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III. Salzmann am Philanthropin in Dessau

So kommt Salzmann an das berühmte, von Basedow gegründete Philanthropin in Dessau, damals wohl die angesehenste Schule Europas. Kant urteilt über das Institut: »Es war in gewisser Weise die einzige Schule, bei der die Lehrer die Freiheit hatten, nach eigenen Methoden und Plänen zu arbeiten und wo sie unter sich sowohl als auch mit allen Gelehrten in Europa in Verbindung standen.« Basedow war 1781 schon von der Leitung zurückgetreten. Salzmann hatte täglich eine Religionsstunde von evangelisch-apostolischen Christentum und von der vermischten philosophisch-christlichen Sittenlehre zu geben, außerdem die Andachten und Gottesdienste der Anstalt zu halten. Die blühende Jugend, die aus den verschiedensten Teilen Europas nach Dessau gekommen war, hing mit großer Liebe an Salzmann. Zu seinen Gottesdiensten erschienen nicht nur die Glieder des Instituts, sondern auch zahlreiche Zuhörer aus der Stadt. Unter den Mitarbeitern herrschte ein humaner Ton; zudem fand Salzmann viel Freude an der schönen Umgebung Dessaus. Sein Amt läßt ihm Zeit, seine schriftstellerische Tätigkeit fortzusetzen und durch Reisen neue Verbindungen anzuknüpfen. So kommt er nach Rekahn zu dem Domherrn von Rochow, dem »Pestalozzi der Mark«, an dessen auf die Reform der Volksschule gerichteten Bestrebungen Salzmann den lebhaftesten Anteil nimmt. Trotzdem ist Salzmann mit seiner Lage in Dessau nicht voll zufrieden. »Diese Verbindung mit dem Dessauischen Institut war mir außerordentlich wichtig. Ich kam auf einen Platz, wo selbstdenkende Erzieher schon seit einigen Jahren mit fast unumschränkter Freiheit gearbeitet hatten und noch arbeiteten und wurde dadurch in den Stand gesetzt zu beurteilen, was in der Erziehungskunst ausführbar und was nicht ausführbar ist, – wodurch diese Anstalt so weit gekommen und – aus was für Ursachen – sie nicht noch weiter gekommen ist. Je mehr ich in das Innerste dieser Erziehungsanstalt schaute, desto mehr wurde ich überzeugt, daß der Plan, der hier zu Grunde lag, zwar sehr gut, aber nicht der wäre, den ich bisher in mir getragen hätte.« Was findet nun nicht seinen Beifall?

1. Zunächst vermißt er die einheitliche Leitung. Seit dem Rücktritt Basedows von der Leitung wird das Philanthropin kollegial geleitet. Vier bis fünf Professoren leiten gemeinsam die Anstalt, Salzmann gehört zu ihnen. Er macht die Erfahrung, daß bei diesem System auftretende Mängel recht schwer abzustellen sind.

2. Dem Philanthropin fehlt der Familiencharakter, der nach Salzmanns Meinung an einem Institut, das den Kindern auch das Elternhaus ersetzen muß, unentbehrlich ist. Sogar zwischen den Lehrern blieben Reibungen nicht aus. Besonders der Streit zwischen Basedow und Wolke droht den inneren Frieden und das Ansehen der Anstalt ganz zu zerstören. Wolke, einer der tüchtigsten Lehrer des Instituts, besonders bekannt durch seine Reform des Sprachunterrichts, gerät mit dem reizbaren und auf seinen Ruf als Pädagoge sehr eifersüchtigen Basedow in einen häßlichen Streit. Salzmann bemüht sich zwei Jahre lang zu vermitteln und wenigstens zu verhüten, daß die Öffentlichkeit davon erfuhr. Vergebens waren seine Bemühungen; es kommt endlich sogar zu einem Prozeß, der – wie Salzmann voraussieht – das ganze Institut zerrütten muß. –

3. Die Lage des Philanthropins in einer Stadt scheint Salzmann unglücklich gewählt. In einem größeren Ort gibt es zu viel Miterzieher, die unerwünscht sind, auch ist da die Verbindung mit der Natur nicht eng genug.

So reift in Salzmann der Plan, eine eigene Erziehungsanstalt ganz nach seinen Ideen zu gründen. Auf einer Reise nach Gotha macht er die Bekanntschaft des Herzogs Ernst II., der ihm eins seiner Lustschlösser zur Verfügung stellen will. Salzmann lehnt zwar ab, da er unabhängig bleiben will, erwirbt aber im Gothaischen das zwischen der Stadt Waltershausen und dem berühmten Kloster Reinhardsbrunn reizvoll gelegene Gut Schnepfenthal. Hier soll seine neue Erziehungsanstalt erstehen.


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