Peter Rosegger
Sonnenschein
Peter Rosegger

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Zwei, die sich nicht mögen

Eines Sonntags nach dem Gottesdienst war's, da klopfte es sehr höflich an der Stubentür des alten Herrn Pfarrers von Großhöfen.

»Herein!« rief der Pfarrer. Es ist erfreulich, daß er trotz seines schneeweißen Haupthaares noch die frische Stimme hat. Was draußen war, ging aber nicht herein, sondern klopfte noch einmal. Wenn man bittweise kommt, kann man nicht höflich genug sein.

»Ist ja offen!« schreit der Pfarrer. Da geht endlich die Tür auf und ein gut untersetzter, kerngesunder Bauernbursche windet sich schwerfällig herein und lacht gutmütig auf den Pfarrer her.

»Ei schau,« sagt dieser und rückt sich auf seinem Ledersessel zurecht, »der junge Vetter läßt sich einmal ansehen.«

Der junge Vetter hebt ein wenig die Hand gegen den Kopf, läßt sie aber auf halbem Wege stehen. Er weiß nicht recht, ob man vor dem Pfarrer, auch wenn er Oheim ist, den Hut abnehmen soll. Der geistliche Herr ist nämlich der Bruder seines Vaters, und vor solchen Blutsfreunden – kurz, der Bursche weiß nicht, was sich schickt, will aber doch auch nichts Unschicksames machen und –

»Nur herab mit dem Hut, Franzl,« sagt der Pfarrer lachend, »genier' dich nicht. – Noch alleweil wachsen tust.«

Der Franzl bleibt mitten in der Stube stehen und lacht immer noch so her. Der Hut wäre glücklich herunten, jetzt aber weiß er nicht, soll er ihn in den Händen halten oder sonst wo hintun, heut' scheniert er sich so viel.

»Wie geht's, wie steht's, Franzl?« fragt der Pfarrer.

Der Bursche hat noch nicht ein einziges Wort gesagt, es ist also die höchste Zeit, daß er etwas Passendes spricht.

»Ei Teuxel,« sagt er, »wie wird's gehen? Beim bessern Ort nix nutz.«

»Oho! Wenn einmal ein junger Bursche so klagt! Und der einzige Ebenholzersohn obendrein, der mit zwei Rössern in die Kirche fährt.«

»Kunnt wohl sein,« meint der Franzl, setzt sich auf eine Bank und trifft Anstalten, seine Tabakspfeife in Brand zu tun, aus lauter Verlegenheit. Die beinerne Rohrspitze zwischen den Zähnen, mit zwei Fingern aus der halb übergestülpten Tabaksblase die Pfeife stopfend, sagt er: »Ist halt eine zuwidere Sach' das, jetzt für mich.«

»Haben sie dich etwa gar zu den Soldaten genommen?«

»Das nit. Ich habe Plattfüß', hat der Feldscher gesagt. Aber mein Vater hat mir jetzt die Wirtschaft übergeben.«

»Das wird dich doch nicht kränken!« ruft der Pfarrer.

»Das just nit. Aber haben muß ich wen. Und desweg ist's zuwider. Beweiben soll ich mich jetzt.«

Der alte Herr lugt den Burschen an. »Solches wird wohl kein Unglück sein,« sagt er dann.

»Kein Unglück just nit,« meint der Franzl.

»Und Sorgen wird's dir auch nit viel machen.«

»Wohl, wohl!« sagt der Bursche und nebelt Rauch aus.

»Franzl,« spricht der alte Herr, »geh', tu' mir den Gefallen und leg' den Stinktiegel weg.«

»Mag der Herr Vetter leicht das Rauchen nit leiden?« fragt der Bursche und nebelt weiter.

»Ist mir lieber, wenn du's bleiben läßt in der Stube.«

»Das kann ich eh' tun,« sagt der Franzl gutmütig und legt die Pfeife auf das nebenstehende Betpult.

»Wollen dafür eins schnupfen miteinand,« sagt der Pfarrer und reicht die Dose her.

»Wann ich Verlaub han,« sagt der Franzl, macht aus den zwei Fingern kunstgerecht ein Zänglein, taucht ein und steckt sich die Nüstern an.

»Und jetzt erzähle mir halt deine Schmerzen, Franzl,« lenkt der Pfarrer ein, »und wesweg dir das Heiraten zuwider ist.«

»Zuwider sonst nit,« gesteht der Franzl, »sein tut's halt so – ah – ah – ah zih!«

»Helf Gott!« sagt der Pfarrer. Es muß aber was passiert sein, der Franzl wird feuerrot.

»Mach' dir nichts draus,« tröstet der alte Herr, »ist halt eine Hosennaht gesprungen. – Na halt, wenn schon, denn schon! sagt der Preußenkönig. Frisch anpacken!«

»Ich weiß mir frei keine,« meint der Franzl und fährt sich mit dem roten Sacktuch über das Gesicht, »Wenn halt der Herr Vetter eine tät wissen.«

»Ich? Für dich? Na hörst, Junge! Ich werde sie dir anbinden, aber suchen mußt du sie selber. Es gibt ihrer mehr als genug.«

»Das ist eben der Teuxel,« meint der Franzl, »daß ihrer so viele sind. Wär' nur eine, da tät' mir keine Wahl weh'.«

»Besinne dich einmal,« riet der alte Herr, »eine wird dir doch lieber sein als die anderen.«

»Wird mir ziemlich Wurscht sein. Wenn mich der Herr Vetter wollt' fragen, die, welche ich am wenigsten mag – da kunnt ich Antwort geben.«

»Und welche ist denn dieselbe?«

»Die Haubruggerische ist's!« ruft der Franzl und wird neuerdings rot im Gesicht.

»Und weswegen wolltest du gerade diese nicht? Ist ja ein kreuzbraves, arbeitsames Dirndl. Haben tut sie auch was.«

»Aber der Stolz! Herr Pfarrer! Eine Schmalzgräfin kunnt sie sein, so stolz! Soll sich in ein Glaskastel einfassen lassen. Freilich auf den Altar dürft' man so ein Frauenbild nit stellen, die tät' keinen Menschen erhören bei der Maiandacht.«

»Wie kommst denn jetzt auf die Maiandacht!« fragt der Pfarrer. »Franzl, du mußt über die Haubruggerische schon höllisch gekränkt sein. Hast gewiß schon eine Wallfahrt zu ihr gemacht und hast unerhört wieder fortmüssen. Hab' ich's erraten?«

Der Bursche nimmt sein Pfeifenzeug in die Hand', schraubt an dem Rohr, als wäre es nicht fest genug im Tiegel, legt es wieder hin und murmelt: »Wird nit weit gefehlt sein.«

»Schön,« sagt der Pfarrer, »da hätten wir sie schon.«

»Ich nit, ich,« meinte der Franzl, »ich sag' nichts mehr zu ihr. Werd' mich nit noch einmal abtrumpfen lassen. Von der Haubruggerischen Prinzessin da.« Darauf nimmt er seinen Hut, schaut ihn über und über an, auch inwendig, wie es mit dem Futter steht und sagt: »Hätt' halt ein großes Gebitt.« Dabei macht er ein Auge zu und mit dem anderen zwinkert er.

»Hast dir dein Blinzeln noch nicht abgewöhnt!« lacht der alte Herr. »Dein Vater hat's auch gehabt. Alleweil ein Aug' zudrücken! Erspar' dir das, bis du ein Weib hast. – Also was denn, Franzl, was denn?«

»Zum Herrn Vetter kommen allerhand so Weibsbilder. Wenn er mir halt eine tät' aussuchen.«

Der Pfarrer schaut so eine Weile auf den Burschen hin, klopft dann auf die Dose, nimmt eine Prise und spricht: »Du bist mir ein sauberer Held, du!«

»Sonst laß ich's gar sein,« sagt der Franzl und steht auf. »Ich kann die alte Thresel-Muhm auch nehmen zum Wirtschaften. Ich brauch' kein Weib.«

»Nur nicht gleich so verzagt! Ich will sehen, was sich machen läßt.« So der Pfarrer.

»Bitt' gar schön,« sagt der Bursche und preßt zwischen den zwei Fäusten, die ein Händefalten zur Not andeuten wollen, den Hut zusammen.

»Ja, ja, geh' nur!« versetzt der Pfarrer, dem Neffen auf die Achsel klopfend.

Ob er bald nachfragen kommen dürfe? will der Bursche noch wissen, dann windet er sich täppisch zur Tür hinaus.

* * *

Einige Tage später, als der alte, würdige Pfarrer über den Kirchplatz geht und die Dorfdirndln zutraulich herbeikommen und ihm die Hand küssen, faßt er die Haubruggerische, die Hannerl, so ein wenig am Kinn und sagt: »Schau, du läßt dich auch nicht mehr sehen im Pfarrhof, Kleinerweise, ja, da kommen sie, aber wenn sie halt groß und sauber werden, da vergessen sie den alten Herrn. Na, bleib' nur schön brav, Dirndl!«

Schämig duckt sie sich hinter die anderen, heimlich voller Glück und Stolz darüber, daß der Pfarrer gerade zu ihr die freundlichen Worte gesagt hat.

Am nächsten Sonntage nach dem Nachmittagssegen spricht die Hannerl schon vor im Pfarrhof. Ein Gartentöpflein trägt sie mit einem Nelkenstamm und den will sie dem Herrn Pfarrer verehren.

»Der Tausendsapperlot!« ruft der Pfarrer, »das ist ja schon gar aus der Weis'! Die Menge von Knospen, die dran sind! Hast du den schönen Stamm selber gezügelt, Hannerl?«

»Kann wohl sein,« meint sie, »aber ist halt nit gar groß.«

Sie stellt den Topf behutsam auf einen Tisch, aber ganz an den Rand, weil sie das für bescheidener und schicklicher hält. Auch wie sie sich hierauf niedersetzen muß, setzt sie sich ganz an die Ecke des hölzernen Stuhles – beileibe nicht auf die lederne Bank – und hält mit beiden Händen das zierlich gefallene Tüchlein an den Busen und weiß nichts zu reden.

Auch dem alten Herrn geht's schier nicht besser und da müssen Vater und Mutter her. – »Was machen sie alleweil? Sind sie gesund?«

»Dank der Nachfrag', gottlob, so weit ja.«

»Und dein Bruder, tut er noch fleißig Klarinett' blasen?«

»Jetzt hat er nit Zeit dazu,« flüstert das Dirndl und macht ein schalkhaftes Gesicht.

»Wieso denn?«

»Geht ja jetzt biedeln (brautwerben) um!«

»Der Tausend! Dein Bruder, der Jörgel?« – Der alte Herr tut, als ob er von nichts wisse. »Da kriegst du nachher gar eine schöne Schwägerin ins Haus.«

»Gefreu' mich zwar nit gar recht viel drauf,« meint die Hannerl und glättet mit der flachen Hand an ihrem Tüchelchen eine Falte.

»Nachher tät' ich ihm's nachmachen,« sagt der Pfarrer.

»Wem?« fragt das Dirndl und schlägt die großen schwarzen Augen auf.

»Dem Bruder. Heiraten täte ich auch.«

Sie tut einen hellen Lacher. So was muß man für Spaß nehmen; alsogleich aber hält sie das Tüchlein vor den Mund, als ob sie zu vorlaut gewesen wäre mit dem Lachen.

»Im Ernst, Hannerl,« sagt der Pfarrer, »ich denke, es ist schon bald Zeit, daß du ans Heiraten denkst,«

»Ich mag nit heiraten,« sagt sie.

»Ei, das wird wohl dein Ernst nicht sein.«

»Das Heiraten wär' halt ein kitzlich Ding, sagt meine Base, die Seffel.«

»Da hat deine Base, die Seffel, freilich wohl recht,« entgegnet der alte Herr, »aber so saubere und brave Dirndln dürfen nit ledig bleiben. Wäre doch schad'.«

»Wird desweg die Welt nit zusamm'fallen,« meint sie und neigt züchtig ihr Köpfchen.

Der Pfarrer spielt auf dem Tisch so ein wenig mit seiner braunbeinernen Schnupftabaksdose, stellt sie auf die Schmalseite, legt sie wieder um, stellt sie wieder auf und sagt: »Ich wüßte dir einen.«

Sie schämt sich in ihr Handtüchlein hinein und meint: »'s selb wird nit sein.«

»Ja, ja, Hannerl. Ein braver tüchtiger Bursch'. Ein sauberer Bursch'. Könntest gleich Großbäuerin werden.«

»'s selb wär' mir nit z'wider,« lacht sie.

»Wird dir auch der Bursch' nicht zuwider sein, denke ich,« sagt der Pfarrer; »was meinst denn du zum Ebenholzer-Franzl?«

»Der?« sagt die Hannerl und ist ein wenig überrascht.

»Das wäre der Rechte für dich, tät' ich meinen.«

»Den mag ich nit!« sagt das Dirndl.

»Ei das!« ruft der Pfarrer.

Sie schüttelt das Haupt, ihre Wangen sind rot geworden und die Mundwinkel zucken ein bißchen.

»Ja, warum denn?« fragt der Pfarrer. »Der Ebenholzer-Franzl ist nicht zu verachten. Hab' ihm kürzlich erst beim Ackern zugesehen. Wie der den Pflug packt mit einer Hand und ihn in die Furche setzt! Man meint, es geht alles von selber, 's ist gerade lustig, dem bei der Arbeit zuzuschauen. Gutherzig ist er auch, soviel ich weiß. Und gern hat er dich. Schon lange hat er dich gern, Hannerl, Drauf kannst du dich verlassen.«

»Und ich will ihn nit,« sagt das Dirndl.

Der Pfarrer schiebt die Dose wieder ein paarmal über, dann sagt er: »Na, wenn du ihn nicht willst, das ist was anderes. Muß halt schauen, daß man eine andere für ihn findet. Ein Weib muß er haben, weil er das Haus übernimmt. – Wie geht's dir sonst, Hannerl?«

»Muß schon gut sein,« sagt sie und zupft am Handtüchel.

»Wie steht die Feldfrucht bei euch?«

»Soweit gut,« sagt sie und dreht aus der Tuchecke einen Zipfel.

»Wenn das Wetter so forttut,« meint der Pfarrer, »so haben wir ein gutes Körndel zu hoffen.«

Das Dirndl sagt nichts.

»Die Wiesen bedürfen Regen.«

Das Dirndl sagt nichts, sondern lockert sachte den Tuchzipfel wieder auseinander.

»Heißt's halt fleißig wässern.«

»Wenn,« spricht nun die Hannerl und windet schier mit Gewalt das Tüchel zu einem Strick, »wenn der Herr Pfarrer schon durchaus will –«

»Was meinst, Dirndl?«

»– daß ich ihn nehmen soll –«

»Nein, nein, Kind, wenn du nicht selber willst,« sagt der Pfarrer, »zu einem so wichtigen Schritt darf man niemand zwingen. Er wird schon eine finden.«

Der Strick wird immer fester gedreht, immer fester. Plötzlich wirft sie das zusammengewundene Tüchel zu Boden und sagt: »Gut, ich nehme ihn.«



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