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Mittel, Kindern frühzeitig Haß und Neid gegen ihre Geschwister einzuflößen

I.

Entziehe dem einen deine Liebe und schenke sie ganz dem andern.

Zwei Brüder, Christian und Christoph, hatten im Grunde beide gute Herzen, aber eine ganz entgegengesetzte Gemütsart. Christian war munter und sinnreich, Christoph hingegen verdrossen und mürrisch. So wie ihre Gemütsart, so war auch ihr Äußerliches. Christian hatte immer eine lächelnde, gefällige Miene. Christoph sah immer ernsthaft und finster aus, selten sah man ihn lachen. Bei jenem ging alles in Hüpfen und Springen, dieser hatte einen schwerfälligen Gang. Jener war sehr reich an scherzhaften Einfällen, dieser desto ärmer. Und wenn auch beide einerlei sagten, so kleidete es doch jenem wegen seiner Freundlichkeit besser als diesem. Wenn Christian sagte: krieg' ich auch Kirschen? so war man fast nicht vermögend, sie ihm abzuschlagen. Und wenn Christoph sprach: krieg' ich auch Kirschen? so schien es, als wenn er eine Ungezogenheit begangen hätte.

Da war es nun ganz natürlich, daß alle Leute, die Christophs gute Seele nicht kannten, ihn vernachlässigten und Christian ihm vorzogen. Die Kinder drängten sich um diesen, rissen ihn mit zum Spiele fort, und jenen ließen sie stehen. Kamen Fremde in das Haus, so konnten sie bei Christian des Lobens und Schmeichelns nicht satt werden; aber den guten Christoph – ja, den bemerkte man nicht.

Dies ging am Ende so weit, daß die Eltern selbst sich in Christian vergafften und Christoph beinahe alle Liebe entzogen.

Schon der Ton, aus welchem sie mit beiden sprachen, war äußerst verschieden, so daß man hätte glauben sollen, Christoph wäre ein Stiefkind.

Christianchen, willst du mir denn ein Glas Wasser holen?

Da Christoph, nimm das Glas! bring es voll Wasser!

Komm', du kleiner blauäugiger Vogel! da habe ich dir etwas mitgebracht. Sieh' einmal die Kirschen!

Da Christoph, hast du auch Kirschen!

Ah! bist kein hübscher Christian. Hast dir das ganze Gesicht mit Heidelbeeren blau gemacht.

Wie doch der Junge einmal aussieht – wie ein Schwein! Hat man doch weiter nichts zu tun, als an dir zu waschen.

Christian! Christian! wenn du mir das noch einmal tust, so setzt es etwas. Ich schlage nicht gern, das weißt du. Aber – wenn du im Guten nicht hörst – kennst du da die Rute?

Hundsföttischer Junge! was hast du gemacht? Untersteh' dich's noch einmal, so will ich dich gewiß an die Ohren schlagen, daß du dich um und um drehen sollst.

So verschieden nun der Ton war, aus dem die Leute mit ihren Kindern sprachen, so verschieden war auch ihr ganzes Betragen gegen sie.

Christian kam bei den größten Ungezogenheiten mit einem kleinen Verweise durch, Christoph wurde bei den kleinsten Versehen mißhandelt; jener bekam manchen Honigkuchen, manche Makrone, manche Pfirsiche, und der arme Christoph mußte das Maul wischen. Zehnmal kniff die Mutter wohl den Tag über Christian in die vollen Backen; aber der gute Christoph – daß er doch nur einmal eine Liebkosung bekommen hätte! Über Tische bekam Christian immer zuerst und das beste Stück. Wurde spazieren gefahren, so brauchte er nur mit seinen blauen Augen nach dem Vater und der Mutter zu schielen, so kam er gewiß mit. Aber Christoph – der mußte immer zu Hause bleiben – nahm man ihn ja einmal mit, so wurde es ihm als eine besondere Gnade angerechnet. Daß Christian auch in seiner Kleidung einen Vorzug hatte und man sich alle Mühe gab, ihm immer etwas anzubinden und anzustecken, das in die Augen fiel, versteht sich von selbst.

Dadurch wurde nun Christoph alle Tage erbitterter. Er wurde seinem Bruder gram. Wenn dieser etwas geschenkt bekam, anstatt, daß er darüber eine Freude hätte haben sollen, so ärgerte er sich; bekam Christian hingegen einen Verweis, oder stieß er sich, oder fiel er, so hatte er eine Freude. So wenig er zu lachen pflegte, so habe ich ihn doch einmal lachen sehen, da der schöne Blumentopf, den sein Bruder von der Mutter bekommen hatte, vom Schranke fiel.

Die Bosheit seines Herzens wurde täglich genährt und wuchs so stark, daß er sie am Ende nicht mehr bergen konnte.

Anfänglich legte er sich auf das Belfern. Wenn Christian etwas vor ihm voraus bekam, so sprudelte er allerlei unanständige Reden heraus: das ist wahr – das ist nicht erlaubt – Christian kriegt alles – ich kriege nichts – hu-hu-hu-, bin ebensowohl Kind. – Das übrige murmelte er durch die Zähne, die gemeiniglich vor Bosheit knirschten.

In der Folge verging er sich so weit, daß er seinem Bruder alle mögliche Tücke zufügte. Er riß Blätter aus dessen Büchern, befleckte seine Kleider, täglich gerieten sie aneinander, schimpften, rauften und balgten sich, und, da Christoph derbere Fäuste hatte, so warf er oft seinen Bruder zu Boden, faßte ihn bei den Haaren und schlug den Kopf vor die Erde.

Freilich bekam er allemal dafür seine Strafe; das half aber alles nichts. Er wurde von Tag zu Tag schlimmer, und seine Mutter sagte oft: wenn ich nur wissen sollte, wo der Junge herkäme! Hopfen und Malz sind an ihm verloren! Er kriegt alle Tage Schläge und ist doch so boshaft.

II.

Wenn du ein Kind strafest, so lobe das andere.

Frau Anna war in ihrem Betragen oft heftig. Wenn ein Kind etwas versah, so fuhr sie über dasselbe her, zauste es bei den Haaren, gab ihm Maulschellen und Faustschläge. War sie nun ermüdet, so fiel sie in den Lehnstuhl, hielt noch eine lange Strafpredigt und dann kam sie gewöhnlich auf das andere Kind zu reden, das denselben Tag keine Schläge bekommen hatte, dem sie eine ebenso übertriebene Lobrede hielt.

Um mich deutlicher zu erklären, will ich doch einmal ein Exempel hersetzen.

Katharinchen, ihr ältestes Töchterchen, hatte einmal Lust, sich am Wasser zu vergnügen. Sie setzte Stückchen Holz auf das Wasser, sagte, das wären Schiffe, und hatte da ihre Lust daran. Dann wollte sie fischen, fuhr mit den Armen bis über den Ellenbogen in das Wasser, und wenn sie ein Steinchen oder ein Stückchen Eisen erhascht hatte, so rief sie ihren Gespielinnen zu: he! ich habe einen Fisch gefangen! da habe ich einen Karpfen! da habe ich eine Forelle! Mit dieser Lust machte sich Katharinchen nach und nach so naß, daß alle ihre Kleider trieften. Christinchen aber, der es damals gefiel, ein paar junge Sperlinge zu rupfen, nahm an dieser Lust keinen Anteil und blieb also trocken.

Da traf nun Frau Anna ihr triefendes Katharinchen an und gleich – schwapp, schwapp – hatte sie ein paar tüchtige Ohrfeigen. Sie griff ihr in die Haare, schleppte sie in die Stube, zauste sie noch ein paar Minuten, dann fiel sie halb atemlos in den Lehnstuhl und hielt ihr noch folgende Strafpredigt:

Du gottvergessenes Kind! Schimpf und Schande hat man von dir! Ich ziehe und ziehe an dir, und es bleibt immer, wie es ist. Und wenn ich mir das Maul bis zu den Ohren rede, so wirst du nicht anders. Ein Sausiedel, ein rechter Aschenbrödel bist du. Wie sie dasteht, die große Elze! wie ein Trempel! Die Schürze habe ich ihr erst heute weiß vorgetan – wie sie schon aussieht! Pfui! ich wollte mich schämen, wenn ich hübscher Leute Kind wäre und wollte mich so säuisch aufführen! Da lob' ich mir das Christinchen! wie das so reinlich dasteht, wie wenn sie ein Kätzchen geleckt hätte! das hält doch etwas auf sich! das wird niemals solche dumme Streiche vornehmen! Aber komm' her, mein liebes Christinchen! ich will dir ein Mäulchen geben. Von Katharinen – dem – pfui! ich will nichts mehr von ihr wissen – mit dem Besen will ich sie fortkehren!

Machte nun Christinchen den andern Tag etwas nicht nach der Mutter Kopfe, so bekam sie eben diese Strafpredigt und Katharinchen wurde ihr zum Muster vorgestellt.

Was Frau Anna bei diesem Betragen gegen ihre Kinder eigentlich zur Absicht gehabt hat, weiß ich nicht. Wenn aber dies ihre Absicht war, ihre Kinder gegeneinander aufzuhetzen, so hat sie dieselbe glücklich erreicht.

Sie wurden gegeneinander so erbittert, daß sie einander mit den Augen hätten erstechen mögen. Das gelobte Kind ärgerte sich immer über das bestrafte, weil es der Mutter so vielen Verdruß verursachte, und das bestrafte hätte vor Unwillen vergehen mögen, daß dem Schwesterchen, das doch eben nicht besser war, solche Lobeserhebungen gemacht wurden.

III.

Sei fein gelinde bei den Kränkungen, die deine Kinder einander zufügen, und hüte dich, ihre Zänkereien genau zu untersuchen.

Marianne wußte sich sehr gut bei ihren Eltern einzuschmeicheln; aber das ist nicht zu leugnen, daß sie auch sehr tückisch, bisweilen boshaft war. Hatte ihr Bruder etwas, das ihr anstand, so zog sie es an sich oder zerriß, zerschlug und verdrehte es. Da fing nun Wilhelm allemal ein Zetergeschrei an. Die Eltern sprangen bei. – Was gibt es? riefen sie.

Die Marianne, die, antwortete Wilhelm, hat meine Zahlpfennige genommen! Sie hat mein Bildchen zerrissen!

Mußt du denn um so eine Kleinigkeit so einen Lärm anfangen? Sei doch nur stille! Wie lange wird es währen, so hat sie dies Spielzeug satt und wirft es hin, da kannst du es ja wieder nehmen.

Dies war gemeiniglich die ganze Genugtuung, die Wilhelm für die Beleidigungen bekam, die seine Schwester ihm zufügte.

Bisweilen, wenn die Kinder zu schreien anfingen, sprangen die Eltern auch wohl zu, und ohne nur die geringste Untersuchung anzustellen, wer den Zank veranlaßt habe, schlugen sie auf beide hinein. Wilhelm bekam insgemein die derbsten Hiebe, weil er am heftigsten zu schreien pflegte.

Dies brachte ihn oft so auf, daß er anfing, sich selbst Recht zu schaffen. Wenn seine Schwester ihn getückt hatte, so fuhr er auf sie hinein, raufte und mißhandelte sie, und sie wurden beide gegeneinander so erbittert, daß sie einander lebenslang recht heidnisch haßten.


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