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Die Geschichte von dem kreolischen Mädchen, das Kaiserin geworden ist, ist nun erzählt – ein wenig anders freilich als in dem Wunschmärchen, das von Generation zu Generation französischer Frauen weitergegeben wird. In jener aus empfindsamem Ehrgeiz weiterdichtenden Geschichte wird der Rest in dem jetzt goldenen und mit allen Edelsteinen geschmückten Lebensbecher erst noch mit Herrscherinnengüte und dann mit edler verklärter Entsagung gefüllt, da gewisse brutale und nicht wegleugbare Tatsachen den rechten Märchenschluß mit Herrlich-und-in-Freuden-leben unmöglich gemacht haben. Aber wir müssen noch weiter fort von dem Märchen mit der schwermütigen Verklärung, weiter selbst fort von dem, worauf in einer vernünftigen Geschichte sonst in den letzten Kapiteln vorbereitet wird, von Tröstlichem, einer sinnvollen Formel oder selbst auch nur einer Pointe. Denn von alledem vermögen wir in dieser sich gar nicht klärenden Neige der kaiserlichen Lebensschale nichts zu entdecken. Auch nicht die Lebensstimmung, die einen besseren Märchenschluß gäbe als den von der Legende gefundenen, die Chateaubriand – der ein großer Dichter und ein unzuverlässiger Beurteiler von Menschen und Ereignissen war – in Josephine hineingedichtet hat. Er sieht in ihr etwas wie eine Schwermut des erreichten Ziels, eine septemberliche Frauenmelancholie, die sich unter das Schicksal beugt. Solche Verinnerlichung und Bescheidung mag erkämpftem Ruhm und erstrittener Größe zuweilen zuteil werden. Dann mögen die gestillten großen Ehrgeizigen unter den Frauen, wenn auch die Spielzeit der Liebe und die Fruchtbarkeit vorbei sind, von den eingeheimsten Lebensgütern zu zehren lernen. Aber Josephine, die Bonaparte genommen hatte, weil Ouvrard und seinesgeleichen nicht zu haben gewesen, und die in die ganze Kaiserherrlichkeit hineingekommen ist wie – nun eben wie »diese Witwe Beauharnais mit der mäßigen Ehrbarkeit und den unmäßigen Schulden«? Wie hätte auf diesem Boden ein solcher Garten der Einkehr erwachsen können, in dem die verzichtende Seele sich besinnend stillte?
Ja, der Gärten gibt es viele, und Paläste dazu und Schätze darin, herrliche Wagen, edle Pferde und viele Menschen, die sich verneigen, hohe und seltene Menschen unter ihnen. Aber die Gärten locken nicht zu besinnlichem Lustwandeln, die Haine und Tempelchen nicht zu Einkehr noch Ruhe; in all den Gemächern gibt es kein heiteres oder nachdenkliches Gespräch mit den aus der Fülle der Menschen auserlesenen Freunden, es gibt keine Versenkung in Bücher noch ein Schwingen und Verströmen der Gefühle in Musik. Ungestillt gärt es weiter in Josephine, und das ist das einzig gleiche in ihr und Napoleon: das Ungestillte, die Unrast. So anders aber die Ausmaße dieser Unruhe sind, so anders ist auch fast alles sonst zwischen diesen beiden Menschen: ihre Gefühle füreinander, ihr Verständnis füreinander. Die Jahre sind voll ungeheuren Geschickes – doch seine Zeichen und Namen rühren mit allem Blitzen und Donnern nicht an Josephine. Der Erdteil erzittert unter dem Stampfen der Legionen, aber Josephine ist zu sehr in all ihr Tun und Wollen verfangen, als daß sie darauf hätte hören können. Aus Hunderttausenden von zerstörten Leben stehen diese paar Namen von blutigen Stätten auf – aber des vielen Todes, den ihr Gatte sät, gedenkt sie so wenig wie des damit bezahlten Ruhmes, und selbst die Namen kommen ihr alsbald ein wenig durcheinander. Sie hört von Siegen, Kontributionen – und denkt an ihre Schulden. Napoleon schafft Königreiche, und sie ist verdrossen, daß wieder einer aus dem Bonaparte-Anhang in neue Ehren wächst. Und endlich wird in all dem Tun Napoleons der Dämon immer fühlbarer, Besessenheit ist in ihm, und die große Flamme brennt trübe und erleuchtet nicht mehr den Weg der Verblendung. Was Josephine aber von alledem begreift – doch all das ist Leben und Schicksal, ist die Neige im Becher ...
Viele ziehen es vor, auf den prunkvollen Becher zu schauen und ihn recht genau und ausführlich zu beschreiben. Aber dieser Beschreibungen sind ja genug vorhanden: wer darauf Lust hat, ein ins einzelne gehendes Bild dieses Hoflebens mit seiner wenig frohen Prächtigkeit und allen seinen Akteuren und Figuranten zu erhalten, der lese die lebendigen und gescheiten Memoiren der Mme de Rémusat. Sie gibt das ganze reichornamentierte Gewebe wieder –, was hier davon gezeigt werden könnte, wäre in solcher Verkleinerung, daß die Muster nicht mehr sichtbar blieben.
So natürlich es sich ergibt, all das früher aufgeführte Nein und Nicht in Josephinens Leben festzustellen, so schwierig wird es, die Frage nach dem doch Gelebten und Getanen zu beantworten, die Farben in diesem Flimmern zu finden, die Umrisse im Übergangslosen. Da ist dieses Rinnen der Sanduhr, das nur übertragen und übersetzt ins Lebensgefühl eingeht – welches ja selber schon so voll unwissentlichen Verrinnens ist –, und dabei das spielerische Wichtignehmen jedes Sandkorns, das vorbeirieselt; doch nicht etwa ein epikureisches Wichtignehmen, eine tierhaft unschuldige Fröhlichkeit des Augenblickgenießens! Immer sind Zwecke da, Absichten, Hinblicke auf etwas, das dann, wenn es darauf ankommt, doch vergessen wird; immer gibt es Programme, deren keines eingehalten wird; immer den Glauben, im Zeichen eines großen Gefühls und in dessen Würde zu leben – und in jedem Augenblicke dazu das genäschige, zerstückelte Tun, das von Gefühl und Würde nichts weiß und in dem die Lebensgestalt sandig zerrinnt wie den Versklavten des kleinen Eros und der Drogen; und all das, obgleich es keinen Liebhaber mehr gibt, oder weil es keinen mehr gibt, weil alles sinnliche Wünschen unter dem gewaltigen Zensor steht und nur noch in tausend Maskeraden sich hervorwagen darf. Wie im päpstlichen Rom gewisse Verbote so stark waren, daß sie nicht mehr übertreten wurden, aber aller Lust am Verbotenen hundert krumme Gäßlein und fröhliche Unwegigkeiten gewährt wurden, ging es nun in Josephinens Leben zu. Sie war in dem Alter, das man eine Zeitlang das gefährliche zu nennen liebte, da das Herbstbrennen der Sinne in seinem Todeskampfe noch ein Stückchen wilden bösen Frühling so bitterlich mimen kann, daß manchen nur der Wahnsinn mehr Helfer sein kann. Aber was nicht ausgeliebt war in Josephine, hatte sich festgekrampft in diese letzte Gestalt der Lebensgier, die sie ihre Liebe zu Napoleon nannte und der die Angst vor dem Verlieren »dieser letzten Liebe« und ihrer Macht in der Welt die Intensität gab. Diese Liebe jedoch war ein Abstraktum ohne Lebensnahrung, und die Macht etwas, das sie einfach haben wollte, ohne irgendeinen Gebrauch davon machen zu können. Und in der wissenlosen Traurigkeit ihres ohne Müdigkeit hinwelkenden Leibes saß das Verbot dessen, was so lange begehrt und genossen worden war, das große unübertretbare Verbot. Weil aber kein Drängen und Wollen einer Natur sich abtöten läßt, spielte dieses, da kein Glauben und kein Streben des Geistes es sich dienstbar machte, mit seinen winzigen züngelnden Feuerlein den Jahrmarkt der halberlaubten Vergnügungen füllend. Und was heftiger brannte, ging düsterer verkleidet in Launen und Ängste ein, in Klagelust und Hypochondrie und wie die unfrohen Triebverkleidungen alle heißen mögen, in denen ungenütztes Leben sich vertut und aufbraucht.
Die Hypochondrie zum Beispiel wurde üppig genährt durch all die Fürsorglichkeit, die Josephinens Allerweiblichstes in Hinblick auf das von ihr erwartete Kind so lange mit Kuren aller Art, Bäderreisen und allzu vielen Medikamenten umgeben hatte. Daß Sich-kränklich-Fühlen Nachsicht schafft, hatte sie aus der Kindheit her wieder entdeckt und dazu die Würze herzerwärmenden Sich-selbst-Bedauerns. So wurde endlich jede kleine Unlust gern zur Krankheit gemacht, und Napoleons Leibarzt, der brave Corvisart, sollte Mittel um Mittel verschreiben, bis er endlich auf den Ausweg verfiel, ihr einmal aus Brotkrumen gemachte Pillen einzugeben. Daß diese dann eine wahre Wunderkur bewirkten, machte hinfort sein ärztliches Gewissen Josephinen gegenüber etwas skrupelloser. Da aber solcher selbstquälerischer, moroser und bittersüßer Unlustfreuden noch gedacht werden muß, wo sich endlich der rechte harte Anlaß dazuschlug, soll jetzt noch ein Blick auf den Jahrmarkt voll von dem geworfen werden, was wir vorher Triebmaskerade genannt haben. Damit wird dann auch gleich eine kurze Antwort auf die Frage versucht, was denn war, wo so vieles nicht war, und wo das Ja war in dem vielen Nein.
Ein Auftakt klang schon auf, da vom Einrichten und von Malmaison die Rede war. So wenig aber auch in dieser ganzen Erzählung je Anklage erhoben oder Schuld gezeigt werden wollte, muß nun doch etwas vorangeschickt werden, was beinahe wie Entschuldigung klingt. So wie es unzeitgemäße oder gar überhaupt keiner Zeit gemäße Menschen gibt, gibt es Epochen, die in einem gewissen Sinn ihrer selbst nicht gemäß sind, indem in ihnen, durch den Zerfall alter Ordnungen begünstigt, Einer oder Einige von großem Willen aus solchen Ablaufszeiten vieler Menschenleben, die man zusammen gemeinhin eine Zeit nennt, den Schauplatz ihres besonderen Schicksals machen, wobei alle anderen zuzusehen haben, daß sie wenigstens durch etwas Ruhm oder gar nur durch das Gefühl, Zeitgenossen zu sein, von ihren großen Kosten etwas hereinbekommen. In diesem Sinne lebte Josephine, die Gattin des Schöpfers eines Zeitalters, in einer anderen Epoche als Napoleon, weil sie, unhistorischen Wesens und ohne jegliche Heldenverehrung für den Gatten, zwar eine Stellung, aber keine Mission, zwar einen Zwang, aber nicht die Sinnesänderung einer Überzeugung übernahm und weil sie von dem großen Vergewaltiger der Welt so wenig wirklich überwunden wurde wie die von ihm eine Weile überwunden geglaubten Völker. Sie hatte nur eben ihre ihrer Natur gemäße Technik des Sich's-Arrangierens ändern müssen. Und so lebte sie, die immer gern gelacht und sich zuweilen bis zur Klugheit auf die Kunst des Sich-Amüsierens verstanden hatte, in einer sich verdüsternden, gepreßt atmenden ungespäßigen Welt –, und es mag anmuten, als ob sie in aller Beflissenheit, zeitgemäß zu sein, aus ihrer kindlich-tierhaften Zeit in eine geraten wäre, die aus lauter von sich besessener, Selbstzweck gewordener Weltgeschichte bestand. Machte nicht wirkliches, gelebtes Leben pedantisch anmaßlich geltend, daß es eben nur so hat sein können, so könnte man sich hier zu kleinem spielerischen Gleichnisse verführen lassen: daß ein wunderlicher Geist, ein Umstürzler der Geisterwelt, in einer Nacht aus allen Romanen und Dramen einer Bibliothek die Gestalten hervorholt, und während sie sich in den Gewanden ihrer Stile und vielfachen Seelenhaftigkeit bestaunen, wirft der Umsturzgeist ihre Bücherhäuser durcheinander und scheucht sie dann plötzlich zurück. Da sucht jedwede Gestalt im bestdünkenden Gehäuse hastig Zuflucht – und so könnte Philine in die Brüder Karamasow, der Siebenkäs neben die Madame Bovary geraten sein, Manon Lescaut zu Caliban – oder eben Josephine zu Napoleon.
Um aber die lange Vorbereitung des kurzen Berichts, wie dieses kaiserliche Leben erfüllt wurde, endlich zu beenden, sei nochmals etwas schon Erwähntes nachdrücklicher gesagt. Das nämlich, daß Josephine weder je in ihrem Leben etwas gearbeitet und sich mit Sachen zu beschäftigen gelernt hat noch daß sie je daran gedacht hat, sich irgend etwas zu versagen (da sie sich ja doch stets vom Schicksale benachteiligt geglaubt hatte). So fehlte es ihr an diesem Fundament einer moralischen Erziehung, welches Nietzsche charakterisiert: »Durch den Mangel an kleiner Selbstbeherrschung bröckelt die Fähigkeit zur großen ab. Jeder Tag ist schlecht benutzt und eine Gefahr für den nächsten, an dem man nicht wenigstens einmal sich etwas im kleinen versagt hat ...«
Auf diese Weise wirkten die inneren wie die äußeren Umstände und der Mangel an Vorbereitung jeder Art dahin zusammen, daß Josephine in all ihrer Macht – die doch sogar noch den anspornenden Reiz der Unsicherheit hatte – so wenig mit sich und ihrem Kaiserin-Sein zu beginnen wußte. Daß aber gerade dieses Sich-nicht-bewähren-können, dieses Fehlen jeglicher Größe, sie zu einer Zierde unter den Vorzugsschülerinnen der populären Geschichtslehre gemacht hat, ist belehrend als ein Hinweis, was Völker an ihren Herrscherinnen alles bewundern können. Und nicht nur anonyme Volksmassen, auch Einzelne und der Bewunderten Nahe. Hier muß nun freilich wieder einmal an jenes Fluidum erinnert werden, das kein Beschreiber eines Lebens wiedergeben kann, an die Zauberei eines Wesens, die Anmut oder Charme heißt und von der gerade nur ein wenig Wirkung auf andere in einem solchen Lebensgange sichtbar bleibt. Und da Anmut überall im Leben eines der wirksamsten Bestechungsmittel ist, das einem moralisch und juristisch klaren Sachverhalt gegenüber den Ankläger zum bewundernden Verteidiger zu machen vermag, sei hier mit diesem Worte Anmut die Erinnerung jedes Lesers an die großen Bezauberungen durch Menschengrazie aufgerufen, die er im Leben erfahren hat und die ihn aus seinem eigenen holdgetrübten Urteile mehr Freude haben zuteil werden lassen als aus vieler genauer Gerechtigkeit. So tue der Leser gütig aus eigenem zu diesen Schilderungen etwas dazu, was der Gerechtigkeit des Berichtenden hinzuzufügen verwehrt ist.
Ein nüchternes Sätzlein kehrt in der Josephinelegende immer wieder: daß sie das gefördert habe, was die deutsche Sprache reimselig-ungenau Handel und Wandel nennt. Aber auch die Kaufleute sind ja ein Teil des an Legenden mitschaffenden Volkes –, und wie sie schon einem gewöhnlichen guten Käufer und Zahler in seinem Nachruf einflechten, daß er ein guter Kunde gewesen, so werden sie, wenn ihnen das Wunder einer solchen Kundin widerfahren ist, gern eine Gloriole um sie weben, selbst wenn es gelegentlich beim Bezahlen zu kleinen Mißhelligkeiten mit dem höchst ungemütlichen Gatten dieser rastlosen Käuferin gekommen wäre; zumal alle die Kaufleute ja gelernt hatten, die Möglichkeit solcher Mißhelligkeiten in ihre Preise einzukalkulieren. Josephinens Förderung dieses »Handels und Wandels« bestand vor allem in ihrer nie ermattenden Kauflust, in ihrem Verlangen, stets das Beste, Schönste und vor allem das Neueste zu haben, und natürlich auch in dem schonungslosen Umgehen mit den Mitteln. Dazu kam, daß sie ungeheuerlich feinfühlig für jeden kleinsten sich ankündigenden Witterungsumschlag in der Mode war und daß sie sozusagen in der Form eines Ärmels oder eines Ausschnitts, die sich morgen etwas ändern konnte, schon im voraus eine Art rheumatischen Ziehens empfand und dann lieber ein solches gefährdetes Kleid gar nicht mehr anzog, auch wenn sie es nur einmal getragen hatte. Das geschah übrigens auch nur allzuoft mit Stücken ihrer Garderobe, denen solcher Makel noch nicht anhaftete: denn Josephine vergaß leicht, was sie besaß. Wie hätte sie auch nicht vergessen sollen, da in den Tuilerien, in Saint-Cloud und in Malmaison sich Raum nach Raum mit all den »poupons und chiffons« füllte, wie Napoleon diese kostspieligen Nichtigkeiten nannte, die, einmal, zweimal getragen, in den Grüften der Garderobezimmer verschwanden! Und dann nach ein paar Monaten waren sie aus der Mode, und die Kammerfrauen erwarben ansehnliche Vermögen mit dem Verkauf solcher unbenutzt verblühter Prachtstücke. Manchmal freilich erinnerte sich Josephine besonders auffallender unter ihren Kleidern, wenn sie sie plötzlich an anderen wiedersah, etwa an den deutschen Prinzessinnen, denen sie als neu und als letzte Mode aus Paris geschickt worden waren. Das Beste an den Kleidern war immer das Aussuchen der Stoffe, waren die langen Beratungen über Schnitt und Aufputz und etwa noch das erste Tragen. Was nachher kam, war im Raume, was Vergangenheit in der Zeit ist – und mit beiden hatte sie sich nie gerne abgegeben. Ums Kaufen ging es, um all das, was sie noch nicht hatte! Um die bunten Steinchen und Splitter, die zusammen ihr Kaleidoskop der Welt ausgemacht hätten, wenn sie sie nur zusammen gesehen hätte. Ein flüchtiges Lächeln hat die Herrlichkeit begrüßt; und ist es auch ein Jubelruf gewesen, Josephine hat sie morgen vergessen oder ist gelangweilt und überdrüssig. Dann wird die Hälfte verschenkt, an Verwandte, Dienerinnen, wen immer, und das übrige wird für eine Zeit Besitztum, bis es Neuem Platz machen muß. Es wird berichtet, was Josephine in einem willkürlich herausgegriffenen Jahre so für ihre Garderobe gekauft hat: »23 große ellenbreite Stücke Spitze, 7 große Gewänder, 136 Kleider, 20 Kaschmirschals, 73 Korsetts, 48 Ballen Stoff, 87 Hüte, 71 Paar Seidenstrümpfe, 980 Paar Handschuhe, 520 Paar Schuhe.« Aus einem anderen Jahre wird aufgezählt: Josephine besitzt 498 Hemden (sie wechselt dreimal am Tage die Wäsche, worunter Hemden, Leibchen und Strümpfe zu verstehen sind; denn sie besitzt um diese Zeit nur zwei Hosen, die zum Reiten bestimmt sind, was sie nicht mehr tut). An Strümpfen werden um diese Zeit 150 Paar weißseidener, 30 aus rosa Seide und 18 Paar fleischfarbener angeführt, die so straff sitzen müssen, daß sie auch ohne Strumpfbänder getragen werden können. Josephine hat um diese Zeit 676 Stoffkleider, zu denen 60 Kaschmirschals gehören, deren schönste 8-10 000 Frank kosteten. Und gerade von diesen schönsten heißt es, daß sie darauf ihren Hunden ein Lager einzurichten pflegte. Für die Garderobeausgaben waren Josephinen 360 000 Frank im Jahr ausgesetzt; die tatsächlichen Ausgaben dafür betrugen jedoch in den ersten Jahren ihrer Kaiserinzeit mehr als das Vierfache. Und da sie meist nicht dazu kam, »sonstwie« zu bezahlen, was ihr in den gierigen Augenblicken stets als die leichteste Sache von der Welt erschienen war, wurden die also ungedeckten drei Viertel ihrer Ausgaben stets vorerst nicht beachtet – bis sie dann, angesichts der nicht mehr zu beschwichtigenden Gläubiger, unter heftigen Anklagen gegen das Schicksal, als Schulden erkannt wurden. Ihre Zahlung gestaltete sich freilich im Laufe der Jahre immer schwieriger. Die Wirkung von Josephinens Tränenausbrüchen auf Napoleon ließ immer mehr nach, und sie beklagte sich einmal auf dieselbe Art darüber, wie Napoleon sich über die so rasch sich abnutzende Wirkung seiner Siege beklagte, als Jena schon weit weniger Widerhall fand denn das Jahr vorher Austerlitz. Schließlich kam es dann sogar so weit, daß Napoleon selber die Belege für die geschuldeten Ausgaben überprüfte und immer mehr von den Summen einfach abstrich. Daß trotzdem alle die Lieferanten auch dann noch nicht schlecht wegkamen, beweist, wie sie sich weiter um Josephine bemühten und daß sie ihr Lob auf eine Weise sangen, wie es geschädigte Kaufleute kaum tun.
Wenn aber auch noch in den ungeheuerlichen Listen des von Josephine unaufhörlich Gekauften die unglaublichsten, durch keinen Zweck noch durch irgendeine Schönheit die Kauflust reizenden Dinge aufgeführt werden, finden sich dennoch darunter manche nicht, die man erwartet hätte. Zum Beispiel kaufte Josephine überhaupt keine Bücher. Nicht, daß sie nicht gelegentlich gelesen hätte! Aber was sie las, waren vor allem die einige Wochen lang in den Salons gesehenen sentimental-schlüpfrigen Moderomane, die sie dann stets von einer der Hofdamen entlieh. Soviel Josephine auch Autoren, und es waren welche von Rang darunter, mit wohlgewandten schmeichelhaften Aussprüchen über ihre Bücher eine lebenslange Freude bereitet hat, sooft sie auch bei gegebener Gelegenheit ein hübsches Wort über die älteren Werke fallen ließ, die die anerkannt guten waren: sie hatte keine Vergangenheit mit Büchern noch irgend weiter wirkende Erinnerungen aus ihnen. Und so hatte sie auch an der französischen Geistes- und Bildungswelt nur durch lauter Verdünnungen und Fertigwaren vermittelt Anteil. Und es war ihr auch dieses Erleben versagt, im Wiederlesen eines geliebten Buches sich selber neu zu erleben. Und es fehlten in dem Fließen ihres Lebens völlig die Merksteine, Pfeiler und Brücken, die Bücher sein können; wie es umgekehrt in Alexandre Beauharnais lauter solche willkürlich gesetzte Merksteine, aber kein Fließen gegeben hatte. Und während Napoleon in all seinem tausendfachen Tun die Zeit fand, eine ganze riesige Bibliothek durchzulesen und sich all des ihn Erregenden zu bemächtigen, naschte Josephine nur selbst an der von ihr gewählten Art von Büchern und ließ sich oft das Ende von anderen erzählen. Die einzigen Gelegenheiten, bei denen sie, freilich mehr als Instrument denn als Leserin, mit edlen und tiefen Büchern in Berührung kam, waren die Abende, an denen Napoleon sie vorzulesen bat, da er ihre wohllautende modulationsreiche Stimme immer noch liebte.
Neben all dem Josephine so sehr beschäftigenden selbstzweckhaften Geldausgeben nimmt das zu »guten« Zwecken verhältnismäßig wenig Raum ein. Josephine war »wohltätig«, wie es ihr vorgeschrieben war; dazu gab sie gern und reichlich nach ihrem guten Herzen, oft zu viel, oft das Falsche. Sie ließ sich leicht und schnell rühren und gab nur zu oft mehr oder anderes, als sie zu vergeben hatte, Versprechungen einer Kaiserin, deren Erfüllung oft unmöglich war. Wie sie es ohne oder in schiefer Position in den ersten Revolutionsjahren mit dem Empfehlen gehalten hatte, trieb sie es jetzt mit mehr Wirkung weiter; sie schuf Ministern und Würdenträgern viel Kopfzerbrechen und erreichte schließlich damit, daß noch heute in Frankreich manche Familie blüht, die selber nur schon vergessen hat, sich vom Sohne eines Coiffeurs, einer Wäschenäherin oder vom Neffen eines Tierwärters im Dienste Josephinens herzuschreiben. Diesem oft unwillkürlichen Geldausgeben zu gutem Zwecke ließe sich endlich noch recht ausführlich ein geradezu überlegtes in gegenteiliger Absicht zur Seite setzen, eine lange Aufzählung nämlich von kleinen kostspieligen Untaten etwa von der Art: als Josephinen gemeldet wurde, daß die kürzlich dem reichen, törichten Fürsten Borghese angetraute Pauline ihr mit dem Gatten in Kürze den vorgeschriebenen Besuch abstatten werde, und dazu in Erfahrung gebracht hatte, daß die verhaßte Schwägerin bei dieser Gelegenheit ein Kleid von starkem Grün tragen würde, ließ sie eilends den Salon, darin sie solchen Zeremonienbesuch zu empfangen hatte, mit großen Kosten umgestalten; und zwar wurden Tapeten, Möbelbezüge und Teppiche in einem Blau gewählt, das jenes Grün schreiend und gemein wirken lassen mußte.
Einen wie beträchtlichen Teil von Josephinens Zeit all das auch füllte, es blieb doch nur ein Teil, und gerade der am wenigsten kaiserliche. Aber freilich sollte dieses mit Krone und Mantel ihr auferlegte Herrscherliche wohl überhaupt nirgends anders in ihrem Leben gesucht werden als eben in der Tatsache, daß sie die Kaiserin hieß, wie sie vordem Beauharnais geheißen hatte. Und wie Josephine damals sich den Forderungen Alexandres und der Tante Renaudin, die zusammen ihren Lebenskreis bestimmt hatten, gefügt hatte, so unterordnete sie sich jetzt eben, wo es nicht anders anging, den Pflichten ihrer Stellung. Die waren im Grunde nicht schwer zu tragen, selbst wenn man noch die etwas zeitraubenden Ansprüche des sogenannten eleganten Lebens dazu nimmt. Denn eben nach der Revolution war viel Dogmatisches dieser Lebensform verschwunden, das hundert Jahre zuvor zu den Vorrechten eines Standes Pflichten für die Form der Lebensführung dekretiert hatte und die Zugehörigkeit zur Auslese dieses Standes von der Beherrschung der hohen Kunst der Konversation und vom Anteile an der geistigen Gesittung der Nation abhängig gemacht hatte. In dem neuen gesellschaftlichen Mosaik, das der kaiserliche Kitt nicht sehr fest zusammenhielt und dem ein zwangsläufiger Heroenkult das Aufkommen einer neuen Behäbigkeit schwer machte, waren diese Pflichten eleganter Lebensführung sogar noch leichter und lockerer als selbst hundert Jahre nachher. Denn während in unseren Tagen die Zugehörigkeit zu dieser sonderbaren Lebensform, die sich selber die elegante nennt, wenigstens Fertigkeiten und Sachkenntnisse in den vielfältigen Sports und dazu das Vorspiegeln der Beherrschung mehrerer Sprachen erfordert und überdies eine gewisse Haltung und gesellschaftliche Disziplin, konnte Josephine alle an sie gestellten gesellschaftlichen Ansprüche einfach aus ihrem Naturell bestreiten. Außer der ihrer Art von Gedächtnis auch höchst natürlichen Kenntnis von Personen, Familien und ihren Beziehungen zueinander und ihrem guten, wenn auch nicht immer zuverlässigem Geschmack bedurfte sie keiner durch Lernen zu erwerbenden Ressourcen. Sie sprach keine Sprache außer dem Französischen, und seit sie gar die erste Dame im Reiche geworden war, tat sie sich nur Zwang an, Haltung zu bewahren, wo ihr danach zumute war. Und auch die Kaiserinpflichten wogen nicht um vieles schwerer, da sie für Josephine sich auch nur als gesellschaftliche mit einem etwas anderen Akzent darstellten. Wäre sie nicht schon von Natur aus allem, was Politik hieß, gründlich abhold gewesen, so hätte ihr Napoleons striktes Gebot, sich von Politik weit entfernt zu halten, jegliche Möglichkeit zu solcher Betätigung genommen. Überdies hatte sie, freilich ohne es je praktisch zu bemerken, keines der kaiserlichen Rechte zuerkannt erhalten, die etwa ihrer Nachfolgerin oder später der Gattin ihres Enkels Louis Napoleon, Eugenia de Montija, verfassungsgemäß garantiert waren. Napoleon, der seiner Mutter einmal warnend schrieb, daß seine Familie eine Familie im politischen Sinne sei, hatte also Josephine als nicht zur Familie gehörig betrachtet, sei es, weil er die Gefahren ihres Naturells in einer politischen Machtstellung fürchtete, oder weil wirklich der Gedanke stets in ihm gewesen war, daß er sich doch eines Tages würde von Josephine trennen müssen.
Wo aber die Erfüllung der durchwegs repräsentativen Kaiserinpflichten Josephinen hätten irgend Schwierigkeiten bereiten können, wurde ihr alles zu Tuende, zu Sagende und zu Unterlassende bis ins kleinste im voraus vorgeschrieben, so daß sie wirklich nur »graziös, elegant und folgsam« zu sein brauchte. Nicht etwa nur von dem Zeremonienmeister, dem Grafen Ségur, der am alten Hofe seine Lehrzeit durchgemacht hatte, nicht etwa nur von dem ihr mit dem Titel eines Bibliothekars beigegebenen Berater, dessen weitverzweigte Kenntnisse über alle Personalien und Familiendinge der höhergestellten Personen Frankreichs und Europas ihr ein lebendiges Nachschlagewerk bedeuteten; nein, Napoleon in all seiner Vielbeschäftigtheit unterzog sich meist selber dieser Aufgabe. Er war es, der Josephinen von der ersten Reise an schriftlich bis ins kleinste alle ihre Instruktionen gab; die für eine Badereise noch während des Konsulats füllten allein einundzwanzig große Seiten. »Die geringsten Details waren vorgesehen: Anzahl der Wagen, Dienerschaft, Gepäck, Pferde, Reiseroute, Rasten, Nachtlager in jeder Stadt, Personen, welche die Kaiserin ihrer Tafel zuziehen durfte ... Überdies hatte Napoleon, der wenig Zutrauen in die Antworten Josephinens auf die Ansprachen hatte, die Deputationen und Oberhäupter der unterwegs berührten Städte an sie richten konnten, diese Antworten gleichfalls diktiert. Von jeder von ihnen wurde eine Abschrift angefertigt, und vor Antritt der Reise mußte Josephine diese Improvisationen auswendig lernen ... Dann sah man sie vom Morgen an mit einem großen Manuskriptblatte in der Hand versuchen, all die Phrasen und Worte in ihren lernungeübten Kopf zu bringen, ohne sich um das Verstehen zu bemühen, recht wie eine Schülerin, die eine Aufgabe lernt ...«
So schwierig Josephinen dieses Lernen auch fiel, fügte sie sich doch stets, zumal sie wußte, daß ihre Antwort in allen Zeitungen gedruckt zu lesen sein würde und sie sich den oft recht schwülstigen und ihre Lachlust reizenden Ansprachen gegenüber ihrer Geistesgegenwart keineswegs sicher fühlte. Bedauerlicher fand sie die Vorschriften und Einschränkungen für die Audienzen, die sie zu gewähren hatte; denn diese waren oft recht amüsant für sie, indem sie hier ganz unbekannten Personen begegnen, sich von ihnen erzählen lassen und sie ausfragen und gelegentlich, besonders wenn es sich um verarmte Adlige handelte, allerlei Klatsch hören konnte. Vieles von dem ihr auf solchen oder anderen Wegen zugekommenen Klatsche erzählte sie Napoleon weiter, der sich auf seine grimmige Art dabei ein wenig unterhielt, bis ihm später die Lust an diesem Vergnügen durch das Bewußtsein geschmälert wurde, daß auch viele seiner eigenen Dinge Josephinen zu Klatschstoff wurden.
An sonstigen Pflichten der Kaiserin – wenn man von den notgedrungenen Zusammenkünften mit den Angehörigen Napoleons absieht – ist nicht viel anderes aufzufinden als alle die vielen Empfänge und Mähler. Doch hierfür bedurfte es für Josephine nicht vieler Vorschriften und kaum welcher von Seiten Napoleons; denn das war ihr eigentliches Element, in dem sie vor dem Gatten die lange Schulung und ihren in mannigfachstem Umgang und in heikelsten Situationen erzogenen Takt voraushatte. Freilich war Napoleons Wille rings um sie reichlich und bis in die Details ihres Tagesganges zu fühlen. Aber Josephine war, wie Napoleon gesagt hat, im Grunde gutmütigen und gefügigen Wesens, so merkte sie oft das Einordnen gar nicht; allerdings wurde ihr dann auch kaum bewußt, wie oft sie diese Vorschriften umging oder vergaß, besonders wenn der Vorschreibende ferne war und es dann überhaupt ein wenig um sie herging »wie in einer Mädchenschule, wenn der Lehrer sich entfernt hat«.
Josephinens Tagesgang begann mit dem Bade – recht ungleich also ihrer Vorgängerin in den Tuilerien, Marie-Antoinette, deren ganzes Waschen sich auf die von den Kleidern nicht bedeckten Teile erstreckte. (In dieser Neigung zu einer genauen körperlichen Reinlichkeit mag übrigens Napoleon der Zögling dieser seiner ersten Geliebten gewesen sein.) Hierauf folgte eine mit den Jahren immer länger werdende und kompliziertere Toilette, deren langwierigster Teil das Zurechtmachen des Gesichtes war. Josephine hatte in wenigen Jahren mehr für Schminken, Puder und sonstige kosmetische Mittel ausgegeben, als der Kaufpreis von Malmaison betrug; aber obgleich sie selbstverständlich stets nur das Beste von allem verwendete, begann der vieljährige Gebrauch der damals oft noch recht bedenklichen Schönheitsmittel sich zu rächen. Wie ihr Teint wirklich war, kann niemand sagen, denn keiner hat sie mehr »unpräpariert« gesehen. Aber vermutlich war durch die immer dickeren Schichten der stets angewandten Schminke die Haut der Wangen und vor allem unter dem Kinn mehr und mehr erschlafft, so daß es immer schwieriger wurde, die Schminke aufzulegen. Und auch die aufgelegte hielt nur allzuoft nicht, sondern löste sich in ganzen Schichten ab wie Gips von einer Wand, was dann Josephine stets in einen wahren »chien d'humeur« versetzte. Ob ihre Haare, wie behauptet wird, um das vierzigste Jahr zu ergrauen begonnen hätten und das Kastanienbraun mit den rotgoldenen Lichtern eine künstliche Farbe gewesen sei, ist ungewiß. Sicher ist, daß kaum jemals mehr jemand ihr Haar unbedeckt zu Gesicht bekam; dabei kam ihr die Mode der Zeit, stets einen Kopfputz aus Kämmen, Schleiern, künstlichen Blumen und so weiter zu tragen und nur eine Locke in die sonst freie Stirn fallen zu lassen, sehr zugute.
Unter diesen Vorbereitungen verging Josephinens Morgen. Dann schritt sie, ein Spitzentüchlein in der immer behandschuhten Hand, durch die Vorzimmer und begab sich in den Audienzraum. Nach den Audienzen erwarteten sie bereits die zur Mittagstafel der Kaiserin herangezogenen Damen – meist deren acht oder zehn. Napoleon, der seine Mahlzeiten so kurz als möglich liebte, aß mittags gewöhnlich allein, während Josephine, obgleich sie von dem reichhaltigen Dejeuner in ständiger Angst vor Gewichtszunahme nur wenig genoß, gern lange bei Tisch saß, außer bei den Sonn- und Feiertagsmittagsessen, an denen die eben in Paris anwesenden Mitglieder der Familie Bonaparte nach Napoleons Vorschrift teilzunehmen hatten.
Die in Malmaison und Saint-Cloud üblichen Nachmittagsspaziergänge – auch die stets in Gesellschaft – unterblieben in den Tuilerien. Der Nachmittag wurde mit dem Empfang von Lieferanten, nicht selten auch von Wahrsagern und Kartenlegerinnen, für die Josephine eine sich skeptisch gebende, doch heftige Vorliebe hatte, und mit Handarbeiten, Spielen mit den Hunden und unablässigem Plaudern mit Hofdamen, Vorleserinnen, die nie vorlasen, und mit Briefeschreiben verbracht. Dann folgte ein Tee, wieder in Damengesellschaft – von den dazu gereichten reichlichen Zutaten aß Josephine ausgiebiger, da sie nicht selten hernach zu keiner Mahlzeit mehr kam: wenn nämlich Napoleon, der das Diner mit ihr zusammen zu nehmen pflegte, im Arbeiten die Essensstunde vergessen hatte. Nach dem Tee folgte ein ebenso langwieriges Toilettemachen wie am Morgen, und dann begann das Warten darauf, wann Napoleon zum Diner rufen würde. Wenn sie nach dem Abendessen nicht in eines der vier für sie zulässig befundenen Theater fuhr, wenn nicht im Schlosse selbst Komödie gespielt wurde oder, was Napoleon lieber hatte, ein Konzert stattfand, spielte Josephine Billard oder irgendein Kartenspiel mit Gästen oder Damen ihres Hofstaates. Und sie war stets, zum Mißvergnügen des Kaisers, bemüht, die Abende so lange als möglich hinauszuziehen, als ob der Abend schließlich doch noch irgend etwas Besonderes bringen müßte. Diese ganze Lebenseinteilung wurde allerdings häufig von dem, der sie vorgeschrieben hatte, auch wieder umgestoßen. Im unvermutetsten Augenblicke konnte Napoleon plötzlich anspannen lassen und Josephine zu einer Spazierfahrt oder zu Abendessen und Übernachten in Malmaison oder einem der Schlösser in der Umgebung von Paris kommandieren. Josephine wußte ja weit weniger als etwa Talleyrand, Roederer oder Fouché, welcher Art von jähen Entschlüssen sie bei Napoleon jeweils gewärtig zu sein hatte. So konnte es geschehen, daß er völlig unvermutet eines Abends bei ihr reisefertig und im Begriffe, sich nach Deutschland auf den Weg zu machen, eintrat und daß sie wenige Minuten später erbettelt hatte, mitkommen zu dürfen, und alsbald im Wagen mit ihm saß. Hatte sie der Kaiser aber dann, so wie diesmal in Mainz, verlassen, so trat alsogleich wieder ein genau ausgearbeitetes Reise- und Lebensprogramm in Kraft.
Einer Monarchenpflicht muß schließlich hier noch Erwähnung getan werden: der, sich zu allen möglichen Zwecken und nebenbei auch zum Zwecke der Kunstförderung immer wieder porträtieren zu lassen. Dieses Modellsitzen scheint Josephine immer noch so viel Vergnügen bereitet zu haben wie in früheren Jahren das unermüdliche Sich-in-den-Spiegeln-Beschauen, vielleicht weil sie einzig hier noch meist recht erfreuliche Spiegelbilder von sich zu sehen bekam. So erfand sie selber immer neue Zwecke für Porträts aller Arten oder zahlte freigebig aus eigenem die Künstler, wo sich angesichts all der schon vorhandenen Bildnisse kein Zweck mehr ersinnen ließ. Und jedes neue Porträt gab Anlaß zu aufgeregten Besprechungen über Kleidung, Kopfschmuck und Haltung nicht nur mit dem Künstler, sondern mit jedwedem, der sich eben als Gesprächspartner darbot. Daß dabei gelegentlich ein Ausspruch des Coiffeurs schwerer wog als der Plan des Malers, hatte Josephine wohl mit den meisten der modellsitzenden eleganten Frauen aller Zeiten gemein. Ratschläge von solcher Herkunft mögen sie auch zuweilen zur Wahl eines Porträtisten bestimmt haben. Denn unter der Fülle derer, die Josephinens Bildnis in allen nur denkbaren Techniken gemalt, gezeichnet und modelliert haben, finden sich neben wenigen Meistern zahlreiche Unbekannte, die weit unter dem modischen Durchschnitt der Zeit standen. Zu der beträchtlichen Anzahl von Bildnissen, die Künstler wie Gérard, Gros, Prudhon und Isabey gemalt haben, von den unbekannten gar nicht zu reden, kommt eine kaum mehr verfolgbare Anzahl von Repliken; Josephine hat zum Beispiel allein Gérard achtmal Modell gesessen. Völlig unübersehbar aber ist die Anzahl von Miniaturen, die sie bestellt hat. Angefangen mit Isabey, der gegen dreißig Elfenbeinblättchen von ihr gemalt hat, finden sich in vielen Sammlungen gerahmte Miniaturen, Tabaksdosen und Medaillons mit Bildnissen von Josephine in jeglicher Qualität. Und wer kann übersehen, wie viele davon als Erbstück in Privatbesitz geblieben sind? Denn wie Josephine es mit Geschenken immer hielt, ging sie auch mit diesen kleinen Bildnissen um; sie hatte deren ja stets genug zur Hand und vergab sie an fürstliche Besucher ebenso wie an arme Bittsteller, an Marschälle wie an Gärtnergehilfen. Was aber diese Porträts selber anlangt: ihre Porträtisten haben Josephine fast ausnahmslos lange früher gekannt, als statt Purpur und Legende die letzte wissendste Süße ihrer vielen verliebten Anmut um sie gewesen war. So haben fast alle, besonders aber Prudhon und Isabey, in das Ausglühen die Glut, in die Mattigkeit das zärtliche Schmachten und in das unbeherrscht Matronenhafte die straffe Weichheit aus den Jahren malend hineingedichtet, in denen Leben noch Begehrtwerden, blutpochendes Erwarten und töricht heftiges Spielen um ungeahnte Einsätze gewesen war. Und es muß lange in Josephinens Lächeln noch ein sehr großer Nachglanz davon gewesen sein, daß er die bräunlichen Zähne vergessen machte, und in Gang und Bewegung dieses schwerer werdenden Leibes noch eine sehr schöne Harmonie aus altersloser Grazie; und diese muß auch die Blicke, die vielen freundlichen Worte und das immer noch verführerische Zuhören so sehr erfüllt haben, daß darob in ihrer Gegenwart für eine Weile hinschwand, was doch jeder wirklich wußte: die maßlose zänkische Heftigkeit ihrer Eifersüchteleien und ihr würdeloses Gerede vom Größten und Kleinsten einer kaiserlichen Ehe, das zu hören bekam, wer im Augenblicke eben da war. So bewahren diese Bildnisse in all ihrer Verschiedenheit recht eigentlich Josephinens Bild von sich selber auf, wie es seit ihrem dreißigsten Jahre in ihr Selbstbewußtsein gewachsen war und das die Künstler aus ihr zu erahnen und zu gestalten hatten.
Damit soll dieser Bericht vom Tun Josephinens als Kaiserin sein Ende haben. Mag auch daraus hervorgehen, daß ihr weder allzu viele noch sonderlich drückende Pflichten aus dem kaiserlichen Stande erwachsen sind, so erfordert es doch die Gerechtigkeit, hier schon vorwegnehmend auf das hinzuweisen, was das folgende Kapitel zu erzählen hat: daß das Kaiserinsein Josephinen dennoch eine Pflicht auferlegt hat, der sie sich in anderem Stande nicht gefügt hätte – und der sie, nur weil sie Kaiserin war, sich schließlich, wenn auch bitter und ohne Anmut, unterordnet hat.