Wilhelm Raabe
Hastenbeck
Wilhelm Raabe

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Siebentes Kapitel

Herr Heinrich Stegmann mit seinem Buche: »Die Fürstlich Braunschweigische Porzellanfabrik zu Fürstenberg«, hat die Quelle aufgegraben, aus der ein Bächlein, verhältnismäßig am hellsten, lieblichsten und hoffnungsreichsten, in das blutige Jahr siebenzehnhundertsiebenundfünfzig und unsere Geschichte hereinspringt und seinen Weg durch die wilde Welt sucht. Die deutsche Literaturgeschichte gibt uns hoffentlich einmal das Zeugnis, daß wir uns immer an die richtigen Quellen gehalten haben, um unseren Freunden einen klaren, erquicklichen Trank zu schaffen.

Dieser Schaumburg-Lippesche Tongelehrte hat über künstliche und kunstlose Töpferarbeit in diesem Erdenwinkel mehr zur Sache beigebracht, als irgend ein Braunschweiger sich je träumen ließ, daß darüber in Europas Archiven vorhanden sein könne. Wenn er dabei auf die Dankbarkeit der Welt gerechnet hat, wünsche ich von Herzen, daß er sich nicht getäuscht haben möge: die unserige bleibt ihm sicher.

Die unserige! Das ist an dieser Stelle kein Pluralis majestatis: die Leser, auf die wir rechnen, sind samt und sonders mit eingeschlossen in diesen Plural; denn wo sollten sie, das heißt wir, etwas von Blau-, Figuren- und Blumenmalen und im besonderen von einem Blumenmaler Pold Wille auf Schloß Fürstenberg wissen, wenn uns da nicht die Wissenschaft auf die Sprünge geholfen und zu weiteren Forschungen angetrieben hätte? Doch haben wir dem Geschichtschreiber der Fürstlich Braunschweigischen Porzellanfabrik auf Schloß Fürstenberg sein Recht gegeben, so soll das nun auch dem Gründer zuteil werden.

Serenissimus Dux, Herr Karl von Braunschweig und Lüneburg! Was wäre unsere Historie von Daphnis und Chloe, von Pold Wille und Hannchen Holtnicker ohne den?

Das war auch so einer von den großen Herren damaliger Zeit, welche den Kopf im Lichte hatten, die Stirn hochaufgerichtet der Sonne zutrugen, aber in ihren Stiefeln oft recht tief in dunklem Schmutz und Schlamm, wenn nicht gar Blut, standen und göttergleich ruhig hindurchwateten.

Bei ihm zu Lande weiß man heut wenig anderes von ihm, als daß auch er seines Landes Kinder so teuer als möglich geschätzt und sie demnach zum höchsten Preise an die Engländer für ihren Bedarf gegen den Kongreß zu Philadelphia und den General Washington losgeschlagen habe. Man läßt, wie anderwärts, auch dort ein wenig zu sehr außer Betracht, daß der Rechen, der heute das abenteuernde Volk von der Landstraße in die Gefängnisse und Arbeiterkolonien zusammenkehrt, es damals zu der Werbetrommel brachte und das Volk auf den Ackerfeldern und in den Werkstätten ziemlich unbehelligt ließ – freilich erst nach dem Hubertusburger Frieden. Halten wir uns daran, daß Herzog Karl, des Namens der Erste, es gewesen ist, der seinem »Volke« jeden Morgen sein Intelligenzblatt auf den Kaffeetisch und neben die Biersuppe legte. Was da drin im Laufe der Jahre seiner Regierung zu lesen stand, darüber brauchten seine geliebten Untertanen mehr als ihre zehn Finger, um daran ihre Segenswünsche, ihre Verblüffungen und ihr Kopfschütteln und ihre Seufzer nachzuzählen. Es ist nicht leicht, jenen damals noch viel einsamer als heute leuchtenden Gipfeln der Welt gerecht zu werden.

Aber wir erzählen dem deutschen Volke, und was geht uns die Fürstlich Braunschweigisch-Lüneburgische Regierungsverwaltung im kleinen hier an? Was kümmern uns hier des Herzogs Karl Finanz-, Medizinal-, Akzise- und Wegeverbesserungsanstalten? Was sein Armenwesen, seine Hebammenordnungen, seine Straßenpflasterung und Gassenerleuchtung? Was seine Befehle und Begünstigungen zur Verbesserung des Ackerbaues, zur Forst- und Waldbenutzung, zur Jagdbeschränkung? Was seine Vorkehrungen gegen Holzverwüstung durch Menschen und Käfer?

Es ist über alles das und hunderterlei anderes in der Geheimratsstube viel Staub von den Perücken aufgewirbelt; er soll sich aber nicht auf diesen Blättern ablagern.

Wie viele Geheime Räte, Geheime Sekretäre und Geheime Registraturen und so weiter müßten wir mit ihren Aktenbündeln aus ihren Gräbern wachrufen, um ebenso zuletzt wie Serenissimus den Kopf in beide Hände zu nehmen, ratlos über all das Wirrsal im Kriegskollegium, in der Justizkanzlei, am Hofgericht, in der Berghandlungsadministration, in der Klosterratsstube und im Hofmarschallsamt – bis über die Ohren in Schulden gegen unsere Leser, nämlich was unsere Verpflichtung, die nicht zu langweilen, anbetrifft.

Also Staub zu Staub – halten wir uns daran, daß aller Erdenstaub, wo die Sonne scheint, auch wenn sie durch das Fenster einer Geheimratsstube fällt, zu Licht- und Goldfunken wird. Es lebe Serenissimus, der Herzog Karl! Er hat nicht bloß sein Intelligenzblatt gegründet, die Stadt Braunschweig nicht nur zu einer Residenz, sondern auch durch Gründung seines Collegii Carolini zu einer deutschen Kulturstätte gemacht – er hat den heimatlosen, wilden Magister Lessing nicht bloß zu seinem Hofrat und Bibliothekar gemacht, sondern er hat wahrhaftig für seine eigene Person nicht das geringste dagegen einzuwenden gehabt, daß der Mann die Wolfenbüttelschen Fragmente herausgebe und den Hamburgischen Hauptpastor Goeze abklopfe, und – er hat nicht bloß die Porzellanfabrik Fürstenberg und dadurch die Kunst im allgemeinen ins Wesertal getragen, sondern auch ganz im besondersten dem jungen Blumenmaler Pold Wille von der Wendenstraße Gelegenheit gegeben, im Pfarrgarten von Boffzen nach Blumen, und nicht bloß für seine Teller und seine Koffee-, Tee- und Chokoladetassen zu suchen: Immeke von Boffzen, wie tanzen die Stäubchen in der Sonne und reden von des alten Herrn Cobers und des ewig jungen Herrn Gottes Wunderwagen, wenn man so ein paar alte Perücken um das nächste Stuhlbein schlägt oder nur den Staub von dem nächstliegenden Aktenbündel abbläst!


Zehn Jahre ungefähr war's her, daß zuerst in dem abgelegenen Weltwinkel Gerüchte umgingen, die das landeingesessene Volk da in Erregung, Bewegung und Aufregung brachten, wie seit Gründung von Kloster Corvey nicht mehr. Ja, ungefähr so war es wieder einmal so gewesen dort im Volk, als etwas ganz Neues in der Gegend aufkam. Hatte Kaiser Ludwig der Fromme das christliche Kirchentum wie ein Licht auf einen Leuchter in die dunkle Sollingwildnis gesteckt, so hatte nunmehr Herzog Karl von Braunschweig die Kunst hinverpflanzt. Daß der letztere hohe Gründer mehr als der erstere seinen irdischen Profit dabei suchte, läßt sich nicht leugnen, soll ihm aber von uns nicht zum Vorwurf gemacht werden. Wer Geld braucht, gewinnt es sich, trotz allem, was man dagegen reden mag, durch die Kunst, durch schöne Künste, immer noch auf die unschuldigste Weise und tut jedenfalls anderen am wenigsten Schaden durch die Art, wie er ihr Geld ihnen abnimmt. –

Es ist fein in den alten Akten nachzulesen, wieviel Mühe, Sorge und Ärger es kostete, das exotische Gewächs in dieser ostfälischen Waldwildnis zum Keimen, Blühen und kärglichen Fruchttragen zu bringen. Der Staub, der gerade über diese Gründung Serenissimi in seiner Geheimratstube zu Braunschweig von den Perücken aufwirbelte, wurde oft so undurchdringlich, daß die Sonne völlig machtlos dagegen blieb und nur ein fürstliches Je le veux! des achtzehnten Jahrhunderts eine trübe Dämmerung über dieser »Erschließung einer neuen Finanzquelle« erhielt.

Aber was geht uns das an? Serenissima, unsere liebe Leserin, fragt schon lange:

»Das soll eine Liebesgeschichte werden? Den Daphnis und die Chloe, die langweiligen arkadischen Griechen, wollte ich mir ja gerne schenken, aber erfahren möchte man doch allmählich ein wenig Genaueres von der Hauptsache.«

Und recht hat sie bis in den Kern der Welt hinein, und deshalb soll sie es auch bekommen, da wir ja auch diesmal wieder eine wahre Geschichte erzählen. –

Wer vor allen vermeinte, ihre Gründe zu haben, über das neue Wesen da oben in dem alten Schloß auf dem Berge den Kopf zu schütteln, sich Sorgen zu machen und gegen es als ein persönliches Ärgernis sich aufzubäumen, das war – die Pastorin in dem Dorfe unter dem Berge, die Frau Johanne Holtnicker, geborene Störenfreden. Mit dem allermöglichsten Respekt gegen seine Hochfürstliche Durchlaucht, den Herzog Karl, war sie doch der Meinung, daß er ein bißchen zu sehr den Kuckuck gegen sie gespielt habe, durch das buntgesprenkelte Ei, seine Porcelaine-Fabrik, die er ihr in ihren Welt-, Wald-, Dorf-, Haus- und Gartenfrieden geschoben hatte. Das Ei war es wohl weniger, was ihr zum Ärgernis wurde, als das, was aus ihm ausgekrochen war: die Abenteurer, die Alchimisten, die Laboranten und vor allem das meistens junge Volk aus aller Herren Ländern, das mit seinen Farbentöpfen und Pinseln gekommen war, um das Schöne zu dem Nützlichen zu tun. Die Blaumaler hätte sie sich wohl noch gefallen lassen, das waren solide, brave Burschen, die in ihren Malstuben über ihre Tassen und Teller gebückt saßen und sich draußen nach nichts für ihre Künstlichkeit umzusehen brauchten. Aber die Figuren- und Blumenmaler das waren die Schlimmen, die ihr das Leben verdrießlicher machten, als es Serenissimus vor sich verantworten konnte!

Nicht alle natürlich. Auch unter ihnen gab es wackere Leute, die sich oben auf ihrem Berge bei sich zu Hause in ihrer Arbeit hielten, keine Sehnsucht nach neuen Mustern für ihre Kunst in sich verspürten, sondern sich an ihre guten Muster hielten für ihren Tagelohn und dabei redlich tagein, tagaus blieben bis zum jedesmaligen Feierabend. In den Dorfkrug am Abend kam ja die Frau Pastorin nicht, um dort ihrer Bravheit, Nüchternheit und Solidität auf den Zahn zu fühlen. –

»Gastfrei zu sein, vergesset nicht, denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt«, schrieb Sankt Paulus als seinen guten Rat an die Hebräer, und wahrlich, auch das Pfarrhaus zu Boffzen ist jederzeit dem Wort getreulich und christlich nachgekommen und hat sich also auch nicht vor den Engeln, die möglicherweise sich inkognito auf Schloß Fürstenberg aufhalten konnten und fast täglich bei der Frau Pastorin, dem Pastor und – dem Pastorentöchterlein vorsprachen, verschlossen halten können. »Leider!« wie die Frau Pastorin nur zu bald seufzen mußte.

Es waren, wie gesagt, nicht die Blaumaler, die ihr das Seufzerwort entlockten: die Figuren-, Porträt- und – Blumenmaler sind's gewesen, und vor allen anderen der Blumenmaler Hans Leopold Wille von der Wendenstraße in der Stadt Braunschweig, mit dem sie dann im Jahre sechsundfünfzig, als der König Friedrich seinen Siebenjährigen Krieg anfing, gleichfalls in die bitterböseste Fehde geriet. Sonderbarerweise gerade weil jemand in ihrem Pfarrhause, unter ihrer Nase und hinter ihrem Rücken, seinen himmlischen Boten, seinen »Engel« in dem jungen künstlichen Menschen gefunden zu haben glaubte. –

»Immeke von Boffzen!« – Die Figuren-, Bildnis- und Blumenmaler, die Herzog Karl zur Beförderung des Nützlichen und Schönen in den stillen, abgelegenen Weserwinkel gesendet hatte, sind's gewesen, die auf ihrer Suche nach neuen Mustern und Modellen das liebe, geschäftige »Bienchen« im Pfarrgarten zu Boffzen entdeckten, es auf ihre Teller, Tassen und Präsentierteller brachten, es in ihr Herz aufnahmen, ihm eine neue Welt aufgehen ließen und der Frau Mutter, der Pastorin von Boffzen, das Konzept verrückten, wie der König Fritz der Königin von Polen und Kurfürstin von Sachsen. Wie letztere mit ausgespreizten Armen und ausgebreiteten Reifröcken vor dem Dresdener Staatsarchiv, so stand die Frau Pastorin vor dem Herzen ihres Pflegetöchterleins, und der General Wylich hatte den Zugang zu dem einen nicht schwerer zu erkämpfen als der Blumenmaler Wille den zum anderen. Nur der bittersten Notwendigkeit und Nötigung sind beide Damen gewichen: daß die zwei Herren mit gerungenen Händen sich auf die Knie vor ihnen warfen, hat zu gar nichts genutzt.

Es ist nicht bloß der Schlüssel zu einem Staatsarchiv oder der Hausschlüssel, den unsere lieben Frauen nicht immer gern ausliefern; auch der Schlüssel zum Herzen ihrer Töchter ist es dann und wann. Wo Blumen blühen, flattern auch die Schmetterlinge, und es ward wahrlich ein bunt und lebhaft Geflatter um das schönste Blümlein im Boffzener Pfarrgarten. Frau Johanne Holtnicker hatte, weiß der Himmel, ihre Not, all die gespitzten Saugrüssel abzuwehren von ihrem lieben Rosenmädchen. Sie konnten es alle gebrauchen als Modell, die Figuren- und Porträtmaler auf Schloß Fürstenberg; und es werden heute noch in Familienschränken, aber auch in fürstlichen Museen und Kunstkammern der Liebhaber Mundtassen und Teller als Zimelien aufbewahrt, die das Kind als Schäferin, Jägerin, Fischerin und Gärtnerin in all seiner Lieblichkeit für die Ewigkeit festhalten, soweit sich das eben auf Porzellan tun läßt, jedenfalls aber mithelfen, dem »Rokoko« seinen Ehrenplatz in der Kunstgeschichte zu sichern.

Und nun die Pastorin, die Seelenhirtin von Boffzen, mit ihrem ihr von Gottes Wunderwagen aus anvertrauten Lämmlein. Sie war mit ihrer Irdenware in der Küche und auf dem Eßtisch so gut ausgekommen ohne die neue, teure Künstlichkeit – und für das Kind hatte sie doch auch schon einen – nicht bloß in Gedanken, sondern auch seinerseits bereitwillig, in Bereitschaft! Und noch dazu einen aus ihrer eigenen Verwandtschaft, das junge fromme Wort Gottes zu Derenthal, Ehrn Emanuel Störenfreden. Und stammte sie doch selber aus einem Pfarrhaus und alle ihre Begriffe von Lebenswürden, Lebensbehagen und Lebensschicklichkeit eben daher bis in ihr eigenes seelenhirtliches Ehebett hinein.

Wie oft ging es in den letzten Jahren in letzterem hin und her:

»Aber, liebe Frau, kannst du wieder mal, mit dem allweisen und allgütigen Gott über dir, deine nächtliche Ruhe nicht finden?«

»Wie sollte ich schlafen können, Gottlieb, wenn du den ganzen Nachmittag heute mal wieder nicht das geringste gegen das Narren- und Affenspiel hast tun wollen, was die Hanswürste und Pinsler vom Schloß mit unserem Mädchen getrieben haben!«

»Zu Ehren des hohen Geburtstages der Frau Herzogin Philippine Charlotte haben die jungen Herren es für ihre Kunst verwenden wollen. Was konnte ich dagegen einwenden, da es auch Serenissimi Wunsch gewesen ist, daß sie das Lieblichste an Blumen und Menschengesichtern in Seiner hiesigen Provinz für Sein Präsent aussuchen und in Farben abbilden sollten. Unser Töchterlein nun –«

»Jede ihrer Faxen und Lügen glaubst du den Schlingeln, Holtnicker! Natürlich! und ich soll mich nur auf des Himmels besseres Einsehen verlassen! Und dabei soll man in seinem Ärgernis seine nächtliche Ruhe finden? Ja, drehe dich nur auf die andere Seite: hab ich mich des Geschöpfes, das uns der Herrgott vor die Tür gelegt hat, als Mutter angenommen, so will ich nun auch mein Mutterrecht an ihm bis ans Letzte verüben dürfen, und keiner soll mir das verwehren!« – –

Das letztere war ein schweres Wort, den Beschlüssen des Himmels in Ehesachen gegenüber, und unter all dem leichtfertigen Volk vom Berge ist gerade der, welchem die Frau Pastorin es am wenigsten zutraute, der ärgste Dieb und Sünder gewesen und hat ihrem Vertrauen in sein und ihres Töchterleins unschuldig Herz am tückischsten das Bein gestellt.

Er, der bloß der Blumenzucht Ehrn Gottlieb Holtnickers und seiner Kunst wegen sich im Pfarrgarten finden ließ; er, der niemalen mit dem Reißbrett und dem Zeichenstift hinter dem Bienchen von Boffzen drein war: er, der blöde, blonde, schüchterne Pold Wille von der Wendenstraße ist's gewesen, in dessen Armen die geistliche Hirtin um die Zeit der Fliederblüte Anno siebzehnhundertsechsundfünfzig eines Abends ihr Pflegekind in der Laube ertappt hat.

Sie haben es, ihr Immeke von Boffzen, nicht weinend, heulend, schluchzend und mit der Schürze vor den Augen auf ihrem Porzellan, die Porträt- und Figurenmaler von Fürstenberg; aber wenn sie solch ein Modell gewünscht hätten, die Frau Pastorin von Boffzen hätte von jenem Abend an tagtäglich für sein Vorhandensein hier im Wesertal gesorgt.

Ach, das ist ein böser Sommer auch für die zwei armen Kinder geworden – nicht bloß für die Exjungfer Europa und ihre Provinzen, Kanada mit eingeschlossen! Gott Amor weiß ebensowohl seine Fallen zu stellen wie der grause Gott Mars und seine blutdürstige Schwester Bellona.

Sie sind wohl noch zusammengeschlichen, Pold Wille von der Wendenstraße und Hannchen Holtnicker von Gottes Wunderwagen – aber wie!? In welchen Ängsten und Tränen!

Und dann ist einmal ein Abend gekommen, der, wie sie länger als ein Jahr lang geglaubt haben, der letzte zwischen ihnen gewesen ist. Am neunundzwanzigsten August war der König von Preußen in Sachsen eingebrochen, und am dreißigsten desselben Monds und desselbigen Jahres ertappte die Frau Pastorin – die Frau Mutter, das unglückselige Liebespaar zum zweiten Male, indem sie einen Einfall in ein Nußgebüsch am Katthagenberge, auf dem Schloß Fürstenberg gelegen ist, tat. Ach wehe, die Maulschellen, die es da nach rechts und links hin gab, sind an dem schönen und schlimmen Abend nicht das Ärgste für Daphnis und Chloe gewesen! Von Fürstenbergischem Porzellan waren ja Schäfer und Schäferin gottlob nicht! Was der beste Blumenmaler und Liebhaber von Fürstenberg zu hören bekam, das war's, was mehr Jammer und Elend in das stille, friedliche, fromme Pfarrhaus zu Boffzen brachte als irgend etwas anderes in den nachfolgenden sieben schweren Kriegsjahren!

Was eine gute Mutter und zukünftige beste Schwiegermutter bei solcher Gelegenheit sagen kann, das ist auch diesmal gesagt worden, und es ist schuld dran gewesen, daß His Royal Highness, Prinz Wilhelm August, Herzog von Cumberland, und Armand Duplessis, Herzog von Richelieu, auch den herzoglich braunschweigischen Blumenmaler Hans Leopold Wille mit in ihre Konvention von Kloster Zeven einschlossen, ihn mit den anderen in einen Sack steckten.

Wie er, Pold Wille, ein Loch in dem nichtsnutzigen Sack fand, durchwischte und zu Hause, das heißt im Landwehrturm bei der Wackerhahnschen, wieder ankam, das mag, wer da will, im folgenden von ihm selber sich berichten lassen. Viel Ehre kommt weder für ihn, den Blumenmaler, noch für die hohen kontrahierenden Mächte dabei heraus.

 


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