Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.
Sprießende Saaten.

Im traulichen Wohngemach des Ratsherrn Schönlein saßen Christine und Gertrude. Die Muhme strickte Strümpfe, wohl das vielhundertste Paar in ihrem Leben. Die Nichte stickte an einem neuen Käpplein für des Vaters Haupt. Es war ein groß Gemäuer, groß was sie in gelbseidnen Linien in den dunkelblauen Sammet stichelte, und wer näher zusah, dem deuchte, das Gebilde habe Ähnlichkeit mit dem Kloster auf'm Oybin. Christinen sah man an, daß sie was auf dem Herzen hatte. Das Gespräch zwischen beiden war von ihr längst angesponnen worden; doch hatte sie viel zu weit ausgeholt und wußte nicht, einen ziemlichen Übergang zu dem zu finden, was sie eigentlich sagen wollte. Wie auch sollte sie von dem Bleichplane in Diebsdörfel auf den bezweckten Hauptgedanken kommen? Da brach sie inmitten des Gespräches ab und sagte:

»Ach was Diebsdörfel! – Trudchen, ich muß dir was Frohes und Wichtiges künden.«

»Nun, Muhme?«

»Denke dir: der reiche Kauf- und Handelsherr Balthasar Hennig hat mir im Vertrauen gesagt, er begehre dein zum Ehegemahl und ich solle ihm helfen darzu gelangen.«

Ein gleichgültiges »So?« war Gertrudes einzige Antwort. Darob entsetzte sich die Muhme; sie hatte mindestens ein zimperlich »Ach!« und freudig Aufblitzen ihrer Augen aus errötendem Gesicht erwartet.

»Und das läßt dich so kalt?« fragte sie erstaunt.

»Vielliebe Muhme! zum Freien bin ich zu jung.«

»Was? zu jung? du bist 19 Jahre alt und wenn ihr, Balthasar und du, auch noch ein Jährchen wartet, daß du deinen Flachs spinnen und das Linnen weben lassen kannst, so bist du dann zwanzig und: jung gefreit, hat nie gereut.«

»Aber Muhme! er ist doch katholisch und Ihr wisset, wie ich der neuen Lehre anhange!? Feuer und Wasser passen nicht zusammen.«

»Auch darüber habe ich mit ihm gesprochen. Darauf hat er mir gesagt, daß er ebenso gesinnt sei, wie du und ich und bisher nur des Aufsehens willen nicht gewechselt.«

»O! so ein Leisetreter, der nicht ehrlich mit seinem Sinn raustritt, kann mir nicht behagen.«

»Aber warum nur nicht? Er tritt ja dann raus, wenn er nur deines Jaworts gesichert ist!?«

»Er ist mir auch zu alt.«

»So! – zu alt? Herr Hennig ist genau vierzig, und das ist ein gar schön Alter. Das Mannsvolk wird mit dem vierzigsten Jahre erst vernünftig.«

»Dann war wohl mein Vater, Euer Bruder, unvernünftig, als er sich im fünfundzwanzigsten seines Lebens vermählte?« gab die Maid lächelnd zurück.

»Nein, Schelm! du entgehest mir mit solchem Gered' nicht. Du drehst und drückst und windest dich und am Ende siehst du's ganz gern. – Weißt du auch, wie du mir vorkommst?«

»Nun?«

»Ich will dir mal eine Geschichte erzählen, so ein Franziskaner, der früher Jud' gewesen, erfunden hat: – – Da war einmal ein Bürger, der hatte der Töchter drei, und weil jede Tochter einen Freier hatte, er aber nicht auf einmal all Heiratsgut schaffen konn't, so rief er die Töchter herbei und sagte: ›Wohlan, liebe Töchter!‹ sagte er; ›ich will euch allen dreien Wasser geben, und ihr sollt euch die Hände miteinander waschen, aber sie an kein Tuch abtrocknen, sondern sie von selber trocken lassen werden, und derjenigen, deren Hand zuerst trocken geworden, der will ich zuerst einen Mann geben.‹ Nun goß der Vater allen dreien Wasser über die Hände, sie wuschen sie und ließen sie von selber wieder trocknen. Aber das jüngste Töchterlein, das wehte immer mit den Händen hin und her und rief dabei: ›Ich will keinen Mann! ich will keinen Mann!‹ Und von diesem Wehen wurden ihm seine Hände zuerst trocken, und es bekam zuerst einen Mann und die älteren mußten noch warten Robert König: Deutsche Litt.-Gesch. S. 224. »Schimpf und Ernst«, Schwänke vom Franziskaner Johannes Pauli. – – – Siehst du, Trudlein, so kommst du mir vor! – Laß das Gesperre und sage ›Ja!‹, der Vater mag den Balthasar gar wohl leiden. Er ist auch reich und du machst ein groß Glück.«

Auf solche Rede der Muhme ward Gertrudes Antlitz rot und ihr Sinn gar ernst.

»Nein, Muhme!« sagte sie; »ich hab' mich des Heiratens begeben. Dringet nicht in mich. Aber den Balthasar Hennig nehm' ich nicht.«

Danach erfolgte der Muhme Dringen doch. Das Gespräch ward immer ernster, und als Christine weiter in sie drang und als letzte Bombe die Worte ausschleuderte: »Trudchen! ich will dir's nur sagen: es ist deines Vaters Wunsch und Wille und ein Kind soll gehorchen!« – da brach Gertrude in Tränen aus und verließ das Gemach mit den Worten: »Nein, nein, nein! ich kann nicht!« –

Schönlein aber, als er hiervon hörte, ward er betrübt und ging die Woche drauf in den Väterhof, wo er wußte, daß Markus anwesend war. Ferdinand I. hatte am 2 Juli anno 37 die Privilegien des Oybiner Stiftes bestätigt und das Kloster unter den Schutz der Stadt Zittau gestellt. C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 79. Das erheischte manch eine Konferenz mit dem Magistrate.

Als der ratlose Ratsherr den Markus gebeten, er möge Gertruden fürstellen, daß sie gehorche und den Hennig nähme, ward der Mönch sehr bewegt und es dauerte geraume Zeit, ehe er ein Wörtlein reden könnt, also, daß Schönlein bei sich dachte: »Wie nimmt er's doch so genau und ist voll Teilnahme und Lieb'!« Danach wendete sich Markus vom Fenster weg und sagte:

»So Ihr Eurem Töchterlein befehlet, daß sie's tun solle, muß und wird sie es auch tun. Aber, Herr Ratsherr! wenn sie danach bloß und elend wird und groß Bekümmernis an ihr zehret, wird es Euch dann wohl gereuen.«

Darauf sagte Schönlein nach einigem Besinnen:

»So will ich es lieber doch nicht tun. Ich danke Euch, hochwürdiger Vater, für die Warnung.« –

Balthasar Hennig ward über Gertrudens Weigerung betrübt, also, daß er beschloß, ehelos zu bleiben – auf ein halbes Jahr. Danach nahm er sich eine andere.

Gertrude war froh und ruhig ob des Ausganges der Sache und Markus war froh und doch unruhig und suchte mit aller Kraft die Konsole in seinem Herzen herzu, zu dämpfen, was darein nicht gehören sollte. In der Kirche ging er noch immer unverwandten Blickes auf den Hauptaltar zu; aber er las wiederholt Mantels Briefe und was Dr. Luther über Klostergelübde und Priesterehe geschrieben, also, daß das »stracks auf den Hauptaltar zugehen« auch nur ein Mittelchen war, das Aufbegehren stiller Wünsche leichthin zu übertünchen; leichthin, denn jetzt, wo er ganz neue, ihm sonst fremd gebliebene Seeleneindrücke erfahren, urteilte er über Mantels Eheschritt weit milder und wäre darin gewiß weiter fortgefahren, wenn nicht das Anerzogene der Menschensatzungen einen Damm dagegen aufgebaut hätte.

Das sind schwere Zeiten, in denen Wollen und Sollen wie zwei starke Gewalten in der Menschenbrust um die Herrschaft ringen. Keiner will man wehe tun. Aber dabei erweist sich, daß es in solchem Widerstreite keinen Mittelweg gibt; ein strenges Entweder-Oder zeigt hier- und dorthin. Wer noch nicht die Kraft zu einem frischen Entschluß hat, kommt sich entsetzlich elend vor, denn er wird mit zwei Zangen gezwickt. Fühlte sich gestern der Mönch erleichtert, weil es ihm gelungen, dem Gelübde auch in den Gedanken treu geblieben zu sein, so erfreute sich heute wiederum der Mensch ob der Hingebung des Herzens an die Ursache zu seiner inneren Wandlung. Diese war es, die ihn trieb, an den Ketzer Johannes Mantel einen Brief zu schreiben, von ganz anderem Geiste durchweht, als die früheren. Wohl vermied Markus absichtlich, Gertruden zu sehen, sah sie fast ein Jahr lang nicht. Das hätte ihm zur Selbstüberwindung verhelfen können. Aber jenes Bild nährte fort und fort, was er doch suchte, mit aller Kraft zu bändigen; selbst wenn er es nicht anschaute, so war ihm beim Durchschreiten der Kirche, als ob ein – Dämon oder Engel – seinen Kopf nach rechts drehen wollte, also, daß er sich schier Halswirbel von Eisen gewünscht hätte.

In solchen Zerwürfnissen wirken erregende, von außen einstürmende Ereignisse andrer Art wohltätig ablenkend. Hier mangelte es im folgenden, dem 1538ten Jahre des Heiles nicht.

Die Neuherstellung des Klostervorwerks in Drausendorf Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 159. hatte viel Geld gekostet. Zur Deckung des fehlenden mußte man abermals um pünktlichere Zinsleistung mahnen. Anno 1488 hatte der Görlitzer Bürgermeister Canitz den Vätern auf'm Oybin alljährlich »eine Tonne schöne Heringe« gestiftet, » item: 200 Mark von seinem Hause, wovon für die Mönche auf'm Oybin und im Görlitzer Kloster Bier, Fleisch, Fische und Brote, woran sie Notdurft haben werden«, angeschafft werden sollten. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 214. 225. 244. Dem Görlitzer Magistrate lag die Verwaltung ob. Aber jetzt blieb auch die Tonne Heringe aus und das Geld. Die Mahnungen darum brachten nichts zuwege; das Kloster geriet in Geldverlegenheit, also, daß es gezwungen war, etliche der kostbaren Kirchenkleinodien zu verkaufen. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 246. Frater Laurentius mußte das in Leitmeritz besorgen. Den andern Städten, so sich der neuen Lehre hingegeben, wollte man's nicht ins Maul schmieren; halte sich doch sonst manch ein Protestant darüber schadenfroh geberden können.

So brachte das Jahr manche Sorge; auch einen nicht kleinen Kummer. Der bei allen beliebte frühere Prior Ringehutt hauchte am Margarethentage seine Seele aus. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 143. Manch neues Bekümmernis ward diesem so erspart; auch die ärgerliche Verhandlung über den vor zwei Jahren erlebten Wasserfeldzug. Der Landvogt Zdislaw Berka von der Duba lud Zittau zur Rechtfertigung vor Land und Städte auf das Schloß zu Budissin. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 227. 228. Hier ward keine Einigung erzielt. Der Streit ging weiter bis zum böhmischen Könige.

So mit inneren Klosterangelegenheiten beschäftigt, achteten die Mönche auch wenig auf ein Ereignis in Zittau, das die Eiferndsten von ihnen wohl mit etwas Behagen erfüllt haben würde. Allzuscharf macht schartig. Stölzleins zorniges Eifern in seinen Predigten war der Stadt denn doch zu arg geworden. Jener mußte abtreten und mit einer Landpredigerstelle fürlieb nehmen. E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 33. 34. An seine Stelle trat der Pfarrer Immerlieb E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 33. 34. Das war ein lustiger Patron und arger Lebemann. Die Stadt geriet aus dem Regen in die Traufe, so doch ob zu großer Wässrigkeit nicht für jedermann angenehm war, auch für Kaspar Zeisig nicht. Der hatte bald weggekriegt, weß Geistes End Immerlieb war, und als dieser dem Kräutermann dereinst Vorwürfe machte, daß er nicht mehr zu ihm in die Kirche käme, antwortete Zeisig beißend trocken:

»Wie man's nimmt Herr Past'r. Neulich sagte mir der Olbersdorfer Schänkwirt: wenn er sauer Bier hätt', käm zu ihm auch niemand nit.«

Nicht anders erging es dem neuen Pfarrer seiten der Bürger der Stadt und wohl wäre es bald zum Bruche gekommen, wenn nicht der Tod des Komtures Proß als Ablenker aufgetreten wäre. Von dessen Nachfolger Johannes Nareska erwartete man sich nichts Gutes und nicht ohne Grund. Der neue Komtur trat noch feindseliger auf, als sein Vorgänger. Den Cölestinern kam dies nicht zugute. Als im selben Jahre König Ferdinand auf Nareska's Betreiben dem Rate der Stadt den strengen Befehl zugehen ließ, den Priestern die Reichung des Sakraments nicht anders als unter einerlei Gestalt zu gestatten, E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 34. glitt dies an dem mutigen Festhalten der Stadt vollständig ab. Immerlieb hatte ohnehin anders zu tun, als sich um die einerlei Gestalt zu kümmern; im Jahre 1539 ward er wegen überaus schlechten Wandels aus der Stadt verwiesen. E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 34. 35. An seine Stelle trat der evangelische Prediger M. Kaspar Wittwer. E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 34. 35. Es war hohe Zeit, daß eine schätzbare und wirksame Kraft das Amt erhielt.

Auch im neuen Jahre setzten sich des Klosters weltliche Geschäfte vielfach fort, wobei sie denn manches von der Außenwelt Getriebe erfuhren. In Olbersdorf mußte Ding gehegt oder Rügengericht abgehalten werden Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 167. ein Jahrding, d. h. eine Versammlung der Gemeinde im Kretscham, allwo jedwedem frei stand, Ungehöriges zu rügen, auch durch Verlesen des Dingsrichters alte Gerechtigkeiten erhalten, Verträge, Vergleiche, Käufe geschlossen, Lossagungen oder Quittungen erteilt wurden.

Da hätt' mögen so ein Prior alles mögliche zu gleicher Zeit sein um gerechten Entscheids willen. Und weil beim Jahrding die Erbherrschaft – hier das Kloster – und ein Rechtskundiger sein mußte, so hatten Uttmann und der Dr. Ullrich von Nostiz zu gedachten Zwecken in Olbersdorf gar viel zu tun. Auch ein Schöppe war zu ernennen. Die Gemeinde wollte hierzu gern den Kaspar Zeisig haben; der Dr. Ullrich von Nostiz verwarf es als eifriger Katholik. Als aber selbst Uttmann sagte: »Wohl neiget Zeisig zur neuen Lehre, aber er ist sonst brav und zuverlässig und möchte sich wohl zu dem Amte schicken, so er verspricht, in Olbersdorf nichts gegen die heilige Kirche zu tun. Zu unserm Kloster war er immer gut Freund und der selig verstorbene Prior Swob, welchen Zeisig Tag und Nacht gepflegt wie ein Sohn, hat ihn mir vor seinem Ende auf die Seele gebunden« – da schlug das Wort des Priors durch; trotz Nostiz's Widerstreben ward Zeisig Schöppe.

Uttmanns Fürwort hatte diesen überrascht; er hielt den Prior für wenig gewogen. Seinen Kräuterhandel betrieb er seit Sabines Tode fast gar nicht mehr; was er sich erspart, reichte aus zu einem artigen Besitztum. Dort sagte er alle Tage Sabines Worte vor sich her: »Du guter lieber Kaspar!« Als aber auch sein sprechender Starmatz, so er in seinem Stüblein hielt, die Worte nachsprach, da hatte er sie nie mehr selbst gesagt; vom Starmatz hörte sich's viel besser an, weil es klang, als flüstere Sabine von weitem.

Nun er auf so warme Worte Uttmanns sollt Schöppe werden, ward er sehr gerührt und nur mit Mühe konnte er die Eidesworte nachsagen, welche also lauteten:

»Ich, Kaspar Zeisig, – du lieber gu – – Ich, Kaspar Zeisig, schwöre Gott von Himmelreich dieser gantzen Gemein, daß ich in dem Schöppenampt, darzu ich erkoren, Recht will stärken, Unrecht kränken, und den Mann das Recht verhelfen, den Reichen als den armen, den armen als den Reichen, den ausländischen als den einheimischen und will das nie lassen, weder umb das gelt Erb oder freundschaft willen, sundern will ein jecklichen gleiches Recht Verhelfen und will eines hochwürdigen Klosters getreu und gehorsam sein, darzu mir Gott Helf und sein Heilig wort.« nach: Moráwek: Dorfchronik. Kleinschönau, S. 83.

Als dies geschehen und sintemalen ein ander Geschäft nicht vorlag, nahm der Prior den Stab und zerbrach ihn; das hieß: daß des Ehdings Ende damit sollte angezeigt sein.

Zeisig kehrte hiernach in sein Stüblein zurück. Dort stellte er sich vor den Starmatz, der sollte die lieben Worte sagen. Der aber rührte sich nicht, und als Zeisig zusah, fand er ihn tot im Gebauer. Da war ihm, als sei Sabine zum zweiten Male gestorben. Inzwischen trat Uttmann ein und sagte freundlich:

»Zeisig! so Ihr wollt Sabines verblichen Kreuzlein wieder auffrischen, will ich Eures Aufenthalts im Kloster nimmer wehren.«

Da brach der alte Schmerz in dem einfachen Manne gewaltig wieder auf. Er küßte des Priors Hand und sagte mit vom Schluchzen unsicherer Stimme:

»Mein Starmatz – lieber guter – – – der Starmatz ist tot!« – also, daß Uttmann schier verwundert dachte, es sei nicht ganz richtig in seinem Oberstüblein. Andern Tag's erfuhr er den wahren Grund der großen Trauer über des Starmatz' Verlust. Das machte ihn dem Zeisig wohl gewogen und ließ die Meinung entstehen, ob es nicht wohlgetan sei, den Trauernden die Tröstungen seiner Kirche empfangen zu lassen, auch zu versuchen, ihn in den Schoß der alten Kirche zurückzubringen. Andere Pläne verdrängten dieses Vorhaben. Uttmann ging damit um, an der Stelle, von welcher die Stadt Zittau die Wässer nach Bertsdorf abgeleitet, ein Dorf zu errichten. Mit dem Prokurator Laurentius Voit führte er dies aus, gründete das Dorf Jonsdorf Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 143. 170. 171. und war mit Berainung von Gartengrundstücken, mit Austrag von Lehns- und Besitzrechten dermaßen beschäftigt, daß er der Betreibung der Umkehr Zeisigs nicht gedachte. Es wäre ihm wohl auch kaum gelungen; Heidenreichs Wirken und Luthers Schriften hatten schon zu festen Fuß gefaßt. Dies geschah auch innerhalb der Ringmauer des Klosters selbst.

Tilgenfaß und Martin von Jauer saßen eifrig über Luthers Büchern und den dagegen gerichteten Schriften; sie wogen ab. Auch Markus hatte Wandlungen erfahren, ohne sich bewußt zu sein, daß es solche waren. So allmählich die freundschaftliche Gesinnung für Johannes Mantel geschwunden, ebenso allmählich kam sie zurück. Früher hatte die Brücke der Wehmut die entstandene Kluft überspannt; Mantels Eheschließung riß sie darnieder. Jetzt aber stand vor der trennenden Schlucht die so oft fruchtlos bekämpfte Liebe Markus' zu Gertruden und diese Liebe trug Baustein auf Baustein herzu, die Brücke wieder herzustellen. Markus sehnte sich nach einer Antwort von Mantel; erst zwei Jahre nach Absendung seines letzten Briefes kam sie.

Mantels Brief enthielt Freud und Leid. Erfreut schrieb er, daß Markus seiner gedenke; das ließe ihn hoffen nicht bloß auf Erhaltung der Freundschaft, sondern auch auf Annäherung in Gottessachen. »O Marce,« schrieb er, ebenso wie Gertrude dachte; »wenn Ihr doch ebenso dächtet wie wir; ich gäbe die Hälfte meines Lebens drum! Denkt d'ran zurück: Wie groß war der Unterschied der Meinungen, als wir auf dem Königstein disputierten von früh bis spat und dennoch schlug mein Herz für Euch, so kurze Zeit auch wir uns erst kannten. Ich hab mich wohl gefragt, woher das komme und eine innere Stimme sagte mir: das ist das gnädige Gottesgeschenk der Freundschaft, das keine differentia der Ansichten in Satzungen zerstören soll und darf. Und nun, teurer Freund, seht Ihr wohl auch meine Liebe zu meiner treuen, frommen Lebensgesellin in milderem Lichte an? Auch diese ist ein gnädiges Gottesgeschenk, diese erst recht, denn ich spüre, daß ich durch sie nur geläutert werde, daß Eigenliebe und Selbstsucht in opfernder Hingabe schwinden.«

Mit wie warmen Farben zeichnete nun Mantel sein häusliches stilles Glück! also, daß Markus beim Lesen einen Seufzer ausstieß und inniger denn je dem Briefinhalte folgte, als dieser auch von den Leiden sprach, die Mantel erfahren. »Im Oktober,« schrieb der Freund, »war in Wittenberg die Pest ausgebrochen, oder, wie Dr. Lutherus gemeint, nur ein Contagium. Der Doktor äußerte sich über der Leute Gebahren sehr entsetzt. »Eine viel schlimmere Pest,« sagte er, »ist die Furcht, daß so einer vor dem andern flieht und man nicht einmal einen Bader oder Wärter finden kann. Ich halt, der Teufel hat die Leute besessen mit der rechten Pestilenz, daß sie so schändlich erschrecken, daß der Bruder den Bruder, der Sohn die Eltern verläßt und das ist ohne Zweifel der Lohn für die Verachtung des Evangeliums und die Raserei des Geizes. Ich habe die vier Kinder des mit seiner Frau verstorbenen Dr. Sebaldus in mein Haus ausgenommen. Lieber Gott! was hat sich da für ein Geschrei über mich erhoben!« M. Meurer: Luthers Leben, S. 642. – Auch ich, lieber Marce, lag hart darnieder und so sehr ich auch kämpfte, stark zu bleiben am inwendigen Menschen, ward mir doch bange, also, daß ich den Doktor Luther bat, mir ein Trostbrieflein zu schreiben. Wie herzig hat er dies getan! so er doch unter anderem sagt:

»Daß Ihr, liebster Mantelius, schreibet und klaget über Anfechtung und Traurigkeit des Todes halben, wisset Ihr aus unserm Glauben, da wir sprechen und bekennen, daß der Sohn Gottes gelitten habe unter Pontio Pilato, sei gekreuzigt und gestorben, auf daß er durch seinen Tod dem Tod Aller, so an ihn gläuben, die Macht nähme, ja ganz und gar verschlänge. Lieber! was Großes ist's, daß wir sterben, so wir recht bedenken, daß Er, der liebe Herr, gestorben, und für uns gestorben ist. Sein Tod ist der rechte, einige Tod, der unser Herz, Sinne und Gedanken so einnehmen und erfüllen sollt, daß uns nichts Andres zu Sinn wäre, als lebte nun nichts mehr, auch die liebe Sonne nicht, sondern wäre Alles mit dem lieben Herrn gestorben, doch also, daß sammt ihm Alles wieder auferstehen soll an jenem selbigen Tage. In diesen seinen Tod und Leben soll unser Tod und Leben sinken, als derer, die mit ihm ewig leben sollen. Und zwar er ist uns vorgegangen mit seinem Tod von Anfang der Welt, wartet auch auf uns bis an der Welt Ende, auf daß er uns, wenn wir aus diesem kurzen, elenden Leben scheiden, empfahn und in sein ewig Reich aufnehme. M. Meurer: Luthers Brief an Mantel.

Von Stund an war ich des Todes getrost. Aber ich sollte weiter leben und bin nun gewiß: auch derhalb, daß ich Euch, teurer Lieber, einst wiedersehn und kein derb Unterschied mehr sei – –«

Markus las bewegt bis zu Ende. Eine wohltuende Wärme durchzog sein Herz und über sich schüttelte er den Kopf, als er – erstaunt und tief nachdenklich – vor sich hin sagte: Dieser Luther hat ja ganz christliche Gedanken!? – Und Markus verwahrte solcher Gedanken in sich, wenn auch vorläufig nur wie ein Buch, so der Buchhändler zur Ansicht zuschickt. Man blättert nur so darin herum, findet hie und da eine behagende Stelle und legt's beiseite, aber mit dem Entschlusse, es zu behalten. –

Nur noch elf der Mönche waren im Kloster. Der Wunsch, die Zahl zu mehren, kümmerte den Tod nicht; er nahm anno 1540 den Prokurator Laurentius Voit von der Erde weg. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 143. Gottschalk ward sein Nachfolger im Amte.

Diesem Verlust gesellte sich im darauffolgenden Jahre ein zweiter bei. Im schönen Klostergute Drausendorf war Feuer ausgebrochen und vernichtete das Vorwerk samt seiner Kapelle. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 159.

Das war ein derber Schlag. Über Geld verfügte das Kloster nicht mehr; es mußte Grundstücke verkaufen, um den Schaden wieder ausbessern zu können. So ging ein großer, fruchtbarer Wiesenplan zu Deutsch-Ossig gegen Bargeld in die Hände des Görlitzer Bürgers Onophrius Schnitter über. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 179. 245.

Auch errang sich die Reformation in Zittau immer größere Macht. Der tatkräftige Konrad Nesen ward zum Bürgermeister erwählt, E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 31. und wenn der Johanniter-Komtur Nareska auch noch so feindlich auftrat; wenn er den evangelischen M. Wittwer seines Pfarramtes entsetzte, E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 35. so wußte doch Nesen nach des Komturs Tode es dahin zu bringen, daß der Rat die Befugnis zur Besetzung geistlicher Stellen erhielt. E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 36 Er berief Kaspar Heublin zum Prediger. E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 36. Zur Komturwürde aber gelangte ein dem geistlichen Stande nicht angehörender: Einer aus dem Geschlechte der Berka. Unter diesem nahm der katholische Gottesdienst immer mehr ab und hiermit auch die Hoffnung der Cölestiner auf Besserung der Lage.

Hoffnung ist ein gar süßes Ding. So sie aber allzulang in Anspruch genommen wird, ergeht es ihr wie der Zuckerlösung: sie gärt und wird sauer; an ihre Stelle tritt ihr Widerpart: die Mutlosigkeit.

Als Uttmann anno 1542 nebst Kaspar Schade, Richters der Stadt Zittau, in Olbersdorf abermal Ding hegte, Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 167. erfuhr er von jenem, daß Nikolaus von Dornspach in das Ratskollegium gewählt Moráwek: Dorfchronik. Großporitsch S. 10. und der Mann, welcher eine Hauptstütze der Reformation war, Konrad Nesen, vom König Ferdinand in den Ritter- und Adelstand erhoben worden sei. E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 32. – Moráwek: Dorfchronik. Radgendorf S. 11. Darob denn Uttmann schier verblüfft wurde; er wollte es nicht glauben. Aber Kaspar Schade zeigte ihm die Abschrift der Urkunde vom 10. Mai und hierin war ausdrücklich betont: »aus eigner Bewegnis auch erwegen solch Ehrbarkeit Frommheit Schicklichkeit adelich Sitten und Tugend, nebst ehelichen Leibeserben und derselben Erben aus römischer, ungarischer und böhmischer königlicher Machtvollkommenheit.« E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 32. »aus aigner bewegnuß auch erwegen solch erbergkeit Frumbnheit schiigclichait adelich siten vnd tugend« usw.

Den Cölestinern war nicht entgangen, daß Heublin sich mannigfach angestrengt, die Privatmessen wieder einzuführen. E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 36. Hievon ließ sich was hoffen. Als aber Uttmann den Zittauer Richter beim Ehding so beiläufig nach dem Befinden Heublins fragte, erwiderte Kaspar Schade kurz und bestimmt:

»Den haben wir sofort seines Amtes entsetzt und ihm eine untere Stelle im geistlichen Ministerio angewiesen.« E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 36.

Und auf des Priors Frage ob des Nachfolgers:

»Wir werden alle Hebel ansetzen, den ehrenwerten M. Heidenreich wieder zu erlangen.«

Das Ehding ward ohne Unterbrechung ruhig fortgeführt, am Schlusse, wie üblich, der Stab gebrochen. Aber auf dem Heimwege blickte Uttmann finster und bange Sorgen stiegen in seiner Brust auf, die noch weiter belastet werden sollte.

Droben im Kloster angelangt, erblickte er fremde Gesichter von Weltleuten, die auf dem Hofe geschäftig hin und her liefen. Gottschalk brachte ihm die wunderliche und ärgerliche Mähr:

»Denket Euch, Herr Prior, das Unerhörte: Der Stunden zween, nachdem Ihr in Olbersdorf eingezogen, kommt der Landvogt Berka von Duba mitsamt seiner Familie und Dienerschaft, begehret Einlaß und sagt, er wolle sich wegen Pestilenzgefahr auf einige Zeit hier niederlassen!« Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 224. 245.

Uttmann schwieg. Dann fragte er finster:

»Und wie lange gedenkt er hier zu weilen?«

»Das weiß Gott allein,« sagte Gottschalk. »So sich aber bestätiget, was der Maler Veit aus Görlitz mir vor einem halben Jahre mitgeteilt: man raune sich zu, es warte der Landvogt darauf, daß alle Fratres aus dem Kloster laufen, daß er jüngst Kind dazu sein möchte – so werden wir seiner nimmer wieder los werden.«

»Das wird mir zur Gewißheit,« sagte der Prior. »Habt ihr nicht bemerkt, wie der Landvogt, als er anno 32 mit dem böhmischen Kanzler hier war, herumlungerte und sich alles mit Fleiß besah, mehr als zu damaliger Sendung nötig war? Als ich ihn darob befragte, gab er zur Antwort: »Es vergnüget mich, diese Stätte ins kleinste zu sehen, denn meiner Vorfahren einer war, der auf'm Oybin zuerst eine Feste erbaut.« Damals stieg mir ein kurzer Verdacht auf; der Zeiten Wechselfälle ließen mir ihn wieder vergessen. Jetzt ist's gewiß: man wartet auf unsern Untergang.«

»Lassen wir darob den Kopf nicht hangen!« tröstete Gottschalk. »Wohl müssen wir den Landvogt itzo herbergen und bewirten, aber das braucht nicht immer zu sein. Auch haben wir des Erfreulichen: Auf die mißgünstige Forderung der oberlausitzer Stände, daß das Kloster die Landsteuer mit tragen solle, so wir doch laut Privilegien von befreit sind, ist Bescheid erfolgt, daß unser Kloster bei seinen alten und vom Könige hineben aufgelegten Freiheiten verbleiben solle.« Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 219.

»Das ist wohl dienlich und gut zu hören,« sagte Uttmann, »kann uns aber allein nicht retten; denn mit dem Fortschritte der Ketzerlehre geht unser Rückschritt Hand in Hand.« Und nun erzählte er ihm, was er in Olbersdorf beim Rügengericht erfahren: darob denn auch Gottschalk über die Summe der entstandenen Erschütterungen den Kopf hangen ließ. Beide begaben sich zum Landvogte, so im Kaiserhause für sich und die Seinen Quartier genommen. Die Unterhaltung war kalt-höflich.

Das lag schwer auf den geprüften Cölestinern! hatte doch die Mehrzahl von ihnen noch anderweite Lasten zu tragen, jeder für sich und in sich; auch Markus.

Aus seiner anhaltischen Heimat ging ihm die Botschaft zu, daß der Diakon Johannes Mantel in Wittenberg mit Tode abgegangen sei. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 147. Darüber erschrak er wie über einen unvorbereitet gehörten Schuß. Aber nach dem Schusse tönte wiederum manch Echo und das letzte, das scheidende, erklang so schön und herrlich, daß er's nimmer aus dem Herzen bringen konnte. Er ging mit Mantels Briefen an ein still Plätzlein hinter dem Kegelschub und weinte bittere Tränen. Jetzt fühlte er: er hatte ihn sehr lieb gehabt.

.


 << zurück weiter >>