Abbé Prévost d'Exiles
Geschichte der Donna Maria und andere Abenteuer
Abbé Prévost d'Exiles

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Geschichte der Donna Maria und des jungen Prinzen Justiniani

Ohne aus einer der erlauchtesten Familien zu stammen, war Donna Maria von vornehmen Eltern geboren. Da sie ihren Vater wie ihre Mutter in ihrer Kindheit verloren hatte, lebte sie unter der Obhut einer noch ziemlich jugendlichen Tante, welche sie einige Jahre über mit ebensoviel Sorgfalt wie Zärtlichkeit erzog. Sie erreichte ein Alter von vierzehn oder fünfzehn Jahren, ohne dass ihre Ruhe und Unschuld irgendwie gestört wurde; dann aber hub die Liebe an, ihr das Leben auf einem Landbesitz, welchen sie niemals verlassen hatte, zu vergiften. Der Prinz Justiniani erblickte sie und fand sie liebenswürdig. Er stellte sich sehr häufig bei ihr ein; die Nähe eines seiner Landbesitze machte ihm dies leicht. Sie gewöhnte sich daran, seine Besuche zu empfangen und sogar ihn zu lieben, ehe sie noch recht wusste, was Liebe bedeutete. Wusste nicht, welches die Absichten des Prinzen waren, und ob er daran dachte, sie zu heiraten. Obwohl sie an Geburt ziemlich viel unter ihm stand, war sie doch einem adligen Hause entsprossen und ihr Vermögen war keineswegs zu verachten. Doch überliess sie sich ihrer Herzensneigung, ohne solchen Erwägungen nachzuhängen, bis sie sich tausend Verdriesslichkeiten von aussergewöhnlichster Art ausgesetzt fand. Ihre Tante hatte bis dahin in derselben Einsamkeit wie sie gelebt und hatte ihre Freude daran, den Prinzen oft in ihrem Hause zu sehen. Ohne sich über Donna Marias Anteilnahme daran zu beunruhigen, war sie in aller Höflichkeit bestrebt, seine öfteren Besuche herbeizuführen. Vielleicht geschah es anfangs nur einfach aus Freude an Vergnügen und Gesellschaft, doch die verbindliche Miene des Prinzen, der sich seines Ermessens bestreben musste, ihr zu gefallen, liess den Gedanken in ihr wach werden, er spüre eine Neigung zu ihr, und die, welche er ihrer Nichte bezeige, sei nur ein Schleier, mit welchem er seine wahren Gefühle verdecke. Sie hatte noch eine gewisse Jugend mit einiger Schönheit, vor allem aber besass sie ein unerschöpfliches Mass von Eigenliebe. Es bedarf ja doch so wenig, um in einer Frau die Einbildung wachzurufen, sie sei vielleicht geliebt. Auf einmal nahmen sie Ehrgeiz und Liebe in Beschlag und machten einen fast gleichen Fortschritt in ihrem Herzen und Sinn.

Der Prinz und Donna Maria merkten nicht alsogleich darum. Und als ihnen zum ersten Male die Augen darüber aufgingen, sahen sie in diesem Vorfall kein Uebel, das sie zu befürchten hätten. Die Frucht im Gegenteil, die sie davon pflücken konnten, war, dass sie ungezwungener waren, sich zu sehen. Sie schmeichelten sich einige Zeit mit dieser Meinung, bis der Prinz, da ihnen ihre ewige Anwesenheit ein wenig lästig zu werden begann, im Einverständnis mit seiner Geliebten beschloss, sie kühler zu behandeln, um sich von ihrer Aufdringlichkeit loszumachen. Dies war der Anfang ihres Verderbens. Sie fühlte sichtlich diesen Unterschied; und da sie sich einbildete, ihre Nichte könnte ihre Nebenbuhlerin sein, warf sie auf diese einen furchtbaren Hass. Die Furcht, den Prinzen zu beleidigen, liess sie Pläne mit einer Klugheit ausführen, deren Eifersucht nicht immer fähig ist. Sie entschloss sich, Donna Maria mit einem jungen Manne aus der Nachbarschaft zu verheiraten, der bereits einige Neigung zu ihr kundgetan hatte; regelte insgeheim alle Bedingungen für diese Heirat und benachrichtigte ihre Nichte erst am Vorabend zu dem für die Feier festgelegten Tage davon.

Die Ehrfurcht vor einer Tante, die Vater- und Mutterstelle an ihr vertrat, brachte Donna Maria in äusserste Verwirrung. Unglücklicherweise war der Prinz für einige Tage in Rom. Sie konnte ihn ihre Nöte nicht wissen lassen, und die andere hatte ausdrücklich dieses Zusammentreffen gewählt, um des Erfolges ihres Vorhabens sicher zu sein. Indessen täuschte die Liebe diese Vorsorge und flösste Donna Maria genug Festigkeit ein, um sich zu verteidigen. Sie schützte ihre allzugrosse Jugend und die Abneigung vor, welche sie der Ehe gegenüber besässe. Die Eifersucht ihrer Nebenbuhlerin, die klarer denn je sah, verwandelte sich in Hass. Beleidigungen und schlechte Behandlung waren seine ersten Früchte; und in einem grässlichen Uebermass von Tücke führte diese unwürdige Tante selber den jungen Mann, dessen Gattin ihre Nichte gezwungenerweise werden sollte, des Nachts in dieser Zimmer.

Ihre Absicht war, sie wirklich der Notwendigkeit, ihn zu heiraten, zu unterwerfen, um dem Aufsehen eines so fragwürdigen Abenteuers die Spitze abzubrechen, oder um sie wenigstens in den Augen des Prinzen zu entehren. Sie selber trug Sorge, dies Geschehnis zu verbreiten, indem sie mit grausamer Gewandtheit verheimlichte, dass sich ihre Nichte glücklicherweise den Händen ihres Verführers entzogen hatte. Für den Prinzen, der einige Tage später zurückkam, bedurfte es nur einer kurzen Unterredung mit seiner Geliebten, um sich von ihrer Treue und Unschuld zu überzeugen. Er besuchte sie fortgesetzt, während die Wut ihrer Tante sich nur verdoppelte, und liess, um die Beleidigung zu rächen, die seine Geliebte erlitten, den jungen Mann, welcher so kühn gewesen war, sie während der Nacht zu beleidigen, durch seine Dienstboten züchtigen. Durch diesen Zwischenfall ward sie ihm nur noch teurer. Er gestand ihr, seine Neigung sei so gross, dass er sie heiraten wolle; doch da er nicht auf die Einwilligung seines Vaters rechnen dürfe, wisse er sich keinen anderen Rat, um mit ihr vereint zu sein, wie sich heimlich mit ihr trauen zu lassen, bis ihnen Alter oder irgendein anderer Umstand die ersehnte Freiheit des Handelns gäbe. Dem stimmte sie freudig bei. Sie überlegten sich die Weise, wie sie ihr Glück zu beschleunigen vermöchten, und nachdem sie nur ihre treuen Freunde in ihre Pläne eingeweiht hatten, schien nichts fähig zu sein, sie zu durchkreuzen.

Indessen hatte ihre gemeinsame Feindin mit so viel Sorgfalt über ihre Unterhaltungen und Schritte gewacht, dass sie alle ihre Geheimnisse durchdrang. Da ihr Hass auf ihre Nichte keine Schonung mehr duldete, schwur sie ihr, selbst auf die Gefahr hin, selber dabei zu Schaden zu kommen, Verderben. Sie bestimmte zuerst den jungen Mann, dem sie sie hatte verheiraten wollen, allen ihren Willen auszuführen. Statt einen hatte der zwei Gründe dazu: seine Wut auf den Prinzen, von dem er gezüchtigt worden war, und seine Liebe zu Donna Maria, die er sich immer noch schmeichelte, einst dank seiner Beständigkeit besitzen zu können. Man hütete sich wohl, ihn wissen zu lassen, dass es sich darum handele, seiner Geliebten zu schaden. Er liess sich einreden, man wolle ihn glücklich machen und er könne es nur durch die Mittel werden, die man ihm vorschlage. Wie würde er einer Frau misstraut haben, welche ihm den bereits angeführten Dienst geleistet hatte! Er ging auf all ihre Vorhaben ein. Sie befahl ihm, sich an einem Tage, an dem sie entschlossen war, ihre Nichte dorthin zu führen, nach Rom zu begeben. Tatsächlich nahm sie sie unter dem Vorwande, dort einige Schmucksachen kaufen zu wollen, mit sich und brachte sie zu mehreren Kaufleuten, um die Zeit in die Länge zu ziehen, und als sie die Nacht herniedersinken sah, machte sie sich in ihrer Kutsche wieder auf den Weg nach ihrem Besitztum. Drei Männer, die sich auf der Strasse aufgestellt hatten, hielten den Wagen an einer entlegenen Stelle an, beraubten alle beide unter geheuchelten Drohungen, und sich auf Donna Maria stürzend, welche sie nach ihren Worten als den schönsten Teil ihrer Beute ansahen, befahlen sie ihrer Tante rasch, sie solle sich allein in ihr Haus begeben.

Man kann ermessen, wie erschreckt und verwirrt die junge Person war, als sie sich von drei Räubern umgeben, in der Dunkelheit der Nacht und selbst ohne Hoffnung sah, dass ihre Schreie, die ihre einzige Hilfe bildeten, gehört werden könnten. Der Verlust ihrer Ehre und ihres Lebens schienen ihr unvermeidlich. Im Augenblicke, wo sie die letzten verzweifelten Entschlüsse fasste, hörte sie das Geräusch eines Menschen zu Pferde, der sich zu nähern schien. Sie glaubte ihn durch ihre Schreie herbeigelockt zu haben. Im Nu war er bei ihr. Es war der junge Mann, der im Einverständnis mit ihrer Tante handelte; sie angeblich nicht erkennend, wendete er sich an die drei Männer, welche sich auf sie gestürzt hatten, und ermahnte sie, eine Person zarten Geschlechts mit mehr Menschlichkeit zu behandeln. Er fügte hinzu, wenn es ihr Beruf sei, zu stehlen, wolle er ihnen gern seine Börse geben, unter der Bedingung, dass sie der jungen Dame die Freiheit zubilligten. Solche Gunst verweigerten sie ihm rundweg. Sie erkannte ihn an der Stimme, warf sich ihm sofort zu Füssen, um ihn um Hilfe anzuflehen, indem sie mehreremale wiederholte, sie sei Donna Maria. »Sie,« rief er mit gemachter Verwunderung, »o Himmel, warum soll ich denn Ihnen eine solche Wohltat erweisen?« Dann sich an die Räuber wendend: »Meine Herren,« sprach er zu ihnen, »Ihr Glück ist gemacht, wenn Sie mir erlauben, mich einen Augenblick mit dieser Dame in Sicherheit zu unterhalten!« Es ward ihm zugestanden sich ihr nähern zu dürfen; und nachdem er ihr versichert, dass ihre Ehre und etwa ihr Leben rettungslos verloren seien, sagte er: »Die Begegnung mit Ihren Entführern ist hinsichtlich Ihrer Ehre und meiner Liebe ein Wunder. Ich will all mein Gut opfern, um Sie zu retten, doch unter der Bedingung, dass Sie einverstanden sind, mich zu heiraten, und um all mein Misstrauen zunichte zu machen, mir das hier zu gewähren, was Ihnen diese drei Verbrecher zweifelsohne zu rauben willens waren!«

Wie entsetzlich auch Donna Maria solcher Vorschlag erscheinen musste, sie brauchte keinen Augenblick zu überlegen. Die Gewissheit, umzukommen, wenn sie in den Händen dieser drei Menschen bliebe, und die Hoffnung wenigstens, sich leichter verteidigen zu können, wenn sie nur mit einem einzigen zu kämpfen hätte, entrissen ihr ein Versprechen, an dem ihr Wille nicht beteiligt war. Ihr Retter, welcher ihr kein minder abscheulicher Unhold als die drei anderen schien, fuhr fort, mit diesen in ihrer Gegenwart zu verhandeln, um sie von der Wichtigkeit des Dienstes zu überzeugen, den er ihr leistete; und hiess sie gehen, nachdem er seine Rolle mit viel Gewandtheit zu Ende gespielt hatte. Sie blieb mit ihm allein. Er drängte sie zur Erfüllung ihres Versprechens: eine bedeutend grössere Gefahr als die, der sie sich ausgeliefert geglaubt hatte. Tatsächlich konnte ihr nur der Himmel helfen; und der wachte über sie.

Als Donna Maria allein und ohne Verteidigung mit einem Liebhaber blieb, der sie so wenig achtete, sah sie ein, dass ihr nur die Wahl zwischen dem Opfer ihrer Ehre und ihres Lebens blieb. Welchen Abscheu auch ein Mädchen vor tadelnswerten Handlungen hat, man kann bei solchen Gelegenheiten niemals zwei gegen eins zugunsten der Tugend wetten. Nicht weil es der Tugend an Kraft fehlt, Siegerin zu bleiben, sondern weil sie gewöhnlich von der Furcht unterbunden wird, die sich des Herzens bemächtigt und dem armen Gemüte die Schrecken des Todes so grausig ausmalt, dass sie, ohne die schwächere zu sein, einzig zu handeln unterlässt, weil es ihr schier unmöglich wird, sich wahrnehmbar zu machen. Ich will nicht entscheiden, wie sich diese Szene abgespielt haben würde, wenn Donna Maria mit denselben Augen wie die meisten Menschen ihres Alters den Tod vor sich gesehen hätte; doch den Kummer, den sie geprüft hatte, und den, den sie noch vor sich sah, belebte der Gedanke, dass sie, wenn sie sich ihr Leben durch eine Freveltat erkaufte, ihres Prinzen unwürdig werden und alle Rechte an seine Liebe verlieren würde. Diese drei Gründe genügten, um sie das Leben hassen zu lassen und den Sieg ihrer Ehre zu erleichtern.

Sie hatte Zeit, sich solchen Betrachtungen hinzugeben, während ein Rest von Wohlanständigkeit den jungen Mann warten liess, bis sich die angeblichen Räuber entfernt hatten. Als er sie dann sogleich zur Erfüllung ihres Versprechens drängte, sah er sie zu seiner Ueberraschung ihm zu Füssen fallen und von ihr eine rührende Antwort erhalten, in der sie ihn beschwor, sie von dem Leben als dem unerträglichsten aller ihrer Uebel zu befreien. Diese Bitte war sicherlich von Tränen und all dem begleitet, was ein Herz zu rühren vermochte, das dem Mitleid nicht ganz verschlossen sein konnte, da es für Liebe so empfänglich war. Die Wirkung übertraf alle Hoffnungen. Der junge Mann war weder Verbrecher noch Barbar. Donna Marias Tante hatte ihn nur durch ihre Pläne schlecht gemacht und bei seiner hitzigen Leidenschaft und tollen Eifersucht ist es nicht verwunderlich, dass er sich so leicht dazu hergab, sie auszuführen. Die Liebe aber, welche nach und nach zu jedem Uebermasse fähig ist, liess ihn in einem Augenblicke von den frevelvollen Wünschen zu den edelsten Gefühlen der Tugend übergehen. Es war ihm schwer, Worte zu finden, um ihr seine Reue zu bekunden; und nachdem der feste Entschluss zum Verbrechen, dem er so frevelvoll nachgegeben hatte, endlich aus seinem Herzen gewichen war, stand er bebender vor seiner Geliebten, als sie es vorher vor ihm getan hatte.

Er hiess sie, die demütigende Stellung aufgeben, in der sie noch verharrte. Die Scham, sie zu dieser gezwungen zu haben, liess ihn sie nun seinerseits einnehmen. Er legte ihr alles dar, was sie seines Ermessens besänftigen konnte: das Uebermass seiner Liebe und die Verzweiflung, in die sie ihn mit ihrer Verachtung getrieben. Er beschwor sie, ihm das Leben erträglicher zu machen oder ihm den Tod zu geben; es gab dieselbe Szene von vorher, nur waren die Rollen vertauscht. Ohne in der Kunst, die Leidenschaften der Männer auszunutzen, bewandert zu sein, liess ihr natürlicher Menschenverstand Donna Maria alles benutzen, was sie ihrem Gefühle nach für gut hielt: sie glaubte, bei derartigen Gelegenheiten müsse man einer so gefährlichen Neigung schmeicheln. Sprach zu ihm: »Das sind Beweise, die mich von Ihrer Zärtlichkeit überzeugen; und ich bin gerührter darüber, als ich es bislang von all Ihren Bemühungen um mich war!« Sie drängte ihn dann, sie sofort zu ihrer Tante zurückzuführen, indem sie ihm fortgesetzt versicherte, er würde mit ihrer Dankbarkeit zufrieden sein.

Der arme Liebhaber küsste die Spuren ihrer Füsse und glaubte sich allzu glücklich in Anbetracht ihrer Gunst, von welcher er sich wahrlich ganz etwas anderes versprach. Im Augenblick seiner Freude hielt er es für verdienstvoll, seine Geliebte wissen zu lassen, dass er sich auf Rat ihrer Tante entschlossen habe, ihr die Not, der sie soeben entronnen sei, zu bereiten; und erzählte ihr, auf welche Weise die Ränke ins Werk gesetzt worden seien. Er leistete ihr in der Tat einen Dienst, indem er ihr die Bösartigkeit dieser Tante schilderte und ihr infolgedessen Furcht vor neuen Beleidigungen seitens dieser Wütigen einflösste. Donna Maria entschloss sich sofort, die Eröffnung zu benutzen, um Zuflucht in einem anderen Hause wie dem ihrigen zu suchen. Sie teilte ihren Plan dem jungen Manne mit, der dem alsogleich beistimmte, da er hoffte, wenn er ihr selber einen Schlupfwinkel anböte, würde er nicht nur die Freiheit haben sie zu sehen, sondern auch mit einer gewissen Macht über sie gebieten können. Er schlug ihr das Haus einer Verwandten vor, welches in einem Nachbardorfe lag, und Donna Maria, die nur an die gegenwärtige Gefahr dachte, nahm dies Anerbieten gerne an. Sie setzte sich hinter ihm auf sein Pferd. Die Dunkelheit der Nacht machte ihr Vorwärtskommen sehr schwierig. So ritten sie denn einige Zeitlang, einer scheinbar äusserst zufrieden mit dem anderen, dahin. Doch die traurige Maria fühlte im Grunde ihres Herzens all die Härte ihres Schicksals, Das eben gehörte Geständnis erlaubte ihr kein sicheres Vertrauen zu ihrem Führer zu haben. Wiewohl seine Reue echt schien, hatte er sich doch auf einen so furchtbaren Plan eingelassen, an den sie nicht ohne Beben denken konnte. Weniger ihm selber war sie für seinen Gesinnungswechsel verpflichtet als einem Wunder des Himmels, das seine verbrecherischen Pläne plötzlich zunichte gemacht hatte. Welche Gewissheit hatte sie, dass sie nicht wieder aufleben konnten? Des ferneren stellte sie sich vor, dass ihre Freiheit an dem Zufluchtsorte, wohin sie sich führen liess, stets in Gefahr sein oder sie teuer zu stehen kommen würde.

Während sie solchen Gedanken nachhing, hörte sie das Geräusch eines Wagens, der sich auf der Hauptstrasse näherte und von mehreren Leuten zu Pferde begleitet wurde. Ihr Führer wollte einen Umweg einschlagen, um ihm auszuweichen. Sie aber stellte ihm ungekünstelt vor, da sie alle beide im Einverständnis wären, hätten sie niemandes Begegnung zu scheuen. Schon war der Wagen ziemlich nahe und eine grosse Zahl Laternen- und Fakelträger verkündeten eine Person von Rang. Donna Maria fasste auf der Stelle einen sehr merkwürdigen Entschluss. Liess sich von der Kruppe herabgleiten, und schnell vor die Kutsche laufend, erhob sie die Hände, indem sie den Kutscher anzuhalten bat. Dies Schauspiel liess tatsächlich die ganze Gesellschaft halt machen. Der Kardinal von C..., welcher ihr Herr war und der nach Rom zurückkehrte, wiewohl es schon zu später Nachtstunde war, streckte den Kopf hinter dem Vorhang hervor. Er war höchlichst überrascht, eine wohlgekleidete junge Dame voll des Liebreizes zu sehen, die sich vor ihm auf die Knie zu werfen anschickte und ihn mit gefalteten Händen bat, ihr Leben und ihre Ehre zu retten. Er zauderte nicht, ihr einen Platz in seinem Wagen anzubieten. Sie nahm ihn an; ihr Führer aber oder vielmehr ihr Entführer fürchtete, diese unvorhergesehene Szene möchte nicht gut für ihn ablaufen, und bestrebte sich, so schnell nur sein Pferd laufen wollte, zu entfliehen.

Da die Tränen und die Erregung eines flüchtigen Schmerzes Donna Marias Schönheit nur hoben, schien sie in den Augen des Kardinals eine der liebenswürdigsten Personen der Welt. Er fragte sie mit lebhaftestem Eifer, durch welches Abenteuer er so glücklich sei, ihr dienen zu können. Diese Frage, die sie vorausgesehen haben musste, setzte sie nicht in Verwirrung. Sie wollte ihm gern ihr Verhältnis mit dem Prinzen Justiniani verbergen, was schwierig war, wenn sie von dem Hass ihrer Tante und der Ursache ihres Unglücks redete. Auch noch ein anderer Grund hinderte sie daran: sie war unsicher, wohin sie bitten sollte, dass der Kardinal sie führen möchte. Sie besass keine näheren Bekannten in Rom, und alle Hoffnungen der Welt hätten sie nicht einwilligen lassen, wieder zu ihrer Tante zurückzukehren. Schliesslich sah sie sich zu Erklärungen genötigt und beschränkte sich darauf, das Ereignis zu erzählen, welches ihr der Bösartigkeit eines jungen Mannes zufolge, der sie wider ihren Willen heiraten wollte, in selbiger Nacht zugestossen war; sie bat den Kardinal, ihr behilflich zu sein, eine Zufluchtsstätte in einem Kloster zu finden.

Der Kirchenfürst merkte mühelos, dass sie ihm die Wahrheit teilweise verschweige, doch ihre Sittsamkeit und ihre adlige Art und Weise sprachen so sehr zu ihren Gunsten, dass er ihr seinen Schutz von neuem zusicherte. Sein guter Wille aber ging so weit, dass er, da er sie zu dieser Stunde in kein Kloster bringen konnte und es ihm die Furcht vor Aergernis auch nicht erlaubte, sie den Rest der Nacht in seinem römischen Palaste verweilen zu lassen, die Güte hatte, mit ihr nach seinem sehr weit entfernt liegenden Landhause zurückzukehren. Sie ward dort mit aller Sorgfalt und Ehrerbietung bedient. Da der Kardinal verpflichtet war, anderen Morgens in Rom zu sein, liess er sie allein, nachdem er sie gebeten, dort ruhig bis zu seiner Rückkunft zu verharren, und ihr versprochen hatte, ihr ihrem Wunsche entsprechend eine Zufluchtsstätte in einem Nonnenkloster zu erwirken.

Unmöglich war es, dass die Leute des Kardinals keine Neugier verspürten, zu erfahren, wem ihr Herr solchen Dienst geleistet hatte. Sein Haushofmeister, ein reicher und wollüstiger Mann, der sich das Erlebnis auf der Landstrasse hatte erzählen lassen, war weniger leichtgläubig als sein Herr. Er konnte sich nicht vorstellen, dass eine kluge und wohlgeborene Dame inmitten der Nacht wider ihren Willen im weiten Felde angetroffen würde, und aus solchem Grunde seine Einbildungskraft spielen lassend, hegte er den grausamsten Verdacht auf ihre Ehre und Tugend. Des weiteren war er von ihrem Reiz so entzückt, dass, als der Kirchenfürst kaum den Weg nach Rom wieder eingeschlagen hatte, er sich beeilte sie in ihrem Zimmer aufzusuchen, da er sich versprach, leicht einen Vorteil aus ihrer Lage ziehen zu können. Sie empfing ihn in der liebenswürdigsten Art, aus der man schon ihren Charakter lesen konnte. Eine so günstige Aufnahme vermehrte die Hoffnungen und Wünsche des Haushofmeisters noch. Nach einigen Erklärungen über ihr Missgeschick, bei denen sie sich wohl in acht nahm, nicht mehr verlauten zu lassen, als sie schon dem Kardinal gesagt hatte, bot er ihr einen angenehmeren Zufluchtsort als ein Kloster an, nach dem sie zu verlangen schien, und gab ihr sehr deutlich zu verstehen, dass es von ihr abhinge reich und glücklich zu werden, indem sie seine Anerbieten annehme. Ohne schon seinen Absichten zu misstrauen, dankte ihm Donna Maria höflich mit jener edlen Einfachheit, welche ja die wahre Ehre begleitet. Wenn er nach dieser Weigerung auch eine bessere Ansicht von ihren Sitten bekam, so versicherte er sich doch durch seine Unterhaltung, dass sie nicht erfahren genug sei, um sich nicht täuschen zu lassen; und fasste alsbald einen anderen Plan, mit dem er mehr Erfolg hatte. Er liess sie allein, um seine Vorbereitungen zu treffen. Gegen Abend kam er zu ihr zurück, und vorgebend, durch einen Boten Nachrichten vom Kardinal erhalten zu haben, liess er sie einen gefälschten Brief sehen, in welchem ihm der Kirchenfürst befahl, sie nach Rom in ein Kloster zu bringen, dessen Namen er ihm zugleich mit allen näheren Umständen bezeichnete, die seinen Ränken vollkommene Wahrscheinlichkeit verschafften. Seine Absicht ging dahin, sie einen ganz entgegengesetzten Weg zu bringen. Er besass in einiger Entfernung ein hübsches Haus, dessen er sich seit langem für seine Liebesvergnügungen bediente. Und schmeichelte sich, Donna Maria zu besiegen, wenn sie in seiner Macht sei; da er die Leichtgläubigkeit seines Herrn kannte, zählte er darauf ihm leicht einzureden, sie sei von selber davongelaufen aus Furcht, als Abenteuerin entlarvt zu werden.

Tatsächlich liess sie sich von diesem Verbrecher betrügen. Die Ehrerbietung, mit der er sie zu behandeln sich bestrebte, vermochte ihrem Misstrauen zuvorzukommen und das Unglück des schönen Kindes hätte vielleicht nicht auf sich warten lassen. Sie bestieg mit ihm einen bereitstehenden Wagen; doch schlugen sie den Weg nach Rom nur so lange ein, wie es notwendig war, um sie über ihre Fahrt zu täuschen.

Wenn auch der neue Entführer Gewalt genug über sich hatte, um seine Wünsche bis zu seinem Hause im Zaume zu halten, so wechselte er seine Sprache doch beim Ankommen, und Donna Maria erkannte zu spät, dass sie sich zu ungelegener Zeit ausser Gefahr geglaubt habe. Schmerz und Furcht liessen sie wieder in Tränen ausbrechen. Schwache Hilfe wider einen verstockten Verbrecher, der nur seine eigene rohe Lust an ihr zu stillen sucht, ohne sich darüber aufzuregen, ob sie sein Vergnügen dabei teile! Bitten, Kniefälle, all die kleinen Kunstmittel, welche sie mit soviel Glück in der vorhergehenden Nacht angewendet hatte, reizten diesen Brutalen nur zum Hohngelächter. Sie sollte nun die Schande erleiden, die ihr in der Nacht vorher schrecklicher als der Tod zu sein dünkte; doch hatte der junge Mann wenigstens nichts wie die Rechte eines Gatten erbeten, oder sie angefleht, ihn als solchen anzunehmen.

Der Himmel liess ein zweites Wunder zu Donna Marias Gunsten geschehen. Im Augenblicke, wo der alte Satyr am lästigsten und dringlichsten wurde, erschien der Prinz Justiniani in der Zimmertüre, erblickte seine Geliebte und schloss aus ihren Tränen und der demütigenden Stellung, in der er sie vorfand, auf das, was sie zu erleiden und zu befürchten gehabt hatte. Wut übermannte ihn. Er durchbohrte den Haushofmeister mit einem Degenstich, der diesen zu Boden warf. »Ach, teure Maria, sind Sie es wirklich? Sind Sie es,« rief er aus, sie mit Leidenschaft in seine Arme ziehend, »durch welch eine grausame Himmelsfügung sind Sie in die Hände eines niederträchtigen Feiglings gefallen?« Wütend, wie er war, verdoppelte er seine Stösse nach dem Intendanten und raubte ihm durch zahllose Verwundungen das Leben.

Als Donna Maria sich also glücklich befreit sah, beschloss sie mit ihrem Prinzen nach Rom zu reisen. Er erzählte ihr, welcher Mittel sich der Himmel bedient hätte, um ihn ihre Spuren entdecken zu lassen, und welchen Eifer er angewendet, um sie in einem Augenblicke wieder zu finden, wo sie seiner Hilfe so bedurfte. Er war am Vortage in das Haus ihrer Tante gekommen und hatte dort erfahren, dass sie mit Donna Maria in Rom weile, daß sie aber selbigen Tages zurückkommen müssten. Er hatte sich ein Vergnügen daraus gemacht, ihre Rückkunft zu erwarten, als er ihre Tante allein und mit vorgeblichen Zeichen von Schauder und Schmerz zurückkehren sah. Sie hatte es nicht unterlassen, ihm einen Bericht über ihr und ihrer Nichte angebliches Unglück abzulegen. Alsobald war er in allem Ungestüm der Liebe, gefolgt von mehreren seiner Leute, zu Pferd gestiegen und war nach dem Orte gejagt, wo der falsche Raub vor sich gegangen. Man hatte ihn hinsichtlich der Stelle nicht getäuscht, doch die Entfernung hatte die Tante voraussehen lassen, dass seine Hilfe viel zu spät kommen würde. Tatsächlich wusste er sich auf der Strasse keinen Rat, was er tun sollte, als er die Räuber verfehlt hatte, und war während des Restes der Nacht mit weniger Vernunft als Wut und Verzweiflung in den benachbarten Ländereien umhergestreift. Schliesslich hatte er den jungen Mann gefunden, der bei Ankunft der Kutsche die Flucht ergriffen, und den wie ihn selber die Liebe verpflichtet hatte, Donna Maria zu suchen. Von ihm erfuhr er einen Teil der Einzelheiten, die man erzählt hat; und sich sorgfältig über die geringsten Umstände, welche den Wagen, die Livreen und den Weg des Kardinals angingen, unterrichtend, war es ihm gelungen, zu erfahren, wer der Kirchenfürst sei. Alles übrige war sehr leicht gewesen, wiewohl er nur mit Mühe dem Wege des Haushofmeisters auf die Spur gekommen war.

Drei oder vier Pferde hatte er auf all diesen Wegen zu Schanden geritten; und trotz seiner äussersten Besorgnis, dass seine Geliebte seiner Hilfe bedürfte, sah man, dass er wie durch eine aussergewöhnliche Gunst des Himmels geleitet worden war. Zwei Umstände, die gleichermassen wichtig waren, hatte das Liebespaar nun zu beachten. Welches Einflusses sich auch der Prinz um seiner selber und seiner Familie willen zu schmeicheln vermochte, er musste das Gericht von des Intendanten Tode benachrichtigen. Die Wahl einer Zufluchtsstätte für Donna Maria war eine nicht minder dringliche Angelegenheit und die Liebe liess ihn seine erste Sorgfalt darauf verwenden. Der Prinz hatte stets Zuneigung und Vertrauen zu der Frau eines reichen Kaufmanns gehegt, die seiner Mutter vor ihrer Verheiratung als Zofe gedient. Es war aber diese eine Bürgerin von einigem Ansehen, da sie bei viel Geist und Vorzügen auch noch eine gewisse Lebensart besass, die sie sich während ihrer Jugend in einer der angesehensten Familien Roms angeeignet hatte. Des ferneren wohnte sie so angenehm, um Donna Maria mühelos ein eigenes und behagliches Gemach einräumen zu können. Auf sie und ihr Haus lenkte der Prinz seinen Blick. Selber führte er seine Geliebte dorthin, und der Zufall wollte es, dass der Kaufmann nicht zugegen war. Man kam um der Sicherheit der Liebesintrige willen überein, ihm das Geheimnis solange wie möglich zu verbergen. Seine Gattin war entzückt, dem Prinzen, in dem sie noch immer ihren Herrn sah, unentbehrlich zu werden, und versprach ihm alles mit einem Wohlwollen, welches das Liebespaar ihrer Dienste versicherte.

Es handelte sich nun noch darum, das Gericht hinsichtlich des Todes des Haushofmeisters zu beruhigen, und darauf zu sehen, welch ein neues Wunder die Liebe zu Donna Marias Gunsten bewirkte, um sie mit ihrem Geliebten durch eine glückliche Heirat zu vereinigen. Der Prinz konnte nicht Abstand davon nehmen, seinen Vater die heftige Handlung, die er begangen hatte, wissen zu lassen, zumal er dessen Einflusses in dieser Sache zu seiner Unterstützung bedurfte. Er teilte ihm nicht mehr mit, als zum Nutzen seiner Liebe dienlich war, denn Donna Maria, die sich des Widerstandes, den sie von einem so erlauchten Hause erwarten musste, gewärtig war, hatte ihn beschworen, diese Vorsicht nicht ausser acht zu lassen. Doch mit welcher Leichtigkeit auch die Gerichtsverfolgung unterbunden ward, es geschah, wie ihm Donna Maria vorausgesagt hatte, dass mehrere neugierige Leute sich über den Grund des Abenteuers aufklärten und die Einzelheiten des Geschehnisses sich bald in der Stadt verbreiteten. Sie drangen bis zu dem Vater des Prinzen, welchen das Gerücht von einer so heftigen Leidenschaft seines Sohnes und der Gefahr, die dieser zu allen Augenblicken lief, sein Glück durch eine unebenbürtige Heirat zu vernichten, erbeben liess. Er zauderte nicht, ihm seine Furcht und seine Absichten kundzutun. Mit einiger Verstellung und einigem Gehorsam hätte er wenigstens die Unruhe seines Vaters zu vermindern und ihn in seinen Hoffnungen zu erhalten vermocht. Doch ein verliebtes, treues und edelmütiges Herz ist der Heuchelei nicht fähig. Seine Neigung zugestehend, bestrebte er sich einzig sie mit dem aussergewöhnlichen Verdienste seiner Geliebten zu rechtfertigen, und solcher Umstand diente nur dazu, den herrischen Sinn seines Vaters mehr denn je aufzuregen. Sein Zorn führte ihn soweit, den Papst zu bitten, bei der Strafe des Kirchenbanns an die Pfarrer und Priester des römischen Staates ein Verbot ergehen zu lassen, ohne ausdrücklichen Befehl von seiner oder des Papstes Seite der Ehe seines Sohnes den Segen zu erteilen. Gleichzeitig hiess er mehrere Leute seiner Gefolgschaft die Zufluchtsstätte dieser Geliebten ausfindig machen, wahrscheinlich unter dem Vorhaben, beide völlig der Freude sich zu sehen zu berauben. Der junge Prinz merkte, dass er bewacht wurde. Dieser Umstand zwang ihn, Donna Maria weniger oft zu sehen und gab seinen Augen, wenn er sie sah, einen solch erschreckten und unsteten Ausdruck, dass er das zarte Mädchen beunruhigen musste. Sie kannte ihr gemeinsames Unglück noch nicht, doch ihren inständigen Bitten zufolge gelang es ihr bald, darin klar zu sehen.

Sie hörte, was sie hundertmal vorhergefühlt und ihr eine allzu leichtgläubige Zärtlichkeit nicht zu vermeiden erlaubt hatte; so befand sie sich denn in dem schrecklichsten Zustande, der ein Mädchen ihres Alters und ihrer Herkunft überkommen kann, dass sie Zeit ihres Lebens verurteilt war, um einer tugendhaften Liebe und einer unantastbaren Aufführung willen Scham und Qual ertragen zu sollen.

Nach dem Auftritt, den der alte Fürst in Szene gesetzt hatte, musste sie durch ein und denselben Schlag ihr Glück und ihre Ehre als vernichtet ansehen, und selbst die Zärtlichkeit und Standhaftigkeit ihres Geliebten konnten sie in nichts trösten, obwohl sie sich keiner wirklich tadelnswerten Handlung schuldig fühlte. Sie hörte, wie gesagt, einen Teil der Wahrheit und argwöhnte das übrige. Dem widerstand sie nicht. Dazu bedurfte es mehr Fertigkeit, als man in einem so gefühlvollen Herzen wie dem ihrigen voraussetzen konnte, und auch mehr Kraft, als sie von einer ungewöhnlich zarten Leibesbeschaffenheit zu erwarten hatte. Donna Maria überkam eine heftige Krankheit. Man fürchtete einige Zeit für ihr Leben. Der Prinz war tödlich betrübt über die Gefahr, in welcher er sie schweben sah, und sagte ihr alles, was seines Ermessens Eindruck auf sie machen und ihr wenigstens durch Hoffnung helfen konnte, doch brachte er nichts Wahrscheinliches vor, worauf man hätte Vertrauen können.

Schliesslich fasste er in dem Augenblicke, wo ihr Tod ohne dieses Hilfsmittel als sicher erschien, den Entschluss, Italien mit ihr zu verlassen, und schmeichelte sich, ihr durch solch ein Versprechen das Leben wiederzugeben. Tatsächlich war dies das einzige Mittel, um sie aus äusserster Gefahr zu retten. Ihre Seele, schon bereit, ihren Leib zu verlassen, liess sich leicht durch einen Vorschlag zurückhalten, der ihr all ihre Hoffnungen wiedergab, besonders als der Prinz versicherte, dass er festen Entschlusses sei, sie nach England zu führen und sie dort bei der Ankunft zu heiraten. Sie zweifelte keinen Augenblick, dass er es ehrlich meine; kannte sie doch sein Herz, wie sie das ihrige kannte. Zwei zärtliche und edelmütige Herzen kennen sich ja so gut!

Ihre Gesundheit zauderte nicht sich wiederherzustellen, und als dies völlig geschehen war, beschäftigte man sich nur mit den Vorbereitungen zur Abreise. Doch die Kaufmannsfrau, die in ihre Pläne eingeweiht war, kühlte ihren Eifer durch eine Erwägung ab, die ihnen Unruhe verursachte. Sie liess sie daran denken, dass es für den Prinzen, beobachtet, wie er es dank der Befehle seines Vaters war, schwierig sein würde, heimlich genug zu verschwinden, um seine Wächter zu täuschen, und dass es, wenn er das Unglück hätte, mit seiner Geliebten aufgehalten zu werden, vielleicht ganz um sie geschehen wäre. Sie riet ihnen daher, einer nach dem anderen den Kirchenstaat zu verlassen, um sich wenigstens nicht der Gefahr auszusetzen, in demselben Netze gefangen zu werden. Und fügte hinzu, dass es sich dann nur noch darum handle, Hüter für Donna Maria zu finden; sie selber bot ihnen ihren Vater und ihre Mutter an, die besonnen genug waren, um das Zutrauen des Prinzen zu verdienen, und so eifrig wären, ihm zu dienen, dass sie alles unternehmen würden, was ihm lieb sein möchte. Die Mutter sollte als ihre Amme durchgehn. Dieser neue Plan schien der sicherste für das Liebespaar. Mühelos entschlossen sie sich zu einer kurzen Trennung, die zur vollkommenen Wiederherstellung ihres Glückes dienen sollte. Donna Maria verliess Rom, um den Weg nach Civitavecchia einzuschlagen, wo sie bald anlangte. An Bord eines englischen Schiffes fuhr sie von dort nach London und erreichte ohne einen anderen Zwischenfall wie den Tod des guten Alten, der sie geleitete, die Themse.

Als sie im Hafen anlangte, blieb ihr nur die Gesellschaft der alten Frau, die man als ihre Amme ausgab. Der Kapitän, der sie auf der Reise sehr liebenswürdig behandelt hatte, bot ihnen fortgesetzt seine Dienste an. Man wies sie dankend zurück; und wiewohl sie kein einziges Wort Englisch konnten, beeilten sie sich, die Stadt zu gewinnen. Vergebens rief ihnen der Kapitän nach: »Wohin gehen Sie? Kein Mensch wird Sie verstehen; gestatten Sie, dass ich Ihnen als Führer diene!« Sie zeigten dabei nur noch mehr Eifer, sich zu entfernen, als ob sie etwas von einer Person gemerkt hätten, die darum wüsste, von wo sie gekommen wären, und die sie früher oder später erkennen könnte. Der Zufall fügte es, dass der Kammerdiener eines englischen Edelherrn, der eine Reise nach Italien gemacht hatte, sich am Hafen befand, während der Kapitän mit lauter Stimme zu ihnen sprach. Er nahm an, es sei kein gewöhnliches Abenteuer, zumal er schon von der Schönheit der jungen Dame betroffen geworden war, und beschloss, ihnen unauffällig zu folgen. Als er ohne Zögern sie bei Towerhill eingeholt hatte, erkannte er leicht an ihrer Ratlosigkeit über die Wahl der Strasse, welche sie einschlagen sollten, dass ihr ein wenig Hilfe nicht unangenehm sein würde. Scheinbar nach ihrem Aussehen urteilend, dass sie Italienerin sei, sprach er sie in ihrer Landessprache an und war so höflich, dass er angehört wurde. Sie nahm sein Anerbieten, sie führen zu wollen, an. Nicht zu Verwandten oder Freunden, denn sie hatte keinerlei Bekannte in London, sondern sie suchte eine Wohnung, und es machte ihrem Führer keine Mühe, eine für sie zu finden. Er führte sie zu einem seiner Vettern, einem Gastwirt in der Stadt.

Er nahm sich ihrer mit einem Eifer an, den hauptsächlich Liebe verursachte; ass des Abends mit ihr und nachdem er sie seinem Verwandten anvertraut hatte, zog er sich äusserst zufrieden mit seinem guten Glück zurück.

Seine Freude darüber konnte er seinem Herrn nicht verhehlen. Er erzählte ihm sein Abenteuer, als er ihn entkleidete, und verfehlte nicht, ihm ein liebenswürdiges Bild von der jungen Italienerin zu entwerfen. Alsbald ward dem redseligen Kammerdiener hitzig die Erklärung abverlangt, wo er seine Fremde gelassen habe, und als er sich hartnäckig weigerte, dies anzugeben, wurde er aufs übelste behandelt. Da er einiges Vermögen in seinem Berufe angesammelt hatte, beschloss er ihn auf der Stelle aufzugeben. Doch der dadurch noch mehr gereizte Lord liess ihn folgenden Tages mit so dringlichem Befehl suchen, dass man seinen Zufluchtsort entdeckte. Es war das gleiche Gasthaus. Man hörte, er sei in dem Gemache der Italienerin; der Lord betrat es ungestüm und die erste Höflichkeit, die er der jungen Dame erwies, war der Vorwurf ihrer Vertraulichkeit mit einem Lakaien. Da sie auf nichts vorbereitet war, erschreckte sie dieser Vorgang so sehr, dass sie keinen Zweifel hegte, erkannt zu sein. Sie warf sich dem Lord zu Füssen und bat ihn, Mitleid mit ihr zu haben. Trotz seiner Ueberraschung, sie also vor sich zu sehen, besass er doch genügsam Geistesgegenwart, um die Wahrheit teilweise zu erraten, und nutzte ihren Irrtum so geschickt aus, dass er sie verband, in seinen Wagen zu steigen und sich seiner Führung zu überlassen. Mylord hatte keinen anderen Gedanken wie sie zu sich zu führen, in der Hoffnung wahrscheinlich, ihr seine Absichten in seinem Zimmer kundtun zu können. Im Augenblick, wo er vor seinem Palaste anlangte, fuhr dort auch Myladys ..., seiner Mutter, Wagen vor. Die Dame erblickte ein Mädchen bei ihrem Sohne. Sie wollte unterrichtet sein, wer sie sei. Des Herrn und des Lakaien Verwirrung ergötzte sie. Als sie schliesslich dringender ward, erfuhr sie die Einzelheiten des Abenteuers. Glücklicherweise verstand auch sie die italienische Sprache. Sie hatte Lust, mit der jungen Fremden zu reden, welche sie nichtsdestoweniger für ein ehrloses Mädchen hielt. Nach einigen Augenblicken der Unterhaltung aber fand sie sie so geistreich, wohlerzogen und reizend, so unschuldig und bescheiden, dass sie eine ganz entgegengesetzte Meinung von ihr bekam. Alle ihre Bemühungen, dieser das Geheimnis ihrer Geburt und ihres Unglücks abzulocken, waren fruchtlos; doch liess sie sich nicht dadurch hindern, auf der Stelle Verfügungen zu treffen, um ihr einen anständigen Zufluchtsort anzuweisen, bis ihre Angelegenheiten klargestellt worden waren. Dort ward sie tatsächlich mit ihrer treuen Begleiterin untergebracht.

Der Verlust ihres Führers machte ihr bei ihrer Ankunft in London einen ärgerlichen Strich durch die Rechnung. Der Greis hatte dem Prinzen versprochen, ihm beim Verlassen des Schiffes Nachricht von ihrer Ankunft zu geben, und ihm den Stadtteil zu bezeichnen, wo man eine Wohnung gewählt. Auf dieses Zeichen hin hatte der junge Mann Italien verlassen wollen; man kann sich daher lebhaft denken, dass er es mit einiger Ungeduld erwarten musste. Doch die Verwirrung, welcher die beiden furchtsamen Frauen dieser Tod ausgeliefert hatte, erlaubte es ihnen nicht, so bald nach Rom zu schreiben, wie man dort ihren Brief erwartete. Der Prinz wusste bereits durch Erkundigungen, die er in Civitavecchia eingeholt, dass das Schiff glücklich in England angelangt war, und dass dies der Kapitän selber in seinen Nachrichten mitgeteilt hatte. Er wusste sich keinen wahrscheinlichen Grund für die Verzögerung des Briefes seiner Geliebten. Seine Unruhe war bald ebenso masslos wie seine Liebe und natürliche Lebhaftigkeit.

Die Wahrheit zwingt mich, hier einige Charakterzüge anzuzeigen, die man an dem jungen Edelmanne bereits kennen gelernt hat. Da er unter der Obhut einer Grossmutter erzogen worden war, die nichts Teureres als ihn besass, merkte man ihm dank der übermässigen Duldsamkeit einer blinden und übelangebrachten Zärtlichkeit seine schlechte Erziehung an. Nicht sobald hatte er sich, mit sehr heftigen Leidenschaften begabt, alt und unabhängig genug gesehen, um sie befriedigen zu können, als er ihnen die Zügel schiessen liess. Man hatte ihm seine Uebeltaten nicht vorgeworfen, aber all die Liederlichkeiten, die mit guten Gaben unvereinbar sind, hatten ihn seit mehreren Jahren in Rom berüchtigt gemacht und seine Gewohnheit, in solcher Ausgelassenheit zu leben, hatte jedermann der Hoffnung überhoben, ihn sein Benehmen ändern zu sehen. Seine Leidenschaft für Donna Maria aber hatte als eine wahrhafte Wirkung der Liebe diesen fortwährenden Ausschweifungen ein Ende bereitet. Die Unschuld und Züchtigkeit dieses jungen Mädchens machten ebensoviel Eindruck wie ihre Schönheit auf sein Herz; und wenn man solcherart lobenswerten Eigenschaften gegenüber nicht unempfindlich bleibt, muss ein solch edles Gefühl ganz gewiss früher oder später Ehrsamkeit und ordentliche Sitten zur Folge haben. So war er sich auf einmal ganz unähnlich geworden. Doch hatte sich das Gerücht von seiner Bekehrung noch nicht in dem Masse wie das seiner Ausschweifungen verbreitet; und da es sich überdies nicht um eine Frömmlerbekehrung handelte, so konnte man diesen Wechsel auch nicht auf den ersten Augenblick bemerken.

In seinem Kummer, keinerlei Nachrichten von seiner Geliebten zu empfangen, verbrachte er den besten Teil seiner Zeit bei der Kaufmannsfrau, die er zu seiner Vertrauten gemacht, um mit ihr von seinen Sorgen zu sprechen und ihren Rat über die Massnahmen, die er zu treffen hatte, zu hören. Oft reichte der Tag für so wichtige Beratungen nicht aus. Man brachte also auch noch einen Teil der Nacht damit zu; und die Liebe, die – um ein Wort des Grafen von Bussy anzuführen – sich stets in Wiederholungen gefällt, liess ihn Tag und Nacht noch zu kurz dafür finden. Solch zahlreiche Besuche und lange Zwiegespräche samt den alten Gründen, weswegen alle Ehemänner Roms etwas von ihm zu befürchten hatten, liessen tausend ärgerliche Gedanken in dem Kaufmanne wach werden. Der gute Mann war nicht eifersüchtiger als es die Italiener gewöhnlich sind, doch war er es genug, um sich über den Anschein zu beunruhigen. Er wachte aufmerksamer als je über die Handlungen seiner Frau, und alles, was ruhigeren Gemütern zweideutig erschienen wäre, verwandelte sich in seinem Sinn in ebenso viele seiner Ehre schädliche Wahrheiten.

Nichtsdestoweniger versicherte man, er sei ein zu furchtsamer Charakter, als dass er sich leicht zu Gewaltmassregeln entschliesse. Einige Zeit über nährte er im tiefsten Herzen die Wut, die sich in ihm gegen den Prinzen aufgespeichert hatte, ohne dass er es wagte, seiner Frau auch nur das geringste Zeichen davon kundzutun. Seine Achtung vor ihr grenzte fast an Schwäche. Er hatte sich sehr geehrt gefühlt, als ihn ein Mädchen heiratete, das um des Gewinnes willen, den sie daraus gezogen, einem der vornehmsten Geschlechter Roms solange zu dienen, und weil sie eine beträchtliche Mitgift von ihm erhalten hatte, diesem in gewisser Weise angehörte. Er fürchtete sie. Doch als er unglücklicherweise mit seiner Freunde einem zusammengekommen war, der berechtigtere Ursache hatte, sich über den Prinzen zu beklagen, und schon seit langem nach einer Rachegelegenheit suchte, veranlasste sie unvermerkt ihr gleicher Hass, sich einer dem anderen anzuvertrauen. Sie hatten den gleichen Willen und in der Hitze des Weins schwuren sie, ihre Klagen und ihre Rache vereinigen zu wollen. Vielleicht würden sie es an Mut, sie auszuüben, haben fehlen lassen, wenn sie sich nicht, um sich in ihrem Entschlüsse zu stärken, vorgenommen hätten, mit den beiden Brüdern des Haushofmeisters, der von des Prinzen Hand getötet worden war, heimlich Bekanntschaft zu schliessen. Ihnen teilten sie ihren Plan, diesen umzubringen, mit, sich damit ihrer Mittäterschaft versichernd. Tag, Stunde, Ort und Todesart, alles wurde vorher durch Massnahmen, die ihrem gemeinsamen Hasse entsprachen, geregelt.

So viele Vorsichtsmassregeln aber waren überflüssig, denn nichts war leichter für sie, als ihr Unternehmen erfolgreich auszuführen. Der Prinz war nicht misstrauisch, denn er hatte sich nichts vorzuwerfen. Er begab sich regelmässig zu der Kaufmannsfrau, liess sich nur von einem einzigen Diener begleiten und zog sich mit ihr in das Gemach zurück, welches Donna Maria bewohnt hatte. Die Länge seiner Besuche hing von seiner Gemütsverfassung und der Gewandtheit, mit der seine Vertraute seine Besorgnisse beruhigte, ab. Er sprach öfters davon, Rom zu verlassen, ohne noch längere Zeit zu warten, sie aber bekämpfte diesen Entschluss; doch da er seine Stimme lauter erhob als sie, konnte der Eifersüchtige, der sein Ohr an die Tür gelegt hatte, das Gehörte in üblem Sinne auslegen. Er glaubte bestimmt, dass von einer Entführung seiner Frau die Rede sei, und dieser Gedanke trieb seine Wut auf den Höhepunkt. Er liess ihn sogar die Ausführung des heimlichen Anschlags schneller ins Werk setzen, so dass er dadurch um einige Tage vorgerückt wurde.

Es ist überflüssig, sich über die Umstände dieser Szene zu verbreiten. Der junge Prinz fiel unter den Streichen von vier Ruchlosen, die ihm den Tod gaben, nachdem sie ihn all seine Schrecken hatten fühlen lassen. Seine Vertraute erlitt dasselbe Schicksal. Vergebens baten sie den Himmel, er möge ihre Unschuld bezeugen. Indessen weiss man durch des Ehemannes Aussagen, dass er, nachdem sie sie mit grimmer Wut gequält hatten, halb durch die Beschwörungen seiner Frau und besonders durch den Beweis besiegt, den er zu seinen Gunsten aus der zärtlichen Weise zog, mit welcher der Prinz zu allen Augenblicken den Namen Donna Maria rief, nicht allein daran gedacht, ihnen das Leben zu schenken, sondern seinen Mitschuldigen diesen Vorschlag auch wirklich gemacht hatte. Doch konnte er bei diesen Schurken nichts erreichen. Die Ursache ihres Hasses war ja in jeder Beziehung verschieden. Sie beeilten sich im Gegenteil, ihr Unternehmen aus Furcht, ihr Opfer entfliehen zu sehen, zu beschleunigen; und um die Gewissensbisse des Kaufmanns zu zerstreuen, setzten sie ihm mit vielem Ungestüm auseinander, dass sie, da es nun einmal so weit wäre, ihr Verbrechen nicht unvollendet lassen könnten, ohne sich nicht unfehlbarem Verderben auszusetzen.

Während dies grausame Geschehnis in Rom vor sich ging, lebte Donna Maria ziemlich ruhig in der Zufluchtsstätte, die ihr Mylady ... angewiesen hatte. Sie lebte dort ungebunden mit ihrer Begleiterin. Der junge Lord fuhr fort sie zu besuchen. Welches auch seine Absichten auf sie gewesen sein mögen, als er sie in seine Wohnung führen wollte, er hatte ihr kein Wort gesagt, das sie hätte verletzen können. Und arglos wie sie in all ihren Gefühlen war, hatte sie seine Höflichkeiten und Anerbietungen als die Regung eines schönen Edelmutes einer Freundin gegenüber angesehen. Sie hatte in der Folgezeit keine Ursache, ihre Meinung zu ändern; doch da sich das Gerücht ihres Abenteuers schnell verbreitete, sah sie sich gezwungen, die Dienste des jungen Edelmanns in einer Angelegenheit, welche eine viel gefahrvollere Versuchung für ihn bildete, von neuem anzunehmen. Die zahllose Menge müssiger junger Leute, von welchen London voll ist, hatten durch öffentliche Blätter nicht sobald die Nachricht von der Ankunft einer schönen Italienerin und ihren ersten Abenteuern gehört, als man allgemein eine grosse Lust, sie zu sehen, verspürte. Man sprach von ihren Reizen nur mit Bewunderung und ihre Schönheit verdiente sie wahrlich. Sie wurde so gefeiert, dass Hof wie Stadt voll von ihr waren. Da Keckheit in Liebesdingen unter den Hofleuten gang und gäbe war, so waren es denn auch diese, welche sie den ersten Beleidigungen aussetzten. Ich muss zwanzig Geschichten auslassen, welche die Erzählung allzusehr in die Länge ziehen würden, es genüge diese eine: einer der ersten Offiziere des Gardeducorps sah sie. Er liebte sie. Er war ein junger Mann voll des Feuers, liebte sie leidenschaftlich. Nichtsdestoweniger war es nicht leicht für jemanden, zu ihr zu gelangen. Sie lebte in einer so undurchdringlichen Zurückgezogenheit, dass eine Unzahl junger Leute, die wenigstens ihren Augen genugtun wollten, sich entschloss, ihre Zuflucht zu der gewöhnlichen List der Verkleidung zu nehmen und sich unter tausenderlei Arten bei ihr einzuführen. Schuster, Schneider, alle die Handwerker, die sie benötigen konnte, wurden unter Versprechungen oder Drohungen verpflichtet, ihren Namen herzuleihen. Sogar die Kleider des anderen Geschlechts legten die jungen Leute an und erzielten auf solchem Wege manchmal gute Erfolge. Der Offizier, von dem ich spreche, war anfangs einer der glücklichsten. Er hatte sich der Kleider einer Weissnähterin bedient. Seine angenehmen Gesichtszüge begünstigten sein Unternehmen. Er gefiel Donna Maria so gut, dass sie ihn, nachdem sie ihn zuerst durch den Kauf einiger Hauben befriedigt hatte, die sie, wie man sich denken kann, sehr vorteilhaft erhandelte, bat, ihr alle neuen englischen Modesachen herzubringen. Einige Besuche, zu denen es ihm nicht an Vorwänden ermangelte, machten ihn so leidenschaftlich verliebt, dass er – Herr seiner selbst und übermässig reich – beschloss, das Glück dieser Fremden wie auch sein eigenes zu machen, indem er ihr offen Herz und Hand anbot. Seinen Freunden machte er durchaus kein Geheimnis daraus. Die, welche seinen Plan bekämpften, sahen ihn gegen all ihre Einwände sich zur Wehr setzen. Er führte ein Buch an, das in London ebenso günstig wie in Paris aufgenommen worden war; es waren die Erinnerungen eines Mannes von Stand. »Wäre sie die erste Frau,« sagte er, »deren Glück ein Liebhaber macht? Ist es nicht etwas, das man alle Tage sich ereignen sieht? Besteht übrigens zwischen diesem schönen Mädchen und mir ein so grosser Unterschied? Sie ist unbegütert, doch weist alles darauf hin, dass sie adlig ist; soll man denn die Reize der Jugend und Schönheit für nichts achten? Sie würde mir allzusehr überlegen sein, wenn sie bei so vielen Vorzügen auch noch so reich wie ich wäre. Muss ich das Glück, von ihr geliebt zu sein, nicht teuer bezahlen? Glaubt mir,« fügte er in dem Ton, der Donna Elisa hinzu, »ein reicher Liebhaber soll sehr zufrieden mit seinen Reichtümern sein, wenn sie dazu dienen, ihm den Besitz einer liebenswerten Frau zu sichern, und muss fühlen, dass das, was er gibt, was er empfängt, nicht aufwiegt!«

Niemand hatte irgendwelchen Nutzen davon, ihm sein Gefühl auszureden und gegen ihn zu sprechen. Er zauderte nicht, Donna Maria um die Erlaubnis, sie sehen zu dürfen, bitten zu lassen, und da er fürchtete, auf einige Schwierigkeit zu stossen, sie zu erhalten, erwählte er für solchen Auftrag einen ernsten Prediger, den er in seine Absichten einweihte. Die Ehrfurcht erlaubte es nicht, seinem Boten die Türe zu verschliessen; doch weigerte man sich höflich, ihn selber zu empfangen. Sein Heiratsvorschlag wurde für einen Spass seitens eines Mannes gehalten, den man nimmer gesehen zu haben glaubte. Vergebens nötigte er den Prediger, seine Schritte zurückzulenken und sein Anerbieten zu erneuern. Man fuhr fort, ihm im gleichen Tone zu antworten, und diese scherzhafte Art bereitete ihm mehr Missvergnügen und Ungeduld als eine minder schonende Weigerung; denn da er alle Donna Marias Gleichgültigkeit verursachenden Gründe nicht kannte, glaubte er nur, dass sie an seiner Ehrlichkeit zweifle.

Diese Szene bereitete denen, welchen er sich anvertraut hatte, viel Vergnügen. Man fragte ihn, worüber er sich beklagen zu müssen glaube, da seine Geliebte keine Ahnung von seinen Verdiensten habe und ihre Grausamkeit folglich nur dem von ihm ausgesandten Prediger zur Last fallen könne. Tatsächlich redete er sich ein, die ernste Miene dieser Persönlichkeit hätte ihm in seinen Angelegenheiten zu schaden vermocht, und ohne sich länger zu beraten, beschloss er, sich von neuem bei ihr als Weissnähterin einzuführen, ihr seine Gefühle selber auseinanderzusetzen und durch seine Gegenwart das Unrecht wieder wettzumachen, das er durch die eines anderen erlitten hatte. Wie die ersten Male kostete es ihn keine Mühe, bei ihr Einlass zu finden. Unglücklicherweise aber war, was er nicht vorhergesehen hatte, zu der Zeit, wo er Erlaubnis erhielt, mit ihr zu reden, Mylord R ... bei ihr. Der junge Edelmann verdiente als erste Bekanntschaft, die Donna Maria in London gemacht hatte, und seiner Dienste wegen, die er ihr erwiesen, mit einiger Auszeichnung behandelt zu werden. Im übrigen schuldete sie seiner Mutter grossen Dank. Sie unterhielten sich gerade vertraulich miteinander, als die angebliche Weissnähterin eingelassen wurde. Donna Maria, die nichts weniger als einen Gardeoffizier unter Mädchenkleidern zu finden erwartete, liebkoste ihn sehr reichlich, da sie ihn für ein liebenswertes Geschöpf hielt. Mit verwirrter Miene liess er das geschehen. Mylord R ... erkannte unschwer ein Gesicht wieder, das er alle Tage sah, und konnte in der Ueberraschung nicht umhin, seinen Freund beim Namen zu nennen und ihn auch seinerseits zu verwirren, indem er über seine Verkleidungsszene spottete.

Der Offizier war waffenlos. Scham und Eifersucht würde ihn auf der Stelle zu irgendeiner blutigen Gewalttat veranlasst haben, wenn er seinen ersten Aufwallungen hätte Folge leisten können. Da er nur einen Fächer in der Hand hielt, begnügte er sich damit, ihn seinem Nebenbuhler ins Gesicht zu schlagen und diesem Schimpf einige beleidigende Worte hinzuzufügen, aus denen der junge Lord entnehmen konnte, aus welcher Quelle sein Zorn floss. Nichts bewies dem jungen Edelmann Donna Marias Unschuld besser als das Benehmen, welches sie bei dieser Gelegenheit kund tat. Welche Scherze lassen sich nicht in gutem Sinne auslegen und durch den Beifall aller verständigen Leute rechtfertigen? Der Lord lachte über die Aufwallung seines Freundes, nur behandelte er ihn wie eine Miss und bedauerte die Kälte, mit welcher ein so schönes Wesen seine Zärtlichkeiten hinnähme.

Diese Szene hatte weiter keine anderen Folgen. Ganz verstört entfernte sich der Offizier, ohne seiner Geliebten seine Gefühle eingestanden zu haben. Der Aerger aber, der sich mit seiner Liebe verband, gab ihm in folgender Nacht einen Plan ein, der sein Verderben nach sich gezogen hätte, wenn sein Rang und Einfluss nicht die übrigen gerichtlichen Folgen unterdrückt haben würden. Das Donna Maria als Zufluchtsort dienende Haus stiess mit der Rückseite an den Saint-James Park. Von dort aus überstieg er mit Hilfe einiger seiner Bedienten die Mauer, und bis zu Donna Marias Gemach dringend, passte er den Augenblick ab, wo er das mit Gewalt erlangen konnte, was er nicht mehr mit List durchzusetzen hoffte. Sein Plan ging dahin, seine Geliebte zu rauben und sie, falls er sie nicht anders dazu zu bringen vermöchte, wider ihren Willen zu heiraten. Der Himmel aber wachte über die Unschuld. Der Herr des Hauses wurde durch irgendein Geräusch aufgeweckt und rief in seinem Mißtrauen um Hilfe. Die Schildwachen, die den Park besetzt hatten, benachrichtigten die Polizeidiener. Bei der guten Ordnung, die nahe dem Königspalaste herrscht, ward der Offizier in einem Augenblick umzingelt und sein bekannter Name und sein Beruf schützten ihn nicht vor einem sehr engen Gefängnisse. Er verliess es erst lange Zeit hernach und die Frische dieses Ortes kühlte allmählich seine Liebe ab.

Erschreckt, wie es Donna Maria angesichts eines Lärms sein musste, der sich so nahe bei ihr abspielte, bat sie ihren Wirt, sie auf der Stelle zu Mylady R ... bringen zu lassen. Sie betrachtete die Dame als ihre Mutter und ihr Haus als Zufluchtsstätte. Indessen war die Gefahr, von der sie nun bedroht ward, grösser als die, welcher sie eben entgangen war. Mylady weilte seit zwei Tagen auf dem Lande. Ihr Sohn benutzte ihre Abwesenheit, um sich mit Freunden seines Alters zu vergnügen. Sie sassen beim Nachtisch, das heisst im höchsten Genuss der Freuden, und einige lärmten in der Hitze des Weines, als man sie benachrichtigte, dass Donna Maria vor der Türe angelangt sei. Ihre Unterhaltung hatte sich nur um sie gedreht. Kaum vermochten sie diese Nachricht zu glauben, liessen sie sich wiederholen und verharrten unbeweglich vor Ueberraschung und Freude. Jeder versprach sich einen Nutzen aus solch schönem Abenteuer zu ziehen, und sie beeilten sich, zu ihr hinauszugehen, um sie hinein zu geleiten. Sie war ihrerseits überrascht, Mylady nicht anzutreffen und sich inmitten einer überlustigen Gesellschaft zu finden. Es war ihr nicht möglich, die zu verlassen. Wohin sollte sie ihre Schritte ohne Führer und in der Dunkelheit der Nacht wenden? Sie war dieser fröhlichen Gesellschaft preisgegeben. Ihre Verwirrung vermehrte ihre Schönheit. Man berichtet dies nur, um die Macht der Unschuld und Tugend zu beweisen, welche stärker als die der Schönheit ist, da sie den heftigsten Wünschen, welche die Schönheit erzeugt, Einhalt gebietet. Trotz aller Absichten der zehn oder zwölf jungen, durch Wein und Liebe erhitzten Männer ward Donna Maria wie eine Göttin verehrt. Sie verbrachte einen Teil der Nacht bei ihnen, ohne dass sie ihr durch Handlungen oder durch Worte ein Leid zufügten, und verliessen sie mit nicht weniger Liebe im Herzen. Dies berühmte Abendessen hat noch andere Folgen gehabt, die zu erzählen zu langwierig werden würde. Was Mylord R ... anlangt, der immer ganz Eifer und Ehrfurcht vor der schönen Maria war, so bot er ihr die unumschränkte Gewalt über sein Haus an und war nur beflissen, ihr zu dienen. Indessen verpflichtete ihn die Wohlanständigkeit, anderen Tags eine neue Zufluchtsstätte für sie ausfindig zu machen. Der Tatsache zufolge, dass er ihr die edelmütigsten Dienste leistete, bestärkte sich die Öffentlichkeit und selbst seine Mutter immer mehr in der Meinung, dass er für sie entflammt sei. Tatsächlich glichen seine Bemühungen um sie denen der Liebe sehr, und Donna Marias Dankbarkeit konnte von allen Leuten, die nur dem Scheine nach urteilten, ebenso ausgelegt werden. Aber ganz andere Bande knüpften einen an den anderen. Eine zärtliche Freundschaft, das einzige Gefühl, dessen sie bei der beiderseitigen Lage ihres Herzens fähig waren, hatte es über sie vermocht, sich einander ihre teuersten Angelegenheiten anzuvertrauen. Mylord hatte sich in Italien verliebt. Er tröstete sich über die Nöte des Fernseins durch die Unterhaltung mit einem liebenswerten Mädchen, dessen Anblick ihn an die Reize seiner Geliebten erinnerte. Donna Maria war nur mit ihrem Prinzen beschäftigt, doch war ihr die Gesellschaft eines zartfühlenden und verschwiegenen jungen Mannes, welchen sie all ihr Unglück hatte wissen lassen, ein Trost, dem sie sich gern überliess. So wenigstens kann man das Vergnügen, das sie daran fanden, sich zu sehen, mit grösserer Wahrscheinlichkeit, mit all der Gewissheit, die man später über ihre wahren Gefühle erhielt, in Einklang bringen.

Sobald sie Gelegenheit dazu gefunden, hatte Donna Maria nach Rom geschrieben. Obwohl sie dem jungen Lord den Namen ihres Geliebten verschwieg, verbarg sie ihm ihre Hoffnung, ihn in London zu sehen, nicht. Liebevoll nahm er an ihrer Ungeduld teil, und er verfehlte nicht, ihr alle Neuigkeiten aus Italien, die ihm zu Ohren kamen, mitzuteilen. Es ist in England üblich, die Begebenheiten fremder Länder bis auf die genauesten Umstände in den Zeitungen zu veröffentlichen. Ohne genau zu wissen, was ihr gefallen mochte, hoffte der Lord, er würde ihr mit dem Vorlesen einiger Aufsätze, die ihre Anteilnahme erweckten, etwas Freude machen. So gab er der unglücklichen Liebenden mit diesem Beweis seines Eifers und seiner Freundschaft die Aufklärungen, die sie nur aus Feindesmunde erhalten durfte.

Nachdem er, wie die ganze Stadt, die Nachricht von dem furchtbaren Tode des Prinzen Justiniani gelesen hatte, beeilte er sich, ihr diese schreckliche Tatsache mitzuteilen. Allein die Verwirrung, die ihr die Erwähnung des Prinzen verursachte, hätte ihn von dem Kummer unterrichten müssen, den er ihr bereiten wollte. Doch man vergisst die Vorsicht, wenn man arglos ist. So wenig konnte er sich vorstellen, dass zwischen Donna Maria und dem Prinzen Justiniani ein Zusammenhang bestehen mochte, dass er, als er ihr durch eine grässliche Schilderung den Todesstoss versetzt hatte, nicht begriff, weshalb sie besinnungs- und gefühllos zu seinen Füssen niedergesunken sei.

Tatsächlich konnte die unglückliche Maria diesen grausamen Bericht nicht ohne eine tödliche Gemütsbewegung vernehmen, welche sie bis zu dem Masse erschütterte, dass sie ihren Schmerz nicht einmal durch Schreie auszudrücken imstande war. Sie verharrte lange Zeit über in Ohnmacht, so dass man das Schlimmste für ihr Leben befürchtete. Als Mylord sich durch ihre Amme hatte aufklären lassen, war er so verzweifelt über seine Unvorsichtigkeit, dass er sich auf der Stelle mit eigenen Händen zu strafen gedachte. Da er seine traurige Freundin aber seiner bedürfen sah, beschloss er, ihr sein Leben zu widmen, falls es nötig sei, ihr in England oder Italien zu helfen. Ihr einziger Wunsch war, als sie wieder zu sich kam, sofort nach Rom zurückzukehren. Sie schmeichelte sich noch mit einiger Hoffnung: eine englische Zeitung verkündet nicht immer die Wahrheit. Welche Wahrscheinlichkeit hat es, wenn Zeitungen melden, dass ein Prinz so grausam getötet worden ist? Wenn es Wahrheit war, dass sie ihn verloren hatte, wollte sie nicht mehr leben; doch war sie entschlossen, ihn zu suchen und dann auf seinem Grabe zu sterben.

In seiner eigenen Erregung konnte Mylord nicht umhin, die ersten Verzweiflungsausbrüche einer Liebenden zu unterstützen; er erbot sich, ihr bis nach Rom als Führer zu dienen und ihr seinen Arm gegen alle Arten von Feinden zu leihen. Kaum liessen sie sich Zeit, an die zur Reise notwendigen Dinge zu denken. Von einem einzigen Diener und der Amme gefolgt reisten sie ab. In Rom hatte man alles von einem Unternehmen jugendlichen Feuers zu befürchten. Als sich aber das Gerücht von ihrer Abreise verbreitete, setzte man ihnen mit solchem Eifer nach, dass sie im Hafen von Rye angehalten und wider ihren Willen nach London zurückgebracht wurden.

Die Folgen dieser Flucht waren weniger furchtbar, als man sie bei der Verzweiflung der Liebhaberin erwartete. Mylady R ... schien keineswegs entrüstet zu sein über das Entweichen ihres Sohnes, das sie hatte verhindern lassen, und lobte seinen Edelmut, als sie seine Gründe hörte. Da sie aber die Reise nach Italien weder für Donna Maria noch für ihn für notwendig hielt, war sie bestrebt, sie durch Liebenswürdigkeiten, und indem sie beide verpflichtete, ihr stets vor Augen zu sein, von diesem Plan abzubringen. Alle Mittel, die den Schmerz der traurigen Donna Maria heilen konnten, wurden für sie aufgewendet; sie waren einige Wochen über fruchtlos; doch die Zeit verschaffte ihnen wenigstens äusserlichen Erfolg. Donna Maria blieb unter dem gleichen Schutze in London; und obwohl man an der Mattigkeit ihrer Augen merkte, dass sie lange Zeit über im Herzen viel Liebe und Traurigkeit tragen würde, zweifelte man, als man die Leidenschaft des Gardeoffiziers mit ihrer ersten Lebhaftigkeit wieder aufflammen sah, dass sie ein Glück ausschlagen würde, welches alle Wunden ihres Herzens vollends zu schliessen vermochte.


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