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Konrad verbrachte seine ganze freie Zeit bei seiner Braut.
Sie hatten, so lange sie seit seiner Rückkehr miteinander verkehrten, noch nicht ein Wort von Liebe gesprochen; mit keinem Wort war die Verlobung ausgesprochen worden. Und doch war sie zwischen ihnen zu einer stillschweigend beschlossenen Sache geworden.
Lulu Romanowski, welche mit rührender Liebe und Treue bei Toni Mutterstelle vertrat, war ja im Prinzip keine Freundin eines langen Brautstandes für ihr Pflegekind. Trotzdem zog sich Lulu so diskret wie möglich zurück, wenn sie die beiden jungen Leute beisammen wußte, und besorgte in ihrer nervös sich überhastenden, lebhaften Weise die Wirtschaft, Frau Müller bald in dem, bald in jenem unterweisend.
So glücklich sich auch die arme Frau Müller in der stillen, gemütlichen Häuslichkeit fühlte, warf doch die Vergangenheit ihre trüben Schatten manchmal in die Gegenwart, besonders wenn Konrad Arnheim sie aufforderte, ihm einiges von ihrem Gatten und über ihre Ehe zu berichten. Er wurde dann immer und immer wieder in seiner Ueberzeugung bestärkt, daß Müller unschuldig war und daß in dieser ganzen Angelegenheit ein Geheimnis obwaltete.
Konrad arbeitete in der Tat an der Befreiung Müllers; allerdings ohne bisher etwas entdeckt zu haben, was ihn auf die Spur des wirklich Schuldigen gebracht hätte. Denn er wußte nicht recht, wohin er seine Nachforschungen lenken sollte.
Als Konrad eines Tages ziemlich spät nach Hause kam, meldete ihm seine Wirtin, daß eine Dame auf ihn seit längerer Zeit schon warte. Er schien sehr überrascht darüber, denn außer Toni und Lulu Romanowski kannte er keine Damen in Berlin.
Er trat rasch in das Zimmer, im Dunkeln die Umrisse einer Frauengestalt kaum erkennend. Mit nervöser Hast und einer kurzen Entschuldigung suchte er die Streichhölzer. Endlich hatte er sie gefunden. Er holte sich einen Stuhl herbei, um an die Gaskronen zu reichen, und entzündete einige Flammen.
Als er sich umwendete, um sich die Fremde anzusehen, erkannte er in ihr auf den ersten Blick die Gräfin von Ostia.
Er hatte zu viel Weltbildung, als daß er sich zu sehr überrascht gezeigt hätte, verbeugte sich vor ihr, rückte ihr einen Fauteuil zu und redete sie an, sich mit dem Rücken an den offenen Kamin lehnend:
»Verzeihen Sie mir, gnädigste Gräfin, daß ich Sie habe warten lassen; doch ich konnte nicht ahnen, daß Sie mich mit Ihrer Gegenwart beehren könnten.«
Sie schien etwas verwirrt und verlegen. Doch dies Gefühl gewaltsam überwindend, entgegnete sie ihm: »Ich hatte mit Ihnen zu sprechen, Herr Arnheim. Doch da Ihr Besuch, auf den ich, offen gestanden, gewartet hatte, ausblieb, entschloß ich mich, Sie aufzusuchen.«
»Ich stehe ganz zu Diensten, gnädigste Gräfin. Und was Ihren letzten Vorwurf anbelangt, kann ich mich nur damit entschuldigen, daß ich, seitdem ich in Berlin weile, nur sehr wenig Zeit für mich übrig hatte und infolgedessen gezwungen war, sogar Besuche zu unterlassen, die ich mit Freuden gemacht hätte.«
Sie erhob etwas ihren schönen Kopf und sah ihm scharf in die Augen: »Ist dies wirklich auch der einzige Grund, der Sie abgehalten, bisher bei mir Ihre Aufwartung zu machen oder wenigstens die Karte abzugeben?«
»Gewiß doch. Was sollte ich für einen andern Grund gehabt haben?«
»Herr von Althoff, unser gemeinsamer kleiner Freund aus Norderney, der mir so sehr den Hof gemacht hat – aber das haben Sie ja natürlich nicht bemerkt – behauptet, es hätten andere vorgelegen. Daß Sie mit Vergnügen der Gräfin Ostia Ihre Aufwartung gemacht hätten, wenn sie nicht früher eine gewisse Rosa von Gordon gewesen wäre.«
Ohne jede Verwirrung erwiderte Konrad: »Ich finde es äußerst indiskret von Herrn von Althoff, Ihnen zu wiederholen …«
»Also doch: zu wiederholen,« unterbrach sie ihn rasch. »Sie können ihm demnach nichts anderes als bloß eine Indiskretion vorwerfen.« Da er darauf keine Antwort gab, fuhr sie fort: »Das ist der Punkt, worüber ich mit Ihnen reden wollte. Ich finde Sie gegenüber Rosa von Gordon etwas ungerecht und möchte die Genannte verteidigen. Dies ist der einzige Zweck meines Kommens.«
»Ich bin ganz Ohr, gnädige Frau.« Er setzte sich einige Schritte entfernt von ihr auf die Ottomane und stützte den linken Arm auf die Lehne eines Fauteuils.
Sie versuchte ihrer Stimme etwas mehr Festigkeit zu verleihen und begann folgendermaßen:
»Man hat Ihnen jedenfalls berichtet, daß der Onkel von Fräulein Meinert mich zu seiner Erbin eingesetzt hat, obgleich ich keinerlei Ansprüche auf diese Erbschaft hatte. Das stimmt. Aber wer an meiner Stelle hätte diese nicht angenommen? Ich war Waise, ohne Vermögen. Ich war gezwungen, im Wintergarten aufzutreten, bloß um zu leben. Da begegnete ich Herrn Meinert, der mich bat, das Brettl zu verlassen. Ich war ihm sympathisch, er wußte, daß ich anständig war, und bat mich, öfter zu mir kommen zu dürfen. Er hoffte, daß ich allmählich auch für ihn Sympathie gewinnen würde, trotz seines Alters, und mich entschließen könnte, die Seinige zu werden. Die Zeit verstrich; plötzlich starb er. Ich, die berufen war, heute oder morgen seine Frau zu werden, wurde seine Erbin. An dem allen ist nichts so Wunderbares.«
Sie unterbrach sich, um abzuwarten, ob Konrad ihr irgendwie seine Zustimmung verraten würde. Da er schwieg, fuhr sie fort:
»Herr Meinert hatte zwei natürliche Erben, einen Bruder und eine Nichte, Personen, die ich nicht kannte, von denen ich nicht einmal hatte sprechen hören. Sollte ich da zugunsten jener Fremden auf eine Erbschaft verzichten, die mir eine unabhängige Stellung verschaffte, ein sorgenloses Leben bis an mein Ende? Wenn wenigstens Hauptmann Meinert sich in Verhandlungen mit mir eingelassen, mich gebeten hätte, bloß einen Teil der Erbschaft für mich in Anspruch zu nehmen und ihm den anderen Teil abzulassen! Aber anstatt sich mit mir auszusprechen, wurde mir plötzlich der Krieg erklärt, man zitierte mich aufs Gericht, stempelte mich zur Intrigantin, die einen Greis bewogen hätte, zu ihrem Gunsten zu testieren. Der Rechtsanwalt der Gegenpartei war noch verletzender, indem er sogar den Verdacht einer Testamentsfälschung aussprach. Meine Freunde, die an meine Ehrbarkeit, an meine Frauenwürde glaubten, rieten mir, den Prozeß weiter fortzusetzen, mich bis zu Ende zu verteidigen. Ich tat dies auch, unterlag jedoch bald. Nicht nur, daß mir das Meinertsche Vermögen entging, wurde ich auch zur Zahlung bedeutender Prozeßkosten verurteilt.«
Sie machte wieder eine kleine Pause. Doch da er nach wie vor schwieg, schloß sie mit den Worten: »Das ist die Wahrheit. Wer könnte meine Haltung in diesem ganzen Prozeß tadeln? Habe ich mich so schwer vergangen, daß Sie, ein vernünftiger, geistreicher Mensch, mich deshalb für minderwertig halten sollten? Ich bin Ihnen zu großem, großem Danke verpflichtet. Sie haben mir das Leben gerettet. Sie haben sich meine unwandelbare Dankbarkeit erworben. Um so schmerzlicher ist es mir, daß ich Ihnen diese nicht ausdrücken und bezeigen kann, – daß Sie mich gleich einer Fremden behandeln.«
Sie erhob sich und fügte noch mit bewegter Stimme hinzu:
»Ich war Ihnen diese Erklärung schuldig, Herr Arnheim; ich war sie in erster Linie mir selbst schuldig. Deshalb kam ich auch hierher, mich offen mit Ihnen auszusprechen. Ob ich Sie wohl überzeugt habe? Haben Sie jetzt vielleicht eine bessere Meinung von mir?«
»Ich hatte niemals eine schlechte Meinung von Ihnen, gnädige Frau. Ich hatte notwendigerweise bloß einige Zurückhaltung Ihnen gegenüber zu beobachten, da ich Sie noch nicht gehört hatte. Doch nun ist das nicht mehr nötig.«
Sie trat einige Schritte auf ihn zu und fragte feuchten Blickes. »Also werden Sie mich nicht mehr als Feindin betrachten?«
»Ich habe Sie niemals als eine solche angesehen,« erwiderte er.
»Das ist wahr,« sagte sie mit traurigem Lächeln. »Sie bezeigten mir eine Gleichgültigkeit, die vielleicht kränkender war als offene Feindschaft. Doch das ist nun vorbei, nicht wahr? Ich werde Sie also bei mir sehen?«
Er sah ihr mit klarem Blick in die Augen und sagte bloß das Wörtchen:
»Nein.«
»Und warum nicht?« fragte sie rasch.
Anstatt ihr auf diese peinliche Frage zu antworten, fragte er seinerseits. »Und weshalb schenken Sie mir die Ehre, meinen Besuch zu wünschen? Ich gehöre und passe nicht in die hohe Berliner Gesellschaft. Ich bin nur vorübergehend in Berlin. Welche Zerstreuung könnte ich Ihnen bieten? Was für eine Rolle sollte ich in Ihrem Salon spielen? Was könnte Ihnen die Gegenwart eines Fremden, eines Halbwilden frommen?« schloß er lächelnd.
Sie trat vor den Kamin, an dem er immer noch lehnte, und erwiderte nervös:
»Gut! Mein Salon langweilt Sie, meine Freunde mißfallen Ihnen. Ich will sie Ihnen ja nicht aufdrängen. Sie brauchen Ihnen ja nicht zu begegnen. Wenn Sie kommen, kann ich ja aller Welt meine Türe verschließen.«
Er hielt, ohne die Augen niederzuschlagen, ruhig ihren Blick aus. Das magnetische Fluidum, das ihr entströmte, tat bei ihm keine Wirkung. Der Duft, der sie umfloß, berauschte ihn nicht. Und doch versuchte sie es noch einmal, das Eis, unter dem sie unsagbar litt, zum Schmelzen zu bringen. Sie schreckte nicht einmal davor zurück, ihm Avancen zu machen.
»Wenn Sie so viel zu tun haben,« fuhr sie fieberhaft fort, »daß Sie keine Zeit finden, zu mir zu kommen, wenn Sie befürchten, bei mir Leuten zu begegnen, die Sie nicht mögen, dann kann ich für meinen Retter eine Ausnahme machen und zu ihm kommen, um verschiedenes mit ihm zu besprechen, zu beraten.«
Er sah sie an, ohne mit der Wimper zu zucken, ohne die Lippen zu bewegen. Regungslos, schweigend, kalt.
Sie wartete einige Sekunden auf seine Antwort. Dann aber, als sie einsah, daß er nicht reden würde, stieß sie in heiserer Wut hervor:
»Ah, das ist zu viel! Das ist wirklich zu viel! Adieu!«
Sie eilte raschen Schrittes der Tür zu. Doch ihr verletzter Stolz, die Wut, als Besiegte das Feld räumen zu müssen, ihre bis zur äußersten Grenze erregte Liebe zu dem Stolzen – ließen sie die Grenzen weiblicher Zurückhaltung überschreiten.
Dicht vor der Tür wandte sie sich um, kehrte zu ihm zurück, ergriff seine beiden Hände und flüsterte:
»Verstehen Sie es denn nicht, daß ich mich in heißer Glut für Sie verzehre?«
Konrad verlor in Gegenwart dieser exaltierten, exzentrischen Frau – vielleicht auch geschützt durch seine Liebe zu Toni – keineswegs die Fassung. Er hatte nur den einen Gedanken: sich so bald wie möglich aus dieser Situation zu befreien. Er löste seine Hände aus den ihrigen, führte sie zu einem Fauteuil und bat sie, sich einen Augenblick zu setzen.
»Sie täuschen sich,« sagte er ruhig. »Sie lieben mich nicht. Das ist keine Liebe. Man verliebt sich nicht in einen Mann, den man bloß zweimal gesehen hat. Sie haben eine etwas lebhafte Einbildungskraft. Es ist eine Laune, eine momentane Wallung von Ihnen. Ich fände es Ihrer und meiner unwürdig, einer solchen Laune nachzugeben.«
Sie sah ihn an, erstaunt über eine solche Sprache. Ihr Erstaunen war so groß, daß sie ihre Aufregung und Empörung darüber ganz vergaß.
Er jedoch sprach ruhig weiter, bestrebt, ihre Exaltation durch Ruhe und Wohlwollen zu beruhigen.
»Glauben Sie ja nicht, Gräfin, daß ich für Ihre Schönheit unempfänglich bin. Ich finde Sie sogar vollendet schön. Ich wüßte keinen anderen Ausdruck für Sie. Auch halten Sie mich ja nicht für einen Tugendspiegel. Wäre ich einer, würde ich mich nicht scheuen, es Ihnen einzugestehen; jedenfalls will ich mich nicht mit Tugenden schmücken, die ich nicht habe.«
Er setzte sich an ihre Seite und fuhr in leichtem Konversationston weiter fort:
»Mit jeder anderen Frau als mit Ihnen – vorausgesetzt, daß ich eine so schöne Frau wie Sie fände – wäre ich wohl kaum imstande, mich jetzt so gemütlich zu unterhalten. Sie sind für mich nicht die nächstbeste. Wir haben uns unter eigentümlichen Verhältnissen kennen gelernt. Ich habe Ihnen – wie Sie sagen – einen großen Dienst geleistet, und ich würde meine Rolle als Retter recht schlecht durchführen, wenn ich Sie einem Abgrund entrissen hätte, bloß um Sie in einen anderen wieder hineinzustürzen.«
Er legte seine eiskalten Hände auf ihre glühenden, wie um diese durch die Berührung abzukühlen, und fügte eindringlich und ernst hinzu:
»Ja, in einen Abgrund. Denn unsere Verbindung würde nicht lange andauern. Sie hätte für uns nur Gewissensbisse, Bedauern und vielleicht sogar tiefe Traurigkeit zur Folge. Sie sind nicht eine jener Frauen, mit denen man sich heute einläßt, um sie morgen zu verlassen – und ich bin nicht der Mann, der sich Hals über Kopf in eine Intrige stürzt, obzwar er weiß, daß diese nicht andauern kann. Sie und ich – wir beide sind mehr wert.«
Sie hob langsam ihren Blick zu ihm empor und sagte müde:
»Sie lieben eine andere.«
»O bitte,« unterbrach er sie streng, seine Hände von den ihrigen zurückziehend, »dies Thema lassen wir aus dem Spiel.«
Er wollte sich von ihr entfernen; doch sie hielt ihn zurück und bat: »Verzeihen Sie mir meine Indiskretion. Weiß Gott, ich hatte nicht die Absicht, Sie zu kränken. Ich zürne Ihnen auch nicht im geringsten über das, was Sie mir eben gesagt haben. Ich danke Ihnen sogar aus ganzer Seele für Ihre Worte.«
Nicht länger imstande, sich weiter so zu beherrschen und mit solch weicher Nachgiebigkeit zu sprechen, erhob sie sich plötzlich, legte beide Hände auf seine Schultern und beugte sich über ihn.
»Ich kann den Gedanken nicht fassen. Sie nicht mehr wiederzusehen. Ihnen so gar nichts sein zu können. Wollen Sie mein Freund bleiben – nichts weiter als mein Freund?«
Er erhob sich, um sich ihrer Berührung zu entziehen, und wiederholte: »Wie – nichts weiter als Ihr Freund? Ist denn die Freundschaft nicht das höchste Gut auf Erden? Ein solches Gefühl läßt sich nicht erzwingen. Freundschaft muß man verdienen; und ich habe nicht die Ihrige verdient.«
»Sie irren,« erwiderte sie rasch. »Sie haben sie verdient, und zwar schon allein durch die Sprache, die Sie zu mir reden. Ich bin es weiß Gott nicht gewohnt, zu hören, daß man ehrenhafte Gefühle und Ideen vor mir entwickelt. Wenn Sie wüßten, welches Leben ich geführt habe! Meine Mutter habe ich nicht gekannt: sie starb bei meiner Geburt. – Und mein Vater? Er ist ununterbrochen auf Reisen. Er liebt mich eben auf seine Art. Und das genügt ihm. Das ist vielleicht aber nicht genug.«
Sie trat auf ihn zu, der sich auf die Ottomane gesetzt hatte, und fuhr erregt, leidenschaftlich fort, wie hingerissen von dem Thema, ohne sich beherrschen zu können:
»Und was meinen Gatten anbetrifft, weiß ich nicht, ob gute Gefühle in seinem Innern schlummern. Zum Ausdruck hat er sie wenigstens noch nie gebracht. Da kamen Sie, sehen sich an meinen Tisch, und anstatt mir eine jener galanten Schmeicheleien oder gemeinen Galanterien ins Ohr zu flüstern, verteidigen Sie in edelster, mutigster Weise Ihren Standpunkt, der dem eines ganzen Gerichtshofes widerspricht – verteidigen Sie einen Menschen, der wegen eines Mordes, begangen an einem Ihrer Verwandten, beinahe zum Tode verurteilt worden wäre. Und welche Beredtsamkeit Sie dabei entwickelt haben! Welche Wärme und Innigkeit in Ihren Verteidigungsworten!«
Sie ergriff seine Hände, ohne daß er sie ihr entzogen hätte.
»Ich hatte Ihnen mit ganzer Seele gelauscht,« fuhr sie mit gleicher Wärme fort. »Und Ihre Worte hatten sich dauernd meinem Herzen eingeprägt.«
Da sprang Konrad Arnheim mit einem Male empor, beugte sich über Rosa, wie sie sich vorhin über ihn gebeugt hatte, und sagte zu ihr:
»Sie sagen, ich hätte Ihre Freundschaft verdient – gut, es sei! Aber Sie haben noch nicht die meine verdient. Wollen Sie sie verdienen?«
»Gewiß! Natürlich! Ja!« rief sie, ihm voll Erwartung in die Augen sehend.
»Dann leisten Sie mir einen großen Dienst.«
»Ich stehe Ihnen ganz zur Verfügung. Reden Sie!«
»Sie wissen, welche Aufgaben ich mir gesetzt habe. Müller muß unter allen Umständen gerettet werden. Wollen Sie mich in dieser Aufgabe unterstützen?«
Ihr Auge leuchtete auf: »Ja!« rief sie. »Ich will!«
Er kehrte zu ihr zurück und begann aufs neue: »Seit meiner Ankunft in Berlin habe ich schon verschiedene Schritte unternommen, ohne jedoch Erfolg zu haben. Wo soll ich diesen Menschen entdecken? Ich kenne Berlin zu wenig, kenne hier niemand, bleibe auch nur vorübergehend hier.«
Er ergriff ihre Hände, von seinem Plan fortgerissen, sich selber völlig vergessend, und bat mit innigen, überredenden Herzenstönen:
»Aber Sie haben hier zahlreiche Verbindungen, einflußreiche Freunde. Interessieren Sie sie für die Sache; Sie können doch ihres Eifers versichert sein.«
»Gott, sie könnten höchstens vielleicht früher oder später seine Begnadigung durchsetzen. Genügt Ihnen das?« fragte sie ihn.
»Nein, nein! Er soll rehabilitiert werden, vollkommen rehabilitiert dastehen.«
»Und Sie wünschen, wenn ich Sie recht verstanden habe, die Bestrafung des Schuldigen, nicht wahr?«
»Ja.«
»Nun, leider werden meine Freunde dazu nichts beitragen können. Wie wären denn diese oberflächlichen Salonmenschen, –« ein ironisch-bitteres Lächeln ließ sie die Oberlippe etwas aufwerfen – »imstande, sich aus ihrer Gleichgültigkeit emporzurütteln, ihre Indolenz abzustreifen, um jenes Ziel zu erreichen? Man muß da gleichzeitig den Untersuchungsrichter und Detektiv spielen! Eine solche Tätigkeit traue ich denen wahrhaftig nicht zu,« schloß sie verächtlich.
»Also kann ich nicht auf Sie zählen?« fragte er bedauernd.
»Im Gegenteil. Rechnen Sie auf mich.«
»Und wie wollten Sie das beginnen, wenn Sie sich auf Ihre Freunde nicht verlassen können? Hoffen Sie auf Ihren Gatten?«
»Ihn,« rief sie voll Geringschätzung, »ihn werde ich doch nicht mit einer Angelegenheit betrauen, die Eifer und Herz erfordert!«
»Wie denn anders?«
Sie erhob sich, warf stolz den Kopf zurück und versicherte:
»Ich werde allein nachforschen und allein finden.«
»Sie?«
»Jawohl, ich. Aus Liebe zu Ihnen.«
»Sagen Sie: aus Liebe zu einem guten Werk.«
»Meinetwegen auch das. Doch ist das hier ein und dasselbe.«