Moritz Gottlieb Saphir
Wilde Rosen
Moritz Gottlieb Saphir

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111.

        Glockenblumen in dem Garten
      Heben aufwärts blaue Becher,
Angefüllt mit süßem Thaue,
      Morgenwein für frühe Zecher!

Erster Becher! Nektarreicher!
      Will auf Einen Zug dich leeren,
Meiner Holden, meiner Süßen,
      Meiner Hertha hoch zu Ehren!

Wie dein Thau, so rein und helle,
      In dem Kelch und auf den Dolden,
Ist das Herz der Vielgeliebten,
      In der Brust, der lieblichholden!

Zweiter Becher! Tropfenvoller.
      Sei auf Hertha's Gunst getrunken,
Die, wie Thau in deine Blätter,
      Ist vom Himmel mir gesunken! 197

Dritter Becher! Frischgefüllter!
      Sei geleert auf Hertha's Treue,
Weil du öffnest deine Blätter
      Einmal nur und nicht auf's Neue!

Vierter Becher! Funkelheller!
      Laß' auf Hertha's Gruß dich nippen,
Weil dein Herz tönt wie die Glocke,
      Und doch schweigsam deine Lippen!

Fünfter Becher! Zu den Vieren
      Sei gefügt, der allerletzte,
Sei gebracht der letzten Thräne,
      Die um mich ihr Auge netzte!

Wie die Strahlen schöner Tage,
      Die den Thau vom Blatte saugen,
Mögen Strahlen schöner Tage
      Trocknen ihre nassen Augen!

Wie du, thauberaubt, den Becher,
      Leer und welk dann senkst zur Erde,
Umgestürzt und ohne Inhalt,
      Wünschend, daß es Abend werde; 198

Senk' ich auch mein Haupt zur Erde,
      Da mir Thau und Sonn' genommen; –
Morgen, Mittag sind vorüber,
      Abend ist's, und Nacht wird kommen! 199


112.

        Glaubt ihr weil sie mein nicht achtet,
      Weil sie mein gedenkt nicht wieder,
Sei versiegt auch meine Liebe,
      Sei versiegt der Quell der Lieder?

Ist denn Lieb' ein thöricht Mädchen,
      Das zur Gegenlieb will gehen,
Wie zum Spiegel, um sich selber
      Rückgestrahlt aus ihr zu sehen?

Liebe ist ein sinnig Mädchen,
      Blumen in die Fluten streuend!
Zwischen Träumen, zwischen Wachen
      Dieses Spiel nur stets erneuend!

Ob die Flut ihr lieblich Bildniß
      Liebempfänglich wiederstrahle,
Ob kein Zug von ihrem Wesen
      Auf der kalten Flut sich male, 200

Streut sie ihre Blumen alle
      Dennoch in die Fluten nieder,
Singet sie den blauen Wogen
      Dennoch ihre schönsten Lieder,

Weil ein Zauber sie befangen,
      Sehnend in die Flut zu schauen,
Weil ein Reiz, ganz unbegriffen,
      Wohnet in den Wasserauen!

Meine Lieb' ist solch ein Mädchen
      An dem Strome der Gefühle,
Lugend in die Zaubertiefe,
      Schmachtend nach der frischen Kühle;

Und so streut sie ihre Blumen
      Alle in die Fluten nieder,
Und sie singt den kühlen Wogen
      Alle ihre schönsten Lieder! 201


113.

        Krank am Körper, krank am Herzen,
      Bin im Hause ich verschlossen;
Schmerz und Klage, Leid und Sehnsucht
      Meine einzigen Genossen!

Schmerz und Klage, Leid und Sehnsucht
      Gehen mit mir auf und nieder;
Schlafen eng mit mir im Bette,
      Und erwachen mit mir wieder.

Schmerz und Klage, Leid und Sehnsucht
      Nehmen sich zu jeder Stunde
Träume, Märchen und Gedichte
      Von der Holden aus dem Munde!

Schmerz und Klage, Leid und Sehnsucht,
      Weilet stets in meiner Nähe,
Daß die Theure, Vielgeliebte,
      Euch bei sich nur niemals sähe! 202


114.

        Schmeichelwort und frische Kränze,
      Lob und Preis und Huldigungen,
Süße Briefchen, goldberändert,
      Zierlich ineinandgeschlungen,

Sinn'ge Gaben und Devisen,
      Und Gedichtchen, zart empfunden,
Kühlen wohl, doch heilen nimmer
      Meines Herzens tiefe Wunden.

Schmeichelwort war einst mir theuer,
      Weil ich's ihr konnt' wiederbringen,
Frische Kränze nahm ich gerne,
      Ihr sie in das Haar zu schlingen;

Süße Briefchen las ich gerne,
      Weil an sie dabei ich dachte,
Und Gedichtchen schrieb' ich gerne,
      Weil ich ihr sie neckend brachte! 203

Lob und Preis und Huldigungen
      Waren mir willkommen immer,
Weil auf sie von ihrem Lichte
      Fiel zurück der schönste Schimmer!

Nun mein Garten ist verwüstet,
      Und gestürzt die Blumenhallen,
Nun mein Lieben ist zerschnitten,
      Nun mein Leben ist zerfallen,

Nun was sollen Huldigungen
      Einem Dasein, das getödtet?
Nun was soll der bleichen Wange
      Frischer Kranz vom Licht geröthet?!

Nun was sollen Schmeichelworte
      Einem todten, tauben Herzen?
Nun was sollen süße Briefchen
      Einer Brust voll bitt'rer Schmerzen?! 204


115.

        Schmerz und Lieb' sind selt'ne Freunde,
      Nähren beide sich vom Herzen,
Süßer Schmerz nährt bitt're Liebe,
      Süße Lieb' nährt bitt're Schmerzen.

Schmerzenslieb' ist darum wonnig,
      Weil sie ihrem Liebeszecher
Wehmuthsüßen Gram kredenzet
      Selbst im vollen Wermuthsbecher.

Liebesschmerz ist darum wonnig,
      Weil er hält, im Salz der Thränen,
Ewig frisch das Liebeleben,
      Liebelust und Liebesehnen! 205


116.

        Auch der Haß ist eine Speise,
      Die ein Herz kann reich ernähren;
Will ihr Gott die Lieb' nicht lassen,
      Mög' er ihr den Haß gewähren.

Möge sie im tiefsten Herzen
      Mich so tödtlich, feindlich hassen,
Gleich als ob ihr Haß an Größe
      Meine Lieb' zurück wollt lassen!

Mög' sie alle tiefen Qualen,
      Die um's Herz sich stets mir winden,
Als die süßesten Gefühle
      In der tiefsten Brust empfinden!

Mög' sie alle meine Thränen,
      Heiß geweint in öden Nächten,
Sich als lebensfrohe Perlen
      In die goldnen Locken flechten! 206

Mög' sie alle Schmerzenslieder,
      Aus der Seele mir geschnitten
Lächelnd hören, wie ein Märchen
      In der lust'gen Kinder Mitten!

Dann erst sind mir Schmerz und Thränen
      Und die Lieder hochwillkommen,
Weil sie meiner ewig Theuern
      Doch zu Lust und Freuden frommen! 207


117.

        Auf dem Lilienblatt der Wangen
      Stehen Züge, holdverschlungen,
Wundersame Hieroglyphen,
      Von dem tiefsten Sinn durchdrungen;

Runen sind es, mag'sche Zeichen,
      Von dem blinden Gott geschrieben,
Vom Geheimniß stiller Sehnsucht,
      Und vom Gram und Leid im Lieben.

Und der Hieroglyphen-Schlüssel,
      Der sie lös't zur süßen Stunde,
Liegt im See von ihren Augen,
      In dem tiefen, blauen Grunde!

Thränen sind die Runenschlüssel,
      So die Wunderschrift erschließen,
Doch sie brauchen kann nur Jener,
      Dem die Thränen liebend fließen! 208

Weil sie fließen mir die Thränen,
      Weil die Thränen mein gewesen,
Kann ich in den Wunderzügen
      Wie im off'nen Buche lesen! 209


118.

        An dem stillen Fest der Gräber,
      Ferne von dem Grab der Meinen,
Konnt' ich nur ein Grab besuchen,
      Nur an einem Grabe weinen.

Auf dem Grabe meiner Liebe
      Lag ich, voll von bittern Schmerzen,
Auf den heißen Wangen brannten
      Tief entglomm'ne Trauerkerzen!

Einen Kranz von wilden Rosen,
      Einen Todtenkranz voll Lieder,
Einen Kranz voll Thränenperlen
      Legt' ich auf das Grab dann nieder!

In mir liegt das Grab der Thränen,
      Als ein ew'ger Schmerzengeber,
Und ich fei're all mein Leben,
      Gramerfüllt, ein Fest der Gräber! 210


119.

        Wilde Rosen, wilde Rosen
      Stehen üppig am Gehege,
Kommen freundlich, mich zu grüßen
      Rechts und links auf meinem Wege.

Kommen weiß und roth gekleidet,
      Wie die Kinder froh gegangen,
Mich als ihren Liederfürsten
      Unterthänig zu empfangen.

Wie sie grüßen, wie sie nicken!
      Wie sie sich so lieblich neigen!
Und mich treibt es, aus dem Wagen
      Zu den Kindern auszusteigen.

Grüß' euch vielmal, wilde Rosen,
      Grüß' euch vielmal, liebe Kinder;
War euch immer hold gewogen,
      Bin es jetzo auch nicht minder. 211

Hab' euch in der Brust getragen,
      Als ich Liebesglück gesungen,
Hab' euch in der Brust getragen,
      Als mein Lied von Weh erklungen.

Seht mich nicht mehr an so fragend,
      Und begehrt mehr keine Lieder;
Nur den Rosen kömmt ein Frühling,
      Doch den Dornen keiner wieder.

Weil nun von den wilden Rosen
      Nur die Dornen mir geblieben,
Hat der Frühling keine Lieder
      Aus dem Dornenstrauch getrieben! 212


120.

        Um mich schlagen Nachtigallen
Unter Blätterhallen;
Um mich ziehen Schmetterlinge
Ihre Blumen-Ringe;
Um mich murmeln kühle Bäche
Ihre Schlaf-Gespräche;
Nur ich sitze ohne Worte
An dem Zauberorte,
Denn die Knospe, lichtumflossen,
Frisch vom Thau begossen,
Will mir nicht entgegenblühen,
Nicht dem Netz entfliehen;
Will nicht Liebesblume werden,
Mir nicht Blume werden! 213


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