haltung zu bewahren bleibt ihm oberstes Gesetz der Selbsterhaltung.

Im Grunde baut sich wie bei allen Wissenden sein Hedonismus auf einer Resignation auf, es ist eine Philosophie der beaux restes. Da der Hauptgang des Daseins schwer verdaulich, kommt es darauf an, ihn mit möglichst vielen und pikanten Garnierungen zu umgeben und zu bedecken und mehr ein Näscher als ein Fresser zu sein.

Chamäleontisch sich zu fühlen erfreut ihn, immer ist er bereit für ein divin imprévu gleich Stendhal, und stets gestimmt, an sich, ohne vor einem seiner Triebe bange zu sein, ein Neues zu erleben. Und die Emotionen, das Fluidum der Selbststeigerungen im sieghaft beherrschten Gespräch, im Seiltanz gewagter Situation, im Gaukeln und Schlangenbeschwören in der Gesellschaft stimuliert ihn wie ein Opium naturel.

Das Graziöse, Spielende – der Ernst versteht sich immer von selbst – ist sein Element. Und wie Brentano und Schumann komponiert er eine Invektive in Philistros, eine ironische Sinfonia domestica in mißfarbenem Gelbbraun, vom Kanasterdampf aus langer Pfeife durchqualmt, von Kindergeschrei durchtönt und von den Brusttönen billiger hausbackener Gemeinplätze – dem selbstgefälligen Vokabularium des Spießers.

Dessen bürgerlicher Betriebsamkeit steht das edle Nichtstun der Besseren gegenüber, das intensivster Seelengenuß ist, eine Lust, den Stimmungen und Bewegungen des Innern freie Bahn zu geben, sich auf den Wellen des eigenen Gefühls zu schaukeln; dazu gehört Besitztum innerer Reiche, der Dumme würde dabei vor Langeweile sterben.

Vaerst lobt es sich auch, ein Junggeselle zu sein und nicht schwebende Reize in Dauerzustände zu verwandeln. Er fürchtet die widerlichen Reibungen des Alltäglichen, er weiß, daß die Peinlichkeiten der fahlen Negligeestunden der Seele, die leider auch in den köstlichsten Seidenpyjamas nicht kleidsamer werden, durch Gemeinsamheit noch aufreizender und widerwärtiger wirken. Und der Gesellige, der Liebhaber in mancherlei Gestalt ist im Grunde ein Einsamer und zufrieden mit dem ungeteilten Besitz seiner selbst. Und mindestens so wie den Komfort des äußeren Lebens liebt er den Komfort des inneren.

Als Wissender toleriert er dabei die Eigentümlichkeiten der anderen. Liebenswürdigkeit und Feingefühl sind ihm, aus seinem Wesen heraus, natürliche Funktionen, soweit es die gebrechliche auf den Kriegszustand zugeschnittene Einrichtung der Welt zuläßt. Die Distanz schätzt er und verurteilt als schlimmste gesellschaftliche Todsünde das Fragen aus böser Lust.

Seine Reserven hat er in geistiger Bildung. Ein unermüdlicher Leser ist er, und seine gedächtnisstarke Polyhistorie verführt ihn manchmal, wie Jean Paul, zu Zettelkasten-Exkursen, zu Scholien und weither eingefangenen Randglossen, was dann zu den Weltmann-Allüren einen pikant kurieusen Kontrast gibt, ähnlich auch Hoffmann, in dessen Dämonien oft Curialien, Schweifwerk und Akten-Akribie spuken. Aber eingeschworen ist Vaerst auf nichts, und der Bibliophile besinnt sich keinen Augenblick, in seiner leidenschaftlichen Reiselust heraus zu sagen, daß ihm die Erfindung der Dampfschiffe wichtiger scheint als die gesamte Literatur.

Und gereist ist er, wie nur Casanova und Pückler. Und die Lust der Reise klingt in der Widmung wieder, in der er als Chevalier Lelly maskiert seinem alter ego, dem Baron Vaerst, ein »Denkst du daran« zuruft und ihn an den russischen Feldzug erinnert, an Paris, an die Pyrenäen (im Lager des spanischen Thronprätendenten Don Karlos), an Nizza, Capri, Toskana, an die Villa Candeli am Arno, die Ausflüge nach Vallombrosa, die antiquarischen Kavalkaden um Rom und die tollen Fuchsjagden in Melton und Market Harborough.

Doch schließlich ging es langsam und bedächtig. Der Weltbummler, der außer so vielen Nebenbeschäftigungen auch Kriegsberichterstatter im karlistischen Lager für französische, englische und deutsche Blätter war, übernahm 1840 mit 48 Jahren die Leitung des Breslauer Theaters. Nach sieben Jahren legte er sie nieder. Er zog sich, kränkelnd und alternd, in freigewählter Einsamkeit nach Herrendorf bei Soldin, dem Gut seines Bruders, zurück. Er schrieb hier noch auf dem Abstieg zwei Bücher, »die Pyrenäen«, Schilderungen aus Südfrankreich und den baskischen Provinzen, und »die Gastrosophie oder die Lehre von den Freuden der Tafel«.

Sie sind aus dem Asyl heraus Gedächtniszeichen des begierigen abenteuerlichen Reisenden und Genußmenschen von ehemals.

Schade, daß man nicht weiß, wie diese so fesselnde Kreatur Gottes von Angesicht ausschaute. Keine Andeutung findet sich: nur eines wird gesagt, daß seine übermütigen »ionischen« Lippen geliebt wurden.

Überliefert möchte man sein Porträt von Ferdinand von Rayski haben.


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