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Drittes Kapitel.
Regen und Sonnenschein.

Wenn es in einzelnen Sommermonaten häufiger denn je geregnet oder gedörrt hat, so stecken viele auch alle die anderen Monate, so doch nichts verbrochen haben, mit in den Sack und sagen flugs: Das war ein nasses, oder ein dürres Jahr. Und weil sie sich daran gewöhnt haben, so von der Mutter Natur zu sprechen, sagen sie auch nach ihren Erlebnissen: das war ein schlimmes Jahr. Das macht aber, weil so mancher meist nur des Schlimmen gedenkt und nicht des vielen Guten, daß er doch zwischenein auch genossen. Ein Mann von starkem Geiste hat zwar wider das Klagen über schlimme Zeit ein praktisch Rezept gegeben, das da lautet: »Wenn wir alle Tage für das empfangene Gute recht danken wollten, so würden wir fürs Klagen gar keine Zeit finden.« Aber das haben sich wohl nur einzelne zu eigen gemacht. Nur bei einer Mittelernte der ausgesäeten Wünsche nimmt das Gesicht den Ausdruck leidlicher Zufriedenheit an, so, als ließe sich schwer entscheiden, ob aus dem Lebenstranke der Essig oder der Zucker herausschmecke. Das sind Zeiten, in denen Regen mit Sonnenschein abwechselt.

Solcher Jahre walteten auch über dem Kloster St. Paracleti und dessen Insassen. Kam Sonnenschein, so wuchs deren Mut; fiel Regen, so waren sie wenigstens darüber beruhigt, daß er nicht in verheerenden Strömen kam, welche ganze Felsblöcke zum Weichen bringen können; wennschon sie nicht daran gedachten, daß wiederholte Tropfen auch höhlen.

In der Stadt Zittau sorgte deren erster evangelischer Pfarrer, M. Heidenreich, nicht nur für Aufklärung und Erbauung. Er gründete im Vereine mit dem tatkräftigen Bürgermeister Kleeberg eine bessere, geordnete Armenpflege, führte die Ausstellung von »Gotteskästen« an den Kirchtüren ein und ließ die gesammelten Gaben durch die Lehrer der Schulen so man dieserhalb mit dem Namen »Kastenherren« belegte E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 95 – Joh. Friedr. Seidel: Zittawische Cancelley und Summarisches Zeitregister an jedem Freitage verteilen. Manch einer, der in Not bisher im Väterhofe Brot geholt, blieb diesem und der alten Kirche nunmehr fern.

Ein zweiter Tropfen fiel auf den großen Stein. Im Jahre 1525 hielt man in Zittau die letzten Seelenmessen und Vigilien ab. Joh. Friedr. Seidel: Zittawische Cancelley und Summarisches Zeitregister Bald ahmten andere Orte dem nach, also, daß im folgenden Jahre sämtliche Sechsstädte der Lausitz, so zu sechsen untereinander verbunden waren, als eifrige Anhänger der Reformation auftraten. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 243. Dies konnte den Oybiner Mönchen nicht entgehen, sintemalen aus solchen Bewegungen nicht bloß ein Glaubensabfall folgte, sondern auch die Verringerung von Schenkungen und Gestiften. Sogar das Tönnlein Heringe, so in früheren Zeiten von Görlitz aus für jedes Jahr dem Kloster zukam, blieb aus; die Mönche mußten zum ersten Male des Wohlgeschmacks dieser trankwürzenden Fische entbehren. Ingleichen waren die Zinsen aus der einst so getreuen Stadt immer noch nicht abgeliefert. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 216. 217. Die Väter Hieronymus und Laurentius, so zur Betreibung der Schuld nach Görlitz geschickt worden waren, kamen unverrichteter Sache wieder zurück.

Darauf folgte wieder etwas Sonnenschein. Von Sulmona war die schon früher angekündigte Visitationskommission auf'm Oybin eingetroffen. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 222. Sie nahm es ernst, konnte aber nichts entdecken, was zu Ausstellungen veranlaßt hätte. Die Kommissare schieden sogar wohlzufrieden und mit dem Versprechen, des Klosters geistliches und weltliches Wohl nach Kräften zu fördern.

So herrschten denn in diesem und den folgenden Jahren keine äußeren Stürme, die am Kloster und an der Gesamtheit der Mönche gerüttelt hätten. Die Erschütterungen aber in tiefster Menschenbrust hörten nicht auf.

Zu Ende des Junius pochte in Olbersdorf ein Fremder an Zeisigs Haustür. Er war ein Bote aus Budissin, Seit etwa 40 Jahren offiziell »Bautzen« genannt. der ein Paket mit Schriften bei sich trug und den Kräutermann bat, es dem Pater Markus Arndt ohn groß Aufsehens und Aufhebens einzuhändigen, auch sich einen Zettel geben zu lassen, daß der Pater das Paket ohne Verletzung der Siegel erhalten.

Zeisig wurde halb neugierig, halb mißtrauisch; doch konnte oder wollte der Budissiner ihm nicht mehr sagen, als was er selbst in seiner Stadt hatte vermuten hören: Ein Torgauer Kaufmann habe das Paket aus Wittenberg mitgebracht und es durch einen Boten nach Kamenz geschickt. Von dort sei es nach Budissin gelangt; hier sei er an Zeisig gewiesen worden, den man in Budissin als einen Lutherschen erachte.

»Das bin ich auch,« sagte Zeisig darauf; »aber die Väter auf'm Oybin lassen mich manch Schock verdienen und sind ein gar gelehrt und leutselig Völklein, und ich möcht nit, daß ihrer einer zu Schaden käme.«

Auf diesen Vorhalt wurde der Bote mitteilsamer. Zeisig könne getrost den Auftrag verrichten, er käme hier raunte der Bote dem Kaspar ins Ohr –: von Johannes Mantel, der gut Freund zu Markus sei.

Als Zeisig diesen Namen hörte, sprang er wie behext vom Sessel auf.

»Ich gehe,« rief er. »Der Mantel hat mir als kleinen Buben schon viel Gut's getan, als er noch droben auf'm Oybin war.«

Er gab dem Boten einen guten Trunk und rüstete sich zu sorgfältigem Anzuge. Es mußte noch etwas sein, etwas höchst Wichtiges, was ihn bewog, heute das zeisiggrüne Wams anzuziehen, das beste, welches er hatte, das er nur dann trug, wenn er vor hohen Rat beschieden oder zu Heidenreichs Predigt ging oder bei sonst einem besonderen Ereignisse. Ganz Zittau und Umgegend kannte dieses grüne Wams; kein andrer Mensch trug ein solches. Darum denn auch Sabine schier verwundert war, als sie ihn so schön bekleidet mit dem Fremden auf den Kretscham zukommen sah.

Auch Sabine zeigte sich in gar schmuckem Kleide. Sie war früh beim Pförtner gewesen, mit Markus zu sprechen. Den lieh der Kretschamwirt bitten, für seine in Grottau verstorbene Muhme Messe zu lesen. Markus bekundete eine Teilnahme und fragte Sabinen, wie es ihr und dem Vater ergehe. Die Maid war während des Gespräches errötet und verlegen. Markus deutete dies als Trauer und gab ihr Worte des Trostes mit auf den Rückweg. Die brauchte sie nicht; sie hatte die Muhme weder gekannt noch gesehen. Und doch schied sie traurig.

Zeisig trug zunächst das Paket hinauf zu Markus. Der hielt es erstaunt in der Hand; dann prüfte er die Siegel und schrieb beim Pförtner im Schneiderstübel auf einen Zettel eine lateinische Empfangsbescheinigung. Zeisig verstand den Inhalt nicht, wenngleich er im Umgange mit den Vätern so manch lateinisch Wort und deren Beugung mit Fleiß erlernet, also, daß die Bauersleute solch grausamer Gelehrsamkeit des Kräutermannes sich schier verwunderten, so er bei Heilungen und beim Feilbieten seiner Mittel auf Jahrmärkten in Ernst und Scherz von sich liefe.

Zeisig pfiff eine muntere Weise und ging wieder hinab ins Tal.

Unten am Kretscham nahm er die Sabine auf die Seite und bat sie, mit ihm ins Gärtlein zu gehen, nahe an der Kapelle. Dort stellte er sich kerzengerad vor die staunende Maid, denn so stand er nur bei ernst-wichtigen Dingen.

»Jungfer Sabine!« begann Zeisig; »ich kann kein lang Gered machen und die Worte nit setzen, wie der Bauer die Quärchel. – Sabine! – ich bin Euch von Herzen gut! – werd't mei lieb's Eheweib!«

Wohl hatte Sabine gemerkt, daß der Kaspar zu ihr hielt; aber sie hätt nimmer geglaubt, daß er's ihr so bald und so rund 'raussagen würde. Derhalben war sie erschrocken, verblüfft und betrübt. Sie ließ das Köpfchen hangen, holte tief Atem und sagte:

»Kaspar! – ich kann nit!«

Darauf sah er sie bestürzt an und fragte nach einer Weile leise:

» Magst mich nit?«

»Ach Kaspar! du bist ein guter, fleißiger Mensch und ich hab dich gern, weil du immerdar so fröhlich Gemüt hast und lustig in die Welt schaust und das Deinige schaffst. Aber – – – ach Kaspar, ich kann nit, ich kann nit! – steh von mir ab!«

Als Kaspar sah, wie sie weinte, und ihr errötend Gesicht mit den Händen bedeckte, ging er still fort. Er pfiff kein lustig Liedlein mehr; hat's das ganze Jahr über nicht mehr hören lassen. –

Droben auf dem höchsten Punkte des Oybinfelsens stand ein alt Gemäuer, so noch jetzt Spuren zeigt. Es mocht vielleicht ein alter Lugturm aus räuberischer Ritterzeit gewesen sein. Darin wuchs Gestrüpp und Gras, wie schon über manches Böse und Gute Gras gewachsen ist.

In diesem stillen, einsamen Raume saß Markus, das Paket in der Hand. Er löste die Siegel und fand etliches Gedrucktes und einen langen Brief von Johannes Mantel. Wunderbar berührt, betrachtete er das Schreiben, ohne zu lesen. Das war der Brief aus jenem Traume auf dem Kaiserbette.

Des Gedruckten Titel lautete: De votis monasticis M. Lutheri judicium; zu deutsch: Von den geistlichen und Klostergelübden Martini Luthers Urteil, de anno 1521. M. Meurer: Luthers Leben, S. 270. Unwillig schob er es beiseite, ohne es eines weiteren Blickes zu würdigen. Dann las er Mantels Brief. Der begann mit guten, freundlichen Worten und erinnerte an die drei schönen Tage auf Königstein, so er in seinem Leben nicht vergessen könne. Hiernach schrieb Mantel von dem Hergange seines Entweichens, von dem mächtigen Gewissenstriebe, seiner Überzeugung von der neuen Lehre innerer Wahrheit zu folgen, anstatt heuchelnd in der alten Kirche zu verbleiben. Arm wie eine Kirchenmaus sei er nach Wittenberg gegangen. Er habe ihm auf sein Schreiben nach dem Königstein von Wittenberg aus geantwortet; es schiene aber, als wäre dieser Brief ihm nicht zu Händen gekommen. Derhalb schilderte er wiederum, wie freundlich und achtungsvoll er von Luther, Melanchthon und Jonas ausgenommen worden und daß ersterer ihm alsbald eine Diakonalstelle allda verschafft habe. M. Meurer: Luthers Leben, S. 642 und Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 146. Ferner erzählte er begeistert von der hinreißenden Demut und doch zugleich gewaltigen Kraft und Gelehrsamkeit Luthers. Auch habe sich dieser am 13. Junius mit der Katharina von Bora vermählt. Alles Geschwätz, Luther habe sie aus Kloster Nimbschen entführt, um sie zu ehelichen, sei unwahr. Er, Mantel, könne selbst bezeugen, was große Mühe sich Dr. Martinus gegeben, der von Bora einen Mann zu verschaffen; sei auch einer kommen, aber die Käthe habe nimmer gewollt; bis Luther selbst ihr seine Hand angeboten, aber erst nach langer Zeit. »Ehe dies geschehen,« schrieb Mantel, »hatte ich mir selbst einen Hausstand gegründet, indem ich am achten Januari auf Luthers Billigung ein herzlieb Eheweib genommen, Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 146. wozu mir auch der ehrenfeste liebe Georg Spalatin eine gar wohlgesinnte gratulatio geschickt nebst einem Fäßlein Wein. Der Dr. Martinus Luther hatte mir zuvor gesagt – – –«

Weiter las Markus nicht. Legte sich schon während des Lesens die Stirn in finstere Falten, so sprang er jetzt erzürnt auf, raffte des Paketes Inhalt zusammen und ging hin und her in großer Erregung. Also deswegen ist der Mann zu den Ketzern gegangen, um ein behaglich Leben in sündig ungiltiger Ehe zu führen! Deswegen hat er sein Gelübde gebrochen. O Johannes! ich sah zu deiner Größe hinauf! ich stand staunend vor der Kraft deiner Überzeugung. Ich konnte sie nicht teilen, aber sie erschien mir wie ein lichter Engel, der mit den Flügeln des Irrtums der Dunkelheit zuschwebt. Ich glaubte an der Gesinnung selbstlosen Ursprung und wollte dich festhalten für unsre heilige Kirche – und nun!« – – – »Es ist aus zwischen uns!« rief Markus am Schlusse des inneren Gedankenganges laut aus und ging fort, in der Bücherei Ablenkung seines Sinnens zu suchen.

Das Echo war ganz verklungen.

Die Bücherei, so man jetzt mit dem deutschen Worte Bibliothek benennet, hatte damals ein ganz anderes Aussehen als in gegenwärtiger Zeit. Während die an Anzahl geringeren Druckwerke auf langen, eichenen Tafeln standen, lagen die von Hand geschriebenen großen Bände auf Lesepulten, Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 148. und so eines der Bücher besonderen Wert besaß, war es noch mit einem Kettlein am Pultgestelle befestigt. Somit wir denn sagen müssen: Markus stand vor einem großen Buche und las, las – um nur 'was zu lesen – in alten Urkunden, so die Gerechtsame des Klosters an die Stadt Görlitz enthielten.

So stand er auch wieder zu Anfang des Jahres 1526 zur Ablenkung des alten Grolles in der Bücherei vor denselben Bänden. Das erwies sich als kein unnütz Studium. Der Prior und Konvent waren der Stadt Görlitz Hintanhaltung schuldiger Zinsen müde und drohten mit Verklagung beim Landvogte. Hierauf hatte sich der Magistrat jener Stadt zwar zu entschuldigen versucht, jedoch hartnäckig angefügt, eine Verklagung sich gefallen lassen zu wollen. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 217. 225. 244.

Das waren trübe Tage. Darauf kam wieder etwas Sonnenschein in anderer Richtung.

Schon in den ersten Tagen des neuen Jahres traf vom König Ferdinand von Böhmen der Befehl ein, es solle von allen Lausitzer Kanzeln verkündet werden, daß alle Zeremonien in den Kirchen mit Kreuztragen, Vigilien, Seelenmessen usw., so bisher in Abnahme gekommen, wieder beobachtet werden sollten. E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 33. Diesem Befehle Nachdruck zu erteilen, erließ er am 17. Februari von Prag aus ein kräftig Mandat wider die Evangelischen. E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 33. Proß, der Johanniter-Komtur, nützte solcher Verkündungen und wirkte in der Stadt wider die neue Lehre, E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 33. was er nur konnte. Draußen aber, auf dem Lande, half der Bertsdorfer Pfarrer Jungnickel C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 46. dem Komtur eifern.

Da hoben die Cölestiner ihre Köpfe etwas höher; sie hielten den Sonnenblick für fruchtbar.

Nur Swob hob den Kopf nicht; der lag krank darnieder und ließ den Kaspar Zeisig seit etlichen Tagen nicht von seinem Lager, sintemalen dessen Umschläge ihm die alten Schmerzen milderten. Ungern sah Uttmann den ausgesprochenen Ketzer so lange im Kloster; der war ihm als Lutherscher ein Dorn im Auge. Weil aber der kranke Frater um des Leibes Pflege willen seiner Hilfe nicht entraten zu können meinte, fügte er sich murrend ins Unvermeidliche. Auch ward sein Unwille bald durch 'was anderes abgelenkt.

Am Spätabend, als schon nächtlich Dunkel dem Auge die Fernsicht verwehrte, kam einer der Mönche atemlos zu Uttmann mit der Nachricht, in der Stadt Zittau sei groß Feuer; Joh. Friedr. Seidel: Zittawische Cancelley und Summarisches Zeitregister ein blutroter Schein erhelle die Türme und Kirchen, also, daß man vom Klosterfriedhofe aus der Feuersbrunst großen Umfang gewahren könne.

Wer noch nicht zur Ruhe gegangen, eilte auf jenen Platz, das grausig schöne Schauspiel von fern zu betrachten. Auch Zeisig halte sich beigesellt; der sagte, auf welcher Gasse es brenne; der Väterhof sei aber ohne Fahr. Tags darauf schickte ihn Uttmann zur Stadt, sich des näheren zu erkunden. Statt des Kräutermannes sollte einer aus dem Meierhofe Swobs Umschläge besorgen. Also hoffte Uttmann, der Kranke würde von Zeisigs ununterbrochener Anwesenheit abstehen, wenn er sähe, daß der Meierknecht es ebenso gut mache.

Die Mönche harrten vergeblich des Berichtes Zeisigs.

Als dieser vom Markte aus die Brandstätte aufsuchen wollte, allwo 27 vernichtete Häuser Joh. Friedr. Seidel: Zittawische Cancelley und Summarisches Zeitregister rauchten, ward er plötzlich von zwei Ratsdienern gefaßt und ohn' weiteres in der Stadt Gefängnis eingesperrt, wo nur wenig Licht zukonnte. Er wußte nicht warum. Erst nach einer Woche Verlauf führte man ihn vor den Richter. Der sagte ihm, er sei angeklagt, das Feuer angesteckt zu haben. Darob erschrak Zeisig über die Maßen; so schlimm Ding hätt er doch sein Lebtag nimmer tun können. Der Richter aber deutete diesen Schreck zum Bösen und so sehr Zeisig auch versicherte, er sei nicht aus dem Kloster auf'm Oybin herausgekommen, die Väter könnten's bezeugen, so hielt dies doch der Richter für eitel Flunkerei, um etwan Zeit zur Flucht zu gewinnen; sein Verdacht war zu groß. Als Zeisig abermals hoch und teuer schwur, daß er unschuldig sei, ließ der Richter die draußen harrenden Zeugen holen. Hübner und Wünsch traten ein und versicherten auf Befragen, sie hätten etwa eine Stunde vor Feuers Ausbruch einen Mann um und in das Haus schleichen sehen, allwo die Flammen zuerst ausgebrochen. Der Mann hätte ganz das Gesicht und die Gestalt Zeisigs gehabt, sei auch mit zeisiggrünem Wams bekleidet gewesen, wie doch kein Mensch weiter ein solches trage.

Ob solcher Rede fuhr der Kräutermann zornentbrannt auf die Aussagenden los und traktierte sie mit Lügnern und Schurken. »Man solle doch nur aufs Kloster« – – doch hier wurde er vom Richter zur Ruhe verwiesen. Dieser war dem Hübner unhold wegen dessen Wucherei und Winkelschreiberei; auch wußte er, daß der Volksmund von ihm sagte, er zöge den Leuten das Fell über die Ohren; daher er denn auf Hübners Zeugnis kein groß Gewicht legte. Aber Hans Wünsch gab seine Aussagen mit solcher Würde und Bestimmtheit, daß der Richter von seiner Ansicht, das anfängliche Erschrecken Zeisigs entspränge aus Schuldbewußtsein, nur noch mehr gefangen genommen wurde. Der Fall, daß ein Bewohner jenes Hauses durch fahrlässiges Gebühren oder Böswilligkeit das Feuer verursacht, war gänzlich ausgeschlossen; bewies doch dessen Besitzer durch etlicher Zeugen Mund, daß vor und bei Entstehung des Brandes außer seiner gelähmten Mutter niemand im Hause gewesen und er beim Nachhauseeilen von mehreren Bekannten gefragt worden sei: »Was wollte denn der Zeisig bei Euch?«

Es stand schlimm für Kaspar, der bis auf weiteres in den Kerker zurückgeführt wurde. Sein Traktament bestand von jetzt ab aus Wasser und Brot.

Im Lauf der folgenden Woche wurden neue Zeugen abgehört; es waren ihrer an die Zwanzig, darunter angesehene Bürger, welche sämtlich beschworen, sie hätten einen, dem Zeisig ganz ähnlichen Mann in grünem Wamse aus dem Hause schleichen sehen und bald darauf habe es gebrannt. Behaupteten doch einige, es sei Zeisig selbst gewesen.

Bei so viel übereinstimmenden Belastungen und der Tatsache, daß bisher noch kein anderer Mensch als Zeisig ein so sonderlich Wams getragen, hielt man nicht der Mühe wert, den Angeklagten weiterhin abzuhören; man erachtete ihn für überführt. Noch schob man das Urteil hinaus; es sollten zuvor Zeugen aus dem nahen Eckertsberg vernommen werden. Diese wollten dem am grünen Wamse erkenntlichen Missetäter bei grauendem Tage in voller Flucht auf Hirschfelde zu haben laufen sehen, Allenthalben aber hatte sich das Gerücht verbreitet: Zeisig wird gerichtet, das heißt, um eine Kopflänge kürzer gemacht.

Auch in den Klosterkretscham drang diese Zeitung. Dort entstand darob ein großer Aufruhr in einem kleinen Herzen. Sabine war außer sich. Zeisig hatte sie von dem gieren Wünsch errettet, war immer brav und gut zu ihr. Daß sie ihm einen Korb gegeben, weil sie ihr Herz wohl bang aber doch schneller schlagen fühlte beim Anblick einer weißen Kutte mit schwarzem Skapulier – das tat ihr leid. Aber sie konnte ja nicht anders; schon längst war es zu tief hineingedrungen. Darum trieben sie Mitleid und Dankbarkeit, aufzuspringen und mit den Worten: »Vater! ich geh zur Stadt; dem Zeisig dürfen sie nichts tun« – schnell wie ein flüchtig Reh nach Zittau zu laufen, also, daß Ullrichs Einwendungen von ihr nicht mehr gehört wurden. In der Stadt aber ging sie zum Richter und beschwor ihn flehentlich, den unschuldigen Zeisig frei zu lassen.

Doch Flehen und Beschwören sind keine Gegenbeweise. Man gestattete ihr nur, den Gefangenen unter Beisein des Schließers im werter zu sprechen.

»Kaspar, Kaspar!« rief sie ihm dort zu; »du bist's nit gewesen! du kannst so große Schandtat nimmer verübt haben, und was die Leut auch reden: ich glaub's nit, ich glaub's nit! – du bist unschuldig!«

Als Zeisig dies hörte, aus ihrem Munde hörte, fand er keine Worte. Sein Grimm wandelte sich in ein heftiges Schluchzen. Nachdem er sich wieder gesammelt, faßte er ihre Hände und sagte:

»Sabine! das werd ich dir mei Lebtag nit vergessen! – Ich brauch dir's nit erst bei Gott zu schwören, daß ich an der Schandtat unschuldig, wie ein neugeboren Kind. Du glaubst mir und das ist mir genug. Meinethalben mögen sie mich nu köppen; hab ja doch kein Freud mehr aus der Welt, seit du –«

»Nein, nein!« fiel ihm die Maid in die Rede; »um Gotteswillen nit, Kaspar! könnt's nimmer verwinden. Nein! 's muß ans Tageslicht. Ach wenn ich nur schnell wüßt, wie ich dich retten könnt – könnt's denn der Prior nit? Wenn der zum Bürgermeister ging und tat ein Fußfall und sagt, du wärst unschuldig – da müßtest du doch freikommen?«

»Lieb Maid! ich bin ja die ganze Zeit vor dem Feuer im Kloster gewesen und hab dem Vater Swob Umschläge gemacht. Der kann mir's bezeugen. Aber der Richter hat mich ja nie zu Worte kommen lassen, wenn ich's ihm vorhalten wollt. Er glaubt dem Hübner und Wünsch, den Halunken – und vielen anderen noch, die sie angestift, mich anzuschwärzen –«

»O Kaspar! da ist ja alles gut! ich renn flugs aufs Kloster und sag's dem Vater Uttmann, daß er helfen soll –«

»Nein, Sabine! der Uttmann kann mich nit leiden, weil ich luthersch geworden. Sag's dem Markus, der ist mir gut.«

»Nein, nein! – nit dem Markus! – – ach Kaspar! ich sag's dem Uttmann; dem fall ich zu Füßen und bitt ihn – – Leb wohl! behüt dich die heilige Jungfrau – ich renn, was die Beine laufen wollen –«

Mit diesen Worten sprang sie schnell aus dem Kerker. Draußen mußte sie des Schließers warten; ohne den könnt sie nicht aus dem Haus. Ihn bat sie flehentlich, er möcht's dem Richter sagen: er solle ein bissel warten, sie brächt den Vater Uttmann; der Kaspar wäre unschuldig.

Nicht achtete sie des Geredes der Leute in der Stadt Gassen, als sie pfeilschnell wie ein Vogel davonlief. Und wie sie halb atemlos an die große Brücke kam, so den Mandaufluß auf der Straßen nach Olbersdorf überspannt, rannten ihr etliche müßige Burschen nach und riefen: »Halt auf! Halt auf!« – Da nahm sie alle ihre Kräfte zusammen und flog auf der Straße wie ein gehetzt Wild dem Dorfe zu. Mocht's gleich sein, als wollt das Herz zerspringen; wenn's nur so lang aushielt, bis sie's dem Uttmann gesagt.

Draußen aber, da, wo in gegenwärtiger Zeit die freundliche Wittigschänke manch einen Sommergast erlabt, begegnete ihr Hans Wünsch, vom Oybin zurückkehrend. Der fing sie auf und wollt abermal sein Geschleck und Gekos' anfangen. Da gab ihm Sabine solch eine kräftige Maulschelle, daß er zurücktaumelte und der rasend Davoneilenden nur noch nachrufen könnt: »Das soll mir dein Ketzer-Schatz Kaspar entgelten!«

Ob's Sabine gehört, ist ungewiß; gar bald war sie am Omußberg. Hier hielt sie inne und ihr Herz mit der Hand, daß es nicht zerspringen sollte. Keine halbe Stunde war vergangen, da lag sie ohnmächtig im Schneiderstübel auf des Pförtners Lager, und dabei standen Markus, Wenscher und Voit, die der Pförtner in großer Verlegenheit geholt, weil er nicht gewußt, wie sich nach des Ordens Regeln vor ohnmächtigem Dirnlein zu benehmen. Der Fall war ihm neu.

Eine Maid von damals aber war kräftiger als ein itziges Fräulein; Sabine brauchte kein Essenzlein und kein Lockern des Oberkleids in Absicht etwaniger Schnürung und Bremsung wie ein Wespenkörper. Sie erholte sich von selbst und bat dringend, den ehrwürdigen Vater Uttmann sprechen zu dürfen. Der kam und dem teilte sie in fliegender Hast alles mit und bat, wenn auch Zeisig von der heiligen Kirche abgefallen, doch dem Richter zu sagen, er sei unschuldig, gleich jetzt; sie wolle gern noch mal mitlaufen.

So schnell ging das nun nicht. Uttmann hieß Sabinen nach Hause zurückkehren; er werde sehen, was sich tun ließe. Darauf fiel sie ihm zu Füßen und flehte um Eile, so daß Uttmann sie fragte:

»Er ist wohl dein Liebster, daß du so brennest auf Erledigung?«

»Nein, nein, hochwürdiger Vater!« gab ihm die Maid mit stockendem Atem zur Antwort. »Er hat's zwar gewollt, ich hab's ihm aber abgeschlagen. Ich konnte nit anders.«

Da sah Uttmann Ullrichs Dirnlein mitleidig und achtungsvoll an und sagte:

»Geh getrost nach Hause, Kind! – Mag Zeisig ketzerisch gesinnt sein oder nicht, die Wahrheit muß über alles stehen. Du kannst ruhig schlafen; ich gehe jetzt, mit dem Richter zu sprechen.«

Als der Subprior im Rathause der Stadt Zeugnis ablegte, wurde der Richter schier verblüfft. Er selbst war der neuen Lehre ganz zugetan und Uttmann hielt streng zu seiner Kirche. Daß dieser einem Ketzer so warm beistand, während doch die meisten der Belastungszeugen Katholiken waren, das machte ihn staunen. Es macht wohl auch in des Richters Herzen nicht ganz richtig und ein klein Schuldbewußtsein entstanden sein, daß er in der Zeugen Aussagen bisher allzu befangen gewesen; denn er faßte die Hand des Subpriors und sagte bewegt:

»Hochwürdiger Vater! Ihr nehmt mir eine Last vom Herzen. Eure Botschaft tilgt mit einem Schlage die ganze Untersuchung, so doch bei so viel Schein wider den Angeklagten hätte für diesen schlimm auslaufen können. Ihr wisset wohl, daß Zeisig der neuen Lehre anhanget, während Ihr –«

»Herr Ratsmann!« unterbrach ihn jener, »nicht obgleich, sondern weil ich treu zu unsrer heiligen Kirche stehe, halte ich für Menschenpflicht, der Unschuld zu helfen, auch bei Andersdenkenden.«

»O wenn doch jeder – –« Er wollte hinzusetzen: »so dächte wie Ihr, so wäre es nicht zu dem heftigen Kampfe der Geister gekommen.« Doch brach er ab und fuhr fort:

»Wollet es Euch nicht verdrießen lassen, Hochwürdiger, ein wenig hier zu warten, bis ich des weiteren mit dem Bürgermeister und dem Syndikus gesprochen.«

Nach kaum einer halben Stunde wurde dem Subprior der Wunsch erfüllt, den Kräutermann selbst aus dem Kerker zu führen.

Als Uttmann ihm das Nähere mitgeteilt und die Freiheit verkündet, riß es den Erlösten gar mächtig herum. Er fiel vor jenem auf ein Knie nieder und küßte den Saum seines Gewandes. Dann sprang er auf, dankte in abgebrochenen Worten aus vollem Herzen und sagte zum Schlusse:

»Aber nit wahr: katholisch brauch ich derhalb nit wieder werden?«

»Nein, Zeisig!« entgegnete Uttmann lächelnd; »das verlang ich nicht. Kommt Ihr zurück in den Schoß unsrer heiligen Kirche, so ist's Euch zum Heil und Ihr werdet gern wieder angenommen werden. Tut Ihr's nicht, so habt Ihr das allein mit Gott auszumachen.«

Eine Stunde darauf wanderte Zeisig wohlgemut nach Olbersdorf. Seit langer Zeit pfiff er wieder ein lustig Liedlein, wenngleich des Gefängnisses Räumlichkeit und Kost hätte solcher Töne vergessen machen können. Aber es stieg ein leis Hoffen in ihm auf, als hätt es Sabine doch aus purer Lieb zu ihm getan.

Dann sprangen seine Gedanken von diesem Lichtscheine ab zu der düsteren Tat Wünschs und Hübners. Ingrimmig ballte er die Faust und nahm sich vor, gelegentlich sich an den beiden Schurken zu rächen. In seiner Hütte aber gedachte er der gütigen Väter auf'm Oybin, vor allen des Subpriors. Und wohl kaum hat ein Menschenherz in eben so feuriger als komischer Dankbarkeit geschlagen, als das des Kräutermannes. Ihn überkam eine Art von Reue, daß er von der alten Kirche gelassen, und gerade, weil Uttmann seine Rückkehr nicht als Preis verlangt hatte, stieg ihm in der ersten Wallung der Gedanke auf, ob er nicht dennoch seinen Dank durch eine solche kundgeben sollte. Hierzu kam aber des Verstandes nüchterne Überlegung; die kämpfte scharf mit der Rührung des Gemütes und der Kampf währete nicht zu kurz; denn erst tief in der Nacht sprang er von seinem Lager empor, stellte sich kerzengerade vor dem lächelnden Mond auf und sagte:

»Nein nein! ich bleib bei der neuen Lehr! – – aber die Väter sind dennoch gut!«

Dann entschlief er und träumte verworrenes Zeug durcheinander. Auf dem Markte der Stadt sah er einen Bock umherspringen und alle sagten, daß sei Wünsch. In einer Ecke saß ein Mann mit Pferdefuß und schabte den Huf; das sollte, hieß es, Hübner sein. Und die Bürger liefen als Bäume, Besen, Flaschen und andrer wunderlicher Gestalt auf dem Platze umher und riefen: »Aber das Wams! das zeisiggrüne Wams! Das ist ein Rätsel!« – und dieses Wort verklang schließlich und Hübner sah nur noch aus wie ein schwarzer Punkt; der wuchs immer größer und größer, bis der ganze Markt kohlpechrabenschwarzfinster wurde. Das mocht des Traumes Ende gewesen sein; wenigstens berichtete Zeisig tags darauf, daß er von da an weiterer Traumeserscheinungen sich nicht bewußt, wohl aber ärgerlich gewesen, daß er solch dumm Zeug und nicht von Sabinen geträumt.

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