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Es kostete Herrn Martin von Hanstein keine allzu große Mühe, den welschen Arzt seinem Plane geneigt zu machen. »Bedenkt Ihr's recht«, sagte er zu ihm, »so ist die Sache für Euch ohne jede Gefahr. Ihr schiebt alles auf mich, sagt, ich hätte Euch die Frau empfohlen. Wer sie ist, könnt Ihr ja auch nicht wissen, denn wie könnt Ihr die Frau von Wintzingerode kennen? Wer kann etwas Arges dabei finden, daß Ihr meiner Empfehlung folgt?« Damit griff er in die Tasche und hielt ihm eine Handvoll Goldflorentiner vors Gesicht. Das wirkte. Der Italiener stierte lüstern auf das Gold wie der Fuchs nach der offenen Tür eines Hühnerstalles. »Gebt Ihr mir Euer Wort als Edelmann, daß Ihr alles auf Euch nehmt?« fragte er. Hanstein schwur mit aufgereckter Hand. »So sei es denn! Ich werde die Frau an das Lager des Junkers führen. Er hat schon hin und wieder lichte Stunden. Wohl möglich, daß er bald ganz aus seiner Betäubung aufwacht.«
So kam es, daß einige Stunden später Frau Käthe an dem Lager ihres Gatten saß. Der trübe Schein einer Öllampe fiel auf das Antlitz Herrn Bartholds, der im tiefen Schlafe lag. Still mit gefaltenen Händen lehnte sie in ihrem Stuhl und betrachtete unverwandt die Züge des geliebten Mannes. Der starre Schmerz, der in den letzten Tagen und Nächten wie mit eisernen Krallen ihr Herz zusammengeschnürt hatte, löste sich in milde Wehmut auf. Wie sie so dasaß in der Stille der Nacht, und wie die Stunden verrannen, zogen alle die Jahre an ihrer Seele vorüber, die sie an ihres Mannes Seite verlebt hatte. Sie dachte der Tage, da sie als junge Frau auf dem Bodenstein eingezogen war. Damals hatte ihres Mannes Herz noch sehr an der andern gehangen, die er vor ihr geliebt und die ihm der Tod entrissen hatte, aber sie hatte gar bald den Weg zu seinem Herzen gefunden, und die achtungsvolle Freundlichkeit, womit er ihr im Anfang entgegengetreten war, hatte sich bald in Liebe verwandelt, in eine starke, treue Liebe, die nicht viel Worte machte, aber mit jedem Jahr inniger und fester wurde. So war sie eine glückliche Frau gewesen durch ihn alle die Jahre lang. Eine Menge kleiner Züge, durch die er ihr seine Liebe erwiesen hatte, tauchten in ihrer Erinnerung auf, aber es war ihr dabei, als läge das alles unendlich weit dahinten, als sei sie schon gestorben und dächte nun in der Grabesruhe an ihr verwehtes Erdenleben zurück.
Ein dumpfer Laut des Kranken ließ sie aus diesem Traumzustande erwachen. »Wasser!« rang es sich stöhnend von Herrn Bartholds Lippen.
Sie eilte zu ihm hin und hielt ihm das irdene Trinkgefäß mit zitternden Händen an den Mund. Er griff heftig danach und sog es gierig leer, ohne sie anzusehen. Erst als sie die Schale hinsetzte, schlug er die Augen auf, und ein unbeschreiblicher Ausdruck des Staunens, der Freude und der Bestürzung zeigte sich in seinen Mienen. Er war wach, war bei Sinnen und hatte sie erkannt. Mit einem Ruck fuhr sein dicht verbundenes Haupt aus den Kissen empor. »Träume ich? Wo bin ich? Käthe, Frau, du hier?«
»Um Gottes willen, still!« flüsterte Frau Käthe, »daß uns niemand hört! Ich habe mit Hansteins Hülfe den Arzt des Kurfürsten bestochen. Als Krankenwärterin haben mich die Wachen hereingelassen.«
Herr Barthold legte sich zurück und schwieg einige Augenblicke. Dann sagte er mit schwacher, aber klarer Stimme: »Ich danke Gott, daß er mich so große Treue in der Welt hat finden lassen, und dir, daß du mir solche Treue gehalten hast!« Aber gleich fuhr er wieder auf: »Wie ist das? Wie konntest du aus der Burg kommen? Ist der Bodenstein nicht belagert? Ist er gefallen?«
Frau Käthe drückte ihn sanft in die Kissen nieder und erzählte alles, was sie von Hanstein wußte, von dem Mißgeschick des Kurfürsten, dem bösen Wetter, das eine Beschießung der Burg bisher verhindert hatte, und von der Geldverlegenheit, in der sich der Kurfürst befinde. »Martin von Hanstein meint, er könne sein Fähnlein keine vier Wochen mehr beisammenhalten. Schon jetzt fehle der Sold, und die Knechte wären schon außer Rand und Band.«
Herr Barthold hörte still zu, aber seine Augen glänzten. Als sie geendet hatte, tat er einen tiefen Atemzug. »Laß mich eine Weile nachdenken«, sagte er. »Es wird mir schwer, meine Gedanken zu sammeln.«
Frau Käthe setzte sich still auf den Bettrand, indem sie seine Hand in der ihren behielt. So saß sie lange, bis endlich Herr Barthold das Schweigen brach.
»Es ist Gottes Hand, die dich zu mir geführt hat«, sagte er, »du kannst hier nicht bleiben, aber du kannst das Größte für mich tun, wenn du auf den Bodenstein zurückkehrst. Einen anderen sicheren Boten habe ich ja nicht, werde ihn wohl auch nicht finden. Sage Klaus, er solle die Burg an Bertram übergeben. Gegen Bertram findet der Mainzer Pfaffe von keiner Seite Hülfe. Im Gegenteil, wenn er ihn aus dem Erbe werfen will, wird sich der Adel dazwischenlegen, und die Braunschweiger Herzöge werden das nie dulden. Also hörst du, sofort soll Bertram die Burg besetzen, sofort! Denn mich rettet das vor dem Ärgsten, vor der Folter.«
Frau Käthe unterdrückte mit Mühe einen lauten Schrei. Sie warf sich über ihn und umfaßte ihn mit zitternden Händen.
»Der Kurfürst will den Bodenstein bedingungslos haben und ihn selbst in der Hand behalten«, fuhr Barthold fort. »Er wird mich also mit allen Mitteln zu zwingen suchen, meinem Sohne die Übergabe an ihn zu befehlen. Dabei würde er auch vor der Tortur nicht zurückschrecken, das weiß ich. Sitzt aber Bertram schon drin, so kann man mir nichts mehr abzwingen und abpressen. Dann wird man mich einfach in festem Gewahrsam halten, ohne mich weiter zu quälen, und mir eines Tages den Kopf vor die Füße legen.«
»Barthold!« stöhnte Frau Käthe. »Sprich nicht so, du brichst mir das Herz.«
»Vielleicht ist es noch abzuwenden. Klaus soll sofort nach Wolfenbüttel und Grubenhagen reiten, damit die Herzöge für mich beim Kurfürsten vorstellig werden. Bertram soll Hessen und Schwarzburg für mich in Bewegung bringen. Der Landgraf nimmt sich bedrängter Glaubensgenossen gern an, und der biedere Graf Johann Günther schämt sich seines Vetters, des Hohnsteiners, und war mir immer gewogen.«
»Könnte nicht Bünau den Kurfürsten von Sachsen bitten, für dich ein gut Wort einzulegen?«
»Nein«, unterbrach sie Barthold. »Da ist nichts zu machen. August von Sachsen hilft keinem, der zu den Ernestinern gestanden hat. Es kann eher wundernehmen, daß er Bünau die Heirat mit meiner Tochter nicht nachgetragen hat. O Gott« – ächzte er – »wie wird mir – ich bin so schwach –«
Frau Käthe schob ihm liebevoll die Hand unter das Haupt, während er mit geschlossenen Augen dalag und leise röchelte. Große Tränen fielen auf ihn herab, aber er fühlte es nicht.
Endlich öffnete er die Augen wieder und begann auch gleich hastig zu sprechen: »Jetzt lösen sie draußen die Wachen ab, hörst du das Getöse? Dann kommt bald der Arzt. Mit dem gehst du fort. Zu Hanstein. Er soll dich aus der Stadt bringen. Danke ihm –« Er brach ab. Dann mit größter Anstrengung, keuchend, stoßweiße brachte er noch hervor: »Lebe wohl, mein liebes Weib. Weiß nicht, ob ich dich wiedersehe. Für dich ist gesorgt, auch für die Kinder – Klaus hat Immingerode. Er soll zum Wolfenbütteler Herzog gehen – Barbara heimführen – bald – Gottes Segen über ihn – Segen über dich – über euch alle – –«
Ohnmächtig fiel er in die Kissen zurück. Frau Käthe kniete schluchzend am Lager des Bewußtlosen, bis der Arzt kam und sie wegführte. –
Mit tiefer Teilnahme hörte Hanstein ihren Bericht. »Sogleich lasse ich Euch aus der Stadt bringen. Im Wagen, nicht zu Roß, denn Ihr müßt todmüde sein. Und darüber seid ruhig: Die Tortur kann bei Eurem Manne nicht angewandt werden. Euer Mann ist kein Ächter, wie Wilhelm von Grumbach. Das wagt der Kurfürst doch nicht. Überdies ist eine Entfremdung eingetreten zwischen ihm und dem Hohnsteiner. Der Graf ist gereizt, weil Bertram das Lehn nicht haben soll, er hat wohl schon einen Haken in seinem Bunde mit dem Pfaffen gefunden. Und ohne des Grafen Willen können sie Euern Mann nicht richten, nicht einmal peinlich befragen.«
Mit diesem Trost fuhr Frau Käthe aus der Stadt. –
In einer Frühstunde des drittnächsten Tages – es war der einundzwanzigste Juni – öffnete sich plötzlich die Tür des Gemaches, in dem Herr Barthold lag, und Pater Bacharell trat ein. Der Ritter löffelte gerade seine magere Morgensuppe und blickte verwundert den unbekannten Priester an, der ihn freundlich begrüßte und sich dann ohne weiteres auf dem Stuhl neben seinem Lager niederließ.
»Wer seid Ihr, und was wollt Ihr von mir?« fragte er verdrossen.
»Ich bin Ludwig Bacharell, des Kurfürsten Beichtvater und geheimer Rat und möchte mit Euch vertraulich reden.«
»Ach der!« rief Barthold und betrachtete ihn aufmerksam. »Ihr seid der Pater Bacharell? Wunderlich! Ich kenne den Pater nicht von Angesicht, von Euch aber möcht' ich wetten, daß Ihr mir schon einmal vor die Augen gekommen seid! Wo war das nur?«
Der Pater neigte das Haupt. »Ihr redet recht, doch war's an keinem glücklichen Tage. Laßt das jetzt beiseite! Ihr sollt in einer Stunde in Gegenwart Seiner Gnaden verhört werden. Laßt uns diese Stunde noch für das Heil Eurer Seele ausnützen!«
Herr Barthold lachte spöttisch. »Wollt Ihr mich bekehren? Das laßt lieber unterwegs! Spart Euch die unnützen Worte!«
»Daß Ihr um Euer Seelenheil wenig sorgen würdet, dachte ich mir schon. Vielleicht aber kümmert Ihr Euch doch darum, wenn ich Euch zu bedenken gebe, wie sehr das Heil Eures Leibes von dem Eurer Seele abhängt«, sagte der Pater ruhig und würdevoll.
»Was soll das heißen? Ich verstehe Euch nicht.«
»Laßt mich Euch erst einmal klar und deutlich sagen, welcher Art Eure Lage ist«, antwortete Bacharell. »Ihr seid gefangen im Kampfe wider Euern Lehnsherrn, den Grafen von Hohnstein, und wider Euern Oberlehnsherrn, den Kurfürsten von Mainz. Ihr habt einen Mordanschlag gemacht gegen einen der ersten Reichsfürsten, Euern Herrn, und seid dabei gefangen worden. Bei demselben Fürsten seid Ihr auch noch hart verklagt wegen Mordes, verübt an einem Förster, den Ihr auf Hohnsteiner Grund und Boden niedergeschossen habt. Ihr seid wohl nicht im Zweifel darüber, daß Euch das kurfürstliche Gericht für jedes einzelne dieser Verbrechen zum Tode verurteilen wird.«
»Ich protestiere gegen das Gericht des Kurfürsten! Habe ich gefehlt gegen die Ordnung des Reiches, so klage man mich an beim Kammergericht der kaiserlichen Majestät. Nicht den Hohnsteiner und nicht den Mainzer erkenne ich als meine Herren an!« rief Barthold trotzig.
»Sie werden sich um Eure Anerkennung blutwenig kümmern!« versetzte Bacharell. »Werter Junker von Wintzingerode, ich bitte Euch dringend um Eurer selbst willen, täuscht Euch nicht über Eure Lage. Ihr seid doch wahrlich alt genug, um zu wissen, wie die Welt wirklich ist. Selbst wenn Ihr im Rechte wäret, so seid Ihr in der Hand Eurer Feinde, und niemand kann Euch retten vor Folter und Tod.«
»Seid Ihr gekommen, mir das zu sagen?« fragte der Ritter finster.
»Ich bin gekommen, Euch zu zeigen, wie Ihr selbst Euch retten könnt.«
»Ihr?« rief Herr Barthold. »Ich dächte, für einen, der das schwarze Gewand trägt, müßte mein Tod eine Wonne sein!«
»Ihr habt Euch in Eurem Haß ein falsches Bild von den Vätern der Societas Jesu entworfen«, erwiderte der Pater kalt. »Wir, insbesondere ich, hassen die Gewalt. Ich will das Blutvergießen vermeiden, wo es möglich ist. Habt ein Zeugnis dafür! Ich habe den Kurfürsten überredet, Eure Kumpane hier in Heiligenstadt zu begnadigen. Sie sind um eine geringe Summe gebüßt worden, sonst ist ihnen nichts geschehen. Zweifelt Ihr an meinen Worten, so könnt Ihr sie sehen. Nun seid Ihr ja freilich viel schuldiger denn sie, denn Ihr seid der Anstifter und Rädelsführer. Trotzdem getraue ich mich, den Tod durchs Schwert und die Tortur von Euch abzuwenden, wenn Ihr in richtiger Schätzung Eurer Lage auf das eingeht, was ich Euch vorschlage.«
»Eure Vorschläge kann ich unschwer erraten. Ich soll meinem Sohne befehlen, Euch den Bodenstein auszuliefern.«
Bacharell nickte. »Ihr habt's getroffen. Ich will Euch auch sagen, warum dem Kurfürsten so viel daran liegt, das Schloß auf gütlichem Wege zu bekommen. Als ein Fürst der Kirche will unser gnädiger Herr vermeiden, daß viele tapfere Männer ihr Leben verlieren, wie es bei der Beschießung und Bestürmung einer festen Burg nicht zu umgehen ist.«
Barthold schüttelte den Kopf. »Versucht nicht, mich zu täuschen, Herr Pater«, entgegnete er. »Auf das Leben einiger Soldknechte kommt es Eurem Herrn nicht an. Aber er kann sein Kriegsvolk nicht mehr lange bezahlen, denn es fehlt an Geld. Zudem mag er die Burg nicht erst zerschießen, die er für sich behalten will.«
»Nehmt das immerhin an«, sagte Bacharell gelassen. »Auf Eure Meinung kommt es unserem gnädigen Herrn nicht an. Für Euch aber ändert das nicht das geringste. Ihr seid in seiner Hand so oder so, und wenn Ihr Euch der Übergabe weigert, so wird man Euch zu zwingen wissen. Warum wollt Ihr Euch auf der Folterbank erst die Glieder verrenken lassen? Gebt freiwillig den Befehl, so macht Ihr Euch frei von Tortur und Schafott!«
Der Ritter blieb eine Weile stumm. »Mein Sohn wird keinem Boten Glauben schenken, wenn ich ihm den Befehl auf die Burg schickte«, sagte er dann. »Ich müßte am besten meine Frau unter freiem Geleit hierher kommen lassen, damit sie aus meinem Munde den Befehl empfinge.«
Des Paters Augen glänzten. Ein triumphierendes Lächeln glitt über sein Gesicht. Also der trotzige Junker wurde zahm und wollte nachgeben! Das hätte er kaum erwartet, denn er kannte den eisenharten Sinn dieses Mannes. Ja die Furcht vor der Folter, dachte er bei sich, macht doch auch den Starrsten geschmeidig! Laut aber sagte er: »Unser gnädiger Herr wird Eurer Ehefrau mit Freuden sicheres Geleit gewähren. Es sollen sofort Kuriere abgehen nach dem Bodenstein.«
Ein Blitz der Freude zuckte aus Herrn Bartholds Augen. So war es denn seiner Frau gelungen, unbemerkt aus Heiligenstadt zu entkommen. Das hatte er wissen wollen. Dann war Bertram höchstwahrscheinlich bereits Herr der Burg, die Pfaffen wußten's nur noch nicht. »Ich will mir's doch noch einmal überlegen«, sagte er.
Das Gesicht des Paters verfinsterte sich augenblicklich. »Ich rate Euch, sinniert nicht zu lange! Die Tortur ist ein böses Ding!« rief er scharf.
Herr Barthold erwiderte ruhig: »Ihr schreckt mich nicht. Große Qualen werdet Ihr mir nicht mehr antun können, denn ich bin ein kranker, gebrochener Mann und sterbe bald dem Henker unter den Händen. Und vor dem Tode graut mir nicht, ich sterbe gern. Lieber will ich tot sein, als im Kerker verfaulen.«
»Auch zur Freiheit fände sich wohl ein Weg«, sagte Bacharell.
»Und welcher?«
»Demütigt Euch vor unserem gnädigen Herrn. Leistet ihm Abbitte und kehrt in den Schoß unserer heiligen, christkatholischen Kirche zurück.«
Herr Barthold blickte ihn fast mitleidig an. »Fiebert's Euch?« fragte er. »Euer Herr kann mich schinden und töten lassen – einen Schrei um Gnade wird er nie aus meinem Munde hören. Und wenn Ihr wüßtet, wie ich über Eure Kirche denke, so würdet Ihr kein Wort an mich richten, das vom Übertritt handelt.«
»Ihr haßt sie, ich weiß es«, entgegnete Bacharell. »Und warum haßt Ihr sie? Weil Ihr sie nicht kennt.«
Herr Barthold lachte höhnisch. »Ich bin im Papsttum erzogen und war zweiundzwanzig Jahre alt, als ich den römischen Greuel in meinem Gericht abschaffte. Glaubt mir, ich kenne Eure Kirche von Grund aus. Ich habe nichts vergessen von dem, was ich in der Jugend gesehen und erlebt habe!«
»Und dennoch kennt Ihr sie nicht!« rief der Pater. »Ich leugne nicht, daß vor vierzig oder fünfzig Jahren die Kirche Christi ein vielfach siecher Leib war. Aber sie hat sich erneuert. Von Hispanien aus ist ein neuer Geist in die Kirche eingezogen. Der große, heilige Gottesmann Ignatius hat ein Geschlecht von Priestern erweckt und erzogen, die in Reinheit wandeln, unter denen Ihr keine Schlemmer und Bauchesdiener findet, wie ehedem unter den Mönchen. Und wir, die wir ihm nachfolgen, haben der ganzen Kirche ein anderes Gepräge gegeben, und durch uns wird sie die ganze Welt erobern!«
»Euch persönlich, Herr Pater«, sagte Barthold nach einigem Besinnen, »Euch muß ich wenigstens nachrühmen, daß Ihr an Schandtaten keinen Gefallen habt. Das habt Ihr neulich bewiesen meiner Tochter gegenüber, und das danke ich Euch. Der große, heilige Gottesmann Bunthe scheint dagegen von dem neuen, heiligen Geist noch nicht so ergriffen zu sein. Doch an meinem Glauben ändert die Achtung, die ich der Tat eines einzelnen Priesters zolle, nicht das mindeste. Ich kenne die Heilige Schrift, Gottes lauteres Wort. Da steht geschrieben, daß unser Heiland sein Blut vergossen hat, um uns von Sünde und Teufel zu erlösen, und daß wir selig werden durch den Glauben an ihn. Darauf lebe ich, und darauf will ich sterben. Der römische Papst aber und seine Gesellen lehren, daß man nicht durch den Herrn selig werden soll, sondern durch den Gehorsam gegen den Statthalter Christi und seine Priester und seine Kirche. Darum ist er der Antichrist und bleibt es auch. Ihr mögt leben, wie Ihr wollt, und sagen, was Ihr wollt . .«
Der Pater bekreuzte sich. »Ihr redet kühn! Ob Ihr wohl auch noch so sprecht, wenn Ihr ein Jahr im Gefängnis gesessen habt?«
»Was auch über mich komme, davon wird mich niemand abwendig machen!« rief Herr Barthold mit starker Stimme. »Ich fürchte mich nicht vor denen, die den Leib töten. Auch um die Freiheit ist mir das Evangelium nicht käuflich!«
Hier wurde die Unterredung unterbrochen. Ein Page des Kurfürsten kam, keuchend von eiligem Laufen, in das Gemach gestürzt und rief, sich hastig vor Bacharell verneigend: »Seine Gnaden sendet mich. Ihr sollt sogleich zum gnädigen Herrn kommen.«
»Ist etwas vorgefallen?« fragte der Pater bestürzt.
»Ich weiß es nicht, ehrwürdiger Vater. Der Junker von Hanstein hat unserem gnädigen Herrn Briefe gebracht und ist noch bei ihm im Gemach. Es scheint üble Zeitung. Der Herr redete heftig.«
Bacharell wandte sich dem Ausgang zu. »Das Weitere zu gelegenerer Zeit!« rief er und neigte das Haupt kaum merklich gegen den Ritter.
Als er drüben im Stift anlangte, fand er das Vorzimmer des Kurfürsten dichtgedrängt voll Menschen. Es waren die Räte und Rittmeister und Priester, die der Kurfürst eingeladen hatte, dem Verhör des Junkers von Wintzingerode beizuwohnen. Bunthe und Stralendorf waren drinnen beim Kurfürsten.
Als der Pater eiligen Schrittes in das Gemach eintrat, sah er seinen Herrn mit zornbleichem Gesicht vor dem Tische stehen, auf dem ein Schreiben lag. Hinter ihm standen seine beiden Landkommissare mit verstörten Mienen, an der Tür der alte Ritter Martin von Hanstein.
»Bacharell!« rief der Kurfürst. »Eine unglaubliche Nachricht! Die Junker Bertram und Hans von Wintzingerode haben sich erfrecht, den Bodenstein in Besitz zu nehmen!«
»Was?« rief der Pater. »Was soll das heißen?«
»Lest selbst!« Der Kurfürst warf ihm das Schreiben mit einer wütenden Bewegung zu. Bacharell nahm es auf und las, und immer blasser wurde sein Gesicht. Die Junker von Wintzingerode teilten dem Kurfürsten mit, daß nach einem wohlbeglaubigten letzten Willen Herr Barthold von Wintzingerode, ihr Vetter, sie zu Herren des Bodensteins eingesetzt habe, falls er sterben oder gefangen werden solle. Der Fall sei eingetreten, und sie hielten sich des Einverständnisses ihres Lehnsherrn, des Grafen von Hohnstein, für versichert. Sie bäten Seine kurfürstliche Gnaden, ihnen nicht zuwider zu sein, sondern die Belehnung gnädigst zu gewähren, damit sie nicht gezwungen seien, den Schutz von Braunschweig anzurufen. Wenn der Kurfürst ihnen willig lassen wolle, was ihr und aller derer von Wintzingerode unzweifelhaftes Recht sei, so wollten sie ihm allzeit treu, hold und gewärtig sein.
Bacharell ließ das Blatt sinken. »Wo ist der Graf von Hohnstein?«
»Der Graf läßt Seiner kurfürstlichen Gnaden durch mich vermelden, daß er vor ein paar Stunden in unaufschiebbaren, dringenden Geschäften nach Scharzfeld abgeritten ist«, sagte Hanstein.
»Dann weiß und billigt er es«, murmelte Bacharell.
»Wie kommt's, daß Ihr diese Nachricht überbringt, Junker von Hanstein?« fragte der Kurfürst heftig. »Seid Ihr ein Freund dieser Rebellen?«
»Das bin ich auch«, sagte Hanstein fest. »Zudem bin ich ihr Blutsverwandter. Doch nicht als solchen hat Bertram mich angerufen, sondern er wendet sich an mich als den Vertreter der Eichsfelder Ritterschaft. Er begehrt, daß die Ritterschaft zwischen Euch und ihnen vermittele. Und ich bitte Euch, gnädiger Herr, seht von Schritten gegen die beiden Wintzingerode ab. Ich bitte Euch im Namen der ganzen Landschaft.«
»Schon gut, schon gut, Herr von Hanstein. Tretet jetzt ab! Ich will die Sache mit meinen Räten bedenken«, erwiderte der Kurfürst und verabschiedete den alten Edelmann mit einer ungnädigen Handbewegung.
Als Hanstein gegangen war, entstand eine lange, schwüle Stille. Endlich fragte der Kurfürst: »Was meint Ihr, Bacharell? Sprecht Euch ohne Rückhalt aus!«
»Gute Miene zum bösen Spiel machen, gnädiger Herr«, gab der Pater zur Antwort. »Es bleibt Euch gar nichts anderes übrig. Ihr steht nicht mehr gegen Barthold von Wintzingerode im Felde, sondern gegen seine Vettern. Das gibt der Sache ein ganz anderes Gesicht. Was früher für Euch war, wird gegen Euch sein. Der Hohnsteiner hat Euch schon verlassen. Wollen wir gerecht sein, so müssen wir sagen: Er konnte nicht anders um seiner Ehre willen. Ihn werdet Ihr rasch versöhnen, wenn Ihr die Gebrüder im Lehn bestätigt. Sonst erregt Ihr überall Feindschaft und Argwohn. Braunschweig wird offen gegen uns sein, Hessen und Sachsen werden stutzig. Dazu sind unsere Kassen leer, und die Landschaft hilft uns nicht. Das ist das Schlimmste. Ohne Beistand der Ritterschaft können wir keine drei Tage die Burg belagern, denn die Zufuhr würde uns fehlen.«
»Wir müßten versuchen, die Landschaft zu zwingen!« warf der Kurfürst ein.
»Das dürfte sehr schwer halten, gnädiger Herr. Der Adel des Landes ist ja so miteinander verschwägert und verwandt, daß er einer Filzdecke gleicht. Da zieht keiner gegen den andern ein Schwert, außer wenn ihn der andere persönlich gekränkt hat. Und gerade diese beiden Wintzingerode sind beliebt bei jedermann. Die schloßgesessenen Herren werden sich weigern Mann für Mann, wenn Ihr sie gegen die beiden aufrufen wollt.«
»Wolle Eure Gnaden mir ein Wort gestatten!« fiel jetzt Bunthe ein. »Ich meine, die aufgeblasenen Junker kriechen alle zu Kreuze, wenn Ihr ihnen Ernst und Strenge zeigt. Entbietet die gesamte Ritterschaft hierher, gnädiger Herr, und laßt vor ihren Augen dem gefangenen Rebellen und Landfriedensbrecher auf dem Hochgericht das Haupt abschlagen. Ihr werdet sehen, wie sie Euch im ersten Schrecken über solche Justiz alles bewilligen.«
»Was meint Ihr, Bacharell?« fragte der Kurfürst.
»Das Leben des Junkers von Wintzingerode ist ohne Zweifel dem Henker verfallen. Er hat den Tod verdient, und wir haben keinen Grund, ihn zu schonen, denn er ist für uns wertlos geworden. Ich würde also den Vorschlag unseres lieben Propstes erwägen, wenn nicht seiner Ausführung eines entgegenstände, nämlich unser geheimer Vertrag mit dem Grafen von Hohnstein. Darin haben wir uns eidlich verpflichtet, dem Grafen das Gericht über den Junker zu lassen, ohne seinen Willen ihn nicht zu richten, nicht einmal peinlich zu befragen. Nun fordert ja wohl die ars politica, daß man einen Vertrag auch einmal bricht. Doch nur, wenn der Erfolg über allem Zweifel steht. Das ist hier nicht der Fall, wir wissen nicht, ob wir den Adel durch das Blutgericht nicht mehr schrecken oder mehr erbittern. Dagegen möchte ich Eurer Gnaden den wohlgemeinten Rat geben, den Wintzingerode unverzüglich von hier zu entfernen. Hier könnten immer ein paar tolle Junker oder auch die von Braunschweig versuchen, ihn zu befreien, und in die Freiheit darf er niemals wieder. Schafft ihn nach Mainz. Wo er bewahrt werden soll, darüber sagt der Vertrag nichts. Dort ist er uns sicher, hier ist er eine beständige Gefahr. Gelingt es uns, den Hohnsteiner Grafen uns wieder geneigt und gefügig zu machen – woran ich nicht zweifle –, so werden wir ohne Vertragsbruch das Recht erhalten, ihn hinzurichten. Es ist für uns besser, wenn der gefährliche Mensch von der Erde verschwindet. Wir werden uns dann seiner zu bequemer Zeit entledigen.«
Der Rat des klugen Paters drang auch diesmal bei dem Kurfürsten durch. Die Gebrüder von Wintzingerode auf dem Bodenstein erhielten ein gnädiges Schreiben. Barthold dagegen wurde am Morgen des andern Tages auf einem Wagen, dem ein Herold mit vier Trompetern voraufritt, während zwei Reiterfähnlein folgten, aus Heiligenstadt fort nach der kurfürstlichen Residenz am Rhein gebracht.