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Ner Bericht über Sir Arthurs verhängnisvolles Unternehmen hatte Oldbuck ein wenig abgebracht von seinem Vorsatz, Lovel auszufragen, zu welchem Zwecke er sich eigentlich in Fairport aufhalte. Nun aber war, er entschlossen, sein Verhör zu beginnen, »Fräulein Wardour kennt Sie schon von früher her, wie sie mir sagt, Herr Lovel?«
»Er hätte das Vergnügen gehabt,« antwortete Lovel, »sie bei Frau Wilmot in Yorkshire zu sehen.«
»Nanu! Sie haben mir davon noch gar nichts gesagt und haben Sie auch nicht wie eine alte Bekannte begrüßt.«
»Ich – ich wußte nicht gleich,« sagte Lovel in großer Verlegenheit, »daß es dieselbe Dame war, bis wir uns sahen, und dann war es doch meine Pflicht, zu warten, ob sie mich wiedererkennen würde.«
»Ich verstehe Ihr Zartgefühl. Der Ritter ist ein peinlich formeller alter Schafskopf, aber ich verspreche Ihnen, seine Tochter ist über all diese unsinnigen Zeremonien und Vorurteile erhaben. Und da Sie nun hier neue Freunde gefunden haben, darf ich Sie fragen, ob Sie Fairport auch nun noch so bald verlassen werden, wie Sie vorhatten?«
»Wie, wenn ich nun Ihre Frage durch eine andre beantworte?« versetzte Lovel. »Wie, wenn ich Sie frage, was halten Sie von Träumen?«
»Von Träumen, närrischer Junge? – ei, was sollt ich von ihnen halten? Für mich sind Sie Trugbilder der Phantasie, die sich einstellen, wenn die Vernunft die Zügel fallen laßt. – Ich kenne keinen Unterschied zwischen ihnen und den Halluzinationen des Irrsinns – in beiden Fällen gehen die unbewachten Pferde mit dem Wagen durch – nur ist im einen Fall der Kutscher betrunken, und im andern schläft er.«
»Dann sagen Sie mir,« fuhr Lovel fort, »wie geht das zu? Als ich noch nicht ganz schlüssig war, ein Unternehmen aufzugeben, das ich vorschnell vielleicht begonnen habe, ist mir gestern nacht im Traum Ihr Ahnherr erschienen und hat mir einen Sinnspruch gezeigt, der mich zur Ausdauer ermutigte. Warum sollen mir diese Worte in den Sinn gekommen sein, die ich mich nicht erinnern kann, je vorher gehört zu haben, die in einer mir unbekannten Sprache sich mir zeigte und die mir doch in der Übersetzung eine Lehre erteilt haben, die sich so klar auf meine Verhältnisse anwenden läßt?«
Der Altertümler brach in lautes Lachen aus.
»Entschuldigen Sie, mein junger Freund, aber so betrügen wir blöden Sterblichen uns selber und schauen draußen nach Beweggründen um, die doch nur in unserem eigenen launischen Willen entsprungen sind. Ich denke, ich kann Ihnen erklären, wie dieses Gesicht entstanden ist. Gestern nach Tisch waren Sie so tief in Gedanken versunken, daß Sie meine Debatte mit Sir Arthur nicht verfolgt haben, bis wir wegen der Pikten-Könige in Streit gerieten, der dann zu so jähem Abbruch kam. Aber ich erinnere mich, daß ich Sir Arthur ein von meinem Ahnherrn gedrucktes Buch gezeigt habe und daß ich ihn auf den Wahlspruch aufmerksam gemacht habe. Ihr Geist war anderswo, aber Ihr Ohr hat mechanisch die Worte aufgefangen und behalten, und Ihre geschäftige Phantasie, die obendrein noch durch das Ammenmärchen meiner Schwester Griselda außer Rand und Band gebracht worden war, hat diese Brocken deutscher Sprache in Ihren Traum verwebt. Daß der Verstand im Wachen nach einem so läppischen Umstand griff, als nach einem Vorwand und einer Entschuldigung, um bei einem Unternehmen zu beharren, das fortzuführen er keine bessere Berechtigung finden konnte – das ist eben weiter nichts als so ein Gaukelspiel oder Hokuspokus, wie es die Gescheitesten unter uns ab und zu spielen, um einer Neigung zu folgen auf Kosten des Verstandes.«
»Allerdings,« sagte Lovel, tief errötend, »ich glaube, Sie haben recht, Herr Oldbuck. Ich müßte wohl in Ihrer Achtung sinken, wenn ich einer so nichtssagenden Geschichte auch nur auf einen Augenblick Bedeutung und Wirkung in die Zukunft beimessen wollte; ich befand mich aber in einem Widerstreit von Gefühlen und Entschlüssen, und Sie wissen, ein wie leichtes Tau ein Boot zu ziehen vermag, wenn es auf den Wellen schwimmt, während ein Kabel es kaum ein Stückchen wegrücken kann, wenn es auf den Strand gezogen ist.«
»Recht, recht,« sagte der Altertümler, »in meiner Achtung fallen? Nicht ein bißchen – nur um so mehr habe ich Sie lieb, Mann – ei, nun haben wir jeder unser Märchen, und ich brauche mich nicht mehr so zu schämen, daß ich mich mit dem verflixten Prätorium da blamiert habe – aber ich bin immer noch fest überzeugt, daß Agricolas Lager hier in der Drehe herum gewesen ist. Und nun, Lovel, mein Junge, seien Sie offen zu mir, warum haben Sie Ihr Land und Ihren Beruf verlassen und halten sich hier so müßig in Fairport auf? Lust zum Faulenzen, fürchte ich.«
»Das stimmt auch,« sagte Lovel, indem er sich geduldig in ein Verhör fügte, dem er nicht gut ausweichen konnte. »Doch ich bin so von der Welt losgelöst, habe so wenige, an denen ich ein Interesse habe oder die an mir ein Interesse haben, daß eben dieser Zustand der Einsamkeit mich unabhängig macht. Wer so dasteht, daß es ihn ganz allein angeht, ob es ihm gut oder böse geht, der hat auch ein gutes Recht, sich seinem Schicksal ganz nach seinem Geschmack zu überlassen.«
»Verzeihen Sie, junger Mann,« sagte Oldbuck, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte und stehen blieb. » Sufflamina! ein bißchen verpusten! – Ich will annehmen, daß Sie keine Freunde haben, die an Ihrem Erfolg im Leben teilnehmen oder sich freuen würden, daß Sie nicht zurückblicken können auf die, denen Sie Dankbarkeit schuldig sind – noch auch vorwärts auf die, denen Sie Schutz gewähren sollen – aber es liegt Ihnen deswegen nicht weniger ob, stetig und unentwegt auf dem Pfade der Pflicht weiterzuwandeln – denn daß Sie tätig sind und mitarbeiten, das sind Sie nicht nur der Gesellschaft schuldig, sondern auch in demütiger Dankbarkeit dem Wesen, das Sie zu einem Mitgliede der Gesellschaft gemacht hat und Ihnen die Fähigkeiten gegeben hat, Ihnen selber und andern zu helfen.«
»Aber ich bin mir gar nicht bewußt, daß ich solche Fähigkeiten besitze,« sagte Lovel, ein wenig ungeduldig; – »ich verlange selber nichts von der Gesellschaft, als die Erlaubnis, harmlos meines Weges durchs Leben zu pilgern, ohne andere anzurempeln oder mich von andern anrempeln zu lassen. Ich bin keinem Menschen was schuldig – ich habe die Mittel, ein völlig unabhängiges Leben zu führen, und so bescheiden sind meine Wünsche in dieser Hinsicht, daß diese meine Mittel, wenn sie auch beschränkt, fast noch zu reichlich für mich sind.«
»Je nun,« sagte Oldbuck, nahm die Hand weg und ging weiter, »wenn Sie so durch und durch Philosoph sind, daß Sie denken, Sie hätten ja Geld genug, dann ist dazu nichts weiter zu sagen. Ich wüßte auch nicht, daß ich befugt wäre, Ihnen einen Rat zu geben. Sie haben die akme – die Höhe der Vollkommenheit erreicht. Und wie kam denn Fairport dazu, die auserlesene Wohnstätte so selbstverleugnender Philosophie zu werden? Es gibt in Fairport kaum einen, der nicht ein ausgesprochener Verehrer des goldenen Kalbes wäre – des ungerechten Mammons – ei, sehen Sie, Mann, selbst ich bin derartig von der schlechten Nachbarschaft angesteckt, daß ich mitunter Neigung verspüre, mit vor dieser Gottheit zu Kreuze zu kriechen.«
»Mein Zeitvertreib ist in der Hauptsache die Literatur,« antwortete Lovel, »und Verhältnisse, die ich nicht erwähnen kann, haben mich bewogen, den Militärdienst zu verlassen, und so habe ich mich denn in Fairport niedergelassen, weil ich an diesem Orte am wenigsten Störungen in meiner Beschäftigung ausgesetzt bin, wie sie der regere gesellschaftliche Verkehr in einer vornehmeren Stadt mit sich gebracht hätte.«
»Aha!« versetzte Oldbuck pfiffig. »Jetzt verstehe ich so langsam, in welchem Sinne Sie das Motto meines Ahnherrn anwenden. Sie sind einer, der sich um die Gunst des Publikums bewirbt, wenn auch nicht von jener Art, wie ich zuerst vermutete. – Sie haben den Ehrgeiz, als literarische Person zu glänzen, und Sie hoffen, Gunst zu verdienen durch Fleiß und ausdauernde Arbeit.«
Lovel fühlte sich durch die fast zudringliche Wißbegier des alten Herrn in die Enge getrieben und meinte, es sei das beste, ihn in dem Irrtum zu lassen, auf den er ganz ohne eigentlichen Grund nun wieder gekommen war.
»Zu Zeiten bin ich allerdings so töricht gewesen,« erwiderte er, »derartige Gedanken zu hegen.«
»Ach, armer Bursche! es gibt überhaupt nichts Traurigeres! Außer denn Sie hätten sich, wie das bei jungen Leuten manchmal so ist, in irgend ein albernes Frauenzimmer verliebt.«
Dann fragte er weiter, wobei er manchmal so freundlich war, sich seine Fragen selber zu beantworten. Denn von seinen antiquarischen »Stöbereien« her hatte dieser gute alte Herr eine wahre Wonne daran, aus Vermutungen, die oftmals gar keine feste Grundlage hatten, Theorien aufzubauen; und da er, wie der Leser schon bemerkt haben muß, ziemlich rechthaberisch war, so ließ er es sich nicht gern bieten, sich in faktischen Angaben oder in Urteilen berichtigen zu lassen, und sei es selbst von denen, die vor allem an den Gegenständen, über die er Betrachtungen anstellte, beteiligt waren. So fuhr er denn fort, sich Lovels literarische Laufbahn selber auszumalen. »Und womit wollen Sie den Anfang machen?« fragte er dann schließlich.
»Ich habe vorderhand noch nicht daran gedacht, etwas zu veröffentlichen.«
»Na, bloß keine solche Romanzen oder so einen Quark von Novellen! Sie mühten sich gleich auf erhabenen Boden stellen. Was meinen Sie zu einem echten Epos? zu dem altmodischen, aber großartigen historischen Gedicht, das zwölf oder vierundzwanzig Bande lang war – so etwas müßten wir machen – den Stoff will ich Ihnen verschaffen: Die Schlacht zwischen den Kaledoniern und den Römern – die Kaledoniade, oder der siegreich abgewehrte Einfall, so müßte der Titel sein! Das würde auch dem gegenwärtigen Geschmack entsprechen und Sie könnten damit einen Schlager machen.«
»Aber Agricolas Einfall ist ja nicht siegreich abgewehrt worden.«
»Nein doch, aber Sie sind ein Dichter – Sie können sich eine dichterische Freiheit erlauben und die Römer trotz Tazitus aufs Haupt schlagen lassen.«
»Und Agricolas Lager soll aufgeschlagen sein auf dem Kaim of – wie nannten Sie es doch gleich,« antwortete Lovel, »trotz Edie Ochiltree?«
»Nichts mehr davon, sofern Sie mich lieben! Und doch können Sie nach beiden Seiten hin das rechte treffen, trotz der Toga des Historikers und dem blauen Kittel des Bettlers.«
»Ein vortrefflicher Rat – wohl, ich will mein bestes tun! Sie werden mir freundlichst mit Ihrer Lokalkenntnis zur Hand gehen?«
»Ob ich will, Mann! Ei, ich schreibe die kritischen und historischen Noten zu jedem Gesange und werde den Plan zur Geschichte selber entwerfen. Ich habe selber poetische Begabung, nur habe ich es nie fertig gebracht, Verse zu schreiben. Mit meinem Namen möchte ich allerdings nicht an die Öffentlichkeit treten – im Vorwort kann ja der Dank für die Beihilfe eines gelehrten Freundes ausgesprochen werden, wie Sie das machen wollen – schriftstellerische Eitelkeit liegt mir durchaus fern.«
Diese Erklärung machte Lovel Spaß, denn sie stand in offenkundigem Widerspruch zu der großen Begierde, mit der der alte Herr eine Gelegenheit, an die Öffentlichkeit zu treten, ergriff. In der Tat war der Altertümler sehr erfreut, denn wie viele Männer, die ihr Lebenlang im Verborgenen literarische Untersuchungen betrieben haben, hegte er den geheimen Ehrgeiz, etwas drucken zu lassen und war bisher nur immer durch mangelndes Selbstvertrauen, Furcht vor der Kritik und gewohnheitsmäßige Gleichgültigkeit und Aufschub für später davon abgekommen.
»Aber,« dachte er bei sich, »ich kann meine Pfeile hinter dem Schild meines Verbündeten her loslassen, und falls es sich herausstellen sollte, daß er kein Dichter erster Klasse ist, so bin ich für seine Mangelhaftigkeit nicht verantwortlich, und die guten Noten werden für einen unbedeutenden Text entschädigen. Aber er ist – er muß ein guter Dichter sein – er hat alles, was dazu gehört – er beantwortet selten eine Frage, ehe sie nicht gestellt worden ist – er trinkt seinen Tee kochend heiß – er ißt, ohne zu wissen, was er in den Mund steckt. Das ist der echte divinus afflatus, der den Dichter über die Beschränktheit dieser irdischen Dinge hinausträgt. Auch seine Traumgeschichte deutet auf dichterischen Wahnsinn – ich muß daran denken, Caxon zu ihm zu schicken, der muß darauf sehen, daß er des Nachts seine Kerze auslöscht – Dichter und Träumer sind hierin leicht sehr nachlässig.«
Dann wandte er sich an seinen Gefährten und fuhr laut also fort:
»Ja, mein lieber Lovel, ich will Ihnen die vollständigen Noten liefern, ich denke, wir können meine ganze Abhandlung über die Kunst des Lagerbaues aufnehmen.«
»Aber wir müssen auch die Herstellungskosten bedenken,« sagte Lovel, der absichtlich versuchen wollte, ob diese Andeutung auf den Eifer seines Mitarbeiters abkühlend wirken würde.
»Die Kosten,« sagte Herr Oldbuck, blieb stehen und suchte mechanisch in seiner Tasche herum. »Das ist wahr, ich will Ihnen was sagen, ich glaube, ich kenne einen Buchhändler, der sehr viel auf meine Meinung gibt. Ich werde Papier und Druck bezahlen, und für Sie will ich soviel Exemplare verkaufen lassen, als irgend möglich ist.«
»O, mir geht es nicht um den Verdienst,« antwortete Lovel lächelnd. »Ich möchte nur dabei nicht etwa Geld zusetzen.«
»Pst! pst! dafür wollen wir schon sorgen! Die Verleger sollen uns dafür schon aufkommen. Ich wünsche sehnlichst, daß Ihre Arbeiten belohnt werden. Sie werden natürlich den fünffüßigen Jambus wählen, ganz ohne Frage! – das macht sich bei einem historischen Stoffe großartiger, und, wie mich dünkt, mein Freund, schreiben sich die Jamben auch leichter.«
Über diesem Gespräch hatten sie Monkbarns erreicht, wo sie gerade zur rechten Zeit eintrafen, denn eben läutete Hanne die Glocke zum Mittagstisch.