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Ängstliche Größe und Apotheose

Wie wenig Josephine auch bisher an Bonapartes Tun und Planen teilgehabt haben mochte, hatte sie doch üppig an den Erträgen seiner Erfolge mitgezehrt, sich im wärmsten Glanz der Ruhmessonne gesonnt und recht von Herzen gewünscht, daß es nur immer so weiter prächtig aufwärtsgehen möge. Hätte einer ihr noch am Tage des Einzugs in die Tuilerien prophezeit, daß sie selber bald diesem Aufstiege Einhalt wünschen würde, so hätte sie wohl den Propheten ausgelacht. Freilich, wie es noch weiter aufwärtsgehen sollte, konnte sie sich nicht recht vorstellen, es sei denn, daß Bonapartes Jahresgehalt von einer halben Million weiter erhöht würde – oder daß er eines Tages »Vernunft annähme« und endlich die Bourbonen wieder zurückriefe. Sie hatte den in ihrem Kreise immer öfter genannten Namen Monk in ihren Bildungsschatz aufgenommen und stellte sich als die wünschenswerteste Zukunft den Bestand eines richtigen Hofes vor, an dem sie als die Gattin des Wiedereinsetzers der Dynastie ein köstliches Dasein hätte. Daß sie aber in der Tat dann nicht nur einen Stillstand in Bonapartes Emporsteigen herbeisehnen, sondern daß sie sogar in all ihrem Royalismus für eine Zeit um den Weiterbestand der Republik zittern würde, konnte sie damals freilich nicht voraussehen; »an jenem Tage der ersten Revue in den Tuilerien, da sie als die Bürgerin Bonaparte, der noch keinerlei Rang zuerkannt worden war, sich als einfache Zuschauerin in einer Gruppe von Frauen mit griechischer Haartracht niedergelassen hatte« – obgleich dies jener Tag war, den Bonaparte mit den Worten beschlossen hatte: »Bourrienne, in den Tuilerien zu sein ist noch nicht alles, es gilt hier zu bleiben.«

Um diese Metamorphose von Josephinens Wünschen und das Auftauchen eines so unerwarteten politischen Wunsches in ihr verständlich zu machen, müssen in aller Kürze die Ereignisse der Konsulatszeit gestreift werden, was dann auch gleich ein Bild davon ergibt, auf wie verschiedenen Wegen dieses »gute« Ehepaar in die Größe einging.

Der Gedanke, in den Tuilerien zu bleiben, mutete damals freilich noch phantastisch genug an. Bonaparte würde wie seine Mitkonsuln Cambaceérès und Lebrun nach Ablauf der Amtszeit eben wieder abzutreten haben und würde in die Rue de la Victoire zurückkehren oder ins Feldlager, von dem all die Herrlichkeit ausgegangen war. Daß er schneller, als zu ahnen war, in diese »Werkstatt seines Geschickes« zurückkehren konnte, nahm jenem Ausspruch viel von seiner Vermessenheit. Der vierzigtägige zweite Italienfeldzug mit dem Alpenübergang zu Anfang und dem teuer erkauften großen Siege bei Marengo am Ende entschied mehr für ihn als alle seine Kriege zuvor. Nicht nur der völlig spontane Jubel der Massen nach seiner eiligen Rückkehr, sondern vor allem der jetzt offenbar werdende Haß seiner Gegner, die mit Niederlage oder Tod gerechnet hatten, zeigten Bonaparte, daß er an einen anderen Lebensplatz zurückgekehrt sei. Nun durfte er meinen, Frankreich hinter sich zu haben, und seine Gegner als entartete Söhne der Nation betrachten, mit denen ein Ende zu machen Pflicht sei; nun mit der Anwendung des stärksten Tricks aller Diktaturen beginnen, der darin besteht, daß der Diktator seine Sache als die der Nation erklärt. Daß er im übrigen mit der nun anhebenden Konzentrierung der Macht keine Freiheit in Frankreich zerstörte, muß hervorgehoben werden; denn es gab keine. Er entfernte sich nur immer mehr von der Erfüllung der auf ihn gesetzten Hoffnungen, er würde die Freiheit schaffen. Und von der Gleichheit, dem anderen Kinde der schon senilen Revolution, meinte er, daß jeder für die Hoffnung, der Erste werden zu können, auf sie gerne verzichten würde. So machte er denn auch diesen Revolutionsgewinn entschlossen zum weitervegetierenden leeren Schlagwort, indem er mit der Stiftung des Ritterordens der Ehrenlegion eine neue privilegierte Kaste schuf, deren Oberhaupt er war. Aus dem letzten Konsulatsjahr gibt es die folgende Beschreibung Napoleons von Charles Nodier: »Ein junger Mameluck, den er aus Ägypten mitgebracht hatte, eröffnete den Zug; er ist mit aller orientalischen Pracht gekleidet, und eine lange Damaszenerklinge hängt an seiner Seite. Er trägt einen Bogen in der Hand, und dieser erste Anblick hat etwas Außerordentliches und Romantisches. Dann folgen vier Adjutanten, mit Goldstickereien bedeckt. Hinter ihnen kommt bescheiden ein Mann in grauem Gewande, den Kopf zur Erde geneigt, unauffällig und anspruchslos: das ist Bonaparte. Keines seiner Bildnisse ist ihm ähnlich. Es ist unmöglich, den Charakter dieses Gesichtes festzuhalten, seine Physiognomie hat etwas Niederschmetterndes ... Sein Gesicht ist sehr lang, sein Teint steingrau, die Augen sind sehr tiefliegend, sehr groß, starr und glänzend wie ein Kristall. Er sieht traurig aus, niedergeschlagen, und er seufzt von Zeit zu Zeit. Er reitet nun ein weißes Pferd, eins von denen, die ihm der König von Spanien geschickt hat.« Nun folgt eine Beschreibung des kostbaren, reich mit Gold gezierten Pferdegeschirrs, dessen Pracht Nodier im Gegensatz zur sonstigen Einfachheit des ersten Konsuls hervorhebt, von dessen Gewand er schließlich sagt, daß Garat, der damals sehr beliebte Sänger, seinen Reitknecht nicht so angezogen gehen ließ.

Die zwei Friedensschlüsse mit den kontinentalen Mächten und mit England machten ihm Frankreich nur noch zutraulicher, – und waren diese wie alle seine Friedensschlüsse auch nur Waffenstillstände, so verstand er doch, aus dieser kurzen Friedenszeit der Konsularjahre die Werke der gewaltigen Umgestaltung von Frankreichs Gesetzgebung und innerer Verwaltung zu erschaffen und die Wunderheilung der französischen Finanzen zu bewirken, so daß das Land an das Heraufkommen des goldenen Zeitalters zu glauben begann. Dieser Aufschwung war so stark, daß die in der kurzen Friedensspanne herübergekommenen Engländer und unter ihnen der gewiß nicht unvoreingenommene Pitt kopfschüttelnd kräftiges Wachstum zugeben mußten, wo sie Marasmus und Verfall erwartet hatten. In diese Zeit freilich fällt es, daß Bonaparte durch die Servilität seiner politischen Umgebung sich immer mehr darin bestärken ließ, in all seinen guten Absichten für seine Wahlheimat ihr Glück mit seiner höchsten Macht identisch zu sehen und seine revolutionäre Herkunft zu vergessen.

Der erste Lohn für Marengo war die zehnjährige Verlängerung seiner Konsulatszeit gewesen. Doch befristete Macht war ihm nichts. Da kam dann von den willfährigen Regierungskörperschaften als Dank und Ehrung die Zuerkennung des Konsulats auf Lebensdauer. Das hieß immerhin schon die verbürgte Bleibe in den Tuilerien, hieß Zeit vor sich haben, sich regen und bereiten können, was noch weiter not tun könnte. Der nächste Schritt von der Revolution fort, der die Entchristlichung Frankreichs nie völlig gelungen war, war das Konkordat. Der Jubel über die Auferstehung der Glocken bedeutete für Bonaparte mehr als der Dank für ein Geschenk an das Land: auf diese Art meinte er, die Bindung von Royalismus und Katholizismus in Frankreich zerschnitten zu haben. Schon während des Marengofeldzuges hatte er nach dem Einzuge in Mailand dem Te Deum beigewohnt; nun fuhr er zum ersten Male, mit der überglücklichen Josephine, mit großem Apparat zum Te Deum nach Notre Dame, das der päpstliche Legat mit größter Feierlichkeit zelebrierte. Hernach fragte er den General Delmas, der ihn begleitet hatte, wie ihm die Zeremonie gefallen habe. Er erhielt zur Antwort: »Es war eine schöne Kapuzinade; es hat nur die Million Männer dabei gefehlt, die sich für die Zerstörung dessen töten ließen, was Sie jetzt wieder aufrichten.«

Wenn sich aber auch die Zahl der Gegner Bonapartes verringert hatte, so wurde der Haß der gebliebenen nur um so heftiger, aktiver und erfindungsreicher. Die Menge der Verschwörungen in der Marengozeit schon war selbst von Fouché nicht mehr zu übersehen. Nur daß Joseph und Lucien Bonaparte jeder für sich auf Sturz oder Tod ihres Bruders Hoffnungen aufbauten, entging Fouché nicht, der jetzt im Auftrage des Ersten Konsuls die Familie Bonaparte genau so weiter überwachte, wie er es früher für sich getan hatte; nur eben jetzt schon ohne Josephinens Mithilfe. Daß sich dann Lucien durch die bekannte Broschüre bloßstellte und die Ungnade Napoleons zuzog und als Botschafter außer Landes geschickt wurde, soll nur erwähnt werden, weil damit einer der »gefährlichen Brüder« von der nun bald recht lebhaft werdenden Familienbühne verschwunden war.

Die gegen das Leben des Ersten Konsuls gerichteten Verschwörungen, Attentatsversuche oder wenigstens Pläne dazu mehrten sich – und Bonaparte sah sich in seiner Hoffnung, durch das Konkordat einen Teil der militanten Royalisten für sich zu gewinnen, bitter enttäuscht. Da entschloß er sich, auszurotten, was er nicht versöhnen konnte. Wie hart und grausam es dabei herging, wie Verrat geübt und Versprechen gebrochen wurden, kann hier nicht erzählt werden. Daß es so kam, wird nur berichtet, weil in all der Erbarmungslosigkeit Josephinens hoffnungsfreudige royalistische Illusion in Nichts zerging und weil das sich zu den Umständen fügte, die ihr – bis zur Bekehrung durch andere größere Umstände – jene vorhin erwähnte plötzliche Liebe für die Republik eingegeben haben. Diese Umstände sind aber ebendie, um derentwillen Josephine so unerwartet dahin kam, dem Aufstiege des Gatten mit einem Male aufs heftigste Einhalt zu wünschen.

Kaum war Bonaparte durch die Ernennung zum Konsul auf Lebenszeit des Fortbestandes seiner Macht versichert worden, als er eingedenk der vielfachen Gefährdung seines Lebens auch schon wie ein rechter Regierender an die Fortsetzung dieser Macht über seinen Tod hinaus zu denken begann. Es besteht kein Zweifel, daß Josephs und Luciens erbschleicherisches Lauern während des letzten Feldzuges in Bonaparte den Wunsch erweckt haben, sein Werk vor solcher Nachfolge zu sichern. Nun kam ihm zum ersten Male mit voller Schmerzlichkeit seine eigene Kinderlosigkeit zu Bewußtsein und vielleicht schon immer öfter das Bedauern dazu, sich mit der unfruchtbaren Josephine wieder vereinigt zu haben. Angesichts dieses auftauchenden Problems, das sie vorerst nicht sonderlich tragisch nahm, begann Josephine ihre Hauspolitik zu dem schon vorher erwähnten Ziele hin, ihre Tochter mit Napoleons zweitjüngstem Bruder Louis zu verheiraten. Davon versprach sie sich nicht nur die Stärkung ihrer eigenen Position der bonapartischen Familie gegenüber, sondern vor allem, daß Napoleon, mit Umgehung der älteren Brüder, Louis oder vielmehr dessen zu erwartenden Sohn zu seinem Erben machen würde. Geschähe dies, so wäre die auf ihr lastende Anklage, Bonaparte keinen Erben geschenkt zu haben, bedeutungslos geworden und ihr überdies durch ihren Einfluß auf Hortense auch noch ein besonderer Machtzuwachs gesichert. In der Zeit von Josephinens Bemühungen um das Zustandebringen dieser Ehe wuchs all der böse Klatsch um ihre allzu offenbaren Wünsche, einen Sohn Hortensens die Stelle des ihr nicht gewährten Kindes einnehmen zu sehen. Immer wieder wird erzählt, sie habe, Napoleons zärtliche Neigung für seine Stieftochter ausnützend, geschickt die Kupplerin eines Liebesverhältnisses gemacht, für dessen werdende Frucht Bonaparte die Legitimierung durch den Bruder Louis erzwungen habe. Dieses Gerede hatte sich so sehr verbreitet, daß, als endlich nach manchen Szenen Hortensens Heirat mit Louis beschlossen war, Josephine kurz vor der Hochzeit noch einen Ball gab, auf dem ein besonders gemachtes Kleid Hortensens mädchenhafte unentstellte Gestalt zeigen sollte. Es ist übrigens nicht zweifelhaft, daß Louis selber um diese Anschuldigungen gewußt hat und sie in seinem nicht sehr urteilskräftigen Verstande weiterwirkten und ihm bald die geringe Freude an dieser Ehe vollends verdarben. Aber die Festsetzung dieser Heirat und der damit errungene Triumph über Joseph und Lucien brachten Josephine nicht die erhoffte Ruhe. Immer unverkennbarer führte der Weg Bonapartes zu einem beängstigenden Ziele. Und hätten auch nicht die Royalistenverfolgungen sie überzeugt, daß dies nicht das Ziel Monks, die Zurückführung des Königs sein könne, so hätten sie der Brief Ludwigs XVIII. an ihren Gatten und dessen ablehnende Antwort darauf belehren müssen, daß es mit ihrer Hoffnung, die Gattin des Connétables der Bourbonen zu sein, zu Ende war. Sie hätte sich freilich der erfüllten Hoffnung auch nicht lange erfreut; denn Napoleons ahnungsvollem Wort, daß die wiedergekehrten Bourbonen ihm eine Danksäule errichtet und in deren Fundament alsbald seine Gebeine eingeschlossen hätten, stehen Äußerungen Ludwigs XVIII. entgegen, daß er Bonaparte nicht lange in der Rolle eines zweiten Duc de Guise neben sich ertragen hätte.

So spaßhaft etliche der Wegweiser dieses Zieles Napoleons für Josephine auch erst waren, wie etwa die Schaffung einer Art Hofstaates, so bitter mundete ihr all das dann, als es in der Tat immer höfischer herzugehen begann und das Flüstern rundum, wohin das führen sollte, nicht mehr überhört werden konnte. Wenn dieses Unglaubliche und Unfaßliche Wirklichkeit werden und der Bonaparte, von dem sie sich längst einredete, daß sie ihm damals den Oberbefehl über die Italienarmee verschafft hätte, nun in der Tat König von Frankreich werden sollte, dann müßten für ihn ja mit einem Male die gleichen Forderungen gelten wie für einen wirklichen König! Das hieß, von Josephine aus gesehen, daß auf eine neue und nun allergefährlichste Weise das Problem ihrer Unfruchtbarkeit und überhaupt der Erbfolge zur Sprache gebracht werden würde. Ein König mußte einen Thronfolger haben; sie besann sich aus fernen Jahren her all der Wichtigkeit, die Marie-Antoinettens Kindbetten gehabt hatten. Und jetzt brannte es ihr in der Seele, daß durch ihr Verschulden ihre Ehe auf eine so mühelos zu lösende Art geschlossen worden und daß sie nicht auf einer kirchlichen Trauung bestanden hatte, die, wie sie jetzt meinte, der blindverliebte Bonaparte ihr damals kaum verweigert hätte. Wenn er sich jetzt von ihr trennte, brauchte er nicht nur keinen Skandal zu fürchten, sondern konnte allgemeiner Billigung für die Scheidung von einer unfruchtbaren Gattin sicher sein. Was würde dann mit ihr geschehen?

Und wäre es selbst so gewesen, wie Miot und andere Memoirenschreiber behaupten, daß Josephine die Position und nicht den Mann geliebt habe, so wäre ihre Bangnis, aus dem schönen, reichen, bunten Leben verwiesen zu werden, schon bitter genug gewesen. Rechnet man aber die wenn auch recht absonderliche Gefühlsverhaftung der ausgeliebten Frau (die sie selber doch Liebe nannte) zu diesen Ängsten dazu, so müßte man sich diese Zeit, da Josephine täglich für das Weiterbestehen der Republik Stoßgebete tat, als eine rechte Hölle vorstellen. So wenig nun auch der Verfasser zu jenen Misogynen gerechnet werden möchte, die auf alles Unheil, das ihnen von Frauen erzählt wird, zu bemerken pflegen: »Es wird schon nicht so arg gewesen sein«, muß er angesichts all der vielfältigen Belustigungen Josephinens in diesen Monaten doch selber auch sagen: es wird nicht allzu arg gewesen sein. Denn während man bei anderen Frauen die Vergnügungen schwerster Lebenszeiten als scheinbar ansehen und sich sagen muß, daß Gesittung und Selbstdisziplin das Leiden der Einsamkeit vorbehalten, ist in Josephinens nun so verfolgbarem Dasein kein Plätzchen Einsamkeit, ja kaum mehr ein Privatleben zu finden. Ihre Tage waren von Scharen an ihr vorbeiziehender Menschen erfüllt, – und wenn sie nachts nicht ihren stets tiefen gesunden Schlaf schlief, redete sie auf Bonaparte ein, der noch immer das Ehebett mit ihr teilte. Es ist übrigens nicht zu bezweifeln, daß ihr diese allerdings bald darauf von Bonaparte aufgehobene Ehebettgemeinschaft noch immer eine kleine Macht über den sehr in seine Gewohnheiten verliebten Mann gab und ihr zumindest die Erfüllung mancher Bitten eintrug, die der Wache am Tage nicht gewährt hätte.

In diese, in vielem Klagen und Besprechen sich Luft machenden Kümmernisse, von denen der Nächstbeste gelegentlich zu hören bekommen konnte, kam dann in den Maitagen des Jahres 1804 jäh die große tröstliche Aufhellung. Die Männer, die Bonaparte gefügig die Überbleibsel der Revolution in die Hände gelegt hatten, hatten auf Wunsch auch noch ein übriges getan und ihn für die Rettung der Republik damit belohnt, daß sie die also gerettete Republik ihm zuliebe mit einem neuen Namen vollends totschlugen. Und dann kamen an jenem 18. Mai alle die »Totengräber der Republik« und unter ihnen manche, die sie hatten schaffen helfen, in feierlichem Zuge in das Schloß von Saint-Cloud und redeten Napoleon Bonaparte als den Kaiser der Franzosen an – und wahr und wahrhaftig Josephine Tascher-Beauharnais-Bonaparte als Kaiserin der Franzosen. Und es wird erzählt, daß Josephine diese erste feierliche Huldigung mit einer leichten anmutigen Verwirrung entgegengenommen habe. Den Tag über sei sie zwar strahlend glücklich gewesen, aber die Worte Kaiserin und Majestät hätten ihr so wenig Eindruck gemacht, als ob sie sie seit immer getragen oder wenigstens ihr Leben lang erwartet hätte. Wirklich genossen habe sie das ganze neue Zeremoniell erst bei dem ersten großen Galadiner, bei dem Joseph und Louis mit ihren Frauen – also auch ihre Hortense – schon als kaiserliche Prinzen und Prinzessinnen angeredet wurden, während ihre Schwägerinnen Elisa und Karoline von denen die Duchesse d'Abrautès bemerkt, daß sie, wenn sie jetzt in eine Gesellschaft kamen, sogleich nach erhöhten Sitzen aussahen und sich darauf niederließen. einfach noch Madame Bacciocchi und Murat hießen und darüber vor Wut und Beschämung »an Tränen und Galle würgten«.

Das nun anhebende Hofhalten ernstzunehmen, gab es für Josephine die überraschendsten Anlässe: die größten Namen des alten Frankreichs mühten sich um Ämter an dem »Parvenühofe«! »Vor diesen großen Namen Montmerency, Montesquiou, Ségur und so weiter«, schreibt ein neuerer Historiker, »fühlte sich Josephine überrascht zum kleinen Mädchen werden. In der neuen Ordnung der Dinge war es nicht die gigantische Überlegenheit ihres Gatten, was ihr am meisten schmeichelte, nicht sein Feldherrngenie noch sein Genie als Organisator, Verwalter und Gesetzgeber; nein, all das berührte sie wenig und verdiente nicht, daß sie sich damit beschäftigte: was ihr wirklich das Herz erfüllte, das war, daß sie eine Larochefoucauld zur Ehrendame hatte.« Nun hieß sie also von dieses kleinen komischen Bonaparte Gnaden Kaiserin und Majestät und wäre herrlich bereit gewesen, diese Lebensrolle nach dem Begriffe, den sie sich von ihr zu machen anschickte, aufs beste zu spielen, hätte sie nur endlich die Gewißheit gehabt, auf der so prächtig gewordenen Bühne bleiben zu dürfen. Aber obgleich Napoleon zu ihr nun so war, als ob sie selbstverständlich in das neue Märchenstück hineingehörte, bereitete sich neue, noch ängstigendere Bedrohung vor.

Das Heilige Römische Reich deutscher Nation hatte dadurch, daß Franz I. den Titel des Kaisers von Österreich annahm, praktisch zu bestehen aufgehört; dieses Römische Reich, dessen Erbschaft tausend Jahre zuvor der Frankenherrscher eingetrieben hatte. Dies Jahrtausenderbe, schien es Napoleon, war nun neu anzutreten, und zwar von dem neuen Beherrscher des Frankenlandes, der damit eine größere Tradition übernähme und weiterführte, als die der französischen Könige war: eine, die über Karl den Großen bis auf Augustus zurückging, bis auf die Römerwelt, von der schon Bonapartes wirkliche Stammutter, die Revolution, ihre Zeichen und Symbole entlehnt hatte. So hatte er sich zum Kaiser gemacht und nicht zum Könige. Und wer vermöchte bei ihm zu sagen, ob nicht schon in seinem Konkordat tief innen der Gedanke an Salbung und Krönung zum Herrn der Christenheit durch die Hand des Stellvertreters Gottes gewohnt hat? Denn Salbung und Krönung sollte sein, sie mußten diesem Volkskaisertum die gottesgnadenhafte Weihe geben. Schon waren in seinem Auftrage alle die alten Traktate über Krönungszeremonien durchforscht worden, waren Saint-Denis und Reims als zu sehr an die Könige gemahnend (deren Gebeine dasselbe Volk, das dem neuen Herrn zujubelte, in Saint-Denis geschändet hatte) abgelehnt und Aachen in Frage gezogen worden. Aber erst galt es, den Papst zum Kommen zu bestimmen. Das war nicht leicht. Nicht etwa, daß das frisch vergossene Blut eines Abkömmlings der allerchristlichsten Könige, Enghiens, den Papst abgeschreckt hätte. Dieses Zögern war vielmehr ein nur allzu politisches, im voraus um einen nicht gebotenen Kaufpreis feilschendes. Daß es endlich der Drohung mit der Aufkündigung des Konkordates bedurfte, um den Papst zum Kommen zu bewegen, entband Napoleon nachher erwünscht der Dankespflicht für diesen widerwillig geleisteten Dienst, der auch noch durch die päpstliche Forderung, Paris statt Aachen als Krönungsstadt zu wählen, eingeschränkt worden war.

Wenn sich dann auch das Kommen des Papstes noch eine Weile weiter hinauszog, konnte doch schließlich auf seine Zusage gebaut werden. Und da begann für Josephine neue Ängstigung. Würde Bonaparte – so nämlich hieß der Gatte ihr weiter – sie gleichfalls krönen lassen wollen? Würde er auch, wenn er dazu bereit wäre, der Nachholung der kirchlichen Trauung zustimmen, ohne die der Papst sie als nichtvermählt betrachten müßte?

Alle guten Gründe zur Widerlegung, an denen es Hortense wie die Hofdamen, vor allem Madame de Rémusat und Josephinens Nichte Madame de La Valette, nicht fehlen ließen, fruchteten wenig; wozu hätte Napoleon sie zur Kaiserin erhoben, wozu sie zu der großen Feier im Invalidendom an seine Seite gerufen, wozu hätte er sie endlich in diesem Spätsommer auf die triumphale Kaiserfahrt durch das Rheinland mitgenommen, wenn er die Absicht gehabt hätte, sie in letzter Stunde von sich zu stoßen? Konnte er sie jetzt noch von der Krönung, die ihr die ersehnte Sicherheit geben mußte, ausschließen? Josephine war aber bereits auf dem besten Wege zu der nun bald erworbenen und dann viel geübten Meisterschaft, auf die einleuchtendsten Vernunftgründe mit einem verstockten und traurigen »aber doch« zu erwidern, wo es darum ging, einen Grund zur Klage und zu kleiner Selbstquälerei zu bewahren. Und darum ging es immer, wenn sie die Familie Bonaparte im Spiel wußte, über die sie vorerst noch den endgültigen Sieg davonzutragen vermeinte, wenn sie es zur kirchlich getrauten und gekrönten Kaiserin gebracht hätte.

Obgleich dann im Oktober nach der Rückkehr von der Rheinreise die Geschwister Napoleons zu all dem privaten Drängen noch einen ganz offiziellen Schritt gefügt und Joseph entsandt hatten, er möge dem Bruder nahelegen, auf die Krönung der unfruchtbaren Josephine zu verzichten, von der er sich früher oder später doch werde trennen müssen, gab Napoleon dennoch den Auftrag, Josephine möge mit ihren Vorbereitungen zur Krönung beginnen. Sie habe auch jetzt noch nicht an ihr Glück glauben wollen und sei mit zitterndem Herzen an die Ausführung dieses Befehls gegangen, wird berichtet. Sicher ist, daß sie diese Vorbereitungen dann mit einer Emsigkeit betrieb, der auch nicht das geringfügigste Detail entging, daß sie mit dem gleichen Eifer die ihr vom Zeremoniell zugewiesene Rolle lernte und probte, wie sie die Lösung aller Kostümfragen für ihre Umgebung überwachte. Isabey, den seine gesellschaftlichen Talente Josephinen und Hortensen empfohlen hatten und der bei allen wichtigen Anlässen Josephinen selber geschmückt haben soll, war zusammen mit David (dem »Königsmörder«, dessen Namen unter dem Todesurteil Alexandre Beauharnais' wie so vieler anderer gestanden hatte) zum Entwerfen der Kostüme ausersehen worden. Und David oblag noch besonders die Inszenierung des Ganzen, soweit sie nicht vom Zeremoniell vorgeschrieben war. Zahllose Proben wurden abgehalten, die letzten Ensembleproben schon in Notre-Dame selber; während dieser entwarf David sein großes Krönungsbild.

Josephinens Krönungsmantel war aus orangerotem Samt mit erhaben gestickten goldenen Bienen und einer breiten Hermelineinfassung und trug in schwerer Stickerei Oliven- und Eichenzweige rund um den Buchstaben N; er war durchaus mit Hermelin gefüttert und von bedeutendem Gewicht. Die Krone, die zusammen mit Mantel und Ring die Insignien der Kaiserin bildete (beim Kaiser kamen noch Schwert und Zepter dazu) hatte – nach Constant – acht Zacken, die sich unter einer goldenen, von einem Kreuz überragten Kugel vereinigten. Die Zacken waren mit Diamanten besetzt, vier in Form von Palmblättern und vier von Myrtenblättern. Ihre Ausbuchtung umgab ein Reif mit acht riesigen Smaragden. Der Stirnreif war mit Amethysten geschmückt. Das Diadem setzte sich aus vier Reihen allerschönster Perlen zusammen, die von Blattwerk aus vollendeten Diamanten durchzogen waren, deren etliche sehr groß waren: einer wog neunundvierzig Karat. Die Steine der Krone allein hatten über 860.000 Franken gekostet. Für den Ring war ein Rubin »als Zeichen der Freude vom Kronschatze beigestellt worden, während der Ring des Kaisers einen Smaragd als Symbol der himmlischen Offenbarung trug«.

Am 25. November traf der Papst Pius VII. in Fontainebleau ein – die Mutter Lätizia hatte bis zum letzten Augenblick nicht glauben wollen, daß sich der Heilige Vater wahrhaftig für ihren Sohn inkommodieren werde, dem sie selber noch recht von oben herab ihre »an den Herrn Kaiser Napoleon Buonaparte« adressierten Briefe schrieb. Der ganze Hof war dem Papste entgegengefahren. Dann, während des ersten Höflichkeitsbesuches, den Pius VII. Josephinen abstattete, nahm sie ihr Herz zusammen und erzählte dem »alten Manne, aus dessen totenhaft blassem Gesichte Milde und Güte leuchteten«, ihre Sorge in der Form schwerer Gewissensskrupel: daß sie nicht kirchlich getraut sei, weil das in jenen schlimmen Revolutionstagen nicht üblich gewesen sei. Und der Papst, der nicht gewußt hatte, daß er auch Josephine, die Frau »mit dem elenden Rufe«, würde zu krönen haben, segnete sie und schied mit dem Versprechen, daß das schon in Ordnung gebracht werden würde.

Und in der Tat setzte dann Napoleon dem ausdrücklichen Wunsch des Papstes keinen besonderen Widerstand entgegen. Die Trauung wurde von Fesch, dem Oheim des Kaisers, dem die Kardinalswürde noch weit weniger vorherzusagen gewesen wäre als dem Neffen sein Kaisertum, in der Hauskapelle vor nur zwei Adjutanten als Zeugen im Handumdrehen vollzogen. Und Sonntag den 2. Dezember 1804 donnerten morgens die Kanonen und läuteten die Glocken durch das trübe Schneetreiben über Paris hin, das große Fest meldend. Doch da es das Fest war, das der neue Herr sich selber und seiner Gattin gab, und nicht eines von denen, die das Volk ihm bereitet hatte, war unter den Mengen von Zuschauern viel mehr Neugier und Schaulust als Begeisterung zu verspüren. Als der Zug sich in Bewegung setzte, hatte der Himmel sich aufgehellt, und in der eisig klaren Luft schimmerte und leuchtete es alsbald von Gold und Silber und starken Farben der Uniformen, von den gezogenen Säbeln, den Federn und Agraffen: Truppen aller Arten, die kaiserlichen Mamelucken, dann Herolde in Violett und Gold, der übergeschmückte Murat, einst Handlungsgehilfe, jetzt Marschall von Frankreich und Gouverneur von Paris und bald ein König, dann alle die sechsspännigen Karossen mit den Großwürdenträgern. Endlich acht isabellenfarbige Pferde und der große vergoldete Galawagen und in ihm der Kaiser mit federngeschmücktem Hut, goldgestickten Seidenstrümpfen, Goldborten rundum an dem grünen Rocke, an der Scharlachweste und der grünen Hose. Zu seiner Linken Josephine, ihr gegenüber ihr Schwiegersohn Louis, dem Kaiser gegenüber Joseph. »Josephine trug ein weißseidenes Kleid mit langen Ärmeln, bedeckt mit goldenen Bienen, Silber- und Goldstickerei ... Corsage und Oberteil der Ärmel mit Diamanten übersät ...« Dazu über die Schultern ein Spitzenüberwurf, die Schleppe aus weißem goldgestickten Samt mit sieben Ellen Goldfransen, weiße goldgestickte Samtschuhe und weiße Handschuhe, gleichfalls mit Goldstickerei. Dazu ein Diadem – nicht das zur Krönung bestimmte – aus Perlen und Diamanten, weit über eine Million wert.« Und Josephine, blitzend von Schmuck aller Art, lächelt, lächelt, strahlt, und auch noch die wenigst Wohlwollenden unter den Augenzeugen sprechen von ihrer Schönheit an diesem ihrem großen Tage und daß sie kaum wie eine dreißigjährige ausgesehen habe.

Dann die Zeremonie in Notre-Dame. Josephinens schwerer Krönungsmantel wurde von den Schwestern des Kaisers und seinen Schwägerinnen getragen; sie dazu zu bringen, war nur gelungen, als Napoleon darauf verfallen war, offiziell das Tragen des Mantels in Unterstützen des Mantels umzubenennen. Im übrigen nahmen sie diese Bezeichnungsänderung nachher so wörtlich, daß Josephine beim Hinaufschreiten der Stufen unter der Last des Mantels fast zusammengesunken wäre.

Nun ließen sich Berichte über Berichte anführen, die ein äußeres Bild von dem Ereignisse zu geben versuchen, das weihevoll und großartig zu gestalten jegliche Zauberei der Traditionen und großen Symbole sowie der Künste aufgeboten worden war, auf daß der größte menschgewordene Machtwille sich selber feiern und genießen könnte. Doch alle die Berichte, die zu Gebote stünden, gäben nichts von Josephine und ihrem inneren Sein und Fühlen als Mitspielerin in diesem Actus solemnis, in dem der Stellvertreter Gottes auf Erden nach dem vor Ungeduld gähnenden Bonaparte die Frau salbte (die wie alle Frauen rundum die Brüste entblößt hatte) und dann die Beiden schließlich doch nicht krönte: denn da dieser höchste Augenblick gekommen war, setzte Bonaparte sich selber und Josephinen die Krone aufs Haupt. Was der Erzähler von Josephinens Fühlen in dieser Stunde wissen kann, hat er in allem Vorhergehenden ahnen lassen. So verläßt er lieber alle Weihe und Größe, die der Leser je nach seiner Neigung darin zu finden vermag, und endet die Erzählung dieser Hora sacra eines unheiligen Lebens, wie sie geschehen und zu Ende gegangen ist. Daß Napoleons eigenwillige Geste den Papst »unnötig, zum einfachen Zeugen und unbeweglichen Figuranten« hatte machen wollen, unterbrach diesen nicht in seinem Hohepriesteramt, dem so viele Krönungen Würdiger und Unwürdiger das Gesetz gegeben hatten. So sprach er nach dem Weihegebet für den Kaiser über die gekrönt kniende Josephine: »Möge Gott dich krönen mit der Krone des Ruhmes und der Gerechtigkeit, möge er dich waffnen mit Kraft und Mut, auf daß du kraft unseres Segens mit rechtem Glauben und dank den vielfachen Früchten deiner guten Werke die Krone der ewigen Herrschaft erlangest, durch die Gnade dessen, dessen Herrschaft und Reich währen von Ewigkeit zu Ewigkeit.« Und als Napoleon und Josephine dann unter dem Thronhimmel Platz genommen hatten, segnete der Papst sie abermals: »Möge auf diesem Kaiserthrone euch bestärken und euch in seinem ewigen Reiche mitherrschen lassen Jesus Christus, der König der Könige, der Herr der Herren, der lebt und regiert mit Gott dem Vater und dem Heiligen Geiste von Ewigkeit zu Ewigkeit.« Und dann stimmte der Papst das »Vivat Imperator in aeternum« an, und die zwei Chöre fielen ein, und große rauschende Musik erfüllte die Kathedrale bis in all ihre Dunkelheiten, dahin die tausend Kerzen des Kaiserglanzes nicht leuchteten und wohin für diese Stunden die heimischen Schatten von Notre-Dame, die stillen Wahrer aus vielen Jahrhunderten voll Glorie und Trauer, sich abwartend gezogen hatten.


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