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Am vierzehnten Januar hatte Klaus den Bodenstein verlassen, am Abend des zwanzigsten ritt er schon, auf der Heimreise begriffen, in Heiligenstadt ein. Er hätte ganz wohl die väterliche Burg noch an diesem Tag erreichen können, aber es dünkte ihm besser zu sein, mit der Kunde, die er heimbrachte, dem Vater in der Tagesfrühe entgegenzutreten.
Denn der Bescheid, den ihm die Herzöge gegeben hatten, lautete nicht eben erfreulich für Herrn Barthold. Klaus hatte die braunschweigischen Vettern durch Zufall alle in Wolfenbüttel beisammen gefunden, wo sie sich bei Herzog Julius mit Jagden und allerlei Lustbarkeiten ergötzten. Jeder einzelne hatte ihn angehört, aber keiner hatte ihm auf eigne Hand eine Zusage gegeben, sondern sie hatten sich Bedenkzeit ausgebeten bis zum folgenden Tage. Dann hatte Herzog Julius ihn im Schloß empfangen und ihm den Bescheid gegeben: »Sagt Eurem Vater, daß wir uns seiner guten Dienste gern erinnern. Wir sind bereit, einen günstigen Vergleich zwischen ihm und dem Grafen von Hohnstein mit allem Nachdruck zu vermitteln, wenn er sich des Gedankens entschlägt, Euch ins Lehn zu bringen. Darin kann ihm kein Fürst des Reiches beistehn, denn wer das versucht, würde Kaiser und Reich wider sich aufregen. Euer Vater wagt die Acht und Aberacht der kaiserlichen Majestät, wenn er auf seinem Sinne bestehen will. Übergebt ihm dieses Schreiben. Ich habe ihn darin mit Ernst zu Versöhnlichkeit und pflichtmäßiger Unterordnung unter seinen Lehnsherrn ermahnt.«
Klaus war mit einer Verneigung zurückgetreten, um das Zimmer zu verlassen, aber der Herzog hatte ihn noch einmal zurückgerufen. Mit seinen scharfen, durchdringenden Augen dem jungen Manne fest und lange ins Antlitz blickend, hatte er gesagt: »Es sollte mir von Herzen leid sein um Euern Vater, wenn er sich durch seinen starren Trotz selber ein hartes Geschick bereitete. Die Zeiten, wo ein Ritter dem Reiche trotzen konnte, sind vorüber und kommen nicht wieder. Er soll an Wilhelm von Grumbach denken. Sagt ihm, er möge Euch in meine Dienste stellen. Ihr artet, wie ich sehe, ihm nach und dürftet mit der Zeit einen tüchtigen Rittmeister abgeben.«
Der überraschte Klaus hatte mit nicht gerade wohlgesetzten, aber ehrlich gemeinten Worten gedankt und dann gefragt: »Werden mich Euer Gnaden auch aufnehmen, wenn ich ohne den Segen meines Vaters komme? Denn bleibt er hart, so muß ich seinem Willen entgegen handeln.«
Da hatte ihm der Herzog freudig auf die Schulter geschlagen und gerufen: »Dann erst recht! Ihr seid ein wackerer junger Mann!«
Nun war Klaus fest entschlossen, dem Vater seinen Verzicht auszusprechen und, wenn es nötig würde, des Herzogs Hülfe anzunehmen. Am Abend aber mochte er dem alten Herrn nicht mit solchen Dingen vor die Augen kommen, deshalb kehrte er im roten Hirsch zu Heiligenstadt ein und blieb mit seinen Knechten die Nacht in der Herberge. Erst am folgenden Morgen traf er auf dem Bodenstein ein.
Er betrat die große Halle, wo um diese Zeit die Familie gewöhnlich beim Frühstück zu sitzen pflegte, aber dort war niemand von den Seinen mehr zu finden. Die Schloßfrau sei mit ihren Töchtern in die Küche gegangen, erzählten die aufwartenden Mädchen, Herr Barthold dagegen habe die kleine Rüstkammer aufsuchen wollen.
Dieser Raum lag im östlichen Seitenflügel der Burg gerade über der Schloßkapelle, am Ende eines langen Korridors. Was die Kammer barg, war des Ritters besonderer Stolz, denn hier bewahrte er die schönsten und kostbarsten seiner Waffen auf. Da glänzten Prunkharnische an den Wänden und fein gearbeitete Turnierhelme neben blanken Stahlhauben, da hingen die Schwerter, die seine Ahnen geführt hatten, meist Klingen von gewaltiger Größe und Schwere, eiserne Zeugnisse davon, daß die von Wintzingerode niemals ein Geschlecht von Schwächlingen gewesen waren. Herr Barthold kam oft in dieses Gemach, nicht nur der Ordnung halber, sondern vor allem, um seine Augen zu weiden an dem kriegerischen Glanze. Es gab kaum einen Anblick, der ihm so das Herz erfreute, und wenn sich der Ritter in gehobener Stimmung befand, so pflegte er mit großer Kraft, wenn auch ohne sonderliche Kunst, Volkslieder vor sich hinzupfeifen. Dabei gab er den schwermütigsten Melodien entschieden den Vorzug, und so tönte Klaus schon von weitem, als er die Treppe emporschritt, die düstere Weise entgegen: »Ich Hab' die Nacht geträumet – Wohl einen schweren Traum.«
Pfiff Herr Barthold dieses Lied, so war er auf dem Gipfel seines seelischen Wohlbefindens angelangt. Das wußte Klaus gar wohl und deshalb verlangsamte er unwillkürlich seinen Schritt. Es wurde ihm gar zu schwer, gerade jetzt seinem Vater mit seinem Entschluß entgegenzutreten. Aber gleich darauf reckte er sich empor, als gälte es, eine Schwäche abzuschütteln. Was sollte der Aufschub nützen? Jetzt war die Stunde gekommen, in der Klarheit werden mußte zwischen ihm und seinem Vater, und diese Stunde sollte ihn stark finden.
Er schickte sich an, die letzten Stufen emporzusteigen, da kam ihm von oben eine weibliche Gestalt mit schnellen, leichten Tritten entgegen, die hastig die Treppe hinabeilen wollte. Ehe er sich's versah, hielt er Barbara in seinen Armen.
Einen Augenblick war er wie betäubt, aber auch nur einen Augenblick, dann gingen seine Sinne mit ihm durch. Sie war in heftigem Anprall von oben her an seine Brust angerannt und war offenbar tödlich erschrocken, denn sie stand regungslos wie er selbst. Aber als er so die lebenswarmen Glieder im Arme hielt und den Atem der Geliebten an seiner Wange fühlte, da kam es wie ein Rausch über ihn, alle seine ernsten Vorsätze waren wie hinweggeweht. Er preßte sie mit seinen starken Armen wild an sich und küßte sie heiß und durstig wieder und wieder und flüsterte dazwischen Worte der Liebe, tolle, unzusammenhängende Worte in ihr Ohr.
Barbara sträubte sich nicht. Die Seligkeit des Augenblickes überwältigte sie ganz und gar. Sie dachte nicht an das, was zwischen ihnen etwa stehen mochte, nicht an die Schatten der Zukunft, sie empfand nur das eine, daß sie unaussprechlich glücklich war in seiner Liebe. Sie hatte in den letzten Tagen keinen anderen Gedanken gehabt als nur an ihn, sein Bild hatte vor ihrer Seele gestanden im Wachen und Träumen. Sie wußte, daß sie nicht mehr von ihm lassen konnte, daß sie elend werden mußte, wenn sie nicht die Seine würde. Nun lag sie an seinem Herzen, seine Arme umfingen sie und sein Mund flüsterte ihr zu: »Barbara, Liebste! Hast du mich auch lieb? Willst du mein werden, mein Weib?«
»Ja, ja!« stammelte sie bebend zurück und schmiegte sich fester an ihn an. »Ich bin dein.«
Wieder einten sich ihre Lippen in einem langen, innigen Kuß. Dann sprach Klaus: »Gott hat meine Reise gesegnet. Die Herzöge helfen dem Vater nicht, er muß nachgeben. Bleibt er aber starr, so gehe ich zu Herzog Julius von Wolfenbüttel. Er hat mir's selbst angeboten. Ich soll in seine Dienste treten. Erhalte ich beim Herzog eine Bestallung, so kann ich um dich werben. Dein Vater wird dich mir nicht verweigern. Aber du mußt warten, liebstes Mädchen, willst du?«
»Ich will, was du willst!«
»Es wird auf jeden Fall das Beste sein, daß ich so bald wie möglich in eines Fürsten Dienst trete«, fuhr Klaus fort. »Ich muß mich selbst vorwärts bringen in der Welt, darum kann ich nicht hier bleiben. Ich will das dem Vater vorstellen, und das soll gleich geschehen. Heute gegen Abend, wenn die Vesperglocke läutet, komm in die Kapelle. Dort sind wir ungestört, da will ich dir kundtun, was ich mit ihm vereinbart habe.«
»Ich komme!« flüsterte die Jungfrau. Noch einmal umarmten sich die Liebenden, dann eilte Barbara die Stufen hinab, Klaus dagegen schritt mit schweren Tritten den Korridor entlang, um mit dem Vater über sein Schicksal zu reden. Eine andere Stunde wäre ihm lieber gewesen, denn das Herz war ihm übervoll. Aber er mußte dem Vater doch einmal Rede stehen, sowie er seine Rückkehr erfuhr, und es war ihm lieb, daß die Unterredung ohne Zeugen stattfinden konnte. So trat er denn nach kurzem Zaudern in das Gemach, dessen Tür halb offen war.
Herr Barthold stand mit gerötetem Antlitz, eine schwere Sturmhaube auf dem Haupte tragend, mitten in dem Raum und ließ eben eine gewaltige, spiegelblanke Klinge prüfend durch die Luft sausen.
Bei seines Sohnes plötzlichem Eintreten brach er sein Pfeifen ab und ließ die Waffe sinken.
»Sieh da, Klaus!« rief er höchlich überrascht. »Du bist schon zurück! Das ist ja kaum möglich. Hast du die braunschweigischen Herren nicht getroffen? Oder hast du einen Unfall bei der Reise gehabt? Fast scheint mir so, denn du siehst aus wie Regenwetter. Berichte! Doch zuerst: willkommen!«
Klaus legte seine Rechte in die ausgestreckte Hand seines Vaters, mit der Linken zog er aus dem Wams ein versiegeltes Schreiben. »Ich bringe dir unwillkommene Botschaft, Vater«, sagte er. »Die braunschweigischen Herren haben mich abschlägig beschieden. Hier der Brief vom Herzog Julius enthält das Weitere.«
»Gib her!« rief Herr Barthold mit gefurchter Stirn und riß ihm das Schreiben aus der Hand. Dann setzte er sich auf die niedrige Bank an der Wand dicht bei dem Fenster und las es, ohne dabei ein Wort zu sprechen, bis zum Ende durch. Er bedurfte lange Zeit, bis er damit fertig geworden war. Dann ballte er es mit einem harten Auflachen zusammen und warf es in eine Ecke.
»Das ist die Treue der Fürsten!« sagte er grimmig und stieß mit dem Schwert, das er zwischen den Knien hielt, auf den Estrich. »Es steht geschrieben: Du sollst auf den Herrn vertraun und dich nicht verlassen auf Fürsten. Diese Welfen! Was habe ich für sie getan! Und nun lassen sie mich im Stich. Der Flaumbart Julius predigt mir wie ein Pfarrer Frieden, Versöhnung, Unterwerfung. Aber ich werde euch den Teufel tun, ihr Herren! Gott hat mir die Mittel gegeben, daß ich mich wehren kann. Ich will dem Jammergrafen von Hohnstein schon allein zeigen, was er gegen mich vermag, und wenn er zehnmal die Hülfe des Pfaffen von Mainz erhält.«
»Wenn aber der Erzbischof mit seiner ganzen Macht kommt? Was dann?« fragte Klaus eindringlich.
Der Ritter zuckte spöttisch die Achseln. »Hast du je gehört, daß sich ein Wolf in den Kampf begibt, um einem andern die Beute zu gewinnen?«
»Wenn er nun aber die Beute für sich selbst begehrte?« warf Klaus ein.
»Ach Narrheit und Unsinn!« brauste Herr Barthold auf. »Hat dich Bertram angesteckt mit seinen albernen Befürchtungen?«
Klaus schwieg eine kleine Weile, dann sagte er mit einem tiefen Atemzuge: »Ja, Vater, ich bin von Bertrams Meinung durchaus überzeugt.«
Herr Barthold fuhr von der Bank in die Höhe und warf Klaus einen blitzenden Blick zu, während ihm die Röte des Zornes ins Antlitz stieg. Aber noch beherrschte er sich und sagte mit angenommener Kälte: »Mein Sohn, du hast einen guten, schnellen Verstand. Aber ich bin auch nicht auf den Kopf gefallen und kenne zudem die Welt fast vierzig Jahre länger als du. Ich weiß besser, was möglich und unmöglich ist. Deshalb verlange ich, daß du dich meiner väterlichen Einsicht beugst, und wünsche nicht, von dir oder von Bertram gute Lehren zu empfangen. Darnach richte dich und schweige. Ich will den Unsinn nicht hören. Es tut mir sehr leid, daß du dich von den Schwachköpfen betören läßt.«
Klaus trat einen Schritt zurück. Jeder Blutstropfen war aus seinem Gesicht gewichen, und er zitterte am ganzen Körper, als er erwiderte: »Zürne mir nicht, Vater, wenn ich einmal, nur einmal dir nicht gehorche. Ich muß reden, mein Gewissen treibt mich dazu. Du willst etwas tun wider Recht und Ordnung des Reiches – um meinetwillen, aus Liebe zu mir. O wie danke ich dir für deine Liebe! Du weißt, daß auch ich dich liebe, wie nur ein Sohn seinen Vater lieben kann. Aber deshalb darf ich nicht, ich darf nicht zusehn, wie du für mich zugrunde gehst. Du kannst den Kampf nicht bestehn, den du ausfechten willst. Das glaubt jeder, der's mit dir wohlmeint, nur du nicht. Ach, ich bitte dich, von Herzen bitte ich dich, laß uns aus dem Wege schaffen, was den Frieden hindert. Laß mich entsagen, damit Friede werden kann zwischen dir und dem Grafen!«
Während Klaus diese Worte hervorstieß, war Herr Barthold fast ebenso tief erblaßt, wie sein Sohn. Mit weitgeöffneten Augen lehnte er sich, auf sein Schwert gestützt, vorwärts und starrte dem hocherregten jungen Manne ins Gesicht, als zweifle er an seinem Verstande.
»Was soll das heißen? Was willst du tun?« fragte er endlich mit heiserer Stimme.
»Verzichten will ich auf das Erbe, das mir von Rechts wegen nicht gehört!« rief Klaus. »Ich will nicht, daß ein Krieg entsteht und Blut fließt um meinetwillen. Ich will nicht, daß du in Schmach und Tod gehst, wie der fränkische Ritter, den sie in Gotha hingerichtet haben. Ich will allem Hader ein Ende machen, und ich bitte dich, Vater, um Gottes willen, daß du mir das erlaubst.«
Herr Barthold sah mit sprühenden Augen seinem Sohne ins Gesicht. »Und wenn ich's nicht erlaube?«
»Dann«, entgegnete Klaus fest, »dann muß ich tun, was ich für recht halte und meinen Verzicht aussprechen wider deinen Willen. Gott wird mir die Sünde verzeihen, daß ich gegen meines Vaters Gebot handle.«
Bei diesen Worten nahm des Ritters Antlitz einen geradezu furchtbaren Ausdruck an. Es schien wie in Blut getaucht, schwere Zornesadern wölbten sich auf seiner Stirn, und seine Augen flammten. Er sprang mit einem Satze auf Klaus zu und seine Hand krallte sich in das Wams auf seiner Brust. »Bube! Willst du deinen Vater zum Gelächter machen? Habe ich das um dich verdient? Willst du mir trotzen? Sage sofort, daß du gehorchen willst!«
»Darin kann ich dir nicht gehorchen!« rief Klaus dagegen. »Vater, höre mich, ich bitte dich!« Aber Herr Barthold schnitt ihm mit einem Wutschrei das Wort ab.
»Gehorchen sollst du!« brüllte er. »Gehorchen soll der Sohn dem Vater. Das ist Gottes Gebot. Gib mir dein Wort, daß du wider meinen Willen nichts tun und reden willst! Ich fordere es, ich, dein Vater!«
»Ich kann nicht. Ich kann und darf nicht!« rief Klaus und sank auf die Knie. »Vater, ich flehe dich an, laß mich verzichten!«
»Du kannst nicht?« schrie Herr Barthold. »So? Du willst mir also Trotz bieten? Nun, mein Söhnchen, ich will dir dazu helfen, daß du zur Besinnung kommst. Noch einmal: Dein Wort, daß du nichts tust ohne meinen Willen!«
Klaus schüttelte traurig das Haupt, während er sich von den Knien erhob. Da sprang Herr Barthold mit einem Satze nach der Tür, stürzte hinaus und schlug sie zu.
»So, mein Sohn!« knirschte er draußen, während er den starken Eisenriegel vorstieß. »Hier bleibst du, bis du Vernunft angenommen hast. Bei meinem Eide, ich will dich lehren, meinem Willen zu gehorchen!«
Er stürmte davon, Klaus hörte seine Schritte die Treppe hinunter poltern und vernahm noch, wie er unten eine Tür schmetternd zuwarf. Dann ward es still. Der Junker stand zuerst da, als träume er. War das möglich? Er war ein Gefangener, der Gefangene seines Vaters? Wie einen Reiterjungen, der Unfug angerichtet, hatte sein Vater ihn eingesperrt. Alles Rütteln an der starken, eisenbeschlagenen Tür nützte nichts, das wußte er von vornherein. Deshalb machte er gar keinen Versuch, sich selbst zu befreien, sondern ließ sich stumm auf der Bank nieder, und mit Schmerz und Groll im Herzen starrte er finster vor sich hin.
Was sollte nun werden? Sein Vater gab nicht nach, das wußte er jetzt. Es war dem alten Eisenkopfe wohl zuzutraun, daß er ihn gefangen hielt, und wenn es Jahr und Tag dauerte. Dann nützte sein Entsagen nichts mehr. Konnte er dem Grafen von Hohnstein nicht in den nächsten Wochen Kunde geben von seinem Verzichte, so ward es zu spät. Dann wurde der Vertrag abgeschlossen, und ein römischer Kirchenfürst wurde Oberlehnsherr über den Bodenstein. Wenn sich dann sein Vater nicht unterwarf, so konnte das schwerste Unheil über ihn selbst und das ganze Haus kommen. Und wie war es zu denken, daß der Ritter vor dem so bitter gehaßten Pfaffen von Mainz zu Kreuze kriechen würde!
Klaus stöhnte bei diesem Gedanken und sprang jäh von seinem Sitz empor. Wie ein Wahnsinniger rannte er in dem Gemach auf und nieder und rang die Hände und wußte nicht, ob er beten oder fluchen sollte.
Plötzlich aber stand er still. Ein scharfer, heller Ton klang durchs Fenster herein. Man läutete die kleine Glocke, die neben dem Tore hing. Damit pflegte der Burgherr den Knechten das Zeichen zu geben, daß sie sich auf dem inneren Burghof zu versammeln hätten. Irgend etwas Wichtiges, Ungewöhnliches mußte vorgefallen sein.
Da klirrte der Riegel, die Tür flog auf, und Barbara stand auf der Schwelle, schneebleich bis in die Lippen. »Ich weiß alles! Fliehe, so schnell du kannst!« stieß sie mit fliegendem Atem hervor. »Dein Vater schäumt und tobt unten. Er will dich gefangen halten, bis du nachgibst. Eben läßt er die Leute zusammentreten. Keiner soll dir helfen, aus der Burg zu kommen, bis du gehorchst. Noch ist es Zeit, durch das hintere Pförtchen –«
Sie brach ab, preßte die Hand aufs Herz und wankte, als ob sie ohnmächtig hinsinken wolle. Klaus fing sie in seinen Armen auf und zog sie an seine Brust. Einige Augenblicke lag ihr Haupt mit geschlossenen Augen an seiner Schulter, aber sie raffte sich sogleich wieder auf und entwand sich seiner Umarmung.
»Flieh, flieh!« rief sie in höchster Angst. »Jetzt ist keine Zeit zu verlieren! Um Gottes willen flieh!«
Klaus setzte sich Herrn Bartholds Eisenhaube aufs Haupt und umgürtete sich eilig mit dem Schwerte. Helm und Schwert hatte er unten liegen lassen, im übrigen war er gestiefelt und gespornt.
»Du hast recht!« rief er hastig. »Es ist die höchste Zeit. Leb wohl, Liebste, Liebste! Tausend Dank. Du hörst von mir. Ich reite zu Bertram nach dem Scharfenstein, dann zum Herzog.«
Noch einmal preßte er sie an sein Herz, dann stürmte er den Korridor entlang, die Stiegen hinunter und gewann ohne jeden Anstoß durch das Hinterpförtchen das Freie. Er eilte durch den Burggraben um die Hauptburg herum nach dem Hofe der Vorderburg. Dort war alles leer, nur der Torwächter lehnte an seinem Spieß. Er durfte seinen Posten unter keinen Umständen verlassen, und war deshalb nicht mit über die Zugbrücke nach der inneren Burg gegangen.
Auch im Pferdestalle war kein Mensch. Klans zog seines Vaters riesigen Goldfuchs aus dem Verschlag, legte ihm selbst in fieberhafter Eile Sattelzeug, Zaum und Gebiß an und führte ihn in den Hof. Er schwang sich auf, der Wächter öffnete ihm das Tor, und als ein Flüchtling ritt Junker Klaus aus der Burg seines Vaters hinweg, einem ungewissen Schicksal entgegen.