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Siebentes Kapitel: August

Frühe

Georg erwachte im Finstern und hörte den Donner rollen, blieb aber so sehr in der Verschüttung des Schlafs, daß er sich einbildete, er träume, nur aufseufzte und sich streckte. Dann war aber ein Mensch im Zimmer, und mit gelindem Erschrecken erschien ihm in einem schwachen Blitzleuchten Cordelias weißes Gesicht und das glänzende Schwarz ihres Mantels. Indem er noch murmelte, was sie denn wolle, fühlte er ihre Hand auf seinen Augen, die sie zudrückte, und am Einsinken der Matratze, daß sie neben ihm kniete. Dann hörte er sie den festen Laden, über ihn hingebeugt, zart umlegen und verriegeln, endlich auch das Schiebefenster langsam, fast geräuschlos herabziehn. Im Begriff, etwas Dankbares zu murmeln, schlief er wieder ein.

Als er dann wieder zu sich kam, war es dämmrig, fast noch dunkel im Raum, doch hingen unmittelbar über ihm an seiner Linken Lichtfäden im Laden, und schon hellwach und frisch sich zurücklegend, sah er die beiden ausgeschnittenen Herzen im Holz oben matt leuchtend schweben. – Es regnet wohl, dachte er, schade! in schwacher Erinnerung an ein Gewitter bei Nacht. Ach, sieh an, wie wundervoll ich jetzt schlafe, selbst bei Donner und Blitz! – Und die Arme mit geballten Fäusten ausstoßend und beugend, fühlte er sich krachen und strotzen von grüner Gesundheit.

Aber ich hab mir doch über etwas klar werden sollen über Nacht, fiel ihm ein, und im Augenblick auch schon der homerische Vers: Πολλα δ' ὁ γ' ἐν … der dritte der Odyssee, über den sie gehadert hatten miteinander, bis ihnen die Augen zufielen, weil Cordelia gesagt hatte, es sei der prachtvollste Vers aller Dichter und Völker, worauf aber er sich anheischig gemacht hatte, ihn nichtsdestoweniger in sein geliebtes Deutsch zu übertragen, aber war sie vielleicht zufriedenzustellen? Nun, er selber wars auch nicht, aber nun wollte er es gleich noch einmal versuchen …

Polla d'ho g'en ponto pathen algea hon kata thymon …

Ah nein, was waren es auch für Worte, was war es für ein Rollen und Knattern, eine strotzende Vollheit im Wohlklang der wechselnden O- und A-Laute, und hinter dem köstlich geschmeidigen algea das schroff gesetzte hon, dann das kalt schmetternde kata und endlich – ihre ganze Wonne – nach all den dunkelklaren und großoffenen Lauten das tiefe, hinziehend glühende: thymon …

Voll des Grames da ward vom Meere die Seele des Kühnen …

Nein, sie hatte recht, es war nichts. Kühnen hatte sie freilich als schön erfunden zugeben müssen, da thymos ja nicht nur Seele hieß sondern auch Mut, – aber wo waren die vielen O und A? Den Ersatz durch die zwei prachtvollen E-en konnte Georg jetzt auch nicht mehr aufrechterhalten und begann, nach As und Os zu suchen, wälzte sich umher und bekam endlich nach vieler Mühe zusammen:

Zornvoll, gramesvoll ward vom Donner der Wogen der Kühne.

Freilich zu wenig A-en waren es immer noch, aber es klang doch sehr schön: Zornvoll, gramesvoll ward … Wie spät war es eigentlich? schon fünf und Zeit zum Aufstehn? – Aber, die Uhr vom Nachttisch ertastend, erkannte er, daß es noch nicht halb fünf war. Ah dann konnte er einmal die Sonne aufgehn sehen!

Das kaum fußhoch über seiner Matratze eingesetzte Fenster hochgeschoben, den Laden auseinandergeschlagen, empfing Georg den erstaunlichen Anblick einer dunklen Welt, in der es schon Tag war. Nicht Tag, – es war seltsam verhangen, aber schon hell, die Sonne noch nicht aufgegangen. Kein Vogellaut ließ sich hören, Totenstille war umher, der Himmel oben grau, aber siehe da – gerade drüben überm unermeßlich dämmernden Land, blitzend in güldener Weiße, stand der Morgenstern in klarem Raum, einsam in unendlicher Kühle. Nun begriff Georg auch den Schauer der Stille im eigenen Herzen, die von dem großen Stern ausging. Heilig stand er, ein silberner Erzengel, gebieterisch, ein Herold des Ewigen, nicht fürstlich bei aller Hoheit, ein Diener des Fürstlichen, und hinter ihm – das undurchdringliche Fernengrau der Leere, die dämmernd bläuliche Unendlichkeit voller Straßen, die sich, alle zusammenlaufend, ins Unermeßliche verloren: Alle diese bleiben euch unzugänglich, sagte er ernst. – Georg konnte die Augen nicht wegwenden von der strahlenden Hoheit, und als er es endlich wagte und in den Garten hinabsah, war es ihm, als brenne der Stern seinen Blick durchdringend auf seine Stirne ein.

Stille unter ihm lag die halbkreisförmige kleine Plattform aus gelbem Kies, von der, unter der Rosenhecke hinweg, der grüne Rasen nach allen Seiten abfloß; still in der Mitte die roh gefügte Steintreppe, von Moosen und Staudengewächsen und schönen Gläsern bedrängt, ruhig hinabsteigend zum großen, rechteckigen Becken gründurchwachsenen Wassers, das kaum glänzte, die gemauerten Ränder überwuchert von Binsen, Schilf und Iris sibirica. Seitlich stiegen die Böschungen sacht an zum wagrechten Wiesenboden, der sich unter Buschwerk und Bäume verlor, an unzählbaren Stellen besetzt mit den großen weißen und farbigen Flecken der Blumen und Staudengewächse, die, jetzt matt scheinend, alle überleuchtet wurden von den mannshohen Pfeilern des Edelrittersporns, bekleidet rundum mit dem kalten und tiefen Blau der großen Blüten. Wie aber war die ganze Senke eingeschlossen in regungslose, betrachtende Erwartung des kommenden Lichts! Wie unsäglich stille verhielten sich die beblätterten Ranken der Crimsonrose mit schweren Blütenbüscheln, die jenseits des Wasservierecks vom pfeilergetragenen Balken hingen! und ringsumher wagte kein Hauch sich zu regen in den Sträuchern, den Hügeln der großen Aspiräen, den umschließenden alten Bäumen, durch deren breite Lücke und über die hinweg Georgs Blick nun mit Andacht hinauswanderte in das stille Morgenland, über die Weideflächen seiner Ebene im farblosen Licht, bis hin zu den Schatten der Wälder.

Wieder ausgestreckt, auf den linken Ellenbogen gestützt, erwartete auch Georg den Tag.

Langsam erst jetzt, unmerklich vorquellend, drang die Morgenfrische zu ihm herein, so unbeweglich war die Luft. Georg schloß die Augen und ließ es rieseln um sein Gesicht. – Sie schlief wohl noch unter ihm, die arme Seele. Arme Seele – wie sie sich in ihren Briefen, auch im kindlichen Geplauder mitunter nannte – und die reicher war, tausendmal reicher als er. War sie nicht wieder im Zimmer gewesen diese Nacht? Freilich – das Gewitter – sie hatte es nahen hören und war gekommen, sein Fenster zu schließen. Aber schon früher einmal hatte er, erwachend, sie neben sich kniend gefunden, dem Fenster zugewandt. Was sagte sie noch? Ich gab mir doch Mühe, es zu bewahren, aber wer behält all ihre Einfälle? man müßte Jasons Gedächtnis haben. – Richtig: was machst du denn da? fragte ich, und sie sagte, den Finger hebend, andächtig: Da zähl ich die Sterne. Ja, da zähl ich und zähl ich, und immer verzähl ich mich. Sprachs und legte sich enge zu ihm, und das war wohl ihr Nachtgebet, die Sterne über ihm zu zählen … Aber dann erzählte sie noch etwas, ja, er hörte sie leise lachen und sagen: Rübezahl, das war aber ein dummer Geist, der wo die Rübsen hat zählen sollen und net können. Na, so eine Dummheit, die ollen Rübsen zählen und sich verzählen. Nein, weißt, einer war – der hat ›Sternezahl‹ geheißen, auch so ein dumms Luder von an himmlischen Engel, der wo gsagt hat zum Herrgott: die Stern, und die zählt er ihm schon lang auf, so vüll sans denn do net! Hats aber net können. Sondern hat dagstanden eine ganze Ewigkeit lang und gezählt und gezählt und hat sich verzähln müssen olleweil. Weils halt – zu – viel san. Da is er trauri geworn, schloß sie kleinlaut. –

Aber weißt – sie freute sich wieder – den lob i mir, i! Net den dummen … Sprachs, sagte: schlaf wohl! und war verschwunden.

Georg atmete dankbarlich auf und öffnete die Augen. Der helle Stern war tiefer gesunken und verblaßt, der Himmel sanft bläulich geworden und weiß, ein Wolkenrand, ein Hauch kleiner, silberweißer Bogen war lieblich hingemalt auf die kühle, schon leuchtende Wand. Da krähte ferne ein Hahn. Es wurde immer feierlicher umher; Georg schlug das Herz. Nichts, das sich regte, – doch – im Wasser unten gluckste es, ein Ring zeigte sich und dehnte sich blinkend aus; es ward heller. Auf einmal wehte ein kühler Atem so lebendig Georg an, so menschenhaft, daß es ihn überlief. Plötzlich hatten die Blätter der großen Akazie dort hinten sich bewegt, erwachend, nur an einem großen Ast, und überall knisterte es nun leise, Häupter bewegten sich, Schläfer, die ihre Lage wechseln wollten, wachten auf, Zweige rauschten sanft, die hohen Königskerzen bewegten sich gemessen, Binsen beugten sich und rauschten, unbeweglich standen die Irisstauden am Wasserrand scharenweis. Und nun wartete alles in Ergebenheit.

Georg erschrak. Was war das? Etwas Fremdes war über die Erde gekommen! Lautlos wie ein Geist war der rote Rand einer gewaltigen Kuppel in der Nebelferne erschienen.

Georg kniete im Bett. Die Hände willenlos zusammenlegend, sah er, ganz nah, die Gewaltige heraufsteigen, die rote, göttliche Riesin, unleuchtend, stumm, ungeheuerlich, unnahbar einsam, so erhob sie das mächtige Haupt und sah in die erschrockene Welt. – Er mußte die Stirn auf den Rahmen des Fensters vor ihm legen, sprachlos, quellenden Herzens.

Als er wieder aufzusehn wagte, war es Tag. Die Ebene hatte sich mit ziehenden Schwaden von Nebel bedeckt, die sichtbar über die glühende rote Scheibe wogten, die jetzt an einzelnen Stellen golden zu brennen begann. Von hundert Orten umher zwitscherte es nun und zirpte, in den Lüften flog Gold, ah und wie schwer hing alles Laubwerk und blitzte vom Guß des Gewitters! Schon entstieg zarter Dampf, kleine, weiße Rauchsäulen erhoben sich schwebend über der Wasserfläche, alles leuchtete und ließ sich besonnen.

Georg sprang aus dem Bett, öffnete die merkwürdige Luke am Boden, die Cordelia für ihn hatte machen lassen, und stieg die Leitertreppe hinunter ins Badezimmer.

Von dort erfrischt und sauber zurückgekehrt, kleidete er sich eilig in ein wunderbares Hemd von gelber Rohseide mit offenem Halskragen, weiche, vom Ledergurt gehaltene Flanellbeinkleider, Strümpfe von der Hemdfarbe, und schlich, die braunen Schuh in der Hand, die noch dunkle Treppe hinunter ins Freie, dann an der Hinterseite des Hauses, so leise er konnte, an Cordelias offenen Fenstern vorbei über den Kies – ah wie die Rosen dufteten am Rande! – setzte sich auf die Treppe oben und zog seine Schuhe an. Langsam schlenderte er darauf von Stufe zu Stufe, tauchte die Hand in den tropfenbesäten Hügel der weißen Aspiräen und lächelte, den ganzen Blumenflor überschauend, von dessen tausend Namen er jeden Tag ein paar hatte lernen müssen, – nun war alles längst unrettbar durcheinander in ihm. Das da hinten an der Böschung war Schleierkraut, aber wie hieß es lateinisch? Und daneben die brennende Liebe? Lychnis – ja, Lychnis chalzedonia und mit robusta noch etwas … Volksversammlungen der handtellergroßen Margueriten blickten nach ihm hin, merkwürdig, wie die Menschen auf alten Bildern. Leucanthemum maximum – das war der Name. Georg balancierte behutsam auf dem Mauerstreifen um das Becken zwischen Trollius und Schwertlilien. Die ansteigende Wiesenböschung zu seiner Rechten war mit prangenden gelben und blauen Farben bedeckt, große Beete des Phlox, blaue, rote, weiße Blüten flammten oben, und dort standen, regungslos, die kostbaren, die Königskerzen, ganze Bäume mit aufstrebenden Ästen, mit den scheibenartigen Blüten, isabellengelb, zartlila und goldenblaß, – wie hießen sie? Delfinum – ah nein, das war ja der erstaunliche Edelrittersporn, drüben von der andern Seite flammten die großen schwarzblauen Blüten, Delfinum hybridum – ists richtig, Cordelia? Die Königskerze aber hieß – hieß – Verbascum, jawohl, Verbascum vernale, ein glänzender Name! – Es war ein Paradiesgarten und sie der Gärtnerengel darin!

Georg rauschte im Vorjahrlaub die kleine Böschung durch das Birkenwäldchen hinunter und glitt unten ins schon trockne und sonnenwarme Gras, wo er die Aussicht über die ganze grüne Ebene frei hatte, über die Landstraße, Haidestreifen, kleine Birken- und Tannenschläge – ins Unendliche hinein, über dem die goldene, brennend brodelnde Sonne kochte im Wolkenlosen.

Sanft ist sie, dachte er, auf den Rücken gestreckt, ins Blaue nach oben schauend, sanft wie die Sonne am Morgen und doch feurig. Das ist das Wundervolle an ihr. Alle schönen Frauen müßten so sein, so – sanft; nicht weich, hülflos, ohne Feste, sondern im Gegenteil – fest, aber zart, glühend innen, seelenvoll …

Sanft halt, würde sie selber gesagt haben.

Georg setzte sich auf. Die Grashalme neben ihm verschwommen vor seinen Augen, so bedrängte, fast angstvoll, ihn ein unsinniges Glücksempfinden. Nun bist du ja gesund, Georg, murmelte er, und glücklich. Sag dirs, Georg, daß du's weißt, daß du's behältst und nicht vergißt: glücklich, ganz glücklich, und wenn du dich fragst, wem dankst du all dies, Gesundheit, Freude, Arbeitskraft, Unermüdlichkeit –, alles, alles, dem seltsamen, dem erstaunlichen Wesen, das dich in Liebe hüllt, wie – wie …

Sich zurückwerfend wieder, die Augen schließend, fühlte er sich umschlossen von ihr mit einer noch nie so lauteren, so klaren Lust, die ihn von ihr träumen ließ. Er sah sich am Spätnachmittag den Hügel zum Hause hinansteigen, und dann erschien sie schon unter der kleinen Vorhalle, entweder in köstlich phantastischen Kleidern oder meist ruhte nur ihr dunkler, brauner Kopf über der mächtigen Glocke des ärmellosen Mantels von schwarzer schwerer Seide, in dessen weitem Faltenwurf es grünlich und bräunlich glänzte. Dann warf sie ihn auseinander, dann stand sie darunter, eine schlanke, gerundete Leibesform in türkisblauem Trikot, oder in feuerfarbenem, oder an den heißen Tagen in gar keinem marmorweiß, – ach, die Erstaunliche! Und es begann der Abend! begannen die langen Stunden stiller Wanderung im Garten umher, in den zierlichsten oder tiefsinnigsten Gesprächen, denn – oh sie war wandelbar wie die Natur selber durch Tages- und Jahreszeiten, sie blühte morgendlich heiter, sie verschattete sich ernst, sie rauschte, leicht windbewegt, sie konnte gewitterhaft flammen, und lächeln, lächeln immer wieder, und nie erlosch am Grund ihres Wesens die reine Farbe, der tiefe Glanz der Heiterkeit, aus der Zaubervögel ihres Lächelns in immer neuen Flügen, einzeln und scharenweis, Süße und Himmelsinnigkeit herüber trugen. Kam das Abendbrot, so fand es immer wo anders statt, nur bei schlechtem oder kaltem Wetter im kleinen Eßzimmer, sonst auf dem winzigen Viertelkreis des Balkons, auf der Plattform hinterm Hause oder in irgendeinem Dickicht, an der Erde, und Hesekiel mußte rennen und verlor zwanzigmal die Stelle aus dem Gedächtnis. Sie essen zu sehn, war allein die Mahlzeit wert. Sie liebte es, mit aufgestützten Ellenbogen zu sitzen, irgend etwas zwischen den Fingern, Brot, das sie zerbröckelte und das nachher säuberlich aufgescharrt wurde für die Spatzen, plaudernd unaufhörlich, zwischenhinein irgend etwas vertilgend, was kaum gesehen verschwunden war. Oh sie war eine Schauspielerin, natürlich, das wußte er ja, – ach, von denen vielleicht eine, die im Leben alles und doch nichts Rechtes können auf der Bühne, weil es ihrem Können – vielleicht am Letzten – vielleicht nur an einem Tropfen richtigen Theaterbluts fehlt, an der Wonne zu verkörpern, Fremdes darzustellen vor fremden Augen; sie haben die Gabe, sich zu steigern, alles aus sich zutage zu fördern, aber sie können sich nicht zu anderm vervielfältigen und bleiben stets sie selber. Immer spielte sie ja, aber es war doch so, daß diese Kunst ihr nur dienen durfte, Vorhandenes vollkommen zu gestalten, ohne leeres Spiel zu sein, sondern Feuer nur und Schwung im treibenden Rade des Herzens. Ihre Einfälle waren unzählbar, sie schien sich geladen zu haben tagsüber mit Schnurren und Geschichten wie der vom Sternezahl, sie holte eine Anekdote aus der Gießkanne und Legenden aus Bäumen und Sternen. Dann kamen die Abende, in denen langsam die Liebesstunde sich vorbereitete, in denen, je dunkler die Stunde, ihr Herz und ihr befeuerter Geist um so höheres Leuchten begannen, und sie schöpfte das Füllhorn ihrer Brust aus nach Weisheit und Gedichten aller Zeiten und Sprachen, bis es stiller und stiller wurde, bis zuletzt immer der gleiche Augenblick da war, in dem sie, dastehend allein, den Mantel von sich gleiten ließ, ernst wie ein Gebilde …

Die Nächte, oh diese Nächte! Den seltsamen Marmor ihrer Brust mit tausend Küssen immer wieder zum Glühen zu bringen – welch unerschöpfliche Wonne! Dann war sie miteins zur lohen Fackel geworden, und sie – oh sie umtanzte seinen Leib mit flammendem Reigen ihrer Liebkosungen und Umschlingungen, bis –

Georg setzte sich trunken auf, blinzelte geblendet, von innen und außen glühend erhitzt, in das sprühende Gold und versuchte, inständig zu denken: Hab ich nicht einmal behauptet, man liebte nicht im Augenblick der Liebe? – Ist das wahr? Sie – ich liebe sie vielleicht nicht einmal, nicht mit ganzem Dasein jedenfalls, oh – es ist ja gleichgültig, aber doch – ich fühlte Liebe zu ihr auch in der äußersten Verzückung; und wenn ich nun wahrhaftig liebte, müßte es nicht geschehn, daß es aus der seelischen Glut auch in die leibliche Flamme überströmte zu tieferem Lodern?

Er sank wieder zurück und lächelte. Arme Seele, ich liebe dich wahrhaftig, so sehr ich kann, und ich bin dir dankbar, oh dankbar! Du Verzaubernde! – Die Abendfahrten über Land fielen ihm ein, im Automobil, wo es immer paradiesische Entdeckungen gab, Stücke Landschaft, Haidhügel mit Wacholder, ein namenloses Dorf, zu dem sie Geschichten erfand, und wars nur eine trübsinnige Henne in einer schmutzigen Kate, – und wie sie mit den Menschen hantierte, mit einer Herzlichkeit und Frische, die den härtesten Bauernschädel knackte, jeden Augenblick Miene und Sprache wechselnd, aus dem Hochdeutschen ins Oberbayrische fallend oder in ihren Mischmasch aus beiden! … Ihm lachte das Herz, als ihm der blinde Leierkastenmann mit seiner schwarzen Brille, der Orgel auf dem Rücken, ins Gedächtnis kam, der sich am Straßengraben hinstocherte mit seinem schmierigen Spitz und nun aufgeladen wurde in den königlichen Rücksitz allein, und wie sich dann weiß Gott wie herausstellte, daß der Kerl sah! Herr du meines Lebens, das Ungewitter! Wie sie im Sitz neben mir kniete, im flatternden Haar wie ein Windgott, und über die Brüstung mit geballten Fäusten auf die Kanaille im Rücksitz loswetterte, und ich davonraste und plötzlich anhielt, und sie über die Lehne weg wie ein Pardel, und der Kerl aus dem Wagen wie der exorzisierte Satan. – Gott im Himmel, Georg, wann wirst du jemals wieder so glücklich sein!

Er sprang auf und blickte auf die Uhr. Es war schon dreiviertel sechs, Zeit zum Frühstück. Um sechs saß er doch sonst immer an der Arbeit. Wieviel Stunden Ferienkurs waren heut? Zwei wie meist, dann noch zwei Stunden Arbeit von zehn bis zwölf, dann Schlaf, Essen und wieder Arbeit bis Zwölf oder Elf. Jeden Tag beisammen zu sein, verbot das Gesetz der Liebe …

Noch einmal sich reckend, die Arme mit geballten Fäusten ausstoßend und sich dehnend, daß es krachte, klomm er die Böschung wieder hinan, ein wenig beschwert in der Brust, denn – sagte er sich – kann man ein solches Kleinod jemals aus den Händen lassen? Eine Prinzessin von solcher Art wie diese halbe Kroatin aus Oberbayern gab es freilich nicht, welch ein Jammer!

Aber Renate. Renate mußte – bei aller Hoheit gegen Fremde – ihr doch ähnlich sein, wenn – wenn sie liebte. Nun, Renate – es machte Schwierigkeit, an sie zu denken in dieser glorreichen Epoche seines Lebens. Jedenfalls aber – – noch ein halbes Jahr vielleicht, dann kam – der Vertrag, kamen tausend, kam die eine Pflicht; kam auch Renate, das stand fest.

Auf der Plattform hinter dem Hause angelangt, hörte Georg bereits das Badewasser im Innern rauschen und entglitt freudig dem geistigen Labyrinth. Hesekiel erschien, den Frühstückstisch vor den Leib geklemmt, und Georg half ihm, ihn zur Plattform zu tragen, was den Guten äußerst verwirrte und zu tausend Segnungen bewog, worauf Georg die kleine Diele im Innern betrat, an der Tür des Badezimmers klopfte und den Kopf durch den Spalt steckte. Natürlich, der Raum war undurchsichtig von Wasserdampf, Cordelias Kopf war kaum zu sehn über der eingelassenen Wanne im Boden, und Georg unterließ nicht, ihr zum hundertsten Male bedeutende Vorhaltungen zu machen.

»Ja, was willst denn überhaupt? Zu seiner Zeit a jeds, hörst, das ist überhaupt unschicklich, da herein zu kommen! Geh, Georg, sei stad, ich komm gleich!«

»Ja, ich geh ja schon! Übrigens, was ich sagen wollte: ich hab den Vers jetzt!«

»Na?«

»Es heißt: Gramvoll – nein! Zornvoll, gramesvoll ward vom Donner der Wogen der Kühne.«

Sie schlug die Hände überm Kopf zusammen. »Ach, Georg, was bist du für ein Klabautermann! Zornvoll, gramesvoll ward –« sie bauschte die Worte im Munde – »ja, und wie heißt es im Griechischen? – Viel – im Meer – litt er Schmerzen im Gemüt – die allersimpelsten Worte, – geh, mach, daß d' weiter kimmst mit dein' Bombast, mit dein' Donner der Wogen!«

Georg klappte die Tür zu vor einem triefend nassen Badeschwamm, der herüberflog, und stieg in äußerster Kümmernis über seine Dummheit ins kleine Wohnzimmer hinauf, wo ihm in der Ecke des Sofas alsbald glückselig die Augen zufielen.


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