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Als Josephine aus den Haften ihrer früheren Jahre entlassen worden war, aus ihrem ersten Kloster und der Inselenge der Familie, dann aus der Ehe und der idyllisch-lehrreichen Abtei von Panthémont, war noch ein gut Stück bluthafter alter religiöser und sozialer Gebundenheit in ihr wirkend gewesen; die hatte als Lebensscheu und Genesungsschwermut den Schritt über die Schwelle begleitet und ihr die neue Freiheit hernach als etwas durchaus Gesellschaftliches gezeigt. Nun die Gefangene aus der Maison des Carmes mit einem Bündelchen Habe (kleiner noch als das nach der Wiederkehr aus Martinique) den Rückweg in die Welt der Lebendigen antrat, in diese verwandelte Welt der vom Tode Auferstandenen, war sie selbst voll einer sehr verwandelten Lebensgier. »Denn nun packte eine Raserei zu leben und zu genießen die Wesen, nun verlangten sie alle Freuden, alle Genüsse für diesen unglücklichen Körper, aus dem man hatte zwei Stücke machen wollen; nun wollten sie alle Küsse für diesen Mund, der beinahe schon in die Sägespäne des Korbes gebissen hätte; nun wollten sie alle Phantasien der Wollust, alle Bewunderung, alle Liebkosungen für diese Haut, die die Henkersknechte hatten entblößen sollen ...« Dennoch stellte sich auch diesmal der aus langer Todesangst hervorbrechenden Gier wieder Leben und Genießen im Bilde von etwas unbestimmt Gesellschaftlichen dar. Wie damals nach Panthémont Josephine zu genußreicher Zugehörigkeit zur Gesellschaft entschlossen gewesen war, so drängte es sie auch jetzt, schnell, schnell Anschluß zu finden an die, mit denen es sich in Freuden leben ließe. Aber Begierde und Ziel waren nun so anders, wie alles seit diesen Tagen von Panthémont anders geworden war. Aus dem verfallenden Parke jener Jahre war Wildnis und Dickicht geworden. Josephine hatte jetzt oft eine ganz schmale steile Falte zwischen den Augenbrauen. Was sie vor sich sah, waren lauter kleine praktische Aufgaben, was aber ihren Körper dabei spannte, war die Entschlossenheit, mit der Welt, wie sie eben war, mit dem blühenden Dickicht zurechtzukommen. Traum und Schwärmerei hatten in den anderen Haftentlassungen noch ihr Teil oder Teilchen gehabt; und im Beginn der Gefangenschaft in den Carmes war noch in ihr etwas von der »jungen Gefangenen« des unglücklichen André Chenier und in ihren Klagen etwas von der Gefangenenklage aus dem Fidelio gewesen. Das war nun dunkel und ungern erinnert in den Lebensgrund hinabgesunken.
Nachdem das große Wunder geschehen war, hatte sie gemeint, nun müsse alles andere leicht und selbstverständlich kommen. Ihr Guthaben beim Schicksal schien ihr nach diesen unendlichen Stunden des Todesgrauens so ungeheuer, daß jede ihrer Forderungen erfüllt werden müßte. Forderungen waren an die Stelle der Träume getreten. Wieder atmen zu dürfen ist einen Tag wunderbar, den anderen noch süß – und dann schon wieder selbstverständlich. Wieder gehen zu dürfen, wohin man mag, ist erst in sich beglückend: dann fängt die Frage an, wohin man möchte, andere Fragen mischen sich ein, und mit einem Male ist man wieder im Netz der kleinen Notwendigkeiten verfangen. Es begann wie nach Panthémont, nur in anderen Dimensionen. Altvertraut redete es ihr bald in das Bewußtsein, noch am Leben zu sein, hinein: wovon aber leben? Das war ungeheuer schwierig zu beantworten. Da aber Josephine die Sicherheit in sich fühlte, daß es zwar nicht eine einsinnige, aber vielerlei Je-nachdem-Antworten geben müsse, sah sie sich vor allem ohne Aufregung um.
Für die Menschen, die man amourös zu nennen pflegt, ist die Erotik und oft vielmehr noch ihr Drum und Dran die Droge, ohne die das Leben leer, spannungslos, sinnlos ist. Josephine war im Begriffe gewesen, sich an diese Droge zu gewöhnen, und hatte in der furchtbaren Entziehungskur des Gefängnisses noch durch die flüchtigen Begegnungen mit Hoche kleine Dosen von ihr empfangen. Sie war noch nicht hörig, noch bedeutete für sie Verliebtheit eine Erhöhung des Lebensgefühls, Champagnermunterkeit, Leichtigkeit im Denken und Entschließen. Sie hatte den vor ihr befreiten Hoche wiedergefunden und in dem leichten Rausche der kurzen Liebeszeit mit ihm besah sie sich ihre verworrenen Lebensumstände und begriff mit einigem etwas harten Humor, daß sie sich in einer ähnlichen Lage befand wie damals auf dem Schiffe, auf das sie in Martinique geflüchtet war. Was ihre Mitreisenden jetzt besaßen, konnte sie noch nicht übersehen. Daß sie ihr aber etwas davon abgeben würden, glaubte sie so fest, wie sie von sich wußte, daß sie herzugeben bereit sei, was sie könnte.
In ihrer Wohnung in der Rue St-Dominique, wo sie verhaftet worden war, fand sie all ihr Besitztum versiegelt und vorläufig unerreichbar. Alexandres Güter waren gepfändet, die von ihm erworbenen Nationalgüter nur zu kleinem Teil bezahlt, seine bewegliche Habe war nach seinem Tode versteigert worden. Die alten Leute in Fontainebleau, die sich während der Schreckenszeit geduckt und verkrochen hatten, hatten außer dem Leben gerade so viel gerettet, daß sie nach dem Verkauf ihres Hauses in bescheidener Enge leben und höchstens noch zeitweise Hortense bei sich aufnehmen konnten. Und auch nur herauszubekommen, was von den Besitzungen drüben auf den Inseln zu erhoffen sei, war eben jetzt schwieriger denn je zuvor. Denn Martinique war in diesem Jahre von den Engländern genommen worden und galt nun als englische Kolonie, nach der infolge des Kriegszustandes Briefe nur auf langwierigen Umwegen gelangten.
Da die Wohnung in der Rue St-Dominique sequestriert war, bezog Josephine eine andere in der Rue de l'Université, die einer Bekannten gehörte; ob diese die Wohnung weiter mitbewohnte, möbliert vermietete oder Josephine auf irgendeine Art ganz überlassen hatte, ist nicht bekannt. Überhaupt sind über diese erste Zeit nach Josephinens Gefängnisentlassung nicht viele sichere Einzelheiten festzustellen, während es deren ein paar Monate später schon eine Fülle und, je näher das Ereignis heranrückt, vermöge dessen Josephine zu einer historischen Person geworden ist, allmählich eine kaum mehr bewältigbare Menge gibt.
Es ist anzunehmen, daß Hoche aus seinem in den Gefängnismonaten aufgelaufenen Solde Josephine zu dem fürs erste Unerläßlichen verholfen hat. Sicher ist, daß er ihr die Sorge um die Unterbringung Eugènes abnahm; der Junge war nun zwölf Jahre und also schon in einem Alter, in dem er dem Brauch dieser kriegerischen Läufte gemäß seine militärische Ausbildung als eine Art Offizierslehrling in Hoches Stab beginnen konnte. Der General blieb von seiner Freilassung bis zur Übernahme seines neuen Kommandos insgesamt neunundzwanzig Tage in Paris. Zieht man davon die zwei Tage ab, die Josephine nach ihm enthaftet worden war, ihren Besuch in Fontainebleau und die von Hoches Pflichten und ihrer Geschäftigkeit erfüllte Zeit, so bleibt für dieses Liebesstück, das eine so tragische Exposition gehabt hatte, nicht viel Zeit übrig. Und von diesen kurzen Liebestagen waren die letzten für Hoche schon recht verwölkt und trübe. Was eigentlich vor sich gegangen ist, läßt sich nicht feststellen. Es heißt, daß Josephine Hoches Adjutanten, der ihr einen Brief überbracht hatte, diesen Dienst auf eine allzu herzliche Art gelohnt und der junge Offizier sich solchen Lohns nach dem Brauche der Zeit allzu laut gerühmt habe. Es mag wohl sein, daß die im Gefängnisse zu verheißungsvoll lockende Droge sich nun als zu matt erwies, zumal ja aus den vielen Adern, aus denen ein Zeitwesen Nahrung der Zugehörigkeit empfängt, allzu heftig die Verlockung in dies so gern verlockte Herz strömte. Aber wie gesagt: wir wissen nur ein paar Tatsachen, zu denen die aus erhalten gebliebenen Briefen einwandfrei feststehende gehört, daß Hoche verdüstert und voll von Ressentiments aus diesen Liebeswochen schied, daß er jedoch trotz etlicher bitterer Anspielungen auf Josephinens Koketterie Eugene mit sich nahm. Und daß er, wohl von seiner sehr jungen Frau über »die verräterisch koketten Frauen von Paris« hinweggetröstet, Josephinen bis zu Ende seines kurzen Lebens ein Freund geblieben ist.
Anfang September also verließ Hoche Paris, schweren Herzens Josephine einer Welt überlassend, der er selber Heros und Retter, aber nicht sich einfügender Mitbürger zu sein verstand. Mit dem Zerfasern und Durchreißen dieses Liebesbandes begann für Josephine ihr eigentliches Jahr, das Jahr der Lebensmitte, voll unvermerkter Abenteuerlichkeit – jenes Jahr, in dessen Bericht der Erzähler diese ganze Lebensgeschichte zusammengedrängt hätte, wenn er sich den Roman dieses Daseins zu schreiben vorgesetzt hätte. In diesem Jahr zwischen der Verhaftung und dem zögernden skeptischen und leise resignierten Ausnützen einer Liebschaft, das eine charmante Dame von anmutiger Haltung und immer zweifelhafterem Rufe so sehr gegen ihren Willen in die Weltgeschichte und in den Mythos hineingeführt hat, ist die ganze Josephine beschlossen. Wenn der Biograph sie dennoch nicht von hier aus erzählen kann, wie der Romancier es könnte, liegt das vor allem an der mißlichen Ungenauigkeit der Fakten, insonderheit der Wintermonate dieses Jahres, in denen Josephine eben noch zum letzten Male gerade nur eine unter nicht wenigen vergnügungssüchtigen Frauen eines Gewimmels von Zusammenrottungen war, das Gesellschaft spielte. Eben in diesen Monaten vollzog Josephine diese schon früher erwähnte Metamorphose, durch die sie bewußt und willentlich zu der charmanten Kreolin wurde, von der nachher des Rühmens kein Ende war. Sie ließ sich nun ganz und gar von den sehr eiligen und oft recht undurchsichtigen Wellen ihrer Zeit mitnehmen. Und sie verkleidete sich mit ihrer wachsenden Kunst so trefflich in diese Zeit, daß man nur allzusehr versucht ist, die ganze große Kostümierung dieser Zeitphysiognomie an ihr zu sehen.
Josephine hatte erst das Geld für die Übersiedlung nicht gehabt. Dann fehlte es bald an dem für ein paar Kleider (die Mode war ja jetzt so ganz anders geworden!), es fehlte an Geld für Essen und Trinken, für alles. Und alles war so unsinnig teuer, daß einem der Kopf vor Rechnen summte. Die wieder aufgenommenen Dienstleute, die brave Lanoy vor allem, waren wunderbar. Sie machten sich nicht nur nichts daraus, ihre Löhne nicht zu bekommen, sie halfen auch noch mit all ihren Ersparnissen aus, schafften Kredit und machten Schlupfwege ausfindig, auf denen man zu all den lebensnotwendigen Dingen gelangen konnte, die sich vor der Entwertung des Papiergeldes verbargen und in den für sie bestimmten Läden nur noch in unzulänglichen Mengen zu finden waren. Mochte das so Erstandene auch ein wenig teurer sein, – wer rechnete in solchen Zeiten genau, zumal wenn es mit Habe und Einkünften so ganz und gar ungenau herging? Immerhin ersparte das den Dienstboten, halbe oder ganze Nächte in den langen Reihen der Wartenden vor den Läden zu stehen, in denen, wenn man schließlich drankam, doch alles schon ausverkauft war. Josephine tat, was alle wiedergefundenen Bekannten taten: sie kaufte den Wein bei ihrem Coiffeur, der eine Flasche als Probe mit sich herumtrug, Battist für Wäsche bei irgendeinem Manne, den sie bei Bekannten getroffen hatte und der »zufällig« ein Stück mithatte. Das war ihr übrigens noch ganz lustig, wie jetzt alle ein bißchen Handel trieben. Angefangen bei den Unternehmungslustigeren, die zudem über Bargeld verfügten und die in der Provinz, wo die Assignatenentwertung weit eiliger vor sich ging als in Paris, Assignaten aufkauften, sie in Paris umwechselten und für den Erlös sogleich irgendwelche Waren erstanden, die morgen und übermorgen auch noch ihren Wert haben würden. So hatte fast jeder jeweils einen kleinen Bestand von Sachen als eine Art Sparkasse, und jeder bot dem anderen davon, tauschte mit ihm, kaufte und verkaufte. War die Geldnot auch groß und allgemein, so war jetzt jeder bereit, allen, mit denen er ein klein wenig Zusammengehörigkeit empfand, auszuhelfen – und wie schnell empfand man jetzt nicht dieses bißchen Zusammengehörigkeit! Da die Sturmflut abfloß, vor der jeder das Leben und ein Stückchen Habe auf die nächste Klippe gerettet hatte, strebten all die Robinsone von ihren Eilanden wieder zueinander. Alte Verbindungen knüpften sich neu: gemeinsam durchgemachte Haft war solch ein Band, und Angehörige von unglücklicheren Gefängnisgefährten, die den IX. Thermidor nicht mehr erlebt hatten, waren selbstverständliche Freunde. Der Sturm war vorbei, das Schiff fuhr wieder ruhiger (der Teufel wußte, wie lang), und man wollte nicht allein sein, wollte erzählen und zuhören, spielen, lachen, im Zusammensein den Genuß des Nochdaseins zusammenaddieren. Diese eifrige Flucht vor allem Alleinsein (»keiner will auch nur eine Stunde für sich sein, keiner allein essen noch gar allein schlafen«, heißt es in einem Memoirenbuch der Zeit), dieses sich zum Amüsement Zusammenrotten wie in den Kolonien war ganz und gar nach Josephinens Natur. Wie daheim auf den Inseln, wo jeder, wenn er seine Arbeit getan hatte, sogleich die nächste erreichbare Gruppe von Leuten suchte, war es jetzt rundum, nur daß außer dem kleinen Handel und dem großen Rumoren der Suche nach Geld, nach Herausgabe konfiszierter Güter und Wiedererstattung aller Art von Seiten des Staates von Arbeit noch weniger die Rede sein konnte als daheim in Martinique. Josephine, die selber in ihrem Leben noch nie etwas gearbeitet hatte, war alsbald mitten in dem, was Hunger nach Genuß und Geld, nach Spiel und Menschennähe, nach einem kleinen Happen neuer Behäbigkeit jetzt wahllos wieder zueinanderdrängte und sich als Gesellschaft fühlen ließ. Wo Josephine es für nötig hielt, wie zum Beispiele dem alten Marquis und der Tante Renaudin gegenüber, rechtfertigte sie die mit ihrem frischen Witwenstande unvereinbare Geselligkeitssucht damit, daß sie es dem Andenken Alexandres wie ihren Kindern schuldig sei, den Verkehr der Leute zu suchen, die ihr behilflich sein könnten, ihre Ansprüche an die Republik durchzusetzen. Erst die wachsende Kostspieligkeit all des Umgangs brachte es mit sich, daß sie selber diese Ansprüche immer ernster nahm und immer ruhigeren Gewissens in sie alle Art von Ausgaben investierte und hinter den vor allen gesuchten geselligen Freuden Zwecke sehen lernte.
Die ersten beträchtlicheren Zuschüsse, die Josephinen mit ihrem Vergnügen und ihren Ansprüchen vorwärtszukommen ermöglichten, stammten von einem Manne namens Emmery, Bankier in Dünkirchen, dessen Bekanntschaft sie vermutlich in der Zeit gemacht hatte, da er Deputierter in der ersten Nationalversammlung gewesen war. Dieser Emmery erwies sich als ein hilfreicher und anscheinend durchaus selbstloser Freund. Er streckte ihr mehrmals Geld vor, erst ganz ins ungewisse – und als diese Summen alle Male schnell wieder weggeschmolzen waren, bemühte er sich, Josephine mit ihrer Mutter in Verbindung zu bringen und ihr auf dem Umwege über das neutrale Hamburg aus Martinique Geld zu beschaffen.
Die vielen Menschen, die Josephine jetzt wieder zu sehen sich gewöhnte, gaben ihr alsbald das Gefühl, eine »Position« zu haben – und sie begann, aller Welt Interessen, und ein wenig auch die eigenen, in Briefen und mehr noch persönlich jedem für einflußreich geltenden Manne, mochte sie ihn kennen oder nicht, zu empfehlen. Diese Tätigkeit, die das Halten eines Mietwagens unerläßlich machte, füllte eine Menge Zeit, brachte manchem Vorteile und ihr selber Bekanntschaften, unter denen mindestens eine in jeder Hinsicht den Aufwand dieser Zeit lohnte, die mit Barras. Es mag wohl sein, daß Josephine ihm schon früher begegnet war, – die eigentliche Bekanntschaft, die sich erst so vergnüglich und vorteilhaft und hernach als recht folgenreich erwies, begann sicher erst um diese Zeit und nach der Episode mit Hoche. Das läßt sich aus den leider so ganz unglaubwürdigen ressentimentüberladenen Memoiren Barras' herauslesen, wo er über Hoches Beziehung zu Josephine spricht. (Daß, nebenbei bemerkt, diese Memoiren so wenig wie die Eugène Beauharnais' zuverlässig sind, ist für die Biographen Josephinens ein empfindlicher Verlust.) Ehe aber Barras hier seine Stelle in Josephinens Lebensgeschichte erhält, muß wohl sein Platz in der Zeit gezeigt und überhaupt von den Machthabern und Vorteilvergebern, in deren Nähe wir Josephine jetzt finden werden, einiges gesagt sein.
So wenig politisch Josephine auch sein mochte, sie war ein Frauenzimmer mit einer Menge ungestillter Wünsche und eine Dame dazu, die einen Rahmen brauchte und den bestmöglichen dort suchte, wo jetzt einzig Macht und Einfluß zu sein schienen. Rahmen und Bild zugleich bot der Befreier aus der Haft, Tallien, dessen kürzlich zu Madame Tallien gewordene Geliebte mit viel Geschick einen Mittelpunkt für die Gruppe von Männern zu schaffen verstand, die die Männer des Thermidor genannt wurden. Sie alle hatten wenig sonst miteinander gemein, als daß sie in irgendeinem Sinne Nutznießer des Sturzes Robespierres und seiner Freunde waren, daß sie ihre eigene terroristische Vergangenheit vergessen machen wollten, indem sie alle Schuld an den jetzt schon Verbrechen geheißenen Menschenopfern den toten Triumvirn zuschoben, daß sie an der Macht bleiben und sie genießen wollten – und daß sie nach den großen Unbestechlichen und harten Ideenkämpfern der Revolution die heraufkommende ideenlose Mittelmäßigkeit darstellten.
Tallien hatte Térézia Cabarrus in Bordeaux kennengelernt, wo er ein ähnliches Amt wie Fouché in Lyon, Lebon in Arras und Carrier in Nantes zu erfüllen hatte, nämlich das der Massenausrottung der von ihm als konterrevolutionär Befundenen. Térézia, französischer Herkunft, in Spanien geboren und erzogen – ihr Vater hatte es zum Hofbankier gebracht – war damals zwanzig Jahre alt und mit einem um vieles älteren Geldmanne, der sich selbst zum Marquis ernannt hatte, verheiratet. Ihre Schönheit muß ganz außerordentlich gewesen sein, darin stimmen die sonst sehr widersprechenden Berichte über sie durchaus überein. Sie wird als mittelgroß, langbeinig, von vollendet gerundeter Schlankheit geschildert; schwarzes Haar und dunkle Augen, sehr weiße Haut, herrliche Zähne werden ihr nachgerühmt, welche Schönheiten sie durch eine große Lebendigkeit, durch witzige Schlagfertigkeit im Gespräche, eine strahlende Heiterkeit des Wesens und endlich durch die anmutigsten Bewegungen zur größten Wirkung gebracht habe. Nimmt man eine auf der wunderbarsten Bedenkenlosigkeit aufgebaute hellwache Intelligenz, eine grenzenlose Vergnügungssucht und, wo nicht ihre Interessen im Spiel standen, unkleinliche Gutmütigkeit dazu, so hat man einen Begriff von Térézia, der Notre-Dame-du-Thermidor. Es gibt eine Menge Literatur über sie, das beste Buch ist noch immer das alte von Arsène Houssaye. Wer etwas von ihr wissen will, lese dieses, sicher aber nicht ihre Memoiren, in denen so viel weggelassen oder übergangen wird, daß man daraus zwei bewegte Lebensgeschichten machen könnte. Diese Erinnerungen sind allerdings zu einer Zeit geschrieben worden, da sie längst die Frau des belgischen Fürsten Chimay-Caraman geworden war und gern viele Kapitel ihres Lebens verschleiert oder ausgelöscht hätte.
Es wird erzählt, daß Térézia damals in Bordeaux einer Reihe von politischen Flüchtlingen die rettende Schiffspassage bezahlt habe und dafür denunziert, verhaftet und vor Tallien gebracht worden sei. Sicher ist, daß der gefährliche Prokonsul, der in seinem wechselreichen Liebesleben das Stimulans der Eleganz und Damenhaftigkeit sehr vermißt hatte, sich schnell und heftig in Térézia verliebte, die ihm zudem mit aristokratischer Anmut recht revolutionär nach dem Munde zu reden verstand. Sie war bald als die Geliebte des Gefürchteten bekannt und umworben und nützte in vielen Fällen ihre Macht über den Machthaber zur Rettung bedrohter Leben. Neuerdings sind allerdings Dokumente bekanntgeworden, die erweisen, daß sich des öfteren zur Genugtuung über die gute Tat die Möglichkeit gefügt habe, ihre schönen, teuren revolutionären Amazonentrachten zu bezahlen. Als Tallien dann nach Paris zurückgerufen wurde, folgte sie ihm. Wie Robespierre hier, um Tallien zu treffen, ihre Verhaftung verfügt, wie sie nach dem IX. Thermidor befreit und von politischer Volkssentimentalität mit dem Sturze des Tyrannen in Verbindung gebracht worden ist, ist bereits angedeutet worden.
Tallien hatte, nicht ohne eine kleine eitle Befriedigung, seine gute Freundin Josephine, die ehemalige Vicomtesse, mit seiner Frau, der Exmarquise, zusammengebracht, und die beiden verstanden sich sogleich vortrefflich. Was Josephinen an Jahren Térézia voraushatte, machte diese durch ihre intime Kenntnis der revolutionären Geschäftsgebarung wett. Und der Gemeinsamkeiten gab es sonst ja genug: trotz des Altersunterschiedes waren sie ein wenig wie Kinder aus derselben Schule, die sich vor den gleichen Lehrern hatten verstellen müssen. Sie hatten die gleichen Ziele und begannen überdies ihre Freundschaft im günstigsten Zeitpunkt: da sie beide in der Neuordnung des wiedergeschenkten Lebens Aussprache und Rat wohl brauchen konnten. Die beiden eigene Natürlichkeit, ihr starker Sinn für Humor, dem der kunterbunte Umgang dieser Zeit genug zum Lachen gab, und endlich das Bewußtsein, einander vielfach brauchen zu können, machten aus dieser Freundschaft schnell wirkliche Intimität. Térézia war Josephinen gegenüber augenblicklich allerdings beträchtlich im Vorteile: sie war jünger, hatte zu ihrer Schönheit noch die Anziehung der um sie gewobenen politischen Legende und hatte ihren Mann in der Regierung. Als sie Tallien kennengelernt hatte, war sie sicher weit mehr von seiner Stellung als von seiner Person bestochen worden und hatte sich um das Leben und dann um seine Genüsse ihm verkauft. Und da sie so jung war, war es ihr erst ergangen, wie ein neuer englischer Autor sagt: »Women have always been bought and sold. Now-a-days they sell themselves and then seem to be in love with the purchaser perfectly genuinely.« Aber um diese Zeit war Térézias Verliebtheit bereits im Abwelken. Sie vertrug sich ganz gut mit Tallien, »zähmte« ihn, hatte ihm bald die Eifersucht abgewöhnt und war entschlossen, ihm zur bestmöglichen Stellung zu verhelfen und aus dieser dann noch das Bessermögliche für sich selber zu machen. Sie hatte genug damit zu tun. Denn Talliens Position war durchaus keine gesicherte, noch half ihm in dieser vergeßlichen Zeit die Aureole des Drachentöters, an der Térézia eifrig polierte. Und es gab nur allzuoft peinliche Mahnungen, deren man eingedenk zu sein hatte. Zum Beispiel die Szene mit Cambon, einem der wenigen unanfechtbaren »Integren«, gegen den Tallien sich im Konvent unvorsichtigerweise erhoben hatte und von dem er vor allzuviel Ohren zu hören bekommen hatte: »Ah, du greifst mich an ..., nun gut, ich werde dir beweisen, daß du ein Dieb und ein Mörder bist. Du hast als Sekretär der Kommune keine Abrechnungen vorgelegt, dafür habe ich den Beweis im Finanzausschusse. Du hast eine Ausgabe von anderthalb Millionen Franken für eine Sache angeordnet, die dich mit Schande bedeckt. Du hast über deine Mission in Bordeaux nicht Rechnung abgelegt, auch dafür habe ich den Beweis im Ausschusse. Du wirst für immer der Mitschuld an dem Septemberverbrechen verdächtig bleiben, und ich will dir mit deinen eigenen Worten diese Mitschuld beweisen, die dich für immer zum Schweigen verurteilen müßte ...« Und das schlimmste war, daß Tallien als Erwiderung auf all das nur ein Stammeln gefunden hatte. Zum Glück hatten Robespierre und Saint-Just den Parisern mindestens für eine Zeit den Geschmack an der gefährlichen und kostspieligen Integrität verdorben; und die ehrlichen Sachdiener, soweit sie nicht als Soldaten ihre Dienste leisteten, wirkten in der Stille und unaufdringlich und ließen den Wichtigmachern Ruhm und Raum. Die Scheingegensätze unter diesen zu versöhnen, war die Aufgabe, deren sich Térézia mit einem für ihre Jahre ganz unglaublichen Geschick unterzog. Sie hatte Talliens Gartenhaus allen Raum abgewonnen, den es irgend zu geben hatte, und mit viel Phantasie und Geschmack und strahlender Rücksichtslosigkeit dem aufgewandten Geld gegenüber daraus das gemacht, was sie unter einem Haus verstand: Zimmer, in denen möglichst viele Menschen sitzen und stehen, essen und sich unterhalten konnten und in denen es viele Blumen, reizende Nichtigkeiten, Silber, Porzellan und das sonstige unmerkliche Beiwerk gab, das Wohnzimmer zu Salons macht, sofern die Hausfrau noch das zu schaffen versteht, was man Atmosphäre nennt. Damit hatte es Térézia freilich anfangs schwer; denn die Mehrzahl der Männer, die ihrer Einladung folgten, kamen hauptsächlich darum, weil die meisten politischen Klubs geschlossen waren, und ohne ihre Frauen, denen zum Teil noch allzuviel von ihrer nahen Vergangenheit als »Furien der Guillotine« anhing; sie kamen widerborstig, disputsüchtig, hatten Geselligkeit, wie Térézia sie anstrebte, verlernt oder noch nicht gekannt, und nur allzuoft brauchte die junge Hausfrau all ihren Witz und Charme, um Stimmen zu dämpfen, Streitende zu trennen und jakobinische Manieren zu sänftigen. Hierzu bedurfte sie weiblichen Beistands, wie sie ihn von allem Anfang an in Josephinen zu finden erwartet hatte. Seit die beiden lächelnd aneinander konstatiert hatten, daß sie alles Sansculottische nun so schnell wieder abtun konnten, als sie es angetan hatten, seit sie sich augurisch an den unmerklichen Zeichen als Damen erkannt hatten, wußten sie auch, daß die Zeit dieser zum Geheimorden gewordenen Regel weiblicher Macht wieder im Anbrechen war. Und da Térézia sich sagte, daß ihre Art, mit den Wölfen zu heulen, diese vielleicht dazu bringen würde, das Heulen zu lassen, war ihr Josephine als Bändigungsgehilfin besonders willkommen.
Soviel diese Geselligkeit auch einzubringen versprach, sie war schlimm kostspielig – und Tallien mußte mit den Nebeneinnahmen zu seinem kargen Gehalte verdammt vorsichtig sein. Térézia hatte es damit leichter. Zwei Monate zuvor hätte man angesichts der gedrückten, jammernden und in elendestem Zeug umherschleichenden Bürgersleute von Paris noch gedacht, daß die tugendhafte Norm allgemeiner gleicher brüderlicher Verarmung erreicht sei. Nun, seit dem Verschwinden der »Tugendhaften«, hatte sich das Bild schnell geändert. Zwar wurde das Jammern auch jetzt noch von denen, die es am wenigsten nötig hatten, als Mimikry weitergeübt – aber schon kam die Eitelkeit wieder durch. Die Lumpen verschwanden, die Schneider bekamen wieder zu tun; im wieder sauberen Halstuch zeigte sich eine Busennadel, der Schnupftabak wurde nicht mehr aus armseligen Schächtelchen, sondern aus immer kostbareren Dosen geboten, Ringe blitzten wieder an den Fingern, die langen Goldketten wurden aus Verstecken geholt, und seit man die Requisition des Reitpferdes, dieses unerläßlichen Requisits männlicher Eleganz, nicht mehr scheute, erschienen auch die Reitstöckchen mit kostbaren Knäufen wieder. Unter den Leuten, die sich jetzt mit Putz, Schmuck und Gespannen besonders hervortaten, waren ganz neue Gesichter, nie vorher gehörte Namen, und ihr Hervortun hatte eine Art, die man vorher auch noch nicht gesehen hatte. Aber diese Namen wurden schnell behalten: Gerüchte hängten sich an sie, schlimme zwar, aber phantastisch überschimmert von Ziffern, die in Assignaten unvorstellbare Höhen erreichten. Da waren die Armeelieferanten, die großen Verdiener an den Papiergeldgeschäften, die Aufkäufer der Nationalgüter, kurz alle die Männer, die aus jedem Chaos mit vollen Taschen hervortauchen. Ihr Sichtbarwerden war für Térézia die Taube mit dem Ölzweig: das Zeichen, daß es wieder Reichtum gab, der Weiser, wo die Quellen flossen, aus denen zu schöpfen war. Sie war nicht säumig.
Seit so viel alte und neue Macht über Nacht verschwunden, Grundbesitz konfisziert und alles kontrollierbare Eigentum in den Fängen des Staates war, wußten Wesen wie Térézia das Geld auf eine ganz neue Weise zu schätzen: als die Macht, die sich zu verbergen weiß und die vergrößert auftaucht, wenn ihre Bedroher gefallen sind. Und wie spöttisch und kritisch sie und ihre Freundin Josephine auch den neuen Leuten mit dem rüden Gehaben sonst gegenüber stehen mochten: mit diesen Bankiers und Armeelieferanten trachteten sie sich zu verhalten als rechte Frauenzimmer, die sich ja meist zu jeder wirklich etablierten Macht stellen wie die Kirche oder wie England – indem sie sie anerkennen und sie benutzen. Der Mann, auf den Térézia ihre Wünsche gerichtet hatte und zu dem sie über einige mittlere Mächte und Vermögen schließlich vordrang, hieß Ouvrard; er war zwar ungeheuerlich klug, doch kein sehr feiner, noch sonst prächtiger Mann; aber er war die Großmacht unter all den neu emporgetauchten Finanziers, er hatte die Hand in allen großen Geschäften, Anleihen und Lieferungen. Er war, kurz gesagt, die Art Mann, deren etliche wieder im letzten Jahrzehnt aus Siegen wie aus Niederlagen emporgestiegen sind und die schließlich mit einem Male von all der sie umwerbenden Gier zur Macht ihres Geldes auch noch ein Prestige von Lebenskunst, Mäzenatentum oder gar Geist angedichtet erhielten. Ehe die schöne Térézia ihre Hände tief in diese Taschen tauchen durfte, war es, von außen gesehen, ein klein wenig drunter und drüber mit ihr gegangen. Aber alles in allem hatte sie sich doch wohl verwaltet, hatte weder aus Genuß noch Gewinn Rechte erwachsen lassen und sogar die meisten abgeschafften Liebhaber in ihrem Gefolge erhalten.
Ihrer einer war es, den sie Josephinen zugedacht hatte, die einen ami en titre dringendst brauchte und für die ihr ebendieser Mann als der geeignetste erschien. Er war ein ehemaliger Vicomte, Provençale (was ja auf Kontinentalfranzösisch das Gegenstück zum Kreolischen sein mochte), nicht ohne Geist und Geschmack und nach Térézias Erfahrungen geneigt, eine Freundin zu haben und zu erhalten, die damenhaft ohne Ziererei, zärtlich ohne Eifersucht wäre und seine Gäste wohl zu empfangen verstünde. Dieser Pomp und Gepränge liebende Südländer (von dem der spätere Kaiser der Franzosen gesagt hat, er gehabe sich wie ein schöner Fechtmeister) besaß im hohen Maße die Gabe, mit Frauen umzugehen, hatte wie alle die erfahrenen Sinnlichen dieser Zeit die Skepsis mit im Pathos der Begierde, war kurzum der rechte Partner für Frauen von Térézias und Josephinens Art – und hatte auch noch das Unerläßliche, was ihn zur Partnerschaft empfahl: eine beträchtliche Stellung und das gewisse Etwas, das eine noch größere versprach.
Barras war früh Offizier geworden, war verschuldet in die Kolonien gegangen und hatte ein Stück echtes, ungebärdiges Rebellentum in sich gehabt, das ihn das Ausbrechen der Revolution als seine eigene Angelegenheit hatte empfinden lassen. Aber der Weg von der Erstürmung der Bastille bis in die Nachthermidorwelt war ein langer Weg – und Jugendrebellentum macht nicht den Revolutionär aus. Der Barras, dessen Freundin Josephine wurde, war Präsident des Konvents, Mitglied aller wichtigen Ausschüsse und Oberkommandierender der Inlandsarmee, hatte den Widerstand gegen den Sturz der letzten echten revolutionären Gruppe niedergehalten und war derweil dem abgebrühten Vicomte des spätesten Ancien régime schon wieder beträchtlich näher als dem Erstürmer der Bastille. Noch gab es das Direktorium nicht, noch war er nicht dessen machtbesessenstes Mitglied, noch stolzierte er nicht, längst von den Royalisten gekauft, in dem von dem einstigen »Königsmörder« David entworfenen Kostüm einher, im weiten, roten Mantel mit Spitzenkragen, das Römerschwert an der Seite und mit dem federnüberladenen Hute; aber schon ließ er sich vor allem General anreden, klirrte mit dem Schleppsäbel, und uneingedenk dessen, daß er von seinen Missionen zu den Revolutionsarmeen ohne jeden Kriegsruhm und nur mit den von den Armeelieferanten gefüllten Taschen zurückzukehren pflegte, gab er sich in Erwartung anderen Aufputzes vorerst noch recht militärisch. Aber ungleich Alexandre Beauharnais fiel das alles meist schnell von ihm ab, wenn die großen Auditorien hinter ihm lagen; und seine pompöse Art von Witz zusammen mit seiner wohlerfahrenen Genießerkunst machten ihn zum beliebten Gastgeber und Tischgenossen der Tafelrunden, die er so sehr liebte.
Barras war noch nicht in dem Alter, in dem für die zwangshaften erotischen Genießer Jugendfrische mehr als einen Augenblicksreiz bedeutet, in dem für den ermüdeten Jugendfernen die gefährliche Illusionierung durch die Mädchenkörper beginnt. Josephinens bewegliches Gesicht mit dem reizenden Gegensatze von Gaminhaftigkeit und wohlgeübtem Schmachten in den dunkelblauen Augen mit den langen, gebogenen Wimpern entzückte ihn, wobei er wissend die Kunst mit genoß, die dem ein wenig Unfrischen dieses Gesichtes aufhalf. Die elfenbeinmatte Glätte der noch vollendet straffen Haut, der herrlich gerundete, freigebig gezeigte Busen, das natürlich gelockte Haar, das je nach dem Lichte beinahe blond und beinahe dunkel erschien, gefielen ihm ebensosehr wie die raffinierte Kunst unterstreichenden Verhüllens in Josephinens Toilette, das wie ihr Reden und Erzählen war: degagiert, ahnen lassend und nie geheimnislos.
Daß diese Beziehung, die gleich mit dem Höhepunkte begonnen hatte, länger als die bei Barras und in der Zeit übliche Dauer währte, ist zum großen Teile Josephinens Verdienst. Sie begriff wie nie zuvor noch nachher den Inhalt und die Grenzen des unausgesprochenen Paktes, hielt sich genau an ihn und verfiel auch nicht einmal in eine ihrer bei ihrer sonstigen Damenhaftigkeit doppelt gefährlichen Maßlosigkeiten. Sie genoß illusionslos die ihr gewährten Dosen der erotischen Droge, machte sich kein Bild von Barras, träumte keine Zukunft mit ihm, nahm, was er zu geben bereit war, ging mit einem anmutig gespielten kleinen Schmollen über seine unverhohlenen Abenteuer hinweg und war im übrigen klug genug, bei ihren eigenen es nicht erst auf die Probe ankommen zu lassen, wie es Barras mit seiner oft gerühmten Eifersuchtslosigkeit in ihrem Falle halten würde. Es erwies sich mehr und mehr, daß sie es mit ihm recht gut getroffen hatte. Er war launenlos und manierlich ihr gegenüber, ja er gab zu, daß er nach der jahrelangen Encanaillierung seines Männerumgangs seine eigene Manierlichkeit als ein besonderes Vergnügen empfinde. Überdies war er gerade in diesem Jahre seines Aufstieges (den Térézia so sicher vorausgesagt hatte) so viel beschäftigt, daß er Josephinen nicht allzu häufig sehen konnte und auch dann ihre Zusammenkünfte weit öfter gesellige als intime waren. Zu alledem war er freigebig, aus eigenem sowohl als indem er der Freundin Bächlein wies, aus denen zu schöpfen wäre. Und da es eben in diesem Jahre mit ihm so prächtig vorwärtsging, flossen ihm immer mehr und immer breitere Bäche aus allen Geldströmen zu, die durch diese Zeit flossen. Ja, Josephine hatte es ganz besonders gut getroffen, denn dieses Jahr 1795 war das Jahr der Hungersnot und des schlimmsten Mangels an allem. Zu Anfang dieses Jahres noch war sie als beinahe täglicher Tischgast einer Madame du Moulin, die beträchtliche Mittel und Energien auf das Durchfüttern ihrer Freunde aufwandte, von der für die anderen Tischgenossen geltenden Verpflichtung entbunden worden, ihr eigenes Brot mitzubringen. Bald danach konnte sie selber üppige Gastfreundschaft aus den von Barras gesandten Körben voll Leckerbissen aller Art üben. Sie hatte das Landhaus in Croissy, in dem sie vor ihrer Verhaftung so oft zu Gast gewesen war, gemietet und empfing hier allwöchentlich Barras und den mit ihm kommenden Schwarm. Der nachmalige Kanzler Pasquier schreibt in seinen Memoiren: »Wir hatten Madame de Beauharnais als Nachbarin. Ihr Haus stand dicht neben dem unseren. Sie kam nur selten dahin, einmal die Woche, um hier Barras mit der zahlreichen Gesellschaft zu empfangen, die er in seinem Gefolge hatte. Vom frühen Morgen an sahen wir die Körbe voll von Lebensmitteln ankommen ... Das Haus der Madame Beauharnais hatte, wie das bei den Kreolinnen häufig der Brauch ist, einen gewissen Luxus der Aufmachung, aber inmitten all des Überflüssigen fehlte es an den allernotwendigsten Dingen. Geflügel, Wildbret und seltene Früchte überfüllten die Küche – wir waren damals mitten in der größten Hungersnot –, und zu gleicher Zeit gab es nicht genug Kochtöpfe, Gläser und Teller, die dann aus unserem kümmerlichen Haushalte geborgt wurden.«
Was nun diese von Josephine in dem Jahre oftmals gerühmte Freigebigkeit Barras' anlangt, muß aus ihren Ergebnissen geschlossen werden, daß Josephine sie entweder überschätzt hat oder daß ihre Ansprüche in einem wahrhaft tropischen Wachstum emporschossen, das – sieht man Josephinens von Monat zu Monat anwachsende Schulden – in keinem Verhältnis zu Barras' Wollen oder Können stand. In diesem Jahre 1795, das ein Zeitgenosse das Jahr der Hungersnot, der Tanzwut und des neuen Luxus nennt, erlernte Josephine aufs gründlichste die Klugheit der rechten Nutznießer solcher Zeit: daß man viel Geld ausgeben müsse, um mehr Geld zu haben, daß aus den Schulden Ansehnlichkeit und aus dieser neuer Kredit und Hoffnung auf endliche Sicherung erwüchsen. Barras hatte die Herausgabe der konfiszierten Güter Alexandres erwirkt – doch die brachten vorerst nicht viel mehr als etwas Kredit ein. Ein größeres Darlehen war von dem Dünkirchener Bankierfreund auf einen auf Martinique gezogenen Wechsel gewährt worden. Wagen und Pferde hatte die von Tallien und Barras repräsentierte Republik als Ersatz für Alexandres requirierte Equipage gestellt: all das zusammen half und verpflichtete zugleich. Denn Josephine war wie der Mann, der zu dem gefundenen Knopfe das dazu passende Gewand anfertigen läßt. Zur Karosse gehörten Kutscher und Stallung, und da diese natürlich zur Hand sein mußten und Mietwohnungen ja für gewöhnlich keine Stallungen hatten, mußte wohl ein ganzes Haus genommen werden. Und Josephine, bei ihren eigenen Dienstleuten wie bei den Lieferanten aller Art verschuldet, hatte schnell das Haus gefunden, das zu Wagen und Pferden, zu ihrer immer vielfältiger und farbiger werdenden Halbtrauer und zu den Leuten passen mochte, die sie sich aus ihrem sehr großen Bekanntschaftskreise als Umgang auszuwählen begann.
Das Haus in der Rue Chantereine (die nicht lange danach im Zusammenhang mit dieser neuen Bewohnerin einen ganz anderen Namen tragen sollte), dieses zwischen Hof und Garten stehende kleine Palais, hatte weder der Bauart, noch der Lage, noch gar seiner Vergangenheit nach etwas von einem Adelswohnsitze; es war vielmehr die Art Haus, von der alleinstehende elegante Frauen, die durch ihre persönlichen Gaben emporzukommen trachten, zu träumen pflegen. Solcher (allerdings bald so gründlich gewandelter) Charakter haftete dem Haus anfangs auch noch von seiner Vermieterin her an, der geschiedenen Frau eines Schauspielers, der hernach der große Talma hieß. Ob die erste Vorauszahlung der für die Zeit außerordentlich hohen Miete von Barras kam oder aus einer der sonstigen eilig erschlossenen und schnell wieder versiegenden Hilfsquellen Josephinens, ist unbekannt; die Summe wurde erlegt, und sogar von den nun nötig gewordenen Anschaffungen wurde einiges gleich bezahlt. Josephine besaß etliche hübsche Möbel, aber lange nicht genug, um alle Räume des Hauses zu füllen. Nun wurde nach Maßgabe der Mittel oder vielmehr des Kredits eilig so viel Mobiliat zusammengekauft, daß die Gesellschaftsräume ihr notdürftigstes Mobiliar hatten. Allerdings erwies sich später, da Josephine mit größeren Mitteln die Einrichtung des Hauses immer mehr vervollkommnete, daß die Mehrzahl der zuerst angeschafften Möbel und Gerätschaften ihrem immer wählerischer werdenden Geschmacke gar nicht mehr entsprachen, worauf sie anderen kostspieligeren Platz machen mußten. Bezeichnenderweise waren die einzigen beiden Räume, die gleich von allem Anfang an ihre nur mehr in Einzelheiten veränderte zweckentsprechende Ausgestaltung erhalten hatten, Schlafzimmer und Cabinet de Toilette. Hier gab es Spiegel von allen Größen und den »Arbeitstisch«, das reiche Arsenal der Toilettegegenstände, der vielen Tiegel und Flakons, der Schminken und Stifte, in deren Gebrauch Josephine es allmählich zur Meisterschaft zu bringen begann. Zu ihrem Glücke war die Übung dieser der Schönheit aufhelfenden Künste in den letzten Jahren eine allgemeine geworden, – wie anscheinend in allen solchen Zeiten, in denen es einen großen Überschuß an Frauen gibt und durchgreifende Umschichtungsprozesse einer sich wandelnden Gesellschaftsordnung es den Frauen auferlegen, unter Aufgebot all ihrer frauenzimmerlichen Gaben sich individuell die Sicherungen von den Männern zu schaffen, die ihnen durch das Wegschmelzen der Vermögen und den Zerfall der Zuflucht in Stand und Familie genommen worden waren.
So hatte Josephine nun ihr Haus, – und daß darin in all seiner Geräumigkeit, wie in den Denkwürdigkeiten einer Zeitgenossin steht, vorerst das Bett das bedeutendste und prächtigste Möbelstück war, mag der Hausherrin kaum zu Bewußtsein gekommen sein. Diese war vielmehr vom ersten Tag an davon erfüllt, daß ein Haus zu haben allem zuvor ein geselliges Ding ist. Und mochte es auch wie in Croissy an Küchengerätschaften und sonstigen verborgenen Notwendigkeiten eines Haushaltes (für die Geld auszugeben ja ein Jammer war) noch allerorten fehlen, so wurde doch jedenfalls von allem Anfang an für eine reichliche und staatmachende Dienerschaft gesorgt. Zum Kutscher für die ungarischen Rappen kam der Gärtner, natürlich mußte der Koch ein guter sein, auch eine neue Zofe wurde aufgenommen, – und so hatte es Josephine schnell auf eine Dienerschaft von fünf Köpfen gebracht. Die reichten auch nur eben aus, weil die Kinder nicht im Hause waren. Hortense war in einem neuerrichteten Mädchenpensionat untergebracht worden, in dem es schon wieder recht adelig und unrepublikanisch herging. Daß Josephine hier von dem Pensionspreise für das Kind die Hälfte abgehandelt hat und dies eben zu einer Zeit, da sie ein Vielfaches davon für einen Stoff zu Stuhlbezügen ausgab, sei nebenbei bemerkt. Eugène, der nicht lange in Hoches Obhut gelassen worden war, war nun gleichfalls in einer Erziehungsanstalt und kam wie seine Schwester nur an Ferientagen in die Rue Chantereine. Wie sehr übrigens Josephine auch an ihren Kindern hängen mochte, wäre für sie in dem neuen Hause doch kaum eine rechte Bleibe gewesen. Nicht daß Barras Josephine so sehr in Anspruch genommen hätte, ganz im Gegenteil – in einer wachsenden gegenseitigen Herzlichkeit glomm die Liebschaft allmählich aus, und Josephine, nun »eine der Damen in Barras' Hofstaat«, sah den Freund nur noch allein, wenn sie etwas von ihm brauchte. Aber sie hatte jetzt ihr Stückchen ersehnten Weltglanzes – und sie hatte es schwer damit. Es war ja nicht wie mit der Tallien, der ihre, einem jeden einleuchtende Prächtigkeit dazu verholfen hatte, sich neben Talliens eilig einschrumpfender politischer Machtstellung aus Ouvrards Millionen neue festere Stützen zu bauen. Josephine war dreiunddreißig Jahre alt; manchmal erschrak sie vor dem Spiegel; sehr oft wurden Gläubiger ungeduldig und mußten durch neues Schuldenmachen befriedigt werden. Und diese ganze »Position« ruhte ja auf nichts anderem als auf ihren gesellschaftlichen Gaben, ihrem immer wissenderen Charme und der Entschlossenheit, sich mindestens zu halten, wo sie war. Das wäre für eine von Natur aus ein wenig träge Frau eine beinahe unbewältigbare Aufgabe gewesen, hätte sie sich nicht aus so vielen vergnüglichen Einzelheiten zusammengesetzt.