Moritz Gottlieb Saphir
Wilde Rosen
Moritz Gottlieb Saphir

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101.

        Hundert wilde Rosen sind gesprossen
      Aus den Ritzen meiner Herzenswunden,
Und ich band sie ihr zum Liederkranze
      In des Wundenfiebers heißen Stunden.

Jede dieser hundert wilden Rosen
      Treibt an seinem zarten Stengel wieder
Hundert and're kleine Rosenknospen,
      Hundert and're Knospen kleiner Lieder.

Denn so tief sind diese Herzenswunden,
      Daß ihr Boden bleibet unergründlich,
Und so heiß das Blut in diesen Wunden,
      Daß es wilde Rosen treibet stündlich.

Doch die Liebe zählt nicht ihre Thränen,
      Ihre Küsse nicht, nicht ihre Lieder,
Und ich sollte diese Rosen zählen
      Die aus Wunden sprossen zehnfach wieder?! 180

Ungezählt, wie süßes Liebeswünschen,
      Ungezählt, wie süßes Liebesträumen,
Pflück' ich ihr zum Kranze wilde Rosen
      Aus des Herzens rosenvollen Räumen! 181


102.

        Tausend Schmerzen fühl' ich stündlich,
      Ungestüm an's Herz mir schlagen:
»Laß' hinaus uns in das Leben,
      Gib uns Wort zu lauten Klagen!« –

Und ich kleide sie in Töne,
      Hülle sie in weiche Worte,
Und sie ziehen, weinend, klagend,
      Aus des Herzens off'ner Pforte.

Denn ein Schmerz erträgt sich leichter,
      Gibt im Wort er von sich Kunde,
Und die Luft, sie kann nicht heilen,
      Aber kühlen doch die Wunde!

Nur ein einz'ger Schmerz, ein großer,
      Bleibt im Herzen mir verschlossen,
Er begehrt nicht Luft und Worte
      Wie die andern Schmerzgenossen; 182

Sitzt allein, vom Krampf gefesselt,
      Und zum Knäul zusammgezogen,
Hat sich an den Herzenswänden
      Stumm und durstend festgesogen.

Wie ein Krebs, mit scharfen Scheren,
      Sitzt er in des Herzens Krone,
Schneidet ein mit kaltem Blute,
      Schneidet ein mit kaltem Hohne.

Und ich möchte seinen Namen
      Meinem Schatten selbst nicht nennen,
Und den eigenen Gedanken
      Es verwehren, ihn zu kennen!

Wie der Mann mit Eisen-Maske,
      Seinen eig'nen Laut behüthend,
Sitzt er in dem Herzgefängniß,
      An sich nagend, lautlos wüthend! 183


103.

        Zum Geburts- und Namenstage
      Des geliebten holden Kindes,
Ist es süß, sich auszusinnen
      Neuen Reiz des Angebindes;

Sei's ein Bildchen, sei's ein Blümchen,
      Sei's ein Kreuzchen, klein und golden,
Sei's ein Blättchen, das beschrieben
      Mit dem Namenszug der Holden;

Sei's ein Buch, das zart gebunden,
      Und die Stelle, die sich eignet,
Durch ein kleines Rosenblättchen
      Eingeleget und bezeichnet. –

Solches süßes Liebesinnen
      Raubten mir die Unglückssterne,
Steh' an solchen gold'nen Tagen
      Weit von ihr und einsam ferne! 184

Nur des Nachts steh' ich am Fenster,
      Wo die Holde liegt im Schlummer,
Bet' empor mit heißen Thränen:
      »Gott behüte dich vor Kummer.« 185


104.

        Ich besitz' ein Blatt der Holden,
      Wie hab' ich das Blatt bekommen?
Sie hat mir es nicht gegeben,
      Ich hab' ihr es nicht genommen.

Auf dem Blatte steht ihr Name,
      Hat für mich sie ihn geschrieben?
Ist das Blättchen mit dem Namen
      Ungefähr im Buch geblieben?

Nein, fällt doch kein Blatt vom Baume,
      Wenn's dem Himmel nicht beliebe,
Und so fiel dieß Blatt mir sicher
      Aus dem Himmel ihrer Liebe! 186


105.

        Winter bringt ihr Tanz und Freuden,
      Winter bringt mir Weh und Kummer,
Kurze Tage, lange Sehnsucht,
      Lange Nächte, kurzen Schlummer!

Lange Nächte wie die Riesen,
      Lange Nächte wie Gespenster,
Jagen mich aus Bett und Schlummer,
      Zerren mich an alle Fenster.

Wagen rollen, Wagen rasseln,
      Jagen hin und her zum Balle,
Und ich seh' im Geist sie prangen,
      Reizgeschmückt, in hoher Halle.

Seh' umgeben sie von Gecken,
      Von der hirnversagten Rotte,
Die sie macht zu ihrer Göttin,
      Und den Tanz zu ihrem Gotte. 187

Seh' sie fliegen durch die Kreise,
      Bald mit Jenen, bald mit Diesen,
Seh' sie durstig in sich schlürfen,
      Huldigungen, fad' erwiesen!

Frische Rosen auf den Wangen,
      Blumen in dem Haar, dem losen,
Scheinen wehmuthsvoll zu fragen:
      »Denkst du nicht der wilden Rosen?« 188


106.

        Abends treiben weiß und eisig,
      Wilde Rosen aus den Scheiben,
Die aus Fenstern und aus Herzen
      Glut und Frost verbunden treiben!

Schlingen um das Glas die Stengel,
      Wie die sehnsuchtsvollen Arme;
Legen an das Glas das bleiche
      Antlitz, wie im Liebesharme.

Und ich gehe, sie zu pflegen,
      Sie mit Thränen zu begießen,.
Bis von meinem Schmerz gerühret,
      Sie in Thränen selbst zerfließen! 189


107.

        Wie der Busch einst stand in Flammen,
      Und sich dennoch nie verzehrte,
Weil er brannte für ein Wesen,
      Als das Einz'ge, Hochverehrte;

So auch steht mein Herz in Flammen,
      Unverzehrt in Glut und Feuer,
Weil's entbrannt ist für ein Wesen,
      Einzig, heilig, hoch und theuer! 190


108.

        Wie ich Gott verehre innig,
      Nicht nur wenn er Glück mir sendet,
Wie ich liebend zu ihm schaue,
      Wenn er Weh und Schmerz mir sendet;

Wie ich aus dem Staub' ihn liebe,
      Und vergeh' in stiller Demuth,
Wenn er zürnet, und mich heimsucht
      Mit des Lebens tiefster Wehmuth;

Wie ich dennoch vor ihm kniee,
      Und in Thränen zu ihm bete,
Wie er auch, in weiser Fügung,
      Meine Erdensaat zertrete;

Wie ich stets, gestärkt im Glauben,
      Seinen Namen halt' geheiligt,
Wenn er auch mit Leid und Trübsal
      Mich zur Stunde hat betheiligt; 191

So verehr' ich sie, die Hohe,
      Nicht nur wenn sie mir gewogen,
So verehr' ich sie, die Reine,
      Selbst wenn Zorn ihr Aug' umzogen.

So auch lieb' ich sie mit Inbrunst,
      Nicht nur wenn sie Lieb' mir spendet,
Selbst wenn sie das Haupt, das fromme,
      Grollend, zürnend von mir wendet.

So mein Beten und mein Singen
      Ist geweiht der Engelgleichen,
Mag sie auch von Gunst und Hoffnung
      Nicht den kleinsten Strahl mir reichen.

So auch, weinend, auf den Knieen,
      Lieg' ich stets, an sie zu denken,
Mag sie auch so Herz als Auge
      Unerbittlich von mir lenken! 192


109.

        Zarte Früchte, Rosenknospen,
      Will man lange frisch sie hegen,
Muß in Essig und in Säure
      Und in Salze man sie legen.

Zarte Neigung, Liebesknospe,
      Bleiben frisch für's ganze Leben,
Werden sie mit Hohn und Kränkung
      Und mit Stachelwort umgeben! 193


110.

        Reich an Schmerzen ist die Liebe,
      Und an Leiden, die uns quälen;
Wer vermag es, sie zu nennen?
      Wer vermag es, sie zu zählen?

Schmerzlich ist es, heiß zu lieben
      Und nicht finden Gegenliebe;
Schmerzlich ist's, geliebt zu werden,
      Wenn man ohne Hoffnung bliebe!

Schmerzlich ist es, von der Theuren
      In die Ferne fort zu gehen,
Schmerzlich ist's, in ihrer Nähe
      Weilen, und sie doch nicht sehen!

Schmerzlich ist es, von der Holden
      Bitterlich verkannt sich wissen,
Schmerzlich ist es, jedes Mittel
      Zur Erklärung stets vermissen! 194

Schmerzlich ist es, zu erfahren,
      Daß man unserthalb sie kränket;
Schmerzlich ist's, wenn Haß und Bosheit
      Unserthalb mit Gift sie tränket.

Schmerzlich ist's, wenn sie aus Kummer
      Lustbarkeit und Feste meidet,
Schmerzlich ist's, wenn sie als Opfer
      Sich zu Fest und Balle kleidet!

Doch das Schmerzlichste der Schmerzen,
      Tief in's Herz und Leben schneidend,
Ist: die Theure krank zu wissen,
      An Gefühl und Körper leidend,

Und bei ihr nicht weilen können,
      Sorgsam, pflegsam, wachsam immer,
Horchend auf des Odems Wehen,
      Spähend nach des Blickes Schimmer!

Fragend alle Augenblicke:
      »Herz, mein Herz, willst etwas haben?«
Stets beschäftigt, sie zu warten,
      Sie zu pflegen, sie zu laben; 195

Ihren Schlummer zu bewachen,
      Ihren Pulsschlag abzuzählen,
Ihren Seufzern abzulauschen,
      Was im Traume sie mag quälen;

Ihr den Labtrunk selbst zu reichen,
      Selbst das Kissen recht zu legen;
Denn so sanft, wie Hand der Liebe,
      Kann Verwandten-Hand nicht pflegen!

Ferne sein, wenn krank die Theure,
      Ferne zittern, ferne beben,
Ist der höchste Schmerz der Liebe,
      Ist der höchste Schmerz im Leben! 196



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