Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Manch altes Buch gibt uns Erdenbürgern des neunzehnten Jahrhunderts kund, daß die Cölestiner auf'm Oybin nicht allein feste Gelehrte gewesen, sondern auch der Verwaltung des reichen Klostergutes fürtrefflich obzuliegen verstanden. Wenn wir daher den Prior Uttmann im Lenze des Jahres 1534 sich der geschäftlichen Schreiberei emsig befleißigen sehen, so wird jene Kunde gar wohl bestätigt.
Vor mehr als einer Woche war Zeisig mit dem Richter von Olbersdorf kommen und hatte gebeten, ihrer Gemeinde die Feier eines Kirchweihfestes zu gestatten. Der Wunsch ward erwogen und genehmigt. Uttmann hatte soeben das ovale Pitschier unter ein Schreiben gedrückt, welches die Erlaubnis zur Feier, gleichzeitig mit der zu Görlitz, enthielt. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 167. Noch manches war abzufassen und zu verordnen; des Schreibens wollte kein Ende nehmen.
Sintemalen aber jene alten Bücher auch sagen, daß die Cölestiner eifrige Ordensbrüder gewesen und weil des Klosters Rückgang so sichtlich vor Augen stand, so ließ der Prior die Feder ruhen, trat ans Fenster und sann, welcher Weise eine kirchliche Auffrischung und Belebung unter der Bevölkerung zu erzielen sei. Er sann mit strenger Selbstprüfung. Die Oybiner lebten sehr zurückgezogen von der Welt; nur wenige Male im Jahre wurden die Pforten des schönen Klosterdomes geöffnet, um andächtige Gläubige der umliegenden Ortschaften zu öffentlichem Gottesdienst aufzunehmen. Das lag in des Ordens Regel; aber um allgemeinen Klostervorteils willen wirkte die Verschlossenheit nicht gut. Wenschers eiferndes, heftiges Wesen führte nach Uttmanns Überzeugung zu Nichts; konnte doch auch der Zittauer Prediger Stölzlein hiermit sein geistliches Feld nicht bestellen. Es mußte etwas geschehen, die Bevölkerung aufzurütteln, ihr zu zeigen: noch steht das Kloster St. Paraklets auf festem Felsengrunde! noch herrscht die heilige Kirche durch den Statthalter St. Petri!
Im Konvente der Zwölf trug er seine Gedanken vor.
Was in jetziger Zeit alljährlich Tausende zur Vergnügung und Erholung tun, das sollte im 16. Jahrhunderte zur Weckung und Wiederbelebung des Glaubens geschehen: Eine Wallfahrt zum Kloster Oybin. Einmütig ging der zusammengeschmolzene Konvent darauf ein.
Als die Kirschbäume blühten und die Vögel munter sangen, da ertönte das schöne, volle Geläute der Klosterglocken. Eine unabsehbare Reihe festlich gekleideter Andächtiger zog an der Einsiedelmühle vorbei in des Tales Enge, hielt grüßend an der Kapelle beim Kretscham und stieg gemessenen Schrittes die Stufen hinauf. Das Gotteshaus droben ward bis auf einen schmalen Gang von der Menge gefüllt, die dem Altardienste andächtig zuschaute. Dann tönte die Orgel und nach des Präludiums mächtigem Gebraus wurde sie milder und eine schöne Männerstimme sang ein altes, ernstes Lied dazu, so einfach als ergreifend. Manch Auge wurde da feucht. Sabine erkannte den Sänger Markus an der Stimme; ihr schien, als ob diese mitten im Liede etwas zitterte, so wie es ihr im jungen Herzen bebte. Sie wollte standhaft bleiben und rang mit aller Kraft, eine Regung zu dämpfen, die ihr sündhaft schien. Sie unterlag und barg der bitteren Tränen Strom in den kleinen Händen.
Während des Singens sah Markus flüchtig hinab in das Schiff der Kirche, und weil dort manch ein Haupt sich gewendet, nach dem Sänger zu schauen, mußte ihm auch ein fremdes Antlitz ersichtlich werden, das seine Stimme unsicher machte. Es währte nicht lange und wohl kaum hatte es sonst noch wer bemerkt. Dieses Antlitz aber war Zug um Zug das der heiligen Jungfrau Maria auf Veits Altargemälde, das begeisternde mit den fragenden Augen.
Gottschalk mit beredtem Munde hielt die Predigt. Die lautete sonst immer in der alten Römersprache, heute deutsch. Das Credo der kleinen Sängerschar bildete den Schluß des Gottesdienstes. Wiederum tönte das volle Geläute der Glocken und begleitete mit seinen Klängen die Wallfahrer zur Kirche hinaus. Von ihnen weilten Etliche im Klosterhofe und sprachen mit den Vätern; die Adrigen zogen lobsingend wieder hinab ins Tal, sich nunmehr leiblicher Stärkung zu befleißen. Sabine und Ullrich, Unecht und Magd, halten emsig zu schaffen, so vieler Magen Begehr zu stillen.
Markus und Martin von Jauer begleiteten den Ratsherrn Schönlein hinab; der wollte noch etliche Zeit im Tale verweilen, sich von Just, dem Teichwärter, die Forellenzucht zeigen zu lassen. Am Kretscham nahmen sie von einander Abschied. Dort stieg auch eine schmucke Alte nebst einer lieblichen Maid in ein Wäglein, gen Zittau zu fahren. Markus erkannte jenes Antlitz wieder, das seine Stimme zum Schwanken gebracht hatte. Seine Augen leuchteten bewundernd und folgten lange Zeit dem Gefährt. Ein Paar anderer Augen sah das und unter diesen war ein gramvoll verzogener Mund, dessen Inhaberin plötzlich von Markus mit dem Worte angeredet ward: »Wer – –« Hier brach er, sich wendend, mit der Frage ab; deren Fortsetzung: »war denn jene liebliche Maid?« schien ihm nicht ziemlich vorzubringen. Der so kurz Gefragten aber schwammen die Augen, also, daß sie nicht deutlich sehen konnte. Sie stieß mit den Bierkrügen, die ihre Hände trugen, an eine Wegsäule, daß es Scherben setzte allenthalben.
»Kommt, Jungfer Sabine!« sagte Zeisig, der des Dirnleins Gram wohl bemerkt. »Ihr seid krank! geht in Euer Kämmerlein und pflegt der Ruhe. Ich will statt Euer schaffen.«
Darauf faßte Sabine seine Hand und sagte: »Du guter, lieber Kaspar! Gott vergelt's dir!« Sie verschwand und Zeisig rannte des Tags über hin und her im Schweiße seines Angesichts, trug Bier und Speise herzu und sammelte der Groschen viele ein, so er dem Ullrich getreulich ablieferte. Das Lohn, das ihm der Kretschamwirt am Abend geben wollte, wies er zurück.
Droben im Klosterhofe stand Markus still. Es zog ihn zur Kirche, zu jenem Seitenaltare. Zehn Schritte tat er vorwärts, dann wieder zurück. Darauf wendete er sich abermals dem Portale zu, um nach kurzem Sinnen umzukehren und von neuem vorzudringen. Es war in den weltverschlossenen Räumen nicht um ein Jota anders, als vor Jahren bei Zeisigs drei Schritten vor- und rückwärts an des Wucherers Hause in der volkbelebten Stadt.
Den Kämpfenden zog es doch hinein, wie sehr auch eine innere Stimme warnend fragte: »Marce! geschieht's aus Andacht?« Das machte, weil eine andere Stimme kecklich behauptete, es wäre Andacht, was ihn triebe.
Am Altare strafte ihn die erste Stimme Lügen. Er schaute hinauf zu dem edlen Antlitz der Gebenedeiten: aber das war die heilige Jungfrau nicht mehr. Das war ein Kind der Welt, das ihn anblickte. So meinte er, meinte es nicht ungern und würde es wohl länger so angeschaut haben, wenn nicht etwas aus seinem Schul-Erlernten sich wieder hervorgedrängt, ihm die Gedanken kreuzend; wenn nicht Plato gesprochen hätte: »denken, was wahr ist; fühlen, was schön ist, aber wollen, was gut ist – daran erkennt der Geist das Ziel des vernünftigen Lebens.« In das andere Ohr aber raunte ihm Sophokles mahnend zu: »Laß dir die klaren Sinne durch eines Weibes Reize nicht besticken.« Da wandte sich Markus unwillig ab und ging zur Bücherei. Dort studierte er über ganz etwas anderes: Über des Klostervorwerks Drausendorf Schenkung seitens des Kaisers Karl IV. anno 1369, mit Bestand an Äckern, Wiesen und Rindvieh. Das lenkte ihn ab. Philosophie hätte es nicht vermocht.
Tilgenfaß, der Getreue, fragte ihn nach etlichen Wochen:
»Warum stierest du immer so unverwandt das Hauptaltare im Chore an, so du durch die Kirche gehest?«
»Das ist so mein Brauch,« war die Antwort; »ich will die Hauptsache nicht aus den Augen verlieren.«
Tilgenfaß meinte, Markus ziele auf den Glauben und doch hatte der ganz Anderes im Sinne. Sie verstanden sich diesmal nicht. –
Der Wallfahrt Folgen schienen günstige zu sein. Etliche der Beteiligten stifteten, wenn auch nur einmalige, so doch reiche Geschenke. Auch im Jahre darauf floh dem Kloster zu, was die Stadt Görlitz seit langer Zeit zurückgehalten: ein »zugestorbnes« Legat von je 3 Gülden zu Walpurgis und Michaelis. Die vielmaligen Mahnungen wurden endlich im Jahre 1535 beherzigt; Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 217. ein Vertrag besiegelte es. Das alles ließ eine regere Teilnahme für die römische Kirche und das Kloster wohl vermuten. Ob auf die Dauer? – Das wagte selbst Wenscher nicht zu behaupten. Auch war es den Mönchen nicht entgangen, daß die Mehrzahl der Pilger zumeist vom Lande, etliche aus Görlitz, die wenigsten aus Zittau stammten und unter diesen hatte man neugierige Protestanten bemerkt, die nur kamen, um zu sehen, was Verlauf die Wallfahrt nehmen würde.
Was Stölzlein für die Reformation zu tun unterließ, ward durch eine neue Kraft emporgehoben. Zur Besetzung der Schulrektorstelle empfahl Melanchthon seinen früheren Hörer, den Rektor Andreas Maskus im schlesischen Löwenberg. Moráwek: Dorfchronik Großporitsch, S. 10 – E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 94. mit Anm. 5 das. Der brachte neues Leben in Schule und Haus, also, daß die Saat Heidenreichs wieder emporzusprießen begann. Die Cölestiner sahen sie grünen: in der Stadt wurden der Meßpriester immer weniger, die Messen an den Wochentagen ganz aufgegeben. E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 34. Dieweil nun auch die Oybiner einzelne Messen in der Stadt zu lesen gehalten waren, so schickte Uttmann den Markus zur Stadt, zu forschen, welchermaßen jene Unterlassungen sie berührten.
Hier herrschte reges Leben; der Jahrmarkt war in vollem Zuge. Landleute und Stadtvolk füllten Gassen und Plätze, der Buden lockenden Inhalt zu beschauen. Lautes Feilschen, Gelächter übermütiger Burschen, Anpreisungen und Wagengerassel erschollen überall. Derbe Worte fielen und grobe Antworten; zierliche Anreden junger Burschen an wohlgeschmückte Mägdleins und schnippische Entgegnungen.
Hans Wünsch erschauete im Gewühle der Gertrude Schönlein und ihrer Muhme Christine. Die siebzehnjährige Maid mit den schönen, sinnigen Augen entzündete sein Herz, das allsogleich den Plan schmiedete, des angesehenen Ratsherrn Töchterlein auf des Lebens Dauer an sich zu fesseln. Um des Planes Anfangs willen machte er sich an sie heran, grüßte gar zierlich und spann eine Unterhaltung an.
»Holde und ehrenwerte Jungfer Schönleinin! wollet Ihr bei so schönem Wetter des Jahrmarkts bunte Freuden auch genießen?«
Er fand diese Anrede für sehr wohlgelungen und hätte der Fortsetzung schönste alsbald zustande gebracht, wenn nicht die Muhme so wenig Sinn für schön gebaute Worte gehabt und deren weiteren Erguß allsogleich schnöde abgeschnitten hätte.
»Geht von hinnen, Schwätzer! und belästigt ehrsame Frauen nicht mit Unziemlichem.«
Das war nun sehr schmerzlich. Vor der Hand gab er weitere Sturmversuche auf. Verblüfft trat er zurück und einem Manne auf den Fuß, daß dieser weidlich zu schimpfen begann. Als sich aber Treter und Getretener anschauten, glätteten sich die Gesichter.
»Was? Vater Simon! Ihr hier?«
»Nennet mich nicht Vater, Wünsch! hab's längst aufgegeben und bin seit langem der Schreiberei Beflissener in Görlitz. Kommt, laßt uns mitsammen weitergehen!. – hab's wohl geschaut, wie Ihr um Schönleins Trudchen herumschwenzelt. Guter Geschmack! guter Geschmack! dürft sie Euch nicht entgehen lassen. So viel an mir, möcht ich Euch wohl beistehen.«
Wünsch und Simon, der letzte der Königsteiner, so das Gespräch im Väterhofe in saurem Andenken behalten, drängten sich durch die Menge Gertruden nach. Sie würden sie kaum eingeholt haben, denn Christine war noch flink zu Wege und drängte zur Heimkehr, ihr schön Nichtchen weiterziehend. Als aber beide Frauen auf den kleinen Platz an der Kirche St. Johannis gerieten, allwo die Webergasse anhebt, gab die Muhme Gertrudes Bitte um Weile willig Gehör. Hier stand der Kräuter-, Salben- und Tinkturen-Verkäufer Zeisig und dem hörte sie gern zu, wann er mit lustigem Wortschwalle seiner Medizin Menge an den Mann bringen wollte; war er doch in dem weiten Kaftan, der hohen spitzen Mütze und mit der glaslosen Brille auf der Nase gar possierlich anzusehen.
»Immer 'ran, immer 'ran!« rief Zeisig in die gaffende Menge. »Hier kann der Mensch alle Gebresten los werden vermittelst meiner tincturarum, Salbicum, Kräuterum, Pflasterarum! Alle Pech-, Öl-, Bier-, Wein-, Dreck- und Fettflecke mache ich 'raus vermöge dieser kostbaren tinctura wegwischika! – Immer 'rau, immer 'ran! – – Na, du Oderwitzer Bummfiedel von einem Bauer, glotz mich nit so an wie die Kuh 's neue Tor! sondern kauf, kauf, kauf! dein dreckiger Rock ist wohl seit ein Jahrer hundert nit gewaschen worden! komm her und kauf!«
Der Bauer trat einen Schritt näher.
»Immer näher! ich beiß dich nit! ich eß kein Schweinsbraten –«
Schallendes Volksgelächter zwang ihn zu einer Kunstpause. Dann fuhr er fort:
»Komm her! will dir mal 's Fett von dein Rockkragen wegwaschen! der glastet ja wie eine Speckschwarte! – – – – – – – – – So! nun siehst du Wieder geschlacht aus! – – – Wenn du kaufst, so sag ich dir auch ein sicher Mittel, die Maulwürfe von deinen Wiesen zu vertreiben.«
Das zog. Der Bauer gab seine Pfennige und steckte das Fläschlein in die Tasche. Dann fragte er:
»Na du! Pflastermann! wie steht's denn mit die Maulwürfe?«
Zeisig hielt den Finger wichtig an die Nase und sagte feierlich:
»So du Bäuerlein willst die Maulwürfe von deinen Wiesen ganz und gar los sein, so pflastere selbige mit großen Quadersteinen ab! dann kommt dir keiner mehr.«
Diesen sogenannten Witz hatte Zeisig dem Volksgewühle regelmäßig bei allen Jahrmärkten vorgetragen; man wußte, daß es so kommen würde. Trotzdem brach unter den Zuhörern lautes Gelächter und Gejohle aus und der Bauer zeigte sich zufriedengestellt.
Zeisig war heute sehr aufgeräumt; ihm klangen Sabines Worte am Wallfahrtstage: »Du lieber, guter Kaspar« noch immer in den Ohren, im Herzen. Das faßte er als hoffnungerweckend auf! darum er denn lustig fortfuhr:
»Holla, Mütterchen, dort hinten! du hast die Gicht; ich seh dir's gleich an der Nasenspitze an. Immer komm her, alte Zanzel! ich verlieb mich nit in dich, hab schon einen Schatz, Juchhe! – – komm her! hier diese Salbika vertreibt dir das Reißen, daß alles kracht! – Was wankelst noch? Komm her! – sieh, du kriegst auch ein Fläschchen tinctura pulexica zu, mit der kannst deine Flöhe vertreiben – –«
»Nu, wie macht mer denn das?« fragte die neugierig gemachte Alte.
»Das ist ganz einfach, Mütterchen! – Schau: du nimmst ein'n Flohk, bestreichst ihme mit dieser tinctura das Hinterteil und alsbald wird er verrecken.«
»Na!« wendete die Bauerfrau ein, »da kann mer'n doch lieber gleich tudt schlag'n!«
»Auch gut, Mütterchen! aber diese tinctura wirkt noch sicherer – komm, kauf die Gichtsalbe! den Flohsaft kriegst zu!«
Das Weiblein kaufte und das Volk lachte und kaufte. Das wollte es so haben.
Gertrude aber sagte zur Muhme: »Nun laßt uns von hinnen gehn! des Kräutermanns Gedrähn mag mir nicht behagen.« Darauf wendete sie sich und sah in ihrer Nähe der Cölestiner einen stehen, der seiner Augen Blicke gar eigen auf sie heftete. Die Maid errötete; sie erkannte den Sänger in der Kirche St. Paraklets, dessen schöne Stimme und Gesichtszüge sich ihr fest eingeprägt hatten. Alsbald verschwand sie mit der Muhme im Gewühle.
Markus Blicke fanden in Simon einen Augenzeugen, der gar wohl bemerkt, daß jener unausgesetzt auf des Ratsherrn Töchterlein geschaut mit Augen, wie sie sonst in Oybiner Mönche köpfen nicht zu leuchten pflegten. Das teilte er flugs dem Wünsch mit und stachelte den an, also, daß der Väterhofschreiber gegen Markus einen stillen Groll der Eifersucht faßte, der mächtiger war als der Dankbarkeit Regung ob der erhaltenen Schreiberstelle.
Markus aber konnte heut dem Prior berichten: daß es im Innern der Stadt nicht gut um der heiligen Kirche Sache stünde; sowie dem Herrgott: daß es in seinem Innern nicht gut um des heiligen Gelübdes Sache stünde. Sein fast schwermütig Aussehen schoben die Konfratres, wie nicht anders denkbar, auf den ersten Bericht und fanden es wohl begreiflich; zog doch durch alle die nicht erfreuliche Ahnung, daß wohl auch das neue Jahr des Schlimmen mehr als des Guten bringen werde. Das sollte sich bestätigen.
Zu Zittau in der Stadt bedurfte der Rektor Maskus eines Kollaborators. Melanchthon empfahl hierzu den zwar erst zwanzigjährigen, aber grundgelehrten und der Reformation feurig anhangenden Nikolaus von Dornspach. Der hatte mit Maskus in Wittenberg studieret, mit ihm den Lehren Luthers und Melanchthons gelauscht und war nunmehr im Jahre des Heils 1536 nach Zittau kommen, sein neu Amt anzutreten. E. F. Haupt: Brüder Nesen, Nikolaus von Dornspach usw. S. 94. Hier war er bald zum Kastenherrn ernannt, welch einflußreich Amt er bis zu seinem Tode mit Eifer verwaltete. Durch so fortgesetzten Zuwachs von tatkräftigen, gesinnungstüchtigen Männern gewann die neue Lehre ein solch Gewicht, daß der Zittauer Wagschale tief herabneigte. Die des Klosters aber ward zusehends leichter und schnellte empor.
Einst hatte die Stadt Görlitz vom Kloster 1000 Gülden geliehen und verbrieft: alljährlich einen Zins von 40 Goldgülden zu zahlen. Mochten die Görlitzer mit dem Vordringen der Reformation wohl gedacht haben, einer pünktlichen Zinsleistung enthoben zu sein; das zähe Verzögern der Zahlung fand auch in diesem Jahre statt, also, daß die Cölestiner sich abermal gezwungen sahen, auf Herausgabe des Schuldigen zu dringen. Statt dem nachzukommen, schickte ihnen der Görlitzer Rat kühnlich einen Verweis ob solch ungestümen Mahnens und ließ es an sich kommen, ob das Kloster die Stadt darum beim Landvogte verklagen würde.« C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 56.
»Wie sehr ist unser Ansehen gesunken!« sagte der Prior Uttmann stirnrunzelnd zum Konvente. »Man wagt sogar kecklich einen Verweis bei all unsrem guten Rechte. Es wird Zeit, daß wir einmal schärfer zu Wege gehen und den ketzerisch Gesinnten zeigen, daß wir noch ausreichend Macht besitzen, was uns zukommt zu schirmen.«
Die Gelegenheit hierzu kam sehr bald.
Die Bürger Zittaus klagten allerorten, daß sie des Wassers ermangelten, so doch auch im veränderten Zustande als Bier genossen sein will. Als nun solcher Klagen Menge größer ward, schickte der Rat sachkundige Männer aus, nach aushaltenden guten Wässerlein zu suchen. In den schönen, felsumgebenen Wiesengründen der Nonnenklunzen, bei acht Feldwegs im Westen des Klosters gelegen, allwo anno 39 der Prior Uttmann den Ort Jonsdorf gründete, fanden die Männer guten Wassers in Menge, darum es denn auch alsbald nach dem nahen Bertsdorf und von da der Stadt geleitet ward.
Weil nun aber jene Gründe des Klosters waren, so entstand darob unter den Cölestinern kein kleiner Grimm. Der Stadt stand seit anno 1481 kein ander Klosterwasser zu, als vom Gebirge nach Olbersdorf flieht, allda angespannt und in die Stadt geleitet wurde. Jene Entziehung aber erschien als gewalttätiger Eingriff in des Klosters Besitzrechte. Das mußte geahndet werden.
Im sogenannten Wonnemonat ließ der Prior in Olbersdorf alsogleich einen großen Damm errichten, also, daß von hier aus kein Tröpflein mehr der Stadt zulaufen konnte. Noch heute sind Spuren davon zu sehen.
Das wurmte die Zittauer nicht wenig. Auf des Rats Geheiß zogen am Donnerstage nach Exaudi an 300 Mann Bewaffnete zu Pferd und zu Fuß nach diesem Damm und zerstörten den gewaltsam mit Hacken und mit Schaufeln. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 227. 244 – C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 39. 54. Ob solch großer Macht wagte niemand die Schaufler zu hindern.
Das war denn ein stark Stück! – Empört über solch feindselig Gebaren setzte der Prior ein ausführlich Klagschreiben auf und sandte es an den Landvogt, daß dieser beim Kaiser Ferdinand I. derhalb fürstellig werde. Der von der Duba kam selbst auf den Oybin; dort wurde ihm die Sache des langen und breiten auseinandergesetzt. Dann zog er ab mit dem Versprechen, zu tun, was in seinen Kräften; auch mit dem geheimen Gedanken, auf'm Oybin, so von seinen Ahnen zuerst mit einer Burg versehen war, müsse sich gar gut wohnen lassen. Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 227. 244 – C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 39. 54. Die Untersuchung und Verhandlung über solch bös Zerwürfnis war bald danach in vollem Gange.
Herrschte nun zwischen beiden Parteien zurzeit kein gut Einvernehmen, so durften doch andere Geschäfte, so von hüben und drüben Verhandlungen erheischten, derhalb nicht liegen bleiben. Solch Verhandeln war nicht immer angenehm, zumal bei jetziger Spannung; darob denn der, dem es zunächst zukam, Laurentius, der Prokurator, vorgab, er sei krank. Da bestimmte der Prior, daß Markus des Geschäftes Abwickelung übernehmen solle. Der ging mit Entschlossenheit zur Stadt, allwo er dem Rate Uttmanns folgte, des Geschäftes Sache zunächst dem Ratsherrn Schönlein, weil annoch zur Kirche haltend, mit Fleiß vorzubringen. Es war an einem trübfinsteren, nebligen Tage.
Schönleins Magd öffnete dem Klopfer, machte den ehrerbietigsten aller Knixe und führte ihn in die beste Stube, so im Hause des Ratsherrn zu finden war. Nun sie aber diesen nicht finden konnte, noch auch die Muhme Christine, so bat sie in ihrer Beklommenheit Gertruden, dem hochwürdigen Vater drin zu sagen, daß niemand zugegen; sie selber wage sich nicht hinein. Darob ward Gertrude unwillig und schalt die Magd, mußte aber wohl oder übel dem Pater die Nachricht bald bringen, wenn der nicht selbst übel von ihnen denken sollte. Sie wußte nicht, welcher der Väter es war, der den Ratsherrn zu sprechen begehrte.
Als sie eintrat, stand Markus mit dem Rücken nach dem Fenster, also, daß Gertrude nicht deutlich erkennen konnte, wen sie vor sich habe. Nach der Sitte machte sie ihm eine tiefe Verbeugung, den geistlichen Gruß erwartend. Der blieb aus. Darum schaute sie auf und sah in ein verlegen, schön Antlitz. Endlich hatte sich Markus gesammelt und sagte:
»Gott sei mit Euch! – Seid gegrüßt, liebwerte Jungfrau! – Bin kommen, Euern Herrn Vater zu sprechen in Sachen, so unser Kloster betreffen; sind kleine Geschäfte, müssen aber alsbald erledigt werden.«
»Mein Vater ist nicht heim, Hochwürdiger! – Wann er zurückkommt, ist mir nicht bekannt.«
»So kann meines Bleibens hier nicht länger sein. Wollet ihm sagen, daß ich, wenn anders seine Zeit nicht weiter beansprucht ist, im Väterhofe auf Nachricht harre, wann ich ihn antreffe. – – Und nun noch ein Wort: – Als Ihr eintratet, stand ich schier verblüfft; müßt mir's auch wohl angesehen haben. Der Maler Veit in Görlitz hat unsrer Kirche ein Bildnis der heiligen Jungfrau geschenkt, dessen Antlitz in allem dem Eurigen gleicht, also, daß ich bei Eurem Eintreten ob solch großer Ähnlichkeit staunen mußte.«
»Das ist auch kein Wunder, hochwürdiger Vater! denn Herr Veit ist meiner Mutter Schwester Sohn und hat mein Angesicht abgemalt, als ich an die dreizehn Jahre zählte. Ich bin erstaunt und beschämt, daß er mein einfältig Gertrudenantlitz der Maria beigegeben.«
» Der Mutter Gottes! der heiligen Jungfrau! – pflegt ein Gläubiger gemeiniglich zu sagen!« wendete Markus ein.
»Wollet verzeihen, Hochwürdiger! der Doktor Martin Luther schreibt, daß Maria ein holdselig Wesen, aber auch nur ein Mensch wie wir gewesen sei und nicht göttlich zu verehren. Darum –«
»So seid Ihr luthersch?« fiel Markus hastig und vorwurfsvoll in die Rede.
»Hochwürdiger! Luther hat selbst gesagt, es sei nicht wohlgetan, zu sagen: man sei luthersch oder calvinisch und dergleichen; sondern man solle sagen: ich bin ein Christ. – Ich kann nicht anders, als bekennen: die neue Lehre ist mir ins Herz gegangen.«
Markus schwieg. In seinem Gesicht war etwas wie Betrübnis zu lesen, nicht Unwille. Dann fragte er:
»Aber wie kommt es, Jungfrau Gertrude, daß Ihr vor zwei Jahren an der Wallfahrt teilgenommen?«
»Mein Vater hangt noch an der alten Kirche. Vielleicht schwant ihm, daß ich nicht allenthalben mit ihm übereinstimme, was das anlangt. Aber er ist ein so herzer Vater zu seinem einzigen Kind, daß ich bishero unterlassen, ihm alles zu sagen, wie ich denk'. Ich glaub', er würd' viel Herzeleid tragen – und da hab' ich ihm zulieb mit gewallfahrtet. Auf die Dauer kann's aber so nicht bleiben.«
»Was? rief Markus erstaunt; »Eurem Vater, der wie Ihr sagt, ein so herzer ist, dem habt Ihr Euch nicht offenbart? Und mir, mir, einem Jünger des heiligen Cölestin, bekennt Ihr so frei und ohne Scheu?«
Gertrude senkte errötend die Augen und sagte verlegen:
»Ich weiß nicht, wie mir war, als ich Euch 's erstemal gesehen. Ich hab' so ein gewiß Fühlen, als müßtet Ihr von Herzen gut und ehrlich sein und, weil gelehrt, auch gerecht, also, daß Ihr Andersdenkende nicht verdammt. Darum könnt ich auch nicht anders reden heute, als wie ich gered't hab'.«
Hierauf schwieg Markus nachdenklich, und als Gertrude derhalb emporblickte, sah sie, wie seine Brust zu einem tiefen Atemzuge sich auf und nieder bewegte; den hielt sie für einen Seufzer über ihres Glaubens Änderung, glaubte daher, zu ihrer Verteidigung noch mehr anführen zu müssen.
»Als meine Muhme Christine davon gehört, der Doktor Luther hätt die ganze Bibel deutsch gemacht und vor zwei Jahren drucken lassen, hat sie ihr Erspartes genommen und dafür solch ein Buch gekauft. Da haben wir viel drin gelesen und auch in lutherschen Schriften, so der Magister Heidenreich ihr geliehen. Da haben wir auch erlernet, daß nicht die Werke uns selig machen, sondern der Glaube, der in der Liebe tätig ist. Da stand auch geschrieben, daß wir der Heiligen als Vermittler nicht bedürfen, auch der Maria nicht; daß wir uns schnurgerade an unseren Herrn und Heiland Jesus Christus wenden sollen in allen Dingen, denn,« führ sie begeistert fort, »der hat gesagt: ›Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken. Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.‹ – Ach, Hochwürdiger! wollet nicht zürnen, daß so ein gering armselig Ding, wie ich, den Mund auftut in so hohen Dingen. Aber – wie's in der heiligen Schrift steht –: ›Weß das Herz voll ist, deß geht der Mund über.‹ Und seitdem ich den Heiland mir so nahe weiß, weit näher denn je, seitdem ich sein heilig Wort hab' einziehen lassen durchs ganze Herz – seit der Zeit bin ich glücklich und selig und find' kein Wort und ist's unsäglich, wie wohl mir ums Herze geworden.«
Gertrude hatte die Hände gefaltet und blickte wie verklärt nach oben. Markus sah es, sah die schönen, ihre Glaubensinnigkeit widerspiegelnden Augen und ihm war, als sei das Marienbild dennoch nicht verschieden von Gertrudens schönen Zügen. Wiederum stritten in seinem tiefsten Innern Kopf und Herz, wie dazumal, als er Mantels gedachte. In Gedanken verloren blickte er still vor sich hin; dann erhob er sich plötzlich und sagte:
»Ich muß gehen: – – Jungfrau Gertrude! es schmerzt mich, zu sehen, daß auch Ihr von unsrer heiligen Kirche gelassen – aber – – ich weiß nicht, wie das zugeht: ich kann Euch darob nicht gram sein.«
Ohne seiner inneren Bewegung ganz Herr werden zu können, faßte er ihre Hände; die drückte er stärker, denn das Maß der Höflichkeit erforderte, und sagte:
»Lebt wohl, vielliebe Jungfrau! recht wohl! Gott sei mit Euch!«
Darauf ging er eilenden Schrittes fort in den Väterhof. Dort nächtigte er; der Ratsherr war erst anderen Tags zu sprechen.
Gertrude aber stand mit geteilten Gefühlen noch eine Weile unbeweglich an des Gemaches Tür. Ihr Herz pochte lebhaft und konnte den Gedanken nicht unterdrücken: »Ach, wenn er doch so dächt' wie wir!« –
Erst um die Mittagszeit, nach der Geschäfte Erledigung, kehrte Markus wieder zurück. Am Klosterkretscham sah er den Wirt weinend unter der Türe stehen. Mitleidig näherte er sich ihm.
»Ach, hochwürdiger Vater!« sagte Ullrich; »mein Sabinlein ist zu Tode krank. Bleich wie ein Linnen liegt sie drin und möchte gern sterben. Zeisig kann nit mehr helfen; er sagt, 's wär' Herzfehler, da könnt' er nit für stehen.«
»Wohl mag's groß Herzeleid sein, das einzige Kind in Gefahr wissen,« entgegnete Markus teilnehmend. »Wer wenn's Gott dem Herrn gefallen sollt', sie zu sich zu nehmen, so trauert nicht allzusehr. Denkt, daß sie gläubig geblieben und ihr das im Himmel wohl belohnt werden wird. – Wenn's schlimm wird, so ruft mich, daß ich sie kann vorbereiten für droben.«
Uttmann, als er des Markus tiefernst Gesicht wahrnahm, mutete, es sei um der Verhandlung etwanig schlechten Verlaufes willen. Aber der Bericht lautete günstig, so daß der Prior verwundert den Kopf schüttelte, was Markus wohl haben möchte. Auch der von Jauer, Frater Martin, wußte nicht, sich zu deuten, was Ursache
Markus' Trauer habe. Als er ihn darum befragte, gab jener zur Antwort:
»'s ist nicht allein der Kampf um unsere Sache. Hier, hier drinnen in der Brust gibt's fast noch viel mehr zu Kämpfen. Hab' früher immer gedacht, daß das in so heiliger Stätte nicht mehr möglich sei.«
»So wir unablässig in Gebet und Arbeit sind,« sagte Martin ernst, »läßt sich wohl bändigen, was wider Gott und Gelübde streitet. Darum halt' aus und sei fest wie Eisen.«
Und Markus behielt dies Wort. Mit aller Kraft übte er sich im Bändigen, aber vor einem falschen Altare; das Marienbild brachte ihm keine Hilfe.
Eine Woche darauf ward seiner verlangt, der scheidenden Sabine die Sterbesakramente zu reichen. Er eilte hinab. In der Maid Kämmerlein kniete der untröstliche Vater vor der Sterbenden Bette. Zeisig stand starr und steif am Fenster und schaute unverwandt auf die wilden Felsgebilde des Töpferberges.
Als Markus die Sakramente spendete, sah der Kräutermann stumpf zu; er sah auch, welcher Art der Blick war, den Sabine auf Markus haften liefe. Dann schloß diese die müden Augen. Zwei Stunden darauf hatte ihr Geist das Jammertal verlassen; das Tal von Oybin behielt die Hülle.
Der Prior wendete nichts dagegen ein, daß die Verstorbene droben im Gottesacker hinter der Kirche begraben würde. Das Kloster besaß das Recht, Fremde dort zu beerdigen. C. A. Peschek: Geschichte der Cölestiner des Oybin's S. 59. » Qui se illic sepelire deliberaverunt – in vestris coemeteriis libere sepelire.« Urkunde bei Carpzov I. S. 162.
Klosterbedienstete und manch einer aus Olbersdorf bildeten einen langen Trauerzug, als man unter dem Geläute der Sterbeglocke den unbedeckten Sarg mit der lieblichen blassen Maid den Felsenweg hinantrug. Zeisig verzog keine Miene, auch nicht beim feierlichen Chorgesange der Mönche. Als aber das einfache Bretterhaus verschlossen und hinabgesenkt wurde, da tat er vor Schmerz einen einzigen lauten Schrei und fiel am Grabe nieder. Die Väter mußten sein einen halben Tag lang warten und pflegen, ehe er krummgebeugt wieder ins Tal stieg. Und dieser Schmerzensschrei hallte im felsigen Hausgrunde laut wieder, und auch in der Brust eines der Mönche.
Martin von Jauer war nach des Sarges Versenkung verschwunden. Gottschalk und Markus suchten und fanden ihn gebrochen in der Seitenkapelle des Kaisers Karl vor dem Altare liegend. –
So du, Wanderer des zwanzigsten Jahrhunderts, diese Stätte betrachtest –: Hier ist mancher Seufzer ausgestoßen worden, manche Träne auf die Stufen des Altares gefallen, manch Gebet hinauf zum Himmel gesandt worden, dessen Bläue heute hineinschaut auf die Reste des Altares, auf die noch immer schönen Fenster mit ihren edlen Füllungen und nach oben weisenden Spitzbögen, auf die Spuren der Weihekreuze an der Wand. Und wenn wir die Stumpfe der aufstrebenden Gewölbrippen erschauen, so dereinst oben vereinigt waren in einem Punkte, der schönen Rose von Jesse, so beschleicht uns wehmütig der Gedanke: an diesen Gewölben glitten die Seufzer derer empor, welche auch hinaufstrebten, in deren Brust ein großes Ringen war zwischen Erdennot und Himmelssorgen. Die Rose ist gefallen, aber die Liebe ist geblieben. – Darauf wendet sich unser Blick nach dem üppigen Grün der lebensfrischen Farrenkräuter und Halme, so in den Fugen der alten braunen Quader wurzeln, und diese rufen uns des Dichters Wort zu: »Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit und neues Leben blüht aus den Ruinen.« Über dem allen aber waltet der eine Gedanke: »Himmel und Erde werden vergehen, aber des Herren Wort bleibet in Ewigkeit.« – –
Beim Eintritte der Teilnehmenden in die Sakristei suchte sich Martin zu sammeln, und weil er zu Bruder Gottschalk und Markus groß Vertrauen besaß, so öffnete er ihnen auf deren Fragen willig sein Herz:
»Wollet mir nicht als Schwachheit auslegen, was mich innerlich erschüttert, also, daß ich eilen mußte, an diesem stillen Orte die Sache allein mit Gott auszutragen. – In meinen jungen Jahren hatte ich ein Lieb, eine wundervolle Maid meiner Heimat. Sie teilte meine Neigung und unser Glück deuchte uns unsäglich groß. Stolze Verwandte zerstörten roh unsern Bund. Mein strenger Vater zwang mich zur Theologica und zum Eintritt in ein Kloster. Die kranke Maid aber grämte sich darob zum Tode. Als ihr Leib in die Erde versenkt wurde, brach ich, wie heute der Kräutermann, mit einem lauten Schmerzensschrei am Grabe zusammen. Tagelang lag ich ohne Besinnung, und als ich erwachte, erfuhr ich durch meine alte Amme, wer mir das getan: der Trennung Ursache war einer, den ich für den besten, treuesten Freund gehalten. – Nunmehr ging ich ins Kloster. Hier hab' ich gekämpft um des Gelübdes unsres Ordens willen. Weit hatte ich es gebracht und empfand eine gewisse Freude ob der Selbstüberwindung. Dafür blieb mir's aber sonst im Herzen tot und öde. – Als die Sabine zum Gottesacker getragen ward, sah ich, daß ihre durch den Tod veränderten Züge denen glichen, die einst mir so glückliche Zeit bereitet. Das ergriff mich. Bilder aus der Jugend, die ich längst verblichen wähnte, kamen wieder hervor, und als der Kaspar niederstürzte, war's auch mir, als müßte ich wie damals in die Knie fallen und laut schreien. Die alte Wunde, die ich für vernarbt gehalten, brach plötzlich wieder auf. Da eilte ich hierher, daß niemand meine Schwäche sehen sollte; ging von Altar zu Altar, meine alte Waffe, das Gebet, zu gebrauchen. Und doch mußte ich hier den gewaltigen Schlag empfinden, daß ich – noch nicht überwunden, keinen Trost vor den Heiligen gefunden, keinen!« – Er bedeckte sein Antlitz mit den Händen und wandte sich ab.
Die Brüder blieben stumm teilnehmend neben ihm stehen. Markus war bewegt; er schien mit zu empfinden. Dann aber hub Gottschalk mild an:
»Bruder Martinus! du hast des Lebens Drangsal schwer empfinden müssen. Sei getrost! Gott wird dir dein redlich Kämpfen nicht unbelohnt sein lassen. Daß du aber an dieser heiligen Stätte nicht Trost und Erquickung gefunden, das ist nicht gut. – Schaue dich doch um in diesen hehren Räumen! – Predigt nicht alles, Stein für Stein dieser Kirche, wie wir uns halten sollen in Herzensnot? Siehe hier: Was ist es, daß der große Baumeister, Peter von Gemünd, Oybin-Chronik von Dr. A. Moschkau S. 133. Neue kunsthistorische Forschungen haben ergeben, daß die frühere Vermutung, Peter von Gemünd (der Sohn Heinrichs, des Parlierers vom Dome zu Köln) sei der Schöpfer des oybiner Klosterbaues, als Gewißheit zu betrachten sei. Genannter war als Dreiundzwanzigjähriger vom Kaiser Karl IV. zum Hof- und Dombaumeister ernannt worden und hatte bis 1368 den Bau des Prager Domes zu leiten. Der des Klosters begann im Frühjahre 1366, so daß Peter von Gemünd beide Bauten zu gleicher Zeit beaufsichtigte. nicht allenthalben ein Muster, ein Gezier angewandt hat, das schöne Gebäu zu schmücken? Warum hat er die Konsole Mit den Anfängen der Bogenrippen noch heute gut erhalten, namentlich in den Seitenkapellen. der Gewölbrippen so verschiedentlich gestaltet? Gerade die Konsole, das ist: Die Stützpunkte dieser Rippen? Warum hier Efeu, da Eichenblatt, dort Rose, Klee und anderes? So du alles betrachtest nur mit dem Gedanken: das ist schön – kann dir dies keinen Trost geben. Ich achte das Schöne, aber dauernd beglückend wirkt es nur dann, wenn es in Verbindung steht mit dem Allheiligen. Und das hat Peter von Gemünd so herrlich angedeutet. Hier an dieser Konsole hast du ein Stück Eiche. Ihr Stamm deutet Glaubensstärke; ihr Blattwerk: Hoffnung auf Gott; ihre Frucht – siehe, wie schön! ist: Zufriedenheit. An jener Konsole prangt die Rose, das ist: Märtyrblut und liebliche Rede. Hier wiederum hast du Efeu, das Sinnbild des vertrauenden Glaubens. Und da, hart am Altare, der Klee, das ist: das Wort Gottes, nach dem sich der Christ sehnt, wie der Ochs nach dem Klee. So ist's auch mit der Rebe, der Viole. – Siehe Martine! häng' die Konsole alle in dein Herz! auf sie stütze deines Strebens Gewölbrippen, die in kühnem Bogen hinaufsteigen zur Rosette, zum einzig wahren Mittelpunkte, der Rose von Jesse: Jesus Christus! – Laß Efeu und Eiche in dir wuchern und reiße aus mit starkem Willen, was ihrem Wachstum entgegentritt. Dann wird dir der Klee auch Kraft geben!«
Auf diese Rede blickte Martin von Jauer still und in sich versunken hinauf an des Gewölbes Spitze. Die Rose von Jesse schien ihm wohl zu duften. Markus aber sagte zu Gottschalk:
»Wie habt Ihr durch so sinnige Erklärung mich vergnüget! ich danke Euch! – Man vergißt so oft der Schätze, so der Herr ins Kämmerlein der Menschenbrust niedergelegt zu unsers freien Willens Benutzung. Jetzt erinnert mich jeder Stein daran und daß man nicht so gedankenlos durch diese Räume wandeln soll. So vieler Anregung durch sprechendes Gestein kann man wohl brauchen.«
»Nicht bloß durch Stein, Marce! auch durch Mitmenschen. Es wird unsres Leides, so uns gewöhnlich als das größte der Welt dünkt, weit weniger, so wir andere trösten sollen. Wir werden fester, wenn wir Sein und Tun der Kindlein beachten, mit ihnen spielen, sie unterrichten. – Kommt! gehet mit zu Ullrich!«
Hierauf folgten Martin und Markus dem Bruder Gottschalk zum Kretscham, dem zerknickten alten Vater Trost zu spenden und auch den aufzurichten, dessen Schrei am Grabe sie nunmehr besser verstanden.
Zeisig pfiff kein lustig Liedlein mehr und seiner neckischen Rede Munterkeit verlor sich in beißenden Spott, so er hie und da glaubte, man habe es auf ihn abgesehen.