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Ein Vorfall brachte am nächsten Morgen viele Unruhe in Weringers Haus.
Schon einige Tage her hatte Urban bemerkt, dass der »Stangenscheck« sehr traurig und niedergeschlagen aussah; plötzlich wurde er unruhig, fuhr zusammen, zersprengte die Halfter, schlug um sich, stieg mit den Vorderfüßen in die Krippe und Raufen, wobei er schnaubend, mit ausdehnten Nüstern und wildem Blick umher sah und bei heftigem Flankenschlagen stark in Schweiß geriet.
Der Weringer war eben beim Mainhard drüben; er wurde geholt und kam mit großen Schritten.
Schon außerhalb dem Stalle hörte man ihn einige durchdringende, seltsame Fuhrmannstöne ausstoßen, welche bewirkten, dass der riesige Hengst den Kopf weit zurückstreckte, die Ohren spitzte und sein Toben für einige Sekunden einstellte.
In den Stall tretend, sagte der Weringer dann mit erzwungener Lustigkeit: »Hoho, mein Alter! Was für Sachen! Wollen wir satteln und anspannen?«
Das Tier hörte ihn offenbar mit Begierde, trat bei Seite, um ihn besser sehen zu können, doch waren seine Augen hervorgedrängt, glänzend, wild blickend, die Bindehaut stark gerötet und mit überfüllten Blutadern durchzogen; dabei ging der Atem beschleunigt und gewaltsam, die Fieberhitze war groß.
Der Weringer wusste schon, wohinaus das wollte, winkte Weib und Kinder und Nachbarn, die betroffen und gerührt über die furchtbare Erscheinung des kranken Tieres herumstanden, sachte aus dem Stalle, trat ohne Furcht in den Stand des Hengstes, legte ihm eine neue Halfter an und sprach sanfte Worte zu ihm.
Das kranke Tier lehnte eine Weile das brennende Haupt gegen die kühle Mauer und schien ergebungsvoll sein Leid ertragen zu wollen; doch urplötzlich, kaum dass der Weringer aus dem Stande wieder heraus war, legte es sich mit Gewalt gegen die Halfterketten, zersprengte sie und fiel rücklings mit einem furchtbaren Schlag zu Boden. Der Weringer selbst wich mit stillem Grauen vor den entsetzensvollen Zuckungen und Schlägen des Tieres zurück, bis es wieder aufsprang und nach und nach einer gänzlichen Ermattung erlag.
Diesen Augenblick benützte der Weringer.
Er legte dem Tier eine neue Halfter an, führte es nach der geräumigen Scheune und leitete es in großen Volten umher, indessen Urban Eimer um Eimer kalten Wassers über den Kopf des Tieres goss. Mittlerweile hatte man dem Weringer sein Aderlasszeug gebracht; er schlug ohne Zaudern am Halse ein und ließ das Blut so lange fließen, bis der kaum fühlbare, harte und zusammengezogene Puls langsamer und weiche ging.
Nach der Farbe des Blutes spähte der Weringer mit besonderer Hast; es war dunkelrot und setzte eine Speckhaut ab – das Tier war so viel als gerettet.
Als vollendeter Tierarzt wendete er nun auch die erprobten Mittel gegen Entzündung innerlich an, ließ kalte Umschläge und das Begießen des Kopfes mit frischem Wasser fleißig fortsetzen und versäumte in dem üblichen Verfahren zur Rettung des Tieres nichts.
Der Lohn für diese Mühe blieb nicht aus.
Nach einigen Stunden trat unzweifelhafte Besserung ein, das Pferd suchte nach Futter, schaute freier umher, die Eile des Blutumlaufs ließ nach; nun wurden sorgsam jene Mittel angewendet, welche die Ausschwitzung aus den Gehirnhäuten verhinderten, und Urban erhielt strengen Auftrag, dem Appetit des Tieres nichts zu reichen als grünes Futter.
Einige Tage später ritt der Weringer sein Lieblingstier zum ersten Male wieder ins Freie. Auf dem riesigen Pferde sitzend, von der lieblichsten Frühlingssonne beschienen und hier und dort von neugierigen und teilnehmenden Dorfbewohnern umringt, war ihm nicht anders zu Mute, als wenn er ein teures, aus Todesgefahr gerettetes Kind zum ersten Male wieder ins Freie führte. Heiter lächelnd, sprach und grüßte er nach allen Seiten hin, und als er außer dem Dorfe ungestört zwischen den Feldern dahinritt, verlor er sich in stolze Erinnerungen aus seinem Fuhrmannsleben.
Sein Scheck hatte schöne und schwere Tage mit ihm verlebt.
Wenn im Winter die gräulichsten Überfälle von Schneestürmen die Straßen unfahrbar machten, wenn Wolkenbrüche ganze Strecken plötzlich aus den Fahrbahnen rissen und weder vor noch zurück ein Weiterkommen möglich schien, da kam der große Augenblick, wo der Weringer den Hut in die Stirne drückte, seinen Scheck bestieg und durch wunderbare Töne und Worte, unterstützt durch das Säuseln, Zischen und Knallen der Peitsche ein solches Zusammengreifen seiner acht Häupter bewirkte, dass mitten durch Schneewälle und Wasserwogen rasch und sicher Bahn gebrochen wurde.
Eines Tages –
Doch wir dürfen ihm nicht zu all den schönen und großen Augenblicken seiner Vergangenheit folgen; genug, dass die Freude seines Herzens sichtbar zunahm und eine stolze Verklärung auf seiner Stirne lag, als er nach dem Spazierritt wieder nach Hause kam.
Gegen Abend saß der Weringer allein am großen Ecktisch und ließ ein Lieblingsgericht wacker munden, welches ihm sein Weib für diesen frohen Tag bereitet hatte; die Weringerin setzte sich an die gegenüber befindliche Ecke des Tisches, entschlossen, diesen guten Augenblick zu benützen, um ihren Mann über die Angelegenheit ihrer Tochter zu unterrichte.
Nach einer kurzen Einleitung ging sie denn gerade auf die Sache los und gestand, was sie wusste.
Wie eine schnelle Wolke den Sonnenschimmer von einem Berghaupte löscht, so verschwand jetzt der helle Schein der Freude von Weringers Stirne.
Er legte mitten im Essen Messer und Gabel weg und blickte schwer getroffen und schweigend vor sich hin.
Die Wenigerin sah den jähen Abfall von seiner Freude und verstand ihn wohl; sie war klug genug, in diesem Augenblicke die Sache beruhen zu lassen, und setzte nur hinzu, dass sie eine Pflicht getan habe, dies ihrem Manne mitzuteilen, er möge nachdenken, was zu tun sei; übrigens eile die Sache nicht.
Urban trat herein und fragte, wie viel Haber jetzt dem Scheck ins Futter zu tun sei.
Er bekam eine sehr straffe Antwort und trollte sich von dannen.
In der Küche aber stand, von Hoffnung und Sorge zitternd, Bärbel und horchte, was der Vater über ihre Herzensangelegenheit sagen würde.
Da er hartnäckig schwieg und die Mutter aufstand, um zu keiner übereilten Antwort zu drängen, so ergriff sie bange und traurig einen Krug und ging zum Röhrbrunnen vor das Haus. Es schmerzte sie tief, dass der Urban in diesem Augenblick, ein Liedchen trällernd, nach der Scheuer ging, natürlich ohne Bärbls Zustand zu ahnen.
Seltsam genug vergingen jetzt Tage, ohne dass der Weringer die Sache freiwillig zur Sprache brachte.
Er schien seine gewöhnliche Ruhe zu haben, ja der ganzen Sache nicht weiter zu denken.
Die Weringerin hütete sich auch, der Angelegenheit mit raschem Nachdruck zu Leibe zu gehen, so sehr sie sonst entschlossen war, die Angelegenheit ihres Kindes mit wahrhaft mütterlicher Heldenschaft zu verfechten.
Eines Nachmittags war eben ein scharfes Wetter niedergegangen, an den Bergen hin zürnte noch der ferne Donner, und in weißgrauen Streifen ergossen sich örtliche Regen, als der Weringer vor sein Haus trat und Umschau nach der Richtung des Gewitters hielt. Er blickte unter einem schönen Regenbogen wie unter einer Zauberbrücke hin. Für Dobbl war alle Gefahr vorüber, die Sonne lächelte schon wieder auf einzelnen Hügel, und nur taufeine Tröpfchen stäubten noch hin und wieder durch die Luft.
Urban hatte ein Beil als Blitzableiter unter den großen Nussbaum in den Boden gehackt; der Weringer wollte es eben wieder aufnehmen, als sein Blick zufällig durch das Dorf hinab fiel; überrascht erhob er sich wieder und verschärfte seinen Blick, indem er die Hand über die Augen hielt.
Zwei Männer kamen das Dorf herauf, die ihm bekannt schienen. Sie schauten oft und aufmerksam nach seinem Hause, der eine hob sogar einmal die Hand und zeigte nach demselben.
Der Weringer war jetzt außer Zweifel über die Männer, ließ das Beil im Stich und ging verstimmt in das Haus zurück. Ohne ein Wort zu sagen, nahm er seinen Hut vom Hirschgeweih, ergriff eine Grabenhacke und ging durch den Hof ins Feld hinaus.
Es mochte eine Stunde vorüber sein, da ließen zwei Fremde aus der Schänke fragen, ob der Weringer zu Hause sei. Es wurde erwidert, er sein nicht zu Hause. Einige Zeit hierauf erschienen die Fremden selber. Wie sie in den Hof traten, schlug jemand beide Hände zusammen und schrie laut auf; es war Bärbl. Doch kaum hatte sich ihre Freude so auffällig Luft gemacht, als sie erschrak und, eine Glut im Gesicht, wie eingewurzelt dastand. Der erste der Männer reichte ihr lächelnd die Hand und sagte:
»Grüß Gott, Bärbl; man muss sich ja auch wieder einmal sehen.«
Es war Beck, der Vatersbruder von ihrem Wolfgang.
Auch der zweite der Männer reichte Bärbl die Hand; ihn erkannte sie erst jetzt; es war der Weickert aus Dürnheim.
Bärbl bat die Männer, ins Haus zu treten, die Mutter sei im Hause.
Unwillkürlich strich sie sich das Haar zurecht, zupfte an Schürze und Halstuch, als besorgte sie, Wolfgang habe die Männer abgeschickt, zu prüfen, ob sie noch immer hübsch ordentlich aussehe wie sonst.
Die Männer traten in das Haus.
Urban, der dieselben an der Stimmer erkannt hatte, aber weil er dem einen Pferd eben ein Wasserschaff zum Trinken vorhielt, nicht aus dem Stalle konnte, stürzte jetzt wie verrückt heraus und blickte nach ihnen um.
»Himmel – Himmel – Donnerwetter odera! Geht etwa los?« sagte er mit einer Mischung von Neugierde und Freude.
Er hatte offenbar die Ahnung von der geheimen Sendung der Männer.
Es dauerte auch nicht lange, so kamen Zeichen auf Zeichen, dass er auf der rechten Spur sei. Bärbl rannte nach einer Weile aus der Stube und wusste vor Aufregung nicht wohin. Urban rief sie an, sie hörte ihn nicht; er ging auf sie zu, sie eilte, ohne ihn zu sehen, zum Hofe hinaus und dem nächsten Hause zu; Urban sah nur so viel an ihrem verklärten Gesicht, dass sie vor Glückseligkeit »aus dem Häusle« sei.
Die Männer waren wirklich Abgesandte, welche der Vater Wolfgangs an den Weringer schickte, um herauszuforschen, was man in Anbetracht ihrer beiden Kinder nun ernstlich erwarten dürfe. Sie hatten ihres Auftrages auch nicht lange Hehl; Bärbls Bestürzung und Freude war eine Folge davon, dass sie mit ihrer Sendung so rasch und unverhohlen herausrückten.
»Mein Bruder«, sagte Beck zuletzt, »will selb nicht länger hausen; die Glieder wollen nimmer fort, sein Gang muss jetzt dran, – in der Wirtschaft darf's nicht flecken, es geht vor oder es geht zurück.«
Die Weringerin wurde wenig überrascht. Sie wünschte und hoffte eine solche Botschaft längst. Nur über eine Antwort war sie jetzt verlegen.
Sie könne, sagte sie, natürlich ohne ihren Mann nichts sagen; er sei nicht da; auch müsse man Bedenkzeit haben.
Damit waren die Männer auch einverstanden.
Deshalb, sagten sie, würden sie auch Weringers Heimkunft nicht abwarten, besser, sein Weib teile ihm die Sache selbst mit und suche ihn gut zu stimmen. Letztere Absicht ließ die Weringerin auch deutlich merken und sagte gerade heraus, dass sie ganz für diese Heirat sei. Also brachen die Männer wieder auf. Aber wie sie sich umsahen, war Bärbl nicht da. »Lasst sie«, bemerkte die Weringerin lächelnd, »sie hat gehört, warum ihr da seid; jetzt hat sie mit sich zu tun.«
Die Männer waren lange wieder fort, es ging schon gegen Abend, als der Weringer mit der Grabenhacke wieder heimkam. Er sah nicht heiter aus; er hatte die Abgesandten vom Felde her wohl aus seinem Hause fortgehen sehen, aber er erwähnte ihrer mit keiner Silbe. Desto rascher kam sein Weib auf sie zu sprechen. Sie teilte ohne Umstände mit, weshalb sie dagewesen seien, und richtete eine nachdrückliche Mahnung an ihren Mann, sich bald zu entscheiden. Die Weringerin hätte sich wahrscheinlich von einer kurzen Mahnung zu einer langen Staatsrede fortreißen lassen, wenn ihr Mann nicht einen sehr bedeutsamen Wink gegeben hätte, dass es genug sei. Er stand auf und ging aus der Stube. Nachdem er sich flüchtig nach den Pferden umgesehen, ging er zum Mainhard hinüber und holte ihn nach dem Wirtshause ab. So waren Mutter und Tochter über das, was das Haupt der Familie dachte, so klug als wie zuvor. Sie setzten sich zusammen, und die Mutter drohte, eher selbst auf und davon zu gehen, als Bärbls Kummer länger ruhig anzusehen.
Andern Tages wollte die Weringerin eben ihren Hauptsturm gegen den Widerstand des Mannes beginnen, als sie mit Erstaunen und Schrecken den »Stangenscheck« gesattelt aus dem Stalle führen, den Weringer aufsitzen und finster davon reiten sah. Kein Mensch wusste, wohin.