Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Carl und Marie von Clausewitz

 

I.

In den Kriegsläuften gab es oft Gelegenheit, die Zeit vor hundert Jahren zu beschwören. Und von allen Persönlichkeiten, die in ihr als führende Männer und als Geburtshelfer des künftigen Deutschlands hervortraten, wurde gewiß am häufigsten der Name Clausewitz genannt.

Zunächst wohl wegen seines strategischen Werkes »Vom Kriege«. Überraschend wirken in ihm die heute noch geltenden Erkenntnisse. Clausewitz betonte schon damals die Notwendigkeit des Überwiegens der geistigen und moralischen Kräfte in der Führung; er begründete die Notwehrbedeutung von Preußens »Militarismus«; er empfahl für einen künftigen Feldzug mit Frankreich den schnellen Vorstoß über die belgische Grenze. Er betrachtete den Krieg nicht vom einseitigen Haudegen-Standpunkt, sondern als ein Mittel zum Zweck, als eine ultima ratio der Politik und ließ nie die volkswirtschaftlichen Erwägungen außer acht. Nachdrücklich wies er in seinen für die Scharnhorstschen und Gneisenauschen Heeresreformen entworfenen Plänen zur Aufstellung von Landwehr und Landsturm – sie waren die Einleitung zur Allgemeinen Wehrpflicht – darauf hin, daß durch die Einberufungen »die gewöhnlichen Verhältnisse des gesellschaftlichen Zustandes« nicht in völlige Auflösung geraten dürften.

Diese so modernen Gedanken erregten uns neu das Interesse für diesen Mann und seinen Lebensgang. Und auch hier fand man recht Nachdenkliches. Ein Preußenschicksal, so erschien diese Existenz: karg, spröde, verkannt, ohne äußere Anerkennung, aber immer unbeirrt dem eigenen sicheren »kategorischen Imperativ« folgend, jener Pflicht, für die das Vaterland das Höchste und das eigene Behagen oder sogar der eigene Ehrgeiz Nebensache bleibt. Deutlich stellt sich das schon in seiner äußeren Laufbahn dar.

Als 1812 der König von Preußen dem Zwange Napoleons fügsam in den Bündnisdienst der Franzosen tritt, entsagte Clausewitz aus innerem Preußentum äußerlich seinem Vaterland. Kurz und ungnädig verabschiedet, kämpfte er auf russischer Seite gegen Frankreich. Die Konvention von Tauroggen, die er vermittelte, brachte ihn zu seiner »unbeschreiblichen Beglückung« wieder Schulter an Schulter mit seinen Landsleuten. Sein König verhielt sich aber dem besten und in tiefster Seele treuen Mann gegenüber weiter unhold. Lange blieb ihm die Wiederkehr in die preußische Armee versagt, bei den Auszeichnungen wurde er (trotz seiner Tapferkeit in der Schlacht bei Groß-Görschen am 2. Mai 1813) übergangen. Clausewitz wich und wankte nicht. Er sagte nur: »Es ist mein Stolz, dem Vaterland zu dienen, und mein doppelter Stolz, auch unter demütigenden Bedingungen.«

Erst 1814 erlangte er ein Patent als preußischer Oberst, und gleichzeitig wurde endlich die sogenannte russisch-deutsche Legion zur deutschen Legion bestätigt und dem dritten Armeekorps am Niederrhein überwiesen, eine Erlösung für so viele gleich Clausewitz Vaterlandlos-Gewordene.

Später, 1818, ward er Direktor der Kriegsschule in Berlin. Er versah dies Amt mit Schweigsamkeit und weltabgewandter Zurückhaltung. Seine Muße gehörte seinem engsten Familienkreis, seiner Frau Marie vor allem, und seinen kriegswissenschaftlichen Arbeiten. Ein stilles Wirken im Schatten. Alle diese Schriften, deren Wirkung und Bedeutung die Maßgebenden noch heute anerkennen, kamen erst nach seinem Tode, von seiner Lebensgefährtin herausgegeben, an die Öffentlichkeit, und der Schlachtendenker voll Genie der Eingebung starb, ohne je ein Schlachtenlenker gewesen zu sein, in seinem einundfünfzigsten Jahre in dem bescheidenen Rang eines Generalmajors …

* * *

Der große Schweiger war ein reger und mitteilsamer Briefschreiber, Und am hingehendsten und bekenntnisvollsten sind die Braut- und Ehebriefe.

Sie gewähren Einblick in die sonst sorgsam verwahrte innere Existenz einer Menschlichkeit, die vielfältiger, verwickelter und farbig funkelnder war, als die äußere schroff entschlossene Gradlinigkeit und Herbheit merken ließ.

Die Empfängerin dieser Briefe, die künftige Frau von Clausewitz, hieß als Mädchen Marie von Brühl.

Sie war eine Enkelin des sächsischen Brühl aus der üppigen Zeit Augusts des Starken.

Ihr Vater wurde von Friedrich Wilhelm II. als Erzieher des Kronprinzen nach Berlin berufen, obgleich das Katholische wie das Sächsische wenig zu der preußisch-friderizianischen Überlieferung zu stimmen schien.

Graf Brühl bewährte sich aber viel besser, als mißtrauisch vaterländische Sorge gefürchtet hatte. In ihm war nichts vom höfisch-lebemännischen Kavalier des achtzehnten Jahrhunderts. Und seine Tochter Marie (1779 in Warschau von einer englischen Mutter geboren) entwickelte sich trotz der internationalen Mischungen in strengen, einfachen Charakterlinien; vom »galanten Sachsen«, vom lebenstollen Polonien scheint nicht ein Tropfen in ihrem Blut gewesen zu sein.

Ihr Äußeres wirkte nicht so blendend wie das ihrer Schwester, der Frau Franziska von der Marwitz; doch ihre schönen blauen Augen verrieten ihr Inneres, das man mit einem Goethischen Wort »still und bewegt« nennen könnte: still in ihrer Freiheit von aufwühlender Leidenschaft, bewegt in dem starken, gleichmäßigen Strom ihres innig anteilsvollen Gemüts und in der erlebnisvollen Hingabe an künstlerische Eindrücke. Angeborene Vornehmheit und einfach zwanglose Natürlichkeit lag in ihrem Wesen.

Der alte Blücher war entzückt von ihrer hohen, schlanken Erscheinung in schwarzem Samt mit Perlen. Und Gneisenau charakterisierte sie 1810 in einem Brief an seine Frau: »Mit dem kultiviertesten Geist verbindet sie die größte Herzensgüte und die angenehmsten, feinsten Formen des Umgangs. Sie ist hier in Berlin eine von unseren Musterfrauen und wird dem Bilde wenig entsprechen, das man sich in Eurer Gegend gewöhnlich von den Berliner Frauen macht.«

Der Eheschluß erfolgte erst nach sieben Prüfungsjahren. Mancherlei Schwierigkeiten hemmten: die soziale Ungleichheit zwischen dem unbemittelten Subalternoffizier und der Dame aus Reichsgrafenstand, danach die Kriegsgefangenschaft, in die Clausewitz als Adjutant des Prinzen August geriet.

Das seelische Klima der beiden jungen Menschen, die sich 1803 kennenlernten, ist jenes, das im Buch der Gabriele von Bülow schwingt. Während zur gleichen Zeit in der Welt der Romantik, der Welt Rahels, des Prinzen Louis Ferdinand titanidischer Überschwang, Extasen von Herz und Hirn herrschen, blüht hier ein sänftlicherer Gefühlsgarten voll bescheidener, lieblich – und nicht betäubend – duftender Blumen. Das Bekenntnis dieser Welt, die man als »christlichen Adel deutscher Nation« ansprechen kann, hört man aus den Worten Heinrich von Bülows, des Gatten Gabriele von Bülows: »Das Pikante, Forcierte ist mir ganz zuwider, sowohl in Speisen als überhaupt in allen Verhältnissen des Lebens.« In ähnlichem Sinne liebte Clausewitz an seiner Marie die »zarte, leidenschaftslose, große Seele«, die ihm in seinen oft schwankenden und quälenden Gemütszuständen Beschwichtigung bringt.

Die Brautbriefe geben einen Einblick in dieses Gefühlsreich voll Anmut und Würde, das von jener anderen Zone freigeistig romantischen Taumels weitfern im Schillerschen Abglanz leuchtet.

Clausewitz schrieb seine Briefe aus Frankreich, aus Nancy, Reims, Soissons, wo er von 1806 bis 1807, mit seinem Prinzen, dem Bruder Louis Ferdinands, als Kriegsgefangener lebte – übrigens mit allen Ehren, denn sie hatten sich bis zur letzten Patrone tapfer gewehrt und die schmähliche Prenzlauer Kapitulation verschmäht. Dieser Bräutigam faßt die Gemeinschaft mit dem Mädchen seiner Wahl vom höchsten und innerlichsten Standpunkt auf, sich aneinander zu entwickeln in immer strebendem Bemühen. Das Vaterländische und die Todes- und Opferbereitschaft des preußischen Offiziers geben dabei den Grundton. Zu einer Soldatenbraut spricht ein Mann sein in der Verbannung gebundenes heroisches Sehnen aus. Ihren Besitz müsse er sich als Preis für Großes und Hohes, das er noch leisten wolle, erringen. Und der starke Gemeinschaftszug, der sie bindet, verkündet sich in dem Gruß, den Marie ihrem Ring für den Geliebten vor dem Auszug in den Kampf mitgab, er solle ihn am Tage des Ruhms und der Gefahren tragen.

Das Bild von Max und Thekla schwebt ihr vor. Doch wirkt im Idealischen dieser Preußen-Menschen immer durchdringend ein tüchtig erdhaftes Wesen, für das die Tat und nicht das Träumen und Seelensäuseln am Anfang steht. Und viel nacheiferungswerter denn die hinschwindende Thekla, steigt Marien als Wunschgestalt die Gertrud Stauffacherin auf: »ich bin dein treues Weib und meine Hälfte fordre ich deines Grams.«

So spricht auch die junge Komtesse voll ernster, inniger Unbefangenheit zu dem Verlobten von ihrer Vorstellung, an seiner Seite zu sitzen als sein liebendes und geliebtes Weib und als eine glückliche Mutter.

Was Marien an Clausewitz so wert ist, die Mischung von zartem Gemüt und Verstand, die besitzt sie selbst. Sehr bemerkenswert erscheint in solcher Hinsicht ihre von Schwärmerei unbestochene, zu Ende gedachte Charakteristik Schills, die ein bezeichnendes Gegenstück zu Bettinens schwärmenden Phantasien über den helldunklen Helden darstellt. Auch Mariens Herz schlägt für die in seiner Gestalt verkörperte Befreiungsidee, sie dankt es ihm, daß er dem Volk Anfachung und Antrieb für den daniederliegenden Mut erweckt. Doch für sich selbst faßt sie Schill mit seiner berauschten Kühnheit, seinem kurzsichtigen Eigensinn, seinem der Sache schadenden planlosen Hin- und Herschwanken schärfer ins Auge und sagt: »Es ist ewig schade, daß dies herrliche Instrument nicht eine Hand gefunden hat, die es gehörig zu brauchen wußte.« Und sehr aufmerksam achtet man weiter auch auf ihr Bekenntnis, daß sie die »Russenpassion ihrer Freundinnen nie geteilt habe«. Damit rückt sie dem von ihr so verehrten Goethe nahe, der ja auch die damals notwendige Verbrüderung mit dem östlichen Nachbarn voll ahnungsvoller Abneigung ansah: »Es ist wahr, Franzosen seh ich nicht mehr und nicht mehr Italiener, dafür aber sehe ich Kosaken, Baschkiren, Kassuben, Samländer … selbst wenn wir all das Volk vor unseren Augen sehn, fallt uns keine Besorgnis ein, und schöne Frauen haben Roß und Mann umarmt.«

Es ist danach hübsch, daß in diesem Bild der geraden und reinen Züge kleine Menschlichkeiten nicht fehlen. Clausewitz scherzt über Maries »ordenssüchtiges Herz«, das für den bewunderten Mann auch die äußeren Auszeichnungen begehrte, dabei aber, wenigstens von preußischer Seite, ziemlich unbefriedigt blieb. Sehr erinnert das an Johanna von Bismarck, die auch mehr an den Sternen und Kreuzen hing, als der mit ihnen so schwer – »ein Schlittengeschirr« nannte er es – behängte Kanzler.

Und auch das Weltkindliche lächelt aus der Stille und Gemessenheit auf. Marie tanzte gern. Und Clausewitz freut sich herzlich, vorurteilslos der lebendigen Regung und sagt dabei das gute und vernünftige Wort: »Sowenig diese Zeit im allgemeinen den Charakter der Freude und des Vergnügens an sich trägt, so wäre es doch lächerlich, Freude und Vergnügen überall, wo sie sich freiwillig einfinden, verbannen zu wollen. Eine solche allgemeine Buße ist nicht im Charakter unserer Zeit und Sitten, und deswegen würde es Überspannung sein, sie fordern zu wollen.«

Die Gemeinschaft zwischen Carl und Marie von Clausewitz, die 1810 geschlossen, dann durch die Kriegsjahre noch mancherlei Trennungen ausgesetzt war, wurde von 1815 ab in Koblenz und später in Berlin zur festgegründeten Vereinigung. Sie brachte, wenn auch der sehnlich erhoffte Kindersegen fehlte, beiden reiche Erfüllung. Und das gültigste Denkmal und Wahrzeichen dafür ist, daß Marie als Witwe – jener anderen Marie, der Frau Marie von Bülow gleich – die kriegswissenschaftlichen Schriften ihres Gatten, die bei Lebzeiten verborgen und unerkannt blieben, der Öffentlichkeit, und damit einer anerkennungsvollen Nachwelt übergab.

Die sonst streng zurückhaltende Frau tritt hier, wo es sich um Pflicht und inneren Auftrag handelt, entschlossen aus ihrem umfriedeten Haus hervor. Sie beruft sich zur Berechtigung ihres, dem Fernerstehenden vielleicht befremdlichen Amtes auf ihren Ehestand, »in dem sie alles miteinander teilten, nicht nur Freud und Leid, sondern auch jede Beschäftigung, jedes Interesse des täglichen Lebens«. Und den Stempel auf dieses Werk gab Clausewitz selbst, der im Vorgefühl frühen Todes oft zu seiner Frau sagte: »Du sollst es herausgeben.«

Carl von Clausewitz starb 1831. Marie folgte ihm, nachdem sie sieben Bände hinausgeschickt hatte, im Januar 1836. Ihr Grabkreuz auf dem alten Militärkirchhof in Breslau, wo sie an der Seite des Lebensgefährten ruht, trägt am Sockel die Inschrift: Amara mors amorem non separat.

 

II.

Clausewitz selbst enthüllt sich in seinen Briefen rückhaltlos. Sie sind ihm Gelegenheiten zu unbestochener Selbstprüfung. Dieser Mann, der, von weitem gesehen, aufrecht und geschlossen erscheint, war denn doch nicht ein so einfaches Schulbuchexemplar eines »Führenden Geistes«. Er litt an sich, er suchte oft unter Schmerzen und Kämpfen die innere Befestigung in seiner von äußerer Unruhe und Unklarheit gequälten Lebenslage. Hohe Forderungen stellte er an sich. In großer Wahrheitsliebe legte er dem geliebten und verehrten Mädchen Rechenschaft über die Krisen und Zweifelsanfechtungen seiner Seele ab. Einen Halt gibt ihm das in der aus den Fugen geratenen Zeit nach 1806, und oft findet er im Gedenken an sie den »ganzen entflohenen Wert des Lebens wieder«. Entwicklungsstreben, ein Drang nach Aufstieg spricht aus diesen Bekenntnissen, nicht etwa unfruchtbare, schwächende Selbstbespiegelung. Freilich schmecken sie oft nach zersetzendem Gedankengift. Clausewitz enthüllt, vor allem aus der französischen Kriegsgefangenschaft, seine unbezwingliche Gemütsart, die ihn trotz »Vernunft und männlichem Mut« mit Hoffnungslosigkeit und Elend schlägt. Vergebens sucht er Beschwichtigung und Frieden; immer wieder merkt er den Bann des Dämons, den Marie in ihm ahnungsvoll erkannte, den Dämon jener »unglücklichen selbst verzehrenden Leidenschaftlichkeit«. Jede Freude fällt ein »feindlicher Genius« an, schwer kämpft er gegen den »traurigen Instinkt, den die Natur in ihm wie einen bösen Gespielen seines Geistes aufwachsen ließ«. Er gibt nicht nach, in diesem Krieg um sich selbst, in diesem Widerstand gegen die dumpfe Verzweiflung, im Ringen um sein bestes Teil und seine edelste Kraft, den Willen. Und da die Resignation ihm versagt ist, so wirbt er um eine »stets gespannte Kraft des Gemüts«. Und bestimmend bleibt der große und zugleich demütig-ehrfurchtsvolle Gedanke, der auch uns stützen kann: daß »ein Menschenleben nur ein kleiner Punkt ist in dem Maßstabe, womit die Allmacht die Völker ordnet«.

Bestimmend für Clausewitzens innere Richtung war das unerbittliche voraussetzungslose Zu-Ende-Denken jeder Frage. Bequemliche Übereinkunftsbegriffe, fingerfertige Schlagwortprägungen gab es für ihn nicht. Er war sich auch stets der Vielseitigkeit aller Dinge bewußt, er betrachtete sie prüfend wie eine Rundplastik. Jedem Urteil ging ein wirklich siebender und mahlender Denkprozeß vorher, und das Urteil oder die Charakteristik war dann auch nie ein behendes bestechendes Wort, sondern immer ein innerlich gewachsenes Ergebnis.

Beispielhaft läßt sich das gut beobachten an einer Gegensatzfigur, dem Prinzen August, den er, wie schon berichtet, in die französische Kriegsgefangenschaft begleitete. Der Prinz August, Bruder des glänzenden Louis Ferdinand, war gleich diesem noch ganz ein Sohn des achtzehnten Jahrhunderts. In beiden pulsierte, wenn sie auch gewiß überzeugte Vaterlandsfreunde waren, etwas von gallischem Kavalierblut. Dem Herzog von Lauzun und seiner Rasse in ihrer Mischung von Tapferkeit und Koketterie sind sie verwandt. Louis Ferdinand, der natürlich die Revolution verabscheute und Napoleon, freilich mit einem Einschlag aufgestachelter ruhmdürstender Eifersucht, haßte, suchte gern den Umgang mit den vornehmen Emigranten, die in Haltung und Manieren einen Hauch der untergegangenen Grand-Seigneur-Welt immer noch ausstrahlten, und er wetteiferte mit ihnen in Schwung und Zauberei der Launen und Einfälle, in der abenteuerlichen Verwegenheit ritterlicher Künste. Louis Ferdinands dahinbrausender Schicksalsgalopp, der zwar mit Sturz und Untergang, aber doch in tragisch-jugendschöner Verklärung auf dem Schlachtfeld von Saalfeld endete, entzückt und reißt uns hin wie eine letzte Fanfare des Rittertums alter Zeiten. Sein Bruder – er hatte übrigens nach Achim von Arnims Schilderung das Aussehen eines französischen Generals »ancien regime« – scheint mehr gaskognisch gewesen zu sein. Er ging in Nancy und Soissons auf friedliche Eroberung aus, auf gesellschaftlichen Erfolg und erwarb auch durch spielend-gaukelnde Liebenswürdigkeit den Ruf: »galant, vaillant, beau, aimable …«

Clausewitz in seiner Sprödigkeit und Gewissenhaftigkeit litt unter diesem Ton, vor allem, wenn der Prinz bei den schöngeistigen Tees der Provinz gewandt und oberflächlich mit Namen und Titeln der französischen Literatur herumsprang, während er sich selbst, da ihm »Floskeln« unmöglich, zum Schweigen verurteilte. Er litt auch unter der Vergnügungshetze, unter dem unruhvollen, für jeden wahrhaften Eindruck unmöglichen Ausflug nach Paris. Er hielt sich zurück, soweit ihm dies vergönnt, und rettete seine aufgescheuchte Seele in das Jenseits der Mathematik, die ihn in ein »bewußtloses Dasein« einwiegt

* * *

Doch seine Wahrnehmungsfähigkeit, sein Weit- und Tiefblick für Menschen und Umwelt bleibt unbeeinträchtigt, ja verschärft sich. Und nicht nur »zerlegt er«, wie er später einmal voll einer gewissen Bitterkeit meint, mit schneidendem Zweifel die Herzen der Menschen, sondern er betrachtet sie auch gelassen, fast wissenschaftlich als Naturprodukte, in ihren Abhängigkeiten und Bedingungen.

Die Frucht der Gefangenschaft sind eindringende unparteilich gefärbte Studien über französische und deutsche Stammeszüge im scharfen Licht vergleichenden Abwägens.

Als »Haupt-Ingrediens« des französischen Wesens stellt er fest: das »reizbare, lebhafte, aber unbeständige und deswegen nicht tiefe Gefühl«, dazu die Eitelkeit, »sein eigenes Verdienst wie ein gesticktes Kleid an seinem Äußeren zu tragen«. Interessant ist, wie sich diese Bemerkung mit einem Wort Stendhals deckt, der seine Landsleute, die »Lebhaft-Eitelen«, les »Vain-vifs« nennt, die immer durch den Gedanken an die äußere Wirkung, an das »Qu'en dira-t-on«, geleitet werden.

Dann geht Clausewitz auf die französische Sprache ein, die in ihrem reichen Bestände an »gemachten Gedanken«, an gefällig verbindlichen Formeln, den Eindruck der Wohlerzogenheit und der allen Schichten gemeinsamen Höflichkeit erweckt. Bei näherem Zusehen entdeckt man aber, daß es nicht eine Höflichkeit des Herzens ist, sondern nur eine schmiegsame Gebärde, mit der sich, ohne daß der verbindlich Lächelnde es selber merkt, die ärgste Taktlosigkeit paaren kann. Clausewitz belegt das in aller Ruhe mit schlagenden Beispielen. Folgerichtig entwickelt er aus der eingeschränkten und dabei einheitlichen Vorstellungsrichtung der Franzosen, aus dieser Einförmigkeit der Individuen, ihre Veranlagung zum »Esprit de corps«, zum Nationalgeist, und dadurch weiter ihre Geeignetheit zum »politischen Instrument« jeder Regierung, die ihnen schmeichelt oder durch Effekte auf sie wirkt.

Diese Einförmigkeit und die dadurch begründete Lenksamkeit an einem Strang fehlt bei den Deutschen. Sie sind weniger Masse als einzelne. Von den äußeren Merkmalen der Dinge, an denen der Franzose haftet, strebt der Deutsche auf den Kern, ja ins Abstrakte. Gefühl- und gemütstiefer wird er dabei, auch der Verstand bewährt sich eigener und beständiger: »aber«, so heißt es dann, »wenn dieser Sinn das Individuum als Menschen erhebt, so schadet er sehr oft seiner Brauchbarkeit im praktischen, vorzüglich im politischen Leben«.

Die Verschiedenheit selbständiger Denkwege führt zum Räsonnement, zur Kritik am Bestehenden und zersplittert den Nationalsinn. »Wir sind herzlich, treu und redlich, solange wir uns nicht selbst Gewalt antun, um des klügelnden Räsonnements wegen. Aber diese Gewalt tut der Deutsche seinem Herzen öfter an, als er sollte. Diesen ewigen Klügeleien verdankt er ein unseliges Mißtrauen. Keiner vertraut den Kräften des anderen, und so auch keiner den Kräften der Nation … Wir haben zu wenig heilsame Vorurteile; der echte Geist der Kritik, der in uns wohnt, sucht das Gute überall auf wie das Böse; er gibt also anderen Nationen ihr Verdienst und deckt die Fehler der eignen auf.«

Ein gewaltiges Geschehen, der eherne Hammerschlag und ein lohendes Schmiedefeuer – wie es jetzt wieder über uns kam – scheint also den Deutschen nötig, um sie läuternd zu einer unzerbrechlichen Form zusammenzuschweißen, und sie mit dem Glauben zu segnen, den ihnen Clausewitz wünscht: »Sich alles zuzutrauen, was die menschliche Natur großes vermag.«

* * *

Und Clausewitz ist selbst solch ein Deutscher, ohne alle »heilsamen Vorurteile«, mit unerbittlicher Kritik und mit höchsten Ansprüchen an sein Volk. Sein Patriotismus ist eine brennende Liebe, die in Vollkommenheitssehnsucht anklagt, eifert und zornig die Geißel schwingt.

Er schreckt nicht vor den härtesten Worten zurück und spricht es 1809 schonungslos aus, daß in dieser Zeit für das »arme, daniederliegende, deutsche Vaterland« viel schlimmer als die äußere Gewalt das »Gift unserer Erbärmlichkeit« ist, das unaufhörlich die gesunden Teile benagt und jede Genesung unmöglich macht. Bitter urteilt er über die, »die aus lauter Anhänglichkeit an den König sich nicht von ihrem Gehalt und aus einer gesicherten Anstellung losreißen können, die aus Patriotismus lieber auf Parade gehen als zur Schlacht, die den Namen Preußen unaufhörlich im Munde führen, damit der Name Deutscher sie nicht an schwerere, heiligere Pflichten mahnt«.

Clausewitz durfte so sprechen, denn er hatte ja, wie wir aus seiner Lebensgeschichte erfahren, freiwillig die Vaterlandslosigkeit auf sich genommen, um nicht in erzwungener Bundesgenossenschaft für Frankreich fechten zu müssen.

Desto stärker bewährt sich dafür sein festgegründetes, inneres Preußentum, und dessen bedeutungsvollster Wahrspruch lautet: »Standhaftigkeit und Beharrlichkeit im Unglück sind viel schönere Eigenschaften der Seele als jede Art von Enthusiasmus, das sollten sich alle Männer wenigstens sagen.«

* * *

In diesen männlichen, oft stahlhart geschriebenen Briefen tauchen gar nicht selten zierliche, wie mit der Rohrfeder gezogene Eindruckszeichnungen auf. Deutlich zeigt sich in ihnen die ausdrucksmächtige Schilderungskunst des geborenen Schriftstellers. Wohl sah sein Strategenblick jede Landschaft auf Angriffs- und Verteidigungsmöglichkeiten an. Doch auch ein dichterisch empfängliches Auge tat sich jederzeit auf und fing sich reiche Beute.

Eine schlesische Landschaftsstimmung hält es fest: die Ebene von Frankenstein unter dunklen Wolken, in blauen Farben schwimmend, aus denen die einzelnen Türme und Gebäude wie Sterne hervorblitzten. Königsberger Brücken-Impressionen strichelt er huschig-bewegt. Das Rathaus von Löwen in seinem zierhaften Spitzenaufbau zeichnet Clausewitz nach, und belgische Edelhöfe, die zwischen Bosketts von dunklen Tannen, mit runden Türmen und einem Wassergraben, das Aussehen einer kleinen Burg haben.

Klingend hallt die Stimmung der Reimser Kathedrale von 1802 wieder; Clausewitz gibt einen Abglanz des »heiligen Scheins« der farbigen Fenster, die das »Drückend-Schwermütige der großen Massen in einen hehren Eindruck verwandeln«.

Nicht nur lyrisch malt Clausewitz, sondern auch scharf charakterisierend. Sehr sinnfällig prägt er in einem Satz die polnische Wirtschaft aus: »Das ganze Leben der Polen ist, als wäre es mit zerrissenen Stricken und Lumpen zusammengebunden.«

Französische Provinzgeselligkeit in Soissons mit der Schöngeistigkeit alter Damen – Prinz August ließ sich von ihnen bewundern – verspottet er: Soissons erscheint ihm mit seinen alten Mütterchen wie das »Spital von Frankreich.«

Und dieser Soldat von ernsthafter Sachlichkeit hat in der Vielfältigkeit seiner Seele auch die Unbefangenheit, im Bezirk seines Berufs auf das Ästhetische zu achten.

Das Ziehen großer Truppenmassen fesselt ihn vorzüglich: »Wobei man nur nicht an unsere Revuen denken muß. Hier sind es nicht wie dort steife Truppenlinien, die sich dem Auge darbieten, sondern man unterscheidet in den geöffneten Reihen noch das Individuum in seiner Eigentümlichkeit, und es herrscht neben der ruhig fortschreitenden Bewegung viel Mannigfaltigkeit und Ausdruck des Lebens. Jeder leuchtet mit seiner Rüstung einzeln durch die grünen Zweige des jungen Waldes, und wenn schon der Mann dem Auge entschwunden ist, blitzt noch seine Waffe durch die Wolke von Staub, die sich hoch über dem Rand des Tals erhebt. Selbst die Mühseligkeit, die aus der Anstrengung spricht, wenn sich die Reihen mit ihrem Geschütz und Gepäck langsam den Berg hinaufziehen, gibt einen glücklichen Zug in dem Bild.«

Diese militär-ästhetischen Eindrücke verführen dazu, Vergleichsstellen bei Goethe aufzuschlagen. Goethe hatte für solche Marschrhythmen einen empfänglich wachen Sinn. Im Epimenides dröhnt voll unwiderstehlicher Wucht der Schritt der Krieger: »Wir ziehen und ziehen und sagen's nicht. Wohin, wohin, wir fragen nicht.«

In der »Kampagne in Frankreich« sieht man bildhaft »über Hügel und Tal des Königs Majestät sich bewegend wie der Kern eines Kometen von einem langen, schweifartigen Gefolge begleitet«. Man könnte sogar glauben, daß dieser Eindruck mit seiner Kurvenmelodie an dem viel späteren Lied der Wanderjahre beteiligt sei:

Von den Bergen, zu den Hügeln,
Niederab das Tal entlang,
Da erklingt es wie von Flügeln,
Da bewegt's sich wie Gesang …

In der »Belagerung von Mainz« wird der Auszug der Besatzung zu einer Symfonie des Gesichtssinns voll stimmungswechselnder Sätze.

Als Auftakt: »eine Kolonne Marseiller, klein, schwarz, buntscheckig, lumpig gekleidet«; sie trappelten heran »als habe der König Edwin seinen Berg aufgetan und das muntere Zwergenheer ausgesendet«. Hierauf folgten regelmäßigere Truppen »ernst und verdrießlich … »als die merkwürdigste Erscheinung dagegen mußte jedermann auffallen, wenn die Jäger zu Pferde heraufritten. Sie waren ganz still gegen uns herangezogen, als ihre Musik den Marseiller Marsch anstimmte. Dieses revolutionäre Tedeum hat ohnehin etwas Trauriges, Ahnungsvolles, wenn es auch noch so mutig vorgetragen wird; diesmal aber nahmen sie das Tempo ganz langsam, dem schleichenden Schritt gemäß, den sie ritten. Es war ergreifend und furchtbar und ein ernster Anblick, als die Reitenden, lange, hagere Männer von gewissen Jahren, die Miene gleichfalls jenen Tönen gemäß heranrückten.«

Gegenwärtiger, voll seltsamen Vorahnens heutiger Erscheinungen, berührt aber der Umriß von Goethes Nachtritt am 16. Juni 1793 nach der Weißenauer Schanze: »Man sah nichts, man hörte nichts, aber unsere Pferde stutzten auf einmal, und wir wurden unmittelbar vor uns einen kaum zu unterscheidenden Zug gewahr, österreichische grau gekleidete Soldaten mit grauen Faschinen zogen stillschweigend dahin, kaum, daß von Zeit zu Zeit der Klang aneinanderschlagender Schaufeln und Hacken irgendeine nahe Bewegung andeutete. Wunderbarer und gespensterhafter läßt sich kaum eine Erscheinung denken, die sich, halb gesehn, immer wiederholte, ohne deutlicher gesehn zu werden.«

* * *

Auch Clausewitz ragt bedeutungsvoll und -gemäß in die neue Zeit hinein. In seinen vom Napoleonischen Adlerglanz und Gloire-Rauch unverwirrten Preußentugenden, in seiner granitenen Härte der Pflicht, in seinem nur der Lebensgefährtin aufgetanen, in Vertrauen und Hingabe sich mitteilenden Gemüt führt er zu Moltke und Bismarck. Und die Ehebriefe dieser drei sollten in einer deutschen Bücherei beieinanderstehen.


 << zurück weiter >>