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Ohne Führung, getrieben nur von dem zwecklosen Bestreben, die dem toten Cäsar geschworene Treue zu wahren, hatten die germanischen Leibwachen das Amphitheater umstellt. Ihre Wut, die Mörder des Kaisers zu treffen, war grenzenlos. Sie wollten nun dem Blutbade im Palatium ein Blutbad unter den Zuschauern folgen lassen.
Da übertönte die gewaltige Stimme eines Mannes den Waffenlärm, das Geschrei und Kammern der geängstigt flüchtenden Theaterbesucher. Es war der Consular Valerius Asiaticus aus Vienna. In der Erkenntnis, daß die Ordnung nur herzustellen sei, wenn ein einziger Wille regiere, einer die Macht an sich riß, unternahm dieser Mann ein Wagnis.
»Ruhe, Soldaten! Hört auf mich!« rief er den ins Theater eindringenden Garden zu.
Während eine Mauer gewappneter Mannesleiber sich um ihn baute, von Mordgier entstellte Gesichter ihn anstarrten, stiere Augen ihn anfunkelten, packte der Consular kühn zu.
Er wußte, diese kriegerischen Nordländer waren an eiserne Disziplin gewöhnt und sofort energischem Befehle zum Gehorsam bereit. Dieses Wissen hatte der durch alle Provinzen des Weltreiches gereiste Valerius Asiaticus durch einen längeren Aufenthalt in Germanien erworben. Er kannte die Art, in der man diese wildgewordenen Bären zähmte.
»Wer ist euer Führer?« wetterte Valerius auf die Rotten nieder, überzeugt, sie würden ihm keinen nennen können.
Unsicher und ratlos blickten die Soldaten einander an. Endlich nahm einer von ihnen das Wort und gestand zögernd zu: »Wir sind ohne Vorgesetzte. Denn unsere römischen Führer waren entweder am Morde beteiligt oder sie sind – soweit sie unbeteiligt waren – geflüchtet und halten sich verborgen.«
»Wie nennst du dich?« fragte der Consular den hochgewachsenen Prätorianer, der, seiner inneren Festigkeit beraubt, vor den forschenden Blicken des Römers die Augen niederschlug.
»Ich heiße Gratus,« gab der Mann Auskunft. Sein kluges und edel geformtes Gesicht lugte martialisch unter dem Visier des Helmes hervor, den ein roter Wulst aus Pferdeschweifhaaren krönte.
»Gratus?« wiederholte der Consular. »Bist du nicht ein Chatte?«
»Ganz richtig, Herr,« versicherte der Soldat, verwundert erfreut, dem Fragesteller bekannt zu sein.
»Ich habe schon Rühmliches von dir gehört, Gratus,« log Valerius, dem Riesen wohlwollend auf die Schulter klopfend. Er wußte, diesen einen Mann, der sich anscheinend bei seinen Kameraden eines gewissen Ansehens erfreute, hatte er schon gewonnen. Nun wandte er sich an die andern Prätorianer. »Wie könnt ihr, da niemand euch befiehlt, sicher sein, daß ihr das Rechte tut?« rief er in erheucheltem Zorne.
»Wir müssen doch den Kaiser schützen,« brummte Gratus, eingeschüchtert durch das entschlossene Auftreten des Römers und schon halb gebändigt von Zweifeln.
»Einen Toten schützen, indem ihr Schuldlose tötet?« schalt Valerius und schritt an den Prätorianern entlang, finster jeden einzelnen mit dem Blicke bannend. Dann plötzlich trat er in die Mitte des ihn umgebenden Kreises zurück.
»So wisset denn,« schmetterte er hell heraus, »die Gewalt ist in meiner Hand! Ich habe den Mord befohlen!«
Im ersten Augenblicke schien es, als würden sich die Soldaten rasend auf ihn werfen. Der Kreis wankte nach vorn, wilde Schreie gurgelten auf. Doch Gratus gab ihnen ein Beispiel der Besonnenheit. Auch lähmte sie der Mut dieses verwegenen Bekenntnisses und die ihnen eingepflanzte Achtung vor jedem Gebietenden.
»Verabscheut man nicht in eurer Heimat nichts so heftig als die Feigheit?« fuhr Valerius aufpeitschend fort. »Seid ihr nicht täglich Zeugen gewesen, daß die Feigheit des Tyrannen nur gegen Wehrlose wütete? Wer wagte ihm zu trotzen, da ihr ihn schirmtet – sogar gegen eure eigenen Kameraden?! Sind nicht viele von euch in der Arena als Gladiatoren oder unter den Fängen und Tatzen wilder Bestien verblutet? Weil den Geisteskranken der Aberwitz anwandelte, eure Tapferkeit auf die Probe zu stellen, weil er zu feige war, euch im Kriege der weltberühmten Tapferkeit eurer eigenen Landsleute gegenüberzustellen.«
»Er hat recht,« nickte Gratus seinen Gefährten zu, die beifällig murrten.
»Die Macht ist mein!« wiederholte Valerius, zugleich sich an die Volksmenge wendend. »Ihr, Soldaten, werdet einem Römer zugestehen, daß er am besten weiß, was seinem Lande frommt. Einem Lande, in dem ihr doch nur Fremdlinge seid, deren unverbrüchliche Treue ein blutrünstiger Wahnsinniger schamlos ausbeutete. Besinnt euch, Soldaten! Beweist eure Treue gegen das Kaiserhaus! Kehrt in den Palast zurück und schützt das Leben der Angehörigen des Erschlagenen. Sie hatten doch schließlich nichts weiter mit ihm gemein, als daß sie seines Stammes waren!«
Die im letzten Grunde gutmütigen Garden ließen sich einschüchtern. Zu einem festen und friedlichen Ziele hingewiesen, zogen sie nach dem Palatium ab. Als sie den unterirdischen Gang durchschritten, sahen sie einen Menschen vor ihnen her flüchten. Sie lachten über den vor Angst wie besessen rennenden Mann. In ihrer Freude, daß alles in die gewohnten Geleise zurückzukehren schien, scheuchten sie den Flüchtenden noch mehr, indem sie in kindischem Vergnügen ihren markerschütternden teutonischen Schlachtruf hinter ihm dreinbrüllten.
Der arme Claudius stob dahin in grotesken Sprüngen. Er war aus dem Theater gelaufen, kopfscheu, weglos in seiner Angst und hatte sich hierher verirrt. Von den wilden Lauten der Germanen und seiner Furcht fast zum Wahnsinn getrieben, keuchte er durch die Gänge des Palastes, verkroch sich bei jedem hallenden Schritt, bei jedem Laute in Ecken und Winkel und schleppte sich, von allen Kräften verlassen, leise vor sich hinwimmernd, in Todesgrauen schlotternd, an Wänden und Geländern hin. Bis es ihm endlich gelang, eine Zuflucht im Oberstock des Palastes zu finden, auf dem Solarium, einem mächtigen, mit gartenartigen Anlagen versehenen Balkone.
Zwischen den beiden Vorhängen einer Tür blieb er stehen, die zuckenden Hände vor den Mund gekrallt, sein Gewimmer zu ersticken, Irrsinn in den flackernden Augen, beherrscht von dem einzigen Gedanken, den er zu denken noch fähig war: Nur nicht sterben – nur nicht sterben müssen!
Mittlerweile hatte sich im Amphitheater um den Consular Valerius Asiaticus alles gerottet, was noch nicht geflohen war. Der furchtlose Mann, der sich durch das Bändigen der Leibwachen als Retter der Ordnung erwiesen hatte, erschien ihnen als Erlöser aus dem Chaos der Ereignisse, die der Kaisermord über ganz Rom heraufbeschwören mußte. Drei Konsuln lösten sich aus der wirr durcheinander redenden Menge.
»Wir danken dir, Valerius Asiaticus,« sprach der eine, »du hast Großes vollbracht. Gern erkennen wir in dir den Führer an. Sage uns, was nun geschehen soll.«
Valerius richtete beruhigende Worte an die Menge. Er riet den aufgeregten Massen, den Tagesgeschäften nachzugehen und in Ruhe die Klärung der Verhältnisse abzuwarten.
»Verkündet den Bürgern Roms, daß der Staat nicht ohne Haupt ist,« rief er zum Schlusse.
Dann entfernte er sich mit den drei Konsuln. Doch erst als sie außerhalb des Theaters waren, begann er zu sprechen.
»Wenn es in einem der hochgetürmten Holzhäuser der Armen Roms zu brennen beginnt, so ist wahrscheinlich der Retter der ganzen Stadt der Mann, der besonnen zuerst den Wasserstrahl in die Gluten sendet,« sagte er ruhig und bescheiden. »Ihr tut mir also zuviel Ehre an, wenn ihr sagt, ich hätte Großes vollbracht. Ich habe nur die Besonnenheit gehabt, nach dem löschenden Wassereimer zu greifen. Mehr nicht! Aber nun weiter! Wer sind die Mörder?«
»Du gibst uns Rätsel auf,« sagte Laelius Mucius ärgerlich. »Geschah denn der Mord nicht auf dein Anstiften?«
»Das sei fern von mir,« erwiderte Valerius ernst. »Meine Hände sind rein. Dank den Göttern! Auch wenn es sich um das Blut eines Tyrannen handelte.«
»Aber du riefst doch –!«
»Einer muß vor dem Volke die Verantwortung übernehmen. Glaubt ihr, eine von der Kaiserfaust befreite Plebs, die nicht sofort eine andere Faust im Nacken spürt, werde die Gesetzlosigkeit eines Cäsarenmordes nicht für sich auszubeuten suchen – sei's auch nur für Stunden?«
Die drei Männer sahen den Consular verdutzt und scheu an. Endlich fand Laelius Worte:
»Dann allerdings hast du eine grimmigere Bestie als die Leibwachen gebändigt,« stammelte er und erschauerte bei dem Gedanken an einen Aufstand des Pöbels. »Du bist ein mutvoller und kluger Mann, Valerius Asiaticus. Rate uns, was wir nun tun sollen.«
Die andern Konsuln schlossen sich beschwörend dieser Bitte an. Denn Kraft und Wut, Wille und Entschlußfähigkeit waren längst diesen Scheinherrschern Roms unter den Kaisern verlorengegangen. Sie waren Puppen, feige, hohle, nickende Puppen in der Faust der Cäsaren geworden.
»Jeder in Rom muß überzeugt sein,« erwiderte Valerius mit schlecht verhehltem Spotte, »daß trotz der augenblicklichen Unordnung ein mächtiger Wille in der Stadt gebietet. Zunächst versammelt sofort den Senat auf dem Kapitol!«
»Dafür werde ich mit meinem Freunde Quintus Pomponius sorgen,« beteuerte der Konsul Sentius Sarturninus. Er deutete auf den Gefährten, der bisher geschwiegen hatte.
Valerius fuhr fort: »Verbreitet eilig die Nachricht, der Senat sei zusammengetreten und berate über eine neue freiheitliche Verfassung. Ihr werdet sehen, dann wird sich der Führer der Verschwörung vor dem Senate einfinden, seine Absichten und Pläne klarzulegen.«
»Dessen dürfen wir bei Cassius Chärea sicher sein.«
»Ah – der alte Tribun ist das Haupt der Verschwörung?« lächelte der Consular. »Und ihr wußtet darum?«
»Wir ahnten nur dunkle Absichten,« bekannte Laelius verlegen.
»Ein Mann, der für die Rückkehr des Freistaates, für die Abschaffung des Prinzipates eintritt,« fügte Quintus Pomponius rasch ablenkend hinzu.
Valerius lachte bitter: »Dann müßt ihr aber schleunigst die Prätorianer für diesen Plan gewinnen!«
»Das dürfte leicht sein,« meinte Laelius zuversichtlich.
»Setzt eure Hoffnungen nicht zu hoch, ihr Herren. Auch der Dümmste dieser von den Cäsaren verhätschelten Söldner wird begreifen, daß mit der Beseitigung des Kaisertums auch alle Vorrechte und Herrlichkeiten der Prätorianer verlorengehen. Wenn die anderen Truppen sich diesen Kohorten anschließen, habt ihr rascher einen Imperator, als ihr ahnt.« –
Valerius Asiaticus sollte nur allzu recht behalten. Denn während die drei Konsuln sich eilig von ihm verabschiedeten, die Senatoren zusammenzutrommeln, hatte das Schicksal Roms bereits unaufhaltsam seinen Lauf genommen.
Der Abend stand am Himmel. Die Senatsverhandlungen auf dem Kapitol hatten noch zu keinem Entschlusse geführt. Viele der Väter des Volkes traten ein für den Gedanken, aus dem Blute des letzten Juliers Gajus Cäsar Caligula müsse der Freistaat auferstehen. Andere wieder hießen den Gedanken zwar gut, klammerten sich aber an Kleinlichkeiten, indem sie selbst unter den zwingenden Umständen dieses Tages darauf bestanden, es dürfe dem alten Herkommen gemäß nach Sonnenuntergang ein gültiger Beschluß nicht gefaßt werden.
Auch Cassius Chärea hatte sich hervorgewagt, sich freimütig als Anstifter der Beseitigung Caligulas bekannt und eindringlich auf das hohe, vaterländische Ziel hingewiesen, das er bei der Verschwörung verfolgt hatte. Er flehte den Senat an: »Ob auch die Sonne unterging, zögert nicht, versammelte Väter, mit einem Beschlusse! Wer kann wissen, ob das neue Tagesgestirn nicht nur noch eure Reue beleuchtet!«
Das Auftreten dieses ernsten, biederen Soldaten, seine ruhigen, klaren Worte machten tiefen Eindruck auf den Senat. Endlich kam man zur Abstimmung. Sie lautete: »Freiheit.«
Chärea war der festen Zuversicht, die Soldaten auf seine Seite bringen und sie zur Treue gegen den Senat verpflichten zu können. Er verließ das Kapitol, den Truppen die Tagesparole zu überbringen. Sie lautete: »Freiheit.«
Doch über die Freiheit Roms, über die künftige Staatsreform war schon entschieden worden. Nicht durch den zögernden Senat, sondern durch die Kohorten! Zufall und Absicht zugleich hatten die Wendung herbeigeführt.
Die Absicht war am Werke gewesen im Lager der Prätorianer. Dort hatte Messalina die Soldaten für den Kaisergedanken gewonnen, getrieben von dem Ehrgeiz ihrer Berufung und – da sie Weib war und nichts als Weib – von dem einen, alles belebenden Wunsche, den geliebten Paris zu retten durch die Begnadigung seitens des neuen Cäsar.
Der Zufall aber waltete auf dem Solarium des Kaiserpalastes.
Lange und bange Stunden hatte Claudius zugebracht, versteckt zwischen den beiden Türvorhängen. Der Lärm im Palatium war einer tiefen Stille gewichen. Mit dem scheidenden Tage sänftigte sich die Todesfurcht des verlassenen Mannes. Niemand hatte bis jetzt den Frieden des Dachgartens gestört. Schon überlegte Claudius, ob er es wagen dürfe, geschütztere Zuflucht zu suchen, schon hatte er sich vor den Vorhang gewagt, als plötzlich plaudernde Männerstimmen erschollen. Er flüchtete zurück in sein Versteck. Zu spät. Denn einer der Prätorianer, die das Solarium betraten, sah den Vorhangstoff noch in sachter Schwingung. Einen Augenblick prüfte der Mann, ob ein Windzug ihn bewegt haben könne. Dann machte er den Kameraden ein stummes Zeichen und deutete auf das golddurchwirkte Gefalte.
Es war der germanische Söldner Gratus, der mit Valerius Asiaticus im Amphitheater verhandelt hatte.
Plötzlich brachen die verstummten Männer in ein schallendes Gelächter aus. Unter dem nicht bis zum Boden reichenden Vorhange sahen zwei plumpe, wohlbekannte Füße hervor. Mit einem raschen Griffe schlug Gratus das Tuch zurück. Als der an allen Gliedern schlotternde Claudius zum Vorschein kam, ging ein übermütiger Jubel los. Sie waren noch immer auf der Suche nach Kaisermördern – der gutmütige Kerl da, den sie alle kannten, der war gewiß keiner.
»Gnade,« winselte Claudius, dem das von Schweiß verklebte Haar um den Kopf hing. »Gnade, Soldaten – ich tat nichts, was ihr rächen müßtet!«
»Armes Luder!« sagte Gratus, das Schwert in die Scheide stoßend, als sich endlich sein und seiner Gefährten Gelächter gelegt hatte, »wer wüßte nicht, daß du keiner Fliege was zuleide tust!«
Als der Hüne nun auf ihn zutrat, wich Claudius mit lautem Geschrei zurück. »Tötet mich nicht! Nicht sterben! Nicht töten!«
»Denkt ja keiner dran, dummer Kerl,« beruhigte ihn Gratus gutmütig, während die andern sich wieder vor Lachen bogen. »Komm heraus, Onkel Claudius, aus deinem Winkelchen! Komm mit uns ins Lager! Da wollen wir diesen tollen Tag mit einem tüchtigen Humpen feiern!«
Damit faßte er den vor Furcht fast besinnungslosen Alten an einem Arme, ein zweiter Soldat ergriff ihn am andern Arme – fort ging es, die Treppen hinunter.
Winselnd um sein Leben, ließ Claudius sich von der ausgelassenen Bande dahinschleppen.
Doch als sie mit dem willenlosen Alten in den unteren Stockwerken erschienen, wurden sie zu ihrer eigenen, nicht geringen Verwunderung schon begrüßt von einer erregten Schar Prätorianer, die aus dem Lager zum Palatin geströmt war. An ihrer Spitze stand ein fast nacktes Weib – herrlich – groß – schön – mänadisch. Aus tausend Kehlen donnerte dem halb ohnmächtig in den Armen seiner Führer hängenden Claudius der Ruf entgegen: »Ave, Cäsar!«
Gratus und seine Genossen stutzten. Doch die Kameraden aus dem Lager kehrten sich nicht an ihre Verwunderung. Sie rissen Claudius empor, hoben ihn auf die Schultern und stürmten mit ihm davon. Wieder war das junge Weib an ihrer Spitze.
In aller Eile brachten sie den von ihnen erwählten Kaiser im Lager der Prätorianer in Sicherheit, bis sie ihren Willen dem Senate aufgezwungen hätten. Man schleifte Claudius schleunig zu einer Sänfte, hob Messalina zu ihm hinein. Umgeben von Hunderten entschlossener Garden, ward er durch die Straßen Roms geführt, ein armseliger Mann, der sich an Messalina schluchzend klammerte und nichts anderes dachte, als daß man ihn und sein Weib in Spott und Hohn zur Hinrichtung schleppe.
Es war um die späte Stunde, in der Cassius Chärea, nur von wenigen Getreuen begleitet, vom Kapitol herunterkam, den Truppen die Parole »Freiheit« zu verkünden. Er begegnete dem Zuge, vernahm die Rufe, mit denen die jauchzenden Soldaten dem in allen Gassen sich drängenden Volke den Namen des von ihnen gekürten Imperators zujubelten.
Kurz entschlossen kehrte er um und eilte in die Senatsversammlung zurück. Keuchend vor Ingrimm, verkündete er den erbleichenden Senatoren die bestürzende Neuigkeit.
»Schon stehen wir durch euer Zögern auf den Trümmern des Freistaates!« rief er, vor Zorn und Enttäuschung bebend. »Ein Trümmerhaufen – der Freistaat und alle unsere Hoffnungen!«
»Auch dieser Popanz Claudius ist nicht unsterblich!« brüllte Cornelius Sabinus, das Schwert ziehend.
Chärea winkte ihm hoffnungslos ab: »Laß, Freund! Willst du den Bürgerkrieg? Wir sind die tausendmal Schwächeren.«
»Du rätst uns also, den Soldatenhorden nachzugeben, Verräter?« schrie ihm Laelius Mucius zu.
Mit gefurchten Brauen maß der Tribun den aufgeregten Mann. »Kannst du diesen Soldatenhorden andere Truppen gegenüberstellen?« fragte er gelassen.
»Wir haben Truppen hinter uns, die dem Senat bereits ihre Treue schwuren!« warf Quintus Pomponius ein.
»Wieviele?« forschte Chärea finster.
»Nun – immerhin einige.«
Da stürmte der Centurio Minucianus mit der Nachricht herein, alle Truppen hätten sich für die Entscheidung und das Beispiel der Garden erklärt.
»Am Rechte des neuen Cäsars Claudius rüttelt von euch keiner mehr,« stöhnte er. Erschöpft sank er in einen Stuhl, vor Wut weinend über den Fehlschlag der so längs gehegten und gepflegten Pläne. Am liebsten hätte er mit dem Schwerte unter den Senatoren gewütet, so ingrimmig haßte er diese Larven ohne Mark und Mannestum.
Es war spät in der Nacht, als der Senat nach vielem Gerede endlich zu der Entscheidung kam, gute Miene zu dem bösen Spiele der Leibwache zu machen und den vom Heere auf den Cäsarensessel erhobenen Imperator demütig anzuerkennen. Man sonderte eine Abordnung aus, die dem Kaiser Claudius huldigen sollte. Es waren nicht die charakterfestesten Männer, die sich erboten, dieses Amt zu übernehmen.
Unterdessen saß Claudius nach seinem unfreiwilligen Triumphzuge inmitten der Soldaten des Prätorianerlagers, mehr ihr Gefangener als ihr Fürst.
Er hatte sich endlich davon überzeugt, daß ihm nichts Schlimmes angetan werden sollte. Aber daß er nun wahr und wirklich Kaiser sei, begriff er doch erst, als auch die Senatsabordnung erschien, ihn unter schmeichelhaften Lobeserhebungen als den Cäsar zu begrüßen.
Da erwachte er zum Leben und raffte sich zu einer ersten Staatshandlung auf. In seiner Freude der Erlösung aus Tod und Furcht versprach er, es solle jedem Manne der Garde das Fünffache eines Jahressoldes ausbezahlt werden. Mit diesem Gnadengeschenk von fünfzehntausend Sesterzien Kopf für Kopf hatte er sich aber die Treue der Prätorianer zuverlässig erkauft. Er nahm die Cäsarenkrone, als griffe er in einem Traume danach. Und wirklich war sie ihm auch wie in einem Traume zugefallen.
Das Weltreich Rom hatte wieder einen Kaiser.
Den verhaltenen Grimm des Senates übertönte der tolle Freudentaumel in den Straßen der Millionenstadt am Tiber. Mit Abertausenden von Lichtern und Blumenkränzen schmückten sich noch in dieser Nacht die Häuser und die Menschen.
Stillschweigend sahen diesem frohen Treiben jene Weiterblickenden zu, die glaubten, der Wahnsinn auf dem Throne sei nur vom Schwachsinn abgelöst worden. Claudius der Kaiser?!
In Wutkrämpfen tobte in dieser Nacht eine Frau – über die unerwartete Entwicklung der Geschehnisse. Agrippina. Das Unglaubliche, Unmögliche war Wirklichkeit geworden. Claudius Kaiser! Messalina – Kaiserin! Übergangen, achtlos vergessen der Augustussproß, ihr Sohn Nero. Sie schrie und gebärdete sich wie eine Irre. Und der Haß gegen die junge Kaiserin fraß sich tief und untilgbar in ihre Seele.
Plötzlich schnellte sie empor. Sie wollte die Verhaßte treffen – tief – grausam – unheilbar. – ?
Im Prätorianerlager war inzwischen aus der Puppe von Furcht und Entsetzen mehr und mehr der neue Cäsar erwachsen. Der Freigelassene Polybius hatte sich eingefunden und war auf Wunsch des Kaisers sofort vorgelassen worden. Polybius hatte dem einst so armen Verwandten des kaiserlichen Hauses früher oft bei gelehrten Liebhabereien und Studien Ziel und Wege gewiesen. Jetzt eilte er herbei und berief sich auf seine stets bewährte Anhänglichkeit. Claudius, ein dankbares Gemüt, empfing den Griechen, den ersten Bekannten in dieser fremden Umgebung, mit Tränen der Freude in den Augen.
Aber der Freigelassene war nicht gekommen, von alten Zeiten zu plaudern. Er kannte Claudius. Er wollte der erste sein, der sich dieses kaiserlichen Trottels bemächtigte und aus dem gefügigen Verwalter des Staates ein Werkzeug zu einer glänzenden Zukunft schmiedete.
Klug nutzte er die Lage und erteilte dem hilflos verwirrten Manne, der seine neue Würde als wichtige Verpflichtung zur Tat empfand, geistesgewandt Ratschläge und veranlasste Edikte, die den guten Claudius in allen Kreisen Roms in Gunst setzten, den enttäuschten Anhängern des Freistaates aber einen tröstlichen und beruhigenden Ausblick auf die friedvoll gestimmte Regierung des neuen Kaisers eröffnen sollten.
Claudius war – wie bei jeder Arbeit – ganz bei der Sache. Wie immer, wenn sein träger Geist in Bewegung geraten war, verblüffte er durch vernünftige Entscheide des Rechtes und der Billigkeit. Noch in dieser ersten Nacht begann er die Trümmer der tyrannischen Willkür seines Vorgängers fortzuräumen.
Als Messalina den Gatten so eifrig beschäftigt sah, entschloß sie sich, nun die Befreiung des Geliebten zur Tat zu machen. Zunächst gewann sie den jungen Centurio Cäcilius, der es sich zur höchsten Ehre rechnete, der jungen, schönen Kaiserin eine Gefälligkeit zu erweisen.
Dann nahm sie Polybius beiseite und bat ihn, dem Kaiser einen Freiheitserlaß für Paris zur Unterzeichnung vorzulegen und dem Centurio Cäcilius diesen Entlassungsbefehl auszuhändigen.
Auch hier erkannte der schlaue Grieche sogleich seinen Vorteil. Unschwer erriet er, welche Motive die junge Gattin des alternden Mannes zu ihrer Bitte bestimmten. Kräftig packte er sogleich zu. Mit erheuchelt scheuen Blicken auf Claudius flüsterte er: »Es fällt mir nicht leicht, meinen geliebten Herrn bei einem seiner ersten Gnadenakte zu – betrügen, Domina. Wahrscheinlich steht dir die Freiheit dieses Komödianten höher als das – hm – gekrönte Haupt deines Gatten?«
Er ließ mit frechem Blinzeln durchblicken, daß er eigentlich von einem gehörnten Haupte hatte sprechen wollen.
Messalina war noch zu unerfahren. Sie ahnte nicht, daß ihre Bitte sie in die Umgarnung eines Menschen trieb, der sie in diesem Netze halten und immer fester verstricken würde.
Im Morgengrauen führte der junge Centurio den Mimen aus den Toren des mamertinischen Kerkers. Eine verhüllte Frauengestalt erwartete ihn. Es war nicht Messalina. Cäcilius eilte sogleich, seiner kaiserlichen Gebieterin die Freudenbotschaft der geglückten Befreiung zu überbringen.
Im Hochgefühl dieses Glückes ließ Messalina sich zu Paris tragen, da Cäcilius ihr versicherte, die Straßen wären still und menschenleer geworden. Er erbot sich, die Lektika mit einer kleinen Wache von Prätorianern zu geleiten. Doch Messalina dankte ihm mit einem bezaubernden Lächeln.
Der Centurio sorgte dafür, daß die Tragsänfte der Kaiserin ungehindert das Lager verlassen konnte. Als sich die Torflügel öffneten, erblickte Messalina eine draußen harrende Gestalt. Rasch zog sie die Vorhänge dichter zusammen. Sie hatte Abalanda erkannt.
Die Sonne erhob sich über dem esquilinischen Hügel, Glanz und Licht ausstreuend über die Cäsarenstadt. Messalina sah es laut pochenden Herzens und nahm das sieghaft aufsteigende Leuchten als Vorbedeutung für das neue Leben, das ihrer harrte auf dem höchsten Gipfel dieses Lebens.