Wilhelm Raabe
Deutscher Adel
Wilhelm Raabe

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Dreizehntes Kapitel

Das Blatt zitterte in der Hand des jungen Mädchens; auf dem Bette wendete sich der Pulvererfinder auf die andere Seite und murmelte:

»Zwanzigtausend Schachteln. Rechnen wir den Peso de Plata zu einem Taler... Stimmt doch nicht! Lumperei – zehn Silbergroschen; – zwanzig – zwanzigtausend Schachteln, zwanzigtausend Pesos! Hierher, Wassermann, – mach dein Kompliment den Herren und zeig, daß du rechnen kannst. Wie nehmen Sie den Dollar, Señor?«

Der Hund hatte auf den Anruf hin den Kopf gewendet, aber er ging nicht zu dem Bette, sondern hielt sich womöglich noch dichter zu der jungen Dame am Fenster und schien in deren Mienenspiel lesen zu wollen als ein kluger Hund, der wirklich das Rechnen verstand.

»Das Datum! – o das glückselige Datum!... der Poststempel! Sonnabend – Sonntag – am Montag – o Gott, das ist ja alles einerlei – siehst du wohl, du närrischer Hund, hab ich es dir nicht immer gesagt, daß wir zuletzt doch nicht auf uns allein angewiesen wären?«

Die Sonne schlüpfte weiter, d. h. die Erde, die alte Wolkenversammlerin, tat's auf ihrem Wege um die Sonne; aber auch das war ganz einerlei: Fräulein Natalie Ferrari im Weitergleiten durch die Drangsale des Erdenlebens hatte sich lange nicht so leicht getragen gefühlt als in diesem Augenblicke, wo ihr junger Nacken so schwere Last zu schleppen hatte. Sie wünschte nicht mehr, einzuschlafen, um nicht wieder aufzuwachen; aber sie mußte sich unbedingt setzen. Aus dem Kämmerchen nebenan kam wiederum die wüste Stimme, die ihren Namen mit dem leer-kindischen Tone ärgerlicher Verstörtheit rief:

»Gib mir zu trinken, Natalie! Dreißigtausend Schachteln – dreißigtausend Etiketten – Professor Ferrari!... Don Pablo Ferrari! O ich will wieder nach Amerika – nach Mexiko – in die Sonne; aber – zu trinken will ich – hörst du denn nicht, Mädchen?«

»Gleich, Papa! Da bringe ich dir schon ein Glas Wasser. O, habe nur Geduld – nur noch eine kurze Zeit Geduld, lieber Papa –«

Der Vater hatte sich halb aufgerichtet und das dargereichte Glas genommen. Er trank und zuerst mit großer Gier.

»Aguardiente!« schrie er plötzlich und schleuderte das Glas in weitem Bogen durch die Tür in das Zimmer, dicht an der Schulter seines Kindes vorbei.

»Verflucht sei die ganze dumme Welt!«

»Nanu?!« sagte Gott sei Dank in demselben Augenblick eine Stimme, deren Nachhall wir noch nicht aus den Ohren verloren haben. Und dahinterher oder besser darüberweg und über die Schulter Butzemann seniors weg rief Achtermann matt entsetzt:

»Aber, mein Gott?... Fräulein?... mein guter Paul!«

»Stille, Achtermann, Vetter – Schwiegerbruder! Wenn's denn einmal sein soll, denn aber auch feste. Vivat die Division Kummer! Und nun sagen Sie mal, Sie alter Bazaine da auf dem Bette, sind Sie denn reinewegs verrückt geworden, daß Sie zu allem andern mir hier so noch mit's kostspielige Inventar herumschmeißen?«

Der Papa Ferrari saß aufrecht auf dem Bette seines Kindes; er hob auch die Beine wieder herunter und starrte die beiden Männer nichtssagend an. Achtermann trat zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter:

»Lieber Freund – wir sind es. Beruhige dich nur, du wirst auch teilnehmen, wenn ich dir sage –«

»Sagen Sie gar nichts, Vetter«, schnarrte Butzemann; geben Sie einfach dem Fräulein den Brief vom Herrn Doktor Wedehop und lassen Sie mir das übrige bemerken. Ich habe schon drüben vom Fenster aus meinen Trost an Ihnen gehabt, Fräulein Ferrari. Da steht die Dame und sieht her, habe ich mich gesagt; und jetzt werden Sie bemerken, Fräulein: Det ging ja rascher, als ich dachte, Herr Butzemann! – Ja, gottlob; es ging glatter und schlanker ab, als ich selber dachte. Fragen Sie nur Achtermann; – mein Junge sitzt bei ihr, und ich habe ihm schon gesagt: ›Na, Junge – Louis – denn bin ich hier ja wohl nicht mehr nötig; – ich danke für Kuchen, aber ein Glas Wein nehme ich wohl noch mit auf den Weg, und zwar auf Ihr Wohl, Madam Achtermann.‹ – ›Auf Ihr Wohl, Herr Butzemann, und auf lange glückliche Jahre, Herr Butzemann‹, sagt sie; und so stoßen wir an und unterdrücken alle Ahnungen davon, daß wir wohl noch manch liebes Mal miteinander anstoßen können. Aber das Eisen schmiede ich doch, solange es warm ist, und meine: ›Dies ist der glücklichste Moment meines Lebens, Meta, und du, Louis, und Sie, Madam Achtermann, und du, alter Schulkamerad Karl Achtermann, und jetzt tun Sie mir auch einen Gefallen, Mama und Frau Schwester, und schicken Sie auch auf der Stelle ein Stück von diesem glückseligen Verlobungsnapfkuchen nach drüben zum Fräulein Natalie und machen Sie mich kein Gesicht dazu wie die Katze, wenn sie in den Blitz sieht.‹ – Ich versichere Sie, Fräulein; sie sieht mich an und ruft: ›Achtermann, en Stück von die Vossische!‹ – Das habe ich denn selber in der Tasche, und – auf meine Ehre, sie wickelt mir mit einem Blick von Liebenswürdigkeit ein, wie ich nicht vor möglich gehalten habe, und spricht: ›Da! Und grüßen Sie das Fräulein recht schön von mir, und du, Achtermann, bring ihr nur dem Doktor seinen Brief und bestelle mein höfliches Kompliment, und Meta hätte endlich ja gesagt und wäre eine glückliche Braut, und – Fräulein Ferrari wären zur Hochzeit freundlichst gebeten!‹ – Sehen Sie, Fräulein Ferrari, so verbessern die glücklichen Momente im Dasein die Stimmung der Menschheit, und mein alter Kamerad Karl Achtermann wird von heute morgen ab nicht mehr an die Tür umgeholt, wenn er Ihnen ein gutes Wort bringen will. – Meinen Lümmel von Jungen kenne ich gewiß nach allen seinen Verdiensten; aber das hätte ich mir doch nicht eingebildet, daß er auch in die Richtung auf Sie, Fräulein Natalie, mal brauchbar werden könnte.«

Die junge Dame reichte diesem vierschrötigen wahren Freunde die Hand, dem Freunde Achtermann hätte sie nur zu gern die andere gegeben; aber in der hielt sie schon den Brief Wedehops, und der Leihbibliothekar war auch zu angsthaft um seinen Freund Paul Ferrari beschäftigt, um ihr was anderes als den Rücken zuzukehren.

Nicht wahr, es war der heilige Augustin, der sich immer wünschte, Christum in carne, Paulum in ore, Romam in flore gesehen und gehört zu haben? Wir unseresteils haben uns stets gewünscht, einmal so recht unsern Freund Wedehop in flore, im Flor, in seiner Blüte zu erblicken, und hier – endlich – in und mit diesem seinem Briefe gelangen wir zur Erfüllung unseres Wunsches; und der Genuß wird wahrlich dadurch nicht geringer, daß wir dabei unserer Freundin Natalie über die Schulter zu sehen haben.

 
»Grauer, nichtswürdiger, internationaler, alter
Welt- und Allerweltsliteraturverplemperer!

Dich werde ich mir kaufen. Ich, der ich, die Götter wissen es, wenig für Luxusartikel auszugeben pflege, ich werde mir diesen Luxus gestatten. O Du heilloser alter Uhu, mußt Du Deinen dürren Federvieh-Schatten langgestreckt auch über anderer Leute kärglichen Sonnenschein wegwerfen? Dich könnte man wahrhaftig als Zeiger auf eine Uhr des Verdrusses hinstellen; aber – ich werde Dich jetzo mit Deiner Erlaubnis ein wenig richtigstellen, alter Junge. Heule mir morgen mehr! Nehme ich es einer Nachtigall nicht übel, wenn sie mir im hellgrünen Frühlingswalde auf den Hut –, so kannst Du mir lange mit den Äußerungen Deiner bänglichen Natur und Seele (wofür Du, die Sache philosophisch genommen, doch nichts kannst!) gewogen bleiben. Übrigens komme ich soeben mit dem Winckelspinner vom Hirsch herein und finde Deinen Brief; verzeihe also gütigst, wenn in meiner Rückantwort dann und wann noch einiges vorkommen sollte, was Dir nicht in den Katalog paßt – Deiner Begriffe von Rücksichtsnehmungen und Zartfühligkeiten nämlich. Jedem Stern, der sich schneuzt, mein Taschentuch zu leihen, dazu bin ich zu zartfühlig und habe zu sehr mein Behagen daran. Wozu gehen wir Könige in die Tragödie, wozu haben wir Aristokraten unsere Loge im Welttheater, als um unseresgleichen im Pech zu sehen und also des täglichen Spaßes der Unsterblichen an unseren Feiertagen teilhaftig zu werden!?... Den Frühschoppen, den Du mir heute versäuert hast, werde ich Dir gedenken; von Rechts wegen müßte ich Dir dafür Deine süße Meta noch gut anderthalb Jahre länger auf dem Halse lassen.

›Um Christi willen, junger Krieger, sind Sie verrückt geworden?‹ fragte Winckelspinner, als wir in sein Gartenhaus treten. ›Was Teufel ist Ihnen denn auf einmal in die Rekonvaleszenz gefahren?‹

Ich für mein Teil sehe Deinen dummen Brief, den ich freilich besser erst selber hätte lesen sollen, in der Hand der Frau Professorin und sehe sie selber an:

Alle Hagel, er krächzt!... Der Unglücksvogel hat gekrächzt! Und ich bin ein Esel gewesen und habe den beiden Kreaturen sein Gekrächze im Kuvert hingeschickt und bin mit dem Winckelspinner nach dem Hirsch hinausgestiegen, um mir endlich einmal wieder die Sonne auf die Glatze scheinen zu lassen!

Heilige Schwerenot, ich sehe den Jungen an und die Frau und dann nach einer dringenden Aufforderung Dich – nämlich in Deinem Briefe. Leihbibliothekarisches Ungeheuer, habe ich darum auf die Anfertigung von Originalmanuskripten verzichtet und mich auf die Übersetzerei vom Unsinn anderer Leute geworfen, um Dir und mir, und dem Jungen und der Frau, die Familie Winckelspinner gar nicht gerechnet, durch ein ganzes Buch erstgenannter Literatursorte die vernunft- und verstandesgemäße Einreihung verschobener Ideen und Anschauungen ins große Weltganze jetzt frisch besorgen zu müssen?!

Mensch, ich liefere Dir das Manuskript – originalissime; – zeige es aber keinem Menschen, Fräulein Natalie Ferrari ausgenommen, – beim Verlust von drei Vierteln deiner Abonnenten.

Ja, grüße die kleine Heldin und sage ihr, zwanzigtausend Wedehöppe sehen in diesem Augenblick durch die Brille des einen, den sie vorhin von seinem Frühschoppen aufgestört hat, auf sie, und rufe ihr ins Gedächtnis zurück, daß für ein Mädchen, zu Ehren und im Rechte Evas, die Nase, die sie im Gesichte trägt, wichtiger ist als alles, was ihr um dieselbe spielen oder auf derselbigen tanzen kann. Ferner, daß dem Menschen soundso viel behagliche Augenblicke für seinen Wandel im Irdischen zugeteilt sind und daß es nicht das geringste hilft, sich dergleichen durch Planmachen, Selbstvorwürfe, Nachgedanken und allerhand sonstige Künstlichkeiten selber anfertigen zu wollen. Ferner, quanto mas moros, tanto mas honores – je mehr Mohren, desto mehr Ehren (Nb. ein spanisch Sprichwort, wie denn diese edlen Spanier mit ihrer Spruchweisheit überhaupt gar nicht zu verachten sind), womit ich übrigens auf die Hauptsache, nämlich unsern ganz speziellen Mohren, meinen braven Freund Pablo, die schwarze Seele, kommen werde. Da wir binnen kurzem nun doch wieder bei Euch anlangen werden, so ist im Grunde wenig mehr darüber zu sagen, als – gebt ihn Butzemann in die Kost, d. h. wendet Euch in allem, was ihn betrifft und womit er Euch das Leben sauer macht, an Butzemann und fragt den um Rat, bis ich wieder bei Euch bin, um seine Pflege zu übernehmen.

Sämtliche Auslagen werden eins ins andere gerechnet. Du weißt, Achtermann, daß es eine Zeit und in derselben mehr als ein Quartal gegeben, durch welches der ›gute‹ Paul mich mit durchzufuttern hatte. Er hat – gottlob! – häufig genug seinen letzten Kredit mit mir geteilt, und daß er mit seinem Wechsel auf das Ganze dieses erbärmlichen fidelen Daseins ein wenig früher fertig geworden ist als wir anderen, wollen wir ihm, seiner mannigfaltigen sonstigen guten Eigenschaften wegen, freundlich zugute halten. Mittelstraße Nr. 23 im vierten Stock wohnt die Witwe eines königlichen Tafeldeckers mit dem ominösen Namen Dambach, sie hat die Schlüssel, nämlich zu meinen Gemächern, und ersuche ich Dich inständigst, mein ›Guter‹, sofort einmal nachzusehen, zu welchen von hier aus leider nicht zu überblickenden Zwecken die gelbliche Person sie – meine Appartements meine ich – augenblicklich verwendet. Laß es auf den Schopenhauerschen Kriminalprozeß ankommen; schmeiß alles heraus, was nicht hineingehört, denn mir schwanen Monstrositäten weiblich-wirtschaftlicher Unverschämtheit in dieser Hinsicht. Nur wenn Du die Person selber hinauszuwerfen hättest, so mäßige Dich a posteriori. Das unsterbliche Wort: obit anus, abit onus ist doch nur ein vergänglicher Trost gegen eine rechtskräftige zwanzigjährige Veralimentierung eines gebrochenen Armes wegen; den Hals darfst Du der Bestie meinetwegen dreist brechen. Doch nun zum Wichtigeren! Sieh Dich um in den ›Salongs‹! Spaßhafter, silberbärtiger Literaturtrödler, main basse auf den Trödel! Nb. soweit ihn die verführerische Witwe Dambach nicht als ihr Eigentum in Anspruch nimmt. Für sämtliche anwesende fremdländische Unterhaltungslektüre und sonstige schöne Wissenschaften (bergehoch in dem Ofenwinkel!) wirst Du selbstverständlich selber den höchsten Preis zahlen. Altes Silber, goldene Tressen und Pretiosen werden wahrscheinlich erst gesucht werden müssen (brich nur den Kleiderschrank auf, wenn die Wittib den Schlüssel nicht gutwillig hergibt!) – meine Autographensammlung liegt in meinem Schreibtisch in der Schublade linker Hand in einer Kollegienmappe und ist sicherlich das Ihrige dem Liebhaber wert. Du findest Eure beliebtesten deutschen Lieblingsschriftsteller ziemlich vollständig von About bis Miß Yonge vor. Los auf die Verfasserin des ›Erben von Redclyffe‹, Achtermann! Versilbere die englische Maid, versilbere Dumas fils, versilbere den Marquis von Foudras und M. Xavier von Montepin, versilbere Mrs. Oliphant und gib Ouida in den Kauf. Baroneß Tautphoeus wirst Du, wenn ich nicht irre, gleichfalls finden; versilbere sie und vergiß mir vor allen Dingen nicht, Miß Thackeray zu versilbern. Für Madame George Sand findet sich sicherlich jemand, der was aufwendet; auf Turgenjew brauche ich Dich wohl nicht erst aufmerksam zu machen! Was meine Garderobe anbetrifft, so ist Scholem nomine Brühl noch vorhanden: ich ersuche Dich aber dringend, dem lateinischen Juden ja scharf genug mit meinem Zorn (Verachtung hilft bei ihm nicht!) an die Nieren zu gehen; – er kennt mich aber seit längeren Jahren, und mehr brauche ich nicht zu sagen. Gib ihm die Versicherung, in vierzehn Tagen sei ich wieder zu Hause, um ihm im Notfall als Engel über den Hals und an die Hüfte zu geraten und ihn von der Furt Jabbok und der Stätte Pniel lendenlahm und hinkend nach Hause zu schicken.

Karl, durch eigene Schwere drückt das Genie die Welt herunter und sich in das Gedächtnis der Menschen. Versilbere dreist alles, was nicht zu mir gehört. Komme ich nach Hause, so werden die Talente sämtlicher europäischer Nationen mit all ihren möglichen und unmöglichen Beilagen und Beigewichten sich es zur Ehre rechnen, mir während meiner Abwesenheit aus Eurem Kreise munter fort in die Taschen geschrieben zu haben. Fräulein Natalie soll nicht lachen, obgleich ich sie gar zu gern lachen sehe. ›Dazu bin ich zu sehr Dame‹, sagte neulich verschämt mein Freund Butzemann senior, als man ihm zumutete, eine heikle Geschichte nachzuerzählen; aber – ich – ich bin zu nichts zu sehr Dame! Mit verdoppeltem Eifer werde ich fortarbeiten an der Weiterbildung meines Volkes – des deutschen nämlich.

Aber nun im Ernst, mein guter Achtermann (Du siehst, ich unterstreiche dann und wann auch wohl einmal!), Dein Brief kam mir im höchsten Grade widerwärtig; aber da er leider auch durch eigene Schwere wirkt, so mußte er eben wohl geschrieben werden, und ich erteile Dir hiermit bedingungslose kritische Absolution. Die zwei andern werden dir ihre Gefühle zarter ausdrücken...

Verrückt war er immer. Und wenn er früher der Gesellschaft seine eigenen Kunststücke vormachte und jetzt unsern guten Wassermann die seinigen in den Kneipen produzieren läßt, so sehe ich dabei keinen Unterschied. Helfen kann hier nur Freund Butzemann senior. Bis wir nach Haus kommen, wird in Butzemanns Keller dem armen Teufel Lokal und Publikum (letzteres gewählt!) zur Verfügung gestellt. Das Herumlaufen in der Stadt hat natürlich aufzuhören; wenn Du aber für mich, Deinen guten Freund Wedehop, einmal eine behagliche Stellung als Direktor einer Anstalt für Nervenkranke und Geistesabwesende ausfindest, so lege augenblicklich die Hand darauf. Ich bin der Mann dafür.

Wenn dieses manuskriptale Schreiben bei Dir anlangt, so ist das liebe Kind, der sanfte Louis, sowie Deine Meta und Deine teure Frau wahrscheinlicherweise bereits unschädlich gemacht, und die beiden letzteren werden Dir nicht mehr so scharf wie sonst auf die Wege passen.

Alter, Du wirst dafür sorgen, daß unsere Republik unter gegenwärtigen trostlosen Zuständen den möglichst geringsten Schaden erleide! Du wirst den Hund Wassermann und den Pulvererfinder Don Pablo Ferrari allabendlich abholen und nach Butzemanns Keller dirigieren. Du wirst Bravo klatschen und zum erstenmal aus Deinem eigenen Dasein ein Gedicht machen, alter Romantiker. Butzemann senior, der in letzterer Hinsicht von jeher mehr geboten hat, als ihm die Welt- und Literaturgeschichte über ihren Heroen, Goldlack und Sonnenuntergängen zutrauten, sammelt, d. h. er macht die Menschheit, oder wenn Du in diesem Falle lieber willst: das Publikum, dem armen Teufel gegenüber so unschädlich als möglich. Es steht mancher Weise in Erz und Bronze auf unseren Märkten, aber Regenschauer, Philisterwitz und üble Nachreden gehen an keinem von ihnen so machtlos vorüber wie an meinem Freund Butzemann. Daraufhin kenne ich ihn.

Was aber nun fangen wir mit dem Kerl, dem Paul, nachher an? Wie gehen die Nächte hin mit dem Menschenkinde, bis wir wieder bei Euch sind? Das ist die Frage, vor der selbst die Frau Professorin in ratlosem Zittern steht.

›Ich fahre morgen früh und reise die Nächte durch!‹ brüllte der Narr, mein M. Ulric. Ich aber sage, Ihr werdet, bei Euren Köpfen, dafür sorgen, daß er nie anders als hängend zwischen Dir, Achtermann, und meinem Freund Louis nach Hause kommt. Ich nehme die Folgen davon auf mich. Der Mensch, der seinen eigenen Körper wie eine Flöte zu spielen weiß, kennt auch im großen und ganzen die Griffe auf jedem andern Instrument. Wassermann liegt dann vor dem Bett, und zwar ohne Maulkorb. Fräulein Natalie schläft in ihrem Stübchen auf dem Sofa, und Du, Achtermann, schläfst mir gar nicht, außer bei Tage in Deinem Geschäftslokal. Du achtest mir auf das Fenster gegenüber und hast Deinen und des Kindes Hausschlüssel sofort zur Hand. Die Wüste dieser Welt ist groß; aber die Sphinx oder der Sphinx, der nur mit der Nase aus dem Sande und seinen Wirbeln aufragt, ist doch noch größer als die Wüste. Bitte, bilde Dir gütigst die nächsten Nächte durch einmal ein, Du seiest solch ein Sphinx, und bleibe uns wach!

Das beste bleibt, wir kommen so rasch als möglich.

Dein
Wedehop.«        

Natalie Ferrari legte die Stirn an die Fensterscheiben und weinte. Es war aber ein adelig stolzes Gefühl von Kraft und Weisheit in den Tränen und in dem Überlegen, wieviel Kraft und Weisheit doch unter den wunderlichsten Hüllen rundum auf Erden sitze, gehe und stehe und überall lächelnd die treue offene Hand herhalte.


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