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II.
Ein Vorspiel

Es war sieben geworden, in Degern hatte der Wochenmarkt eben begonnen, als am »Reichstore« ein Erdbeben loszubrechen schien: der Boden wankte, Feuer stob aus dem Pflaster, wie von niederfahrenden Schlossen prasselte es die Straße entlang, begleitet von einem unterirdischen Donner.

Der Weringer fuhr zum Tore herein, sein Weg führte durch den Ort.

Er selber saß auf den »Stangenscheck« und lenkte den Wagen. Ruhig und stolz schaute er drein, in seiner Linken ruhten spielend die Zügel, seine Rechte übte die seltsamsten Künste mit der Peitsche, ließ sie jetzt knapp über den Ohren der Tiere zischeln, riss sie dann zurück, das die Luft erseufzte, zog einen sausenden Kreis um sein Haupt und entlud die kunstvolle Schlingung mit Pistolenschusses Gewalt, um die Schnur sofort wieder über den Ohren der Pferde säuseln zu lassen. So sprach er gleichsam mit den Tieren, warnte die vorübergehenden Menschen und gab seinem Aufzug ein gar feierliches Geleite.

Die Hauptstraße und der große Marktplatz waren so zurückgelegt, man hatte endlich Degern selbst im Rücken, als der Weringer die Peitsche ruhen ließ, in den Sattelknopf steckte und abstieg.

»Georg!« sagte er und zog einen ledernen Beutel aus der Tasche.

Nicht wenig verwundert empfing sein Sohn ein ganzes Guldenstück, um es auf das Fensterbrett einer an der Straße stehenden Hütte zu legen, wo eine dürftige Fuhrmannswitwe wohnte.

Georg hatte das Geld abgegeben, ging wieder neben seinem Vater her und gedachte mancher seltsamen Dinge, welche im Betragen desselben jüngster Tage aufgefallen waren, als ihn das größte aller bisherigen Wunder überraschte.

Der Morgen war hold und klar, in den Lüften schmetterten die Lerchen, und im schönsten Tauschmuck funkelten Wiesen und Felder.

War es dieser Umstand, welcher den Weringer auf einmal milde und gesprächig machte?

Er ging die Zügel an den Knopf der Schoßkelle, holte seine Pfeife hervor und ging rauchend neben seinem Sohne her. Eine Weile wurde über dies und jenes gesprochen, Gutes und Schlimmes aus der Heimat erwähnt: – auf einmal nannte der Weringer auch den Namen Hartung.

Georgs Wangen überflog der hellste Purpur.

Hartung war Besitzer einer der größten Wirtschaften in der Heimat; ein Erbe dieses Besitzes betrachtete er den Weringer als Emporkömmling, und es hatte sich nach und nach ein schroffes Verhältnis zwischen ihnen ausgebildet wie etwa zwischen altem und jungem Adel.

Aber was der Zufall schon manchmal zuwege gebracht, das stellte sich auch hier ein; während sich die Väter hassten, entbrannten die Kinder in Liebe für einander. Schon zwei volle Jahre dauerte die Leidenschaft Georgs zur Tochter Hartungs; niemand als die Liebenden schienen davon zu wissen, und es musste ihnen daran liegen, dass niemand davon erfahre.

Es lässt sich daher ermessen, welchen Eindruck es auf Georg machte, als er seinen Vater den Namen Hartung nennen und über ihn milder urteilen hörte als je.

Die Hoffnung der Menschen ist ein gar wunderliches Ding; wie ein Samenkörnlein ruht sie Tage, Wochen, Jahre lang ungesehen in einem Winkel des Herzens, da fällt ein Sonnenstrahl des Glücks, eine Träne der Freude darauf, und der stärkste Baum der Zuversicht erhebt sich und erreicht den Himmel mit seinem Wipfel.

Auch Georg erlebte das jetzt; vergebens wehrte er selbst den kühnen Trieben seiner Hoffnung, eh' er's hindern konnte, war der Wipfel derselben über den Wolken, wiegte sich in Himmelslüften, in der Nähe der Seligen.

Der Weringer merkte das wohl und hatte seine Worte mit Bedacht gesprochen. Doch ließ er sich keineswegs absehen, dass er die Wirkung seiner Worte also wünsche, und fuhr mit großer Ruhe fort, nicht nur Hartungs Person, sondern auch dessen Familie und Haus und Hof von der besten Seite zu betrachten; schließlich sagte er, dass, wenn die Menschen sich hassten, gewiss äußere Umstände und Zwischenträger das Meiste dabei verschuldeten.

Georg wusste kaum mehr, ob er wache oder träume, und war jetzt froh, einen Anlass zu finden, sein Herz durch einen Freudenruf zu erleichtern. Denn in einiger Entfernung erschien ein achtspänniger Lastwagen, von einem Knecht und einem Knaben geleitet; sofort erkannte Georg das Gefährt seines Vaters und rief:

»Ei, der Gregor! Wie macht der heute voran; so zeitig ist er uns noch nie begegnet!«

Er ahnte freilich nicht, dass dieser Ausruf kein Freudenruf für seinen Vater sei; denn gerade dieses Gefährt gehörte zu den bereits verkauften seines Vaters.

Der Weringer blieb hinter seinem Sohne zurück, ließ die Pfeife ausgehen und steckte sie ein; dann tat er, als habe er die Felgen eines Rades zu untersuchen, stemmte die Faust gegen die Lende des Wagens und schritt mit gesenkten Blicken vorwärts.

Es dauerte nicht lange, so hielten die Lastwagen neben einander. Georg und Gregor hatten sich durch Schwenken der Hüte und durch lebhaftes Knallen begrüßt und reichten sich jetzt die Hand. »Frisst der Falb wieder? Ist der Anfall nochmal kommen?« fragte dann Georg; der Knecht erwiderte: »Alles ist bei Trost, es war Verstellung.« Georg lachte und ging, freudig aufgeregt wie er war, an den Pferden hin und wider, wehrte den Mücken, nannte jedes Tier bei Namen und ließ sich dann mit dem Knaben, einem knorrigen Fuhrmännlein, in ein Gespräch ein; Gregor aber trat vor den Weringer hin und reichte ihm wie gewöhnlich Notizbuch, Briefe und Wechsel.

Der Weringer besah sie diesmal nur flüchtig, mit unsicherem Blick. Leise bebte seine Hand, als er die Papiere zurückgab und sagte: »Der Silbermann, Sohn, will sie einsehen; lass sie diesmal alle dort.« Gregor fand in diesen Worten nichts Auffallendes, weil der genannte Kaufmann durch Weringer den größten Teil seiner Waren bezog. Er steckte daher die Papiere wieder ein, lüftete den Hut und brachte, gute Fahrt wünschend, Pferde und Wagen in Bewegung. Fröhlich hörte man ihn in einiger Entfernung das Lied anstimmen:

Es wollt' ein Fuhrmann ins Elsass fahren,
Er wollt' ein Fuder Wein aufladen,
Dazu den aller – hederle
Zum sitz und federle!
Dazu den allerbesten.

Alsbald er über die Brucken 'naus fuhr,
Da patschet sein Geißel, da knallet sein Schnur,
Seine Rösslein täten – hederle
Zum sitz und federle!
Seine Rösslein täten traben etc.

Als das Lied zu Ende war, drehte er sich um und knallte noch einmal kräftig zum Nachgruß. Georg erwiderte diesen und sagte dann zu seinem Vater:

»Ich mag nicht daran denken, dass wir den Gregor in drei, vier Jahren verabschieden müssen!«

Der Weringer erwiderte nichts, machte sich an der Sperrwinde zu schaffen und blieb dann hinter dem Wagen zurück; sein ganzes Gemüt war in Aufruhr.

Dieser Knecht, der ihm von Jugend auf treu und froh gedient: – wie arglos hatte er ihm in die Augen geblickt, vermeinend, dass er noch wie sonst mit seinem Herren rede, und in Kurzem soll er bei der Nachricht erstarren, dass er entweder brotlos oder auf Gnade und Ungnade einem andern überliefert sei!

Und diese acht Pferde, die so freundlich die Köpfe gehoben, als wären sie glücklich, ihren Herrn zu sehen, der seit Jahren so wohl für ihre Kost und Pflege gesorgt: – sie waren bereits das Eigentum eines Spekulanten, der ihre Kost verkürzen, ihre Kräfte übermäßig nutzen und ihre Behandlung lässig überwachen wird!

»Es stürzt dahin, alles dahin«, rief es heftig durch Weringers Herz, es war ihm nicht anders, als risse sich ein teures Stück seines Lebens von ihm los.

Es dauerte lange, bis der Zorn über die Gewaltsamkeit der Zeit seine Wehmut besiegte und sein Stolz die Oberhand über sein Herz gewann. Mit raschem Willen all das wehmütige Gebilde seiner Seele niederwerfend, schien er endlich seine ganze Fassung wieder zu gewinnen, und nahm das trauliche Gespräch mit seinem Sohne wieder auf.

Es kam die Rede auf das mögliche Steigen oder Fallen der Güterpreise, wenn die Eisenbahn fertig sein würde. Die Ansichten waren verschieden, und das Gespräch würde ohne Bedeutung zu Ende gegangen sein, wenn der Weringer nicht plötzlich eine höchst seltsame Bemerkung gemacht hätte.

»Der Hartung«, sagte er, »spekuliert da gar nicht übel. Weil's noch ungewiss ist, ob die Preise steigen oder fallen, greift er jetzt schon zu und kauft um guten Mittelpreis.«

Georg fragte überrascht, wo er denn zu kaufen denke?

»In Delsburg«, erwiderte jener.

Dieser Ort lag an der Straße, die sie eben fuhren.

»Was will er in Delsburg kaufen?« fragte Georg immer gespannter.

»Den Stern; seine Anne soll darauf heiraten.«

Georg verstummte; rascher hat nie ein Gesicht die Farbe gewechselt als in diesem Augenblicke seines.

Der »Stern« war das Wirtshaus in Delsburg, wo der Weringer stets zu übernachten pflegte; Hartungs Anne war es, welche mit Georg in liebender Verbindung stand; – wer aber war nun Annes Bräutigam? Wer war der künftige Besitzer vom Stern? Und über alles dies: Woher wusste der Weringer Dinge, von denen Georg keine Ahnung hatte?

Georg war außer Stande, seinen Vater weiter zu befragen. Wie ein Träumender ging er neben her, und die Pferde, welche er zu lenken hatte, wären ungehindert jetzt dem nächsten besten Abgrund zugeschritten.

Zum Glücke hatten die Tiere jetzt ein schöneres Ziel als Gräben und Abgründe vor Augen, hoben die Köpfe, spitzten die Ohren und wieherten freudig vor sich hin.

Gleich darauf war es, als wäre man plötzlich aus der Nähe eines donnernden Wasserfalles in tiefe Waldesstille versetzt; man war beim »Weißen Bären«, einem Wirtshause an der Straße angekommen, wo man stets die erste Einkehr zu halten pflegte, die Pferde hielten von selbst an, der Wagen stand stille.

Dies brachte auch Georg wieder zu sich, er blickte auf und suchte sich zu sammeln; es tat auch not.

Denn schon war er und sein Vater Gegenstand gespannter Aufmerksamkeit, nicht nur dass der Bärenwirt und zwei Hausknechte grüßend und helfend herzutraten: auch einige Fuhrleute stürmten herbei, um ihr zwei- und dreispänniges Gefährt aus dem Bereich des majestätischen Achtspänners zu bringen.


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