Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Nachdem Markus den aus Wittenberg stammenden Brief Mantels gelesen, verschloß er ihn und die beigefügten Druckschriften Luthers unwillig in seine Truhe. Lange besann er sich, ob er Antwort erteilen solle oder nicht. Daß er die Feder nicht eher angesetzt, war das Werk des Bruders Tilgenfaß; ihm hatte er sich vertraut und der gab ihm zur Antwort: »Dämpfe zuvor den Zorn und warte eine Verfassung deines Innern ab, die der Sache, die eines Cölestiners würdig ist. Glaubst du, wir sollen hier oben nur für die Kirche streiten? Auch das muß bekämpft werden, was sich an der eignen Person als nicht echt, als unedel erweiset. Und so du dem Johannes noch so gelehrte Worte schreibest – auf dem Boden des Zornes sind sie unecht. Warte!«
Markus wartete länger denn ein Jahr. Dann glaubte er einer ruhigen Sprache gewiß zu sein. Er schrieb gegen des Doktors Luther Schriften, gegen dessen Abhandlungen von den Klostergelübden und der Priesterehe; gegen Luthers Unterfangen überhaupt, die durch das hohe Alter bevorrechtete und geheiligte Kirche umstürzen zu wollen. Auch daß er voll Schmerz über Mantels so schnelle Verheiratung sei, verschwieg er nicht. Ein Bote förderte das lange Schreiben in dritte, vierte Hand zur Weiterbesorgung nach Wittenberg.
Darauf ward dem Markus innerlich wohler, wenngleich er nicht wie Freund an Freund geschrieben, sondern im nüchternsten, kalten Tone der Sachlichkeit.
In heutiger Zeit murren wir, so ein Brief statt eines halben Tages eines ganzen zu seiner Einhändigung bedarf. Im 16. Jahrhundert wußte man es nicht anders, als daß hierüber viele Wochen oder Monate verstrichen, zumal in jenen Zeiten großer Wirren und Unsicherheit des Verkehres waren. Markus' Schreiben brauchte lange Zeit bis zur Ankunft in Wittenberg. Weil nun dasselbe auch von dem erwidernden Briefe gilt und Mantel als Diakon im Dienste der Reformation bis an den Hals in Arbeit saß, so langte erst nach einem Jahre die Antwort an. Die war sehr lang.
Dem Einwande des Markus, daß seine Kirche als älteste die bevorrechtigte sei, setzte Mantel den Ausspruch Luthers entgegen: »Ist Gewohnheit und langer Brauch allein genug, warum glauben wir nicht mit den Juden, Türken und Heiden? Warum halten wir es nicht mit dem Teufel, der immer die Gewohnheit hat, böse zu sein! Warum fragen wir nicht nach der Herkunft solcher Gewohnheit, ob sie recht oder unrecht sei? Unser Gott heißt ja nicht Gewohnheit, sondern Wahrheit, die Gott selbst ist.« M. Meurer: Luthers Leben.
Hier hielt Markus im Lesen inne; er sann dem Worte nach und gelangte zu dem Urteil: Im Prinzipe hat der Mann recht; aber er gehet von dem falschen Wahne aus, daß seine neue Lehre die rechte sei. Und wenn er fragt: ist langer Brauch genug? so ist ihm zu antworten: ist das Neue allein genug, weil es neu ist? – Luther irret schwer.
Darauf las er Mantels Brief, so hiernach auf die Klostergelübde überging, weiter: »Wie könnte ich hier, mein teurer Markus, überzeugender reden, als es Dr. Luther getan, der da sagt: »sie seien auf kein Wort Gottes gegründet, dem vielmehr zuwider; seien wider den Glauben, die christliche Freiheit, wider Gottes erste Gebote, wider die Liebe und die Vernunft. Desgleichen sei das Verbot der Priesterehe wider die heilige Schrift, so doch an vielen klaren Stellen nichts vom Verbot wolle, als da stünde z. B. 1. Timoth. Kap. 3: »Es soll aber ein Bischof unsträflich sein, eines Weibes Mann, nüchtern, mäßig, sittig, gastfrei, lehrhaftig.« M. Meurer: Luthers Leben. S. 271 usw. – Vor meiner Verehelichung habe ich langen Rats gepflogen und Lutherum befragt. Der aber sagte mir, was du in der Beilage des näheren ausgeführt findest: »Keuschheit ist eine schöne Tugend, wenn man kein Verdienst dabei sucht, noch für fromm deshalb angesehen werden will und fürnehmlich, wenn Gott selbst einem Menschen die hohe Gabe der Keuschheit verliehen. Aber, was die aus eignem Vermögen gelobte Keuschheit betrifft, so zeigt es leider die öffentliche Erfahrung, also, daß man's greifen kann, wie schlecht sie gehalten wird.« M. Meurer: Luthers Leben. S. 271 usw.
Markus legte den Brief auf die Seite. »Das ist wiederum eine von den haltlosen Behauptungen Luthers,« dachte er. »Was einzelne der Mönche oder Nonnen verbrochen haben mögen, wirft er auf's Ganze. Außerdem hebt doch der Mißbrauch eines Gesetzes den Gebrauch nicht auf?« –
»Luther hat mir geheißen,« fuhr Mantel fort, »mich ernst zu prüfen, ob ich mir auch getraue, ein gut Ehegesponst zu werden und nahm Bezug auf sein Buch, das ich dir geschickt, allwo geschrieben steht: »Darum so bitte ich hier herzlich um Gottes und Christi willen alle, die hier meines Rates brauchen werden, die Möncherei oder Nonnerei verlassen und wieder zur Freiheit kommen wollen, daß sie vor allen Dingen ihr Gewissen untersuchen und prüfen, und zusehen, daß sie nicht dieses Ding ansahen, allein etwas Neues zu tun oder aus Verachtung oder Haß der Menschen. Denn dieselben werden in der Stunde des Todes nicht bestehen, wenn ihnen der Satan wird Gewissen machen und sie anfechten, daß sie ihr Gelübde gebrochen, abgefallen, wider Gebot der Menschen getan« M. Meurer: Luthers Leben. S. 271 usw. et caetera – du siehest, viellieber Marce, daß ich nach allen Seiten mein Gewissen geprüft und mich nicht gescheuet, mich vom Dr. Martino scharf ins Examen nehmen zu lassen; so er mir doch danach sagte: Immerhin nehmet ein Weib, aber ein frommes! »Ein frommes Weib soll darum geehret und geliebt werden, erstens weil sie Gottes Gabe und Geschenk ist, sodann, weil Gott einem Weibe große und herrliche Tugenden verliehen, welche andere geringere Mängel und Gebrechen weit übertreffen, namentlich wenn das Weib Zucht, Treue und Glauben hält.« M. Meurer: Luthers Leben. S. 271 usw. – Und als wir nach zween Jahren mit seinen Gefreundeten im HErrn einstmals beisammen saßen zu traulichem Gespräche, sagte der Doktor: »die höchste Gnade und Gabe Gottes ist es, ein fromm, freundlich, gottesfürchtig und häuslich Gemahl zu haben, mit der du friedlich lebst, der du darfst all dein Gut, und was du hast, ja dein Leib und Leben vertrauen« C. Becker: Dr. Martin Luther, S. 164. – – –
Mit Aufmerksamkeit las Markus den Brief bis zu Ende; er zerknitterte ihn nicht wie den vom Jahre 25. Das war aber des Widerstandes erstes Nachlassen. –
Wie die großen Bewegungen der Zeit die inneren Gedanken des einzelnen mehr denn je erregten, so führten auch der Cölestiner Tischgespräche im Anfange des Jahres 1530 zu lebhaften Diskussionen. Es kam vor, daß der Prior und die Mönche das Refektorium erst dann verließen, als die zur Ruhe bestimmte Zwischenzeit bis zum Nachmittagsdienste verstrichen war. Das vorjährige Erscheinen von Luthers Katechismus, mehr noch das Marburger Gespräch Dr. Hagenbach: Kirchengeschichte. 3 Bd. 410. zu Beginn Oktobers gaben Stoff zu manch einem Wort, und es war hierbei, als hätte sich in der Meinungen Austausch ein Herüber und Hinüber gebildet.
»Es ist sonnenklar,« sagte Frater Laurentius bei solcher Gelegenheit, »die Hauptführer der ketzerischen Parteien fahren sich gewaltig in die Haare; die disputationes in Marburg haben's sattsam bewiesen. Dort waren der Zwingli und Collin, der Bucer, Hedio und Sturm, der Luther, Bugenhagen, Melanchthon und Jonas beisammen auf Landgraf Philipps Ladung; warum? Um abermal leeres Stroh zu dreschen in der Synodus. Als aber in der Stadt der englische Schweiß ausgebrochen, sind sie alle auseinandergefahren wie räutige Wölfe.«
»So leer wird das Stroh doch nicht gewesen sein,« meinte ein anderer Frater; »denn trotz der Widerpart unter sich hat ihr Anhang bei Fürsten und Volk nicht klein zugenommen.«
»Man mag sagen, was man will,« fiel Spengler, der Thüring, ein; »so manch Körnlein Wahrheit ist der neuen Lehre nicht abzustreiten.«
»Daß die Pest in das arge Volk fahre!« rief Wenscher leidenschaftlich; »Gottes Gericht wird es vernichten! wie es auch den englischen Schweiß gesandt, die Ketzerführer auseinanderzusprengen.«
»Daß diese tödliche Krankheit sein soll ein Gericht Gottes, kannst du nicht behaupten! ist doch diese Seuche auch in Orten aufgetreten, wo päpstliche Legaten zu Synoden versammelt waren.«
Frater Hieronymus sprach ruhig und mild. Wenscher dagegen ward um so hitziger. Er ließ Worte fallen, daß auch die Cölestiner von der lutherischen Seuche angesteckt seien; daß manch ein Buch des Erzketzers hier verborgen zu liegen scheine, das doch billig verbrannt werden solle. Gottschalk erwiderte ihm:
»So auch des Wittenbergers und anderer Abtrünniger Schriften wider unsere Kirche streiten, so schafft Ihr doch nichts, Frater Michael, so Ihr die Bücher verbrennen wollt. Der Geist, selbst der irregeführte, läßt sich so nicht dämpfen. Nicht Feuer und Schwert – Gebet und Lehre seien unsre Waffen wider den Irrtum.«
Darob entstand ein beifällig Murmeln und Kopfnicken; ein Aufbrausen anderseits. Die Geister platzten aufeinander in heftigem Wortwechsel, und es schien, als könne sich Ringehutt schwer entschließen, dem ein Ende zu machen. Endlich klingelte er. Das Gefecht wurde abgebrochen und das Schlußgebet verlesen; es drang nicht tiefer als bis ans Trommelfell.
Markus hatte sich schweigend und sinnend verhalten. Um mit Gottschalk ob allzu großer Milde der Gesinnung zu disputieren, wie einstmals am Kegelschub – dazu fand sich heute keine Zeit und in Markus' Brust kein – Bedürfnis.
Inmitten dieser Kämpfe hatte sich in der Stadt Zittau etwas zugetragen, was auch in den Gewölben des sonst so friedlichen Refektoriums manch ein erregtes Wort widerhallen ließ.
Der evangelische erste Prediger Zittaus feierte seine Hochzeit. E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 33 usw. Der Rat brachte dem bewährten und beliebten M. Heidenreich Ehrentrunk und Glückwünsche dar; manch ein Handwerker nützliche, mit vielem Fleiß gearbeitete Geschenke, je nach der Innung. Die wenigen, so hiervon abstanden, waren zu zählen. Es gab ein großes Fest und vielen Jubel.
Nicht Fest, nicht Jubel waren es, die der Mönche Gedanken beschäftigten, sondern der Umstand, daß sich hierbei die große Menge erwies, so von der Bürgerschaft zur neuen Lehre hielt.
Markus sprach sich beim Mittagsmahle gegen jegliche Priesterehe aus; Luthers Abhandlungen hierüber warf er in den Bann. Wohl fand seine Rede manch einen Gesinnungsgenossen; es herrschte aber während des Gespräches eine gegen vorher auffallende Ruhe im Refektorium, wie eine dumpfe Schwüle, von der man nicht recht weiß, was davon zu halten. Auch Uttmann und Gottschalk standen auf Markus' Seite, als sie durch Martin von Jauers milderes Urteil sich zur Aussprache veranlaßt fanden.
Die Fratres Thomas und Veit Schäfer aber gingen unter Wenschers Führung die Woche darauf zum Johanniter-Komtur nach Zittau. Dort haben sie der Länge eines ganzen Nachmittags mit Martin Protz eifrig konferiert und sind sodann wohlzufrieden wieder nach dem Oybin zurückgekehrt. Die Zittauer hatten's wohl bemerkt.
Nun wir wissen, daß der Komtur die neue Lehre und ihre Verbreiter haßte, kann es nicht verwundern, daß ihm der M. Heidenreich ein grober Dorn im Auge war, denn er hatte den ersten Grund zu den Fortschritten gelegt, so die Reformation in Zittau gemacht; wird er doch noch heutigen Tages der Stadt Reformator genannt. So kam es denn, daß des Johanniters feindselig Wirken bisher an der Kraft und Willensstärke des Magistrates und der kernigen Bürger scheiterte. Die wenigen, die, wie Schönlein, noch zur alten Kirche hielten, konnten nicht dagegen an, oder mochten nicht, weil zu vereinzelt. Doch der Komtur hatte gewußt, sich die Machtvollkommenheit zur Anstellung oder Absetzung der Geistlichen zu erringen. Nun der erste Pfarrer in den Stand der Ehe getreten, war ihm dies eine vollkommene Gelegenheit, ein schneidendes Exempel zu statuieren, so zugleich anderen die Lust nehmen sollte, unter das süße Ehejoch zu kriechen. Heidenreich ward von Protz des Amtes entsetzt und ging nach Schlesien. E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 33 usw.
Da herrschte viel Unwille und Trauer unter den Zittauern, sintemalen der Komtur nunmehr den Pfarrer Kaspar Stölzlein E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 33 usw. einsetzte, zu welchem er das Vertrauen hatte, daß dieser mit klugen Manipulationen die reformatorischen Auftriebe wirksam unterdrücken würde. Mißtrauisch gegen die Amtierung des aufgedrungenen Predigers, suchte Magistrat und Bürgerschaft Trost bei Melanchthon. Der erteilte ihn auch, richtete sie mit der Hoffnung zu dereinstiger Rückberufung Heidenreichs auf und gab ihnen kund, daß zurzeit in wittenbergischer Universität nicht wenige ebenso gescheite als der guten Sache anhängliche junge Leute vorhanden, also, daß es der Männer für Kirchen-, Schul- und Ratsstellen nicht ermangelte. Zudem ergaben Stölzleins Predigten sehr bald, daß sich der Komtur arg verrechnet hatte; sie enthielten nichts, was eigentlich gegen die Reformation gerichtet war. Manch ein Anhänger derselben begann darob im stillen zu jubeln.
Nun ist es aber ein putzig Ding, zu sehen, wie zwei Feinde zum Kampfe aufeinander losstürzen, geraten aber beide in Sumpf, also, daß sie bis an die Brust im Schlamme stecken, sich verblüfft anschauen und danach machen, daß sie wieder nach Hause kommen. Mit jenem Jubeln war auch nichts. Stölzlein eiferte auf der Kanzel ohn Unterlaß in solch zorniger Weise, E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 33 usw. daß die Stadt kein Wohlgefallen an ihm fand und manch einer, so sonst gern zur Kirche gegangen, ihr fern blieb.
Merkten nun auch die Meinungswütigsten der Cölestiner, daß Stölzlein ihren Erwartungen nicht entsprach, so sahen sie doch die Unzufriedenheit der Bürger über den neuen Prediger nicht ungern. Es war doch immer etwas; ließ zum wenigsten einen Stillstand erwarten, den man benutzen konnte. Daß festes Ausharren viel erreicht, lehrte ihnen die Vergangenheit und zeigte auch die Gegenwart.
Jahr für Jahr war der Herzog Georg um Rückgabe der im Kloster Königstein verbliebenen Bücher und Geräte angegangen worden, auch in diesem Jahre wieder. Zu wirksamer Beitreibung des Gemahnten wurden drei Mönche nach des Herzogs Residenzstadt Dresden geschickt. Die haben sich dort umgeschaut, viel gesehen und gehört. Das Verlangte brachten sie endlich zurück Der Herzog hatte nachgegeben. C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's. S. 51.
Wenschers mißtrauische Augen wollten bemerkt haben, jene drei Sendboten hätten außerdem noch manches mitgebracht, was ihm nicht behagte. Ihm fiel die häufigere Absonderung mehrerer Fratres auf, deren Wispern, Zischeln und plötzliches Abbrechen des Gespräches, sobald er oder der Prior hinzutrat. Diesem geheimnisvollen Wesen blieb Markus fern; doch konnte Wenscher nie ein recht Vertrauen zu ihm fassen; mochte wohl wittern, daß manch ein Wort Mantels in ihm haften geblieben, so sehr Gottschalk dies auch bestritt.
»Markus ist eine in sich gekehrte Natur,« sagte Gottschalk; »alle neuen geistigen Eindrücke verarbeitet er still in sich. Und so du an ihm ein fast schwärmerisch hingebend Wesen bemerkest, so zeigt er doch, wenn er aus sich herausgeht, daß er seinen Namen in der Tat trägt: der Streitbare, der Männliche. Auch würde ich dir, Bruder Michael, nicht raten, mit ihm anzubinden; er überwindet dich mit seinem Geiste, wennschon er fast halb so alt ist als du. Er ist bescheiden, weil er gelehrt ist.«
Darob wollte sich ein kleiner Streit anspinnen; Wenscher begann zu eifern. Wie aber eine Neuigkeit oft weit schneller die Zorneswolken vertreibt, als viele wohlgemeinte Worte, so tat auch des hinzutretenden Pförtners Nachricht, der Maler Veit aus Görlitz sei angekommen, dieselbe Wirkung. Je seltner auf dem Oybin Besuch empfangen wurde, um so mehr erregte er der Mönche Neugier und Aufmerksamkeit. Man erfuhr bald den Zweck.
Dem Künstler war es bei dem vorjährigen Pfingstgottesdienste nicht entgangen, wie unscheinbar und stockig das Marienbild am Seitenaltare durch frühere Feuchte des Gesteins geworden. Treu an der heiligen Stätte hangend, setzte er sich hin, malte ein neu Marienbild und war nun kommen, das Gemälde zum Geschenk dem Prior selbst zu überreichen. Des freuten sich die Mönche nicht wenig. Veit mußte im Kloster nächtigen, um anderen Morgens das Bild selbst anzubringen. Er wurde wohl bewirtet. Markus, Gottschalk und Martin von Jauer erhielten Dispens vom Kirchendienste; sie sollten dem Maler Gesellschaft leisten und behilflich sein.
Der Prior hatte zu des Bildes Enthüllung kirchliche Feier mit Gebet, Gesang und Orgelspiel angeordnet; waren doch die Cölestiner zugleich gar treffliche Sänger. Manch hohes Fest zeigte es den gläubigen Pilgern, die gekommen von Nah und Fern, sich im Gottesdienste der Klosterkirche zu erbauen.
Auf dem von achteckiger Säule gestützten Ein achteckiges Stück ist noch vorhanden. Orgelchore, unter dem Haupteingange, stand die Schar der Sänger; am Hochaltare Uttmann, der Subprior. Er sang und sprach zur Ehre Gottes; die Sänger antworteten. Dann rauschte die Orgel ein lautes Te deum laudamus, bis sie in milde Klänge überging und die kunstgeübten Brüder das Lob der Gebenedeiten in einfacher erhebender Weise anstimmten. Inmitten des Marienliedes ward der Vorhang vom Bilde weggezogen, das schönste aller Nachbildungen des Marienantlitzes sichtbar. Ergriffen schauten die Mönche auf die durchgeistigten Züge. Es deuchte jedem, als ob die heilige Jungfrau ihn ansähe, ihn fragend ansähe: Bist du mir treu?
Markus konnte sich von den seelenvollen Augen schier nicht trennen, selbst als die Feierlichkeit vorüber war. Dem Bruder Tilgenfaß sagte er, es sei ihm gewesen, als durchriesele ihn himmlische Wonne, als habe ihm Gott einen Blick in jene höhere Welt vergönnt.
Heute gab es im Refektorium gar wohl zubereitet Wild, manch fleischig Forellein und süßes Gebäck. Des Köplitzers war vom ältesten bestellt worden, denn »das Alte ist das Wahre«, sagte der Prior beim Mahle. »Und wenn ich die Wahrheit verkünden soll, so muß ich laut des Spruches » in vino veritas« den Becher mit altem erheben und ausrufen: Meister Veit konnte das Altarbild unsrer heiligen Jungfrau nicht schöner gestalten. Dem Künstler, dem Spender und getreuen Anhänger unsrer Kirche sei Dank, Preis und Lob!«
Darauf erhob sich jedweder und trank dem Veit einen vollen zu.
Der Maler aber fragte, ob der hochwürdige Herr Prior ihm ein kurz Wörtlein gestatte, und als ihm Ringehutt freundlich zunickte, wiederholte er, was dieser gesagt: das Alte ist das Wahre. Das sei auch in Hinsicht auf die alte heilige Kirche der Fall. Sie allein enthalte das Wahre; darum gelte sein Spruch dem Wohle, der unerschütterlichen Macht der Kirche, dem Wohle und Gedeihen des Klosters St. Parakleti.
Die Mönche, so sich danach erhoben, ihre Becher an dem des Malers erklingen zu lassen, bemerkten nicht, daß etliche der Konfratres wohl dem Beispiele des Trinkens folgten, aber still sitzen blieben.
All' Dringen, heut noch auf'm Oybin zu bleiben, schlug nicht an. Der Maler wollt in seinem Wäglein alsbald nach Görlitz zurückfahren, wenngleich er erst in später Nachtzeit dahin gelangen konnte. Markus und so nicht gebunden waren, gaben ihm das Geleit bis zum Kretscham im Tale.
Nach des Malers Abfahrt nahete Melchior Ullrich und erbat den Segen der Väter für sich und sein Töchterlein. Markus schlug das Kreuz über sie und legte die Hand segnend auf die Häupter. Danach ging Sabine still in ihr Kämmerlein. Dem Vater weilte sie zu lange. Er fand sie betend und daß sie sehr blaß aussah.
Es vergeht alles. Nur einer ist ewig.
Das Jahr verging und auch das folgende, so mit einem Grenzstreite ob des Waltersdorfer Revieres am Lausche-Berge angefangen hatte. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 209. Der Auflehnungen wider das Kloster und dessen wohlverbriefte Ansprüche wollten kein Ende nehmen. Es war kein gut Zeichen.
Auch das Jahr 1532 begann abermal mit Streit und Hader. Die von Schleinitz auf dem Tollensteine behaupteten, an den Oderwitzer Hutungen ein Recht zu haben. Ihr Lehnsmann auf Oderwitz, der Hans von Mauschwitz hatte es ihnen ausgeklügelt, also, daß den Schleinitzen der Mund danach wässerte. 's war Unrecht. Und weil der markige Magistrat der Stadt Zittau das haßte, warf er sich kräftig ins Zeug und stand den Vätern bei. Der Landvogt Zdislaw Berka von der Duba setzte endlich nach langem Hin und Her einen Vertrag fest; der von Mauschwitz mußte sich verpflichten, die Hutung aufzugeben, auch keinen Bauer des Niederdorfes nicht zu bedrängen. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 170.
Die Hutung hätte das Kloster nicht arm gemacht. Aber daß solcher Eingriffe sich so oft vermehrten; daß so mancher mit sonstiger angenehmer Sendung abfiel und der alten Treue ermangelte – das mußte auf dem mons Paracleti verstimmen.
Es sollte selben Jahres noch weit schlimmer kommen.
Auch in Zittau gab's manche Ursach zur Verstimmung. Stölzlein war ob seines Eiferns und Belferns mählich verhaßt. Der von Heidenreich ausgestreute Same ging nicht unter, sproß aber auch nicht empor. Stillstand ist bei guten Dingen Rückgang.
Hiervon hatte man in Wittenberg wohl erfahren. Melanchthon richtete die Bedrängten wieder auf, obgleich selbst trostbedürftig. Er konnte seinen und Luthers Herzensfreund, den jugendlichen Gelehrten Wilhelm Nesen nicht vergessen, den er anno 1524 durch den Tod in den Fluten der Elbe verloren. E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 21 usw. Sein Herzeleid darob war noch immer groß. Seine und Luthers Liebe – schrieb er – sei nun auf den Bruder, Konrad Nesen, übergegangen, so vor drei Jahren an Ferdinands, des Böhmenkönigs, Hof als Präzeptor gezogen worden, E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 29. jetzt aber wieder in Wittenberg sei. Auch gewähre es ihnen wiederum große Freude, so vieler edler Jünglinge zu sehen, welche – wie der Andreas Maskus, Nikolaus von Dornspach E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 94. und andere – sich als gesunder und kräftiger Nachwuchs erwiesen zur Förderung der reinen Lehre.
Jedwed Trostwort aus Wittenberg hob der Zittauer Mut, den sie sich nie ganz beugen ließen. Der Oybin und die Stadt waren aber wie zwei Wagschalen an einem Balken. Sank die eine, hob sich die andere. Stärkte sich der Bürger Mut, so entschwand das Vertrauen der Cölestiner zur Zukunft. – –
Es war ein böser, trüber Tag des Spätsommers, als Ullrich mit Zeisig und einem Zittauer Knechte des Morgens am Meierhofe stand um eines Fischhandels willen. Als der vorüber, blickte Ullrich empor und rief erstaunt:
»Sieh, Kaspar! dort oben kommen an die zwanzig Väter vom Kloster herunter in einfachen Röcklein wie unsereins und mit Wanderstäben! – wo die nur hin wollen?«
Und zu gleicher Zeit stand Markus droben am Backhause und sagte schmerzlich-vorwurfsvoll zu den Abziehenden:
»Auch du, Max Rohr? – und auch du, Frater Thüring?«
Darauf entgegnete der im Vorbeigehen:
»O Marce! verdamme nicht! ich folge meiner klaren Überzeugung, die mich zur neuen Lehre treibt.«
Und Rohr sagte:
»Ich kann nicht anders. Behüt dich Gott!« – –
Neben Zeisig aber sang der Mann aus Zittau halblaut ein alt Liedlein: König: Litter.-Geschichte; altes Lied.
Ein böhmisch Mönch und schwäbisch Nonn,
Ablaß, den die Karthäuser hon,
Ein polnisch Brück und wendisch Treu,
Hühner zu stehlen, Zigeuner Reu,
Der Welschen Andacht, Spanier Eid,
Der Deutschen Fasten, köllnisch Maid,
Ein schöne Tochter ungezogen,
Ein roter Bart und Erlenbogen –
Für diese Dreizehn noch so viel
Gibt niemand gern ein Pappenstiel.
Ullrich hatte des nicht acht, er würde ihm sonst das Maul gestopft haben. Mit offnem Munde stand er da und staunte, bis er zu dem Verstand kam, daß sie alle, alle fortziehen wollten aus dem ehrwürdigen Kloster auf Nimmerwiedersehen. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 246.
Was Jahre lang im stillen gegärt, was bei manchem der Fortgezogenen viel des inneren Kampfes verursacht – jetzt war es zur Reife gelangt; der Entschluß ward zur Tat, wie verschieden auch die Beweggründe gewesen sein mögen; hier: die nicht zu vertreibende Tageshelle der neuen Lehre, hervorgegangen aus grellem Morgenrot; dort: die vollendetste Mutlosigkeit, die zum freiwilligen Scheiden drängte, ehe ein gewaltsamer Zusammenbruch geschah.
Als die Schar der Mönche vor den Prior zog, ihm durch den Mund des Frater Spengler, des Thürings, ihren unwiderruflichen Entschluß kund zu geben, stand Ringehutt sprachlos und starr. Dann aber ließ er seine Stimme gleich einem Donner erschallen und schrieb Worte in ihre Herzen wie mit Keulen. Es waren keine Segenswünsche.
Wenscher hielt der Mähr Inhalt für unmöglich. Markus' stummer Fingerzeig nach unten bewies ihm das Vollzogene. Da eilte Wenscher wütend nach der Gegend des Jungfernsprunges, hob dort einen gewaltigen Stein auf und warf den in die Tiefe; dann abermal einen und noch einen. Darauf verfiel er in Krämpfe. Markus trug ihn mit Hilfe eines Bruders mitleidig ins Haus.
Der Blöcke einer hatte den Thüring getroffen; der ahnte aus wessen Hand. Er konnte nur den Körper, nicht seine ehrliche Überzeugung verletzen.
Das geschah alles am frühen Morgen. Das Refektorium sah zu Mittag nur noch zwölf Mönche am Tische; abends nur zehn; Ringehutt und Wenscher waren erkrankt.
Markus kniete Tag für Tag vor dem neuen Marienbilde, Festigkeit seines Glaubensfundamentes zu erflehen; Vergebung dafür, daß er den Abtrünnigen keinen Stein nachzuschleudern vermochte. –
Wochen verstrichen, ehe die Erregung der Zurückgebliebenen sich minderte, und dies auch nur auf kurze Zeit. Löst sich ein Block von einem Steinhaufen, so rollt noch manch einer nach.
Die Kunde, daß nahe an zwei Dritteilen der Cölestiner das Kloster verlassen, hatte sich schnell verbreitet. Dem Landvogte war sie durch den Prior alsogleich zugegangen; der meldete es dem Landesherrn Ferdinand I. Am Hofe wurde die Aneignung kostbarer Klosterutensilien durch Protestanten befürchtet, deshalb ein Kommissar aus Prag gesandt, der mit dem Landvogte unangemeldet plötzlich im Kloster erschien und alles aufzeichnete, was an Edelmetall, Perlenschmuck, kostbaren Meßgewändern, Büchern usw. vorhanden war. Sodann folgte die Notierung aller sonstigen Besitztümer und Liegenschaften des Klosters. Etliche Urkunden wurden mit nach Prag genommen. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 249. – C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 78.
Es war ein starker Schlag. Der erkrankte Ringehutt gab niedergebeugt die Priorwürde auf; Christoph Uttmann ward sein Nachfolger. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 143. Dieser ergriff mit starker Hand die Zügel. Noch zählte das Kloster zwölf Insassen; war es doch ursprünglich auch nur für diese Zahl eingerichtet worden. Der neue Prior ließ den Mut nicht sinken, und als vor dem Schlusse des verhängnisvollen Jahres der Pfarrer Martin Bronisch aus Hermsdorf bei Görlitz ins Kloster eintrat, C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 46. um nicht evangelisch werden zu müssen, da schöpfte man wieder Hoffnung, wenngleich mancher die nunmehrige Zahl 13 als eine unheilbringende betrachtete. Tut dies doch noch heute manch sich aufgeklärt dünkender Protestant. Zieht dann ein gefürchtetes Ungemach vorüber, so heißt es: es war Aberglaube. Kommt aber etwelcher Schlag, so setzt sich jener zeitlebens fest.
Das geschah auf dem Oybin im darauf folgenden Jahre. Trotzdem das Kloster von jeher von Abgaben und Steuern befreit war, kam vom Kaiser der Befehl, Mannschaften zu gestellen und Türkensteuer zu leisten. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 220. 245. Die Cölestiner fühlten sich in ihren Rechten verletzt; sie brachten diese Forderungen mit ihrer Zahl Verminderung in Verbindung und waren niedergedrückt. Nicht lange danach starb C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 46. der Dreizehnte; die Leiche des Bruders Bronisch wurde in der gemeinsamen Gruft unter der Kirche beigesetzt.
Auch in Zittau fand sich Anlaß der Trauer. Melchior Hausen hatte im Frühjahre das Zeitliche gesegnet. Je mehr man dessen fruchtbare Tätigkeit und Beharrung bei der neuen Lehre geschätzt, so wollte man ebenso seinen Nachfolger von gleichen Eigenschaften begabt wissen. Auch hier trat Melanchthon mit gutem Rate ein. Er empfahl mit warmen Worten Konrad Nesen zum Syndikus und Protonotar, der denn auch zu Anfange August sein neues Amt antrat und schon desselben Monats, am Donnerstage vor Bartholomäi, der Ratskür beiwohnte. E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 30. 31. – Moráwek: Dorfchronik Radgendorf S. 11.
Die Empfehlung war gut. Nesens Gelehrsamkeit, Festigkeit und hohe Gesinnung gereichten der Stadt auf eine lange Jahr-Reihe zum Heile; ist doch noch heute der Mund derer, so aus der Stadt Vergangenheit Lehre schöpfen, seines Lobes voll.