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Der Freigelassene Callistus bot alle Liebenswürdigkeiten auf, Cäsonia über das Fernbleiben Caligulas hinwegzutäuschen. Er versuchte ihr zu beweisen, daß zwischen dem Fortgangs des Kaisers und dem Ruf an Messalina keinerlei Zusammenhang bestehe.
Doch Cäsonia kannte ihres Gatten Gewohnheiten zu gut und verschloß sich daher dem gleisnerischen Troste des Griechen. Trank und Speise verschmähend, harrte sie stumm verbissen auf dem Lehnenplatze des Tischbettes. Sie sah nicht, wie die allgemeine Trunkenheit der Gäste in Orgien ausartete. Ihr leidenschaftlich sinnliches Gesicht zwischen die ringbeladenen Fäuste gestützt, lag sie auf dem Lektikus. Ihre starken Brauen waren über der Nasenwurzel zusammengezogen, eine steile Falte schnitt hoch hinauf zur Stirn.
»Ich werde nach ihm senden,« sagte Cäsonia plötzlich, sich entschlossen aufrichtend, einen Sklaven herbeizuwinken.
»Tu es nicht, Domina!« riet Callistus in eifriger Hast. Er ergriff ihre Hand und streichelte zärtlich den mit dem schattigen Flaum schwelgerischer Brünetten bedeckten Unterarm. »Warum willst du ihn verstimmen? Der Gott Caligula hält dir die Treue – der Mensch Caligula wird niemals auf die Untreue verzichten können. Du hattest Zeit genug, dich damit abzufinden. Willst du ihn nun plötzlich mit Eifersucht quälen?«
Cäsonia zuckte verächtlich die üppigen Schultern.
»Eifersucht?« rief sie und verzog spöttisch den sehr kleinen Mund mit den verlangenden Lippen. »Nur eine Närrin ist eifersüchtig. Ich fürchte aber die Tugend dieser Domitierin. Und dann soll sie sehr klug sein, klüger als ich. Sie könnte ihm gefallen und –«
»Seine Luna verstößt er nicht,« fiel Callistus ihr rasch ins Wort. »Sei ohne Sorge, Domina. Der sprühendste Geist, den du bei dieser Tochter der Lepida übrigens wahrscheinlich sehr zu Unrecht voraussetzest – ich habe davon nichts bemerkt – könnte den Cäsar nicht blind machen für das, was du, seine kühlgliederige Mondgöttin, ihm bedeutest. Und die Jugend dieses Mädchens ...?! Bist du etwa alt?!«
Cäsonia, weit in den Dreißigen, lächelte geschmeichelt und verführerisch.
»Du!« drohte sie kokett und schlug den listigen Griechen leicht auf den Arm.
»Und was ist denn diese angebliche Jugend anders als Tölpelei und Unerfahrenheit in Liebesdingen!« fuhr er fort. »Glaubst du wirklich, daß der Kaiser gern solchen Gänschen die Liebeslehren des Ovid beibringt?!«
»Sieh nach dem Kaiser, Callistus!« bat Cäsonia unerwartet, indem sie ihren Körper an den Griechen drängte. »Tu mir den Gefallen, und du sollst auch mich gefällig finden.«
Callistus erhob sich vom Lektikus.
»Du müßtest nicht Selene selbst sein, geliebte Herrin, könnte ich dir widerstehen,« flüsterte er ihr bedeutungsvoll zu. Er machte sich auf den Weg nach den ihm wohlbekannten Gemächern, in denen der Cäsar die berüchtigten Audienzen während der Gastmähler abzuhalten pflegte.
Als der Vertraute des Imperators an der Tür angelangt war, fand er den Vorhang zurückgeschlagen. Der Wächter Wildurod vertrat dem Kommenden nicht den Weg. Licht drang aus den intimen Räumen in den finstern Flur, eine goldene Tafel auf die Marmorfliesen des Ganges zaubernd. Callistus lächelte. Er wußte nun, daß er nicht mehr stören werde, und trat getrost ein. Die Griechin meldete mit lauter Stimme den Besucher. Des Cäsars Stimme lud von innen zum Nähertreten ein.
»Du kommst zu gelegener Zeit, Callistus,« empfing er den vertrauten Mann. »Dein kluger, bewährter Rat wird mich von Zweifeln befreien.«
Er bot dem Griechen Platz an und erzählte ihm in überstürzten Worten von der Weissagung, die Messalinas Kaiserinnenwürde verkündete.
»Rate mir, mein Getreuer,« schloß er den in größter Erregung erstatteten Bericht.
Der schlaue Grieche glaubte zu wissen, was Caligula von ihm zu hören wünschte. Es lag ja auch auf der Hand. Messalina, die Törin, die von hochtrabenden Weissagungen phantasierte, mußte sterben. Cäsonia mußte leben und Kaiserin bleiben. Er schätzte sie als eine harmlose Frau. Er selbst hatte sie in listiger Berechnung dem Kaiser zugeführt in der richtigen Voraussicht, daß sie als das Weib des Herrschers nichts weiter sein werde als ein Weibchen. Befriedigung ihrer leidenschaftlichen Veranlagung in den Armen eines liebessüchtigen Gatten war Erfüllung aller ihrer Wünsche. Daß dieser Gatte der Herr des römischen Weltreiches war, schmeichelte ihrer Eitelkeit. Durch seine Liebe zu ihr aber Einfluß auf die Staatsgeschäfte zu gewinnen, lag ihr völlig fern. Nie störte sie die Kreise jener, die diese Staatsgeschäfte an sich gerissen hatten.
Von Messalina wußte Callistus wenig. Doch was der Kaiser ihm von der Domitierin, von ihrer Schlagfertigkeit und der Festigkeit ihres Willens berichtete, ließ befürchten, daß dieses Mädchen als Kaiserin einen ganz anderen Einfluß suchen und gewinnen würde. Sie konnte gefährlich werden. Also – in den Hades mit ihr!
Nach solchen Überlegungen meinte Callistus endlich:
»Herr, deine Zweifel kann nur einer lösen – – der Tod!«
»Nicht wahr?« rief Caligula, befreit aufatmend. Er liebte es, andere Menschen für ein geheimes oder offenes Todesurteil verantwortlich zu machen. Melancholisch seufzte er:
»Arme Cäsonia – ich habe sie sehr geliebt.«
»Cäsonia?!«
Der verblüffte Grieche schnellte empor.
»Wer spricht von Cäsonia, Herr? Nicht durch sie ist dein Kaisertum bedroht, sondern durch jene, die – wie du sagst – dich verschmäht und dennoch nach der Kaiserkrone greift. Sie muß beseitigt werden, wenn du die hochverräterische Prophezeiung aus der Welt schaffen willst!«
Caligula schüttelte verneinend das vom Kampfe mit Messalina zerraufte Haupt.
»Ihr darf nichts geschehen, Callistus. Du haftest für sie mit deinem Leben,« sagte er ernst und seltsam seiner Worte klar.
»Dein Wille geschehe, Herr,« sagte der Grieche kurz und verneigte sich tief. Er wußte, eine Weigerung bedeutete jetzt den Tod. Und er fühlte kein Verlangen nach dem dunklen Reiche des Pluto. Er beschloß, Cäsonia heimlich zu warnen.
In bedrückter Stimmung folgte Callistus dem Imperator. Kurz vor dem Saale hielt der Kaiser einen höheren Bediensteten des Palastes an und flüsterte mit ihm. Der Mann erbleichte – und nickte demütig.
Als die beiden Männer den Festsaal betraten, waren einige der Dreistesten damit beschäftigt, dem immer noch friedlich schlafenden Claudius einen Schabernack zu spielen. Ganz behutsam, ihn nicht zu wecken, zogen sie ihm unter dem Gekicher der Gäste ein Paar Frauensocci über die Hände. Man wollte ihn dann aus dem Schlummer scheuchen und rechnete damit, er werde sich schlaftrunken die Augen reiben, wobei er sich mit den goldbenähten und edelsteinbesetzten Wildlederhandschuhen das Gesicht zerkratzen mußte.
Gelassen schritt Caligula zu seinem Speisesofa und legte sich, als wäre nichts geschehen, neben Cäsonia nieder. Sie übersah ihn beleidigt.
Der Kaiser wandte sich dem Treiben am Lager des Claudius zu. Nie mischte er sich schützend ein, wenn man den prinzlichen Oheim hänselte. Claudius galt als ein Schwachsinniger, als Schande der Familie. Man gab ihn am besten allem Spotte preis, um zu zeigen, daß man nichts mit ihm zu schaffen hatte.
Dieser Narr der Gatte der Messalina! An dieser Jammergestalt zerschellte die freche Prophezeiung! Und in jedem Falle wollte er selbst frei sein, wenn diese Prophezeiung sich doch noch erfüllen mußte.
»Weckt den Claudius!« gebot Caligula plötzlich. Er wollte dem Schwachkopf doch lieber gleich seinen Entschluß mitteilen.
Mit lustigem Hallo kam man dem Befehle des Cäsars nach. Claudius stieß noch einige erschrockene Schnarcher hervor, richtete sich hastig auf, saß mit schmatzendem Munde da und blinzelte um sich. In der Schlaftrunkenheit und unter den Nachwirkungen der starken Calda wußte er nicht sogleich, wo er sich befand. Gähnend reckte er sich auf dem Lektikus und schnaufte durch die Nase, belästigt von dem vollgepfropften Bauche. Die vielen Lichter blendeten ihn.
Dann kam der Augenblick, auf den alle mit angehaltenem Atem warteten. Er fuhr mit den Händen an die Augen. Als er dann blöde, verblüfft, mit weit offenem Munde aus die Socci an seinen Fingern starrte, hatten die Häkchen der Edelsteinfassungen blutrünstige Streifen in sein feistes Gesicht gerissen.
Alberner Jubel herrschte um den Lektikus des Genasführten. Selbst Caligula, den nie jemand herzlich lachen sah, brachte einige glucksende Laute hervor, die man für ein Lachen halten konnte.
»Komm zuerst zu dir selbst und dann zu mir,« rief er witzelnd dem Oheim zu.
»Gern, gern,« murmelte der betroffene Mann. Er brachte seine Kleider in Ordnung, betupfte mit der Mappa sein von den Kratzern brennendes Gesicht und schritt, die Serviette in der Hand behaltend, durch die Mitte zwischen den Triklinien, mit knickenden Knien taumelnd, dem Platze des kaiserlichen Neffen zu.
Diesen Augenblick benutzte Callistus, um Cäsonia zuzuflüstern: »Hüte dich – Mord! Bleib ruhig!« Sie befolgte die Warnung. An ihren schwarzen Kuhaugen brannte Staunen, Angst und Verstehen.
»Nun, junger Ehemann,« redete indessen Caligula den daherwankenden Claudius an. »Wie willst du mit diesem zerschabten Gesicht vor der schönen Braut bestehen?«
»Braut – ich? Ach bin das Weibsvolk los. Aelia Petina macht sich nichts mehr aus meinem Gesichte,« erinnerte Claudius mit betrübter Miene den Kaiser an die Scheidung.
Eine Lachsalve folgte den kläglich einfältig gestammelten Worten.
»Wer spricht von Petina?« spottete Caligula. »Du schliefst, mein edler Claudius. Unterdessen hat dein Glück für dich gearbeitet. Den Toren fällt der Segen im Schlafe zu.«
»Ich schlafe selten,« versicherte Claudius eifrig, als fürchte er, das Gegenteil könne den Kaiser beleidigen. Ängstlich verwundert sah er den Kaiser an und wischte mit der Mappa den Speichel fort, der ihm durch die schadhaften Zähne aus dem rechten Mundwinkel sickerte. Mit schiefgehaltenem Kopfe stand er da und fragte betrübt:
»Von wem aber geruhst du zu sprechen, wenn nicht von Petina?«
Er befleißigte sich stets eines äußerst höflichen Tones gegen den Neffen, den er sich durch gutes Betragen und durch Anerkennung seiner hohen Stellung geneigt zu halten suchte.
»Geh nach Hause und schlafe in Frieden weiter!« befahl der Imperator. »Wenn du morgen früh munterer bist, begib dich zu Valerius Messala Barbatus. Ich habe inzwischen den Freiwerber für dich gemacht und werde dafür sorgen, daß deiner raschen Hochzeit mit seiner Tochter Valeria Messalina nichts im Wege steht.«
»So, so! – Die jugendliche Tochter des Barbatus?« stotterte Claudius fassungslos. »Dieses schöne junge Mädchen! Ich kenne es wohl! Hm, hm – sie könnte gut meine Enkelin sein.«
Er faltete die Arme über der Brust, stützte das Kinn in die linke Hand und grübelte pedantisch:
»Es erhebt sich demnach die ernste juridische Frage – und ich werde sie schriftlich ausarbeiten: – Ist ein so wesentlicher Altersunterschied zwischen zwei Gatten durch einen geschichtlichen Präzedenzfall für die Abfassung des Ehevertrages –«
»Wir danken für deinen gelehrten Vortrag,« unterbrach Caligula den sofort gehorsam Verstummenden. »Pack dich ins Bett! Du brauchst morgen einen klaren Kopf.«
Tief in Nachsinnen über ein geschichtliches Gegenstück zu seiner bevorstehenden Ehe befangen, völlig die Umgebung vergessend, verließ Claudius, ohne sich zu verabschieden, den Saal. Das Gelächter seiner Spötter hörte er nicht.
Er lebte in seiner eigenen Narrenwelt, die vielleicht besser, jedenfalls harmloser war als das wüste, blutige Narrentreiben des Kaiserhauses und seiner Trabanten.
Während noch Neugierde und Verwunderung über die Sensation der Wiedervermählung des kaiserlichen Oheims den Raum durchschwirrten, wurde Obst zum Nachtische ausgetragen. Ein junger Sklave trug vorsichtig eine edle Kristallschale, aus der eine wundersam große und schöne Traube prangte. Er nahte dem Triklinium des Kaisers, ließ sich dort auf ein Knie nieder und bot die Schale der Kaiserin.
Ein Blick aus des Callistus Augen traf sie. Ein geheim warnendes Signal.
Sie begriff. Manche Tücke hat sie an diesem Hofe gesehen und geduldet.
»Große Trauben schmecken oft leer und lau,« sagte sie, mit Anstrengung ihre Ruhe bewahrend, »koste, Sklave.«
Gehorsam kam der junge Mensch dem Befehle nach.
Caligula wunderte sich über die Geistesgegenwart der sonst nicht eben klugen Cäsonia, wunderte sich und zürnte. Er ahnte, daß die Traube die Ausführung seines Befehls bedeutete. Doch da die unvermutete Wendung ihn ratlos machte, wartete er neugierig, was nun geschehen würde. Gespannt beobachtete er den Sklaven.
Dieser hatte einige Weinbeeren gekostet und sagte nun:
»Der Wein schmeckt gut, erhabene Domina.«
Caligula war enttäuscht. Warum vollzog man nicht seinen Befehl?! Beruhigt streckte Cäsonia die Hand nach der Schale aus. Da stürzte der Sklave vornüber und wälzte sich in Zuckungen der Qual auf dem rosenbestreuten Fußboden. Dumpfes Stöhnen röchelte über die schäumenden Lippen. Er verschied nach einem Entsetzen erregenden Aufschrei. Diener warfen rasch einen Mantel über den Leichnam und trugen ihn hinaus.
Voll Todesbangen blickten alle stumm vor sich nieder, als hätten sie nichts von dem schauerlichen Vorgang bemerkt.
Cäsonia zitterte heftig. Ihr Blick traf Caligula, der eifrig seine Nägel mit der Mappa rieb.
Der Kaiser war kalkig grau geworden. Erst beim Anblick der verkrümmten Leiche kam ihm erschreckend zu Bewußtsein, daß die todbringende Traube dem einzigen Wesen gegolten hatte, für das er etwas wie Liebe fühlte. Schwerfällig, als hemme das Schuldgefühl ihm die Bewegungsfreiheit, wandte er sich zu Cäsonia um. Sie starrte ihn mit tiefem Weh ins Gesicht. Langsam rieselten zwei große Tränen über ihre Wangen. Da wich er von ihr zurück wie vor einem Spuk.
»Callistus, du hattest recht!« gellte er. »Nicht sie – nicht sie!« –
Er reckte die mit weibischem Zierat behängten Arme gegen Cäsonia und stammelte Bitten um Vergebung. Doch die Kaiserin erhob sich vom Lektikus und verließ das Gastmahl, ohne einen Blick zurückzuwerfen.
Da verfiel Caligula einem epileptischen Krampfanfalle. Schreilaute zischten zwischen seinen fest verbissenen Zähnen hervor. Man mühte sich um den Cäsar. Tiefes Schweigen lag über dem Saale.
Plötzlich scholl die schwere, dunkle Stimme eines Mannes durch die Stille. »Der Tod wütet in Rom. Ein Sklave ist für ein edles Opfer gefallen. Wer wird der nächste sein, den er von hinnen führt?!«
Es war der Tribun Cassius Chärea, der diese Worte in die Stille warf. Aber wenn der von Caligula oft auf das gemeinste beleidigte Mann erwartet hatte, man werde, nach diesem offenkundigen Anschlag auf das Leben der Kaiserin, die auf den Imperator zielende Anspielung verstehen und billigen und endlich aufstehen gegen den Cäsar, so sah er sich enttäuscht. Noch war der Princeps Gajus Cäsar Caligula beliebt bei seinen Schmarotzern und Kreaturen und bei denen, für die er Gelage und Zirkusspiele veranstaltete und das von Kaiser Tiberius zur Wohlfahrt Roms zusammengehaltene Gut in sinnloser Verschwendung vergeudete.
Viele der Lampen und Lichter waren dem Erlöschen nahe. In der Aufregung und dem Mühen um den erkrankten Kaiser dachte niemand daran, die Beleuchtung des mählich verdunkelnden Saales zu erneuern. Wie zu Beginn des Festes der Tag gegen das künstliche Licht gekämpft hatte, rang jetzt der vergehende Schimmer der Flämmchen gegen den bleichen Schein des Mondes, der durch die hochgelegenen Maueröffnungen hereinflutete. Die zertretenen purpurnen Rosenblüten rings um die Triklinien erfüllten den Raum mit einem betäubenden Hauche des Welkens und Blumensterbens. Der Dunst abgestandener Speisenreste und verschütteten Weines verpestete die Hitze des Saales.
Angewidert von Gastgeber und Gästen, verließ Cassius Chärea die Stätte. Nur einer wagte ihm zu folgen: der Senator Sertorius. Er hatte die vom Kaiser durch das Spottgedicht tief beleidigte Gattin gleich nach dem Verschwinden des Cäsars in der Tragsänfte nach Hause geschickt.
Schweigend durchschritten die beiden Männer die von Palastwachen und Sklaven durchhuschten Gänge. Erst in dem Säulenwalde eines menschenleeren Portikus wagte der Senator ein leises Wort.
»Was haben wir von diesem fürchterlichen Fallsüchtigen zu erwarten, wenn ihm selbst das Leben der Cäsonia nicht mehr heilig ist?« flüsterte er. »Oder zweifelst du etwa, daß die vergiftete Traube für Cäsonia bestimmt war?«
»Ich bin nicht seit gestern in Rom,« gab Cassius Chärea mit einem klirrenden Auflachen des Grimms zurück.
»Du bist der Tribun der Prätorianer. Bist du deiner Leute nicht sicher, daß du noch immer zögerst mit dem Strafgericht an diesem Schänder der alten, ruhmgekrönten, ewigen Roma?!«
»Ich habe den Cornelius Sabinus, zahlreiche Centurionen, viele andere noch für die Verschwörung gewonnen,« versicherte der Tribun. »Alles Menschen, die sich durch die Mordlust des Kaisers gefährdet fühlen oder es müde sind, willenlose Werkzeuge eines Wahnwitzigen zu sein. Doch bisher mußte ich es so einrichten, daß keiner von dem andern weiß. Ein jeder hält sich für meinen besonderen Vertrauten.«
»Warum diese umständliche Vorsicht?« tadelte Sertorius. »Wenn alle einmütig denken wie du, ich und Sabinus – warum dann nicht losschlagen? Plötzlich muß der Streich fallen, wenn er tödlich sein soll.«
»Vergiß nicht, Sertorius, es handelt sich um mehr, als einen Menschen aus dem Wege zu räumen,« warnte Chärea. »Nicht nur der Letzte der Julier soll sterben, nicht nur seiner blutrünstigen Herrschaft soll ein Ende bereitet werden! Mit dieser wahnwitzigen Ausgeburt des julischen Geschlechtes soll auch das Kaisertum ein für allemal enden, und die Freiheit wieder auferstehen. ›Zurück zur alten römischen Republik,‹ heißt unsere Parole. Alles muß daher so vorbereitet sein, daß die kaiserliche Garde uns nicht gegen unseren Willen abermals einen Imperator aufzudrängen vermag.«
»Hm,« machte der Senator. »Du hast vielleicht recht. Höheres als ein Mord steht auf dem Spiele. Man muß sich gedulden, so schwer das Warten fällt.«
»Still!« hauchte Chärea und zog den Mitverschworenen rasch hinter eine der riesigen dorischen Säulen.
Der Schritt eines Menschen tappte durch den Portikus, in den das Mondlicht die breiten Schatten der Säulenschäfte warf.
»Claudius,« murmelte der Senator. »Er kehrt in den Palast zurück.«
Eine Gestalt war auf einer lichten Stelle stehengeblieben. Dann ging sie wankend weiter. Zögernd näherte sich der in die Lacerna gehüllte Mann einer der Säulen. Nun sprach er einige Worte.
»Es ist Claudius – du hast recht gesehen,« bestätigte beruhigt der Tribun. »Wahrscheinlich hält dieser gewaltige Jurist dem Himmel eine Ansprache, um ihm zu beweisen, daß die Luna nicht gegen ihr natürliches Recht verstößt, wenn sie zur Nachtzeit leuchtet.«
Er lachte mit leisem Spotte und wandte sich mit dem Freunde zum Gehen.
»Was hältst du von Claudius?« fragte Sertorius den Chärea, als sie außer Hörweite von der Stelle waren, an der der nächtige Einsame stand.
»Ein ungefährlicher Mann,« erklärte der Tribun überzeugt. »Für den Schwachsinnigen jedoch, den man allgemein in ihm sieht, halte ich ihn nicht. Seine unselige Jugend hat ihn zu dem gemacht, was der alternde Mann heute ist: ein Mensch ohne jedes Selbstvertrauen, ein scheuer, närrischer Stubenhocker, ein Eigenbrödler, ein völlig Weltfremder. Er taumelt nicht nur leiblich durch das Leben, weil sein von Kind auf vernachlässigter Körper aller Straffheit entbehrt, er schreitet auch bildlich einen Taumelweg durchs Dasein, weil man ihm von Jugend auf jede Gelegenheit vorenthielt, sich in der Öffentlichkeit als Mann zu bewähren.«
»Bisweilen denke ich,« erwog der Senator ernst, »der Mann spiele eine abgefeimte Komödie, um den Nachstellungen des Kaisers zu entgehen. Unter Tiberius hörte und sah man nichts von ihm. Erst Caligula hat ihn aus der Stille des Hauses ans Licht des Tages gezogen, weil er ihn für ungefährlich hält. Vielleicht ist diese scheinbare Harmlosigkeit nur Maske.«
»Du meinst, er spielt aus Schlauheit den Trottel?!« Chärea lachte laut auf. »Nein, Freund, dazu ist er zu dumm!«
»Wer weiß,« beharrte der Senator. »Vielleicht rechnet er auf die Thronfolge, wenn dem Caligula etwas Menschliches zustößt. Ich trau' dem Burschen nicht so recht.«
Chärea schüttelte belustigt den alten, grauen Soldatenkopf. »Claudius ein Spekulant auf den Kaiserthron? Nein, Bester. Der liebt seine gelehrten Forschungen und Studien viel zu sehr, als daß er daran dächte, sich mit der Würde des Princeps zu bebürden. Aber ich werde ihn beobachten. Und merke ich, daß ich mich getäuscht habe, erkenne ich in ihm ein Hindernis für die Wiederaufrichtung des Freistaates, dann –« Er verzögerte den Schritt. »Oder soll ich lieber doch gleich umkehren und seiner Ansprache an den Mond durch einen gutgezielten Dolchstoß ein rasches Ende bereiten?«
»Bei allen Göttern!« erschrak Sertorius. »Du hast dich bewaffnet auf ein Gastmahl Caligulas gewagt? Wenn man das entdeckt hätte! Du, die Hoffnung aller aus Befreiung!«
»Unbesorgt,« beruhigte der Tribun. »Die Waffe ist winzig, aber groß genug, das Herz eines Schurken zu treffen. Soll ich?«
»Nein, nein,« wehrte der Senator. »Vielleicht täusche ich mich. Ein Schuldloser soll nicht leiden!«
Die beiden Männer, die nun in einen anderen Portikus einbogen, waren jedoch im Irrtum, wenn sie glaubten, Claudius spräche mit der Mondnacht. Zu solchen Torheiten verstieg seine Schrullenhaftigkeit sich nicht.
Erst auf dem Heimwege war ihm ganz zu Bewußtsein gekommen, was Caligula von seiner Heirat mit der Tochter des Messala Barbatus gesprochen hatte. Er gehörte zu den Menschen, deren Gelehrsamkeit sich einseitig so tief in einen Gegenstand verbohren kann, daß alles andere hinter Gedankenflucht und Interessenlosigkeit verschwindet. Claudius bildete sich ein, ein großer Historiker und Jurist zu sein. Er wühlte sich mit starrem Eifer in diese beiden Wissenschaften hinein. Zeigte in ihnen auch einen gewissen engumgrenzten Scharfsinn. Was außerhalb seiner kleinen Geisteswelt lag, blieb ihm verschlossen.
Nach der Art solcher Menschen war ihm zu spät eingefallen, die zum Gastmahle geladene Messalina müsse sich doch im Palaste befinden. Er besann sich verdrießlich, eine Pflicht der Höflichkeit verabsäumt zu haben. Er hatte das ihm durch kaiserlichen Willen zur Gattin bestimmte Mädchen nicht einmal kurz begrüßt, sich ihr nicht einmal bekannt gemacht. Auch war ihm beigekommen, daß er dem Kaiser nicht ein Wort des Dankes für die erwiesene Gnade dargebracht hatte. Und da er weder Messalina beleidigen wollte noch auch den Kaiser, vor dem er sich mit der Angst eines verprügelten Kindes ernstlich fürchtete, so war der unbeholfene, stets von verspäteten Einfällen heimgesuchte Mann umgekehrt, seine Versäumnisse wettzumachen.
Als er durch den Portikus dem Palaste zueilte, bemerkte er eine Gestalt, die im Mondlichte am Fuße einer Säule kauerte, als wäre sie dort zusammengebrochen. Der Anblick genügte, die immer schweifenden Gedanken dieses sonderbaren Geistes vom gewollten Ziele abzulenken. Seine Gutmütigkeit gewann die Oberhand. Er nahm sich jedes leidenden Geschöpfes an, das seine Aufmerksamkeit erregte. Jetzt glaubte er in der Gestalt eine gezüchtigte und verjagte Sklavin zu finden. Sogleich war er bereit, ihr Hilfe angedeihen zu lassen. Er schritt auf die vom Mondschein überflossene Erscheinung zu.
»Kann ich dir beistehen, Ärmste?« redete er sie an.
Zu ihm hob sich ein bleiches Antlitz auf, in dessen brennenden Augen der Widerschein des Mondlichtes gespenstisches Flackern weckte. Wilde Augen, vor deren unheimlichem Glitzern Claudius zurückprallte. Er wich furchtsam und abergläubisch einen Schritt zur Seite und wollte sich zur Flucht wenden, als ein gemartertes Stöhnen ihn belehrte, daß er ein hilfloses Menschenwesen vor sich hatte.
»Leidest du?« fragte Claudius zaghaft.
Er beugte sich nieder und legte zu tröstender Berührung eine Hand auf die Schulter der Gestalt. Da schrak er zurück. – – Er hatte Messalina erkannt.
»Ich dachte, du wärst eine Sklavin – oder – oder gar – ein Dämon der Nacht –« stammelte er verdutzt, ratlos, überwältigt von dem Zufall der sonderbaren Begegnung.
»Ein böser Dämon der Nacht hat mich in den Palast gelockt,« sagte Messalina, heiser vor Haß. »Auf der Flucht aus diesem verruchten Hause verirrte ich mich. Zeige mir, wo ich meine Sänfte finden kann! Hilf mir auf!«
Er bemühte sich, sie so zart als möglich beim Aufstehen zu unterstützen. Nach kurzem Besinnen nahm er rasch seine Lacerna ab und hüllte den wärmenden Wollmantel um das fröstelnde Mädchen.
»Die Sänftenträger der Gäste warten bei dem Portikus des Südausganges,« erklärte er. »Wir sind hier auf der entgegengesetzten Seite. Es ist unmöglich, dir deine Lektika hierher zu senden. Du wirst mir durch die Gärten des Palastes folgen müssen.«
»Komm!« gebot Messalina.
Er führte sie schweigend über mondbeglänzte Wege, an deren Rändern Marmorgestalten geisterhaft im Scheine des bleichen Lichtes leuchteten. Die Nacht war voll tiefen südlichen Friedens. Lautlose Stille herrschte. Nur ein lauer Wind strich durch die niedrig gehaltenen Taxusbüsche.
Das leuchtende Schweigen der kaiserlichen Gärten, die Nähe eines Menschen, der ihr wohlwollte, dämpfte den Aufruhr in der Seele Messalinas. Doch die Gedanken der unseligen Entehrten waren finster und voll Blut.
Ein leises Murmeln drang von einem marmornen Halbrund herüber, dessen mannshohe, weiße Wände von Zypressen umstanden waren, als hüteten die Bäume ein nachtdunkles Heiligtum.
Messalina blieb stehen.
»Menschen,« flüsterte sie feindselig. »Suche einen andern Weg! Ich will nicht dort vorbeigehen.«
»Du irrst,« beruhigte sie Claudius. »Was du hörst, ist das Rieseln eines Brunnens.«
»Dann laß mich einen Trunk tun.« Voll Gier eilte sie der Baumgruppe zu.
In der Mitte der hufeisenförmigen Brunneneinfassung erhob sich über dem geschweiften Becken eine zurücktretende Nische, aus deren Dunkel sich das Haupt einer sterbenden Gorgo hervorhob, über die im Schmerze verzerrten Lippen dieses Grauengesichtes schoß das Wasser, als speie der zu hohlem Todesschrei geöffnete Mund den letzten Lebenssaft hervor.
Messalina beugte sich und schöpfte mit gehöhlter Hand von der mondbespiegelten Flut des Beckens. Nachdem sie den brennenden Durst gelöscht hatte, ließ sie sich auf einer der an den Wänden vorspringenden Marmorbänke nieder. Sie zog die wollflockige Lacerna dichter um sich, Claudius half ihr, die Kapuze über den Kopf zu streifen.
Eine Weile saß sie still neben dem Manne, der schüchtern in einiger Entfernung von ihr Platz genommen hatte.
Endlich brach Messalina das vom Rieseln des Brunnens sanft belebte Schweigen. »Das Schicksal hat uns zusammengeführt,« sagte sie leise, »nicht nur für diese eine Nacht.«
Ihre Worte tönten wie bittere Klänge aus der verhüllenden Kapuze hervor.
»Du kennst den Willen des Kaisers?«
»Ich war nicht wenig erstaunt über die Mitteilung des erhabenen Herrn,« bekannte Claudius aufrichtig.
Er sprach langsam und schwerfällig wie stets, wenn er in Verlegenheit war und sich mit der Lage nicht recht abzufinden wußte.
»Doch – ich meine – es ist an dir zu entscheiden, ob wir –«
Sie unterbrach sein Stottern.
»Die Entscheidung traf der Cäsar. Hättest du den Mut, sie umzustoßen?«
Verängstigt hob Claudius beide Hände.
»Nein – nein!« stieß er rasch und heiser hervor, als erzeuge schon der Gedanke, den Zorn Caligulas zu wecken, in ihm eine entnervende Angst.
»Sein Wille soll in Erfüllung gehen. Wir beide sind in seiner verruchten Mörderhand.«
»Psch, psch,« machte Claudius in Todesängsten und blickte sich scheu um.
»Aber diese Nacht hat böse Saat gesät. Wer den Samen der Tollkirsche in die Erde legt, der darf nicht erwarten, daß ein Rebstock daraus erwächst. Was Caligula an diesem Abend säte, wird ihm tödlich giftige Früchte tragen.«
Sie streifte den Rand der Kapuze etwas zur Seite, um Claudius besser zu sehen. Dann fügte sie hinzu: »Oder du müßtest noch hilfloser sein, als du erscheinst.«
Trotz ihrer gefährlichen Worte faßte Claudius Vertrauen zu dem Mädchen. Sie wußte in leicht zu begreifenden Gleichnissen zu reden. Das machte Eindruck auf den Mann, der gern las und mit der von Dichtern ersonnenen Welt vertrauter war als mit den Wirklichkeiten des Lebens.
»Vielleicht habe ich einen Grund, mich hilfloser zu stellen,« begann er mit äußerster Vorsicht und jedes Wort abwägend. »Der Cäsar schont nur die Menschen, die ihm ungefährlich erscheinen.«
Messalina drehte ihm jetzt voll ihr Gesicht zu. »So spielst du nur den Toren?«
»Wer lange spielt, weiß der auch immer, wo sein Spiel aufhört und seine wahre Natur beginnt? Kann ein Mensch nicht wirklich ein Tor geworden sein, weil er sich die besten seiner Jahre verstellen mußte gegen die grausame Gewalt roher, gemeiner Menschen?«
Er stellte diese Gegenfrage mit den verquälten Zügen eines Menschen, den es drängt, sich wahr zu geben, und der doch fürchtet, nicht den rechten Ausdruck zu finden.
Messalina musterte ihn ergriffen vom Kopf bis zu den Füßen. Sie fand, daß er im Sitzen nicht jenen albernen Eindruck machte, den er beim Schreiten hervorrief. Seine Haltung war nicht unedel, sein Äußeres verleugnete nicht die große Herkunft, wie er nun, sich leicht an die Wand zurücklehnend, mit unterschlagenen Armen dasaß, das Kinn in Nachdenken gesenkt, den gutgeschnittenen Mund zusammengepreßt.
Als hätte er die Gedanken der stummen Gestalt neben ihm erraten, sprach er plötzlich weiter:
»Mein Unglück ist, daß man von Kindheit an in mir den Zweifel an mir und den Glauben groß zog, ich wäre weniger als meine Brüder. Wehrte ich mich dagegen, so strafte man mich unnachsichtlich. Doch nicht die straften mich, denen ich ein Recht dazu zuerkannt hätte. Man überließ das Strafen vielmehr denen, die meine Diener, aber nicht meine Erzieher hätten sein sollen. Doch trotz aller Quälereien war in mir nicht das Bewußtsein zu töten, daß ich aus Geburt hoch über der niedrigen Umgebung stand, in der man mich zu leben zwang, seitdem mein Großoheim, der Kaiser Augustus, der edelste Mensch, der je gelebt, die Augen für immer geschlossen hatte.«
Er stockte und fragte besorgt: »Habe ich so gesprochen, daß du verstandest, was ich sagen wollte?«
»Laß dich nicht durch dich selbst irre machen,« tröstete sie ihn freundlich. »Du scheinst des Wortes mächtig zu sein, wenn du vertraust.«
»Ja, ich vertraue dir,« versicherte er befreit. »Auch dem Kaiser Augustus gegenüber fehlte mir nie die Gabe, frei zu reden. Denn ich liebte ihn.«
»Und liebte er dich?« forschte Messalina, gerührt von dem Tone der Trauer, in dem diese stille Seele sich zu offenbaren suchte.
»Geliebt hat auch er mich nicht. Keiner hat mich je geliebt. Ich habe das Schicksal oft und vergeblich nach dem Grunde dieses Mißgeschicks gefragt. Doch Augustus ließ mir das Recht, ein Mensch zu sein, nach der mir nun einmal eingebornen Art. Meine Mutter Antonia hingegen! ... Sie machte mich nicht nur vor andern, nein, auch vor mir selbst verächtlich. Sie sagte oft, sie habe aus mir einen Menschen machen wollen, es sei ihr aber nur eine Skizze eines menschlichen Wesens gelungen. Als ich ihr einmal eine historische Arbeit vorlesen wollte, von der ich bestimmt erwartete, sie müsse ihr Freude bereiten, wies sie mich mit Scheltworten ab. Sie sagte, die Natur habe an mir nicht mehr zuwege gebracht als einen Klumpen aus Fleisch und Bein. – Sie habe leider zu spät entdeckt, daß ihr Werk so mißlungen sei, sonst hätte sie mich getötet. So habe sie mich nur auf den Kehricht der Menschheit geworfen.«
»Welche Schande!« murmelte Messalina, leicht seinen Arm berührend, als wolle sie dem Verachteten Güte erweisen.
Er fuhr fort: »Ich habe oft darüber nachgesonnen, ob nur ein dummer Zufall mich vom Kehricht auflas und mich unter Menschen brachte – oder ob eine Gottheit, machtvoller als die Natur, mich ins Leben sandte, um der überheblichen Natur zu beweisen, daß sie nicht immer Meisterwerke schaffe.«
Messalina nahm seine Hand, überzeugt, daß ein Mann, der so bescheiden von sich denke, ein guter Mensch sei. Sie klammerte sich an diesen Glauben, preßte die Finger ihres Gefährten, als hätte sie die Hand gefunden, an der sie – mehr diese Hand leitend als von ihr geleitet – einen Weg zurückfände aus der ihr von Caligula zugefügten Schmach und Entwürdigung. Ihr Mitleid mit dem verhöhnten Claudius war nicht geringer als das Mitleid, das sie mit sich selbst empfand. Sie dachte mit Weh daran, daß sie davon geträumt hatte, mit anderem Gefühle als von Mitleid beseelt, in ihre Ehe dereinst zu treten. Ach, alles war vorbei – zerrissen – zertreten! Dieser Tag hatte mehr vernichtet als ihre Träume vom Glück! Jetzt galt es, die armseligen Scherben ihres Lebens zusammenzulesen. – Caligula hatte ihr Leben erwürgt wie so viele tausende. Was von ihr lebte, war nur noch der Instinkt blutrünstiger Rache. Sie würde sie nehmen.
»Du bist also entschlossen, dem Willen des Kaisers gehorsam zu sein?« unterbrach Claudius ihr Nachdenken.
»Ich wüßte keinen Weg aus diesem Zwange,« entgegnete Messalina herb. »Der Schurke Caligula hat mich heute nacht zur Dirne gemacht. Ich werde dir danken müssen, wenn du mich zu deinem Weibe machst.«
Claudius warf ihr einen raschen, bestürzten Blick zu. Lange schwieg er, ehe er sagte:
»Du bist an deinem Unglück ohne Schuld. Ich habe dir zu danken. Du bist so jung und schön, wie ich alt und häßlich. Es wird schwer sein, diese Unterschiede zu überbrücken. Ich freilich, ich habe meinem Mangel an Schönheit auch zu danken. Denn wer schön ist, schwebt stets in Gefahr.«
Ein bitteres Lachen brach über Messalinas Lippen.
»Ich habe diese Wahrheit heute erfahren,« höhnte sie und erhob sich. »Und nun führe mich zu meinen Sänftenträgern.«
Noch einmal trat sie an das Becken, ihren Durst zu löschen und ihr heißes Gesicht zu kühlen. Ihr Blick streifte das wasserspeiende Gorgonenhaupt, das, vom Mondlichte seltsam belebt, sie mit den leeren Marmoraugen anstarrte. Ein Schauer überrieselte ihren Leib. War dies das Antlitz ihres Schicksals? Sie zog die Kapuze der Lacerna tiefer über das Gesicht und drängte zur Eile. –
Als sie nach freundlichem Abschiede von Claudius sich erschöpft und müde in die Kissen ihrer Lektika zurücklehnte, als sie die Vorhänge zugezogen hatte und nun endlich allein war, überkam die Erinnerung an das Erlebte sie wie ein betäubender, wüster, marternder Traum, aus dem man vergeblich mit Anspannung aller halbwachen Energie sich aufzurütteln sucht. Sie stöhnte dumpf in Zorn und Schmerz und Qual und war doch zu zerbrochen, um weinen zu können. Die Eltern! Wie hatten die Eltern sie diesem Ungeheuer ausliefern können. Sie hatten gewußt, was diese Einladung bedeutete. Sie hatten es gewußt! Und sie hingesandt. Ein Haß – auch gegen die Eltern – züngelte weißglühend in ihr auf.
Im Wogen ihrer finsteren Gedanken schien es ihr bei dem Schwanken der Sänfte, sie wäre auf ein allen Winden preisgegebenes Schiff geschleudert, das auf einem wilden, bergab stürzenden Meere einer einsamen, grauenvollen Tiefe zusteuerte. Einer Tiefe, aus der herauf das Gorgonenhaupt des Brunnens mit triefendem Munde ihr entgegengrinste.
Mehr und mehr nahm das entsetzliche Antlitz der sterbenden Gorgo die Züge Caligulas an. Und plötzlich wußte Messalina: es war ein Omen. Der sterbende Caligula würde gezwungen werden, seines Lebens Kraft über die Lippen zu sprudeln, wie aus dem Munde der verscheidenden Gorgo das Wasser brach. Doch mit fast prophetischer Erregung sah sie weiter – weiter. Der verrauschende Lebensstrom des Vernichters ihrer Jugend und ihrer Ehre würde die Woge sein, die sie emporhob zu neuem Lichte und einem neuen Tage. Und Jauchzen und Freude und alle strahlende Helle des Lebens würden das Erinnern an die Stunde ihrer Erniedrigung tilgen.
Es war wie ein Rausch und ein Phantasieren des Fiebers.
Messalina fuhr aus der stiebenden Hetzjagd der Bilder ihrer Vorstellungen auf. War der wirre Traum Wahrheit?! Vernahm sie schon die Klänge ihrer Wiedergeburt?!
Sie richtete sich empor. Licht drang durch die Gardinen der Sänfte. Gesang und Lachen erscholl. Musik ertönte, jubelnde Menschenstimmen, das Gezwitscher aus Mädchenkehlen, lustiges Schreien ...
Die Vorhänge der Lektika zurückzerrend, gebot Messalina den Sänftenträgern Halt. Sie war in der Subura angelangt. Doch anders als auf dem Wege zum Palatin war jetzt das Gesicht der Straße. Nicht mehr die Armut und der Schmutz hatten hier ihre Stätte. Die Nacht hatte einen bergenden Mantel darüber gebreitet, hatte Lampen gezündet, hatte aus den Lumpen bunte Festgewänder, aus dem Elend lustiges Jahrmarktstreiben geschaffen. Frohe Menschen schoben sich in der Kühle der Nacht an der Sänfte vorüber. Manches Scherzwort des Übermutes ward zu Messalina hinaufgeworfen.
Die Sänfte hielt gegenüber einem Hause, dessen Vorhalle mit Kränzen, Blumen, farbigen Lampen überreich geschmückt war. Auf hohen Stühlen thronten nackte Dirnen und riefen bald mit frechem Witze, bald mit lockenden Worten der Verheißung den Männern zu. Bisweilen erhob sich eine, ließ den Lampenschimmer ihren Leib vergolden und pries mit lauter Stimme die Vorzüge ihrer Reize.
Messalina staunte dieses Bild nächtlichen Lebens an. Was die käuflichen Mädchen laut verkündeten, war so unzweideutig, war so dreist und schamlos, daß sie sofort begriff, wo sie sich befand.
Plötzlich wurden unverstandene Andeutungen der Vertrauten Fabulla lebendig, erhielten Licht und Farbe.
Sie erkannte, daß die Sänfte vor einem Freudenhause hielt, verschlang mit brennenden Augen diese feilen Dirnen und erschauerte. War sie nach des Kaisers Gewalttat denn etwas anderes als diese nackten Frauen? ... Wo war da ein Unterschied?! Hatte sie dem Schurken Caligula etwas anderes bedeutet als diese Dirnen ihren Käufern bedeuteten? Ein flüchtiger Genuß auf eine kurze Stunde. Ein fortgeworfener Gegenstand, wenn die Lust verraucht war!
Gerade wollte sie den Sänftenträgern befehlen weiterzugehen, als ein dickes, altes Weib aus dem Hause hervor und an Messalinas Lektika eilte.
»Sucht die junge Domina Abenteuer?« fragte die über und über mit Zierat behangene Alte, das geschminkte Kupplerinnengesicht zu süßlichem, gemein vertraulichem Lächeln verziehend.
Erschrocken zog Messalina die Vorhänge zusammen. Doch die Dicke zerrte sie frech wieder zurück.
»Wenn die Laune der Domina heute nicht auf Vergnügen steht – schade – schade! – ich erwarte Besuch, der auch der verwöhntesten Dame reichlichen Genuß bereiten würde! Will die Domina nicht vielleicht doch aussteigen? Nein? Nun dann merkt sich die schöne Domina wohl den Namen der Mutter Rubria. Mein Haus heißt »Zum tanzenden Kranich«. Es sieht in schöneingerichteten, verschwiegenen Gemächern den Verkehr nur der allerersten Kreise. Ich bin sehr bedacht auf Auswahl unter meinen Gästen. Auch ist für jede Vorliebe gesorgt. Und wie gesagt, sehr verschwiegen – ohne jede Gefahr! Wenn die Domina also bei mir Unterkunft sucht ...«
»Fort, fort!« schrie Messalina den Sklaven zu. Schluchzend lag sie in den Kissen der sanft schaukelnden Sänfte, die Fäuste in die Augenhöhlen gedrückt, tränenlos. Sie zitterte unter der Wucht zurückgedämmter Wutschreie. Hatte der furchtbare Mensch im kaiserlichen Palast ihr das Mal der Schande so sichtbar aufgedrückt, daß eine freche Kupplerin ihr schon eine Stätte im Hause der Gemeinheit anzubieten wagte? War sie wirklich nichts anderes mehr als eine öffentliche Dirne?!
Als die liburnischen Träger endlich die Treppen des Esquilins erklommen und die Lektika vor dem statuengeschmückten Vestibulum der Villa des Messala Barbatus niedergesetzt hatten, löste sich eine Mannesgestalt aus dem Schatten des Hauses. Es war Abalanda.
»Ich wollte dir eine gute Nacht wünschen, bevor deine Dienerinnen dich in Empfang nehmen,« sagte er in seiner ruhigen, selbstsicheren Art. »Gefiel es dir beim Gastmahl des Kaisers, Valeria Messalina?«
Sie atmete in tiefen Zügen den Hauch der Reinheit dieser Hügelhöhe. Ihr Blick suchte die Statue des Eros. Am Mondlicht ragte dort die Marmorgestalt, zu deren Füßen die welkenden Rosen lagen. Jetzt verstand sie, daß Fabullas Rosenopfer an den Gott vergeblich gewesen war. Sie entzog ihre heißen Finger der starken Hand des Freundes.
»Warum antwortest du nicht, Valeria Messalina?« fragte er leise. »Ich wollte dich nicht belästigen, indem ich hier deine Heimkehr erwartete.«
»Du belästigst mich nicht, Abalanda! Ich danke dir. Deine kleine Freundin ist sehr müde. Sie hat viel erlebt bei ihrem ersten Gastmahle. Zu viel. Und wenn du an deine kleine Freundin denkst, dann verhülle dein Haupt und trauere um sie als eine Tote. Gute Nacht, mein Freund!«
Sie ging gebeugt hinein in das Elternhaus.