Peter Rosegger
Sonnenschein
Peter Rosegger

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Der Vagabunden-Franz

Nächtliches Werben.

Mitten auf seinen winterlichen Landflächen liegt der stattliche Karmerhof. Eine blasse Mondnacht deckt ihn zu – er schläft.

Der Kettenhund schläft, denn es rührt sich nichts; der Brunnen vor dem Hause rieselt fast unhörbar in seinem eisigen Mantel; der rote Schein an den Fenstern ist erloschen.

Aber traue man so einem Bauernhofe nicht! Wenn er noch so still und regungslos daliegt – inwendig lebt's, wacht's. Sind die Fenster auch dunkel, es kann doch was glühen, lodern und leuchten da drinnen in verschlossener Kammer.

Wir haben den Zauberschlüssel und dürfen hinein. Den Schnarchenden wünschen wir friedsame Ruh' und schleichen vorüber, den Träumenden gönnen wir heitere Gestalten, den Weinenden lassen wir ungestört ihr Herzleid verrinnen und schleichen vorüber. Hingegen, wo die alte Thres bei der matten Ampel ihr Jöppl flickt, daß es übermorgen zum ersten Werktag nach den Weihnachtsfesten die Kälte nicht hinein- und den Rest der lieben Wärme nicht herauslasse, da mögen wir uns nebenhin auf das Fußende ihres Bettes setzen – wenn sie's erlaubt. Sie erlaubt's aber nicht. Wer mit ihr was zu tun hätte, der möge beim hellen Tag kommen und nicht zur nachtschlafenden Stund' – sie sei in guten Sitten alt geworden.

Da weiß ich aber im Hause ein Kämmerl, das ist gerade über der Stube, in welcher der brave Karmer mit der Seinigen schläft; und im Kämmerl steht ein weißes Bett mit blauen Bändern in dem Kopfkissen, und da drinnen liegt etwas, auch in guten Sitten groß geworden, das viel jünger und anmutiger ist, als die gute Thres, und das nicht flickt, sondern an Gedanken spinnt, das keine Ampel brennen hat und doch soviel sieht. Ein sonniger Wintertag und die Leute gehen von der Kirche heim und unter ihnen geht der alte Student. Die Burschen umringen ihn, die vorwitzigen Dirndln gucken ihnen unter den Schultern durch und möchten auch was sehen und hören, denn er macht ihnen wieder was vor, erzählt Geschichten, sagt ihnen neue Lieder und Sprücheln – er macht sie selber, er kann so Sachen, er weiß allerhand Schwänke, daß es ein heller Spaß ist, und wenn er will, so muß den Leuten auf der Stelle das Wasser aus den Augen rinnen – er kann's. Schier fürchten muß man ihn; wenn er anfängt, da hebt's einem inwendig ordentlich zu graben an. Kein Mensch glaubt's, was das für einer ist! 's schickt sich gar nicht, auf dem Kirchweg so weltliche Sachen, aber man muß dabei sein und zuhören, will man oder nicht. Ich verwett' nichts drauf, der Mensch kann zaubern! –

So sah es und so dachte es, das Lichtl.

Das Lichtl! So ward das Töchterlein des Karmer genannt. In der heiligen Taufe, bei der noch niemand weiß, als was der Mensch einst gerufen werden wird, gab man ihm den Namen Mechtildis. Kaum das Mädchen aus den Kinderschuhen gesprungen war, sah man, daß der Nonnenname für es nicht passe. Auch konnte ihn keiner kunstgerecht aussprechen, die Zunge der Bauersleute in der unteren Schlehn ist nicht danach gewachsen, daß sie des Namens Mechtildis Herr zu werden vermöchte. Man weiß nicht, wie es kam, aber wie auf Verabredung nannten die Leute das Töchterl des Karmer: 's Lichtl. Wenn man's betrachtet, es war nichts Fremdes dabei, es waren im neuen Namen lauter Buchstaben aus der Mechtildis und auch sonst: die Jungfrau lebte so still, heiter und fromm und schön für sich, als wie ein Lichtlein vor dem Muttergottesbilde. Der Vater sorgte freilich brav für den Docht und die stille Mutter goß täglich das Öl ihrer zärtlichen Liebe dazu. Und da geschah es wohl, daß in der Gegend, die an Mädchenschönheiten nicht reich ist, das Lichtl vom Karmerhofe weithin sichtbar war und daß in den langen Nächten kein Stern am Himmel so viele heimliche Verehrer hatte, als das Lichtl im Karmerhofe. Es brannte im neunzehnten Jahre und das gibt gerade den hellsten Schein. Die größte Glut kommt erst später.

In der Kammer des Mädchens duftete noch der Weihrauch; es war nämlich die Dreikönigsnacht, die letzte der drei »Rauchnächte«, da man vor dem Schlafengehen alle Räume des Hofes mit geweihtem Rauche besegnet. Und wie nun das Lichtl auf ihrem Bette ruhte, längst mit ihrem Abendgebete fertig war und doch nicht einschlafen konnte, sondern in ihrer Seele dem Treiben des alten Studenten zusah, da hörte sie plötzlich draußen vor dem Hause Tritte knistern. Sie lugte durch's Fenster. Drei schreckbar große Männer gingen langsam auf das Haus zu und blieben vor demselben stehen. Nach genauerer Betrachtung bemerkte das Lichtl, daß alle drei oben und unten Köpfe und die Füße in der Mitte hatten. Die Hälfte der Gestalten war nicht echt, sondern nur der Schatten des Mondes, drum sagte ja die – alte Thres immer: »Dirndln, gebt acht, die Mannerleut', die beim Mondschein dahersteigen, sind zur Hälfte falsch!«

Sie stellten sich gerade vor das Fenster des Karmer, da hub einer von den dreien so an zu sprechen:

»Wach' auf, du lieber und ehrsamer Hausvater mein, es grüße dich das Kind Jesulein, wir stehen im Schutz und Schirm der heiligen drei Könige, Gott sei Lob und Ehr' und wir haben ein großes Begehr!«

Nicht lange hernach wurde hinter dem Fenster die Stimme des Karmers hörbar, diese sagte: »Männer, ich kenne euch nicht; aber weil ihr mir den heiligen Gruß bringet, so gottwillkomm! Was ist euer Begehr?«

Der Redner fuhr in seinem alten Spruche fort: »Gott der Herr hat einen Junggesellen erschaffen, der kann nicht wachen und nicht schlafen, der schickt uns aus zu diesem ehrsamen Haus und läßt fragen, ob er die Jungfrau Tochter zum Eheweib kunnt haben.«

Man kann sich denken, wie das Lichtl über diese Worte, die es deutlich gehört hatte, erschrak. Das waren die Brautwerber, wie solche nach der Väter Sitte in der Dreikönigsnacht anklopfen, um, ohne sich zu erkennen zu geben, mit den Eltern eines Mädchens vorläufige Anfrage und Verhandlung zu pflegen. Waren die äußeren Bedingungen, die man Gesicht um Gesicht so ungerne abmacht, für die Eltern oder den Vormund des Mädchens annehmbar, so erscheinen die nächtlichen Unbekannten an einem der nächsten Tage als wirkliche Werber, als welche sie erst angeben, für wen sie die Braut eigentlich begehren. Das gibt dann freilich mitunter eine höllische Überraschung, zumeist aber kommt die Einigung leicht zustande. Dieser Brauch ist in manchen Gegenden Österreichs heute noch üblich, so auch in der unteren Schlehn, wo die Geschichte spielt.

Das Lichtl horchte nun, was der Vater sagen würde.

Der Vater gab nicht sogleich Antwort. Endlich aber machte er das Fenster auf und sagte: »Meine werten Manner! Meine Tochter ist noch schier ein Kind und hat wohl bis jetzt an keinen Bräutigam gedacht. Gleichwohl weiß ich, daß Vater und Mutter das liebste Kind müssen hingeben, wenn's Zeit und Gotteswill' ist, und haben die Eltern zu fragen, wer der Tochtermann sein soll und ob er wohl imstande ist, Weib und Kind ehrsam zu versorgen.«

Nach diesen Worten trat der Redner noch näher ans Fenster und sagte: »Der Junggesell', der uns schickt, ist ehrenwert und wohl nicht mehr jung genug, als daß er noch länger zuwarten kunnt, die Jungfrau zu begehren, die er meint. Er kennt sie seit etlichen Jahren und hat sich den Schritt wohl überlegt. Führt er sie heim, so wird er ein freudenreicher Mann sein, wird sie ihm verweigert, so will er sich als Junggesell' auf die Totenbahr' legen. Das laßt er sagen.«

»Nichts für ungut, Manner,« entgegnete der Karmer, »was ihr da vorbringt, das sagt jeder, das hat auch der Färber zu Schlehnfeld gesagt, der sich jetzt den Ehebund mit seinem Weib wieder auseinander trennen lassen will, als wär's ein verkehrt zusammengenähter Pelz, bei dem die Wolle nach außen geht und einwendig die harte, kalte Schöpshaut ist. Ich frag', ob euer Junggesell' ein gutes Gemüt hat?«

»Mein ehrsamer Hausvater! Unser Junggesell' ist nicht reich und nicht arm; er hat nichts, als ein kleines leeres Haus, aber er hat den lieben Gesund und er hat den ehrlichen Namen und was den Verstand anlangt, so ist er etwan um einen Kopf größer, als manch anderer; und er hat viel Gemüt, ein gutes und leichtes Gemüt – das ist sein Weg und Steg. Weiter können wir nichts sagen. Wenn Eure Jungfrau Tochter nicht nach einem gar Jungen ausschaut und nicht meint, sein Gesicht müßt' wie Milch und Blut sein, und nicht viel auf der Leut' Reden geht, so soll sie ihn nehmen – er ist ihrer wert.«

's ist der Kurschmied, 's ist der Timotheus! so rief es jetzt im Mädchen und es hätte am liebsten laut aufgelacht, wenn man hätte wissen dürfen, daß sie gehorcht. – Ja, ja, der Timotheus hat sein Häusel bei Schlehnfeld und läuft ihm alles zu, weil er so gut Zahnreißen kann; Verstand und Humor hat er auch, sonst könnte er jetzt in seinen alten Tagen nicht auf den Gedanken kommen, zu heiraten. Jetzt wird er erst schön! Die Blatternarben sieht man vor Falten nicht mehr und die roten Haare werden grau. Alles paßt auf ihn, es ist der Kurschmied.

Jetzt ist sie nur begierig, was der Vater auf eine solche Zumutung für einen Bescheid geben wird. Das hörte sie bald, der Karmer antwortete: »Wenn das alles so ist, wie ihr sagt, so soll er am Erharditag kommen und sich zeigen. Meine Tochter wird das letzte Wort haben. Ist er brav und ihr recht, so werde ich nichts dagegen haben.«

Hierauf entgegnete der Redner: »So hätten wir in Sitten und Ehren unsere Sach' getan und Ihr habt uns in Sitten und Ehren empfangen. Seid bedankt, Karmer, und wir sprechen den heiligen Dreikönig-Segen über Euer Haus und Hof und rufen den heiligen Schutzengel an zur guten Nacht.«

»Gute Nacht,« sagte der Karmer und schloß das Fenster. Die drei Männer gingen davon. Das Lichtl aber, das wußte sich nicht zu helfen. Zuerst war ihr, als hätte sie ein schwerer Stein auf den Kopf getroffen, die zwei Fenster ihrer Kammer huben an sich zu drehen. Als sie wieder zu sich kam, begann sie zu weinen und das war das gescheiteste, was sie tun konnte. Dabei wurde ihr leichter und endlich begriff sie, daß sie sehr allein war. Hatte der Vater nicht gesagt, daß seine Tochter das letzte Wort habe? Wo man ihr solche Dinge zumutet, daß hier gehandelt wird, wie um eine Katz' im Sack, da ist ihr erstes und ihr letztes Wort: Nein.

Warum hat sie es nicht gleich zum Fenster hinausgerufen? Dann wäre alles überflüssige Hinundhergehen und Hinundherreden abgetan. So fest stand ihr Nein, daß sie es mitten in der Nacht noch verkörpern wollte. Sie hob ihren Zeigefinger und schrieb mit demselben auf das schwitzende Fensterglas das Wort: Nein. Der Mond schien durch das Fenster und legte das Wort mit silberweißen Buchstaben auf die Bettdecke des Mädchens. Es war das ganze, wahrhaftige Nein, aber – umgekehrt.

Auf Gassen und Straßen.

Als der Karmer am Dreikönigsmorgen erwachte, sah er nicht gut aus. Bei offenem Fenster kann sich der Mensch in der Nacht erkälten. Sonst war er gewohnt, sich an jedem Sonn- und Feiertage das Gesicht zu rasieren, heute ließ er die Haare stehen, wie sie standen, so daß sein Weib ihn fragte: »Ja, Michel, willst denn du heut' nicht in die Kirche gehen?«

»Ich bin nicht aufgelegt,« war die Antwort.

Sie wußte recht gut, was ihn wurmte. Er war zu vorschnell gewesen. Wer weiß, was jetzt für ein Geselle vorsprechen wird! Es ließ sich nichts Rechtes vermuten. Die nächtlichen Werber waren ihm, so viel er sie sah, unbekannt, und den Sprecher, wenn es nicht der Postmeister zu Schlehnfeld gewesen sein sollte, den wüßte er schon gar nicht. – Der Bauer hatte die Nacht über alle Häuser in der unteren Schlehn abgedacht, in keinem fand er einen heiratsmäßigen Mann, der auf die Beschreibung der nächtlichen Werber paßte. Auf den Kurschmied Timotheus dachte er nur, wenn er Zahnschmerz hatte; gottlob, das war heute nicht der Fall. – Ehrenwert, ein gutes Gemüt, ihrer wert? Der Karmer war ein Mann, der auf solche Sachen was hielt. Als er das Weib genommen hatte, war er auch nichts gewesen, als ehrenwert, lustig und ihrer wert, und wie schön und gut war's geworden! Sein Haus und Hof war gewachsen, seine Familie war gewachsen, schließlich war auch sein Bäuchlein gewachsen, und so hatte er wohl Ursache, der munterste und gemütlichste Mann von der ganzen Schlehn zu sein – und er war es auch. – Heute aber nicht.

Wenn er verstimmt war, pflegte er nicht unter die Leute zu gehen; er ließ sich denn heute nicht viel blicken, aber machte sich doch auf den Weg zur Kirche. Vor ihm ging ein Trupp von Bauern; der Karmer hielt sich zurück, aber sie zogen ihn bald in ihren Kreis. Und wird auch besser sein, dachte er sich, je mehr man so einen Gedanken auseinanderzieht, je wüster wird er.Das Herzanliegen muß man nicht noch spazieren führen, sonst wird es gar zu kräftig.

Bei der Bauerngruppe, die mit dampfenden Tabakspfeifen des Weges dahertrottete, gab es viel zu lachen – aber für den Karmer war doch nichts Rechtes dabei. – Sie sprachen vom Färber zu Schlehnfeld, der sich von seinem Weibe scheiden lassen wollte und da wußte der Stiegelwirt, der keine Pfeife, sondern eine Zigarre im Munde hatte und anstatt des Hutes eine Pelzmütze auf dem Kopf, eine schöne Geschichte. Hätten sich der Stiegelwirt und der Färber nicht beim neuesten Pferdehandel verfeindet so wäre sie nicht erzählt worden.

»Der Färber zu Schlehnfeld, das ist ein Hauptadut!« sagte der Stiegelwirt.

»An ihr soll's liegen,« bemerkte ein anderer, »sie soll ein Band sein!«

»Was weißt denn du!« fuhr ihn der Wirt in die Rede. »Tät's mir nicht leid um den Färber, ich kunnt eine schöne Geschichte erzählen.«

»Wird eh nit wahr sein,« sagte ein Dritter.

»So!« rief der Stiegelwirt, »wollt's auch nicht glauben, wenn ich's nicht von ihm selber hätt'. Schon vor zwei oder drei Jahren, ehzeit, nachdem sie geheiratet haben, ist's auseinander gegangen. Leicht, daß ihm was anderes in den Kopf geschossen ist – er hat ihrer wieder ledig sein wollen.«

»Schon dazumal?«

»Schon dazumal. Sterben wird sie nicht so bald, auf das darf er sich keine Hoffnung machen. Zur Zeit war von der neumodischen Ehe viel die Rede und von den Ehescheidungen. Das packt der Färber gleich auf, das ist seine Sach'. Aber ein gehöriger Grund muß sein, sagt der Notar. Wo eine Ursach' hernehmen? Sein Weib ist soweit brav und macht er die Ursach', so heißt's alle Kosten zahlen und Vergütung auswerfen. Das will mein Färber nicht. Ist selb' Zeit oft in mein Haus gekommen, sind ja von der Schulbank auf Kameraden gewesen. Und da sagt er mir einmal, daß ich nicht verheiratet wäre; das weiß ich, sag' ich, willst mir vielleicht die Deinige geben? Warum denn nicht? lacht er auf, laß dich erwischen mit ihr. Nachher hab' ich sie, wo ich sie brauch' –. Geht aber schon ein verdammt schneidiger Wind heut'.«

»Na und –?« fragte einer der Weggenossen.

»Dreikönigwind macht Lichtmeß lind,« sagte der Karmer, um das Gespräch auf einen harmloseren Gegenstand zu lenken; ein schneidiger Wind schneidet doch keine Ehre ab.

– »Der dort vorangeht, ist es der Förster-Toni oder ist es der Vagabunden-Franz?«

»Ei, der Förster-Toni geht nicht so flink fürbaß. Es ist der alte Student, der Weltvagabund. Eilen wir voran, der muß uns was erzählen.« Des einigten sie sich.

Der Mann voran sah einem Weidmann ähnlich von den Wasserstiefeln an bis zur Feldmütze, auf der nicht einmal das grüne Tannenreis fehlte. Auch der schöne, lange Vollbart war da und die Adlernase, wie sie Förster tragen. Nur die Locken hingen zu lang in den Nacken herab. Die beiden Hände in den Rocksäcken vergraben, die Beine flink vorsetzend, so schritt die schlanke und doch kernige Gestalt dem Markte Schlehnfeld zu – der feinste Vagabund, der je diese Straße unter den Füßen gehabt hat. Er war einmal Student gewesen und wollte was werden. Er ward aber nichts, sondern ist alter Student geblieben, bis er wirklich ein recht alter geworden. Im Buch, aus dem er studierte, waren Berg und Tal die Blätter, Mensch und Tier die Buchstaben, Wirtshäuser die Interpunktionen. Wenn draußen in der Universitätsstadt die Burschen lustige Kneipen hielten, da saß er mitten unter ihnen und machte die übermütigsten Lieder. Wo sich ein Paar in Fehde und Zweikampf hineinsprühen wollten, da warf er allemal einen Schwank dazwischen, der so toll und närrisch war, daß sie aufs Schlagen vergaßen. Wo sich's um eine Liebschaft handelte, da holte er den Beteiligten die Kastanien aus dem Feuer, so daß sie ihn aus Dankbarkeit den Onkel des Cupido hießen.

Die übrige Zeit strich er im Lande herum und meinte es mit den Bauernburschen gerade so gut, wie mit den Musensöhnen. Er war selber ein Bauernbursche, drei Stunden von Schlehnfeld in einem Winzerhäuschen geboren. Weil der Knabe so aufgeweckt gewesen, hat ihn der Dechant von Schlehnfeld studieren lassen. Und nach und nach ist es halt so geworden: Der Dechant starb, der Vater des Knaben starb, der junge Mann begann zu leben. Er kegelte und kartelte so ein wenig in der Welt herum, guckte hier einmal zu tief in den Krug, dort einmal zu tief in die Augen, war heute zu Gast bei einem lustigen Schloßherrn und schlief morgen in einer Scheune oder im Schatten eines Baumes. Dabei sang er Lieder, die noch kein Mensch gehört, aber jeder in Lust und Leid schon in sich empfunden hatte.

Vom Hunnenkönig Etzel erzählt man, daß aus der Scholle, auf welche er seinen Fuß gesetzt, kein Halm mehr wächst. Bei unserem alten Studenten war das gerade umgekehrt, überall, wo er ging und stand, und wäre es auf steiniger Straßen oder auf Schnee und Eis, überall wuchsen Blümlein auf hinter ihm, Knospen und Rosen, und die Leute pflückten und heimten sie, um damit ihr Leben zu schmücken.

Einmal zog er mit Volkssängern, das andere Mal mit einer Schauspielerbande; dann sah man ihn an der Seite eines alten, blinden Geigers, dem seine Führerin gestorben war, und zu den Liedern, die er dichtete, strich der Geiger die Weisen – neue, seltsame Weisen, die durch Dorf und Wald klangen und nimmer verklangen.

»Ich bin ein Vöglein
Zur Maienzeit,
Ich flieg' umher
Im Lande weit,
Und süß gestimmt
Sing' ich mein Lied,
Daß, wer's vernimmt.
Im Herzen glüht.«

O frohe Zeit! Je üppiger aber sein blonder Bart ward und je mehr graue Härchen in diesen Bart kamen, um so öfter setzte er auch das folgende bei:

»Ich möchte mir bauen
Im Strauch ein Nest,
Von innen recht lind,
Von außen fest.
Da sieh', schon hockt
Das Huhn auf dem Ei,
Ho, wie frohlockt
Mein Herz dabei.
Dann Brot, ja Brot
Für die Brut im Nest!
Ein Schuft, der in Not
Die Seinen läßt!
Dann sing' ich dem Wald,
Der laufenden Welt,
Bis jung und alt
In Schlummer fällt.
O Vögelein, wie
So lieb und leicht,
Was kaum mit Müh'
Ein Mensch erreicht!«

Wie lange währte das? Bald war die Wandermüdheit weg, er wanderte wieder im fremden Tal und sang:

»Gott sei Lob und sei Dank,
Ich bin frei, ich bin frank!
Ich bin frank, ich bin frei.
Wie der Stein, den ich kei (werfe),
Wie der Schrei, den ich schrei.
Wie mein Zeiserl,
Dem ich's Häuserl
Auftua und – fliag zua!
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Gelts Gott, wann s d mich bschenkst,
Und Gott gsegns, wann s d mich bstiehlst,
Aber gscheiter, laß s bleibn,
Wann s d nit ausglacht wern willst.
– – – – – – – – – – – – – – – – – – – –
Wia mehra, daß d hast,
Und wia mehr, daß d verlangst,
Um so größer wird d Last und dei Plag und dein Angst.
Wia s Haserl sei Graserl,
Find s Büaberl sei Liab,
Na, und stiehlst dir a Busserl,
Bist ah noh ka Diab.

s Bingerl aufn Bugl,
A Rüathl in d' Händ,
Rul ich um, wir a Kugl,
De s Rastn nit kennt.
Wir a Kügerl, a klingads,
Wir a Vögerl, a singads,
Wir a Wasserl, a springads,
Dem s im Wald nimmer gfallt.

Was ich han, va dem iß ich
Und gwandt mich und spiel
Oda trink, wann ich n Himmel
Auf Erdn habn will.
Freili, Null va Null hebt sich
Jahraus und jahrein,
Aber s lebt sich, es lebt sich
Pfarr aus und Pfarr ein.

Han nia z weng und nia z viel,
Bin nia arm und nia reich.
Aber just wir ich will,
Ich bin frank, ich bin frei.
Drum Gottlob und sei Dank,
Daß ich frei bin und frank,
Daß ich frank bin und frei,
Jucheissa, juchei!«Diese und folgende Lieder sind von Franz Stelzhamer, dem Urbild der Erzählung.

So sang er – so lebte er.

Doch war einmal eine Zeit, nachdem man lange nichts vom Studenten-Franz gehört hatte, daß er gar zerrissen und zerfahren in die Schlehn heimkam. Die Stiefel taten den Schnabel auf, der fuchsfarbige Rock grinste an den Nähten auseinander und hing mit den großen Taschen, in denen die ganze Habe war, schlotternd hinab. Haar und Bart aber waren gepflegt, wie in guten Tagen und unter den buschigen Brauen die großen blauen Augen waren noch die alten, guten, treuherzigen Augen. Sie blickten wohl etwas unruhig hin und her und wäre ihnen fast lieber gewesen, keinem Bekannten zu begegnen, als so vielen, wovon ihm doch die meisten gerne ausgewichen wären, um nicht »Grüß Gott, Franz!« sagen zu müssen, und »wie geht's, wie steht's alleweil?« wo es doch der Augenschein gab, wie es ging und stand.

Er wäre nicht gekommen, aber es rief ihn eine mit sterbendem Hauch: »Nur meinen Franzl möcht' ich noch einmal sehen!« Und weit weg, wo er weilte, mitten unter lauten, lustigen Brüdern in der Straßenschenke war es ihm plötzlich gewesen, er hätte sein Mütterlein »Franzel« rufen gehört. Er stand auf und ging den kürzesten Weg in die Schlehn zum lieben Winzerhäuschen. Das war verschlossen. Er blickte zum Fenster hinein. Da lag auf ihrem armen Bette die Mutter – o wie schmal und blaß, im Gesicht! Sie sah ihn, sie lächelte, sie hob ihre Hand zu seiner Stirne und eine Freudenträne in ihrem Auge dankte, daß er gekommen war. Dann sagte sie, er möge nur ein klein Weilchen Geduld haben, die Wärterin habe wegen eines Ganges die Tür versperrt, sie müsse bald kommen. Er ging einigemal ungeduldig um das kleine Haus herum; da kam endlich vom Nachbar her die Wärterin, in der Hand einen großen Wachskerzenstock, den sie geholt zu haben schien; sie schloß die Tür auf, sie tat einen Blick nach dem Bette und eilig zündete sie die Kerze an.

Aber die alte Frau schlief schon.

Sie hat noch sein liebes, schönes Gesicht gesehen, aber nichts von seiner bedenklichen Zerfahrenheit. Und kurze Zeit nachher sang man in der Gegend das Lied: »Mein Mütterl,« wozu der Karmer die Bemerkung tat: »Ich bin ein angesehener Mann, ich hab' brave Kinder, aber keines wird mir einen solchen Marbelstein (Marmorstein, Denkmal) auf das Grab setzen, wie dieser Weltvagabund seiner Mutter selig.«

Seither war der Student wieder lange Zeit verschollen gewesen, aber nicht vergessen. Seine Lieder lebten und manch' vornehme Kalesche fuhr in Schlehnfeld beim Postmeister vor und die Inhaber stiegen aus und erkundigten sich nach dem Geburtsorte des Dichters. Auf einmal war er selber wieder da und heimte sich in einem Wirtshause ein und schaffte sich ein Gewand an, wie es die Förster tragen und strich in Berg und Tal um und machte Bekanntschaft und Freundschaft mit allem, was ihm begegnete, war es Baum, Tier oder Mensch. Und wo es heiter herging, da holte man ihn herbei, den lustigen Studenten-Franz.

Sie hätten ihn immerhin gern den Vagabunden-Franz geheißen, aber der Wirt, bei dem er wohnte, brachte heraus, daß er den Namen Student doch nicht ganz umsonst trage. In seiner Stube lägen allerlei Bücher und Schriften herum – die Unordnung sei höllisch groß – und das Verdächtige wäre, daß er sich bisweilen einschließe und mit jemandem laut in einer fremden Sprache rede. – Letztlich hätte er, der Wirt, ihn einmal geradaus gefragt, wer denn so oft bei ihm drinnen sei? Hätte er, der Student, geantwortet: Der Homer. – Wird ein guter Bekannter von ihm sein. –

Also, und jetzt am Dreikönigstage, wollten ihn auf dem Kirchwege die Bauern einholen, aber es war ganz sonderbar, heute gesellte er sich nicht zu, und als sie ihm nahe kamen, schlug er einen Seitenweg ein. Sollte auch der Mücken in den Kopf kriegen? Dann wird ein schlechtes Jahr.

Auf dem Kirchplatze übergab der Postbote dem Karmer einen Brief. Vom Karl, dem Sohn und Feldwebel aus Ungarn? Nein, vom Steueramt. Der Bauer zahlt seine Steuern gern, ja er ist der einzige in der Gegend, der dem Steueramtsboten Trinkgeld gibt, weil solcher Bote ohnehin von anderen Seiten schmählich genug behandelt wird. Aber heute wäre ihm ein Brief von seinem Sohne lieber gewesen und hätte derselbe gleichwohl wieder eine Zehner-Banknote gekostet.

Es ereignete sich denn nichts an diesem Tage und am nächsten, was ihm den Humor wiedergebracht hätte. Mit dem Lichtl war er doppelt zart und liebevoll, aber das Lichtl wich ihm aus oder zeigte ihm ein schmollendes Gesichtchen, so daß die alte Thres den Finger hob und lispelte: »Wie kommst denn du mir neuzeit gegen deinen Vater vor? Lichtl, Lichtl, ich glaub', dir tut eine Lichtputzen not!«

Sei zum Lieben mir gegeben.

Am Morgen des Erharditages stand das Lichtl mit verweinten Augen auf, es wußte heute nicht, wohin sich wenden. Dem Vater konnte sie nicht in das Gesicht sehen. Sie wußte nichts von der Unruhe, die auch ihren Vater quälte. Sie kam sich verraten und verkauft vor. Die Mutter hielt es immer mit dem Vater, zu der durfte, wollte sie heute nicht gehen. Das ganze Mädchen, wie es jetzt dastand in seinem geschlossenen Hauskleide, mit seinen scharf geschlossenen Lippen und in der geschlossenen Kammer, war ein leibhaftiges Nein.

Es war noch nicht hoch am Tage, als der Kettenhund Fremde verkündete und an der Haustür wurden Männerstimmen vernehmbar. Das Lichtl hielt es jetzt im Stübchen nicht mehr aus; sie lief durch den finsteren Bodengang in die Kammer ihrer Großbase, der alten Thres.

»Du bist ja nicht gescheit,« sagte diese, »du läufst bigott um, wie ein verliebtes Ding! Nicht? Nu, was gehen dich denn nachher die Bidelleut (Brautwerber) an? Wirst gefragt, so trittst vor, bedankst dich für die Ehr', hättest gar nichts gegen den braven Soundso, wolltest aber aufrichtig sein und kurzweg sagen, dein Herz täte dir nichts weisen und ohne das könntest du nimmer in den heiligen Ehestand treten. Drauf machst du dein Beugerl und gehst weg.«

Im Vorboden ging der Hausjunge um und rief das Lichtl, es möge eilends zum Vater auf seine Stube kommen. Sagte das Mädchen: »In Gottesnamen, so gehe ich, in fünf Minuten ist alles vorbei!«

Liebes Lichtl! In fünf Minuten war alles ganz anders, aber nichts vorbei.

In der Stube bei ihrem Vater und ihrer Mutter stand der Postmeister von Schlehnfeld und der alte Student. Beide hatten schwarze Kleider an; der dicke Postmeister machte ein breites, lächelndes Gesicht, als das Mädchen eintrat, der Student stand ernsthaft da, sein Gesicht war braun und rauh, nur die hohe Stirne war weiß, von der die Haare rückwärts gingen, wie beim Herrn Christus. Der braune Vollbart zuckte ein wenig und sein Auge richtete sich so gutmütig und treuherzig auf das Angesicht der Jungfrau.

Der Karmer trat seiner Tochter entgegen und sagte: »Mein liebes Kind! Diese zwei Männer, die du wohl kennen wirst, sind deinetwegen gekommen. Der Herr Franz hält um deine Hand an.«

Das Lichtl stand da – unbeweglich und rot erglüht wie ein Flämmchen, wenn kein Lufthauch zieht. Der Franz hielt ja den Atem ein. Der Postmeister hatte das Seine bereits gesprochen, der Vater wartete auf ihre Antwort. Aber sie schaute vor sich hin und sah nichts und schwieg.

»Daß ich es bin, nicht wahr, daß ich es bin, du liebes Kind!« so rief jetzt der Student aus und hielt die Hände über der Brust gekreuzt, »ich, der Mann, der nichts ist, als ein leichtsinniger Singsang, der nichts hat, als ein froh Gemüt und – graue Haare im Bart. – Vierzig Jahre bin ich jetzt alt, aber zehn davon sind dein; ich habe dich, da du noch ein kleines, blondes Mädel warst, umwunden und mir verbunden in meinem Gedenken. Ich bin gegangen und habe nicht gefragt, was die Menschen meinen, nicht geschaut, ob die Sterne scheinen – du in mir und nur du allein! Singen und lieben, sonst kann ich nichts, o Jungfrau, komm', sei zum Lieben mein!«

»Ist schon recht, das ist schon recht,« beschwichtigte der Karmer den überquellenden Burschen, »ich glaube es, Franz, daß euch das Herz hat hergeführt, aber jetzund muß man wohl auch den Kopf was reden lassen. Ich frage nicht: Könnt Ihr eine Familie ernähren? Denn ich weiß Ihr könnt das und Ihr werdet es. Aber Eure Wege gehen weit herum in Land und Stadt, wird Euch meine Tochter folgen können? Sie ist ein Bauernkind. Sie ist ein Bauernkind und wird nicht denken können, was Ihr denkt, und wird nicht wollen können, was Ihr wollt. Sie wird unschuldig dran sein und Ihr werdet unschuldig sein und es kann doch ein Elend sein.«

Sagte der Postmeister: »Das ist alles überlegt worden. Er zieht mit seinem Weib in das Häuschen seiner Mutter, das ihm gehört, dort wird er arbeiten, wie sein Vater gearbeitet hat. Von der weiten Welt will er nichts mehr, er will daheim sein.«

Die Karmerin stand an der Ecke und tat nichts, als weinen.

Der Karmer nahm seine Tochter an der Hand und sagte: »Das Begehren hast du gehört, so gib deine Antwort.«

Sie fiel ihrem Vater um den Hals und schluchzte: »Ich kann's nicht glauben, daß es sein Ernst ist!«

»Haben schon gewonnen,« flüsterte der Postmeister dem Studenten zu.

Und nach wenigen Minuten hing das Lichtl nicht mehr an des Vaters, sondern an des Bräutigams Brust.

»Sind aber noch nicht fertig,« sagte der Karmer. Nun hatte auch die Mutter ihr Kind an sich gerissen und schluchzte: »Ich hab' gemeint, du einzige Tochter, du müßtest mein bleiben, bis ich die Augen werde schließen. Jetzt bist auf einmal weg –«

»Nein, Mutter, so mußt du nicht –«

»Das lass', das hilft alles nichts,« unterbrach sie der Vater, »du wirst uns lieb behalten, das weiß, ich. Aber gehören wirst du ihm und er dir und das wird immer wachsen, wachsen in dir, und endlich werden Vater und Mutter keinen Platz mehr haben. Es ist ja recht so, und wenn du mir's anders wolltest, ich könnt's nicht gut heißen. Du trittst aus deinem alten Kreis und gehst in einen neuen ein. Es segne dich der liebe Herrgott!«

»Und weil,« so begann jetzt der Postmeister wieder, »unser lieber Freund Franz glaubt, bei ihm wär's schon hohe Zeit, und es auch der gute Brauch ist, daß man, wenn's einmal angefangen, nicht allzu lang' herumzieht, so möchten wir es gleich der Hochzeit wegen besprechen.«

Wie da dem Lichtl zumute war! Ist meine liebe Leserin schon in deren Lage gewesen? Dann ist mein Beschreiben überflüssig, sie möge zurückdenken an die einzigste Stunde und – weinen. Hat sie es noch nicht erfahren, dann gelingt es dem Erzähler nimmer, ihr ein Gefühl zu schildern, so die junge, liebende Braut befällt, wenn das erstemal von der Hochzeit die Rede ist . . .

»Der Hochzeit wegen, meint ihr?« sagte der Karmer; »fürs erste setzen wir uns zu einem Glas Wein – man redet dann leichter.«

Und als das Haus erfuhr, es werde den Freiersleuten Wein aufgetragen, da schoß alles kichernd und flüsternd durcheinander und die alte Thres brummte: »So sind sie heutzutag', da zieren und sperren sie sich – und nehmen tun sie den ersten, der kommt!«

Wie hätte es die gute Alte wissen sollen, daß eben der Rechte kam? – Das Lichtl hatte doch viele Männer gesehen, junge und alte, die meisten sind artig mit ihr gewesen, manche sogar süß – aber in der Brust heiß geworden, ganz plötzlich heiß und unstet war ihr nur gewesen, wenn sie den alten Studenten gesehen hatte. Er schaute sie oft an, redete aber mit jeder anderen mehr, als mit ihr. Es gibt Männer, die mit Furchen auf der Stirne noch ein Kind sind, wenn sie die Liebe erfaßt. So einer war der Franz. Er dichtete allerlei von der Liebe, was ihn eigentlich gar nichts anging; er war der Mund eines Herzens, das so heiß ist, so gewaltig bebt in Lust und Schmerzen und – stumm ist. Er war der Mund des Volksherzens. Und wie es ihn nun selber erfaßte, da erging es ihm auch nicht besser, als anderen – er war stumm und konnte das Mädchen nur ansehen und träumen. Endlich wollten seine Pulse nicht mehr gleichmäßig schlagen – er mußte wissen, ob sie ihn liebhaben kann. Nun stand er aber – unverdient wie die meisten lustigen Gesellen – im Geruche der Flatterhaftigkeit; er fürchtete, das Lichtl würde ihm eine Liebeserklärung unter vier Augen nicht glauben wollen; sie sollte seinen Ernst sehen, und so ging er hin und warb um sie nach altem Brauch. – Was alles haben sie jetzt hinterher beredet.

– Man wollte den Leuten nicht viel Zeit zum üblichen Geschwätz lassen. Die Hochzeit wurde bestimmt als am dritten Sonntag nach der Verlobung.

»Und nun will ich noch was sagen,« sprach der Karmer und schob das Weinglas vor sich hin.

»Franz, Ihr wollt' in das Häusel Eurer Mutter ziehen und arbeiten wie Euer Vater? Seht, das ist schön, aber es taugt nicht. Die Sorgen kommen später, ich möchte Euch gern so lang' als möglich davor bewahren. Man wird sich arg verwundern, daß ein Mann, wie Ihr, die Tochter eines Großbauers bekommt. Ich, der Karmer, aber sage, ich bin stolz darauf, daß Ihr sie begehrt. – Franz, gebt mir Eure Hand. Ich halt' Euch in Ehren seit dem ersten Sang, den ich von Euch gehört hab' und seit ich Euch näher kenne, seit ich das Lied von Eurer Mutter weiß, hab' ich Euch lieb. Und wenn Ihr jetzt mein Sohn seid, so sollt Ihr wohl arbeiten im Weinberg, aber nicht wie der arme Winzer, Euer Vater selig – ich hab' ihn gut gekannt – sondern wie es der Herr Jesus meint – im Geist und mit dem Herzen. Ihr sollt Lieder machen und schöne Märchen und Geschichten, die das Herz erfreuen. Auch dazu muß wer auf der Welt sein und es sind doch so wenige. Ich habe gehört, Ihr tut noch gern mit Büchern um und schreibt was Neues. So wollte ich Euch doch in meinem Haus die zwei Stuben, die gegen den Baumgarten hinausgehen, herrichten lassen, daß Ihr arbeitet und studiert, wie es Euch zur Freude ist. Und ich möchte wissen, ob sich der Bauernhof nicht so gut seinen Dichter halten kann, als wie das Schloß und die Stadt!«

»Vater!« hatte der Franz hierauf gesagt. Sonst nichts.

Am nächsten Tage gingen sie alle miteinander zum Pfarrer von Schlehnfeld. Der Karmer war wieder in seiner gewohnten Fröhlichkeit und fast vornehm ging er in seiner stattlichen Gestalt neben dem »alten Studenten« daher. – Wo ist ein Mann weit und breit, der einen lustigen Stromer zu seinem Tochtermanne machen kann? Keiner kann's. Wo ist der Bauer, der einen Liedermann zu seinem Schwiegersohne kriegt? –

Und das Lichtl! Was das hell brannte und rein und still! Und der sonst so kecke, übermütige Franz, wie war er so zart und schüchtern und aufmerksam, und fast ehrerbietig gegen seine schöne Braut, als wäre sie keine Bauerndirne, sondern eine Prinzessin.

Als sie an den Pfarrhof kamen, schossen aus dem Tore zwei Menschen heraus und liefen, der eine rechts, der andere links, seitab.

Der Postmeister, der als Beistandszeuge mit unserem Pärchen war, konnte es nicht unterlassen, folgende Bemerkung zu tun: »Da gehen zwei hinein, die gern beisammen wären, und da sprangen zwei heraus, die gern auseinander wären.«

Der Färber und seine Frau waren es gewesen. Sie waren beim Pfarrherrn oben, um sich gegenseitig zu verleumden und die Ehescheidung zu erwirken. Der Pfarrherr hatte ihnen einen derben Strafsermon gehalten, die Scheidung rund abgeschlagen und als sie beide gegen ihn auf waren, ihnen die Türe gewiesen.

»Ist das ein Vorbedeuten?« fragte das Lichtl den Bräutigam etwas beklommen, als die verfahrenen Eheleute vor ihren Augen auseinandergestoben waren.

»Ja, gewiß, mein Kind,« antwortete Franz, »wenn schon das rostige Band so fest hält, an dem zwei Bestien nagen, wie der Hund an der Kette, wie muß erst das blanke goldene Band halten, an welchem jeder leichte Schaden allsogleich im Liebesfeuer wieder festgeschmiedet wird.«

»Du kannst alles so schön und gelehrt auslegen,« sagte sie, »ich kann mir's wohl immer denken, wie du's meinst, aber aufrichtig, Franz, aufs Wort verstehen kann ich dich nicht immer.«

»Dann machen wir's so! Das ist die Weltsprache, die jeder versteht.« Er gab ihr einen Kuß, gerade als sie durch das Tor in den Pfarrhof traten.

»Es zeigt sich alles gut,« sagte der Postmeister zum Karmer.

»Gott sei Dank!« antwortete dieser, »aber mir tut doch das Herz weh.«

* * *

Die Hochzeit war ganz, wie alle Bauernhochzeiten sind, so wollte es der Bräutigam. Er lud aber keinen seiner entfernten Freunde in der Stadt und auf Schlössern dazu ein, denn so Leute blasen und spreizen sich den guten Bauernsitten gegenüber allzugern auf, spötteln oder deuteln und verstehen doch nichts davon. Bei dem Gesundheittrinken, wo jeder mit dem Weinglase in der Hand sein Sprüchl zu sagen hat, legte der Franz seinen rechten Arm um den Nacken des Lichtl, so daß der grüne Kranz auf ihrem Haar seine Stirn berührte und lispelte zu ihr:

»Vier Viertel ist ein Ganz's,
Und ganz dein g'hört der Franz . . .«

Im warmen Nest.

»Es ist doch um das Lieben
Ein wonnigliches Ding fürwahr!
Man treibt und wird getrieben,
Wacht Narren und ist selber Narr.
– – – – – – – – – – – – – – – – – –
Das Suchen und das Finden,
Das Wenden und das Winden,
Das Bändigen und Binden –
Wem das nicht tief zu Herzen ging!
's ist doch ein wonnig Ding!«

So sang er damals.

In den ersten Monaten war sein Geist wie betäubt gewesen, »betäubt von frischem Erdengeruch des aufwirbelnden Lebens«. Dann kam allmählich die milde Ruhe und die Abklärung; er ging in den sonnigen Weiten um und dichtete, er weilte auf seiner heimlichen Stube und arbeitete. Er studierte und schrieb und der Karmer hütete seine Wohnung, daß kein Lärm und Unfrieden den Franz störe. Dem Hirten war verboten, die blökende und schellende Herde an den Fenstern des Schaffenden vorbeizutreiben; den Knechten war an den Feierabenden – als der Zeit, da Franz am liebsten arbeitete – nicht gestattet, sich im Baumgarten herumzubalgen. Dem Lichtl fiel es auf, warum der Fuhrmann nicht mehr mit der Peitsche knatterte, wie er das sonst so gerne und lustig getan hatte, und so kamen sie dahinter, daß ein Verbot darauf liege. Es wurde erst wieder anders, als Franz hoch und teuer versicherte, daß ihm bei Herdenschellen, Peitschenknallen und Knechtejodeln die Arbeiten, die er mache, viel besser gelängen, als in der Klosterstille.

Aber der Großbauer blieb in seiner Fürsorge, die Muse nicht zu verscheuchen, die eingegangen war unter sein Dach. Der Franz durfte sich weder kümmern um Küche und Keller, noch um ein anderes Nötige, so daß er einmal zum Karmer sagte: »Ich muß dir zu verstehen geben, Vater, daß man Dichter nicht zu mästen pflegt.«

Auf das entgegnete der Karmer, daß es auf der Bauernschaft nicht der Brauch wäre, ein Hausgeschöpf, sei es Mensch oder Tier, Hunger leiden zu lassen. Doch werde er seinen Hammel schon ausnützen. Hernach fragte er, ob es nicht erlaubt wäre, einmal zuzuhören, wenn er – der Franz – dem Lichtl die neuen G'schriften vorlese?

Wie freute sich Franz über diese Frage, und so saß denn der Bauer manchen Abend in der Stube seines Schwiegersohnes, und dieser las seine Studien und Schöpfungen vor. Dabei schaute denn der Vater unverwandt seiner Tochter ins Gesicht und nach ihren Mienen beurteilte er das Vorgelesene – lachte, wenn sie lächelte, war ernsthaft, wenn sie es war. Sie – die Frau dieses gelehrten Mannes – mußte seine Schriften wohl verstehen, und begriff er sie nicht, so war er eben dafür ein Bauer, und je weniger er ein Stück verstand, um so höher und gelehrter mußte es wohl sein, und um so mehr war er stolz auf seinen Mann. Bisweilen, so hoffte er, würde der alte Vagabund doch wieder ein lustiges Lied haben, oder eins, das zu Herzen geht. – Aber tatsächlich – der Vogel sang spärlicher, seit er bei Zucker und Brot so warm im Bauer saß.

Einmal fand das Lichtl auf dem Tische ihres Mannes ein angefangenes Lied:

»Mir tut das Herz so weh,
Wenn ich der Zeit gedenk' –«

Nichts weiter. Am nächsten Tage fehlte das Blatt.

Zur selben Zeit war es, als der junge Töpfer Hieronymus aus Schlehnfeld im Karmerhofe vorsprach. Er wendete sich vor der Haustür an den Bauer: Ob der Herr Franz daheim wäre?

»Was wollt Ihr denn von ihm!« fragte der Karmer, der den Schwiegersohn eben in seiner Arbeit wußte und ihn nicht stören lassen wollte.

»Wisset, Karmerhofer,« entgegnete der Töpfergeselle, »ich sag's nicht gern, aber – so ein Gedicht täte ich für wen brauchen und weil der Franz so schön allerlei zusammenreimen kann –«

Da unterbrach ihn der Bauer, was man denn glaube? Sein Herr Sohn arbeite nicht auf Bestellung, so wie Schuster und Schneider.

»Soll's ein Liebsg'sangel sein?« rief der Franz zum Fenster herab.

»Maria und Josef!« sagte der Töpfer, »da oben reckt er ja den Kopf herfür.«

Der Franz trillerte:

»So viel, als da Wörtl
Stehn auf dem Papier,
So viel han ich Seufzer tan,
Seufzer zu dir!

»Ist das recht?«

»Franzl, sing' weiter!« bat der Töpfergeselle.

»Und mehr, als is gflossen
Tinten aufs Papier
han ich Tränen vergossen.
Schware Tränen zu dir.

Und wollt ich dir sagen,
Was ich Tag und Nacht denk,
hätt ich Seufzer und Tränen
Und Tinten viel z'weng.«

»Das brauch' ich, das kann ich schon brauchen!« jubelte der Töpfergeselle, »zuck' (höre) nur nicht auf!«

»Und wollt ich dir klagen
All mein Lieb und mein Leid,
Siebn Ellen wurd er lang, der Brief,
Siebn wurd er breit!

Und so bschließ ich mein Schreiben
Und petschier's mit ein Kuß,
Und es wird dir treu bleiben
Dein Hieronymus.«

Der Töpfer war entzückt. Also gar auf seinen Namen lautete das Gedicht. Auf ein Blatt geschrieben trug er es nach Hause, um es sofort an die richtige Adresse zu befördern. Und zwei Wochen später war der Franz Besitzer eines kunstreichen Kruges mit weißer Glasur, zwei roten Herzen und den zierlich geschriebenen Worten: »Dem Herrn Dichter.« Aus diesem Kruge trank Franz manches neue Lied, denn es kam eine Zeit, da er zu frohem Sange von außen hinein begeistert werden mußte.

Als der Frühherbst da war, die schönste Zeit des Wanderns, wurde der alte Vagabund in seinem friedlichen Daheim von Tag zu Tag unruhiger.

Schon früher hatte er dem Lichtl öfters von seinen alten Freunden und Studiengenossen erzählt, die draußen in Städten oder Märkten, oder auf Landgütern und Schlössern wohnten und daß manche unter ihnen ihn mit seiner jungen Frau auf einen Besuch eingeladen hätten. Das Lichtl hatte stets dafür gedankt, sie sei nicht für so weite Reisen, auch könne sie sich zu den Herren nicht schicken und ihr sei es am liebsten daheim. Auch der Karmer hatte geraten, der Franz möge für dieses Jahr sich daheim ausruhen und wohl sein lassen, und wenn er gerade einen besonders lieben Bekannten habe, so sei er jetzt ja in der Lage, ihn zu sich einzuladen, ihm, dem Karmer, würde jeder bescheidene Gast willkommen sein. Und der goldherzige Mann verdoppelte seine Güte und Aufmerksamkeit; auch der mittlerweile auf Urlaub heimgekehrte Sohn des Bauers gewann seinen Schwager bald lieb und erwies ihm allerlei Artiges. Es waren lauter warme Herzen, die den Vagabunden-Franz umgaben.

Das Gesinde des Hofes hatte aber seine besonderen Ansichten: So was würde man nicht bald wieder finden, wie diesen Franz, zuhalb Stadtherr, zuhalb Bettelmann – arbeitet nichts und lebt wie ein Prinz.

»Dennoch kommt er mir nicht mehr so lustig vor, wie voreh,« bemerkte eine der Mägde. –

Und eines Abends legte der Franz seinen Arm um das Weib und sagte: »Lichtl, ich mag nicht mehr.«

Sie schwieg, er auch. Nach einer Weile sagte er: »Lichtl, ich muß – ich muß fort. Da wird mein Blut zu Blei, des Hauses Umfriedung zu Ketten, ich möcht' schreien einen Schrei, daß sie kommen und mich retten!«

»Jeß, Maria, Mann, was hast du für Gedanken?« fuhr das Lichtl auf. Er sah sie überrascht an: »Gedanken? Hab' ich laut gedacht? Dann war's ein Gedicht.«

»Franz,« bat sie, »sei aufrichtig mit mir, du hast was auf dem Herzen!«

Er starrte auf den Tisch hin, seine hohe Stirne wurde rot, ein zuckendes Rot, sein rückwärts wallendes Haar zitterte.

»Ja!« rief er, »ich will fort, ich muß fort, aber du mußt mit mir. Wir besuchen meinen lieben, alten Freund Berger in der Arch, er hat dort ein Landgut, er hat mich schon so lange und so fein eingeladen. Das ist ein prächtiger, alter Junge, er wird dir gefallen. Und wir besuchen endlich einmal den wackeren Edelknaben, den Grafen auf Stoßberg – ich bin bei ihm wie daheim. Vor dem brauchst du dich nicht zu fürchten, das ist ein Ritter vom Fuß bis zum Kopf, der weiß nichts von bürgerlich und adelig, ist ein alter Student geblieben, und der am besten zecht und pürscht und dabei ein ehrlicher Kerl ist, der ist sein Freund. O, was freue ich mich, dich endlich wieder zu umarmen, du gutes, altes Haus!«

Das Lichtl sagte nichts. Und am anderen Tage teilten sie es dem Vater mit, sie wollten eine Reise tun.

»Mein lieber Vagabund,« sagte der Karmer ernsthaft und hielt den Franz an der Hand, »ich laß euch ohne Sorgen fort, ich will mir denken, es ist die Hochzeitsreise. Aber gib acht, daß dich der Vagabundenteufel nicht packt, er kennt dich allzugut. Zu einzeln tanzt sich's lustig hin, und du, der Heimatlose, warst überall daheim, wo sie dein Wort verstanden haben. Aber zu zweien ginge jeder Schritt ins Blaue hinein dem Unguten zu. Ich wollt's nicht erleben, meine lieben Kinder, daß ihr einmal in jenen Zustand zurückkämet, in welchem eins von euch schon einmal heimgekehrt ist. Ich will jetzt nicht sagen: Franz, leg' ab und bleibe; ich kann mir's denken, wie dir's ums Weite ist. Ich will auch nicht sagen: Laß dein Weib daheim; sie soll mit dir auf alle Wege, und wär's ins Elend; Mann und Weib gehören zusammen, wie der Doppelkern in einer Nuß. – Jetzt zählen wir Maria Geburt; bis zu Michelli, verhoff' ich, halten wir zusammen das Erntemahl.«

Neues Vagabundenleben.

»Gott sei Lob und sei Dank,
Ich bin frei, ich bin frank!«

So jauchzte er auf, der Vagabunden-Franz, als er auf der Straße hinter Schlehnfeld dahinstapfte.

Neben ihm ging sein Lichtl. Sie war still. Ihr taten schon die Schuhe weh, aber sie wollte es ihm nicht sagen, sie wollte seine Lust nicht verderben, und die Schuhe hatten eigentlich noch gar kein Recht zu drücken, waren sie doch erst eine Stunde gegangen.

Sie wird später ja fahren, aber er läßt sich das freie echte Wandern nicht nehmen. Das Ranzel am Rücken, den Stock in der Hand und

Funklnagelneue Stiefel,
Die Taschen voll Geld,
Und mei Vater hat gsagt:
Bua, jetzt betracht d Welt!

Das Weib war bald glücklich auf einen Wagen gebracht. »Zu Lehmdorf, Lichtl, steigst aus, beim Fuchsenwirt wartest auf mich.«

»Will's schon halten. Übergeh' dich nicht, Franz!«

Der Wagen rollte davon, der Vagabund pfiff und sang und trat mit den Füßen den Takt dazu.

»A Lebn voller Freuden
Führ ich auf der Welt,
Mein Zimmer is d Leiten,
Mein Haus s weite Feld.

Meine Wänd, meine Fenster
Sein die Bäum grün und frisch,
Stein und Stock meine Stühl,
Meine Knie sein mein Tisch.

Auf dem les ich und los ich,
Drauf iß ich und schreib,
Drauf hutschad (schauktelte) ich die Kinder,
Wann ich s hätt, zsamt dem Weib.

Da Wind is mein Knecht,
Fleißig schon, aber dumm,
Er blattelt wohl um,
Aber selten is s recht.

Meine Köchin, d Frau Sunn,
Dient mir treu ohne Lohn,
Und mein Kellner, der Brunn,
Nimmt kein Trinkgeld nit on.

Linde Waserl, feine Graserl,
Zum Liegn findt ich gnua,
A gsunds Fell über d Seel,
Mit dem hüll ich mich zua.

Statt n Spanlicht brenn ich Mondlicht,
Statt n Kerznlicht Stern!
Bin begierig, wann ich stirb,
Was s mir anzündn wern.

Wer möcht sich drum kümmern
Und wunderli sein,
So Heilign, wie ich
Gebn selten an Schein!«

Solche Lieder sprudelten jetzt aus ihm hervor – ein Quell aus dem Felsen, den ein Moses mit dem Wanderstab berührt hat. So ging es nun fort tagelang – sein Lichtl teils zu Wagen, teils zu Fuß – bis sie endlich die Arch erreichten, wo der alte Jugendfreund Berger sein Landgut hatte.

Als sie dem stattlichen Hause nahten, sah Franz seinen Freund schon am Fenster stehen, er winkte mit der Hand hinauf: »Grüß' dich, grüß' dich, alter Freund, wir sind da!« Doch jener war vom Fenster zurückgetreten und hatte es nicht gesehen, nicht gehört. Sie gingen in das Haus, ein Diener trat ihnen in den Weg, was sie begehrten?

»Melden ist nicht nötig, wir gehen zum Hausherrn.«

»Ich darf Fremde nicht vorlassen.«

»So sagt, der Vagabunden-Franzl ist da – und mit ihr.« –

»Jetzt paß auf,« schmunzelte der Franz zu seinem Weib, »der wird eine Freud' haben!«

Der Diener kam zurück und sagte: »Der Herr ist nicht zu Hause.«

»Aber ich sah ihn ja vorhin am Fenster.«

»So wird er seither ausgegangen sein.«

»Das ist nicht möglich, wir hätten uns an der Tür treffen müssen.«

»Wenn ich sage: er ist nicht zu Hause, so ist er nicht zu Hause. Adieu!«

Da schlichen sie davon und der Franz war kleinlaut. Das Lichtl wollte ihm seine Vertrauensseligkeit verweisen, aber er dauerte sie und da hub sie an und zog höllisch gegen diesen Herrn Berger los, der seinen besten Freund ins Haus lade, um sich vor ihm verleugnen und ihm die Tür weisen zu lassen.

»Nein,« meinte der Franz, »so ist er nicht, er wird mich nicht erkannt haben, er mag wirklich durch eine Hintertür davongegangen sein in die Wirtschaftsgebäude, auf die Äcker, mein Gott, so ein Mann hat auch seine Geschäfte und Sorgen. Gib acht, Lichtl, er reitet uns nach oder holt uns mit dem Wagen ein – denke dir den Spaß!«

Aber der Herr Gutsbesitzer kam weder geritten noch gefahren, sie kehrten in einer Schenke ein und es war von ihm weiter nicht mehr die Rede.

Auf derselben Straße begegnete ihnen aber ein Bekannter aus Schlehnfeld – der Färber. Er reiste in die Stadt und machte ein gar fröhlich Gesicht. So fröhlich, als ob er zur Hochzeit ginge. Er ging zur Ehescheidung. Der Prozeß war gewonnen. Zur Scheidung war endlich ein Grund gefunden worden.

Als der Vagabund mit seinem geduldigen Weibe in den Marktflecken Menberg kam, erinnerte er sich, daß in Menberg sein alter Freund, der Meister Peter lebe. »Lichtl, den müssen wir aufsuchen. Weltewig wäre mir der böse, wenn er erführe, daß wir in Menberg waren, ohne ihn zu besuchen. Meister Peter ist ein berühmter Maler; Kind, ich sage dir, der läßt dich nicht fort, dem mußt du sitzen. Wenn du nur erst die wunderprächtigen Bilder von seinen Frauen siehst!«

»Hat er mehrere Frauen gehabt?«

»Er hat sie noch. Ja, da wirst du lachen. Er lebt mit zwei Frauen.«

Man kann sich das Entsetzen des Bauernweibes denken.

»Zwei auf einmal! Und ist es denn möglich, daß er beide gern hat?«

»Er hat gar keine gern. Aber er laßt sich gern haben. Die eine ist gescheit, die braucht er zum Diskurieren, die andere ist schön, die braucht er zum Malen.«

»Du hast saubere Freunde, Franz,« sagte sie.

»Wie sie Gott gibt.«

»Na, zu so einem gehe ich nicht mit!«

Es kam auch nicht dazu. Als sie am Friedhofe vorbei in den Marktflecken einwanderten, begegneten ihnen die zwei Frauen des Meisters Peter; jede hatte ein schwarzes Kleid an, jede trug am Arm einen grünen Kranz mit zinnoberrotem Band. Der Peter war gestorben. Der Franz ging mit auf den Friedhof. Diese zwei Frauen, sonst so bissig aufeinander, feindselig, fortweg lauernd und sich überlistend und tastend, wie zwei Katzen um eine Maus – sie gingen jetzt friedfertig, teilnehmend nebeneinander her wie zwei Schwestern. Als sie ihre Kränze auf das Grab legten, lehnten sie sich aneinander und waren einig um den Toten, wie sie um den Lebenden uneinig gewesen waren.

»Tröst' uns, Franz, tröst' uns,« schluchzte die eine.

Hierauf sagte der Franz:

»Freud und Leid hat alls sein Zeit.
Wie s kommt, so gehts und keins verstehts,
Aufs Hirn kannst hämmern, ans Herz kannst schlagen,
Das gescheidest is: geduldig tragen.«

Unvorsichtig mit dem Lichtl!

Die Reise wurde von Tag zu Tag beschwerlicher. Beide hatten sonnenverbrannte Gesichter, beide hatten wunde Füße und an Franzens Kleidern wären allerlei vagabundenmäßige Schäden bemerkbar geworden, wenn sie das Lichtl unter Baumschatten oder in verschwiegenen Schlafkammern nicht sorgfältig ausgebessert hätte.

Das Lichtl schlug vor, umzukehren, aber der Franz bat sie, sie möge ihm die Freude gewähren, den alten, treuen Busenfreund aus Stoßberg wiederzusehen. Sie waren doch kaum mehr eine Tagereise von der alten Grafenburg entfernt. Das Lichtl gab sich drein und machte den Gatten nur noch aufmerksam, daß die Reisekasse der Erschöpfung nahe sei.

»O, du gutes Kind!« rief der Franz, »das laß dir keine Sorge sein; überall, wo ich meinen Namen nenne, finden wir ein gedecktes Tischlein.«

Einmal wurden sie von einem Landwächter angehalten und um den Paß befragt. Das Lichtl schämte sich halb zu Tode – wie mußten sie schon aussehen, daß in einer so ruhigen Zeit, in einer so sicheren Gegend eine solche Frage frei war! Aber der Franz sagte: »Seit wann haben denn Vagabunden einen Paß? Na, schaut mich nur einmal recht an.«

»Ich kenn' Euch nicht,« brummte der Landwächter.

Da begann der Franz zu trillern:

»Alleweil keuzlusti
Und trauri gar nia,
Ih steh da, wia da Kerschbam
In ewiger Blüa!«

»Der Franzl, der Franzl!« rief der Landwächter aus, »dich kennt man wie den Vogel am Singen; aber so fein beieinander bist jetzt, daß du völlig fremd ausschaust.«

»Aha, hierzuland' hält der Landwächter nur die feinen Leut' an.«

»Na, ist schon gut, Franz, du brauchst keinen Paß, bist ja, wie das schlecht' Geld, überall bekannt. Wer ist denn die da?«

»Dem schlechten Geld sein Weibel.«

Er ließ sie wandern.

»Franz,« sagte das Lichtl und weinte in ihr Sacktuch, »ich komm' mir vor, wie eine verlorene Seel'.«

»Laß Zeit, bis wir beim Grafen sind,« tröstete er sie, »dort rasten wir aus, lassen uns gut geschehen, so lang's uns freut.«

Und am selbigen Abend kamen sie auf Stoßberg an. Der Graf hatte Gäste, die schon zu den Herbstjagden angekommen waren, es ging lebhaft zu im Schloßhof, und Mensch und Hund trollte sich lustig durcheinander. Der Graf war ein Mann »in den besten Jahren«, diese besten Jahre währen bei Herren seinesgleichen, bis das Zipperlein kommt. Edelmann, Weltmann, Lebemann, diese drei Männer hatte der Graf Stoßberg unter seinem Hütl beisammen.

Er empfing den Franz sehr höflich und zuvorkommend, stellte ihn den Gästen als den »Liederdichter Franz von Schlehnfeld« vor; mancher trat auf ihn zu, um ihm verbindliche Worte zu sagen; er schlug seinen gemütlichen Ton an, es mochte aber keiner recht darauf eingehen. Der Graf wollte mit dem vor Verlegenheit überaus ungeschickten Lichtl ein kleines Gespräch anfangen, versuchte es in schäkerndem Tone, war gar freundlich und herablassend und sagte ihr allerlei Artiges, aber sie knüpfte fortwährend an ihrem Handbündel und tat, als wäre der Knoten an diesem Bündel die Hauptsache auf der Welt.

Dann wurden sie bewirtet, aber nicht mit den anderen Herrschaften, sondern im Gesindehaus. Der Franz machte sich Hoffnung auf einen fröhlichen Abend und bereitete in sich schon allerlei Schwänke und Schnaken vor, womit er die Gesellschaft zu unterhalten gedachte. Da kam ein Diener und brachte die Nachricht, daß der Herr Graf meine, die zwei Leutchen möchten von dem weiten Wege müde sein und so würde ihnen unten in der Hube eine Nachtherberge angewiesen werden.

Ein halbes Stündchen später kauerten der Franz und sein Lichtl in einer Scheunenkammer des Bauernhauses, das am Fuße des Schloßberges stand und die Hube geheißen war. Die Kammer duftete nach frischem Stroh, das an einer Wand aufgeschichtet war; auch die Liegerstätten bestanden aus Stroh, das mit Leinwand überzogen worden. Franz war verstimmt über diesen Empfang beim Grafen, aber als er sich zur Rast legte, sagte er: »Das Bett ist nicht schlecht.«

»Mein's daheim im Karmerhof wäre mir lieber,« bemerkte das Lichtl.

»Weil dir nichts recht ist!« fuhr er jetzt plötzlich gegen sie auf. »Weil du auf der Reise Ansprüche machst, als wie eine Fürstentochter und meinst, der Graf müßt' uns mit Musik ins Schloß geleiten lassen und in seinem Rittersaal unsertwegen eine Mahlzeit geben und was weiß ich für Sachen!«

»Das magst wohl du erwartet haben, Franz, ich nicht,« so antwortete sie und barg ihr Gesicht in das Kissen.

Als es schon finster und still war im ganzen Hause und draußen nur der Bach rauschte, wurde der Franz erst inne, daß er seinen Zorn gegen den Grafen an einer ganz Unschuldigen ausgelassen habe. Er legte seine Hand zu ihr hinüber und sagte: »Gute Nacht, Lichtl, morgen reisen wir heim zu.«

Sie erwiderte warmherzig das Gute Nacht – dann schliefen sie ein.

Am andern Morgen, als sie sich hastig zur Abreise rüsteten, kam vom Schlosse herab wieder der Diener: »Der Herr Graf läßt sagen, wenn der Vagabund gut ausgeschlafen hätte, so solle er sich aufmachen und mit auf die Jagd gehen.«

»Siehst du!« jubelte der Franz zu seinem Weibe, »das ist mein Graf, das gemütliche, alte Haus! Oh, er kommt auch noch darauf, daß wir Duzbrüder sind. Ja, versteht sich, daß ich dabei bin. Ich laß dem Herrn Grafen einen guten Morgen sagen und eine gute Stund', einen guten Anblick und einen guten Hund, ein gutes Pulver und ein gutes Blei. Ich komme glei'.« –

Der Franz war über das Lebenszeichen seines alten Freundes in hellen Freuden.

»Was nur ich dieweilen anfangen werde?« meinte das Lichtl.

»Dir wird die Zeit zu kurz. Du schaust dir die Schießstatt an und die Kugelbahn; findest auch nicht bald eine, wie die da oben. Wirst an der Wand einen aufgeschrieben sehen, der vor sieben Jahren am Jakobitag alle Neune schob! Kennst ihn gut, denselbigen! Nachher laßt dir im Schloß die schönen Zimmer zeigen.«

»Nicht einen Schritt ins Schloß!« rief das Lichtl, »ich pfeif' auf dem seine Zimmer!«

»Wirst dich schon unterhalten, behüte dich Gott, Schatz!« Verließ sie und ging mit den Jägern.

Es ging lustig zu auf der Jagd, obschon der Jagdherr wegen Unpäßlichkeit nicht dabei war. Der Franz schoß nichts, machte aber ein paar Weidmannslieder, die man im Lager bei Wein und Branntwein nach bekannten Arien sang, wo man den »ewig jungen Sohn in Apollo und Weltvagabunden« mit rasendem Geschrei »leben« ließ. Schade nur, daß es so nicht dauern wollte; bald zerstreuten sich die Jäger wieder im Gebirge und der Franz wollte nicht begreifen, wie ihnen die Tierhetze besser gefallen konnte, als Wein und Gesang. Ganz allein lag er nun im Waldschatten da und so blieb er liegen und schaute zwischen den Tannen in den blauen Himmel hinein.

»Urgroß ist Waldesruh'!«

Ganz allein kehrte er im Abenddunkel ins Tal zurück. Das lag im roten Scheine. Am Fuße des Schloßbergs brannte das Haus. Es brannte lichterloh und die Rauchwirbel umhüllten das stolze Stoßberg. Mit Löschen befaßte sich niemand, es war zu spät.

Die Leute umstanden ein Weib, das an einem Steine kauerte. Bei dem Scheine des Brandes erkannte der Franz sein Lichtl.

Er fuhr drein: was hier vorgehe?

»Sie hat die Huben angezündet!« riefen mehrere Stimmen.

»Das ist erlogen!« schrie der Franz.

»Mein lieber Mann,« rief das Lichtl, »es ist wahr.«

»Hinweg da!« schrie er und öffnete sich mit seinen Ellbogen eine Gasse zu ihr. Er hob sie vom feuchten Boden auf, sie schrie vor Herzleid.

»Sei still, sei still,« beruhigte er sie, »es ist aus Unvorsicht geschehen.«

»O nein,« sagte sie, »ich hab's mit Fleiß getan.«

»Lichtl! Bist du wahnsinnig geworden?«

»Ich will dir wohl alles sagen, Franz!«

Und dann hat sie ihm was gesagt. »Wie es finster wird, sitz' ich in der Kammer beim Kerzenlicht und ist mir, als wärest du in einer Gefahr und als sollt' ich was beten. Auf einmal geht die Tür auf und ein Mann steht vor mir, hat eine Larve an. Ich spring auf und frag' ihn, was er will. Steht nicht lang' an, so weiß ich's. Wer hilft mir? Das Schreien ist umsonst. – Da kommt mir der Gedanke: das Feuer muß mir helfen, lieber verbrennen! Ich fahr' mit der Kerze ins Stroh. – Er springt hinaus, ich lauf' auch davon. – Da hast du mich noch einmal, Franz, aber verlaß mich nimmer!«

Ehe vom Hause die letzten Brände einfielen, kam vom Schlosse herab der Befehl: Für den Brand sei niemand verantwortlich zu machen, aber der Landstreicher möge mit seinem Weibe sofort die Gegend verlassen.

Jetzt hat der Franz aufgelacht – aber so seltsam aufgelacht, daß es war, wie ein gewaltiges Lied. Er nahm das Weib an seine Seiten – dann gingen sie heim.

Zerfahren und erschöpft kamen sie nach Tagen von dem Besuche bei ihren »lieben Freunden« nach Schlehnfeld zurück.

»Nu, wie ist's ergangen?« fragte der Karmer, seine Kinder mit offenen Armen empfangend, »seid wohl überall recht gut aufgenommen worden?«

Da faßte der Franz den Schwiegervater bei der Hand: »Jetzt hab' ich wieder ein neues Liedl:

»Viel g'habt habn und nix mehr,
Das nimmt den Mut;
Viel gwest sein und nix mehr,
Wie weh das tut!

Und noch eins:

Die Heimat und d'Herzen
Reißt nix auseinand,
Ih bau' mir mein' Himmel
Daheim in mein' Land!«

Jetzt ging's.

In der unteren Schlehn gab's eine Neuigkeit. Die Färbersleute lassen sich nicht scheiden, sie bleiben beisammen.

Es war endlich durchgesetzt, die Scheidung konnte von beiden Teilen verlangt und vollzogen werden. Aber der Prozeß hatte das Vermögen der beiden Teile verschlungen. Und nun sie arm waren, wußte eines oder das andere nichts Rechtes zu beginnen; sie bedurfte eines tüchtigen Arbeiters, er bedurfte einer häuslichen Wirtin – so blieben sie beisammen. Um das Ding aufzuputzen, sagten sie: sie hätten in Glück und Freud' beisammen gelebt, so wollten sie sich in der Not nicht verlassen.

Jetzt hatten sie andere Sorgen, als ihre Ehe, jetzt ging's. Sie wußten es nun selbst nicht mehr zu sagen, welcher Teufel sie denn eigentlich geritten hatte. Sie hätten ja gewiß gerne zusammenbleiben wollen, aber zusammenbleiben müssen, das war für zwei Trotzköpfe eine zu harte Sach'.

Und unsere lieben Vagabundenleut'? Sie wollten, als der junge Karmer das Gut übernahm, in ihr Winzerhäuschen ziehen, aber im Karmerhofe ließ man sie nicht fort. »Schwalben, Dichter und Störche sind für das Haus allzeit ein Segen!« sagte der alte Karmer und der junge widersprach nicht.

Im nächsten Frühjahre mit den Schwalben kam vom Landesfürsten eine goldene Ehrenmünze für den Sänger Franz von Schlehnfeld; im nächsten Herbste kam der Storch.

Da saß die junge Mutter mit dem Kind an der Brust und da neigte der Franz sich nieder, schlang den Arm um sie und – blieb stumm.

Es gibt kein Wort, es gibt kein Lied dafür.



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