Peter Rosegger
Sonnenschein
Peter Rosegger

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Der liebe kleine Gott geht durch den Wald

Der liebe Gott geht durch den Wald!« – so singt ein altes Lied, aber eine alte Erfahrung zeigt, daß er im Walde nicht jedem begegnet. Die Rehe und Hirsche vielleicht sehen ihn, fürchten ihn aber nicht – er geht ohne Büchse um. Der Pecher-Lenz, im Walde geboren und den Wald seit vierzig Jahren durchstreichend, ist, wie er meint, dem lieben himmlischen Waldgänger noch nicht ein einzigesmal begegnet, wohl aber manchem, vor dem er fluchend ausgerufen: »Ei, der Teufel nocheinmal!« Und doch! Auch der Lenz hat's erfahren: »Der liebe Gott geht durch den Wald.«

Sein – des Pechers – Haus steht im Walde; alles ringsum strebt in wilden Büschen und hohen Stämmen himmelwärts, und auf den Wipfeln klingt die Lust – nur das Haus kriecht auf dem Sande, und seine Kammern sind dunkel. Bis ins dreißigste Jahr war der Lenz ein armer Pechersbursche gewesen; dann nahm er sich ein Weib und war nun der arme Pechersmann geheißen. So groß war der Unterschied.

Seinem Vater ist's nicht viel besser ergangen. Der ist Waldhüter gewesen, aber von dem hochgelobten Walde war nur das Bitterste sein eigen – das Pech (Harz). Doch ließ sich's dabei leben; die Pecher, wohlgemerkt die ledigen, pfeifen beim Baumschaben heitere Liedeln, und die Terpentiner haben mitunter so schlecht nicht gezahlt. Das Handwerk ernährt seinen Mann – aber nur den Mann, nicht etwa auch noch Frau und Kinder.

»Bei Euch in der Waldhütte sollte der Zölibat sein,« sagte einst ein fremder Jäger zum Pecher-Lenz.

»Was ist denn das für ein Ding?« fragte der Lenz, »ist's was zum Essen oder zum Anlegen?«

Als sich der Fremde näher erklärte, wurde der Lenz fast aufgebracht. Sein ganzes Glauben, Lieben und Hoffen geht auf Weib und Kind. Er selber ist so viel als Bettelmann. Wenn er im Walde ein grünes Reis auf seinen Hut steckt – es ist fremdes Gut. Die Hütte, in der er wohnt, steht auf dem Boden des Herrn Gallheim und ist gebaut aus dem Holze des Herrn Gallheim. Nur Weib und Kind sind sein eigen. Gallheim ist ein flinker Jäger und fröhlicher Lebemann, und ein kleiner Scherz mit der drallen, biederen Pecherin – warum nicht? Anderer Meinung ist der Lenz; der hat dem Gutsherrn darüber etwas Grobes gesagt. Grobsein aber ist nichts für einen armen Teufel; der muß allemal Süßwurzeln kauen, wenn er mit dem »gnädigen Herrn« spricht.

Nun, der Lenz hat eben getan, wie er getan hat – wie ich auch täte, an seiner Stelle – und so ist ihm eines Tages ein großer Brief ins Haus gekommen. Der Lenz kann nicht lesen, aber sein Weib hat die unselige Kunst gelernt; er knittert mit Mühe das feine Zeug auseinander; das Blatt bleibt kleben an seinen harzigen Fingern: »Alte, geh', schau', was da drauf steht.«

Da drauf stand solches:

»An Lorenz Hackbretter im Kesselwald. Demselben diene zur Kenntnis, daß von nun ab forstwirtschaftlicher Rücksichten wegen das Pechschaben nicht mehr gestattet ist. Dawiderhandelnde verfallen der Strenge des Gesetzes.

Der Oberförster                        
im Auftrage des Herrn von Gallheim, Gutsbesitzers.«

So hatte das junge Weib gelesen.

»Nau?« sagte der Lenz, »und sonst nichts mehr? Der paar Worte wegen das viele Papier?«

Er steckt die Hände in die Hosentaschen, ging in den Wald und brummte. »Nicht mehr gestattet! Forstwirtschaftlicher Rücksichten wegen, oder wie das Zeug heißt! Nun ja, die Sach' muß einen Namen haben! Allfort hab' ich acht gegeben auf den Stamm; dieser schöne Wald, wie er heute dasteht, unter der Pechschabe ist er aufgewachsen. Und jetzt auf einmal ist's ein Verderben. Sakra, was heb' ich jetzt an!«

Gelernt hat er nichts. Wurzeln- und Kräutergraben ist noch das einzige; aber wenn er des Abends heimkehrt von seinen Gängen ist er oft trotzig und launisch, und unwirsch stößt er sein Kind, das Magdale, von sich, wenn es zu ihm herankommt und in Kindlichkeit fragt, was das Reh mache draußen im Walde.

Das Reh draußen im Walde? Das bringt den Lenz auf neue Gedanken. Und eines Tages nimmt er den alten Kugelstutzen aus dem modernden Schranke hervor, schleicht damit hinaus, stellt sich an und siehe, harmlos kommt ein prachtvoller Hirsch mit hohem Geweih herangeschritten. Der Mann fährt mit dem Gewehr zur Wange – da sieht er in den Schaft eingegraben das Herz, aus dem ein Kreuz wächst. Das ist das liebe, traute, alte Zeichen, welches sein Vater so gern in Stab und Stiel seiner Werkzeuge eingegraben hatte.

Ein Kreuz – der Vater ist arm gewesen; ein Herz – er ist treu geblieben. Das Gewehr entsinkt der Hand des Mannes, und der Hirsch läuft flink über die Matte hin.

Ein Herz und ein Kreuz! Er hat Weib und Kind und wird sie mit Kräuter- und Wurzelgraben in Gottes Namen ernähren.

Was geschah? Die Hirten taten sich zusammen und verklagten den Wurzelstecher, daß er den Grasboden verwüste. So wurde ihm auch dieses untersagt, und er ging verloren in den Wäldern umher und wußte nicht, was beginnen.

Ihr fragt, ob ihm nicht doch der liebe Gott begegnet sei mit einem guten Gedanken? Was helfen gute Gedanken dem, der sie nicht ausführen kann! Wohl aber ein anderer Geist trat ihn bisweilen an, der flüsterte: Lenz, bist ein Mensch, hast ein Recht an die Welt; hast die Pflicht der Erhaltung gegen die Deinen, aber keine gegen Gallheim, keine gegen die reichen Bauernhöfe draußen, keine gegen den Wanderer, der durch den Wald muß.

»Hinweg!« rief der Mann in solchen Augenblicken und schlug mit der Faust in die Luft hinein, »ein ehrlicher Mann will ich bleiben. Sakra, das will ich sehen, ob ich's nicht durchsetz'!«

Ein Raucher war er. Für all seine Mühe und Arbeit war der persönliche Lohn stets ein Pfeifel. Dieweil er nun keinen Tabak mehr kaufen konnte, beizte er Buchenblätter in Harz und wunderte sich schließlich, wie der Arbeitsmensch so viel Geld ausgebe für ein Ding, das er selber bereiten kann.

Magdale gedieh. Sie war nun sieben Jahre alt, war fleißig und brav, und als Weihnacht herankam, hoffte sie auf eine Gabe vom Christkind. Vater und Mutter lächelten bitter. Das Christkind kommt zu den braven Kindern nicht alle Jahre! –

Der Lenz hatte an dem Tage draußen beim Klausenwirt wohl eine Semmel und etliche Äpfel erstanden, um damit die Ehre des heiligen Christ zu retten. Aber auch ein Tannenbäumchen soll dazu sein, und Lichteln dran. So war's früher stets gewesen, und so wurde es erwartet.

Der Lenz ist am selben Tag wieder nicht daheim. Er streift im Walde herum. Der Boden ist hart gefroren, das Moos knistert unter den Füßen, die Äste hängen, von Eisnadeln des Nebelfrostes belastet, tief herab. Der Lenz wandelt zwischen den Bäumen. Vor manchem jungen Tannenwipfel bleibt er stehen. »Es wäre schon das rechte,« murmelt er, »aber – darf ich denn? – Ich dürfte freilich nicht, aber heute schickt mich das Christkind, das diesen Wald hat wachsen lassen. Mein seliger Vater hat viel tausend Bäume gepflanzt und gehütet – so kann's doch nicht soweit gefehlt sein, wenn ich mir ein Stämmel davon heimtrage für mein klein Dirndl.«

Mit Hast fährt er nach seinem Taschenmesser, ein kräftiger Schnitt, und eine zarte Tannenkrone ist geknickt. In diesem Augenblick gellt ein Fluch. Zwei Männer mit Jagdgewehren stehen vor dem Lenz: Gallheim und sein Förster.

»Haben wir dich endlich, du verdammter Waldfrevler!« rief der Förster. »Schon seit lange werden von boshafter Hand in unseren Wäldern Bäume geknickt. Dieser Lump da tut's!«

»Ho ho,« brummte der Lenz, »nicht not, daß Ihr mich so anknurrt! Ich bin kein Lump, ihr Herren!«

»Was denn?« sagte Gallheim.

»In böser Absicht hab' ich mein Lebtag kein Zweigl vom Ast gebrochen.«

»So? Und dieser Wipfel, der weder einen Spatenstiel, noch ein Stück Brennholz gibt?«

»Zu Gnaden, Herr – für's Kind daheim ein Christbäumel.«

»Die Ausrede ist nicht übel,« lachte Gallheim, »aber einen ertappten Dieb und Waldfrevler läßt man nicht laufen. Förster nehmt mir den Lungerer fest; die sichere Kammer wird ihm über die Festtage wohlbekommen.«

Der Lenz zerstampfte den Moosboden. »Schau, du großer, gestrenger Herr,« sagte er knirschend, »das Moos ist auch nicht mein eigen, und ich zertrete es doch. Klag' mich! Die Luft ist auch nicht mein eigen, und die ich ausatme, mußt du vielleicht wieder einatmen – gnädiger Herr, du armer Schelm!«

Damit machte er es nicht besser, aber in ihm kochte Trotz und Wut. Einerseits sah er's, er war ein Dieb; anderseits fühlte er's, es geschah ihm Unrecht. Finster grub er seinen Blick in den Boden, ließ sich fesseln und davonführen.

Und das Tannenbäumchen blieb liegen auf dem frosterstarrten Boden, und statt der Christlichter glitzerten Eiskörner an den Zweigen.

* * *

Da hat sich an jenem Tage etwas zugetragen, das ganz so aussah, als hätte sich das Christkind für den armen Wäldler ins Mittel legen wollen; das liebe Christkind, welches den Reichen wohl glänzende Gaben bescheren mag, es heimlich aber doch lieber mit den Armen hält.

Im Arrest hatten seit langem schon die Spinnen ihre Webstühle aufgerichtet. An diesem Weihnachtsabend nun wurden sie durch den Pecher-Lenz ein wenig gestört. Der Lenz zerriß sich seinen Bart vor Schmerz und Wut. Er dachte an sein schutzloses Heim, in welchem ihn heute die Seinen vergeblich erwarten würden: das Weib in Furcht und Angst; das Kind schluchzend, bis es einschläft – das ist ihre Weihnacht. Und er, der Lenz, der sich gehütet hat sein Leben lang, daß er ein ehrlicher Mann verbleibe, sitzt im Gefängnis, wo vor ihm der Räuber saß, wo nach ihm der Strolch sitzen wird. Das ist seine Weihnacht! –

Zornig ob des Waldfrevlers und befriedigt zugleich, denselben erwischt zu haben, kehrte Gallheim in sein Herrenhaus zurück. Dort war Wirrnis und Jammer.

Theobald, der zehnjährige Sohn des Herrn, war, wie gewöhnlich, am Nachmittage auf seinem Schimmel ausgeritten. Das Haus stammte aus dem sechzehnten Jahrhundert und besaß eine Waffenkammer, in welcher sich mancherlei Rüstzeug befand. Nun war es heute dem Knaben eingefallen, derlei vom Reitknechte glätten und putzen zu lassen, daß es glänzte, und an sich zu hängen. So war er mit Blechwams und Helm und Schwert ausgezogen. Ein junger Ritter, dachte er an die Turniere und an die Burgfräulein, die er begehren und erstreiten wollte – und das feurige Roß trabte hinaus in den finsteren Wald.

Die übliche Reitstunde ging vorüber – Theobald kehrte nicht zurück. Es begann zu schneien, es begann zu dämmern, – er kehrte nicht zurück. Als der Hauswart im Hofe die Laternen anzündete, rannte der Schimmel schnaubend und mit hochfliegender Mähne zum Tore herein. Aber auf dem Rosse saß kein Reiter.

Jetzt ging das Entsetzen an. Die Mutter fiel in Ohnmacht. Der Vater schoß planlos umher. Die Dienerschaft stob verwirrt durcheinander; das Gesinde jammerte über den »lieben, guten, jungen, gnädigen Herrn«. Die Knechte sprengten auf Pferden zum Tore hinaus. Der Wächter läutete in seiner Kopflosigkeit die Sturmglocke.

Die Frau des Hauses war die erste, welche wieder zur Besinnung kam. Sie eilte in den Schnee, in die Nacht hinaus; laut und hell rief sie ihr Kind, bis die Stimme versagte. Durch Heide und Wald irrte sie, und wo ein Kreuzbild stand, da sank sie auf die Knie und rang die Hände.

Herr Gallheim hastete wie ein gehetztes Wild über Berg und Tal; das Reh und der Edelhirsch, nach denen er sonst so gierig sein Feuerrohr gerichtet, flohen erschreckt und lugten aus Verstecken hämisch auf ihn hin. In der Finsternis stolperte Gallheim über ein gebrochenes Bäumchen. Der Tannenwipfel war's, weswillen der Pecher-Lenz im Gefängnisse lag. »Auch dieser Mann hat ein Kind!« so rief es in ihm. Er eilte weiter und stieß in sein Horn.

Die ganze Bewohnerschaft des Herrenhauses irrte im Walde. Der Pecher-Lenz war zu dieser Stunde fast der einzige Bewohner im großen Gebäude.

»Das ist eine schlimme Weihnacht!« sagten die Suchenden zueinander. »Wir werden morgen einen traurigen Christtag haben!« Und sie stießen ins Horn und lauschten; sie feuerten Schüsse ab und horchten vergebens auf ein Gegenzeichen. Wohl, sie vernahmen Schreie, aber das waren die der anderen Sucher. Keiner hatte eine Spur, keiner wußte Rat. Endlich begann ein wildes Gestöber; der Sturm rüttelte in den Stämmen und erstickte den Schall der Hörner. Die Schneeflocken tanzten wie rote Sternchen um die Pechlunten; da sagte einer: »Der Herrgott legt schon das Bahrtuch darüber.«

* * *

»Das ist eine schlimme Weihnacht!« so seufzte auch das Weib des Lenz im Waldhause. Sie ging von einem Fenster zum andern, eilte bei jedem Geräusch an die Tür – aber er kam nicht.

»Der Vater wird noch zum Christkind zu spät kommen,« meinte das kleine Magdale.

»Weiß Gott,« antwortete die Mutter halb für sich, »zu spät für das Christkind wird er nicht kommen. Aber so lange ist er noch nie ausgeblieben. Mir ist heute den ganzen Tag bange. Geh' ins Bett, Magdale.«

Jetzt klopfte es ans Fenster.

»Gottlob! Gottlob!«

Aber er war's nicht. Ein verspäteter Holzhauer ging vorbei, der rief durch die Scheibe herein: »He, Muhme, was hat er denn angestellt?«

»Wer?«

»Er!«

»Ich weiß nicht, was Ihr meint,« fragte das Weib.

»Die Muhme wüßte es gar nicht? Na, so sage ich auch nichts. Das Beste wird sein, die Muhme laßt mich heut in ihr warmes Stübel hinein.«

»Ich laß niemand ein. Mann! Lenz!« rief sie gegen den Ofenwinkel hin.

»Tue sich die Muhme nicht foppen,« lachte der Holzknecht draußen, »der Lenz ist heute nicht daheim – das weiß ich recht gut – und kommt auch nicht heim.«

Sie stürzte zum Fenster hin: »Wißt Ihr was? Wo ist er denn?«

»Mir sind sie begegnet,« berichtete der Holzer, »er hat den Hut im Gesicht gehabt, aber ich habe ihn doch erkannt. Die Hände sind ihm gebunden gewesen.«

Das Weib tat einen Aufschrei. Der Holzhauer ging weiter.

Und so ist anstatt des Christkindes im Waldhause der Jammer eingekehrt. Vielleicht als Vorbote nur.

»Geh' schlafen jetzt!« sagte die Mutter zum Mädchen.

Magdale blickte verwundert auf. War denn nicht Christabend? Das Weib hielt ihr Weinen zurück, das einzige, was sie ihrem Kinde tun konnte. Immer und immer wieder blies sie in die Glut des Herdes, und es wollte nicht brennen; so oft der Span verlosch, war es dem Mädchen, als hörte es irgendwo ein Schluchzen. Dann fragte es wieder nach dem Vater.

»Sei still!« gab das Weib endlich unwirsch zur Antwort; bald setzte sie weicher hinzu: »Der Vater sucht das Christkind und hat sich im Walde ein bissel verirrt.«

»Er wird es schon finden,« meinte das Magdale, »der kleine Gott geht durch den Wald, das Christkind hat gewiß ein goldenes Röckel an. Das tut schon leuchten.«

»Freilich,« sagte die Mutter.

Tiefer und tiefer ging es in die Nacht hinein. Draußen rauschte der Wind, und die Fensterwinkel waren vollgestopft von frischem Schnee. Im weiten Lande ist Glanz und Freude in dieser heiligen Nacht . . .

Das Weib des Pechers zündete eine rote Kerze an. Mehrmals hatte die Kerze schon geleuchtet – es war ein trüber Glanz. Als der Vater des Lenz gestorben war, da hatte sie gebrannt; als in einer wilden Gewitternacht die Lawine vom Schollberge niederfuhr und das große Wasser gegen dieses Haus tobte, hatte sie gebrannt. Die rote Kerze sollte brennen, wenn einstmals nach diesem Leben der Lenz und sein Weib das Auge schließen müßten im Waldhause. Es war die Sterbekerze. Und jetzt, da des Hauses ältester Bewohner, der ehrliche Ruf, gestorben war, jetzt brannte sie wieder.

Das Weib kniete vor dem Lichte nieder und betete zum Jesukinde.

Sie betete nicht in wilder Leidenschaft, wie die vornehme Frau, sie betete mit Ergebung: »Ich lege, du heiliges Kind, mein Anliegen in deine Hände. Böses kann er nichts getan haben; es ist ja meine tägliche Bitt', daß ihn sein Schutzengel nicht sollt' verlassen. Aber mit gebundenen Händen! Hätte er denn doch gewildert, um dir zu Ehre, du heiliger Christ, einmal ein Stückel Fleisch heimzubringen? Armut und Sorge, o Gott, wie gern erträgt man's, nur nicht Schand' und Schmach!«

»Jetzt sind sie draußen,« flüsterte das Magdale plötzlich. Und wahrhaftig, es war nicht das Klopfen des Windes – das war ein Pochen an der Tür.

Sogleich erfaßte das Weib die Kerze und eilte, zu öffnen.

Ein fremder Knabe stand vor ihr. Ein seltsamer Knabe; er hatte ein leuchtendes Kleid an. Die langen Locken waren voll Eis, die Augen voll Wasser. Vor Frost zitterte er und bat um Obdach.

»Ist denn kein Mensch bei dir?« rief das Weib. »Bist du allein? So komm, so komm nur!« Und sie fächelte den Schnee von seinen Kleidern, aber die Brust blieb leuchtend.

»Du liebes Christkind,« lispelte das Mädchen voller Andacht, »da setz' dich zum Ofen und wärme dich.«

Und immer wieder fragte das Weib, wo er herkäme, wer er wäre?

»Ich bin Theobald Gallheim,« antwortete endlich der Knabe. »Ich bin ausgeritten; da sind Wildhühner aufgeflogen, das Pferd ist scheu geworden und hat mich abgeworfen. Ich bin herumgegangen, bis es finster geworden ist. Dann ist der Wind und der Schnee gekommen, und ich habe gar nichts mehr gehört und gesehen und bin gefallen. Bin doch wieder weitergegangen lang und lang, und dann habe ich das Licht gesehen. Laßt mich liegen in Eurem Hause, und tut mir nichts Böses! Mein Vater wird schon kommen!«

Das Fieber schüttelte ihn, als er das sprach. Das Weib hatte Mühe, ihm die Schuhe von den Füßen zu bringen; sie waren schier angefroren. Der Knabe ächzte vor Schmerz; die Pecherin legte ihm kaltes Grubenkraut auf die froststarren Hände und Füße, dann brachte sie heiße Milch und führte den Löffel selbst zu seinem Munde.

Das Magdale war ein wenig zutraulich geworden. Und doch furchtsam schlich es spähend um den Knaben herum, schaute seine zarten Locken und seine weißen Wangen an und seine glänzende Brust und seine Augen. »Du armes Christkind, ist es doch richtig wahr, daß du so viel Kälte leiden mußt!«

Das Weib trug von allen drei Betten, die in der Stube standen, die Kissen zusammen und baute damit auf der Ofenbank dem kleinen Gaste ein Lager. Theobald legte sich hin, dann fielen ihm auch schon die Augen zu.

Dem geängstigten Weibe war leichter ums Herz geworden. Ihr war dieser Knabe, der in der Christnacht hilflos zu ihr gekommen, ein gutes Vorbedeuten. Das Magdale, das gar nicht schlafen wollte, zerstreute sie mit alten Weihnachtsliedern:

»Ach, wie friert das göttlich Kind,
Wie geht nicht aus und ein der Wind –
Es liegt auf Heu und Stroh.
Ei, wenn ich nur das Häuserl hätt',
Das dort unt' im Dörferl steht,
Wie wär' ich doch so froh!
Ich nähm' die Mutter mit dem Kind,
Tät's führen in mein Häuserl g'schwind!«

Dabei unterbrach sich die Sängerin und horchte auf den Atem des Schlummernden; und das Magdale saß daneben und faltete die kleinen Hände . . .

Gellender Waldhornschall draußen! Dem Weibe blieb das Lied in der Kehle stecken. Draußen schwere Tritte, die Tür geht auf, über und über beschneite Männer treten herein, unter ihnen eine schöne Frau.

Die Pecherin tat einen scheuen Blick auf die polternden Ankömmlinge, legte den Finger auf den Mund und wies auf den schlafenden Knaben. Kaum erblickte diesen die eintretende Frau, als sie mit einem Freudenschrei auf den Schläfer zustürzte. Der Knabe fuhr empor und blickte um sich. Und sah in dieser Hütte sich und seine Mutter.

Sogleich wurde auf dem nahen Feldhügel das Zeichen geblasen: Gefunden! Gefunden! –

Da kam auch Herr Gallheim. Alle kamen sie hier zusammen, und noch nie hatte das kleine Haus im Walde so viele und so fröhliche Gäste gesehen, als in dieser Nacht.

Dem reichen Manne barst schier das Herz. Da sah er seinen Sohn so liebevoll gehalten von der Familie dessen, den er heute – –

Den schnellsten Reiter sandte er nach dem Herrenhause, um die eiserne Tür zu öffnen.

Sie waren alle noch beisammen, als der Lenz in einem vornehmen Wagen, bespannt mit zwei Rappen, angefahren kam.

Zur Stunde ging schon der Morgen auf.

»Verzeiht mir! Verzeiht mir alle drei! Ich will es gutzumachen trachten!« rief Gallheim. »Das Pechhacken, Lenz, das tut Euch schlecht und den Bäumen nicht gut. Aber die Förstersstelle wird frei, und zu Christbäumen für Eure Nachkommenschaft haltet von heute an dreißig Joch Waldgrund als Euer eigen.«

Na also, Magdale! Da wird der liebe kleine Gott ja noch oft durch den Wald gehen!



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