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Es möchte sonderbar berühren, in dieser ernsten Zeit, da die Auslese unserer jungen Männer voll Bereitschaft ihre Wohlgepflegtheit und die Lust an der Harmonie des Anzugs pro patria im Schützengraben gegen den Urzustand eintauscht, an den fünfundsiebzigsten Todestag des Ahnherrn der Dandys, George Brummells, zu erinnern. Wir rufen aber diesmal diese Erscheinung auch nicht deswegen herauf, um an ihr die heute noch vorbildlichen Eigenschaften des gut gekleideten Herrn darzustellen, seine »Moral der Toilette«, die sich in den wenigen Thesen geben läßt: Unauffälligkeit als erstes Gesetz; Kleider dürfen nie neu wirken und nach der frischen Ablieferung schmecken; es kommt überhaupt nicht so sehr auf die Leistung des Schneiders an, als auf die natürliche Selbstverständlichkeit des Tragens und auf die nur durch den persönlichen Geschmack erreichbare Zusammenstellung des Anzugs bis in die kleinsten und unmerklichen Teile. Man darf in seinem Garderobenzimmer wohl zwei Stunden vor dem Spiegel zubringen, ist das Werk aber fertig, so muß man die Arbeit vergessen und in der Sicherheit des guten Gewissens davor bewahrt sein, ängstlich in jedem Glas sein Bild zu kontrollieren und daran herumzuzupfen.
Diese Gebote behalten ihre Bedeutung als Lehren sicherer Haltung ebensowohl gegenüber der Nachlässigkeit, wie der mit lächerlichen, unsachlichen Mitteln sich spreizenden Geckerei.
Heut aber möchten wir denn doch nicht so weitläufig solche Fragen äußerer Menschlichkeit behandeln. Jetzt lockt ein ganz anderer Gesichtspunkt, uns mit Brummell zu beschäftigen. Dieser Engländer, dessen Jugend noch in das 18. Jahrhundert fällt (er wurde 1778 geboren) und der 1840 (am 30. März) starb, liefert mit seinem Leben und Schicksal einen interessanten Beitrag zur englischen Gesellschaftspsychologie.
Und aus diesem Grunde wollen wir nun einen flüchtigen Blick in den Roman werfen, dessen Heldin, wie Barbey d'Aurevilly sagt, die Gesellschaft von London war und dessen Held Brummell. Der Roman spielte zweiundzwanzig Jahre, von 1793 bis 1816, sein Inhalt ist ein glänzender Aufstieg und sein Ende ein trauriger Fall in die Tiefe.
Dieser Roman von dem Einzelnen, der ohne besondere Herkunft sich die Herrschaft über die Oberklasse als Vorbild der Lebensführung erobert, sie unangefochten gegen jeden Wettbewerb durchführt, dann aber auf seiner Höhe durch maßlosen Übermut verlockt, alles aufs Spiel setzt und dabei abstürzt – die Alten nannten das Hybris – dieser Roman wiederholte sich später noch einmal an Oscar Wilde. Denn Oscar Wilde ging nicht an seinen, wie er es nannte, »heimlichen und absonderlichen Freuden« zugrunde, sondern daran, daß er die Gesellschaft durch den Öffentlichkeitsprozeß herausforderte, um zu versuchen, was er ihr zumuten, wie weit er es treiben könnte. Brummell kann man keinerlei bedenkliche Laster nachsagen, aber er hat das viel Wesentlichere mit Wilde gemein, daß er durch seine Eleganz das Publikum erregte, durch seine Einfälle, durch die unwiderstehliche Geste, mit der er seine Überlegenheit zum Ausdruck brachte, eine eigentümliche Wirkung von Verwirrung, Bezauberung und Aufreizung um sich bewirkte. Er schien ein Charmeur, doch in seiner Liebenswürdigkeit funkelte der Spott, jeder Situation gab er mit einem Epigramm das Gepräge, sein Lächeln war gefährlich. Man denkt an Cyranos todbringende Grazie »Und beim letzten Verse stech' ich«, auch an Goethes Charakteristik des kühlen Eroberers, »der beleidigt, der verführt«.
Und an Brummells wie an Wildes Roman mit der englischen Gesellschaft erkennt man als charakteristisch für diese, daß sie sich aus einem raffinierten Kitzel gar zu gern von ihren Lieblingen oft bis zur Brüskierung tyrannisieren läßt, – ähnlich verdorbenen nach Sporen und Peitsche gierigen Frauen –, daß sie aber, eines Tages der Sache überdrüssig, sich in neuer Laune auf ihre Macht besinnt und den eigenen Götzen zertrümmert.
Brummells Verhältnis zur Gesellschaft läßt sich beispielhaft gut beobachten an seiner Beziehung zu ihrem ersten Vertreter, dem Prinzregenten, dem nachmaligen König Georg IV. und weiter an seiner Einstellung zu den Frauen. Es gab Brummell einen großen Teil seiner Macht, daß er sich an keine Leidenschaft verlor, daß er, ohne verstrickt zu werden, mit der Liebe spielte und immer die Zügel in der Hand behielt. Barbey nennt ihn geistreich »un Stoïcien de Boudoir«, er fügt hinzu: »les dandys ne sont aimés que par spasmes«. Tieferblickend aber scheint die Erklärung, daß eine solche Menschlichkeit in ihrer Koketterie, in ihrer Eroberungssucht, sich dauernd in anderen zu spiegeln und sich die Bestätigung ihrer Wirkung zu holen, selbst sehr viel Feminines hat, und daß ihr aus dieser immunisierenden Verwandtschaft das Weibchen nicht gefährlich wird. So haßte instinktiv auch die große Kokotte Henriette Wilson George Brummell als einen ihr gewachsenen Rivalen in der Kunst, die Leute von sich reden zu machen und sie an seinen Erfolgswagen zu spannen.
Bestimmend für die Geschichte seines Glückes und Endes bleibt jedoch seine Freundschaft und der Bruch mit dem Prinzregenten. Georg war früh auf ihn aufmerksam geworden und hatte sich unwiderstehlich angezogen in Brummells Mentorhand gegeben. Der lehrte ihn seine selbst angeborenen Gaben, und das war nun wirklich – um den Titel von Lavedans witziger Komödie anzuwenden – »une éducation de prince«. Nur daß niemand lernen kann, was ein anderer durch Gnade besitzt.
Brummell blieb, trotzdem seine materiellen Mittel begrenzt waren, in dem Kreis, der ihn freiwillig als Meister anerkannte, immer seinem Schüler, dem »königlichen Dandy« gegenüber der »König der Dandys«. Dies Bewußtsein aber wurde für ihn zum Fallstrick. Ähnlich wie Wilde ward er den Kitzel nicht los, seine Herrlichkeit durch immer gewagtere Versuche zu erproben. Er fühlte sich nicht mehr als Günstling des Fürsten, sondern vielmehr selber als einen Königsmacher, und er sagte von Georg, den er erst zum Dandy geschaffen, »ich habe ihn zu dem gemacht, was er ist; ich kann ihn auch wieder absetzen«. Er ironisierte, gar nicht aus Bosheit gegen das Objekt, sondern sicher aus der bösen Lust am Wagnis, die zunehmende, über die Ufer tretende Leibesfülle des hohen Herrn. Er nannte ihn nach dem unförmlich mammuthaften Türsteher von Carlton-House Big-Ben, und die königliche Freundin, Madame Fitz-Herbert, die »Benina«. Es mag auch die freilich nicht verbürgte Geschichte passiert sein, daß Brummell im Klub zu dem Prinzen sagte: »Georges, läuten Sie«, worauf dieser sofort den Wunsch erfüllte, dann aber dem eintretenden Diener befahl: »Den Wagen für den betrunkenen Brummell« zu bestellen. Die Geistesgegenwart in diesem tödlich treffenden Einfall wäre übrigens durchaus Schule Brummell.
Kurz, der König der Dandys verlor seine Partie gegen den königlichen Dandy. Die Gunst war für immer verscherzt, und damit auch die Gunst des gesellschaftlichen Chorus, wenn sie auch merkwürdigerweise noch eine Weile von dem Bändiger-Auge des mit kalter, beherrschter Verzweiflung um seinen Thron Kämpfenden erzwungen wurde. Seine Niederlage ward erst vollständig, als ihn auch der Erfolg am Kartentisch verließ und der finanzielle Ruin hereinbrach. Noch bewahrte er die kühle spöttische Miene, noch gelangen ihm geschliffene, wie Pfeile flitzende Entgegnungen, z. B. jene, als sich bereits die Gewöhnlichkeit getraute, seinen Rock zu streifen, und ihm einer der früher so untertänigen Gläubiger öffentlich als Mahner in den Weg trat. Brummell fixierte ihn und meinte obenhin, »die Sache wäre längst beglichen«, und da der andere fragte: »wann denn?« übersah ihn Brummell mit seinem berühmten vernichtenden Blick und meinte: »Damals, als ich am Fenster von White stand und Ihnen beim Vorübergehen zurief, daß alle es hörten: Jemmy, wie geht's.«
Brummell selbst merkte, daß die Zeit zum Abtreten reif war. Er zeigte sich noch einmal in der Oper. Nach der Vorstellung fuhr er mit der Post nach Dover und, wie später Wilde, ging er von da ins Exil nach Frankreich, erst nach Calais, dann nach Caën.
Und während in London seine erlesene Einrichtung, sein Sevre, seine viel bewunderte Tabatièrensammlung versteigert wurde, gleichsam eine pompöse Trauerfeier für den Untergang des Helden von gutem Geschmack, versuchte der bei Lebzeiten Verschiedene sich in seiner neuen Verwandlung zurechtzufinden. Die äußere Grundlage bot die Unterstützung einiger treugebliebener Anhänger aus der früheren Existenz. Hierbei begab es sich, als ein Satyrspiel voll Tragikomik, daß der Dandy mit dem Unfehlbarkeitsdogma, jetzt, entwurzelt, entgleist, das erste Gesetz des Dandysmus nicht mehr zu erfüllen imstande war, nämlich mit Haltung, Fassung, ja mit Anmut jede Lage anzunehmen und ihr einen Stil zu geben. Er fand nicht die vornehme Resignation des Eremiten, er ward ein Zerrbild seiner Vergangenheit mit Gesten, die keinen Inhalt mehr hatten. Ins Gespenstische wuchs das, als er, schon gestörten Geistes, jene Schattenfeste gab, bei denen er selbst die Namen der erlauchten Gäste meldete, den Prinzen von Wales, Lady Conningham, Lord Yarmouth und dabei in seiner Gasthofstube der Kleinstadt allein am trüben Tische saß.
Dann traf ihn körperliches Gebrest, der Schlag, und der Stern der Gesellschaft fand seine letzte Zuflucht im Siechenhaus »Au bon-Sauveur«, zum guten Hirten. Der Überlegene, der Künstler der Körperkultur, verfiel bis zu seinem Tode der Hilflosigkeit und der Erniedrigung. Barbey meint, es war, als wollte das Schicksal an ihm »une revanche de l'élégance de sa vie« nehmen.
Wir aber möchten nicht sentimental schließen, sondern mit einer über das Persönliche hinausgehenden Betrachtung. Es fällt auf, daß diese Führer der Gesellschaft, die Dandys, bei den romanischen Völkern, vor allem bei den Franzosen, stets Soldaten sind im Glanz kriegerischer Abenteuer sans peur et sans reproche. Beispiel der Herzog von Lauzun und die imaginären Helden Stendhals und Barbeys aus der napoleonischen Sphäre. Ja auch in Deutschland erschien die seltene Blüte meist als Offizier. Prinz Louis Ferdinand stellt sie leuchtend dar, und Fürst Pückler betonte gern und stolz seine 1815 tapfer erwiesene Zugehörigkeit zur Armee. In England jedoch betätigte sich der Dandysmus einzig zivilistisch, in Hamlets gewohnter Tracht vom ernsten Schwarz. Brummells ganz kurze jugendliche Husarenepisode gilt nicht viel. Und König Eduard war die Uniform, besonders die preußische, immer nur unbequem. Das gibt zu denken.