Abbé Prévost d'Exiles
Geschichte der Donna Maria und andere Abenteuer
Abbé Prévost d'Exiles

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Geschichte der Molly Siblis, einer berühmten Schönheit Englands

Molly Siblis, eine der schönsten Frauen, die man sich vorstellen kann, ward einiger Diebstähle wegen, die sie begangen und eingestanden hatte, zum Tode verurteilt. Sehr unverständigerweise hatte sie dieses Geständnis mit einiger Verachtung für die Richter abgelegt, wie wenn ihre Schönheit sie vor aller Furcht sichern und von der Strafe erretten könnte. Mehrere Leute von Rang, die ihr wohlwollten, wendeten tatsächlich all ihren Einfluss auf, um ihre Begnadigung durchzusetzen. Aber ein so offenes Geständnis, das noch Beweise von grösster Augenscheinlichkeit bekräftigten, erlaubten es der königlichen Milde nicht eben, sich zu ihren Gunsten zu üben. Das Todesurteil wurde vom Hofe gutgeheissen und alle Welt erwartete seine Vollstreckung als ein aussergewöhnliches Schauspiel.

Bei so geringer Hoffnung blieb Molly Siblis doch noch genug Seelenruhe übrig, um der Verzweiflung zu widerstehen. Doch gingen ihr die Augen über ihre Unklugheit auf, und ohne furchtsamer zu erscheinen, liess sie den Oberrichter um einige Augenblicke zu einer geheimen Unterredung bitten. Weit entfernt, ihr Geständnis zurückzunehmen, wiederholte sie es mit neuen Einzelheiten. Nachdem sie bekannt hatte, dass sie den Tod verdiene, fügte sie hinzu, der Diebstahl, für den man sie zum Tode verurteilt habe, sei das geringste ihrer Verbrechen, seit zehn Jahren habe sie sich den Ausschweifungen ergeben, habe tausend Verwirrungen gestiftet, die zu erfahren für die Oeffentlichkeit wichtig genug seien, und von denen sie ihr Gewissen vor dem Tode entlasten wolle. Das Vaterland und sogar des Königs Person gingen die an, kurz, da sie nicht mehr daran denke, um Gnade zu bitten, und sie ihrer Todesstrafe gewiss zu sein glaube, sei sie überzeugt, dass man ihr den für ihr Vorhaben nötigen Aufschub nicht verweigern werde.

Anfangs hielten viele Leute diese scheinbare Aufrichtigkeit für einen Kunstgriff. Indessen befahl der Hof, welcher sofort von ihrem Anerbieten in Kenntnis gesetzt ward, dass die Vollstreckung des Todesurteils verschoben werden solle. Man ernannte besondere Kommissare, um sie anzuhören. Sie drückte sich mit einer bewundernswürdigen Klarheit und Geistesgegenwart aus. Die Verhandlungen währten acht Tage. Sie erzählte ihre Lebensgeschichte, deren wichtigste Umstände hier in der Weise, wie sie sie schilderte, mitgeteilt werden sollen. Sie selber legte dieses Gewebe von Greuel dar.

»Ich bin von sehr achtbaren Eltern geboren worden, aber die Liebe und die Fülle des Vergnügens liessen mich meine Geburt verachten, weil meine Eltern nicht reich genug waren, um diese beiden Neigungen zufriedenstellen zu können. Ich beklage nicht, dass die Männer meine Unschuld verführt haben. Mein Entschluss stand fest, ehe ich den geringsten Handel mit ihnen hatte. War entschlossen, mich dem auszuliefern, der mir als erster versprach, mich nach London zu führen, vorausgesetzt, dass er sich als reich erweise und mir erlaube, frei über seine Börse zu verfügen. Ich war schön und wusste das sehr wohl. So brachte ich fünf oder sechs Monate hin, um die ersehnte Gelegenheit zu suchen. Keinen Wagen, keine Kutsche sah ich anlangen, ohne nicht ein Mittel zu finden, mich den Blicken ihrer Herren auszusetzen, und war aufs tödlichste betrübt, wenn sie mich nur mit Höflichkeiten abspeisten. Endlich führte mir das Glück jemanden zu, der mir seine Börse und sein Herz anbot. Ich nahm ihn beim Wort. Wir reisten in der folgenden Nacht nach London und ich lebte dort einige Monate über sehr zufrieden mit ihm. Ich bestimmte seinen Rang nach seinem Aufwande und hielt ihn für einen Mann von gewisser Stellung; aber er liess mich am Ende der drei Monate ganz selbstverständlich wissen, er sei nur der Kammerdiener eines der ersten Edelleute vom Hofe und sein Plan gehe dahin, mich mit seinem Herrn in Verbindung zu bringen. Er verbarg mir sogar nicht, dass er mir in solcher Absicht vorgeschlagen habe, nach London zu kommen, wiewohl ihn die Leidenschaft, die ihn für mich ergriffen, sein Vorhaben hätte aufgeben lassen. Er sei von seinem Herrn beauftragt worden, in der Ferne ein Wesen für ihn zu suchen, das ihm zu seinen Vergnügungen diene, er hoffe, eine grosse Summe für ein Mädchen wie mich von ihm zu ziehen, und wenn ich mein Glück mit ein wenig Verstand auszunutzen wisse, würde ich eines der glücklichsten Geschöpfe Londons werden. Ich nahm diese Eröffnung mit äusserster Befriedigung hin. Ihr Ergebnis entsprach meinen Hoffnungen und ich lebte ein Jahr lang im Ueberflusse aller Vergnügungen. Der Edelmann starb. Er vergass mich in seiner letzten Stunde. Von so vielen Gütern, deren ich mich, ohne an die Zukunft zu denken, erfreut hatte, blieb mir nur Stolz und Hoffart. Ich wollte den Kammerdiener nicht mehr dulden, der seinen Herrn zu ersetzen sich mir erbot. Er wurde so aufgebracht darüber, dass er mir einen grausamen Schimpf antat, aber ich schwur, mich dafür an ihm zu rächen.

Ein neuer Liebhaber, den ich nicht lange zu suchen hatte, ging auf mein Rachebestreben ein. Wir erwarteten meinen Feind abends an einem entlegenen Orte: ich wollte ihn von meiner Hand sterben wissen. Nichtsdestoweniger ward der erste Stoss von meinem Beistand getan; doch sah ich ihn nicht so bald am Boden liegen, wohin er verwundet gefallen war, als ich, einen Dolch, den ich mit mir führte, zückend, ihm durch tausend langsame und schmerzhafte Verwundungen das Leben nahm. Ich muss gestehen, dass dies eines meiner grössten Verbrechen ist, weil es eines von denen ist, an denen ich das grösste Vergnügen, es zu begehen, gefunden habe. Andererseits erschloss es mir die Türe zu allen anderen.

Mein neuer Liebhaber war ein Spieler, dessen Reichtümer mich verblendet hatten. Wir lebten einige Zeit über in sehr vielem Glanze, da er aber keine andere Hilfsquelle wie das Spiel hatte, brachte uns ein plötzlicher Glücksumschlag in Not. Man musste leben. Ich liess als erste den Gedanken in ihm wach werden, einen seiner Freunde auszurauben, der ebenfalls von den Vorteilen des Spiels lebte und glücklicherweise seinen Gewinn behutsam angewendet hatte. Als er eines Abends die Akademie verliess, nachdem er beträchtliche Summen gewonnen hatte, drängte ihn mein Liebhaber, zu uns zum Abendessen zu kommen. Unsere Absicht war, ihn trunken zu machen; doch, sei es Misstrauen oder konnte er viel vertragen, er bewahrte genugsam Geistesgegenwart, um alle unsere Massnahmen zunichte zu machen. Ich gestehe, dass ich mich in dem Aerger, uns diese Beute entgehen zu sehen, vom Tisch erhob, mich ihm unauffällig näherte und so schnell meinen Gürtel um seinen Hals schlang, dass ich, den gleichzeitig mit all meiner Kraft zuziehend, ihn alsobald des Atems und des Bewusstseins beraubte. Mit seinem Mundtuch erstickten wir ihn vollends. Bemächtigten uns all seines Geldes, waren jedoch so vorsichtig, ihm einige Guineen und seine Uhr in der Tasche zu lassen. Alles vollzog sich so schnell und glatt, dass unsere auf der Stelle herbeigerufenen Dienstboten nicht den geringsten Argwohn von unserem Verbrechen schöpften. Sein Tod ging für eine Folge des Schlagflusses durch.

Ich weiss nicht, dank welch grässlicher Verblendung ich ohne Entsetzen Blutvergiessen und Mordtaten begehen konnte. Indessen hatte ich kein hartes Herz, oder der Himmel fügte es damals wenigstens, dass es nur allzu gefühlvoll war, um vielleicht einen Anfang mit meiner Bestrafung zu machen, die seine Gerechtigkeit zu vollenden im Begriff steht. Der Sohn des Unglücklichen, welcher so grausam durch unsere Hände umgekommen war, sah weiterhin die besten Freunde seines Vaters in uns, und machte uns zahlreiche Besuche, um sich seines Verlustes bei uns zu trösten. Ich hatte den jungen Mann hundertmal gesehen, ohne darauf acht zu geben, ob er mir Zärtlichkeit einflössen könnte; die Art, wie ich seinen Vater behandelt hatte, versprach mir nichts allzu Günstiges von demselben Blute, Indessen lies ich mich von seiner Gestalt, die tatsächlich sehr liebenswert war, einnehmen. Bei meinen bisherigen Verbindungen hatte niemals Leidenschaft mitgesprochen. Ich überliess mich völlig der Süsse dieses neuen Gefühls.

Aber die Liebe sollte mich auch ebenso verbrecherisch und unglücklicher als der Hass machen. Ich fand bei dem Gegenstand meiner Zärtlichkeit nicht die Erwiderung, welche mich meine Eitelkeit erhoffen liess. Was hat mich das nicht für Tränen gekostet! Auf alle Behutsamkeit verzichtend, beschloss ich schliesslich meinem Undankbaren ohne Umschweife die Gefühle, die ich für ihn hegte, mitzuteilen; und da ich argwöhnte, dass er den Zeichen meiner Leidenschaft gegenüber nur aus Verehrung vor meinem Liebhaber so taub wäre, begann ich ihm in vertraulicher Weise einzugestehen, dass ich niemals eine wahrhafte Liebe zu diesem gefühlt habe und nur einen günstigen Umstand suche, um ihn plötzlich zu verlassen. Weiter erklärte ich, ihm mit freimütiger Miene mein Herz eröffnend, dass jeder andere besser erhört werden würde; und um nicht nochmals darauf zurückkommen zu müssen, gestand ich ihm, ich sei leidenschaftlich in ihn verliebt. Diese Erklärung setzte ihn in Verwirrung. Er gab mir eine höfliche Antwort, berief sich auf seine geringen Verdienste und das Uebermass seiner Dankbarkeit; aber ich merkte so viel Kälte an ihm, dass ich auf das lebhafteste darüber gereizt wurde. Am Abend dieses unglücklichen Tages fühlte ich einen aussergewohnlichen Umschwung in Laune und Verhalten meines Liebhabers. Ich vermutete bald die Wahrheit und bebte vor den Folgen. Der Undankbare, den ich liebte, hatte sich ein Verdienst daraus gemacht, ihm meine Untreue anzuzeigen. Meine Wut erreichte auf einmal ihren Höhepunkt. Ich beschloss, den einen wie den anderen zu verderben, gar auf die Gefahr hin, bei dem Unternehmen selber umzukommen. Folgenden Morgens suchte ich den Friedensrichter auf und erbot mich, ihm ein furchtbares Verbrechen, woran ich mitschuldig gewesen sei, aufzudecken, falls ich meine Begnadigung im voraus vom Hofe erhalte. Er versicherte mir zwei Tage danach, dass sie mir mit der üblichen Ausnahme zugestanden sei. Ich forderte keine andere Sicherheit wie nur sein Wort und gestand ihm nicht allein alle Einzelheiten der Beraubung und des Mordes ein, sondern bezichtigte auch den jungen Mann, da ich ihn in das gleiche Verderben hineinziehen wollte, den Tod seines Vaters mit bewirkt zu haben. Als Beweis führte ich den vertraulichen Umgang an, den er stets mit dessen Mördern gehabt habe. Augenblicks wurden alle beide festgenommen. Sie wurden einige Zeit im Gefängnis bewahrt; doch all meiner Wut zum Trotze verliess mich die Kühnheit, als ich den Verhandlungen beiwohnen und ihre Gegenüberstellung über mich ergehen lassen musste. Ausserdem sagten unsere Dienstboten einstimmig aus, das Unglück sei ihres Ermessens auf ganz natürliche Weise geschehen, auch erwiderten die Angeklagten stets mit einer sicheren Miene auf die Fragen und stellten mich schliesslich als eine wütige Geliebte hin, die sie unbilligerweise verderben wollte. Ich befand mich wieder in einem sehr schimpflichen Zustande, als mein Liebhaber die Freiheit erlangte, und sah mich genötigt, ihn zu fliehen, um mich vor seiner Rache zu schützen.

Nachdem ich so viel Erfahrung in den Schwächen der Männer gemacht hatte, war ich fest überzeugt, dass eine schöne Frau ungestraft alles unternehmen könnte. Die schimpfliche Lage, aus der mich herauszuarbeiten ich Mittel und Wege fand, war bald aus meinem Gedächtnisse ausgelöscht. Ich hatte nur noch einige Sorgen meiner Schulden wegen, die mich den Belästigungen zweier Gläubiger aussetzten. Daher entschloss ich mich, einen Soldaten zu heiraten,Das ist ein Brauch, der sich dank der Gesetze in London eingebürgert hat, da nach ihnen keine verheiratete Frau für ihre Schulden aufzukommen hat. Alles fällt den Ehemännern zur Last, wenigstens solange sie nicht in den öffentlichen Blättern erklärt haben, dass die schlechte Aufführung ihrer Frauen sie zwinge, sich von ihnen zu trennen. nachdem ich mir von ihm hatte versprechen lassen, dass er sich niemals vor meinen Augen zeigen wolle. Zwei Guineen, die ich ihm als Geschenk gab, bestimmten ihn, all meine Wünsche zu erfüllen. Kaum kannte er meinen Namen. Ich muss eingestehen, er hat mich nur einmal in seinem Leben, und das in der Kirche, gesehen. Kühner als je geworden durch das erworbene Recht, ungestraft Schulden machen zu können, vermehrte ich meine Ausgaben und richtete ein Haus ein, welches der Treffpunkt aller jungen Lüstlinge wurde, die London aufzuweisen hat. Ich war der Götze dieses ruchlosen Tempels. Die geringsten Zeichen meines Willens waren unumschränkte Gesetze. Meine Gunst liess ich mir mit Gold aufwiegen. Ich weiss nicht, welche Begriffe sich die von meinem Benehmen machen mochten, denen ich sie verweigerte, doch hatte ich meinen Sklaven ja keine Erklärungen abzugeben. In dieser herrlichen Zeit schloss ich mit dem jungen *** Bekanntschaft. Er gefiel mir. Ich liess mich von ihm anbeten. Sein Vater ward von unserem Handel benachrichtigt und beschloss ihn zu verheiraten, um ihn mit mir brechen zu lassen. Ich konnte diesen Schlag unmöglich von mir abwenden und sah zu meinem Schmerz, dass er mir gegenüber kühler zu werden begann, als seine Gattin schwanger wurde. Mein Stolz konnte diesen Wechsel nicht ertragen. Ich beschloß mich an der Frucht dieser neuen Liebe durch einen hergestellten Trank zu rächen, den ich der Mutter listig bringen liess. Er ward ihr ebenso furchtbar wie dem Kinde, das sie in ihrem Schosse trug. Einiges Bedauern verspürte ich, zu weit gegangen zu sein; ich hatte einer Nebenbuhlerin, die ich wenig und nur in der Eigenschaft als Mutter fürchtete, nicht ans Leben wollen. Indessen ward mir dadurch die Rückkehr meines Geliebten um so sicherer. Seine Leidenschaft, die mit neuen Kräften um sich gegriffen hatte, dauerte sehr viel länger als die meinige. Als ich ihn zu lieben aufgehört, erinnerte ich mich des Schmerzes, den er mir verursacht hatte, und beschloss ihn dafür zu strafen. Er besass in Londons Nähe ein schönes Landhaus, wohin er mich oftmals geführt; und ich verweilte dort immer viel zu kurz, als dass ich seinen Eifer befriedigt hätte. Ich kannte alle Einrichtungen dort, vor allem das Zimmer, wo sein Geld und zugleich die Kostbarkeiten und Geschmeide lagen, die seiner Gattin gehört hatten. Heimlich war ich während der Nachtzeit aufgestanden, und führte drei Leute in das Haus, die auf meine Befehle harrten und sie mit solcher Geschicklichkeit ausführten, dass nicht allein das Geldzimmer, sondern auch der grösste Teil aller übrigen Gemächer dessen, was in ihnen an höchstem Werte war, beraubt wurden. Folgenden Morgens bereitete es mir das lebhafteste Vergnügen, den Kummer eines Mannes zu sehen, den ich zu verachten begann, da mit dem Nachlassen meiner Liebe auf einmal auch meine Augen über seine Fehler aufgingen. Schliesslich liess ich ihn fahren.

Einige Zeit hernach sah mich ein Franzose, der gerade in London eingetroffen war, bei einem Spaziergange im Park und liess mich durch Blicke und sein beständiges mir Nachgehen merken, dass er sehr leidenschaftliche Gefühle für mich hege. Natürlich gab ich ihm Gelegenheit mich anzureden. Er erfasste sie wie ein Mensch, der in Galanterie beschlagen ist. Sein Benehmen war äusserst liebenswürdig. Obwohl er sich schlecht im Englischen ausdrückte, machte er sich doch verständlich. Ich genoss seine Unterhaltung so sehr, dass ich meinen Plan, ihn zu täuschen, vergass und ein zärtliches Verhältnis mit ihm anzuknüpfen beschloss. Er bot mir die Hand, um mich nach Hause zu führen. Ich nahm sie an. Da er mich anfangs nur für eine Abenteuerin gehalten hatte, schien er angesichts der Schönheit meines Hauses, der zahlreichen Dienerschaft und des prunkvollen Hausrates überrascht. Seine Bewunderung tat sich jeden Augenblick kund. Ich sah einen Mann, der sich in seiner freudigen Erregung nicht beherrschen konnte; all seine Gedanken beschäftigten sich mit dem Ueberflusse, welchen er um sich herum schaute. Daraus schloss ich, dass er trotz der stolzen Miene, die er sich zu geben wusste, weder mit den Grossen zu verkehren noch aus dem Vollen zu leben gewohnt war. Dieser Gedanke machte mich zurückhaltender. Wiewohl ich meine Neigung für ihn sich nicht vermindern fühlte, glaubte ich ihn auf die Probe stellen und mich seiner Liebe bis auf einen bestimmten Punkt versichern zu müssen; sie war das einzige, was ich von ihm zu erlangen beabsichtigte. Den Sieg, welchen ich ihn für denselben Tag hatte erhoffen lassen, verzögerte ich unter irgendeinem Vorwande. Folgenden Morgens kam er wieder, und ich fuhr fort ihn liebenswürdig aufzunehmen, jedoch ohne von meinem festen Vorsatze, ihm nichts zu gewähren, abzukommen. Meine gewöhnlichen Liebhaber unterliessen es nicht, eifersüchtig auf ihn zu werden. Ich zwang sie zu schweigen. Allmählich ward diese neue Verbindung ernsthafter für mich und ich wollte um meiner selbst willen, sei es aus Eitelkeit, sei es aus Neigung, von einem Franzosen geliebt sein.

Indessen merkte ich an seinen häufigen Besuchen und selbst den Zeichen der Leidenschaft, mit denen er mich unterhielt, nichts, was mich davon zu überzeugen vermochte, dass sie aufrichtig seien. Die ersten Gedanken, die ich mir über seinen Charakter gemacht hatte, bestätigten sich alle Tage durch neue Beweise. Er war eigennützig, bei den kleinsten Spielpartien gewinngierig, grob, wenn sich das Glück wider ihn wendete und bei solchen Gelegenheiten gegen mich und die Anwesenden auch wenig zuvorkommend. Trotz solcher schlechten Eigenschaften hörte er nicht auf mir liebenswert zu erscheinen. Einer seiner Nebenbuhler erzählte mir eines Tages, er habe einige Erkundigungen über sein Ansehen bei den in London weilenden Franzosen eingezogen, man habe von ihm wie von einem elenden Kerl ohne Rang und Ehre gesprochen, der keine anderen Mittel zum Leben wie seine Kühnheit und List besitze; er sei nach London gekommen, um einer billigen Bestrafung zu entgehen, die er durch tausend Schurkereien in Frankreich verdient. Ich hielt diese Bezichtigungen für ebenso viele Verleumdungen, die der Hass eines eifersüchtigen Liebhabers erdacht hätte. Im übrigen fühlte ich selber mich nicht reinen Gewissens genug, um die schlechte Aufführung anderer allzu streng zu verdammen.

Einige Wochen waren verstrichen. Ich konnte meiner Ungeduld nicht länger widerstehen und hatte mich entschlossen, alle Bedenken, die mich so hartnäckig gemacht, beiseite zu lassen, als eine Dienerin meines Hauses mir berichtete, dass ein anderes meiner Kammermädchen heimlich ihre Sachen in ein Bündel geschnürt habe, in das sie auch viele mir gehörige Sachen gesteckt, und dass, nach dem Verhältnis zu schliessen, in das sie sich mit dem Franzosen, der immer bei mir weile, eingelassen, sie höchstwahrscheinlich mit ihm auf und davon gehen wolle. Ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel würde mich weniger erstaunt haben. Ich rüstete mich, um diese Treulosigkeit in der kommenden Nacht an dem teuren Geliebten zu rächen. Meine Wut entzündete sich über alle Massen. Das Kammermädchen liess ich vor mich kommen. Ich teilte ihr mit, dass ich von ihrem Diebstahl und ihren Plänen unterrichtet sei und sie auf der Stelle dem Gerichte überliefern könne; doch wolle ich Gnade vor Recht ergehen lassen. Wenn sie mir ein lauteres Geständnis ihres Vergehens mache, könne sie meiner Verzeihung gewiss sein. In ihrer Furcht bekannte sie, dass sie der Franzose durch tausend Versprechungen verpflichtet habe, England mit ihm zu verlassen; die Zeit ihrer Abreise sei auf den kommenden Morgen festgesetzt, auf seinen Rat habe sie alles, was ihr zu Händen gekommen sei, geraubt. Auch wollten sie nicht allein meine Geschmeide in der folgenden Nacht rauben, sondern mich obendrein umbringen, wenn ich zufällig aufwachen sollte, während sie in mein Zimmer kämen, um meine Schränke und Koffer aufzubrechen. Nach solchem Geständnis warf sie sich mir zu Füssen, indem sie mir beteuerte, sie hätte mich stets geliebt und würde nimmer in diese verdammenswerten Ränke eingewilligt haben, wenn sie nicht verführt worden wäre. Ich verzieh ihr unter der Bedingung, dass sie dem Treulosen meine Kenntnis von seinem Verrate verberge. Ich beauftragte sie sogar, ihm die gleiche Art und Weise und dasselbe Gesicht wie sonst zu zeigen, und schloss mich alleine ein, um über meine Rache nachzudenken. Alle meine Regungen drängten schliesslich auf Mord. Ich hatte mehr als einen begangen, der mir nicht so gerecht erschienen war. Meine missachtete Liebe trieb mich noch mehr als mein Interesse dazu. Ich beschloss den Verräter zu töten, und das mit meinen eigenen Händen. Während ich alles in mir wach rief, was ich seinethalben erduldet hatte, fand ich es nicht billig, dass er stürbe, ohne mir die erwünschte Befriedigung verschafft zu haben. Und beschloss, ihn die Nacht bei mir verbringen zu lassen und ihn morgens in meinem Bette zu erdrosseln. Unterstützt von meinem Kammermädchen, die seit langem meines Vertrauens genoss und mir bei mehreren Abenteuern ähnlicher Wichtigkeit zur Hand gewesen war, kam ich sehr glücklich damit zum Ziele.«

Dieses waren im Auszuge Molly Siblis Aussagen. Der Bericht ward dem Könige überbracht und einige Tage vergingen mit seiner Prüfung. Man war äusserst ungeduldig das Ende dieser Szene zu sehen, als man ohne weitere Erklärung erfuhr, das Urteil sei abgeändert und Molly Siblis würde, statt den Tod durch den Strang zu sterben, in eine amerikanische Kolonie überführt.

Eine so wenig erwartete Urteilsänderung vermehrte die Neugier der Oeffentlichkeit. Da man im übrigen nicht glauben konnte, dass der Bericht eine andere Wirkung erzielt habe, sah man sich zu der Annahme veranlasst, dass die Freunde der Verbrecherin die Zeit benutzt hätten, um ihre Betreibungen bei Hofe zu erneuern. Der Reue zufolge, die sie kund getan, als sie alle ihre Verbrechen eingestand, hatten diese von der Güte des Königs die Milderung des Urteils erlangt. Ein neues Ereignis aber versetzte bald darauf wieder alle Welt in neue Ungewissheit. Es sollte ein Schiff nach Amerika abgehen, das mit Salzburger Auswanderern und einer grossen Anzahl Engländer besetzt war, die sich freiwillig in die Kolonien begaben. Molly Siblis ward an Bord geführt, um mit ihnen zu reisen. In der Nacht nach ihrem Ankunftstage begab sich eine bewaffnete und maskierte Männerschar in einer Schaluppe auf das Schiff und entführte sie mit offener Gewalt. Dieser Gewaltakt war nicht ohne Kampf vor sich gegangen, einer der Entführer erhielt eine tiefe Wunde, die ihm nicht erlaubte sich mit den anderen zurückzuziehen, so dass er als Gefangener dort blieb, ohne dass seine Begleiter darum merkten. Um aus seinem Munde Aufklärungen zu vernehmen, unterliess man keine Gewaltmassregeln. Doch er widerstand allen Drohungen so hartnäckig, dass man ihn, um seine Hartnäckigkeit ebenso wie seine Tat zu bestrafen, an Mollys Stelle nach den Inseln schaffte. Das Gerücht verbreitete sich, er habe das Aussehen eines Mannes von Stand gehabt und die Richter, die ihn verurteilt, hätten seinen Namen sehr genau gewusst, obwohl sie ihn nicht kennen wollten. So versicherte sich die glückliche Molly des Lebens und der Freiheit. Worüber triumphieren Frauen mit geistigen und körperlichen Vorzügen nicht? Molly entzog sich nicht allein der Gerechtigkeit, sondern ihr Missgeschick hatte auch die Öffentlichkeit zu ihren Gunsten eingenommen und alle Welt schien sich über ihre Befreiung zu freuen. Letzterer Umstand war um so merkwürdiger, da jedermann ihre Verbrechen und die Wirrnisse ihres Lebens genau kannte.


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