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Georg stand vor dem großen Spiegel im Schlafzimmer und betrachtete sein Abbild auf einem schönen Hintergrunde offener Fenster voll Gartengrün, Sonnenlichter, Goldregen und windiger Bewegung. Ein Ladenknabe, so dachte er, könnte sich leicht eleganter anziehn als ich. Zum Beispiel würde er doppelt so weite Hosen tragen, um zart anzudeuten, daß er die Mode kenne; aber ihm würde nicht einfallen, dunkelblauen Marengo zum Cutaway zu nehmen wie ich – hier lachte er und freute sich –, denn das ist eine Kunst. – Er atmete auf. Ich glaube, heut bin ich glücklich. Plötzlich, nahe an sein Spiegelbild herantretend, faßte er mit Gewalt sein Antlitz ins Auge, und so, Auge in Auge mit sich selber, mit festgebissenen Zähnen, murmelte er sich zu: Sage! Sag, bist du ein Prinz, oder nicht? Schurke! sagte er besinnungslos, gesteh! – Irgendetwas im Gegenüber schien zu bejahen. Das Blut stieg ihm in die Schläfen, er schüttelte den Kopf, lächelte und wandte sich ab. Am Fenster stehend, empfand er die überschwängliche Güte des Tages. Der Garten vor ihm lag im Schatten, still die Wege, ins Buschwerk entschwindend; über den schillernd grünen Wipfeln flammte der feuerblaue Himmel und im tiefen Blau große, gewaltige, schneeweiße Wolkenballen mit majestätischen Schatten. O göttlicher Tag, dachte er. Und außerdem Korso! und ein fabelhaftes Tandemgespann! Und Renate! Und mein Plan. Mein Plan. Langsam, langsam – aber näher werde ich ihr kommen. Und in den Sommerferien dann Helenenruh. Da werde ich sie ganz …
Augenblicks meldete hinter ihm der blasse Egon: Fräulein von Montfort. – Georgs Herz erschrak wunderbar angstvoll. Mit der Pünktlichkeit der Könige … murmelte er und eilte hinaus.
Drüben, mit ausgestreckter Hand auf Renate zueilend, umfaßte er ihre Gestalt mit Blicken und sah alles: das graue Schneiderkleid, den flachen, grauen Hut und die schwarze, hangende Feder. Er strahlte.
»Ach, Sie sehen ja wie eine Prinzessin aus!« sagte er glücklich. »Ja, jetzt wollen wir Tee trinken. Oder lieber Kaffee?«
Da Renate um Kaffee bat, schrie er zur Tür hinaus: Kaffee! –
»Ach, Sie haben ein Bild von Esther,« sagte sie, am Schreibtisch stehend, »darf ich es sehen?« Sie nahm es in die Hand, ihr Gesicht ward wehmütig, sie stellte es wieder fort. »Heut vor einem Jahr war es anders«, sagte sie leise.
Es ist eine ganze Rinde um sie, dachte Georg und erinnerte sich, wie sie im Vorjahr um diese Zeit hinter Irene durch die Büsche gejagt war, oder auf dem Rasen gelegen hatte.
»Wir sind ein ganzes Jahr älter geworden«, bemerkte er nichtssagend.
»Zwanzig Jahr werd ich«, meinte sie ruhig.
»Ein Monat mehr als ich. So, hier kommt Kaffee.« –
Sie zog die Handschuh aus, goß sich Kaffee ein, dann für Georg Tee aus der andern Kanne, tat Zucker, Sahne hinein und gab ihm die Tasse. – Wie es denn mit seinem Herzen stehe, fragte sie, in den Sessel gleitend.
Er lehnte sich an den Schreibtisch und versicherte: »Glänzend! Die Wochen im Taunus haben mich völlig wiederhergestellt. Ich habe in Trassenberg schon wieder fest gearbeitet. Übrigens haben Sie dort einen großen Verehrer. Das heißt, eigentlich sinds zwei, denn mein Vater fragte gleich nach Ihnen. Der andre ist Onkel Birnbaum. Sie kennen doch Onkel Salm? Sie haben einmal in Helenenruh drei Worte mit ihm gesprochen, davon ist er noch beseligt. Als ich anfing, sprechen zu lernen, soll Onkel Salm mein erstes Wort gewesen sein. Ach, was haben wir ihn geliebt, Magda und ich! Er war zu allem gut, er hatte in Helenenruh immer Zeit für uns, schleppte uns herum, ließ sich malträtieren, kam für jeden Schaden auf, vertuschte alles, oh eine Seele von einem Menschen.«
»Weiter, Georg, Sie erzählen so nett.«
Er setzte die Tasse fort, faltete die Hände ums übergeschlagene Knie und dachte an seine Kindheit.
»Haben Sie je gemerkt, wie sonderbar das mit uns ist, Renate? In meinem Leben hat es – Gott, ich bin ja noch so jung! – viele goldene, schöne, glückliche, erhebende Augenblicke gegeben. Wenn ich mich aber jetzt erinnern soll: wann war ich glücklich? was fällt mir dann ein? Dann muß ich an die Stille denken im Pragerschen Hause, nach dem Essen, wenn alles schlief, wenn ich in meinem Zimmer saß und Karl May las oder Käpten Marryat und dabei von fern, aus der Küche, die Geräusche des abwaschenden Mädchens hörte, und hier und da ein Stück ihres Gesangs: Es war ein Sonntag hell und klar … so eintönig, so – öde und – ach, so unbeschreiblich sonderbar in der Stimmung, – und dazwischen das Klappern der Teller, die sie in die Aufwaschbütte stellte. Ja, da muß ich glücklich gewesen sein. Oder ich sehe die Dämmerung, und in der Dämmerung die Tapete im Trassenberger Kinderzimmer, und das dicke Federbett vor mir, unter dem ich mit ein bißchen Mandelentzündung oder Masern, oder was es nun war, lag, und mit diesem wunderbar dumpfen Gefühl angenehmen Krankseins im Kopf sehe ich den hängenden Schnurrbart von Onkel Salm, und seine immer noch ein bißchen abstehenden Ohren, und seine dicklichen, und doch so geschickten Finger, mit denen er mir eine Festung pappt, oder Figuren ausschneidet, oder die Steine auf dem Damebrett zieht. Oder ich sehe ihn auf den Zehenspitzen hereinkommen, von weitem spähend, ob ich wach sei oder nicht. So sonderbar ist das! Wenn meine Mama einmal kam – Georgs Gedanken irrten flatternd ab –, das war immer eine erstaunliche Freude, und auch ein Schauder, obwohl ich den damals wohl noch kaum spürte, aber glücklich war ich, wenn Onkel Salm kam, den ich am Schnurrbart zerren konnte … Haben Sie je etwas Ähnliches …« fragte er hastig, seine Gedanken abbrechend.
»Oh ja –« sagte sie gedehnt, »es ist wohl ähnlich bei allen Menschen …«
»Ja,« sagte er wissend, »denn was aufregend war, vergeht, alles Plötzliche verliert seine Kraft, da es ja niemals wieder plötzlich sein kann, aber was sich von selber einstellte, kaum bemerkt, ja ganz unbewußt, – was namenlos in uns war, aber innerst tief und stark, das taucht wieder auf, das sind stille Schätze, die sich immer wieder hervorholen lassen … Was vom Menschen nicht gewußt, oder nicht bedacht … Durch das Labyrinth der Brust … Ja, nun wollen wir fahren, ists Ihnen recht?«
Sie gingen hinaus, traten aus der Tür und – halloh, da standen sie! »Ja, was sagen Sie nun?« fragte Georg triumphierend.
»Es ist ein Staat«, sagte sie und ging schnell zum Vordersten der beiden großen, stämmigen Belgier, die unbeweglich hintereinander standen, weiß und rot gesprenkelt, mit weißem Lederzeug. Auch der Gärtner hatte seine Sache brav gemacht und den Dogcart sehr leicht in die schwarzen Iris gepackt; die Räder waren durchsichtige Scheiben davon.
»Graue Iris,« sagte Renate, »Georg, das ist wirklich schön!«
»Raffiniert, heißt es,« lachte er, »sehen Sie wohl: Schwarz, das nicht Schwarz, Weiß, das nicht Weiß, und Rot, das nicht Rot ist! Steigen wir ein.«
Ja, dieses war ein wahrhaft königlicher Tag. Leicht klangen die Schellen vor der Brust der locker vorwärts stelzenden Pferde, leicht und locker wippte das Wagengestell. »Schade,« meinte Georg, »daß Sie nicht spüren können, wie die Pferde im Zügel gehn, als wären sie blind; nur von Zügel und Peitsche hängen sie ab, geben Sie acht, ich lasse einen Augenblick locker! jetzt!« Der Wagen rollte langsamer, die Pferde standen still. Georg schnalzte, warf die lange Peitschenschnur wie eine Angel aus, und es ging leicht und locker um den Rasenplatz weiter.
Die Alleen waren ein Gewimmel schwarzer und weißer Menschen unter einer goldenen Schicht von Staub; Blumengestelle, fahrende Ungetüme, die Kutscher, Reiter ragten drüber hinweg. Vorsichtig tastete er sich mit den Pferden durch das Getümmel den Fahrdamm hinunter zum Ende der Alleen und bog um ins Innere der Lindenreihn, den vor ihm rollenden Wagen folgend. Ah, ja die Rotschimmel erregten mächtiges Aufsehn, wie sie fast nackt in dem dünnen Riemengeschirr das schwärzliche Gefährt dahinrollen ließen. Georgs Sinne fingen heftig an zu glühn. Das ist diese herbe Rinde um ihre Gestalt, dachte er, um Gottes willen, ihr Mund ist ja zum Tollwerden! Und dies Profil, und dies Lächeln!
»Ha,« sagte er, »sehen Sie, die Leute fangen an zu grüßen. Ich hoffe, sie denken, ich fahre meine Braut. Welch ein Jammer, daß ich nicht regierend bin, dann würden sie Hurra schrein.« Dies scheint mir wirklich haarsträubend natürlich, dachte er innerlich. Die Militärmusik rauschte auf, Staub wölkte, Wagen um Wagen rollte vorbei. »Aufgedonnerte Gemüsekähne«, murrte Georg. »So, da wären wir am Ende.«
Langsam drehten die Pferde sich um ihre Mitte und liefen den Weg zurück. Georg, Renates Profil unverrückbar in den Augenwinkeln, hing am unaufhörlichen Spiel der braunroten Ohren, er wehrte traumverloren die Fliegen von den blanken Rücken, – ununterbrochen gingen die Stummelschwänze hin und her. Die Menschen drängten unter den Bäumen heran, Mädchen knicksten scharenweise, Renate neigte das entzückt scheinende Gesicht, und Georg nannte sie die Königin des Tages.
Da waren sie wieder am Ende. Renate meinte, noch einmal hinauf, dann sei es wohl genug. – An diese Augenblicke, dachte Georg, werde ich mich niemals erinnern, aber sie sind doch kostbar. Ach, da steht ja Benno! »Sehen Sie, Renate, da steht Benno und strahlt!«
Sie nickte und winkte, Benno, hochrot, warf den Kopf zurück, lächelte beseligt und verbeugte sich tausendmal.
»Unter diesem Getümmel das reinste Herz«, sagte Georg anerkennend. Da waren sie wieder am Ende, und Renate bat, sie noch um den See zu fahren.
Während sie auf dem hohen Ufer um den tiefliegenden Teich voll Himmelsblau und Wolkenballen hinrollten, biß Georg die Zähne zusammen und verschwor sich, daß er an Renate und alles andre seine Seele setzen wolle. Ich habe sie doch immer geliebt, sagte er sich zornig, ich kann ja nicht los von ihr. Bin ich nicht etwa der Einzige, zu dem sie paßt? – Er fand keine Worte mehr, still schweigend fuhren sie dahin, ununterbrochen klangen die kleinen Schellen, trabten die acht Hufe. Georgs Sinne verlangten nach einer verdreifachten Schnelligkeit und zuckten zugleich vor Schreck, wenn ihm einfiel, daß alles gleich ein Ende nehmen würde. Der See lag schon hinter ihnen, da glühten die Sportswiesen zur Rechten weithin dunstig in der Sonne, rot- und weißgestreifte Hockeyspieler sprangen in wilden Zuckungen hin und her, nun rollten sie in den Schatten der großen Bäume, da stand der Obelisk am Wassergraben, der Weg bog zur Rechten aus, sie waren wieder im Freien, neben der Hecke, an den Wiesen, dumpf polterten die Hufe auf der kleinen Holzbrücke, Baumschatten nahm sie auf, rechts dunkelte der Graben, hinten erschien der gelbe Mauerputz des Schlößchens im bewegten Grün. – Ob ich ihr nicht eine Andeutung – ein …? Aber er wagte kein Wort. Seine Hände glühten in den Handschuhn, er ließ die Zügel locker, die Pferde fielen zum erstenmal in Schritt, er sah, wie sie gleichmütig dahinschritten, wie Kühe mit schaukelndem Rücken. Die Hälse gingen tief nieder und empor, das Vorderpferd hob den Kopf, schüttelte ihn und grunzte. Wie still es war! Es ist Wahnsinn, dachte Georg, aber wie kann ich sie ungeküßt lassen?
»Nun, wars schön?« fragte er freundschaftlich. Sie nickte und meinte, es führe sich sehr angenehm und leicht. Duft ging unbeschreiblich von ihr aus. Es flimmerte vor Georgs Augen. Blaue Stürze von Himmel brachen durch das Gewimmel der Wipfelzweige, laut schlugen Buchfinken. Drei Spatzen tummelten sich im weißen Staub der Straße, schimpften und flatterten schwärzlich auf vor den Hufen. Da standen die Kandelaber vor der Rampe, da der große schwarze Kasten von Automobil am Rande des Rasenplatzes, und der Kutscher ging schon um den Wagen und bückte sich und warf den Motor an. Die Pferde standen still.
Georg, kalt vor Erregung, Bitterkeit im Munde, schleuderte die Zügel unbekümmert über die Pferde hin, daß sie erschraken, vortraten und der Wagen anruckte, während er absprang und nach der andern Seite herumlief, um Renate selbst herunterzuheben. Das Herz schlug ihm süßlich, als er ihre Hand, ihre Last auf der Schulter spürte. Sie wechselten noch irgendwelche Worte, sagten: »Auf Wiedersehn!« Dann sank sie in die Tiefe des dämmrigen Wageninnerns zurück, der Motor murrte und rasselte, und alles rollte mit langsam knurrender Schwenkung auf die Wegmitte und davon. Georg las noch lange ohne Gedanken die Nummer auf dem Schilde unterm After der Karosse, stand und wußte auf einmal nichts mit sich anzufangen. Ja, was nun? dachte er. –
Danach stand er beim Vorderpferde, das den Kopf auf seine Schulter legte, tätschelte ihm den festen Hals, atmete den Geruch von Roßhaar am Gesicht und sagte sich: Was war nun das? Eine halbe Stunde Pferdelenken. Die Gäule verkauf ich morgen mit Gewinn an Prinz Taxis, was soll ich mit einem Tandem? Unkas genügt mir. Da bin ich mit einer schönen Frau über den Korso gefahren, und wir haben geplaudert. –
Der Groom sagte etwas, Georg antwortete etwas, wandte sich um und sah am Rande des Rasens eine Dame stehn, in einem fliederblauen Kleid, verschleiert, die mit der Spitze des Sonnenschirms zwischen den Halmen stocherte, und es war Cora. Hatte sie ihn gesehn? Aber natürlich! Er bewegte sich, sie sah auf und tat, als sähe sie in diesem Augenblick, daß er es sei. Nun ging er auf sie zu, unwissend, was kommen würde, aber entschlossen, daß nichts ihn bekümmern sollte. Sie blickte ihm gerade in die Augen und sagte:
»Bereits außer Dienst gestellt, Prinz, oder nur à la suite?« Über sein langes Fernbleiben also glitt sie stillschweigend hinweg …
Er fragte, ob sie einsteigen wolle, aber sie antwortete gar nicht. Abgewandt stand sie da, Georg stumm neben ihr und verbissen.
»Zeigen Sie mir lieber Ihre Wohnung,« sagte sie spitz, »wo waren Sie so lange?«
Ich will nicht antworten, dachte er und bemerkte obenhin, es sei ein schöner Tag, und er wäre viel unterwegs gewesen; übrigens schien sie keine Antwort zu erwarten, entspannte einen apfelgrünen Sonnenschirm und setzte sich in Bewegung.
Auf dem Flur, im Zimmer sah sie sich mit leichten Bewegungen des Kopfes im langsamen Vorbeigehn alles an, ließ sich den Schirm abnehmen, blieb dann vor einem kleinen Ölbild stehen, das am Boden stand, an den Schreibtisch gelehnt, eine Bulldogge, von Bogner gemalt.
»Ach,« sagte sie entzückt, »das muß von Benvenuto sein! Es ist herrlich, der Mann ist ein Genie, finden Sie nicht? Schade, daß er so selten hier ist, haben Sie von dem Riesenauftrag gehört? Ich habe ihn kaum zu sehn gekriegt, ich bin jetzt viel allein, mein Mann ist verreist, – ja, er hat sich überarbeitet, – nein, dieser Hund! Wie er dasteht! Aber möchten Sie so einen Hund haben? Er ist doch zu häßlich! Ich kann Bulldoggs nicht ausstehn, Herbert wollte immer einen haben, – Gott, wenn man keine Kinder hat! wir hatten auch mal einen Terrier, aber er roch so … Sie sehen gut aus«, sagte sie, vor ihn hintretend.
Sie hatte den Schleier hochgeschoben, er sah ihre matten Augen, das blasse Band von Sommersprossen darüber, den verwischten Mund, die in der Mitte breiten Lippen, dann wichen ihre Augen aus, sie ging an ihm vorüber und mit ihren weichen Seitwärtsbewegungen im Zimmer umher. Georg trat an ein Bücherregal zurück, stützte, die Hand am Hinterkopf, den Ellenbogen dagegen, sah ihren Hals von hinten und den goldbraunen, flachen Strohhut, wie sie sich über den Schreibtisch beugte und Esthers Photographie in die Hand nahm. Doch war sie eigenartig, und ihm ward lüsterner zumut, er spürte ein hitzig glühendes Schwellen am Leibe, dachte, er wollte hinter sie treten, ihren Kopf zurückbiegen und – bloß sie haben, ja so bloß … Da sah er Esthers kleines, photographiertes Gesicht in ihrer Hand, ihm fiel ein, wie er hier zum erstenmal eingetreten war nach ihrem Tode, wie er sie dann überall verspürt hatte, immer hinter sich; wenn er am Klavier saß: im Nebenzimmer, wenn er am Fenster stand: am Klavier, – aber empfinden ließ sich das nicht mehr. Dann war er in den Taunus gefahren … Esther war lange tot. –
Cora hatte das Bild stillschweigend wieder hingesetzt, bewegte sich wieder, stand in der Tür zum Nebenzimmer. Er glühte auf, ging auf sie zu, trat hinter sie, faßte ihre Ellbogen, sie wehrte sich, gleich darauf fiel ihr Kopf nach hinten zurück, ihr Gesicht lag an seiner Schulter, sie atmete heftig, die Augen geschlossen, den Mund zugepreßt. Er legte den seinen darauf, preßte, so stark er konnte, ihre Lippen teilten sich, er fühlte ihre Zähne und schob seine Zunge dazwischen. Nun warf sie sich herum, gegen seinen Leib, warf ihre Arme um ihn, er fühlte ihre Hände auf seinem Rücken zucken und fliegen, ihr Leib ging stoßweise auf und nieder, während ihre Lippen, ihre Zungen, ihre Atemstöße sich vermischten, er riß ihr Kleid auf, tastete nach ihrer Brust, und sie griff zu und riß die Bänder an der Untertaille auf, und er hatte ihre linke Brust in der Hand, schlaff, warm und weich, aber doch … Da wankten sie, – oh Teufel, nun war kein Diwan da! Wohin mit ihr? Sein Bett war greulich schmal. In den Garten? am lichten Tag? Wütend jagte es ihm durch den Schädel: das verschlossene Zimmer! Er ließ sie los, griff die Schlüssel aus der Tasche, lief, die Türen aufstoßend, durch Bade- und Schlafzimmer zur Tür, schloß auf und öffnete, ohne umzusehn. Er zauderte, kehrte langsam zurück, da stand sie abgewandt, vorn an ihrer Taille hakend, aber sie hatte den Hut abgenommen, und er umschlang sie wiederum, hob sie auf und trug sie davon. Sie war schwer, aber er zwang sich bis zur Tür des Zimmers, wo er sie niederlassen mußte. Sie, ungeschickt sich aufrichtend, machte erstaunte Augen in den Raum, während ihm die seinen überquollen vor Gram über die Schändung des Heiligen, so daß er sekundenlang nichts sah, als die schwarzen, über die Fenstervorhänge von Cremeweiß fliegenden Reiher. Dann erschien, schräg im Raum mit dem korngelben Teppich am Fußboden, der dunkelviolett überspannte Diwan mit einigen Kissen in Lichtgrün, Fleischfarbe und Weiß, dahinter das alte indische Tempelpaukenbecken auf einem Ebenholzschemel gefüllt mit imaginären Blumen. Und endlich mußte er gegenüber der Tür das Himmelbett sehn, meergrünes Gewoge von Falken und Bäuschen, aus dem das wenige Mattgold der schlanken Säulen blitzte und – unter seinem wilden Fingerdrucke entflammte eine geheimnisvolle Leuchte – der zarte Perlmutterschimmer in den Kassetten des Betthimmels. Indem sah er Cora vorwärts gehn und das ovale, in rosene Marmorwülste gefaßte Becken in Augenschein nehmen, aus dem ein silberner, fadendünner Strahl steigen und Wohlgeruch aus Ophir zerstäuben sollte, wenn – – Georg verließen die Sinne. Aus den großen farbigen Flecken schmolz die eine Farbe, die Un-Farbe, die nicht auszudrückende, nicht zu beschreibende, – nicht weiß, nicht rosen, nicht elfenbeinen, nicht marmorn, und doch Farbe von allem, vom Schnee, und vom Mandelbaum, vom Kirschbaum und der Narzisse, und nicht Farbe, Äußeres, sondern Hauch von innen, Leuchten, Atem, Blut, Süße von innen, – Renate! – Georg zuckte.
Mit geschlossenen Augen saß sie da. Dann warf sie sich, das Gesicht in den Händen verbergend, in die Kissen. Einen Augenblick dachte er, davon zu laufen. Da war wieder diese entsetzliche Pause! Er spreizte die Hände von sich, die kalt und schweißig waren. Sie rührte sich nicht. Da kniete er mit dem rechten Knie neben sie auf den Diwan und fing an sie auszuziehn, die Taille, den Rock, den Unterrock, graue Halbseide, das Korset, violett, abscheulich, – wie dick ihre Beine waren! Er hörte sich schnaufen, zerdrückte das beständige Gefühl vieler Scheußlichkeiten, sah ihre gelbliche, sehr glatte Haut zum Vorschein kommen, streifte Hose, Strümpfe, Schuhe herunter, sie fühlte sich kalt an, das Hemd ließ er ihr noch, während er sich auszog, nichts denkend, gar nichts denkend. Sie hatte ihr Gesicht wieder versteckt, warum wohl? aber jetzt sah sie auf und sah das Himmelbett, richtete sich auf, wollte aufstehn und hingehn, aber da schrie er wütend: Bleib! riß das steife und verwickelte Manschettenhemd über den Kopf und stürzte sich über sie, fühlte sie und sich kalt und unbehülflich, dann bäumte sie sich und umschlang ihn mit allen Gliedern. Einen Augenblick, über ihren Kopf, ihr verschlossenes Gesicht, die Kissen hin, zu Boden starrend, ging es durch ihn hin: Esther – – Renate – – Welche war es? Süß quoll es in ihm auf: Cordelia! – Da erschien ihm Renates Gesicht, schwebte und entwich, er fühlte Cora, eine fremde Frau, auf der er lag, die ihn schwer umschlang. Einen Pulsschlag lang schauderte ihn, und er gefror; eine Schlange lag um ihn mit kalten Ringen; die aber wurden warm und schmolzen, und er würgte sich in sie hinein.
Georg wachte auf in der Nacht; der Regen spritzte ins offene Fenster, es donnerte in der Ferne, – ihm war heiß, das Federkissen lag an der Erde, die Schlafbeinkleider waren ihm bis zu den Hüften heraufgerutscht, scheußlich! Schlaftrunken tastete er nach der Wasserkaraffe, setzte sie an den Mund, trank lange, ließ die Hand mit ihr zu Boden hängen, den Kopf vornüberfallen und dachte: Aus der Karaffe trinken ist die größte Wollust des Lebens. – In allen Gliedern merkwürdig leicht und gelockert, wollte er sich umdrehn und weiter schlafen, aber der Regen plantschte jetzt heftiger auf das Fensterbrett, und er stand unwirsch auf, ging ans Fenster und machte es zu. Am Riegel hangend, wand er sich im ungeheuren Gähnkrampf und dachte: Ach, ich möchte auch ein Gewitter sein! – Dann legte er sich wieder hin, schwacher Blitzschein glomm vor seinen Augen aus, es donnerte lauter. Ah, wie der Regen rauschte!
Ich wollte, sagte er vor sich hin, es schlüge ein und Cora ginge dabei tot. Ich denke unchristlich. Man kann nicht für Gedanken. – Er sah sie an der Erde liegen, maustot, er sandte einen Kranz zu ihrem Begräbnis, munterte sich dann auf, setzte sich im Bett hin, ein krachender Donner rollte wütend im finstern Mauerhof der Nacht umher, dann ging die Tür auf, und Cora stand darin, bleich, sichtbar im Blitzschein. Er verstand nicht, was sie sagte, da ein neuer Donner herunterknallte, rollend dahinbrüllte, polterte, aufgrollte und sich murrend zusammenrollte. Cora hatte Licht gemacht, er fragte, ob sie sich fürchte.
»Fürchten nicht,« sagte sie matt, »aber man regt sich doch auf.«
Sie glitt durchs Zimmer zur Tür gegenüber, öffnete, glitt hindurch, Georg sah auch dort drinnen das Licht aufflammen. Ihr nachsehend dachte er kümmerlich: Sollte dieses Weib es darauf angelegt haben, mich zugrunde zu richten? Wie werde ich sie bloß wieder los? – Er rollte sich im Bett zusammen, indem flammte das Zimmer blauhell auf, und mit ungeheurem Prasseln knatterte der Donnerschlag hinterdrein, daß alles knallte und krachte, sprang in wüsten Sprüngen, tobend, lärmend, um sich hauend mit Keulen, Wagenlasten voll metallener Schilde umstürzend, Züge voll Porzellan zusammenschiebend und -schlagend, weit hinweg, ermattete endlich in langen röchelnd rollenden Stößen und ward still, während Cora erschreckt im Türrahmen erschien. Ganz leise fiel nun der Regen.
Das Licht brannte in Georgs Augenwinkeln; er sah sie dastehn, mädchenhafter aussehend mit dem gelösten Haarschopf. Sie sagte theatralisch, sie möchte nackend draußen im Regen liegen und mit Blitzen spielen. Georg lachte kurz, der Donner knatterte wiederum auf, jedoch entfernter, er sagte, sie solle schlafen gehn. Wirklich ging sie gleich darauf hinaus, ohne das Licht abzudrehn.
Georg sah sie nebenan in dem königlichen Bett liegen und würgte an trocknen Verwünschungen. Herr des Himmels, dachte er, man tut so was wohl einmal, man umschlingt sich und genießt sich, aber einmal doch bloß, einmal! Ach, daß zur Verrichtung der sexuellen Notdurft eigentlich alle Frauen zu schade sind! Wie kann ich denn eine Frau acht Tage lang, acht Jahre lang immerzu lieben? Das ist doch eine Unmöglichkeit! Ich schwöre, daß man eine Frau, die man liebt, ein einziges Mal umarmen darf, nicht mehr! Oder es müssen Wochen und Monate vergehn, bis man das erste Mal vergessen hat. Ich hasse dies Weib. Ich habe sie von Anfang an gehaßt, ich erinnere mich nicht, mich jemals mit solcher Wut in eine Frau gebohrt zu haben, – aber, dachte er, wenn ich schlaff – zusammengekrüllt wie ein welkes Blatt oder – wie so eine aufgestochne Raupe neben ihr lag, so war das doch geradezu eigenartig. Wenn ich nun bloß wüßte, was sie von mir will! Bloß so: nicht wieder weg? Geld? nein, das glaube ich nicht. Sie verdarb sich ihr Dasein, indem sie heiratete, und nun kann sie den neuen Weg nur nicht finden, hat wohl auch noch Scheu davor. – Hier fingen seine Gedanken an, undeutlich zu werden, bald darauf schlief er ein.
Beim Erwachen fiel ihm ein, daß – wie eigenartig! – Himmelfahrt sei. Er mußte schlecht geschlafen haben, fühlte sich dumpf und unklar, kam erst einigermaßen zur Besinnung, als er mit der ersten Zigarette vor der Gartentür im Sessel saß, angesichts des gewaltig herunterströmenden Regens, in dessen grauer, kalter Masse die Gartenbäume erschüttert und duldend hin und her wankten. Cora kam dann und ging zu ihrem Frühstück hinter ihm vorüber nach nebenan. Er gähnte krampfhaft, legte sich mit geschlossenen Augen zurück und genoß die Wohltat des großen Rauschens und der fallenden Gewässer, spürte aber alsbald den Angstdruck in der Magengegend, ruckte wieder empor, saß fröstelnd, die Handknöchel reibend, und begann zu überlegen. Wenn er abreiste, – ja, wohin? Und wie stand er dann vor seinem Vater? Von England war er eben rechtzeitig ins Semester gekommen, an dem Herzfehler war er freilich gewissermaßen unschuldig, aber dies Hin und Her war doch abscheulich! Und Renate? Er fühlte den Druck in der Magengegend stärker, die Gedanken zerstreuten sich. Da sprang er auf, ging ins Schlafzimmer, zog feste Stiefel und den Gummimantel an und lief in den Regen hinein. Das tat wohl, er konnte über sich selbst hinwegsehn, Wipfelwanken und Regensturz groß und stürmisch empfinden, und als er wieder die Tür des Schlößchens öffnete, hatte er das Gefühl, daß etwas sich inzwischen ereignet habe. Ja, der Diener sagte, Fräulein Chalybäus habe aus Berlin angerufen; sie würde nach einer Stunde noch einmal telephonieren. Magda? Was war da geschehn? Sie hatte kein Telephon in der Wohnung, er mußte warten.
Als er ins Zimmer kam, saß Cora am Flügel und klimperte aus irgendwelchen Noten, die sie gefunden hatte. Er setzte sich wieder in den Sessel und begann alte Gedichte durchzulesen, um zu sehn, was sie wert waren. – ›An E.‹ stand da.
Träumerische Stunden lang
Senk ich mich in deine Ferne
Wie in einen Glockenklang,
Den ich zärtlich lieben lerne …
Lieben lernen? Einen Glockenklang?
Der aus unbekanntem Tal …
Georg überflog zwei Strophen und kam zur letzten:
Und indes die Nacht anbricht,
Sprech ich seufzend zu den Winden:
War ich heimgerufen nicht?
Aber sagt, wie soll ich finden?
Georg fluchte. Vor einem Jahr schrieb ich das? Und wann hätte ich jemals zu den Winden gesprochen? – Da fing er das nächste Gedicht an:
Aber du, Geliebte, deine Augen
Hat noch nie ein falscher Hauch getrübt …
– übersprang eine Zeile –: In der seligen Geduld geübt … Wen meinte ich damit? Er nahm ein anderes Stück vor und las:
Sonett
O Herbst, du schwankend Abbild meiner Seele!
Wo jähe Klarheit schnellt aus Dämmernissen,
Vom Himmel flutend, überall zerrissen,
Und oft durchbrüllt von einer rauhen Kehle.
Und Bäume, Felder und der Büsche Hügel
Wälzen sich hart, ganz wankend ist die Welt,
Und nirgends etwas, das nicht nächstens fällt,
Doch noch im Sturz sich hebt auf kargem Flügel.
Und wie das Blatt, das golden, schöngebräunt
Zum Falter wird in buntem Taumelfluge,
So spür ich tiefer fröstelnd, armer Freund:
Was in mir zuckt, sich wirft, lebt, schwankt und siedet,
Sich selber jagt wie eine irre Fuge:
Alltod umfängts, Allsterben stillt und friedet.
Dies gefiel ihm ganz gut, obgleich es schwächlich klang und an hohe Vorbilder gemahnte. ›Lied des Sehers‹ stand über dem nächsten. Was ist das? fragte er sich, wann schrieb ich das? Er las:
Du Herrlichkeit! Weißt du denn nicht dies Glück:
In blinden Spiegeln, Scherben, blankem Tand,
Falschen Juwelen oder trüben Wassern
Der großen Sonne einen Strahl zu fangen?
(Weiterlesend dachte er an Cora, und an wen er wohl damals gedacht haben mochte …)
Jubeltest niemals du, wenn nach des langen
Schwermütigen Regens Dämmernis am Abend
In ferner Häuser grauer, öder Mauer
Ein Glas aufquoll, lebendiges Blut und Feuer?
Du Herrlichkeit! (Georg schüttelte den Kopf) gebückt, wenn du mir fern,
Schleif ich die Blicke über dumpfem Boden;
Dann zuckt ein Glanz, dann regt vielleicht ein süßes,
Mitleidiges Leuchten …
Heftig schrillte das Telephon. Georg legte das Buch aus der Hand, ging hin und hob den Hörer. Magdas Stimme fragte, ob er es sei; er bejahte, und sie bat um Verzeihung, daß sie störe, aber ihr Vater sei in der Nacht gestorben. Ja, als sie am Morgen ins Zimmer gekommen sei, habe er tot im Bett gelegen.
»Es ist ja wohl gut, Georg,« hörte er sie sagen, »er hat ein sanftes, unbemerktes Ende gehabt. Und nun wollte ich dich bitten … Wie ist es, hast du nicht Pfingstferien?« Georg bejahte. »Dann, – könntest du vielleicht ein paar Tage kommen und mir helfen? Ich habe hier eigentlich niemand und –« Georg unterbrach sie mit heftigen Versicherungen, daß er sofort komme, und sie endeten das Gespräch.
Eine Weile ohne feste Gedanken stand Georg hinter dem Sessel, in dem das aufgeschlagne Buch lag, nahm es dann auf und las willenlos das Gedicht zu Ende:
Mitleidiges Leuchten sich und singt von dir:
Nichts das von dir nicht lebte, selige Sonne!
Da ist nichts so gering: ich liebe es doch
Und dränge mich daran mit Auge und Lippe.
Auch im Verworfenen fand ich den Spiegel,
Darin die Gottheit gerne sich vergißt.
Nun lächelte er trüber, fragte sich, ob Cora der trübe Spiegel von Renate sein solle, und ob er davon wirklich entzückt sei, wenns der Fall wäre, legte das Buch in die Schieblade, stand davor, die Schlüssel in der Hand, und konnte sich auf nichts besinnen. Endlich fiel ihm ein: Kursbuch! – Er fand es auf dem Schreibtisch, sah, daß es zum Zwölfuhrzug schon zu spät war, daß es bis zum Dreiuhrzug ihm zu lange dauerte, ging hinaus und befahl dem Hausmeister, den Reitknecht zu den Adlerwerken an der Goseriede zu schicken und einen Wagen zu mieten. Er selber half dem Diener den Koffer packen. Danach ging er zu Cora und sagte, er verreise, was sie zu tun gedenke. Oh, sie würde warten, meinte sie leichthin.
Sie lag in dem selben Sessel ausgestreckt, in dem er eben gesessen hatte. Ihn schauderte vor ihrem ganzen körperlichen Dasein, an dem keine Stelle nicht abgenützt war durch Liebkosung, und nicht nur durch seine. Ob sie tatsächlich nicht zu ihrem Mann zurückwolle, fragte er.
Sie habe es ihm ja gesagt; ihre Ehe sei längst keine mehr, sie hätten sich bloß noch körperlich gebraucht, sie sei das müde, ihr Mann vermutlich auch, aber man könne ja nicht wissen, vielleicht liebte er sie noch immer, sie aber könne nicht mehr.
»Du hast eignes Vermögen?« fragte Georg in Gedanken. Sie zuckte die Achseln und meinte: »Genug für mich!«
»Ich werde«, sagte Georg langsam, »nicht zurückkommen. Dies Haus ist zu deiner Verfügung, nur mußt du die Güte haben, in der Stadt zu essen.«
»Das heißt also, ich bin entlassen?« fragte sie spitzig.
Georg senkte den Kopf und meinte, wenn sie es so ausdrücken wolle …
Er setzte sich auf die Lehne des Schreibsessels, griff nach dem Schildpattmesser zum Briefaufschneiden und sah, daß es schwächer regnete; am Himmel, über den Bäumen, brach silbrige Helligkeit auf. Daß es grade Magda sein muß, die mich frei macht! dachte er gebeugten Sinnes, und vor ihm schwebte seltsam das Gesicht ihres Vaters.
Die Gedanken verliefen sich; er sah ungeduldig auf die Standuhr, indem trat der Reitknecht ein und sagte, der Wagen stünde draußen. Er hörte Cora etwas sagen, verstand es aber nicht, da er nun den Telephonhörer aufhob, den antwortenden Hausmeister bat, ihn mit Benno zu verbinden, dann Bennos Stimme hörte und ihm sagte, daß Magdas Vater gestorben sei und daß er hinfahre, um ihr zu helfen. Benno fragte nichts weiter, trug ihm Grüße auf, und jetzt war der Diener da mit dem Mantel. Er zog ihn an, schickte den Diener weg und ging auf Cora zu. Auf einmal hob sie die Hände wie Krallen, Lenuschs Gesicht erschien ihm in dem ihren, da sie die Lippen öffnete bei zusammengebissenen Zähnen. »Hüte dich!« keuchte sie und warf sich herum, ihr Taschentuch in den Mund steckend. Da mußte er lächeln und sagen, sie werde ihm hoffentlich nichts kaputt machen in der Wohnung. Sie warf die Schultern hin und her, fiel in den Sessel und weinte. Sie tat ihm leid.
Cora, sagte er leise, legte ihr die Hand auf die Schulter und fragte, was denn aus ihnen Beiden werden solle.
Sie unterdrückte ihr Schluchzen, murmelte, er sei's ja nicht wert, sie wollte nicht weinen. – Ach, sie hatte ihn doch wohl sehr lieb. –
Nun sprang sie auf und meinte kühl und hoffärtig, er hätte wohl recht, sie wolle fort. Da legte er den Hut wieder aus der Hand und sagte, er wolle ihr helfen, ihre Sachen zu packen. Sie ging, und er folgte. Das schöne Zimmer, kaum entstellt, machte ihn traurig, sie packten wortlos Coras Koffer und Handtasche, der Diener trug alles hinaus, Georg half Cora in den Mantel, sie gingen.
Im Wagen starrte sie abgewandt aus dem Fenster. Als sie in die Eichstraße einbogen, sah er, daß sie weinte. Aber sie übersah seine Hand, nickte nur, stieg aus und ging ins Haus. Der Diener folgte ihr mit den Koffern. Georg atmete auf und bedauerte sie erleichterten Herzens.
Was wird nun kommen? dachte er, als der Wagen sich wieder in Bewegung setzte.
Georg, aus Berlin zurückgekehrt, hatte sich umgekleidet und trat eben aus dem Schlafzimmer hervor, als die Tür zum Flur von draußen geöffnet und – vom überragenden Benno vorwärtsgeschoben – etwas anscheinend sehr Liebliches über der kleinen Treppe sichtbar wurde, ein Mädchen in gesticktem weißen Kleide und gelben Schuhn, das Gesicht noch zurückgewandt unter einem großen und flachen, gelblichen Strohhut von ländlicher Form, einen leichten Feldblumenkranz um den Kopf und mit langen, nach hinten hängenden breiten Bändern von schwarzem Samt. Das Gesicht, das nun erschien – errötet und mit schüchternem Lächeln – war ganz und gar mädchenhaft, jung, zart, gerundet, großäugig, ja überaus lieblich wie das Ganze. – Benno aber kam jetzt die Stufen herunter gestürmt, fliegend über und über, fliegender langer Beine und Rockschöße und Arme, fliegender Stirne und Haare, fliegender Augen, ja selbst die rot angelaufene Nase im heißen Gesicht schien, sich krümmend und mit den Flügeln zitternd, entfliegen zu wollen, und so hatte er Georgs Hände gepackt, zerrte sie nach unten, riß sie nach oben und schleuderte sie wieder nach unten, stotterte und war glückselig.
»Das ist sie, Georg!« Seine Stimme war ganz ins Tiefe umgebrochen. »Ich habe sie errungen! Nun nimm sie!« Und die Stimme verhauchte ihm. Die Augen verkehrt in Scham und Wonne, ließ er Georg fahren, stürzte wieder zu dem oben noch zögernden und lachenden Mädchen, ergriff ihre Hand und rief, sie ritterlich zu ihm geleitend:
»Das ist Georg! Nun – sieht er fürchterlich aus? – Sie hat gedacht,« kicherte er, und das eigene Lachen verschlug ihm die Stimme, »du müßtest schrecklich sein wie Artaxerxes!« Und lachte unmäßig über den Witz.
Georg, bei allem Gerührtsein über Benno, fand sich wider Erwarten mehr überrascht als entzückt, dieweil er dem Mädchen entgegenging, lachte und fragte:
»Bennos Braut, das solls doch bedeuten, nicht wahr?« Und er beteuerte seine Freude, klopfte Benno die Schultern, alle Drei lachten, das Mädchen eine erstaunlich melodische, fast romanhafte – dachte Georg – Silberlache, die Tonleiter hinauf und hinunter.
Rötlich blond war sie; die Scheitel, von der Stirnmitte über die Brauen zu den Ohren gesenkt, bauschten sich locker und zausig, und weißliche Streifen zeigten sich im Roten und Goldenen. Die Augen schienen gemischt Grau mit Braunem und Grünlichem. Oh, sie war hübsch.
»Aber wie heißen Sie denn, bitte? Benno, wie heißt sie? Denken Sie, ich weiß Ihren Namen so wenig, wie ich bislang von Ihrem Dasein etwas ahnen durfte. Wie kommt das, Benno, gesteh!«
Benno war tödlich verlegen. Doch – einmal – ganz im Anfang hätte er Georg von ihr erzählt, – von Begegnungen …
Tausenden sei er begegnet, Tausenden! – Und wieder ertönte das gurrende Lachen hinauf und hinunter, während sie sich mit geschmeidiger Bewegung vor und zurück bog. Georg gestand, mit halbem Bewußtsein lügend: »Ja, Benno, wenn sie lacht, ist sie unwiderstehlich. Und nun bitte den Namen!«
Aber Benno ereiferte sich noch über die tausend Begegnungen, war selig gekränkt, eitel und beschämt und beteuerte, seit einem Jahr, wo er sie das erste Mal gesehn, habe er nicht eine einzige Begegnung gehabt. »Und sie heißt Elfriede!« brachte er endlich, wieder verzückt, hervor.
»Elfriede Krumm«, sagte sie fröhlich und bewußtlos.
»Aber ich habe sie – Elfe getauft!«
»Wunderbar, Benno! das ist recht!« lobte Georg, in diesem Augenblick seiner erst unbewußten Enttäuschung ganz inne. Der schändliche Zuname hatte sie ans Licht gefördert. – Ja, was ist denn? fragte er sich besorgt. Hatte ich etwas andres erwartet von Benno? Warum gefällt sie mir denn nicht? – Überdem sah er den blassen, stets lächelnden Egon dastehn zum Zeichen des Abendessens.
»Geh hin, Egon, gratuliere Herrn Prager, das ist sein Fräulein Braut.« Während Benno des blassen Egon Arm auszureißen suchte, drängte Georg die Elfriede – Elfe gelang ihm zu denken nicht – zum Mitessen und bewegte sie, obwohl sie sich zierte – ihre Mama erwarte sie doch –, allmählich durch das Zimmer, dann zum Annehmen seines Arms und führte sie durch die Tür.
Er konnte sie von der Seite betrachten im Gehn. Ihre Nase war grade, kurz, schlecht und recht, – wie auch der Mund, der undeutlich und blaß war, ›als Mund gemacht‹, wie Georg einfiel, der sich nicht von ihm verlockt fühlte. Und nun sah er etwas –, etwas Winziges nur, doch – es war etwas … Am äußeren Augenwinkel nämlich zwei kleine Fältchen in der Haut, kaum bräunliche Fältchen, die sich bewegten, wenn sie, wie sie beständig tat, die Augen zusammenzog im Lächeln und Lachen. – Die sinds, stellte Georg unerbittlich fest; ich werde dahinterkommen, was sie bedeuten.
Und während das Mädchen nun am Kopfende der ovalen Tafel in der Apsis zwischen den Freunden saß, mehr lachte als sprach, Georg ihr von der Omelette und ihrer Füllung von kleinen Frühjahrserbsen mit der Bemerkung vorlegte, das sei »die einzig mögliche Speise für zarte Bräute« und, so weiterhin scherzend, mehr albern war als heiter – was jedoch allein er selber zu bemerken schien –, prüfte er sie auf das genaueste.
Die Bewegungen beim Essen waren zierlich. Aber die Hände waren nichts. Rötlich, ausdruckslos, nicht groß, nicht klein; die Zeigefinger waren schief gebogen, die Gelenke verdickt, und der Daumen hier – oh der Daumen war ein leibhafter Altjungferndaumen, und augenblicks erkannte Georg, daß ihre Augen – hart waren, im Schnitt und Eingefügtsein in die Lider, nein hart sogar, wenn sie sich ernst verhielt, im Blick. Und da waren die zwei Fältchen links und rechts. Diese Fältchen, dachte Georg, werden dafür sorgen, daß ihr Gesicht lange so bleiben wird wie jetzt, rundlich, weich, die Züge unverändert, nur die Frische, die wird eines Tages verschwunden sein – ich sehe ja das reizlose Fleisch schon jetzt unter der zarten Haut. Und dann auf einmal wird sie – hart geworden sein, oh hart ist sie jetzt schon ganz innen! – und alt …
Es half Georg nichts, sich zu wundern und zu schelten wegen seiner Richterlichkeit. Sie war reizend – und er mochte sie nicht. Und ihn bangte wegen Bennos. – Habe ich nicht immer für ihn sorgen müssen? fragte er sich gerührt, ihn sitzen sehend in seiner Übergossenheit von Seele und Seligkeit.
Egon trug, wie Georg befohlen, Sekt im Kühler herein und stellte Spitzgläser auf, zu Bennos tiefstem Entsetzen auch eins vor Georg, der doch keinen Wein mehr trank seit seiner Krankheit.
»Ich dulde es nicht, Georg!« empörte er sich, »es ist unerhört von dir!« und ging so weit, ihn am Arm festzuhalten, daß der Wein das Tischtuch überschäumte. Das schaffte denn Aufschub, und Georg gelang es, seinen Trinkspruch auszubringen, anzustoßen und einen Schluck zu nippen.
»Aber was wird nun Renate sagen?« spottete er, das Glas niedersetzend. »Ich denke, Benno, du verzehrst dich in Anbetung, nicht wahr –, und nun …«
Oh dies ewige, mühelose Lachgeklingel sollte der Teufel holen! – Georg, dem nach der langen Entbehrung der Schluck Weins doch den Kopf erhitzte, sah und hörte nichts mehr, dieweil er innerlich scharrte: Da ist nun Renate, da ist doch auch Ulrika, Irene, Magda erst! – Da war Esther, da war die ganze Stadt voll schöner, sanfter Frauen, – und er nahm diese endlose Heiterkeit. Ist das nun seine Ergänzung? Hatte er denn je ein Verlangen nach Leichte und Fröhlichkeit bezeigt? Ach, sie ist ja gewöhnlich, Benno, siehst du's denn nicht? Ihre Mutter möcht ich gesehn haben, dann wüßte ich alles. – Und nun hatte Georg auch ein ungefähres Bild von dem stillen und ernsten, vielleicht sanften und rührenden, jedenfalls aber ernsten Wesen und jedenfalls ganz zarten und feinen, in Heiterkeit vielleicht liebevollen Geschöpf, das er unbewußt irgendwie als Bennos Ideal in der Zukunft zu gewahren geglaubt hatte. Nun diese kleine Tänzerin oder Sängerin meinetwegen, Elfriede Krumm, – na, für den Namen konnte sie freilich nichts, obwohl besser noch grotesk als gemein – aber immerhin hatte sie es nicht weiter gebracht, als an diesem holzigen Stamm eine kleine Windenblüte aufzutun. Eine seltene Aloe am Stamme des Gemeinen war sie nicht, und Georg fing an, sich den Kopf zu zerbrechen, ob nur Benno sich von ihrem Liebreiz hatte blenden und irren lassen, oder ob also doch ein Stück vom Bürger in ihm steckte, den es zu seinesgleichen zog. Schubert, dachte er, Schubert war auch so ein Halbgott in Stiefeln, unsterblich wenn er sang, im Dasein ein kleiner Spießbürger. – Ganz heiß ward ihm da im Gedanken, dieser süße versilberte Engel könnte den armen, schwachen Benno aus seinem wahren Paradies vertreiben. Denn was tut sie, und was ist an ihr, wenn sie nicht lacht? – Heiraten, mein Gott! Wenn er sie doch zur Hetäre nähme! Oh Benno, es wird ein Unglück geben!
»Wißt ihr, fahren wir doch gleich zu Renate,« mischte er sich mit Bewußtsein wieder ins Gespräch. (Oh wie zog es ihn zu Renate!)
»Aber meine Mama …«
»Bei der fahren wir vor. Oder sie kommt mit.«
»Im Dogcart, Georg?« Benno, sein Glas in der Hand, mußte es schnell niedersetzen, um in eine schallende Lache ausbrechen zu können, die ihn unwiderstehlich schüttelte, während das Mädchen errötete, unwillig schien, ja sichtlich einen bösen Blick unterdrückte, – und Benno unterbrach sich jählings im Gelächter, nun furchtbar verlegen.
»Ja, was lachst du denn so?« stach Georg – in einer Ahnung – auf ihn ein.
»Mama –« sagte die Elfriede überernst in Bennos Gestammel, »paßt allerdings kaum in einen Dogcart. Mama ist ein wenig stark.«
Dick ist sie! Unglaublich dick! eine Maschine! ein Elefant! jauchzte und fluchte Georg innerlich. Nun ist mir alles klar. Eine Bürgersfrau aus der Markthalle. Rentiere im Adreßbuch! – Und um so dringlicher fuhr er fort, der Tochter sein Schimmelgespann zu preisen, das schon halb verkauft sei; so sei's vielleicht das letzte Mal … Ich muß die Alte sehn, dachte er. Und dann zu Renate!
Egon, sich zu ihm beugend, flüsterte: die Dame sei wieder da …
»Was für eine Dame?« fragte Georg laut.
»Die gestern schon da war, wie ich Durchlaucht …«
»Ach, die sich nicht offenbaren wollte? Bitte entschuldige mich, Benno, – gnädiges Fräulein … Es wird wohl ein Bittgesuch …« Georg legte die Serviette hin, ging zur Türe, öffnete und schloß hinter sich, das Zimmer zuerst leer findend. Dann sah er Cordelia.
Sie war noch keinen Schritt in den Raum gekommen; oben vor der Tür, die Hand am Geländerdach stand sie, ihren alten Strohhut in der Hand, ein welkes weißes Kleid, mit moosgrünem Seidenband unter der Brust, um den Leib gezogen. Aber – – oh – das ist ein Mensch! war Georgs erstes, voll aufseufzendes Empfinden in der Erinnerung an Bennos Elfe.
Erstaunt, entzündet von Freude sie wiederzusehn, sagte er leise nur »Cordelia –«, nun erschüttert von einem unendlichen und schweren Ernst, einer Wehmut, einer Demut und – diese durchglühend – einer fast mystischen Süße im Dunkel ihrer fernen Augen, im ganzen bleichen, atmenden, sehnsüchtig bewegten Gesicht.
Der Hut, ihr entfallend, rollte die Stufen hinunter. Sie folgte ihm, schrittweis, die Hände gefaltet, die Blicke unveränderlich auf ihn geheftet mit einem für Georg kaum noch erträglichen, sprachlosen Flehen. Einmal lächelte sie hülflos. Ein paar Schritte noch von ihm entfernt, hielt sie an, schauderte heftig zusammen, bezwang sich furchtbar, lächelte mit Anstrengung und fragte kaum hörbar: »Muß ich – ganz – hin?«
Ihm brach das Herz. Sich losreißend, durchzuckt: Sie stirbt ja vor Angst! – sprang er zu, riß sie an sich, legte ihren Kopf an seiner Schulter fest, hielt ihn, der herabsinken wollte, streichelte ihn unaufhörlich, flüsternd: »Was ist denn, mein Gott, was ist denn? Es ist ja gut! ist ja gut! Ich bin ja glücklich!«
Leise schluchzend hörte er sie etwas stammeln wie: Gott sei Dank! und: ja, nun ist es gut … Langsam kam ihr Gesicht wieder hoch, naß überströmt, fließender Augen, aber sie lächelte wie ein Engel durch den glänzenden Strom. Sie bewegte stumm den Kopf hin und her. Ihre Augen fielen zu.
»Willst du mich denn noch?« fragte sie zwischen den Zähnen, »wirklich?«
»Ob ich will, Cordelia? Ja doch, ja! Ich bin ja nur glücklich, wenn du kommst! Ach,« fuhr er, erschüttert von Mitleiden, fort: »sag mir doch, was dir fehlt, was dich quält, alles, alles! ich will dir doch helfen!«
Aber sie schwieg.
Im Nebenzimmer ward ganz leise ein Akkord des Flügels hörbar, nur der eine, süß aufschwirrende Schlag, als habe ein Vogel die Tasten gestreift, für Georg ein lieblich erstaunendes Zeichen des Augenblicks. Dann, abgelenkt, sah er durch die Wand Bennos lange Schattenfigur, wie sie sich auf die Tasten bückte: er mußte sie wohl doch einmal berühren, einen Ton hören, die Musik ein Wort sagen lassen zu seiner Inbrunst.
Cordelia aber hatte aufhorchend die Augen geöffnet.
»Was war das?« flüsterte sie, und Georg gestand, es sei Besuch nebenan, ein Freund mit seiner Verlobten; ob sie erlaube, daß er ihnen eben Bescheid sage, sie seien eben schon im Begriffe zu gehn. Cordelia nickte nur stumm und machte sich los von ihm.
Die Tür öffnend scheuchte er das Brautpaar aus der Buchtung des Flügels und aus einer ganz ähnlichen Stellung wie die, in der Georg selber sich eben befand, was seine Betäubtheit rasch in angenehme Heiterkeit löste, also daß er, da das Mädchen ohnehin heimwärts drängte, mit leichtem Bedauern der verhinderten Fahrt sich entschuldigen konnte. Er brachte sie noch durch das gangartig lange und halbdunkle Billardzimmer auf den Flur und bis vor die Tür, winkte ihnen nach und dachte, mit den Augen an Bennos Rücken haftend: Seltsam doch, daß grade er so aus unsern Kreisen fallen mußte. Gedichte mach ich ja auch, aber der einzige Unsterbliche war doch immer er. Ach so, erinnerte er sich im Abwenden, die Götter trugen ja immer nach besonders irdischen Frauen Verlangen. Ja, sie war eine kleine Rubensschönheit, Danaë … und –
Georg richtete sich lächelnd straff. Und Benno muß heiraten, muß – weil er das nicht fertigbringt was ich. Ah sie war wieder da! Gott sei gelobt, murmelte er vor sich hin, nun kommt die Erlösung erst von Cora! – Er schloß die Tür hinter sich.
Wie er aber leichtfüßig den Flur zurückeilte, wurde die Tür am Ende geöffnet, mit Vorsicht. Cordelias Antlitz erschien im Spalt, groß offenen, furchtsam spähenden Auges, und erschrocken bei seinem Anblick schlug sie den Türflügel wieder vor ihm zu, den er gleich darauf erreichte.
Als er dann drinnen stand, war sie an das Geländer zurückgewichen, hielt es mit den Händen neben sich gefaßt und ließ wie eine Schuldige den Kopf sinken. Sich überwindend, sie nicht feindlich anzusehn, versuchte er zu scherzen, ob sie ihm doch wieder habe entwischen wollen …
Sie lächelte traurig und sah auf. »Es soll also wohl doch sein«, sagte sie leise. »Nein!« sie drängte sich an ihn, »sieh mich nicht so an! frage nicht! ja, versprich mir das, schwören mußt du's, Georg, hörst du, du mußt es schwören!«
»Ja, gewiß! gewiß doch! was denn?«
»Nie fragen, Georg! Nie, nie, niemals und nach nichts fragen! Ach,« weinte sie plötzlich laut auf, »was willst du denn von mir? Ich weiß doch, daß du mich nicht liebst.« Sie brach ab, ihn hart und verschlossen anblickend.
Georg vermochte nicht auszuweichen. Nicht lügen! dachte er nur, und seinen Augen es überlassend, sie zu bezwingen, sagte er klar und verständlich, wie er es meinte.
»Ich brauche dich.«
»Den Leib«, hauchte sie elend.
Was nun sagen? – Er küßte behutsam ihre Stirn, und damit schien er Glück gehabt zu haben, denn mit aufblühendem Lächeln unter seinem Kuß flüsterte sie:
»Und die arme Seele mit … Meinst du, daß ich eine habe? – Ach laß nur«, wehrte sie matt und drückte die Augen an seine Schulter.
»Du kennst mich doch nun ein wenig,« redete er, ihr Haar streichelnd, auf sie herab, »du weißt doch, wer ich bin!« und hörte sie aufsagen leise, ohne den Kopf zu heben: »Prinz – Georg – Trossenberg.«
Dann, sehr liebevoll: »Mein Prinz!« und Georg fuhr zurück wie gestochen. Er strauchelte auf den Stufen, erreichte mit Mühe aufrecht den Boden, seine Knie versagten, er tat noch zwei Schritte und stand, entsetzt, die Hände an den Schläfen.
Jetzt – da wars! Jetzt wars gekommen. Jetzt mußte – – mußte – was? – was? – Die Wahrheit gesagt werden oder – oder gelogen. Warum gelogen? Um die letzte Probe … um zu sehn, ob es erträglich, möglich …
»Was ist dir denn?« hörte er sie aus weiter Ferne fragen, sah aber in der selben Sekunde dicht vor sich ihre besorgten Augen, die flackerten; ihr Gesicht, ihre weiße Gestalt, die dunklen Wände des Raums, der große, grüne Lampenumhang – alles flackerte auf und nieder wie aus gasigen Flammen, während er sie nur anstarren konnte und merkte, wie sie seine Hände ergriff und herabzog. Durch das Sausen in seinen Ohren hörte er sie etwas sagen, ohne zu verstehn.
Du Feigling! sagte dann eine Stimme, du willst es ja nur aufschieben!
»Nichts, Kind, nichts!« brachte er endlich hervor. »Es war wohl mein Herz, – es ist nicht ganz in Ordnung. Laß nur, es geht schon wieder. Ja, wovon sprachen wir doch eben? Richtig, meinen Namen sagtest du …« Er irrte wieder ab. »Ja, und wie ist der deine?« hörte er seine eigene Stimme fernher, erwachte dann und setzte beherrscht hinzu: »Oder darf ich das auch nicht fragen?«
»Cordelia Severin«, sagte sie leise. »Aber ist dir auch wirklich wieder gut? Komm, setz dich hin!«
Sie führten sich gegenseitig zu einem der Sessel in der Kaminecke, Georg fiel ermattet hinein und zog sie auf seine Knie. Sein Herz jagte in der Tat haltlos. Vielleicht war doch der Schluck Sekt schuld.
»Und was wird nun aus uns?« konnte er indessen wieder scherzen. »Bleiben wir zusammen? Möchtest du hier wohnen? In einem Schloß?« – Es stach wieder in seinem Herzen. Er verstand nicht recht, weshalb ihm so unendlich sanft und weich zumute war, und fuhr fort, ihr weiches Gesicht unablässig zu streicheln und zu glätten. Da sie nur nachdenklich vor sich hin lächelte, fragte er weiter: »Oder soll ich zu dir kommen?«
Nun schauderte sie leicht zusammen. »Nein! oh nein!« stieß sie hervor.
»Also was denn? Soll ich ein Haus kaufen?«
Wieder ruhiger blickte sie in seine Augen, küßte ihn leise auf den Mund und sagte liebreich:
»Ich will, was du willst. Aber ich möchte nicht gern in – dein andres Leben. Möcht ganz für mich sein – und für dich. In mein Leben sollst du auch nicht. Wir wollen zusammen ein drittes haben, ganz für uns, gell?«
»Ja, das wollen wir. Also dann willst du wohl Geld haben, was?«
»Ja, bitte!« sagte sie ganz ernst.
»Ich hab aber selber keins da«, meinte er lustig. »Nun, warte, es findet sich schon ein Weg. Willst du mich mal aufstehn lassen?«
Während er eine Schreibtischlade aufzog, ein Checkbuch hervorholte, sich setzte und mit eiliger Hand in ein Dutzend und mehr Seiten seinen Namen eintrug, fragte er zurück, ob sie vielleicht auch schon ein Haus wisse? – Leise auflachend bejahte sie und sagte plötzlich wieder im Dialekt und in ihrem verträumten Ton:
»I hab ans aangschaut vor a paar Täg. In der Alleestraße heroben, ganz heroben am End, auf an Hügel liegts. I tu alsfort Häuser anschaun, wanns fein ausschaun und Mietzettel ham.«
»Na, das ist ja schön! Da muß ich dir wohl einrichten helfen?«
»Nimmer nötig! 's steckt ganz voll von Möbeln bis ans Dach, schöne Möbel, olte, ach du mein!«
Georg, sich umdrehend beim Schreiben, sah sie auf der weichen Sessellehne sitzen und mit runden Augen nach allen Seiten spähn.
»Nicht so schön halt wie die«, plapperte sie weiter, nach der Bücherwand nickend. »Aber ein Schlafzimmer hats, das wird dich freun. Da stehts Bett im Alkoven, der hat – so ein Fuß grad überm Bett – ein ganz schönes, breites, großes Fenster. Wenn man da naus schaut, – ja, das glaubst net, Gorch, da hast vor dir das ganze Land, alle Wiesen und Weiden und die blauen Wälder hinten und Dörfeln – ah – viele! Schlafen kannst da mitten im Frein, und unterm Fenster – da ist der Garten, und der Teich, und eine ganze Wüstn von floribus«, schloß sie plötzlich mit hörbarem Punkt. Georg sprang auf, warf sie fast in den Sessel hinunter und erstickte sie mit Küssen.
»Und Hesekiel! Georg, laß los, ich ersticke ja!« keuchte sie, »und Hesekiel, darf ich den aach kaufn?«
»Was du willst, Liebling, was du willst! Aber wer ist denn Hesekiel?« – Er hielt sie wieder auf den Knien und ließ sich kleine Küsse von ihr geben, während sie erzählte:
»Hesekiel – das ist ein – orms Luder. Ein bißchen dumm ist er schon, weißt! so ein – Idiot oder – – wie? Er vergißt halt alles. Nur eins, ein einziges, das kann er grad behalten. Und er hat ein' Buckel und ein ganz spitzes, altes Gesicht und einen wehmütigen kleinen Mund. Oh Hesekiel ist ein lieber Kerl, der wird dir gfalln. Nun ist er – was die Bälle aufklaubt bei die Tennisleut. A so a olter Mensch und klaubt Bäll auf. Verheirat is er net. Gell, den nehm mir? Den nehm mir zu uns?«
Georgs Herz jubelte vor Entzücken. Oh Benno, was habe ich und was du! – Sogar die Erscheinung Renates ging schmerzlos vorüber. Ich werde lebendig sein, ganz lebendig, arbeiten können, gesund sein, und das andre – alles andre wird sich finden, sich finden.