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II

Es war ein Nachmittag im Juni gegen Ende des Jahres 1898. Quignonnet, der erste Beigeordnete von St. Charles, saß in seinem Arbeitszimmer am Schreibtisch und sah die Rechnungen für eine Reparatur am städtischen Spritzenhaus durch, als der Bureaudiener eintrat.

Quignonnet, der gerade einige Posten addierte, bedeutete ihn durch eine Handbewegung, zu warten. Nachdem er die Summe hingeschrieben hatte, erhob er den kurz geschorenen Kopf und fragte:

»Was ist denn, Bonnault?« – »Der Abbé Minot möchte Sie sprechen.«

»Gut, laß ihn nur eintreten.« Der Diener entfernte sich, und gleich darauf erschien Minot. Er trug seinen abgeschabten Hut unter dem Arm, die kurze Soutane reichte kaum bis an die groben Schnallenschuhe. Er reichte Quignonnet die Hand.

»Guten Tag, Aktenmensch!«

»Guten Tag, Totengräber!« Minot war ein Mann, der Spaß verstand. Er und Quignonnet pflegten sich im Scherz alle möglichen Schimpfworte an den Kopf zu werfen, die sich meist auf ihren beiderseitigen Beruf bezogen.

»Ist das eine Hitze!« seufzte der Priester und setzte sich, ohne die Aufforderung abzuwarten. Dabei trocknete er sich die breite Stirn mit seinem groben, weißen Taschentuch. – Die Luft im Zimmer war aber auch wirklich erdrückend, obgleich die Gartenthür weit offen stand. Der »Garten« war ein kleines, schattenloses Stück Land mit einer einzigen, mageren Laube im Hintergrund.

Der Abbé steckte den Finger in den Halskragen, um sich etwas Luft zuzuführen.

»Sie spüren wohl nicht so viel davon, so ein dürres Knochengestell wie Sie? Aber ich bin eben dicker. Sie machen sich keine Begriffe, wie ich schwitzen muß, –«

»Sie essen eben zu viel,« antwortete Quignonnet und legte seine Feder auf den Tisch. »Wenn Sie mit meinem Gehalt auskommen müßten, würden Sie nicht so fett werden. – Was wünschen Sie von mir?«

Minot blickte ihn an, ohne etwas zu erwidern. Dabei bemühte er sich, gewinnend zu lächeln.

»Ich möchte – –« sagte er.

»Was denn?«

»Nun das können Sie sich wohl denken – –«

»Wenn Sie schon wieder Geld brauchen für Ihre schmierigen Ordensbaracken,« fiel der andere ihm in die Rede, »so machen Sie nur gleich, daß Sie weiter kommen. Man sieht nichts wie Ihren Namen im Budget. Gott im Himmel, sind Sie ein Vielfraß! – Sie werden uns noch zu Grunde richten.«

Der Abbé zog eine Pastille aus der Tasche und steckte sie in den Mund. Quignonnet sah ihm lächelnd zu. Dann fragte Minot:

»Aber ich bitte Sie, wovon sollen wir denn unsere Preisverteilung bestreiten? Zwei Mädchen- und eine Knabenschule – und dann haben wir noch eine Krippe und das Kinderhospital – – –«

Er lächelte nicht mehr. Sein rundes Bauerngesicht hatte einen beinah ängstlichen Ausdruck angenommen. Der Agent antwortete:

»Sie haben angeblich für ihre Preisverteilung schon über zweitausend Francs Extrazuschuß bekommen. Sind die schon wieder aufgefressen? Dann wundere ich mich nicht mehr darüber, daß Sie immer dicker werden.«

»Nun ja zweitausend Francs,« brummte der Abbé, »die sind längst verbraucht – und meine neue Krippe in der rue de Lavelle? – da sind hundert kleine Mäuler, die viel Geld verschlucken, obgleich sie noch keine Zähne haben. – Aber wenn Sie nichts für mich thun wollen, so ist es Ihre Sache. Ich werde die Angelegenheit dem Patronatskomitee vorlegen. Das mag dann beurteilen, ob Sie die Vertragsbedingungen einhalten. Mich persönlich geht es ja nichts weiter an. Ich lege meine Rechnungen vor und wasche meine Hände in Unschuld.«

Damit stand er auf und nahm seinen Hut.

»Also ich gehe –« Quignonnet wurde plötzlich ernst.

»So bleiben Sie doch noch! Machen Sie nicht gleich solche Geschichten. Im Grunde sind wir ja völlig einer Meinung, nicht wahr? Aber was wollen Sie, ich habe doch nicht über Millionen zu verfügen. Offen gesagt, Sie sollten Ihre frommen Damen etwas mehr bearbeiten.«

Minot ließ ihn schweigend ausreden – dann stand Quignonnet auf.

»Lassen Sie uns in die Laube gehen und eine Cigarette rauchen. Wir können dort ungenierter miteinander reden.« Sie traten in den Garten hinaus und ließen sich in der Laube nieder. Quignonnet bot dem Abbé eine Cigarette au; dann begann er:

»Sie wissen doch, daß ich Ihnen jederzeit gern zu Diensten sein möchte – und ich weiß sehr wohl, daß Sie das Geld nicht in Ihre eigene Tasche stecken – aber mir sind die Hände gebunden – Anquetin kann keine Soutanen leiden. Er ist eifersüchtig auf Sie, – bei der letzten Versammlung hat er behauptet, Ihre Schulen kosteten viel zu viel – – «

»Anquetin?«

»Nun freilich. Er stellte im Gegensatz zu Ihren Stiftungen die Privatschule als Beispiel auf, die all ihre Bedürfnisse selbst bestreitet und weder vom Bezirk noch vom Staat etwas verlangt.«

»Thut sie das wirklich nicht? Nun ja, die Damen müssen sich ganz gut stehen – sie haben es vorzüglich verstanden, die Sainte-Parade herumzukriegen.«

»Aber die Damen sind doch Ihre speciellen Freundinnen,« sagte Quignonnet.

Der Abbé blies wütend den Rauch von sich und knurrte:

»Meine Freundinnen? Alberne Frauenzimmer sind es. Sie haben nur einen Gedanken im Kopf: selbständig zu sein – ohne Gängelband herumzulaufen. Dabei ahnen sie aber so wenig vom praktischen Leben, wie eine Novize im Kloster. Sie halten mich für dümmer wie ich bin. Man macht mir den Hof, man ist äußerst liebenswürdig, aber man schlägt mir die Thür vor der Nase zu – mir kann es ja gleich sein. Aber ich bin mir ganz klar darüber. Wer nicht für uns ist, ist wider uns. Wissen Sie, wer das gesagt hat? Sie Kontraktfälscher?« Bei diesen Worten gab er dem Agenten einen Schlag aufs Knie. Quignonnet fuhr in die Höhe und schnitt eine Grimasse.

»Sie wissen nicht, wer das gesagt hat? – Unser Herr Jesus Christus.«

Es entstand eine kurze Pause. Dann fragte Minot in mürrischem Ton: »Sie stehen sich wohl ganz gut mit den Damen? Duramberty scheint sie zu protegieren. Sie wissen wohl, was man sagt?– –«

»Man sagt – man sagt – in Wirklichkeit liegt es nur daran, daß Duramberty sich ebenso zum Narren halten läßt, wie ich. Man sperrt ihm eben gerade so wie mir die Thür vor der Nase zu, obgleich er den hübschen Mädeln die Cour macht.«

»Hm,« antwortete Quignonnet, »er hat sein Grundstück umsonst hergegeben, einen Freiplatz gestiftet – – er wird wohl seine Gründe dazu haben. Aber trotzdem habe ich seit einiger Zeit das Gefühl, als ob die Sache zwischen ihm und den Damen nicht so ganz – – «

Er hielt plötzlich inne und schien darauf zu warten, daß der Abbé weiter fragen würde. Aber Minot that, als ob ihn die Sache nicht besonders interessierte. Er warf den Rest seiner Cigarette weg und stand auf:

»Auf Wiedersehen!« warf er nachlässig hin.

»Haben Sie Eile?«

»Ich habe noch bei den Schwestern von Saint-Sang zu thun. Sie wollen ihren Komplex vergrößern, neue Grundstücke hinzukaufen oder ein Abkommen mit ihren Nachbarn treffen – große Projekte sage ich ihnen – also, auf Wiedersehen!«

»So warten Sie doch, – bleiben Sie noch einen Augenblick – was faseln Sie da? – die Schwestern wollen ihren Komplex vergrößern? Davon haben Sie ja gar nichts gesagt. Sie werden die Sache doch aber nicht auf eigene Hand – – – « »Nein, das glaube ich nicht,« sagte Minot, Damit ging er langsam auf das Haus zu.

»Haben sie schon einen Agenten?«

»Nein, aber sie haben mich um Rat gefragt. Auf Wiedersehen!«

Quigonnet nötigte den Abbé, stehen zu bleiben, indem er ihn am Arm faßte.

»Ich hoffe, Sie werden doch niemand anders vorschlagen, wie mich.«

»Ich werde ihnen überhaupt niemand vorschlagen; denn das sind Sachen, die mich nichts angehen. Merken Sie sich, mein Freund, es giebt nichts Gefährlicheres, wie sich in die Angelegenheiten der Schwestern einmischen.«

»Aber das ist doch nicht Ihr Ernst,« sagte Quignonnet. »Nein, ich rechne auf Sie. Und Sie wissen, was Ihre Schulen angeht, können Sie jederzeit auf mich zählen.«

Der Abbé machte ein verschmitztes Gesicht wie ein Bauer, der um eine Kuh feilscht. »O« sagte er, »vielleicht brauchen die Schwestern überhaupt keine Vermittler – alles, was ich weiß, ist, daß es sich um ein bedeutendes Geschäft handelt – Hundertfünfzigtausend Francs, unter uns gesagt.«

»Hundertfünfzigtausend«, wiederholte Quignonnet in höchster Erregung, »das muß gemacht werden, Abbé. Ich garantiere dafür, daß Ihre Nonnen mit mir zufrieden sein sollen, und ich werde mich revanchieren, was Ihre alten Schulbaracken betrifft. Sie wissen ganz gut, daß ich vorhin gescherzt habe – ich stehe Ihnen jederzeit zu Diensten. Sind Sie einverstanden?«

Er hatte in seiner Erregung immer lauter gesprochen. Aber Minot gab keine Antwort, sondern deutete auf die Thür, die zu Quignonnets Arbeitszimmer führte. Quignonnet blickte jetzt ebenfalls auf und blieb einen Augenblick bestürzt stehen, als er an seinem Arbeitstisch einen Herrn stehen sah, der in seinen Papieren blätterte. Es war Jude Duramberty. Als er die beiden kommen hörte, drehte er sich um, blickte sie scharf an und trat auf sie zu.

»Guten Tag, Quignonnet, – Guten Tag, Herr Abbé.« Dann nahm er seinen Hut ab und legte ihn auf den Schreibtisch. Der Geistliche und der Agent begrüßten ihn mit größter Liebenswürdigkeit.

»Sie entschuldigen, Quignonnet, daß ich hier eingedrungen bin. Der Diener behauptete, Sie wären in Ihrem Zimmer.«

»Aber ich bitte, Monsieur Duramberty – der Abbé und ich waren nur in den Garten gegangen, um etwas frische Luft zu schöpfen. Was verschafft mir die Ehre?«

»Sie sollen es gleich erfahren, haben Sie einen Augenblick Zeit?«

»Aber gewiß, so viel Sie wollen, bitte nehmen Sie doch Platz.«

»Ich verabschiede mich, meine Herren,« sagte der Priester und ging auf die Thür zu.

»Sie stören uns durchaus nicht, Abbé,« sagte Duramberty, »im Gegenteil, Sie können uns vielleicht einige nützliche Winke geben.«

Duramberty nahm auf dem Sofa Platz, während Quignonnet sich vor dem Schreibtisch niederließ.

Es entstand eine Pause. Duramberty schien über das nachzudenken, was er sagen wollte, und die beiden andren warteten in ehrfurchtsvollem Schweigen.

»Heute morgen waren Frédal und Mad. Ribaut bei mir. Sie schienen beide unzufrieden und besorgt zu sein.«

»Weswegen?« fragte Quignonnet.

»Weil für das nächste Quartal nicht genug Anmeldungen kommen, Frédal verliert nur drei Schüler, aber bei Mad. Ribaut ist noch keine einzige »Neue« in Aussicht, und elf gehen ab. Und wissen Sie, weshalb?«

»Um in eine von den katholischen Schulen zu gehen wahrscheinlich,« sagte Quignonnet mit einem Seitenblick auf den Abbé.

»Ach Gott,« seufzte dieser, »das glaube ich kaum –«

»Nein, alles, was Madame Ribauts Schule verläßt, geht zu Pirnitz und Heurteau. Die Schule scheint sehr zu gefallen, obgleich die Direktion bei der Aufnahme alle möglichen Schwierigkeiten macht und viele zurückweist.

»Das begreif ich nicht,« sagte der Abbé, »die Schule hat überhaupt kein vernünftiges Programm – keine Rede von geregeltem Unterricht. Es werden nicht einmal Zeugnisse ausgeteilt oder Prüfungen gemacht.«

»Ja, das ist richtig,« stimmte Quignonnet bei – »daß die Schülerinnen damit einverstanden sind, kann ich mir ganz gut denken – aber die Eltern?–«

»Das Neue an der Sache lockt sie. Es macht ihnen Spaß, daß ihre Kleinen auf den Markt geschickt werden, daß man sie aufs Land führt, um Schmetterlinge zu fangen und – was weiß ich –« brummte der Abbé vor sich hin.

Der Agent wandte sich an Duramberty: »Sind Frédal und Madame Ribaut zu Ihnen gekommen, weil sie Mitglieder der Unterrichtskommission sind?«

»Frédal, ja« antwortete Duramberty, »und was Madame Ribaut betrifft, so hat sie die Absicht, einen Bericht über ihre schwierige Lage an die Verwaltungsbehörde zu machen. Sie glaubte, daß ich die neue Schule protegiere und wollte sich gewissermaßen entschuldigen und mich fragen, ob ich ihr irgendwelche Schwierigkeiten in den Weg legen würde.«

Quignonnet schwieg. Nach einer Pause fragte der Abbé: »Aber Sie interessieren sich doch auch für die Damen?« –

Dabei machte er ein möglichst einfältiges Gesicht, wie immer, wenn er ein heikles Thema berührte. »Ich?« sagte Duramberty »Nicht mehr wie für alle Schulen hier am Ort. Im Gegenteil, diese Art von Frauen ist mir nicht sehr sympathisch. Sie haben für meinen Geschmack etwas zu viel Selbstvertrauen.«

»Der Inspektor beklagt sich auch darüber,« sagte Quignonnet, den der Ton des Fabrikbesitzers ermutigte.

»Ich hab es ja immer gesagt,« fuhr der Abbé fort, während er sich mit dem Taschentuch Kühlung zuwehte. »Es sind alberne Frauenzimmer. – Wenn sie nicht die Millionen der alten Saint-Parade im Rücken hätten, würde die Schule bald genug verkrachen.«

Duramberty lächelte. »Die Millionen? Wissen Sie so bestimmt, daß diese Millionen wirklich existieren?«

»O, was das angeht – Die Sainte-Parade ist reich, Monsieur Duramberty. – Das weiß ich. – Ich bin sogar einmal ihr Beichtvater gewesen. Damals war sie wenigstens noch fromm – es war, ehe sie der Pirnitzbande in die Hände gefallen ist. Aber daß sie Vermögen hat, steht wohl fest.«

»Sie spekuliert,« sagte Duramberty.

»Ja, ich weiß. Sie hat auf Michels Rat Kupferaktien gekauft und enorm dabei gewonnen.«

»Ja, Michel hat sie ganz gut beraten,« fuhr Duramberty fort, »aber jetzt kann sie das Spekulieren nicht mehr lassen. – Die Schule kostet ein Heidengeld. – Für das neue Schuljahr haben sich schon sechzig Kinder angemeldet. – Ich habe das alles von einer der Damen erfahren, die etwas zugänglicher ist, wie die anderen.«

»Madame Pirnitz?«

»Nein, die Heurteau, die früher staatlich angestellte Lehrerin war. – Sie rechnet fünfhundert Francs Unkosten pro Jahr und Kopf. – Das Geld der alten Dame wird reichen, solange das Unternehmen sich in den bisherigen Grenzen hält, aber sie träumt davon, es noch mehr auszudehnen. Und wenn Michel einmal Fiasko macht – – – «

Er hielt mitten im Satz inne und kaute an seiner Cigarre.

Minot und Quignonnet sagten kein Wort. Es interessierte sie lebhaft den einflußreichsten Mann des Orts so offen über diese Sachen reden zu hören, was sonst ganz gegen seine Gewohnheit war.

»Mir ist diese Art von Frauen unsympathisch,« fuhr er fort, »ich habe ihnen geholfen, so weit es in meinen Kräften stand. Ohne mich wäre ihre Schule niemals zustande gekommen. Ich habe einen Freiplatz bei ihnen gegründet, ich habe ihnen mein Personal für einen unentgeltlichen Kursus zur Verfügung gestellt. Aber sie lehnten mein Anerbieten ab unter dem Vorwand, daß männliche Lehrkräfte nach ihrem Programm ausgeschlossen wären. – Es ist die reine Manie, diese Frauenbewegung. – Frauenbewegung? – was soll das überhaupt heißen? – Ich sehe vollkommen ein, daß die Frauen sich auf anständige Weise ihr Brot verdienen möchten. Sie brauchen sich aber deshalb doch nicht gleich mit der ganzen Gesellschaft auf Kriegsfuß zu stellen.«

»Es sind alberne Frauenzimmer,« sagte der Abbé, den dieser Ausdruck sehr zu befriedigen schien.

»Sie haben es in dieser kurzen Zeit schon fertig gebracht, alle Sympathien zu verscherzen,« meinte Quignonnet. »Der Abbé z. B. scheint ihnen nicht besonders gewogen zu sein.«

»Alberne Frauenzimmer, Monsieur Jude,« wiederholte Minot – »finden Sie es in der Ordnung, daß eine Privatschule keinen Kaplan hat? – Bei den Staatsschulen mag es ja etwas anderes sein – die Regierung – wenn auch – – – aber diese Damen wollen Christinnen sein, und doch verschließen sie dem Diener des Herrn ihre Thüre. Man sagt, sie wollen jetzt sogar Protestanten- und Judenkinder aufnehmen. Wenn ich Ihnen meine Meinung über die Frauenbewegung sagen soll – – –«

»Ja, sie sind halb verrückt,« fiel Quignonnet ein, »wenn ich denke, daß die Sainte-Parade ihre Geldangelegenheiten in Michels Hand gelegt hat.« –

»Anarchisten sind sie,« fuhr Minot fort, »Anarchisten schlimmster Sorte, sie wollen Ehe und Familie abschaffen, die ganze heutige Gesellschaft umwälzen. Und ihr Anarchismus ist um so gefährlicher, weil sie ihn ihren Schülerinnen von früh an einimpfen – Sie werden schon sehen, was dabei herauskommt. Bei Ihrer einflußreichen Stellung ist es einfach Ihre Pflicht, die Schule zu schließen oder Ihre Leitung selbst in die Hand zu nehmen.«

»Brav, Abbé,« sagte Quignonnet. Aber Jude Duramberty schüttelte den Kopf.

»Eine Schule schließen oder die Leitung selbst in die Hand nehmen. – Das ist leichter gesagt wie gethan. Erstens, haben wir einfach nicht das Recht dazu. Und selbst, wenn sich das umgehen ließe, so würden wir die Anhänger der Schule, d. h. die Eltern gegen uns haben.«

»Es sind doch fast lauter Waisen?«

»Nicht alle. Anfangs ja, aber die Neuangemeldeten haben zum größten Teil Vater und Mutter.«

»Ja, was dann?« fragte Quignonnet, »man kann es doch nicht zulassen, daß sämtliche Bezirksschulen leer stehen und alles diesen verrückten Weibern zuläuft.«

»Ich habe meine Gründe, anzunehmen, daß die finanziellen Schwierigkeiten bald über sie hereinbrechen werden. Man könnte darüber Erkundigungen einziehen. Sie, Quignonnet, sollten einmal versuchen, herauszubekommen, wie Michels Angelegenheiten stehen. Ich habe gehört, daß er momentan in amerikanischem Korn spekuliert. Und das scheint mir ein wahnsinniges Risiko zu sein.«

»O, das werde ich leicht erfahren können.«

»Ferner müssen wir anfangen, Propaganda zu machen, um unsere Schulen zu verteidigen – haben Sie irgend ein Blatt zur Verfügung Abbé?«

»Ja, die Semaine de St. Charles. Es ist ein harmloses, kleines Kreisblatt. Aber man könnte immer ein Paar Artikel darin loslassen, die die große Presse dann abdrucken wird.«

»Über unsere Schulen?«

»Nein über ihre. Ich hätte es schon längst gethan, aber ich fürchtete, es möchte Ihnen nicht recht sein, Monsieur Jude. – Sie können sich auf mich verlassen. – Und außerdem könnte man die Sache auch noch mündlich zur Sprache bringen.«

»Mündlich?«

»Nun ja in kleinerem Kreise natürlich – sich darüber aussprechen, wie man über diese Schule und ihre Tendenz denkt, – – – Ich kenne hier genug kleine Rentiers, denen diese Brutanstalt des Anarchismus ein Dorn im Auge ist.«

»Noch dazu des kosmopolitischen Anarchismus,« kam Quignonnet ihm zu Hilfe, »Die Gesellschaft ist ja aus aller Herren Länder zusammengekommen – eine Ungarin, eine Irländerin u. s. w.«

»Sehr richtig,« fuhr der Abbé fort, »die Schule ist antipatriotisch und antisocial – jetzt habe ich meinen Artikel in der Semaine ›Die Schule, losgelöst von Staat und Gesellschaft, die Ideen der Frauenbewegung ins Praktische umgesetzt‹ – – Ja, ja, die Frauenbewegung – ich werde in der Katechismuslehre darüber reden, wenn die Eltern zugegen sind. Da soll ihnen angst und bange werden.«

Duramberty und Quignonnet lachten.

»Nun, wie dem auch sei,« schloß der Abbé, während er sich erhob und den Hut mit dem Ärmel abbürstete, »sie haben doch manche ganz vernünftige Sachen in ihrem Programm. Wenn das ganze vom Geist der Kirche durchdrungen wäre, könnte es eine famose Schule geben. Das habe ich schon oft zu unseren guten Schwestern gesagt. – Aber ich muß jetzt gehen. Man erwartet mich schon seit dreiviertel Stunden im Kloster.«

Er verabschiedete sich. »Auf Wiedersehen, Abbé,« sagte Duramberty.

Quignonnet ging mit dem Abbé bis an die Thür und flüsterte ihm zu:

»Also, abgemacht, nicht wahr – ich rechne auf Sie.«

Duramberty und Quignonnet unterhielten sich eine Zeit lang über geschäftliche Angelegenheiten. Dann legte Quignonnet seine Papiere zusammen und begleitete Monsieur Jude bis zur Fabrik.

»Kennen Sie diesen Michel?« fragte Duramberty.

»Wir haben ein paarmal geschäftlich miteinander zu thun gehabt. Er ist ein gescheiter Kerl, aber er muß irgend ein kostspieliges Laster haben; denn er verdient viel Geld und wird doch nicht reicher – er hat als – als Teilhaber einen Notar aus Levallois, der einen ziemlich schlechten Ruf hat – Es hieß voriges Jahr schon einmal, er sei durchgebrannt. Das Gerücht erwies sich schließlich doch als unwahr.«

»Ich habe ihn nur einmal gesprochen,« sagte Duramberty, »als wir bei Mlle. de Sainte-Parade den Kontrakt aufsetzten – er machte mir einen geriebnen aber zugleich etwas ängstlichen Eindruck.«

»Wie all diese Leute, die nicht gern andre in ihre Geschäfte hineinsehen lassen.«

»Nun, und damals habe ich unter der Hand Erkundigungen über die Art und Weise einziehen lassen, wie er die Angelegenheiten der alten Dame handhabt. Man hat ihm keine Unkorrektheiten nachweisen können. Er macht die wahnsinnigsten Spekulationen, aber bisher ist alles gut gegangen. Und jetzt thut sie alles, was er will. Ich glaube, sie würde ihr Geld sogar in die Seine werfen, wenn er es für zweckmäßig hielte.«

»Ganz dasselbe hat man mir auch gesagt. Beschwindelt scheint er sie nicht zu haben – aber so recht klar ist die Sache doch nicht –«

Als sie um die Ecke der rue des Bergers bogen, begegneten ihnen zwei kleine Mädchen aus der Pirnitzschule.

»Niedlich sind sie, das muß man ihnen lassen,« murmelte Quignonnet.

»Ja, das wird einmal eine schlimme Konkurrenz für die Männer, wenn sie fertig ausgebildet sind,« antwortete Duramberty und fügte nachdenklich hinzu: »Die Männer verdienen schon jetzt kaum soviel wie sie brauchen – – – die Frauenbewegung ist grausam. Sie verdoppelt die Zahl der Bewerber, während die Zahl der leeren Stellen sich gleich bleibt. Auf diese Weise wird das Elend immer größer. –«

»Bah,« sagte Quignonnet, »ich glaube nicht daran, daß die Frauen jemals ernstlich mit uns rivalisieren werden. Sie pfuschen uns höchstens ins Handwerk, Sie werden gewiß schon in Ihrer eigenen Fabrik beobachtet haben, Monsieur Jude – eine Frau bringt in derselben Zeit doch immer höchstens dreiviertel von dem fertig, was ein Mann leistet.«

»Unsere jetzigen Frauen, ja – aber das Weib der Zukunft, das anders erzogen, von vornherein auf den Kampf vorbereitet wird, wie diese Kleinen – die beiden Sûriers z. B. leisteten bei mir genau so viel, wie die tüchtigsten männlichen Angestellten.«

»Nun, um so schlimmer für die Frauen selbst,« erwiderte Quignonnet, »denn von dem Moment an, wo die Männer ihre Konkurrenz fürchten, werden sie dagegen Front machen. – Das ist gewiß.«

»Sie haben recht,« sagte Duramberty, »solange sie nicht die gleiche Muskelkraft wie die Männer besitzen, können sie sich in einen ernsten Kampf mit ihnen nicht einlassen!

Sie hatten jetzt die Fabrik erreicht.

»Auf Wiedersehen, Quignonnet,« sagte Duramberty.

»Es war mir ein großes Vergnügen, Monsieur Jude.« –

Duramberty trat durch eine kleine Seitenthür, zu der nur er den Schlüssel hatte, auf den Hof der Fabrik.

Der große fünfeckige Platz war nur durch eine Mauer vom Schulhof getrennt, der in diesem Augenblick still und verlassen dalag.

Als er dann in seinem Arbeitszimmer war, trat er ans Fenster und blickte auf den Schulhof hinaus.

Die Uhr schlug gerade Fünf. Ein kleines schwarz gekleidetes Mädchen mit rotem Gürtel zog jetzt die Glocke, um zur Erholungspause zu läuten. Gleich darauf strömte die ganze Kinderschar lachend und jauchzend in den Hof. Das Vesperbrot wurde verteilt, und dann wurden unter Aufsicht einer Lehrerin allerhand Bewegungsspiele arrangiert. Der Fabrikbesitzer verfolgte das lustige Treiben mit sichtlichem Interesse.

Jetzt, wo er allein war und sich keinen Zwang aufzulegen brauchte, nahmen seine Züge einen nervösen, gequälten Ausdruck an.

Dann setzte er sich an den Schreibtisch – es war derselbe Platz, wo vor etwa zwei Jahren jene seltsame Unterredung mit Friederike Sûrier stattgefunden. Kurz nachher hatten dann die beiden jungen Mädchen die Fabrik für immer verlassen.

Und jetzt wohnte sie dort drüben, ganz in seiner Nähe. Nur eine Mauer trennte die beiden Höfe voneinander. Aber trotzdem er mehr als einmal – meist unter irgend einem geschäftlichen Vorwand – versucht hatte, die Beziehungen zu ihr wieder anzuknüpfen, wußte sie jede Begegnung mit ihm zu vermeiden, indem sie entweder die Pirnitz oder die Heurteau vorschob. – Es war ihm nicht gelungen, sie auch nur ein einziges Mal persönlich zu sprechen.

Dieser hartnäckige Widerstand reizte sein Verlangen nur noch mehr und erbitterte seinen Stolz. Er war gewohnt, keinen anderen Willen neben sich zu dulden.

Nun, wir werden schon sehen,« murmelte er, »ich bin bis jetzt noch viel zu nachsichtig gewesen.«

Dann zwang er sich gewaltsam, an andere Sachen zu denken.


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