Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
In einer Frühstunde des übernächsten Tages saß Ritter Barthold in dem Gemache des Schlosses, das dicht an die Burgkapelle angrenzte, mit einem fremden Manne in eifriger Verhandlung. Beide waren dabei in dicke, schwere Pelze eingehüllt, denn das Zimmer war unheizbar. Es war ein ziemlich schmales, aber recht langgestrecktes Gewölbe. Schon das Vorgemach dieses Raumes war durch eine mächtige, mit Eisen beschlagene Tür abgesperrt, noch riesiger und ungefüger war die eiserne Pforte, die das Zimmer selbst verwahrte. Trat man ein, so mußte sich das Auge erst an das Halbdunkel gewöhnen, das in dem Gemache herrschte. Nur durch zwei Fenster fiel das Tageslicht herein, das eine war eigentlich nichts weiter als eine enge Scharte in der Außenmauer, das andere, von dem aus man in den Burghof blickte, war fest vergittert von oben bis unten.
In dieser Kammer lagen die Urkunden und Kostbarkeiten der Familie aufgestapelt. Die hohen Schränke an den Wänden waren von oben bis unten vollgestopft mit Pergamenten und Aktenbündeln, in einigen hingen auch die Staatskleider der Schloßfrau und ihrer Töchter, steife Gewänder aus Brokat und Sammet mit Perlen geziert, in denen die adeligen Frauen und Jungfrauen bei festlichen Anlässen zu erscheinen pflegten. In den Truhen lag manch uraltes, wertvolles Kleinod, auch der Schmuck, den einst das Fräulein Käthe von Rautenberg bei ihrer Vermählung mit Barthold ins Haus gebracht hatte. In einem besonders plumpen und schweren Kasten endlich verwahrte der Schloßherr sein bares Geld. Für gewöhnlich lag es hinter riesigen Vorlegeschlössern, heute aber war der Deckel zurückgeschlagen, und die Lederbeutel standen auf dem Tische, der des besseren Lichtes wegen an das größere der beiden Fenster dicht herangerückt war.
Barthold hatte sich in den Stuhl zurückgelehnt und betrachtete aufmerksam das Gebaren seines Genossen. Der war ein kleines, zierliches Männchen, behend in allen seinen Bewegungen. Er trug auf dem dünnen, schlanken Hälschen einen schmalen Kopf mit schon ziemlich ergrauten, krausen Löckchen, während der kurze rötliche Spitzbart noch kaum hier und da ein weißes Haar aufwies. Das Gesicht mit den listigen, glänzenden Augen und den dünnen Lippen hatte eine unverkennbare Ähnlichkeit mit einem Fuchsgesicht und machte entschieden keinen Vertrauen erweckenden Eindruck. Trotzdem gehörte der Mann zu den Leuten, denen Barthold unbedingt vertraute. Conrad Schmid aus Nordhausen, seines Zeichens Roßkamm, Geldwechsler und Wollhändler, hatte vor zweiunddreißig Jahren wegen einer schweren Tat seine Vaterstadt verlassen müssen, war dann sehr ins Elend geraten und hatte damals bei Barthold Schutz und Hilfe gefunden. Der Ritter hatte ihn mehrere Jahre als Schreiber in seinen Diensten behalten, bis über sein Vergehen Gras gewachsen war und er nach Nordhausen hatte heimkehren können. Dort hatte er eine wohlhabende Witfrau gefreit, hatte ihr Geschäft sehr vergrößert und war ein Geldmann geworden, an den sich nicht nur Bürger seiner Stadt, sondern auch darlehnbedürftige Ritter wandten. Sogar zum Ratsbeisassen hatte er's gebracht. Ein unruhiger Kopf aber war er geblieben bis auf den heutigen Tag, Agent, Parteigänger, Vermittler, heimlicher Werber in manches Fürsten und Herrn Bestallung, wobei ihm sein Gewerbe, das ihn weit im Lande umherführte, trefflich zustatten kam. Vor sechs bis sieben Jahren hatte er sich mit Barthold zugleich in die unseligen Grumbachschen Händel verstricken lassen. Beide aber waren noch rechtzeitig dahinter gekommen, daß die Sache des unglücklichen Johann Friedrich schlimm ausgehen mußte, und hatten noch mit genauer Not den Kopf aus der Schlinge gezogen. Seit dieser gemeinsam bestandenen Gefahr behandelte der Ritter den früheren Untergebenen wie einen Vertrauten.
Jetzt hatte er ihn nach dem Bodenstein kommen lassen, weil er seines Geldes und seines Rates bedurfte. Conrad Schmid sollte ihm eine namhafte Summe leihen, denn morgen wollte der alchymistische Meister das große Werk der Multiplikation unternehmen. Dazu hatte der Händler sich bereit erklärt. Ferner aber sollte er die Goldstücke auf ihren Gehalt prüfen, die in Bartholds eigener Truhe schlummerten. Denn das verstand er wie der geriebenste Goldschmied. Der Pole hatte erklärt, es dürfe nur echtes, reines Gold zu dem Experiment verwendet werden, jeder Zusatz unedeln Metalles werde das ganze Werk verderben.
Mit dieser Untersuchung war Schmid eben beschäftigt. Er hatte vor sich einen ansehnlichen Haufen von Goldstücken liegen, Münzen aus aller Herren Ländern und mit dem verschiedensten Gepräge, die er zu sortieren bemüht war. Manche erkannte er sogleich als vollwichtig an, andere wog er auf einer kleinen Wage, die vor ihm stand, rieb sie wohl auch an einem schwarzen Stein und prüfte dann die Farbe des Striches, indem er den Kiesel gegen das Licht hielt und aufmerksam betrachtete. Das tat er eine geraume Zeit, während Barthold ruhig zusah. Endlich war er fertig und wendete nun sein schlaues Gesicht dem Ritter zu.
»Ich möchte doch nur zwölf davon ausscheiden«, sagte er.
»Das ist mir lieb zu hören«, versetzte Barthold.
»Somit habe ich«, fuhr der andere in geschäftsmäßigem Tone fort, »Euch noch siebenhundertdreiundsechzig Goldgulden zu leihen, wenn die dreitausend voll werden sollen, mit denen der Pole seine Kunst erproben soll.«
»Die Ihr, wie ich annehme, bei Euch habt.«
»Gewiß«, erwiderte Schmid. »Ich wußte ja, was Ihr von mir wolltet. Indes, Junker, habe ich eine Bitte, die Ihr wohl billig finden werdet.«
»Ich bin begierig.«
»Eine Liebe ist der andern wert, und umsonst ist nur der Tod«, sagte Schmid. »Ich tue Euch einen Dienst, und dazu gebe ich Euch die Summe ohne Zins oder irgend ein Entgelt. Dafür möchte ich mich selbst bei dem Werke beteiligen dürfen.«
»Gern und mit Freuden«, rief Barthold lachend. »Das hatte ich mir schon gedacht. Dem Polen kann's gleich sein, woher das Geld kommt. Und warum soll ich Euch den Vorteil nicht gönnen, wenn ich selber so großen Gewinn habe? Wieviel wollt Ihr dazu hergeben, Meister Conrad?«
»Ich dachte, so etwa tausend Goldgulden«, sagte Schmid auf seine mächtige Geldtasche schlagend, die er um den Leib geschnallt hatte.
»Potz Wetter!« rief Barthold. »Da sieht man, wo die Dukaten stecken! Lebten wir sechzig Jahre früher, so würde ich gern den Nordhäusern absagen und einige von euch fetten Pfeffersäcken brandschatzen. Es ist ein Jammer, daß der Landfriede zu dieser Zeit so wohl befestigt ist.«
»Mir ist's lieber, daß wir jetzt leben«, sagte der andere mit vergnügtem Grinsen. »Doch Scherz beiseite und laßt Euch einen Rat geben. Händigt den Kerlen das gute Geld nicht eher aus, als bis die Sache ihren Anfang nimmt, und seht ihnen auch dann noch scharf auf die Finger!«
»Wie?« rief Barthold befremdet, »fürchtet Ihr Betrug? Ihr habt mir doch selbst erzählt, daß Caminsky in Eurem Beisein zwei Lot Gold verdoppelt habe.«
»Hm, ja, das habe ich gesehen und kann einen leiblichen Eid darauf schwören«, erwiderte Conrad Schmid. »Der Caminsky hat offenbar die rote Tinktur gefunden. Kleine Mengen Geldes kann er verdoppeln, das ist ohne Zweifel so. Ob er aber große Mengen vermehren kann, das muß sich erst zeigen.«
»Warum sollte er das nicht können?«
»Ja, es ist ein eigen Ding mit diesen Leuten«, erwiderte Schmid. »In Prag beim Erzherzog Rudolf war einer, der hatte, wie alle Leute sagten, das große Magisterium gefunden. Nicht einmal, drei-, viermal hat er vor dem Erzherzog, ja vor der Kaiserlichen Majestät selbst, aus einem Stückchen Gold so groß wie ein halber Fingernagel ein Klümpchen wachsen lassen, wie eine welsche Nuß. Aber da man ihm zehntausend Goldflorentiner gab, um sie zu vermehren, verschwand der Schuft mit dem Golde. Man muß sich vorsehn, Junker, und die Kerle unter scharfer Bewachung halten. Ich zweifle nicht, daß der Pole das Geheimnis des großen Magisteriums erkundet hat, aber ich möchte verhüten, daß er sich mit dem Golde heimlich davonmacht.«
»Was das anbelangt«, sagte Barthold, »so kommt Euer guter Rat zu spät. Wenn Caminsky sein Werk anfängt, ist die Burg geschlossen, und keine Katze kommt hinaus. Mein Sohn wird die Wache halten. Und das Gold trage ich mit diesen meinen Händen in das Kornhaus und wohne selbst der Multiplikation von Anfang bis zu Ende bei.«
»Das ist gut! Das ist gut!« rief der andere.
»Ich werde dem Polen auf die Finger sehen, verlaßt Euch darauf«, sagte Barthold sich erhebend. »Will er mich betrügen, dann gnade ihm Gott! Doch jetzt wollen wir das Geld wieder an seinen Ort legen und dann hinübergehen zum Imbiß.«
Die beiden Männer verschlossen die Truhe und verwahrten das Gewölbe. Barthold nahm die Schlüssel zu sich, und darauf begab er sich mit seinem Gaste hinüber in die große Halle, wo ein kräftiges Frühstück bereit stand. Dort trafen sie den Pfarrer, der in einer Fensternische stehend gewartet hatte und ihnen nun lebhaft entgegeneilte.
»Sieh da, Herr Conrad!« rief Barthold. »Was führt Euch um diese Stunde her? Wolltet Ihr frühstücken auf dem Bodenstein?«
»Auch dessen bin ich nicht abgeneigt«, sagte der Pfarrer. »Der Weg hier herauf macht hungrig. Aber nicht deshalb komme ich, etwas ganz anderes führt mich her. Eine Nachricht will ich Euch bringen, die Euch schwerlich betrüben wird. Oder wißt Ihr's schon?«
»Nichts weiß ich«, versetzte Barthold. »Ihr macht mich neugierig, heraus mit Eurer Zeitung!«
»So hört, was mir der Küster, der gestern abend spät von Heiligenstadt zurückkam, erzählt hat. Der Kurfürst von Mainz soll todkrank sein, er läge im Sterben. Im Martinsstift werden Messen gelesen für seine Genesung, aber es soll keine Hoffnung sein, daß er am Leben bleibt.«
»Donnerwetter!« rief Barthold und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Das ist wahrhaftig eine Zeitung, die Goldes wert ist. Fährt der Pfaffe von Mainz in seinen Sünden dahin, so kann das ganze Eichsfeld singen: Herr Gott, dich loben wir. Aber ist's auch gewiß? Von wem hatte es der Küster?«
»In Heiligenstadt pfeifen es die Spatzen von jedem Dache«, entgegnete der Pfarrer. »Die Pfaffen sollen gar kein Hehl daraus machen. In der Martinskirche liegen die Jesuitenväter Tag und Nacht auf den Knien und beten unaufhörlich zu den Heiligen, daß der Kurfürst nicht sterben möge!«
»Ha, das glaube ich wohl«, sagte Barthold und ließ sich schwer in seinen Armstuhl fallen. »Er ist ja der Schutzpatron dieser neumodischen Pfaffen. Seht, Freunde, das ist es, was mir den Mann mehr als alles andere zuwider gemacht hat. Darum hasse ich ihn ärger als um das, was er mir selbst angetan hat. Denn nichts ist widerwärtiger als die Brut, die uns der Teufel aus Hispanien hergeführt hat. Die anderen Mönche in ihren grauen oder schwarzen Kutten taugen ja auch nichts, sind freche Gesellen, Tagediebe, Schlemmer und Weiberjäger, aber sie sind doch Menschen. Die Jesuiten aber sind keine Menschen mehr, sie sind wie Uhrwerke, die aufgezogen werden und nach fremdem Willen gehn, sie sind wie die toten Steine, die selbst nicht wissen, wohin sie fliegen, und doch den Tod bringen. Wie ein Mensch das kann, den eignen Willen töten und sich zum Werkzeug eines anderen machen, nicht gezwungen, mit wachen Sinnen und kaltem Blute – ich begreife es nicht.«
»Sie sind die«, warf der Pfarrer ein, »von denen geschrieben steht Matthäi am siebenten: ›Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe.‹«
»So wollen wir darauf trinken, daß diese Wolfsbrut das Eichsfeld wieder verläßt!« sagte der Ritter und ergriff seinen mächtigen Humpen, gefüllt mit Duderstädter Bier. »Man munkelte schon davon, der Kurfürst wolle ihnen in Heiligenstadt ein Haus errichten. Das wird nun hoffentlich zu Wasser werden.«
»Wenn nicht die neue Wahl einen Mann ans Steuer bringt, der Daniel gleich ist«, sagte Schmid.
»Das fürcht ich nicht«, entgegnete Barthold. »Im Mainzer Kapitel sind viele, die heimlich Luthers Lehre anhängen. Das ist mir wohlbekannt, kenne selber deren einige. Die hatten sich in Daniel getäuscht, sie werden sich nicht zum zweiten Male verrechnen.«
»Das gebe Gott«, sagte der Pfarrer. »Die Zeichen mehren sich, daß man gegen das Evangelium hier zu Lande Schlimmes im Schilde führe. Hat nicht der Pfaffe von Geismar sich erfrecht, dem Jost von Hanstein das ehrliche Begräbnis zu verweigern? Hat man nicht den Hansteinischen Pfarrer aus Rengelrode mit Gewalt verjagt? Wenn man schon denen von Adel solches zu tun wagte, was war da nicht alles noch zu erwarten?«
»Der Adel ist an dem allen selber schuld!« rief Barthold und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Humpen klirrten. »Man durfte es so weit gar nicht kommen lassen. Als der Erzbischof anno fünfundsechzig den alten Propst Burghard von Hanstein in Heiligenstadt um seines lutherischen Glaubens willen absetzte, da hätten Ritterschaft und Städte wie ein Mann aufstehen müssen. Die Ritter mußten sich für Burghard ins Zeug legen, weil er ein Hanstein war, die Bürger durften ihn nicht stecken lassen, denn er war ihr Propst. Da hätte der Mainzer Pfaffe zu Kreuze kriechen müssen. Damals habe ich mir fast die Zunge aus dem Halse geredet, um einen Bund gegen den Erzbischof zustande zu bringen. Aber es war nichts zu machen. Die Heiligenstädter hätten ja am liebsten rebelliert, und die Duderstädter hatte mein Freund, der Bürgermeister Christoph von Hagen, auch fast so weit. Die Herren vom Adel aber wollten nicht. Sie mochten nicht mit den Bäckern und Bierbrauern zusammen fechten, sie wollten hoch und vornehm für sich allein bleiben. So sind sie denn auch allein herrlich weit gekommen!«
Mit einem grimmigen Lachen ergriff er seinen Becher, trank ihn aus und stieß ihn heftig auf den Tisch.
In dem Augenblick öffnete sich die Tür, und eine zierliche Mädchengestalt ward sichtbar. Sie zog sich aber, als sie die fremden Männer bemerkte, sogleich wieder zurück.
»Wer war das?« fragte Schmid.
»Ach, das war wohl die Jungfrau, die Junker Klaus auf der Landstraße dem schwarzen Steffen abgejagt hat?« rief der Pfarrer. »Ich habe die Geschichte schon gestern gehört und ich muß Euch sagen, Herr, auch um dieser Leute willen bin ich heute auf den Bodenstein gekommen.«
Barthold blickte ihn verwundert an. »Was wollt Ihr von ihnen? Kennt Ihr sie?«
»Nein, ich kenne sie nicht«, erwiderte der Pfarrer, »aber ich will sie kennen lernen. Es sollen, wie man mir sagte, Vertriebene sein aus Flandern oder Brabant. Dort gibt es ja manch guten Christen, den die hispanischen Bluthunde aus Haus und Hof verjagt haben. Aber die Mehrzahl der Flüchtlinge sind Zwinglianer und Calvinisten. Ich möchte wissen, ob die Leute zu denen gehören.«
Barthold blickte dem Pfarrer starr ins Gesicht. »Und wenn sie zu ihnen gehörten?« fragte er.
»Dann müßt Ihr den alten Mann auf Eurer Burg verpflegen, bis er wieder genesen ist. Das ist Christenpflicht«, sagte der Pfarrer. »Aber«, fuhr er mit erhobener Stimme fort, »wenn er gesund genug ist, seine Reise fortzusetzen, so ist es gleichfalls Eure Pflicht, ihn zu mahnen, daß er weiterziehe. Denn Ihr habt die Euern zu behüten, daß nicht das calvinische Gift in Euer Haus eindringe.«
»So? Meint Ihr?« entgegnete Barthold scharf und spöttisch, indem er den Pfarrer mit unverhohlenem Mißfallen anblickte. »Meint Ihr? Nun – ich glaube, Ihr braucht Euch nicht zu sorgen. Die Leute sind mir wohlbekannt, es ist der Junker von Hoven mit seiner Tochter Barbara. Er war früher lutherisch, und ich traue ihm nicht zu, daß er seinen Glauben gewechselt habe.«
»Das gebe Gott«, sagte der Pfarrer.
»Sollte es aber geschehen sein, was ich tief beklagen würde«, fuhr Barthold mit großer Schärfe fort, »so würde es mir gleichwohl nicht in den Sinn kommen, ihn über meine Schwelle zu weisen. Ja, wenn er Jude oder Türke geworden wäre – mein Haus stände ihm allezeit offen.«
Entsetzt fuhr der Pfarrer empor. »Das wäre Sünde, schwere Sünde!« rief er mit starker Stimme.
»Das glaube ich nicht«, entgegnete Barthold sehr kühl. »Der Mann, der jetzt todkrank eine Zuflucht bei mir sucht, hat mich einst vom Tode gerettet. Die Spanier hätten mich erschlagen, wenn er mich nicht aus ihren Händen gerissen hätte. Und dem ich mein Leben danke, den sollte ich jemals aus meinem Hause treiben? Höher, dächte ich, als aller Glaubenshader, steht die Pflicht der Dankbarkeit.«
Der Pfarrer schwieg eine Weile und wiegte bedenklich sein Haupt hin und her. »Das glaub' ich doch nicht«, sagte er. »Freilich befindet Ihr Euch da in schwerer Zwiespältigkeit des Gewissens. Wenn jener Mann Euch einst das Leben gerettet hat – was ich nicht wußte –, so muß es Euch ja wohl am Herzen liegen, Euch dankbar zu erweisen. Wo aber Gottes Wort redet, da muß sich ihm alles andere unterordnen. Und die Schrift sagt klar und deutlich: Wenn einer zu euch kommt und bringet diese Lehre nicht, den nehmet nicht zu Hause und grüßet ihn auch nicht.«
»Ihr Herrn!« rief lachend Conrad Schmid. »Der ganze Streit ist vielleicht ein Streit um des Kaisers Bart. Fragt doch erst den von Hoven, ob er lutherisch ist oder calvinisch!«
»Der ist nicht zu befragen, mein guter Schmid, denn er ist schwer krank«, versetzte Barthold. »Aber Ihr habt recht, warten wir bis dahin. Dann ist es immer noch Zeit, uns auseinanderzusetzen.«
»Und dann werde ich, von meinem Gewissen gedrungen, wiederkommen und mit Euch reden, selbst wenn ich fürchten muß, Euern Zorn zu erregen!« rief der Pfarrer.
»Ich zürne Euch nicht, aber ich bedaure Euch – Euch und uns alle«, erwiderte Barthold, indem er sich erhob und nach seiner Pelzkappe an der Wand griff. »Wisset, Pfarrer, es gab einst eine Zeit – Ihr laget damals in den Windeln –, da glaubten und hofften die Besten im Volke, der Riß würde sich schließen zwischen Wittenberg und Zürich. Der selige Landgraf von Hessen zum Exempel, der hat sich redliche Mühe gegeben jahrelang, alle, die gegen den Papst waren, zu einigen und zusammenzuschmieden. Wär's ihm gelungen – wo wären wir dann! Diesseits der Alpenberge wäre Roms Macht dahin. Es gelang nicht, die Kluft wird immer breiter. Wohin das noch führen wird, weiß Gott, oder auch der Teufel.«
»Aber wir können doch nicht mit denen uns verbünden, die nicht denselben heiligen Glauben haben wie wir!« rief der Pfarrer.
»Ach Narrheit, Narrheit!« sagte Barthold. »Wenn Ihr im Flusse am Ertrinken seid, fragt Ihr den, der des Weges kommt, ob er Eures Glaubens ist, oder nicht? Gewiß laßt Ihr Euch von ihm helfen, und wenn er ein Heide ist! Und wahrlich, uns geht die römische Flut fast schon bis an den Hals. Dagegen müßten wir uns alle beistehen. Was geht es uns an, ob die Calvinisten drüben im ewigen Leben zum Teufel fahren, wenn sie uns nur hier gegen den römischen Antichrist helfen. Doch ich habe dem Polen versprochen, um diese Zeit zu ihm zu kommen. Also für heute gehabt Euch wohl.«
Er stülpte sich die Mütze über und ging mit mächtigen Schritten zur Tür hinaus. –
Unterdessen saßen die beiden Polen in dem Obergeschosse des Kornhauses in lebhafter Unterhaltung beieinander. Sie führten ihr Zwiegespräch im Flüsterton und in einer Sprache, die ein wunderliches Kauderwelsch, gemischt aus deutschen und fremdländisch klingenden Lauten, darstellte. Daß der eine der Herr, der andre der Diener war, hätte niemand wahrnehmen können, denn sie nannten einander bei Namen, die offenbar Spitznamen waren, und duzten sich wie Freunde.
»Alles ist bereit, Frosch!« sagte der kleine, behende Bursche, der sonst im Beisein anderer den demütigen, unterwürfigen Diener spielte. »Die Strickleiter, die wir geflochten haben, ist fest und lang genug, vom besten Hanfstrick, sie reißt auf keinen Fall. Und Schlunk wird sicher mit den Pferden zur Stelle sein. Ich habe ihm heute früh in Wintzingerode genau den Platz eingeschärft, wo er halten soll, und er ist der klügste und geriebenste Kerl unter der Sonne. Auf seine Schlauheit können wir uns verlassen.«
Der Pole trat mit finsterer Miene an das enge, schmale Fenster und starrte in den Wald hinunter. Es war, als liefe ihm ein Frösteln über den Rücken, denn er schauerte zusammen. »Da hinab müssen wir«, sagte er mit stockender Stimme. »Eine verteufelte Fahrt, wenigstens noch vierzig Ellen.«
»Fürchtest dich doch nicht, Frosch?« spottete der andere. »Was ist denn dabei zu wagen auf einer sichern Leiter? Ich dächt', wir hätten schon ganz andere Sachen gemacht. Unser letztes Stück bei dem Goldschmied in Riga war zehnmal so gefährlich.«
Der angebliche Pole und Edelmann wandte sich vom Fenster wieder ab und warf sich mißmutig auf eine Bank. »Den Teufel auch!« knurrte er. »Da hast du wohl recht, Molch. Aber ich hab manchmal so Ahnungen. Das kommt über einen, man kann's nicht loswerden. Hätten wir doch diesen verdammten grauen Steinhaufen nicht betreten!«
»Dreitausend Goldflorentiner sind ein gutes Ding«, grinste der andere. »Wir machen den alten Esel durch unsern Trunk unschädlich, und während er hier schnarcht und die Nachtmützen vorn die Zugbrücke bewachen, fliegen wir mit dem schönen Golde aus. Doch ich höre den alten Narren kommen. Nimm dich zusammen.«
Der Pole stand auf und trat in vornehmer, ritterlicher Haltung Herrn Barthold entgegen. Mit höflichem Lächeln hörte er an, was der Ritter ihm sagte, und ohne mit der Wimper zu zucken, gab er seine Einwilligung, daß Schmid aus Nordhausen sich mit tausend Goldgulden beteiligen dürfe. Herr Barthold verließ ihn mit der Überzeugung, daß ein Verdacht gegen diesen ruhigen, vornehmen Mann doch wahrscheinlich unbegründet sei, und daß man ihm unrecht tue, wenn man ihn beargwöhne.
Der angebliche Diener aber sprang, als der Tritt des Ritters auf den untersten Stiegen verklungen war, vor Freude wie ein Besessener in dem Gemach umher und lachte wie ein Kobold. »Jetzt werfen uns diese Hammel noch tausend Gulden hin!« krähte er. »Wir haben Glück, Frosch, unerhörtes Glück!«
»Halt's Maul«, knurrte der andere. »Man darf solche Dinge nicht berufen. Von Glück wollen wir erst reden, wenn wir den Berg hinunter sind und vier schnelle Pferdebeine unter uns haben. Dazu verhelfe uns der Himmel!«