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Mittel, Kindern das Lügen zu lehren

I.

Halte sie fein frühzeitig zum Lügen an.

Hierin hatte Meister Stephan eine ganz vorzügliche Geschicklichkeit. Er ließ fast keinen Tag vorübergehen, ohne den kleinen Stephan angehalten zu haben, wenigstens eine Lüge zu sagen.

Merkte er, daß jemand ihn besuchen würde, der ihm nicht gelegen war, so stellte er den kleinen Stephan in die Tür und sagte: Du! wenn der oder der kommt und fragt, ob dein Vater zu Hause wäre, so sprich: Vater ist nicht zu Hause, Vater ist über Feld gegangen.

Kam etwa eine arme Frau oder ein armes Kind, die etwas Brot verlangten, so sagte Meister Stephan zu seinem Söhnchen: Geh' hin! sprich, wir hätten heute selbst kein Brot, wir säuerten diesen Abend erst.

Das Söhnchen ging nicht gern in die Schule und versäumte sie daher oft unter allerlei nichtigem Vorwande. Kam nun der andere Tag, so fürchtete es sich noch mehr, die Schule zu besuchen. Ich gehe nicht in die Schule, hieß es, ach! ich gehe nicht in die Schule, ich kriege Schläge, weil ich gestern nicht darin gewesen bin. Aber Meister Stephan wußte bald Rat zu schaffen. Närrchen! sagte er, du kannst ja nur sprechen, du hättest gestern eine Purganz eingenommen, oder hättest für mich ein paar Wege gehen müssen. Die Schuldiener müssen es ja wohl glauben.

Die Frau Stephan war etwas genau und wendete einen Pfennig zehnmal um, ehe sie ihn ausgab. Wenn nun das Söhnchen sie bat: Mutter, gib mir einen Pfennig, ich will mir eine Semmel kaufen; oder wenn es sie um einen Dreier zu Kirschen oder Erdbeeren ansprach, so bekam es die Abfertigung: Papperlapapp! Ob so ein Junge, wie du bist, von allen Leckereien hat oder nicht. Demohngeachtet aß aber doch Stephan alle Tage Kirschen oder Erdbeeren, oder was sonst die Jahreszeit mit sich brachte. Sein Vater steckte ihm einen Dreier nach dem andern zu, gab ihm aber dann die väterliche wohlmeinende Erinnerung: Da hast du einen Dreier! Geh' hin, kaufe dir etwas! Laß es aber deine Mutter nicht sehen! Und wenn sie es sieht, so sprich: dein Pate hätte dir das Geld gegeben.

Der junge Stephan machte in kurzer Zeit im Lügen einen ungemeinen Fortschritt. Er war imstande, ganze Geschichten, von denen kein Wort wahr war, zu erzählen, ohne rot zu werden. Da lachte nun der Alte, daß ihm der Bauch schütterte, und sagte: Das ist ein durchtriebener Vogel, der hat den Kopf auf dem rechten Flecke.

Aber freilich machte er, als er größer wurde, auch manches Stückchen, das seinem Vater nicht gefiel.

Des Sonntags früh ging er gewöhnlich in ein Branntweinhaus und sagte bei seiner Zurückkunft, er wäre in der Kirche gewesen. Fragte ihn sein Vater, was er aus der Predigt gemerkt hätte, so wußte er ihm so vieles zu erzählen, daß es dem Vater gar nicht einfiel, in ihn ein Mißtrauen zu setzen.

Die Woche hindurch lief er halbe Tage lang von der Arbeit unter dem Vorwande, er sollte zum Paten, zur Base oder zur Großmutter kommen, und ging in die liederlichsten Häuser, wo er einen Gulden nach dem andern sitzen ließ.

Der Vater vermißte nach und nach Geld, Wäsche und Handwerkszeug. Es ging ihm im Kopfe herum. Ich muß, sagte er einmal bei Tische, einen Spitzbuben im Hause haben, das kann nicht anders sein. Den muß ich herauskriegen, es koste, was es wolle. Der junge Stephan wurde weder blaß noch rot. Er kriegte den Vater auf die Seite und zischelte ihm in das Ohr: Wollt ihr wissen, wer euer Dieb ist? Das ist der Geselle. Der läßt in allen Wirtshäusern so viel aufgehen, daß die ganze Stadt davon spricht. Nicht wahr, es ist euch ein Rößchensgulden weggekommen? Wirklich? Nun seht, den hat er am verwichenen Sonntage im Gasthofe auf das Spiel gesetzt.

Natürlich mußte dies Meister Stephan ärgern. Er lief auf den Gesellen los, schalt ihn einen Dieb, einen Spitzbuben. –

Den höre ich, sagte der Geselle. Der Spitzbube soll euch teuer zu stehen kommen.

Er lief auf das Rathaus, verklagte seinen Meister und brachte es dahin, daß ihm dieser Abbitte und Ehrenerklärung tun und noch überdies etliche Gulden Strafe erlegen mußte.

Wie es nun zu gehen pflegt. Der Krug geht so lange zu Wasser, bis er zerbricht. Meister Stephan kam nach und nach hinter alle Schelmereien seines Sohnes. Er schmälte, er prügelte, er drohte mit dem Zuchthause, das half aber alles nichts. Meister Stephan wurde nach und nach zum armen Manne. Schließlich kam es mit ihm so weit, daß er selbst als Geselle arbeiten mußte. Da soll er nun oft gegen seine Mitarbeiter geklagt haben: Ich armer Mann! In all das Unglück hat mich mein Junge, der Galgenstrick, gestürzt. Kein wahres Wort geht aus seinem Munde. Er lügt, wie ein Vogel in der Luft fliegt. Wenn ich nur wissen sollte, wo er das verdammte Lügen gelernt hätte!

II.

Belache und belohne die Lügen!

Krieg' ich auch Wein? fragte Lottchen bei Tische ihre Mutter.

Nein, Lottchen, der Wein ist Kindern nichts nütze.

Aber ich bin ja krank und habe einen schwachen Magen. Du sagtest ja einmal, daß der Wein für einen schwachen Magen gesund wäre.

Da lachte die ganze Tischgesellschaft über das drollige Mädchen. Die Mutter griff sogleich nach der Flasche, schenkte ihr ein und sagte: Da hast du nur ein Gläschen, du kleine Lose! Ist nun der Magen wieder gesund?

Ja, Mutter, recht gesund. Es tut mir nichts mehr wehe.

Dieser Einfall wurde abermals mit Lachen aufgenommen.

Lottchen merkte es sich und suchte nun durch solche Einfälle das Lob ihrer Mutter zu verdienen. Und da, wie bekannt, die Hunde am Riemchen Leder kauen lernen, so gewöhnte sich auch Lottchen durch dergleichen Späßchen das Lügen so an, daß sie in der Folge beständig unter dem Namen Lügenlotte in der Stadt bekannt war.

III.

Glaube alles, was dir deine Kinder sagen.

Die Frau Simpel erkundigte sich jedesmal, wenn sie von Besuchen zurückkam, wie sich ihre Kinder in ihrer Abwesenheit aufgeführt hätten, und zwar bei den Kindern selbst, weil sie glaubte, daß diese ihr von ihrem Betragen die zuverlässigste Nachricht geben könnten.

Nun, Kinder, seid ihr auch recht artig gewesen?

Recht artig, liebe Mutter!

Ihr habt doch nicht getobt?

Nein, wirklich nicht.

Ihr seid doch nicht auf der Gasse umhergelaufen?

Wir sind nicht aus der Stube gekommen. Ich habe gestrickt und meine Schwester hat in der Bilderbibel geblättert.

Nun, das ist fein. Da bringe ich euch auch ein Stückchen Kuchen mit, weil ihr so artige Kinder gewesen seid.

Gingen die Kinder spazieren, so fragte sie die Mutter allemal, wo sie gewesen wären. Und da nannten sie ihr immer einen Ort, mit dem sie wohl zufrieden war. Und das glaubte sie alles, ohne weitere Nachfrage anzustellen, ob die Kinder auch die Wahrheit geredet hätten.

Anfänglich nun redeten sie immer die Wahrheit. In der Folge versahen sie aber doch da und dort etwas, das sie für gut hielten, der Mutter zu verbergen. Sie liefen z. B. einmal in der Mutter Abwesenheit mit wilden Kindern auf der Gasse umher, wurden darüber bänglich und konnten sich anfänglich nicht entschließen, die Mutter zu belügen. Endlich sagte aber die ältere Schwester: Wir dürfen es doch nicht sagen, daß wir herumgelaufen sind, sonst kriegen wir keinen Kuchen. Dies bewog nun die anderen Kinder, daß sie mit der älteren Schwester eins wurden, der Mutter, wie sie sagten, eine Nase vorzuschwatzen.

Als nun die Mutter fragt: Seid ihr fein zu Hause geblieben? so erschraken sie; keins traute zu antworten, bis die ältere Schwester losbrach und sagte: Ja, liebe Mutter, wir sind nicht vor die Tür gekommen. Da stimmten denn die kleineren Kinder auch mit ein.

Die Mutter lobte sie wegen ihrer Eingezogenheit. Die Kinder dachten aber: Geht es so, daß die Mutter alles glaubt, so können wir ja mehrmals solche Späßchen machen.

Nun begingen sie die größten Ausschweifungen, wenn die Mutter nicht zu Hause war, und versicherten allemal bei ihrer Zurückkunft, daß sie recht fleißig und artig gewesen wären. Sie besuchten auf ihren Spaziergängen die Spielplätze, wo es am wildesten herging, und nannten hernach allezeit einen Ort, wo sie gewesen wären, von dem sie wußten, daß er der Mutter angenehm sei.

Sie wurden von Jahr zu Jahr in ihren Lügen dreister und freier, und es kam am Ende so weit, daß die Frau Simpel ihrer Kinder – Spott wurde.

IV.

Strafe deine Kinder, wenn sie die Wahrheit sagen!

Fritz wollte einmal eine Fliege fangen. Da er mit der Hand nach ihr fuhr, schlug er an des Vaters Glaskrug, daß dieser auf die Erde fiel und in viele Stücke zerbrach. Der arme Junge hätte vor Angst vergehen mögen. Unterdessen, dachte er, es ist doch wohl das Beste, daß du sogleich zum Vater gehst und ihm selbst gestehst, was du angerichtet hast. Wehmütig suchte er ihn und traf ihn endlich im Garten an. Ach, Vater, Vater! sagte er, sei ja nicht böse, ich wollte eine Fliege fangen und stieß an deinen Glaskrug.

Was? an den Glaskrug? und hast ihn zerbrochen?

Ja, ich habe ihn zerbrochen, lieber Vater; aber ich habe es wirklich nicht gern getan.

I du gottloser Junge! ich will dir den Glaskrug anstreichen, daß du an mich denken sollst.

Ach, Vater, was willst du machen ? Lieber, lieber Vater! Ich glaube, du willst eine Weide abschneiden und mich schlagen? Ach, ich – ich bitte, ich bitte – in meinem Leben –

Du gottheilloser Junge –

Ach, Vater, du schlägst –

Du wirst doch –

Mich tot – du schlägst mich tot –

In deinem Leben nicht klug werden.

Ach, mein Arm, mein Arm! Ach, hör' auf, Vater, ich will es in meinem Leben nicht wieder –

Da merk's! Ich will dir lernen, den Glaskrug zerbrechen.

Ach, daß Gott! Mein Arm, mein Arm!

Ein anderes Mal blätterte Fritz in einem Bilderbuche. Ehe er es sich versah, glitt das Buch ab; er wollte es auffangen, ergriff ein Blatt, und – retz – da riß das Blatt mitten voneinander. Wem war banger als Fritz! Er machte das Buch zu und stellte es stillschweigend wieder an den Ort, wo er es weggenommen hatte.

Nach ein paar Tagen wollte der Vater etwas in dem Buche suchen und fand das zerrissene Blatt. Da fragte er sogleich den Fritz, ob er nicht wüßte, wer das Blatt zerrissen habe. Fritz gestand es, beschrieb aber auch zugleich, wie es damit zugegangen wäre, und bat, daß ihn der Vater doch ja deshalb nicht schlagen möchte.

Das half aber alles nichts. Fritz bekam seine Hiebe so gut wie damals, da er den Glaskrug zerbrochen hatte.

Da er nun sah, daß sein Vater durchaus die Wahrheit nicht hören wollte, so fing er nach und nach an, sie sich abzugewöhnen.

Wenn er hernach wieder etwas angerichtet hatte, so gestand er es niemals. Bald leugnete er es gar, bald schob er die Schuld auf einen Unschuldigen.

Er zerbrach, weil er sehr flüchtig war, bald Gläser, bald Tassen, aber er wußte sich allemal so herauszuwickeln, daß die Schuld nicht auf ihn kam. Bald sollte der Wind die Fenster aufgerissen und die Gläser heruntergeworfen, bald die Katze auf den Tisch gesprungen sein und die Tassen zerbrochen haben.

Einmal hatte er einen Teller voll Bratenbrühe auf sein Kleid gegossen. Anstatt daß er es hätte dem Vater gestehen sollen, so hing er ganz stillschweigend das Kleid an seinen Ort. Da er es den folgenden Tag anziehen sollte, kam er mit großem Geheule zu dem Vater gelaufen. Vater, Vater, schrie er, sieh einmal mein Kleid an! Da hat jemand Fett darauf gegossen, da ist ein großer Fleck geworden – das schöne Kleid!

Du hast es, sagte der Vater, doch wohl nicht selbst getan?

Ich? antwortete er, ich werde ja mein Kleid nicht verderben. Nein, wirklich, das habe ich nicht getan.

Da kam nun Fritz allemal gut durch. Log er, so gingen alle seine Streiche ungeahndet hin. Redete er die Wahrheit, so bekam er Schläge. War es ihm zu verdenken, wenn er sich auf das Lügen legte?


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