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Zwölftes Kapitel.
Ilsens Sorgen.

Mit traurigen Blicken schaute Ilse durchs Fenster auf die Winterlandschaft hinaus.

Sie war in wehmutsvoller Stimmung, und hätte doch nicht recht sagen können, was ihr eigentlich sei.

Wie im Traum war sie den ganzen Tag durchs Haus geschlichen. Ihr Vater hatte wiederholt gefragt, ob ihr etwas fehle?

»Nein, gar nichts,« war ihre Antwort, und doch tat ihr das Herz weh, und sie fühlte sich trostlos einsam.

Mehr und mehr kam es ihr zum Bewußtsein, daß sie durch Herberts Heirat wiederum entbehrlicher werden würde. Die Fürsorge für ihn, die sie so beglückt hatte, übernahm nun eine andere. Sie stand abseits.

Lilli war als Schwägerin gewiß ganz nach ihrem Sinn, und keine liebere hätte sie finden können. Trotzdem traf es sie schmerzlich, daß der Bruder ihr so nebenbei erzählte, er habe mit seiner Braut und Schwiegermutter bereits die Möbel für den neuen Haushalt ausgesucht.

»Ohne mich –?« entfuhr es ihr ganz erstaunt, denn ohne ihren Rat einzuholen, hatte ihr Bruder bisher nie etwas getan.

»Ja, wolltest du denn mitkommen?« fragte er, wie es schien ebenfalls erstaunt – »ich denke, was Lilli gefällt, wird auch deinen Beifall finden.«

»Wenn du weniger freundlich wärest, lieber Bruder, hättest du wohl gesagt: muß deinen Beifall haben!«

Und sie ging hinaus, um die Tränen, die sich ihr aufdrängten, nicht sehen zu lassen.

Wie sehr sie auch dagegen kämpfte, eine nicht gewollte Eifersucht machte sich breit, sie fühlte trotz aller Liebe dieser beiden zu ihr – eine Lücke war da, die sich nicht ausfüllen lassen würde ...

Lange saß Ilse sinnend und blickte trostlos ins Weite, als sähe sie einen öden, öden Weg, den sie allein würde durchs Leben gehen müssen.

»Wenn dich das leidige Leben zaust,
Straffe die Schultern, balle die Faust!«

die Strophen fielen ihr ein.

Gut, war es ihr bestimmt, die Lastträgerin, in Gestalt der Unverheirateten zu sein, so sollte ihr niemand nachsagen können, daß sie darob verbittert gewesen wäre. Davor wollte sie sich schützen, dagegen mußte sie kämpfen. Sie war ja auch nicht überflüssig, ihr Platz war nicht besetzt, der war beim Vater, dem sie Hausfrau, Tochter und Pflegerin sein mußte.

Fort mit allen rebellischen Gedanken, schnell an die Arbeit.

Sie holte eine kunstvolle Stickerei hervor, die ihre Schwägerin zur Ausstattung haben sollte, und ging damit zu ihrem Vater, den sie im Studierzimmer antraf.

»Schön Kind, daß du kommst, Herbert hat mir von der Ausstattung erzählt, die angekauft worden ist, das hat mich so lebhaft an meine eigene Jugend erinnert, wo ich mit deiner guten Mutter einkaufen ging – und nun ist sie dahin. Und manchmal übermannt mich eine solche Sehnsucht nach ihr, daß ...«

»Wir sollen nicht so viel zurückblicken, unsere Blicke vorwärts richten, Vater. Erfreue dich doch jetzt an deines Sohnes Glück, der doch so ganz nach deinem Wunsch sich eine Gefährtin gewählt hat.«

»Gewiß freue ich mich, Kind, und ich bin auch glücklich, daß ich dich habe, die so redlich bemüht ist, mir meine Einsamkeit zu erleichtern; aber die Mutter kannst auch du mir nicht ersetzen, und deshalb ...«

»Komm, Väterchen, wir wollen ein Stückchen spazieren gehen, das wird dir und mir gut tun. Ich werde mich schnell ankleiden. Dann gehen wir!«

Nun schritten sie dahin, schwerfällig der Justizrat, leichtfüßig Ilse, und manch einer sah dem lieblichen jungen Mädchen nach.

Das festanliegende Jackenkleid aus heliotropfarbenem Tuch, die breite Skunksstola, das Barett und der moderne Muff standen ausgezeichnet zu dem blassen Gesichtchen.

Weit hinaus gingen Vater und Tochter, holten sich gerötete Wangen, und der Justizrat eine etwas gerötete Nase.

Als sie heimwärts schritten, senkte sich schon die Dämmerung herab.

»Hatte der junge Herr gesagt, ob er zum Abendessen da sein wird?« fragte Ilse, als sie heimkamen, das Mädchen, das ihnen die Tür öffnete.

»Der Herr Rechtsanwalt fragten nach dem gnädigen Fräulein. Gnädiges Fräulein möchten sich zum Theater kleiden, der Herr Rechtsanwalt kämen um halb sieben Uhr das gnädige Fräulein abholen.«

»Väterchen, wie mich das freut, heute abend gastiert Josef Kainz, wird das ein Genuß sein ...! Aber wer wird dir Gesellschaft leisten?« setzte sie besorgt hinzu.

»Meine Bücher, Ilse; verkümmere du dir aber nicht immer jeden Genuß durch die Sorge um andere!«

Heidi, war Ilse in ihrem Zimmer, schnell nochmals frisiert und hübsch gekleidet. Indem sie hin und her lief, fühlte sie sich ganz beschämt. Er denkt doch auch an dich, er ist doch dein Bruder, den dir niemand rauben kann. –

Im Theater ergriff sie plötzlich Lillis Hand und drückte sie warm, als habe sie ihr etwas abzubitten.

»Entzückend ist er, nicht wahr?« fragte diese, welche Ilses Gefühlsausbruch auf Kainz bezog, dessen wunderbare Darstellung alle mit sich fortriß.

Auf dem Heimweg schwiegen erst alle drei, sie ließen den gehabten Genuß so recht auf sich einwirken. Dann aber begann Lilli:

»Mich hat nur Kainz als Romeo interessiert; Shakespeare mit überall Mord und Totschlag entspricht wirklich heute nicht mehr unserer Geschmacksrichtung.«

»Still, Kind, still,« fiel Herbert ein, »denkst du nicht an die herrlichen Verse –?«

»Doch, gewiß, die werden ihren Wert stets behalten, aber sage aufrichtig, Ilse, hat es dir gefallen? In jedem Akt – bums, lag einer, vergiftet, erschlagen – heulend und winselnd.«

»Hast ganz recht, Lilli,« pflichtete Ilse bei, »für uns moderne Menschen ist das nichts mehr, wenn der himmlische Kainz nicht gewesen wäre –«

»Ah! gratuliere, endlich ist meine Ilse mal ein bißchen verliebt, der »himmlische Kainz« hat es ihr angetan.«

»Das hat er allen, und warum soll ich nicht auch einmal verliebt sein können?« –

Da war wieder ein Unterton in ihr, der etwas Bitteres einschloß.

»Aber gewiß! freue mich auch schrecklich darüber, geliebte Kränzchenschwester, Freundin und Schwägerin,« scherzte Lilli und nahm Ilses Arm.

Dann bat sie: »Laßt uns, bitte, noch in ein Restaurant gehen, wo noch munteres Leben herrscht, und recht viel Licht ist, ich möchte noch nicht gern heim.«

»Wenn du es wünschst, sehr gern!« erwiderte Herbert.

»Aber ich muß heim, Papa ist allein,« schaltete Ilse besorgt ein.

»Unsinn, du kommst mit!« drängte Herbert.

»Weil es doch nicht schicklich wäre, wenn die beiden allein gingen, werde ich auch aufgefordert,« dachte Ilse und war erschrocken, sich wiederum auf einem häßlichen Gedanken zu ertappen.

»Wir werden telephonieren, ob Papa dich wünscht,« bestimmte Herbert und öffnete die Tür zu einem im strahlenden Lichte daliegenden Saal.

Ein Surren von Stimmen umfing sie, elegante Toiletten und frohes Leben.

Rechts und links wurden sie gegrüßt, und bald gesellten sich Bekannte zu ihnen, und man verbrachte gemeinsam ein paar amüsante Stunden. –

Nachdem die Geschwister Lilli heimgebracht hatten, schritten sie Arm in Arm ihrer Behausung zu und unterhielten sich lieb und nett miteinander.

»Herbert,« hub Ilse jetzt an. »Ich habe ein recht schlechtes Gewissen dir und Lilli gegenüber!«

»Sooo? – Was hast du denn angestellt?«

»Denke nur, eifersüchtig bin ich auf Lilli, ich fürchtete, sie würde dich ganz in Beschlag nehmen und für die Schwester würde wenig übrig bleiben.«

»Du dummer, kleiner Kamerad, immer wirst du bleiben, was du mir von Kind an gewesen bist. Sie will dir gewiß nichts nehmen, aber sie könnte es auch nicht. Ilse bleibt Ilse.«

Als die Geschwister sich gute Nacht sagten, küßten sie sich herzlich und sahen sich fest und innig in die Augen.


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