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Die Geständnisse der Madame Z.
Ich habe in meinen Reisejahren viele höchst verblüffende Wieder-Begegnungen erlebt.
Leute, die ich in Europa während meiner seßhaften Daseinsform oder späterhin während meiner Reisen kennen gelernt, standen mir unversehens wiederum nach Jahr und Tag leibhaftig gegenüber, unter örtlichen und zeitlichen Verhältnissen, die mich manchmal ganz erstaunlich däuchten. Auf Punkten unseres Planeten, die weit von einander entfernt sind, spielte sich das Begegnen und Wieder-Begegnen ab.
Einige Menschen habe ich solcherart zweimal, dreimal wiedergetroffen. Man gewöhnt sich schließlich an diese Erscheinung und ist darauf gefaßt, den Herrn X., mit dem man letzthin, während einer kleinen Urlaubsreise, auf dem Wiener Graben gesprochen hat, eines schönen Tages urplötzlich auf der Queen's-Road von Hongkong in Lebensgröße auftauchen zu sehen oder im Uenopark von Tokio oder sonstwo etwas abseits von Wien.
Der Gedankenaustausch, welcher bei derlei Begegnungen den sonderbaren Zufall des Wiedersehens erörtert, gipfelt gewöhnlich in der kosmologischen Sentenz: »Ja, die Welt ist klein!«
Wenn ich je gewagt hätte, an der Richtigkeit dieses Weisheitsatzes zu zweifeln, so hätte mich meine derzeitige Reise reichlich eines Besseren belehren müssen.
Wir sind heute auf der Rückreise von Indien nach Europa begriffen.
Nach der Abfahrt von Bombay hat unser Dampfer noch, den indischen Hafen Karatschi angelaufen und jetzt sind wir im indischen Ozean – oder eigentlich im arabischen Meerbusen – auf dem Weg von Karatschi nach Aden.
Unter den Passagieren, die sich in Bombay eingeschifft, sind zwei, denen ich schon vordem auf meinem Lebensweg begegnet bin: ein Herr, der einmal auf der Fahrt von Triest nach Alexandrien unser Reisegenosse gewesen, und eine recht interessante Dame, von der ich sogleich noch ausführlicher sprechen werde.
Und auch in Karatschi brachte der Zufall zwei Passagiere an Bord, die ich von früheren Seereisen her kenne: eine Griechin, die Gattin eines in Karatschi ansässigen Kaufmanns, mit der ich einmal von Konstantinopel nach Athen gefahren bin; und ein englischer Offizier, der ungefähr vor zwei Jahren auf der Reise von Indien nach Europa unser Passagier gewesen.
Gleich vier »alte Bekannte« auf einem – allerdings großen und vollbesetzten – Dampfer.
Ja, die Welt ist klein!
Die oben erwähnte recht interessante Passagierin ist ihrer gesellschaftlichen Stellung halber eine bemerkenswerte Persönlichkeit. Diese Dame, die ich zu meiner Überraschung vor einigen Tagen auf dem von Bombay abreisenden Schiff wahrnahm, ist nämlich die Besitzerin eines sozusagen feinen europäischen Freudenhäuschens in Bombay, eines Institutes, das von den Europäern der guten Gesellschaft und (wie wir später des Näheren hören werden) auch von den ehrbaren und anständigen europäischen Frauen in amoureusen Angelegenheiten frequentiert wird.
Ich will auf die intimeren Personalien dieser Dame – nennen wir sie: Madame Z. – nicht gründlich eingehen, ich will aus unseren Gesprächen, aus den Bekenntnissen der Madame Z. hauptsächlich das festhalten, was auf die europäischen Freudenhäuser von Bombay ein Streiflicht werfen könnte.
Madame Z. hat auf unserem heimreisenden Dampfer einen Kajütenplatz II. Klasse. Ihre Vermögensverhältnisse würden ihr's zwar erlauben, ein Billett erster Klasse für die Fahrt nach Europa zu lösen, aber sie reist auf dem zweiten Platz, einerseits aus Sparsamkeitsmotiven, anderseits weil sie meint, daß sie drüben, in der zweiten Klasse, von der öffentlichen Aufmerksamkeit weiter entfernt ist.
Sie kleidet sich an Bord sehr bürgerlich-einfach, bekundet in ihrem Benehmen keinerlei Auffälligkeiten; mit den Passagieren und Passagierinnen plaudert sie in der ungezwungen-alltäglichen Weise einer harmlosen Seele. Ich glaube, daß niemand unter den Passagieren und Passagierinnen eine Ahnung hat, was für eine Würdenträgerin da mit uns reist.
Für mich ist Madame Z. eine Akquisition. Ich betrachte es als eine sehr erfreuliche Fügung, daß sie an Bord ist. Nun bietet sich mir eine treffliche Gelegenheit, mich über Fragen zu belehren, welche im Zusammenhang sind mit dem Thema: Das europäische Freudenmädchen von Kamatipura.
Wer könnte hierin besser unterrichtet sein als Madame Z., die Kommandeuse eines europäischen Lupanars? Wo könnte ich verläßlichere Auskunft bekommen? Ich werde mein Wissen direkt aus der Quelle schöpfen.
Das ist mal eine Wiederbegegnung, die mir wirklich Vergnügen bereitet. Nicht immer trifft man so angenehme Mitmenschen auf den Brettern, welche unsere Schiffswelt bedeuten. Ich fasse den Vorsatz, die Madame Z. tüchtig auszuforschen. So gründlich wie es mir möglich ist, ohne übermäßig »indiskret« zu werden und ohne sie zu ermüden.
Ich habe übrigens freudig wahrgenommen, daß sie mit ihrer Weisheit nicht hinter dem Berge hält und daß sie mir gegenüber sich nicht in zurückhaltungsvolles Schweigen hüllt. Sie hat Vertrauen zu mir. Sie weiß, daß ich weiß, daß sie weiß, wie es im Innern einer Freudenanstalt ausschaut; daß sie dies nur allzu gut weiß. Und sie ist überzeugt, ich sei nicht gewillt, an Bord ihr Geheimnis auszuplaudern, sie hält es für ausgeschlossen, ich könnte auf dem Schiff auch nur ein Zipfelchen ihres Inkognito lüften.
Ihr Zutrauen ehrt mich und ich brauche nicht zu betonen, daß ich mich dessen auch würdig erweise.
Mich dünkt, daß sie sich über meine Fragelust und Neugierde nicht viel Gedanken macht. Ich habe ihr erklärt, daß ich eine Art wissenschaftliches Interesse für den Gegenstand hege, da er ja einigermaßen mit meinem Fach in Berührung komme, und diese Erklärung, die füglich mit der Wahrheit nicht in Widerspruch ist, scheint ihr, der Madame Z., durchaus einleuchtend zu sein.
Und endlich mag es ihr nicht unerwünscht sein, daß sie die lange Weile der Überfahrt zu Zeiten mit einer Konversation unterbrechen kann; die Reise von Bombay – über Karatschi – nach Venedig pflegt achtzehn oder neunzehn Tage zu währen. Aus »taktischen Rücksichten« plaudere ich mit Madame Z. nicht lediglich über ihre häuslichen, freudenhäuslichen Angelegenheiten, sondern zwischendurch zur Abwechslung auch über andere Dinge, über auswärtige Angelegenheiten, die mit der sexualsozialen Frage nicht unmittelbar in Verbindung sind. Man darf nicht immer fachsimpeln.
Ich werde mich bemühen, so oft wie rätlich in der Gesellschaft der Madame Z. zu verweilen und ihren Enthüllungen zu lauschen.
Dem Anschein nach mag die Dame ungefähr vierzig Jahre alt sein. Sie ist eine stattliche, nicht unhübsche Frau, die vermutlich – gemäß einem weitverbreiteten menschlichen Schicksal – früher hübscher war als heute; in ihrem Gesicht sind noch reichlich Spuren eines verflossenen schöneren Frühlings.
Ihre Intelligenz? – Na ja, – so, so! Madame Z. hat ein gewisses Quantum unbewußter Menschenkenntnis und auf dem Gebiete ihres speziellen Faches, als Leiterin ihres Freuden-Institutes, ist sie einer beträchtlichen Schlauheit und Findigkeit fähig, beraten von vielfacher Routine, doch außerhalb ihrer beruflichen Sphäre beginnt ihre Beschränktheit.
Es ist mir daran gelegen, die Frau Z. allezeit »wie eine Dame zu behandeln,« insbesondere vor Zeugen.
Wenn ich mit ihr tête à tête über ihre beruflichen Angelegenheiten spreche, so geschieht's in einer nüchternen, gleichmütigen, sachlichen Weise. Wie man einen Tischlermeister über Tischlerei-Dinge befragt. Mit einem Interesse für das Technische, Geschäftliche, Administrative. Wobei es einem nicht einfallen kann, eine moralpredigende Note ins Gespräch hineinzubringen und die Fabrikation von Holzbänken und Tischen sub specie der Ethik zu erörtern.
Dennoch – wiewohl ich mit Madame Z. wie mit einem ehrsamen Gevatter Tischlermeister rede – bin ich zur Genüge darüber informiert, daß die Ausnützung von Tannenholz und der Handel mit polierten Sesseln etwas anderes ist als ein Beruf, welcher Mädchen ausbeutet, mit Mädchenfleisch Handel treibt.
Wir haben an Bord auch einige Missionäre und Missionärinnen; Menschen, deren Sendung es ist, »die Menschen zu bessern und zu bekehren«. Sie fahren nach getaner Arbeit aus den Ländern der Hindu und Mohammedaner in die europäische Heimat zurück. Mit Madame Z. plaudern sie in aller Gemütsruhe, sie wissen nicht, welch sündhaftem Menschenkind sie Gesellschaft leisten. Wüßten sie's, sie würden entweder zu Tode erschrocken die Madame Z. fliehen oder sie würden sich gedrängt fühlen, mit milden oder flammenden Worten bessernd und bekehrend auf sie einzuwirken.
Vielleicht hätte auch ich die Pflicht, ihr, der Madame Z., »ins Gewissen zu reden« und den Versuch zu machen, ob es nicht möglich wäre, ihre Seele einigermaßen zu bleichen und zu reinigen.
Aber ich bin derzeit nicht in der Stimmung, mich als Sittenrichter zu betätigen. Die Rolle »liegt mir nicht«.
Gewiß, ich schließe meine Augen nicht vor der unzweifelhaften Tatsache, daß das Gewerbe, dem Madame Z. ihr Sinnen und Trachten weiht, ein anrüchiges ist, ihre Beschäftigung ist sicherlich weder sehr sympathisch noch sehr reinlich und ich weiß wohl, Madame würde eine Strafpredigt ernstlich verdienen.
Doch, wie gesagt, ich habe heute keine rechte Lust, mich in die moralischen Privatverhältnisse anderer einzumengen. Wenn ich einen Bekehrer seh, denk ich: Jeder bekehre vor seiner eigenen Tür.
Und ferner: ich bin in einer etwas heiklen Lage. Nicht sie, die Sünderin, ist zu mir gekommen, um aus eigenem Antrieb, lüstern nach Geständnis und Buße, mir ihren Lebenswandel zu bekennen, nein, ich, ich selber suche sie auf, geh zu ihr hin, um ihr allgemach ihre Geheimnisse zu entlocken. Und sie erschließt mir ihr Herz, beichtet mir vertrauensvoll ihre intimsten Angelegenheiten, bewogen durch den unbefangenen Ton, in dem ich diese Dinge mit ihr bespreche, ein Ton, der sie verleitet, mir entweder eine fühllose Gleichgiltigkeit gegen »Moral« oder ein gefühlvolles Alles-verzeihen zuzuschreiben. Und jetzt, nachdem ich ihre Bekenntnisse provoziert, nachdem sie mir bona fide ihre Blößen preisgegeben, – wie soll man's jetzt anfangen, gegen diese Blößen mit dem Grolle des Strafgerichtes loszuziehen?
Wer solches täte, dem würden wir schonend mitteilen, daß er sich geschmacklos benimmt und auch ziemlich taktlos, ja sogar unmoralisch. Und wir würden ihn darauf aufmerksam machen, daß er eine auffallende Ähnlichkeit mit dem Inquisitor hat, der durch liebenswürdiges Zureden und joviale Bonhomie irgendeinen armen Schelm zu einem umfassenden Geständnis verlockt und dann alsogleich mit der grimmen Miene der strafenden Gerechtigkeit herausrückt.
Ach, wir alle sind arme beladene Sünder, der eine mehr, der andere weniger, und wir wollen mit einander Nachsicht haben. Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet.
– Wir wollen von unserem besonderen Fall wegsehen und im allgemeinen feststellen, daß es unter Umständen unmoralisch ist, Moral zu dozieren; und manchmal wäre es nötig, dem Moralprediger Moral zu predigen.
– – Nachdem ich mich nun ausführlich vor mir selbst entschuldigt ob meines fühlbaren Mangels an Moralsiederei und nachdem ich hiebei sogar ein wenig salbungsvoll und moralisierend geworden, will ich mir's Tag für Tag angelegen sein lassen, die Madame Z. fleißig auszufragen. Einen Teil ihrer Auskünfte will ich hier nacherzählen.
In mein Haus – berichtet Frau Z. – dürfen nur europäische Besucher, nur weiße Männer kommen. Schwarze, Natives, Eingeborene erhalten nicht Zutritt.
Die europäischen Gäste würden mir ausbleiben, wenn mein Haus auch den Natives offen stünde.
Bei mir verkehren englische Offiziere, die würden nie mehr die Schwelle meines Hauses überschreiten, falls sie wahrnähmen, daß meine Mädchen sich auch mit eingeborenen Männern abgeben.
Natives! – – Unmöglich!
Ob diese Regel eine unwandelbare Giltigkeit hat? – Nun, unter Umständen macht man eine Ausnahme: wenn sich's um sehr reiche Eingeborene handelt.
Solch ein Verstoß gegen die Regel wird jedoch mit einem Mantel von Vorsichtsmaßregeln umhüllt.
Einmal hat ein sehr reicher indischer Fürst, ein Maharadschah, bei mir anfragen lassen, – erzählt Madame Z. – ob ich bereit wäre, ihm mein Haus zu öffnen.
Ich ließ ihm die Sachlage auseinandersetzen und ihm mitteilen: Jawohl, er darf kommen; doch ich werde während der Zeit seines Besuches mein Haus bloß für ihn allein reservieren. Er muß mein einziger Gast sein, ich bin genötigt, mein Haus allen sonstigen Besuchern zu sperren, damit er nicht von einem Europäer unter meinem Dach gesehen werde. Deshalb verlange ich, daß mir der Maharadschah eine entsprechend hohe Bezahlung leiste, einen Ersatz für all die Einnahmen, die mir entgehen, indem ich einen Abend, eine Nacht sämtlichen anderen Herren den Eintritt versage.
Der Fürst ging auf diese Bedingungen ein.
Er wurde demnach, begleitet von seinem Sekretär, in unserem Hause empfangen. Wenn dann in dieser Nacht noch andere Männer Einlaß begehrten, so bekamen sie die höfliche Auskunft: Entschuldigen Sie! Heute nicht! Leider reserviert! –
Für wen das Haus reserviert war, daß Eingeborene sich mit meinen Mädchen vergnügten, wenngleich es eine eingeborene Hoheit war, – das wurde vor den europäischen Gentlemen, welche hernach anklopften, selbstverständlicherweise geheimgehalten.
Die Freudenanstalt der Madame Z. wird auch von ehrbaren Frauen Bombays als Absteigeplätzchen benützt, als heimliches Liebesnest, worin europäische Ehefrauen mit dem Liebhaber den Ehebruch besorgen.
(Ich verwende hier das Wort »ehrbare Frau«, zum Unterschied von den berufsmäßigen Freudenmädchen, die sich öffentlich und sozusagen ehrlich zu ihrem Buhlgewerbe bekennen. Und ich will also hiemit nicht sagen, daß diese Abenteuer der »Ehrbaren« zu den Eigentümlichkeiten und Pflichten einer ehrbaren Frau gehören.)
Madame Z., die Gelegenheitsmacherin, sagt mir, daß sie oft und oft Gelegenheit hat, solchen Pärchen Unterschlupf zu gewähren, für 40 Rupien ein Zimmer zu vermieten.
Die Tatsache, die mir Madame Z. da mitteilt, ist mir neu. Es ist mir bekannt, daß in Europa der Herr Verehrer sein Liebchen entweder in ein Zimmer eines Hotels führt oder in einen separierten Raum einer Trink- und -Eß-Anstalt oder in sein eigenes Junggesellenheim – falls er noch unverehelicht ist – oder in irgendeine fremde, anscheinend ehrsame Privatwohnung, die, wie der Eingeweihte weiß, den Zwecken der Gelegenheitsmacherei dienstbar gemacht ist, oder sonstwohin in eine kleinste Hütte, wo Raum ist für ein glücklich liebend Paar: aber daß der Liebhaber seine angebetete ehrbare Dame heimlich in das Zimmer eines Freudenhauses geleitet, in ein »öffentliches Haus«, um hier ein Stündlein ungetrübten Glücks zu erleben, das hab ich bisher noch nicht gehört.
Diese sittengeschichtliche Merkwürdigkeit, die auf dem Boden der Liebesgassen von Bombay blüht, ist mir interessant als Beitrag zum Seelenleben der pseudo-ehrbaren, offiziell-wohlanständigen Damenwelt. Wie sind sie doch entrüstet, diese guten Damen, sittlich entrüstet, wenn von »Prostituierten« die Rede ist! Dem Füllhorn der Verachtung, das sie über die »Dirne« ausschütten, entströmt ein Regenguß pathetischer und hohnvoller Redensarten. Sie würden mit dem ganzen stolzen Zorn ihrer Hochachtbarkeit dagegen protestieren, wollte man ihnen zumuten, daß sie öffentlich mit einer regelrechten Prostituierten oder mit einer Amtskollegin der Madame Z. auch nur ein Wörtchen wechseln oder daß sie bei Tageslicht allzu nahe an den Mauern eines Bordells vorbeigehen mögen. Nie und nimmer! Welch schmähliche Zumutung! Aber wenn die hilfreichen Schleier der Nacht auf die hochanständigen und weniger anständigen Gassen herabsinken, dann sind ebendieselben Damen der guten Gesellschaft gerne bereit, hinterrücks das Haus der Madame Z. mit ihrem Besuche zu beehren und sich auf den Betten und Sofas der Prostituierten mit der Fabrikation von Geweihen zu beschäftigen, von Hornverzierungen, die für den Scheitel des ahnungslosen Ehegatten bestimmt sind.
Doch nicht immer ahnungslos. Ein Ehemann hat unlängst die Tätigkeit seiner ungetreuen Gattin entlarvt. – Madame Z. berichtet hierüber: Ich will's in Zukunft womöglich unterlassen, diesen Liebespaaren Unterkunft zu geben. Man hat bloß Scherereien mit dem Gericht. Erst vor kurzem war ich als Zeugin in einem Ehebruchsprozeß vorgeladen. Das kam so: eine verheiratete Frau war mit ihrem Liebhaber bei mir abgestiegen; der Gemahl, der von dem Treiben seines treulosen Weibes Kenntnis erhalten hatte, begab sich mit einem Rechtsgelehrten in einen Hinterhalt, nahe meinem Haus, und als das Pärchen, nachdem es sich bei uns vergnügt, wieder auf die Straße trat, wurde es von dem Gatten und dem Zeugen abgefaßt.
Der betrogene Mann strengte einen Ehescheidungsprozeß an – erzählt Madame Z. weiter – und ich war als Zeugin vorgeladen. Nachdem ich mit der Ehefrau konfrontiert worden, sollte ich unter Eid aussagen, ob sie mir bekannt sei.
– Ich erklärte, daß ich sie nicht kenne, sie nie gesehen habe.
= Wie kommt es, fragte der Richter, daß Sie eine Frau, die nachgewiesenermaßen in Ihrem Hause gewesen, nicht wiedererkennen?
– Ich schau die Gesichter nicht an. Die Paare kommen zu mir im geschlossenen Wagen und für gewöhnlich sind die Ladies dicht verschleiert. Und daß ein geschlossener Wagen vorfährt, ist mir nichts Auffallendes, er erregt nicht meine besondere Aufmerksamkeit, denn auch die einzelnen Herren, die zu meinen Mädchen kommen, benützen oft geschlossene Wagen. –
Madame Z. sagt mir dann wiederum, daß sie darauf bedacht sein werde, ihrer Gastfreundlichkeit fürderhin Zügel anzulegen.
Da ich wissen möchte, wie sich in der Auffassung der Madame Z. das Seelenleben der ungetreuen Gattin malt, so frage ich naiv: Sagen Sie, warum tun das diese Frauen?
Die Erklärung, die Madame Z. gibt, ist sprachlich nicht präzis formuliert, doch der Sinn ist: sie tun es aus Abenteuerlust, aus Neugierde.
– Und Madame Z. fährt in ihren Betrachtungen fort: Freude kann das doch den Frauen nicht bereiten; sie müssen während der ganzen Zeit in Angst sein, daß sie erwischt werden, und wenn man Angst hat, so ist es ja schon aus diesem Grunde unmöglich, ein Vergnügen zu haben. –
Da ich lediglich die Absicht habe, die Meinungen und Erfahrungen der Madame Z. kennen zu lernen, so bleibe ich Zuhörer und Frager, ohne ihr mitzuteilen, wie ich mir die Geschichte vorstelle, und ohne an ihre etwas einseitige Betrachtungsweise eine Diskussion anzuknüpfen, eine Diskussion, die vielleicht mit dem Hinweis beginnen könnte, daß Angstgefühl und Lust keineswegs etwas durchgängs Unvereinbares und Gegensätzliches sind und daß die Leute, die auf verbotenen Wegen wandeln, aus dem Bewußtsein der Gefahr allenfalls nur noch einen erhöhten Reiz und Kitzel empfangen.
Ich befasse mich auch weiter nicht mit der Frage: wer ist eigentlich mehr ehrbar, – die »Dirne«, die im eigenen Heim, im eigenen Bett ein Gewerbe ausübt, aus dem sie vor aller Welt kein Hehl macht und mit dem sie niemandem die Treue bricht, oder die ehrbare Lady, die aus ihrem Ehebett ins Bett der Dirne schleicht, um dem Gatten die Treue zu brechen? Man darf übrigens annehmen, daß das Bett der Dirne mehr entehrt wird durch den Besuch dergleichen ehrbarer Damen, als diese Ehrbaren durch das Dirnenbett.
Und mir kommt in den Sinn, wie sich die mohammedanischen Ehemänner von Bombay betragen. Sie sperren ihre Ladies in den Harem ein, sie halten die Weiblein zu Hause in sicherem Gewahrsam und sind redlich bemüht, deren Freizügigkeit und persönliche Freiheit möglichst einzuschränken; – ein löblicher Versuch, die Damen vor Ausflügen und Spazierfahrten zu bewahren, welche zuguterletzt im Reiche der Madame Z. endigen könnten.
Die freie Europäerin beklagt oft die Stellung der bedauernswürdigen mohammedanischen Frauen: sie müssen verschleiert gehen, die Ärmsten, dürfen auf der Straße nicht ihr Gesicht zeigen etc.
Aber dann und wann fühlt sich auch die Europäerin gedrängt, ihr Antlitz dicht zu verschleiern; freilich nicht den Vorschriften eines überstrengen Sittsamkeits-Gesetzes folgend, sondern weil man sich zu einem galanten Abenteuer ins Freudenhaus begibt.
Es sei noch bemerkt: wenn von »Ladies« die Rede ist, so ist durchaus nicht geradezu die Engländerin gemeint. In Bombay sind Europäer und Europäerinnen verschiedentlicher Nationalität ansässig, Weiße aus mancherlei Ländern, und es ist vorauszusetzen, daß die Damen, die in der erwähnten Weise die Gastfreundschaft der Madame Z. in Anspruch nehmen, nicht just einem einzigen Volksstamm angehören.
Ich verlasse diese Ehrbaren (bald hätt ich gesagt: der Ehre baren) und beschäftige mich wieder mit dem sympathischeren Thema »das Freudenmädchen«.
Madame Z. berichtet mir: Auf den in Bombay eintreffenden Dampfern sind die europäischen Mädchen, die in Bombay das Freudengewerbe ausüben wollen, eine nicht selten vorkommende Erscheinung. Zumeist reisen sie in der dritten Klasse des Dampfers.
Bei der Ankunft des Schiffes in Bombay begibt sich auch ein britisch-indischer Polizeibeamter, ein eingeborener Inder, an Bord und nimmt die Mädchen unter seine Fittiche.
Er ist ein erfahrener Praktikus auf diesem Gebiet, sprachenkundig, hat einen geübten Scharfblick in der Erkennung: die da ist Eine!
Nun wird die Hetäre in die polizeiliche Liste eingetragen und in das Freudenhaus befördert, dessen Adresse sie namhaft macht. Für gewöhnlich sind die Mädchen schon vorher, wenn sie in Port-Said, Kairo, Konstantinopel oder anderenorts die Reise nach Bombay antreten, mit einer Adresse versehen.
Die Polizei schafft also die Mädchen in die Freudenanstalt und widmet fortan deren weiterem Schicksal nur eine sehr geringe Aufmerksamkeit.
Ich frage die Madame Z., ob in Bombay die Polizei einem jeden beliebigen europäischen Mädchen die Erlaubnis zur Ausübung des Hetärenberufes erteilt. An welche Bedingungen ist die Bewilligung geknüpft?
Zwei Einschränkungen werden von der britisch-indischen Behörde angewendet: Europäerinnen, die allzu jung sind, dürfen sich in Bombay nicht als Freudenmädchen betätigen; und Engländerinnen überhaupt nicht. Englische Mädchen werden aus nationalen Prestige-Rücksichten nicht zugelassen. Nur foreigners.
Also bloß die nicht-britischen Europäerinnen und die farbigen Mädchen.
Die Obrigkeit befürchtet, – nicht mit Unrecht, – das britische Ansehen könnte geschädigt werden in den Augen der Eingeborenen und vielleicht auch der Weißen, wenn eine Engländerin in einem öffentlichen Haus oder Häuschen auf dem Boden Indiens als Prostituierte beschäftigt wäre. Es soll kein Mann in der Lage sein, auf indischer Erde sagen zu dürfen: Gestern habe ich um Geld eine richtige Engländerin besessen, eine englische Professionsdirne, eine Tochter des Volkes, das mit stolzem Selbstbewußtsein in Indien herrscht.
– Was geschieht, wenn trotzdem ein englisches Mädchen, das sich dem Buhlmetier widmen möchte, nach Bombay verschlagen wird?
Eine solche Engländerin wird von der Behörde konfisziert und alsbald in ihre Heimat zurückgeschickt.
Das Alter der farbigen Mädchen – der Inderinnen etc. – wird von der Obrigkeit weniger streng zensuriert. Da im allgemeinen die Farbige nach Landesbrauch frühen Alters in die Ehe eintreten kann, so wird sie auch in frühen Jahren als Kamatipura-fähig erachtet.
Aus einigen Fragen, die ich an Madame Z. richte, ersieht sie, daß ich mich dafür interessiere, wie sich der Betrieb in ihrem Hause abwickelt.
Sie gibt mir in gut- und freimütiger Bereitwilligkeit folgende Auskünfte.
Als Leiterin des Hauses – berichtet Madame Z. – lege ich vor allem Wert darauf, daß die Gäste möglichst viel Getränke konsumieren. Das Wichtigste ist mir, daß meine Mädchen die Gäste zum Trinken ermuntern. Sie soll sich's angelegen sein lassen, daß ich Getränke verkaufe; wozu sie sonst die Männer zu verführen versteht, ihre anderen Erfolge und Eroberungen, – das ist mir eigentlich weniger wichtig.
Madame Z. unterscheidet zwei Gattungen von Mädchen: solche, die mehr für das geschäftliche Wohlergehen der Madame Z. arbeiten, und solche Mädchen, die mehr für sich selber, für die eigene Geldtasche, Sorge tragen.
Und da Madame der vielbeliebten Anschauung huldigt, daß die uneigennützigen Leute angenehmere Mitmenschen sind als die Egoisten, so trachtet sie, für ihr Haus womöglich weibliche Arbeitskräfte der minder selbstsüchtigen Art zu bekommen: Mir sind die Mädchen die liebsten, welche in erster Linie auf meinen Vorteil bedacht sind, indem sie die Besucher zum Trinken anregen, und erst in zweiter Linie für ihren eigenen Nutzen sorgen, indem sie die Herren veranlassen, vom Trinktisch wegzugehen und das Zimmer des Fräuleins zu Liebeszwecken aufzusuchen.
Das Geld, das von den Gästen für die Getränke bezahlt wird, fließt unverkürzt in die Tasche der Madame Z. Anderseits dürfen die Mädchen den ganzen Liebeslohn behalten, das ungeschmälerte Honorar, das sie als Entgelt für ihre Gunsterweisungen von den Männern empfangen, sie brauchen der Hausfrau keinen Anteil abzuliefern; zum Unterschied von anderen Freudenanstalten Bombays, in denen gemäß dem Hausbrauch die Buhlerinnen ihre Einkünfte mit der Besitzerin des Lustinstituts teilen müssen.
Ich frage: Wodurch fühlen sich denn die Mädchen bewogen, weniger für ihren eigenen Gewinn und Vorteil als für den der Hausfrau tätig zu sein?
Aus der Antwort der Madame Z. geht hervor, daß ihnen daran gelegen ist, die Gunst der Hausinhaberin zu erwerben, deswegen, weil die Mädchen, die den Getränkeverkauf tüchtig zu fördern wissen und solcherart das Wohlwollen der Madame erringen, weniger der Gefahr ausgesetzt sind, heute oder morgen entlassen zu werden, sie bleiben vielmehr als erwünschte Insassinnen im Hause und finden hier Gelegenheit, selber Geld zu erwerben, wenn auch gewissermaßen im Neben-Amt, in zweiter Folge, – als Verkäuferinnen respektive Verleiherinnen des eigenen Leibes.
Zudem spendet die Hausfrau den Mädchen, mit denen sie zufrieden ist, dann und wann irgendwelche Geschenke.
– Weder von mir noch von Madame Z. wird in unserem Gespräch der Ausdruck »animieren« verwendet, doch bleibt mir's unbenommen, in Gedanken festzustellen, daß die Mädchen von Madame zuvörderst als sogenannte »Animiermädchen« benützt, ausgenützt werden.
Als ein schöner Zug im Porträt der Madame Z. ist vorhin die Tatsache festgestellt worden, daß die Mädchen den unverkürzten ungeteilten Liebeslohn behalten dürfen. Aber er – der hübsche Zug – vermag einer genaueren Prüfung nicht ganz Stand zu halten, wofern man erwägt, daß die Mädchen aus ihren Einnahmen, eben aus ihrem Liebessold, indirekte Abgaben in die Hand der Hausfrau abführen: sie bekommen Verköstigung und Wohnung im Hause und müssen der Madame Z. hiefür Zahlung leisten.
– Was geschieht, frage ich, falls eines Ihrer Mädchen krank wird?
= Wenn sie sich eine Krankheit holt, wird sie nach Hause, nach Europa geschickt. Hat sie die Geldmittel zur Heimreise, dann fährt sie auf eigene Kosten; ist sie mittellos, dann wird eine Kollekte veranstaltet, damit man das Reisegeld zusammenbringt. Man entfernt die Patientin aus dem Hause, um dieses nicht in Mißkredit kommen zu lassen. Wenn auf einen Gast, einen Kunden bei uns ein Leiden übertragen würde, so wäre zu befürchten, daß die Herrenwelt von Bombay diese Geschichte erfahren und dann in berechtigter Ängstlichkeit unserem Hause fernbleiben könnte.
– Schreibt die Behörde eine regelmäßige ärztliche Untersuchung vor? frage ich.
= Nein.
Madame Z. wiederholt die Bemerkung, daß die Polizei in das Tun und Treiben der Freudenmädchen sich nicht einzumengen pflegt, bestimmte Fälle ausgenommen: Engländerin, – allzu jugendliche Europäerinnen, – öffentliches Ärgernis, also Skandal außerhalb des öffentlichen Hauses, – die allgemeinstrafbaren Handlungen.
Doch ich lasse aus eigenem Antrieb – berichtet sie – von Zeit zu Zeit die Mädchen untersuchen. Ein europäischer Arzt wäre freilich zu kostspielig, darum wird die Untersuchung aus Verbilligungsgründen von einem eingeborenen Doktor durchgeführt, von einem Native oder Halfcast.
Vielleicht ist der Ton, in dem Madame Z. diese Aussage macht, nicht von hinreichender Festigkeit, – ich bekomme jedenfalls den Eindruck, daß ich möglicherweise ihren Ausdruck »Von Zeit zu Zeit« als etwas recht Unbestimmtes auffassen darf und daß es mir freisteht, die Häufigkeit der Untersuchungen, welche den Mädchen zuteil werden, nicht zu überschätzen.
Aus den Mitteilungen der Madame Z. glaube ich zu entnehmen, daß die kranken Mädchen deswegen heimgeschickt werden, weil in Bombay die Heilkosten reichlich hoch wären, zumal wenn die – nötigenfalls langwierige – Behandlung einem fachkundigen europäischen Arzt übergeben werden müßte.
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Derweil ich jetzt schreibe, merk ich, daß ich ziemlich oft das Wort »Mädchen« verwende. Es besteht wohl kein Mangel an Synonymen, an Ersatz-Bezeichnungen, doch der indifferente Ausdruck »Mädchen« will mir zu Zeiten mehr gefallen als beispielsweise Hetäre, Kurtisane, Kokotte, Dirne, Prostituierte, Freimädchen, Lustdirne, Puella publica, die Gefallene, Lorette usw. Sehr hübsch, ja geradezu vornehm klingt Phryne – oder gar Lais …
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Ich werde bei Gelegenheit in der Registrierung der Madame Z.-Bekenntnisse fortfahren.
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