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I.
Ausfahrt

Weringerhof; Schlag drei Uhr morgens.

Der Hahn auf einer Feurerleiter lässt seinen Ruf ertönen, und der Kettenhund fährt auf.

An der Stalltüre steht ein Knecht mit langer Fuhrmannspeitsche und wartet ehrfurchtsvoll; ein großer Frachtwagen, schwer belastet, hält weiter oben im Hofraum, er ist mit acht »Holsteinern« bespannt und zur Abfahrt bereit; die Pferde sind ungeduldig, schauern, treten hin und her, die riesigen Stangenhengste hauen Funken aus dem Kies und machen dem hochaufgeschossenen Burschen, der sie im Zaume hält, zu schaffen.

Eine Pause; dann wird die Haustüre aufgerissen, ein breiter Lichtstrom fällt heraus, und ein großer Mann, der sich bücken muss, tritt über die Schwelle. Er ist reisefertig, in Fuhrmannstracht. Mit raschen Schritten geht er dem Frachtwagen zu, nimmt, indem er vorüberschreitet, dem Knecht die Peitsche aus der Hand und lässt sich, beim Wagen angekommen, die Zügel der Pferde reichen. Nun ein Blick unter die Räder, ob die Hemmsteine aus der Spur gestoßen; ein Schnalz mit den Lippen, ein Geißelschwung, ein »Gottsnam« – und der Boden dröhnt unter vier zermalmenden Rädern. Der Weringer fährt zum Hofe hinaus.

Das ist ein Wort.

Wäre es Tag, so würden lebhafte Gruppen von Männern, Weibern und Kindern zeigen, welches Ansehen der Mann und welche Bedeutung die Ausfahrt für Dorf und Gegend habe; so aber liegt alles noch in tiefer Ruhe; der Wagen geht unbeachtet seinen Donnergang, in den Schein seiner Laternen, die wie Gespensteraugen durch das Dunkel glotzen, treten nach und nach Bäume, Häuser, Zäune; auch das Gesicht des Nachtwächters, der an einer Ecke lehnt, wird sichtbar.

Außerhalb des Dorfes reicht der Weringer seinem jungen Sohn die Zügel der Pferde, lässt den Wagen prüfend an sich vorübergleiten und folgt ihm dann mit lassen Schritten und in Gedanken. Und wahrlich, er hat auch vieles zu bedenken, zu besorgen. Er lässt, sooft er ausfährt, einen großen Hof, der wohl versorgt sein will, in den Händen seines Weibes, und die Geschäfte, die er für die Hauptstadt übernommen hat, sind nicht geringe. Doch mehr als alles dieses geht ihm heute durch den Kopf:

Die Eisenbahn ist beschlossen; die Vermessung ist vorüber; schon zeigen weiße Stangen überall die Richtung an, die sie einst nehmen wird; es ist kein Zweifel, an demselben Tage, an welchem die Dampfrosse zum ersten Mal ihre Schienenbahn dahin brausen werden, wird der Weringer seine Pferde abzäumen und sagen müssen: »Meine Zeit ist um, mein Tagwerk ist getan!«

Der Weringer ist einer von jenen Großfuhrleuten, welche einst auf allen Straßen gesehen wurden, jetzt aber durch die Schienen mehr und mehr verdrängt sind. Meistens große, wetterharte Gestalten, beherrschten sie mit ihren Lastwagen, voran das helle Getrab von acht bis zwölf Pferden wie Fürsten die Straßen, waren die Lieblinge der Wirte, nach Umständen der Schreck und die Zuflucht müder Wanderinnen, die wichtigen Vermittler des großen und kleinen Warenverkehrs zwischen den fernsten Orten der Provinz und der Hauptstadt eines Landes.

Unter diesen eine hervorragende Erscheinung, ist der Weringer nicht leicht zu dem geworden, was er ist.

Denn von armen Eltern geboren und zu Entbehrungen bestimmt, sah man ihn als Knaben, mit einem Hunde vor ein Wägelchen gespannt, für den Kleinhandel seiner kranken Mutter Semmeln, Tabak und Branntwein aus dem Städtchen holen und daneben lesen lernen.

Jahre brauchte er, dem Glück ein Lächeln abzuringen; ein halbes Menschenalter, um den Lohn für schwere Mühen einzuernten. Endlich – hart geschmiedet von Wind und Wetter, das Gemüt gestählt von langer Prüfung – ist er im Besitze eines Hofes; befährt mit drei achtspännigen Wagen die Straße nach der Hauptstadt; liebt die Macht und Ehre seiner Stellung als Früchte seines Fleißes zehnfach, tausendfach; – da kommt die Zeit und sagt: »Du bist entbehrlich! Mache größeren Dingen Platz!«

Von Widerstand natürlich kann hier nicht die Rede sein.

Vor einem Jahre noch schienen Berge, Felsen, Abgründe und Gewässer wahre Streiter gegen die Macht der Zeit zu sein; doch die Vermessung zeigt jetzt: die Gewässer werden überbrückt, die Abgründe ausgefüllt, die Felsen gesprengt und die Berge durchwühlt werden, um sich Bahn zu brechen: was vermöchte da ein Mensch dagegen, der stärkste selbst, der reichste selbst?

Seine Ehre denkt der Weringer zu retten, das ist alles.

Noch hätte er drei, vier Jahre Zeit, sein Ansehen, sein Geschäft zu nützen; aber er will es nicht erleben, dass sie beide eines Tages wie ein elend Wässerlein verrinnen, ersetzt, ja überboten und vergessen werden. Er will zuvorkommen, will das Band zwischen sich und denen, die ihn nötig haben, plötzlich und unerwartet zerreißen; will mit einem gewaltsamen Schritt, einer schmerzlichen Erschütterung vom Schauplatz treten und sich freuen an dem Lärm von Klagen, welche seinem Abgang folgen müssen.

Dass wir es nur sagen. Seine heutige Ausfahrt ist auch seine letzte.

Ohne seinem Weib und seinem Sohne etwas zu sagen, hat er zwei von seinen Lastwagen, die nach der Hauptstadt unterwegs sind, mit Pferden und Zubehör bereits verkauft und wird den dritten Wagen, den er selber fährt, nach seiner Heimkehr auch bei Seite stellen!

Wohl weiß er, was das sagen will. Die Überraschung seines Weibes, der Schmerz seines Sohnes, der Schrecken aller in der Heimat, welche ihren nötigen Verkehr auf einmal unterbrochen sehen, werden ihm aufs Peinlichste zu schaffen machen; doch das alles ändert nichts mehr; beschlossen bleibt beschlossen, der Rest ist Starksein und Vollenden …

Von solchen Gedanken bewegt, ist der Weringer, seinem Wagen folgend, an Höfen, Wäldchen und Dörfern vorübergekommen, ohne es zu merken; schon ist im Osten der Dämmerstreifen breit und helle, Morgenglocken melden, dass der Tag sich nahe und aus manchem Fenster guckt ein dämmerbleiches Antlitz; – der Weringer blickt erst auf, als eine Stimme seinen Namen nennt.

Ein Steinschläger ist's, der dort, an einem Baume lehnend, sich Feuer schlägt für seine Pfeife und mit frühstücksloser Stimme sagt: »Gut Fahrt, Weringer!«

Dieser löscht die Laternen, dankt dem Gruße kaum und schüttelt sich die nächtigen Gedanken von dem Haupte –

Aber siehe da!

Diesen Augenblick hat die Morgensonne benutzt, um ihre ersten goldenen Pfeile auf die Schatten der Nacht zu schleudern.

Wie ein Edelhirsch, dem Blei des Jägers getroffen, auffährt und mit einem Satze hoch über Stein und Gesträuch wegsetzt, um später hinzusinken und zu verenden, so fahren die Morgennebel wirr empor, wölben sich über der Straße und verdüstern eine Weile die Luft, um dann zurückzuwogen und in grauen erlahmenden Massen Wälder, Furten, Teiche und Abgründe aufzusuchen.

Aus den weichenden Nebeln aber entwickelt sich ein erhabenes Bild.

Die acht Pferde Weringers erhasten eben den »Senkel«, einen steilen Höhenzug der Straße.

Es ist ein Getrommel der Hufe, ein Zusammengreifen der Kräfte, ein Dampfen der Nüstern, ein Emporwerfen und Schütteln der Köpfe, als vermerkten die herrlichen Tiere stolz und unwirsch, dass die Geißel auch nur geschwungen werde, um sie heißer anzutreiben.

Nach einigen Augenblicken ist denn auch die Höhe errafft, die Pferde dampfen, und die Zügel werden angezogen, um den Eifer der Tiere zu mäßigen.

Ein Mann, der mit vier mageren Vorspannpferden vorüberzieht, hat mit Staunen und Freude das Schauspiel gesehen, weicht respektvoll bis an den Straßengraben aus, bringt den Fuhrmannsgruß und schlendert dann mit seinem Gespann, das ein Querholz an den Strängen nachschleppt, den Senkel hinunter; doch hält er nach einer Weile wieder an und blickt um.

Die Sonne steht mannshoch am Himmel; an dem stahlblauen Firmamente hebt sich Weringers Prachtgefährt in riesigen Umrissen ab, die blanken Messingrosen, womit die acht Pferde bedeckt sind, funkeln im Morgenscheine, und Weringers große Gestalt scheint bei dem Aufzug riesiger zu wachsen.

Jetzt beugt er sich, holt etwas aus dem Schiff des Wagens und wirft es auf die Leinwanddecke desselben; es fliegt wie ein weißer Bündel, ist aber in der Tat der Pudel, welcher, oben angekommen, verdutzt eine Weile stille hält, dann bellend hin und her fährt und sich zuletzt mit Anstand in seine erhabene Stellung findet.

Nie hat ein Pudel dem Firmamente näher geschienen als dieser jetzo auf dem hohen Bug des Wagens …

Der Weringer hat beschlossen, seinem Sohn zuerst in sein Geheimnis einzuweihen; es soll schon heute während seiner Fahrt geschehen. Die Art, wie er dabei zu Werke gehen will, ehrt sein Vaterherz, ist aber auch bezeichnend für den Mann, der, ein entschiedenes Ziel im Auge, die Mittel es zu erreichen findet, und legten sie ihm auch die schwerste Überwindung auf!


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