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Vernunft!

 

Il y a des portes étranges par lesquelles
on entre dans l'Histoire.

 

Die Bekanntschaft Josephinens mit Bonaparte begann nach den Vendémiaire-Ereignissen, die ihn aus einem der vielen jungen Generäle der Republik zu »einem, der mitzählt«, gemacht hatten. Kaum drei Wochen später gibt es schon folgendes Billett Josephinens an den neuen Freund:

»Sie kommen nicht mehr eine Freundin besuchen, die Sie liebt; Sie haben sie ganz und gar verlassen; Sie haben unrecht, denn sie ist Ihnen zärtlich verbunden.

Kommen Sie morgen, Septidi Der siebente Tag der Dekade, der zehntägigen Zeitrechnungseinheit, die im republikanischen Kalender an Stelle der Woche gesetzt worden war., zu mir zum Frühstück; ich muß Sie sehen und mit Ihnen über Ihre Interessen sprechen. Guten Abend, mein Freund, ich umarme Sie.

Witwe Beauharnais«

Über seine Interessen sprechen? Wie gefährlich klug! Was lockte einen jungen Ehrgeizigen mehr als von seinen Hoffnungen und Wünschen, seinen Problemen und Plänen sprechen zu dürfen und die Frau gedankenvoll lauschend vor sich zu haben, in die er verliebt ist? Die heißen Ehrgeizigen wollen ja teilen, Liebe vermehrt die Kraft ihrer Träume um den vermeintlichen Mit-Traum der Geliebten! Solch ein Jüngling liebt seine in einsamer Jugend zur Form gebrannte Sehnsuchtswelt in die Lauschende hinein, gibt ihr seinen stolzen Glauben mit der Liebe und reißt gebend die groß geglaubte Welt der Geliebten in sich hinein, in dieses Ich, das ja noch keine anderen Bürgschaften hat als das eigene Sein und das zur sicherlich gewesenen Traumwelt mit den ersten Erfüllungen nun auch gleich nach vielen, vielen Tatsächlichkeiten giert.

Aus allem schwer getragenen Maß gerissen, griff Bonaparte jetzt nach Josephine, nach dem schönen duftenden Körper in den köstlichen Hüllen, nach der anmutigen Dame, die ihn ermunterte und ihm lächelnd in spielender Glätte entglitt, nach der Vicomtesse, in der die untergegangene Welt ihm mit allem Reiz später wissender Jugend blühte. Er griff, griff zu, wollte halten, besitzen, haben – aber mit dem nächsten Wort schon glitt ihm die Glatte wieder fort in Leben, das er nicht wußte, in Humor, dem er nicht folgen mochte. Und schon war Umarmung, Vergehen in Sinnenentzückung wieder wie ungeschehen gemacht. Er glühte, griff ins Leere, war tief beleidigt, verstand nichts mehr, wollte haben und halten, griff wieder mit Hand und Wort, war verliebt und verstört. An einem Morgen nach einer Liebesnacht schrieb er diesen Brief: »Ich habe, als ich Sie verließ, ein peinvolles Gefühl mit mir fortgetragen. Ich bin sehr verdrossen zu Bett gegangen. Es schien mir, daß die meinem Charakter gebührende Achtung Ihnen den Gedanken hätte fernhalten müssen, der Sie zuletzt gestern abend erregt hat. Wenn dieser Gedanke die Vorherrschaft in Ihrem Geiste behielte, wären Sie sehr ungerecht, Madame, und ich sehr unglücklich. Sie haben also gedacht, daß ich Sie nicht um Ihretwillen liebte? Um wessen willen denn sonst? O Madame, ich hätte mich also so sehr verändert! Hat ein so niedriges Gefühl in solcher reinen Seele Platz greifen können? Ich bin noch darüber erstaunt, freilich weniger noch als über das Gefühl, das mich bei meinem Erwachen ohne Groll und ohne Willen wieder Ihnen zu Füßen gelegt hat. Wahrlich, es ist unmöglich, schwächer und erniedrigter zu sein. Was ist denn Deine seltsame Macht, unvergleichliche Josephine? Einer Deiner Gedanken vergiftet mein Leben und zerreißt mein Herz mit lauter einander entgegenwirkendem Wollen, aber ein stärkeres Gefühl, eine weniger düstere Stimmung bindet mich wieder, führt mich zurück und leitet mich noch wie einen Schuldigen. Ich fühle es wohl, wenn wir Zwistigkeiten miteinander haben, müßtest Du mein Herz und mein Gewissen als Richter zurückweisen. Du hast sie verführt, und sie sind immer wieder für Dich.

Du hingegen, mio dolce amor, hast Du wohl geruht? Hast Du auch nur zwei Mal' an mich gedacht? Ich gebe Dir drei Küsse: einen auf Dein Herz, einen auf den Mund, einen auf die Augen.«

Ein Zwist? Kennt man die Geschichte dieser Beiden in den nächsten Monaten und all die Nachrede um sie, so kann man sich eines Gedankens nicht erwehren: daß Josephine wohlüberlegt einen Verdacht ausgesprochen habe (den sie hatte gar nicht haben können), um sich einen Anschein von Macht zu geben und um dem jungen Verliebten in seinem Ehrgeiz zu schmeicheln – den Verdacht nämlich, daß Bonaparte sich ihr genähert habe, um sich ihre Fürsprache bei dem nunmehr im Direktorium paradierenden Barras und seinem Anhang zu sichern. Aber so sehr sie beide Kinder dieser Zeit waren, in der so viele sich sogar im Genuß noch zu fragen gewöhnt hatten, was man damit erreichen könne, war Josephine in Wirklichkeit bei all ihrem Unverständnis für diesen jungen Menschen gewiß so weit von solchem Verdacht entfernt, als er selber von jeder Berechnung in dieser seiner ersten Liebe entfernt war. Daß er, was ihm bald zum Vorwurfe gemacht wurde, die Frau von Rang und Stellung erwählt hatte, gehört mit ins Liebesgeheimnis, in dem ja noch anderes als ein schmachtender Blick, ein schöner Busen oder ein »wellenweicher« Gang die fatalen Requisiten sind. So darf auch nicht angenommen werden, daß diese dem Verliebten so umwegig eingegebene Hoffnung, in Josephinen eine gesellschaftliche Stütze zu finden, ihn zu dem Wunsche gebracht hätte, sich ihrer ganz und gar und mit allen Rechten zu bemächtigen. Dieser bald in ihm emportreibende Wunsch kam vielmehr aus seiner ganzen Natur, welche urhaft heftig überall nach Besitzergreifung drängte, wie die in ihren einfachsten Gebilden verkörperte Natur in der Amöbe alles Nahekommende sich einzuverleiben drängt. Und dieser Wunsch empfing seine gesellschaftliche Formung daher, wo dieser junge Mensch ein soziales Wesen war, aus dem Klan, in dem Liebe gleichbedeutend ist mit Einverleibung in die Familiengemeinschaft. Napoleon Bonaparte konnte ja jetzt nicht nur der Familie helfen, er konnte auch eine Frau ernähren: er liebte eine, schlief mit ihr, so war die Frau gefunden, die er heiraten konnte. Daß sie ihn wiederliebte, stand ihm außer Frage – wäre es sonst so weit mit ihnen beiden gekommen? »Je vous aime« ist im Französischen ein Wort geworden, das von der Leidenschaft bis zur erotischen Höflichkeit alles auszudrücken hat, Bonaparte sprach und hörte es, als hätte es keiner vor ihm gesagt: pflichtig aus Natur, die aus der Paarung das Paar formt, Patriarchenjüngling, der am Weibe zum Mann werden will. Er wollte ganz geben, ganz nehmen, bot endlich geöffneten Herzens die große Teilung, nach der er glühte wie die stolzen Ehrgeizigen, die einsam sind. Er wollte den Ernst zum Spiele, dessen Süße er nun gelernt hatte, die Pflichtigkeit zum Worte, das ihn berückte – und die unbeschränkte Herrschaft als die Gerechtsame der unbedingten Liebe.

Josephine hatte sich mit dem leidenschaftlichen jungen Liebhaber ganz leidlich eingelebt. Er arbeitete wie besessen, das ließ ihr Zeit für ihre Freunde, das Haus, die Gläubiger. Mit diesen stand es eben jetzt wieder erträglicher, denn Josephine hatte vor kurzem ein gut Stück Geld aus Martinique bekommen, was das Leben gleich wieder lustiger und die Ansprüche noch erheblich größer machte. In all das hatte sich der junge Liebhaber trefflich einfügen lassen. War er auch nicht stattlich noch irgend glänzend, so war er dafür über die wenig dauerhafte Tagesberühmtheit hinaus bei allen Direktoren mehr als gut angeschrieben; ja sogar der ungemütlich harte und rechtliche Carnot redete – damals – von ihm in den Tönen höchsten Lobes. Das machte eine Menge kleiner und größerer Absonderlichkeiten, die der junge Mensch an sich hatte, wieder wett. Man konnte sich mit ihm zeigen, man vertrug sich auch oft recht gut mit ihm. Und wenn er großsprecherisch oder allzu anspruchsvoll wurde, war man entweder ein verfolgtes wehrloses Frauenwesen und rührte ihn, oder man kehrte die große Dame hervor und schüchterte ihn ein. Kurzum, es wäre ganz leidlich eine Weile so weitergegangen. Aber da kam er mit einemmal mit dem Heiraten. Josephine war zuerst alles eher als begeistert. Wozu heiraten? Er gab nicht nach. Da begann sie Umfrage zu halten. Die Freunde, Barras vor allem, der sie gern versorgt gewußt hätte, redeten ihr von ihrer unsicheren Lebenssituation, ihren Schulden, den vaterlosen Kindern und deuteten mehr oder minder zart an, daß in Anbetracht ihres Alters das vielleicht die letzte Chance sei. Denn eine Chance sei es: wenn der junge Mensch auch kein Vermögen und Pflichten gegen seine zahlreiche Familie habe, sei er doch in seinen jungen Jahren dank seiner sicher außergewöhnlichen Gaben schon so hoch gestiegen, daß an seinem weiteren Wege kaum zu zweifeln sei, besonders da die Republik nach dem kurzen Scheinfrieden nun mehr denn je fähige Generäle brauche. Bonaparte sei Anwärter auf das Oberkommando über die Italienarmee – und Josephinen zuliebe würde man sich schon bemühen, daß aus dieser Anwartschaft Gewißheit würde.

Alle schienen sich verbündet zu haben, ihr zu dieser Heirat zuzuraten, sogar die alten Leute in Fontainebleau. Sie hatte viel Abraten erwartet, Bemerkungen über eine Mesalliance oder mindestens Bestärkung ihrer eigenen Bedenken. Sie war sehr betroffen. Sahen denn jetzt alle schon, was sie bisher noch für ein Geheimnis zwischen ihr und ihrem Spiegel gehalten hatte? Sie wurde unsicher. Freilich wuchsen dabei ihre Bedenken nur noch. War nicht auch Beauharnais ein General gewesen, und was für ein wichtigmacherischer dazu? Gab es denn jetzt nicht eine Menge solcher halber Kinder, die mit der Generalsstickerei auf schäbigen Röcken in Paris auftauchten? Freilich, augenblicklich hatte Bonaparte wirklich eine Stellung ... Aber warum um Gottes willen heiraten? »Dreiunddreißig Jahre«, hieß es dann wieder in ihr, und der Spiegel fiel ihr ein. Aber die anderen Bedenken schwiegen nicht. Großsprecherisch war der junge Mensch. Sie schrieb in einem der Briefe, aus denen hier noch andere Stellen anzuführen sein werden: »Barras versichert, daß er, wenn ich den General heirate, ihm das Oberkommando der Italienarmee erwirken wird. Gestern sprach mir Bonaparte von dieser Vergünstigung, die noch gar nicht gewährt ist und über die seine Kameraden schon munkeln, und sagte mir: ›Glauben Sie, daß ich Protektion brauche, um hochzukommen? Die werden noch alle einmal glücklich sein, wenn ich ihnen meine Protektion zuteil werden lasse. Mein Degen ist an meiner Seite, und mit ihm werde ich es weit bringen.‹« Sie sah nicht die Augen dessen, der so sprach, empfand nichts von dem ungeheuren Willen, aus dem solche Zuversicht hervorbrach – sie wurde nervös von zu großen Worten. Und selber mancher Maßlosigkeit fähig, wurde sie unduldsam vor solcher scheinbaren Maßlosigkeit ihres Liebhabers. Ja, nervös machte er sie nur allzuoft, das ist das Wort. Er war rechthaberisch, so würde er unaufhörlich Forderungen stellen, wenn er erst wirklich ein Recht hätte. Er würde sich in alles mengen wollen und ihr Stückchen geselligen Einzelgängertums bedrohen, das sie jetzt nicht mehr missen wollte. Und dann war noch etwas, was sie sich nicht ganz klarmachen konnte, denn Formulieren war wahrlich nicht ihre Sache: es war etwas, was mit Lustigsein und Lachen zusammenhing, mit dem also, was sie so gut konnte und so sehr brauchte. Wenn dieser Bonaparte, aus seiner Düsterheit herausgerissen, zu lachen anfing, wurde einem nicht wohl dabei; es war keine Befreiung darin, keine Heiterkeit. Oft überhörte er ihre besten Pointen und war dann noch gekränkt darüber, oder er lachte heftigst, wo gar nichts zu lachen war. Als Jahre später ihr zugetragen wurde, daß Talleyrand ihn »l'inamusable« genannt hatte, nahm sie dieses Wort wie etwas lange vergeblich Gesuchtes auf.

Aber ihre dreiunddreißig Jahre, die Schulden, die Zukunft ... Sie wollte ihr Haus behalten, ihren Wagen, wollte Kleider, immer neue schöne Kleider haben, Menschen um sich sehen; sie wollte mindestens bleiben, wo sie war – und die Vernunft, die wunderliche Vernunft sagte: wenn es wirklich nicht anders geht, dann eben mit diesem General.

Josephine, beinahe schon entschlossen, hielt noch weiter Umfrage und ging in Gesprächen und Briefen weiter mit sich zu Rate. So schrieb sie einer Freundin den folgenden Brief, aus dem schon ein Stückchen angeführt worden ist: »Man will, daß ich mich wieder verheirate, meine liebe Freundin. Alle meine Freunde raten mir dazu, meine Tante befiehlt es mir beinahe, und meine Kinder bitten mich darum ... Sie haben bei mir den General Buonaparte gesehen. Nun, er ist es, der den Kindern Alexandre de Beauharnais' der Vater und seiner Witwe der Gatte werden will. Ob ich ihn liebe, werden Sie mich fragen. – Aber ... nein. – Ob ich also Abneigung gegen ihn empfände? Nein. Aber ich befinde mich in einem Zustand der Lauheit, die mir mißfällt und den die Gläubigen in Bezug auf die Religion ärger als alles andere finden. Und da die Liebe ja eine Art von Kult ist, müßte man zu ihr ganz anders stehen als ich jetzt. Das ist der Grund, warum ich Ihre Ratschläge möchte, die die Unentschlossenheit meines schwachen Charakters festigen würden. Eine Entscheidung zu treffen ist meiner kreolischen Nonchalance immer als ermüdend erschienen, die es unendlich viel bequemer findet, dem Willen der anderen zu folgen.

Ich bewundere den Mut des Generals, seine ausgedehnten Kenntnisse in allen Dingen, von denen er gleicherweise gut spricht, und die Lebhaftigkeit seines Geistes, die ihn die Gedanken der anderen verstehen läßt, beinahe noch ehe sie ausgesprochen sind. Aber ich gestehe, daß ich erschreckt bin von der Herrschaft, die er über alles ausüben will, was ihn umgibt. Sein forschender Blick hat etwas Sonderbares, das sich nicht erklären läßt und das sogar unseren Direktoren Respekt einflößt: urteilen Sie, ob er damit nicht eine Frau einschüchtern muß! Schließlich ist gerade das, was mir gefallen soll, die Kraft einer Leidenschaft, von der er mit einer jeden Zweifel ausschließenden Energie spricht, eigentlich dasjenige, was meinem Jawort, das ich oft schon auszusprechen bereit war, Einhalt gebietet.

Da ich die erste Jugend hinter mir habe, kann ich da hoffen, für eine lange Zeit diese gewalttätige Zärtlichkeit mir zu bewahren, die bei dem General einem Anfall von Raserei ähnelt? Wenn er nach unserer Vereinigung aufhört, mich zu lieben, wird er mir nicht zum Vorwurfe machen, was er für mich getan hat? Nicht mit Bedauern an eine glänzendere Ehe denken, die er hätte schließen können? Was werde ich ihm dann antworten, was tun? Ich werde weinen. – Ein guter Ausweg, werden Sie sagen! – Mein Gott, ich weiß, daß das nichts hilft; aber das war jederzeit der einzige Ausweg, den ich gefunden habe, wenn jemand mein armes, so leicht zu kränkendes Herz verletzt hat ...«

Dieser echte Josephine-Brief endet noch bezeichnender mit den Worten: »Ohne diese Ehe, die mich plagt, wäre ich trotz allem sehr vergnügt; aber solange es um dieses Heiraten geht, werde ich mich abquälen ...«

Aber die Vernunft ihrer Jahre war stärker als die Freiheitsliebe und die Instinktbedenken gegen Bonaparte. Sie hätte wahrhaftig Barras, Ouvrard oder sonst einen der bedeutenden Geldleute vorgezogen. Aber die meldeten sich nicht. So war der General mit seinen vielgerühmten Aussichten vielleicht doch noch eine ganz gute Partie. Täuschte sie sich, so war ja noch immer nicht viel verloren. Gottlob konnte sie ja jetzt die gute Republikanerin hervorkehren und, anders als die Leute aus ihrer Gesellschaft, sich mit der Ziviltrauung begnügen, die ebenso schnell gelöst als geschlossen war. Sie sagte ja.


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