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Viertes Kapitel.

Das schöne Mädchen nahte sich mit jenem halb zaghaften, halb sicheren Blicke, der einer jungen Hauswirtschafterin so lieblich steht, sobald sie zu gleicher Zeit verschämt und stolz ob der hausmütterlichen Pflichten ist, die sie erfüllen soll; und flüsterte ihrem Oheim etwas in das Ohr.

»Und konnten die müßigen Buben nicht selbst ihre Botschaft überbringen – statt Dich zu schicken?« Dann streichelte er freundlich ihre Locken mit seiner vollen Hand und erwiderte: »Den Buttisholzer Bogen, meine Liebe? Sind doch die Jünglinge zuverlässig nicht stärker geworden, seit dem vorigen Jahre, und da konnte noch keiner von ihnen den Bogen spannen. Doch da hängt er, samt seinen drei Pfeilen, wer ist der weise Ritter, der zu einem Kampfspiele rief, in welchem er sicherlich überwunden werden wird?« – »Der Sohn dieses Herrn, mein Oheim,« sprach das Mädchen. »Er vermag es mit meinen Vettern im Rennen, Springen, Gerwerfen oder Steinschleudern nicht aufzunehmen und hat sie herausgefordert mit dem englischen Zielbogen um die Wette zu schießen.« – »Nun, einen englischen Bogen soll er haben!« rief Arnold. »Nimm ihn dem jungen Manne mit, liebe Nichte, mitsamt den drei Pfeilen, und sage ihm in meinem Namen, daß wer ihn spannt, mehr tut als Wilhelm Teil oder der berühmte Stauffacher.«

Inzwischen hatte Anna unter den Waffen einen außerordentlich starken Bogen, der weit über sechs Fuß lang war, und drei Pfeile hervorgeholt, deren jeder über eine englische Elle maß; Philippson wünschte die Waffen zu besehen und untersuchte sie genau. »Aus zähem Eibenholze,« sprach er. »Ich muß das wissen, da ich zu meiner Zeit mit dergleichen umzugehen wußte. Was mich aber wunder nehmen muß, ist, an diesem Orte einen Bogen zu sehen, der von Matthias von Doncaster, einem Bogenfertiger, gemacht wurde, der vor wenigstens hundert Jahren lebte und wegen der Zähigkeit und Stärke der Waffen, die er lieferte, hochberühmt war.« – »Wie wollt Ihr so genau wissen, wer ihn gefertigt hat, werter Gast?« fragte der Schweizer. – »Das erkenne ich an dem Zeichen des alten Matthias,« antwortete der Engländer, »und an den Anfangsbuchstaben seines Namens, die in das Holz geschnitzt sind. Ich staune nicht wenig, solche Waffe, und in so gutem Zustande, hier anzutreffen.«

»Der Bogen ist gehörig geölt und gut in Ordnung gehalten worden,« sagte der Landammann, »da er als Siegeszeichen eines merkwürdigen Tages aufbewahrt wird. In den Tagen meines Großvaters, war eine starke Schar räuberischer Soldaten, Menschen aus fast allen Ländern, hauptsächlich aber der Engländer, Normannen und Gascogner, in den Aargau und die angrenzenden Gegenden eingefallen. Sie wurden von einem berühmten Krieger namens Inegelram von Courcy geführt, der Ansprüche auf das Besitztum des Herzogs von Oesterreich zu besitzen vorgab und deshalb ohne weiteres nicht nur das österreichische Land, sondern auch das unserer Eidgenossen verheerte. Seine Truppen fügten uns viel Leid zu, und wir verloren gegen sie mehr als eine Schlacht. Doch bei Buttisholz trafen wir auf sie und brachten ihnen eine schwere Schlappe bei. Der riesige Hügel, der die Gebeine der Männer und ihrer Rosse deckt, wird noch heutigen Tages der englische Grabhügel genannt.« – Etliche Minuten lang schwieg Philippson; dann versetzte er: »So laßt sie in Frieden ruhen. Wenn Sie unrecht taten, so bezahlten sie es mit ihrem Leben, und das ist alles mögliche Lösegeld, das ein Sterblicher für seine Untaten zahlen kann. – Der Himmel nehme ihre Seelen in seinen Schutz!« – »Amen!« entgegnete der Landammann, »so wie die Seelen aller braven Leute! Mein Großvater wohnte jener Schlacht bei und hat sich dabei als tapferer Kriegsmann bewiesen. Dieser Bogen ist seitdem sorgfältig in unserer Familie aufbewahrt worden. Es ist eine Prophezeiung damit verbunden, allein ich halte es nicht der Mühe wert, ihrer Erwähnung zu tun.«

Philippson wollte weiter forschen, allein er wurde durch einen draußen laut erschallenden Schrei des Erstaunens und der Ueberraschung unterbrochen. – »Ich muß hinaus,« sagte Biedermann, »und sehen, was diese wilden Burschen treiben. Es ist jetzt nicht in diesem Lande, wie ehedem, wo die Jugend nicht eher wagte, über etwas zu urteilen, als bis des Greises Stimme gehört worden war.« – Er ging zur Halle hinaus, und sein Gast folgte ihm. Die Gesellschaft, die den Spielen zugeschaut hatte, plauderte, schrie lachend auf und stritt durcheinander, während Arthur Philippson ein wenig abseits stand und mit anscheinender Gleichgiltigkeit sich auf den ungespannten Bogen lehnte. Alles war still, als der Landammann erschien. – »Was bedeutet dieses Lärmen?« fragte er und wendete sich an den ältesten seiner Söhne. »Rüdiger, hat der junge Fremde den Bogen gespannt?«

»Er hat es getan, Vater,« sagte Rüdiger, »und hat auch das Ziel getroffen. »Drei solche Schüsse selbst hat Wilhelm Tell nimmermehr getan.« – »Es war Zufall – bloßer Zufall,« rief der junge Schweizer aus Bern. »Wie sollte ein junger Bursche dazu imstande sein, der bei allem anderen, was er mit uns versuchte, durchfiel.« – »Aber was ist denn geschehen?« sagte der Landammann und setzte schnell hinzu: »Ei, sprecht nicht alle zugleich! Anna von Geierstein, Du hast mehr Verstand und gute Erziehung als diese Burschen. Erzähle Du mir den Hergang des Spieles!«

Das Mädchen schien über diese Aufforderung ein wenig betreten, antwortete jedoch mit ruhigem, gesenktem Blicke: »Das Ziel war wie gewöhnlich eine an einen Pfahl gebundene Taube. Alle jungen Männer, ausgenommen der Fremde, hatten mit der Armbrust und dem Zielbogen danach geschossen, jedoch ohne zu treffen. Als ich den Buttisholzer Bogen herausbrachte, bot ich ihn zuerst meinen Vettern. Keiner wollte ihn annehmen, indem jeder, verehrter Ohm, sagte, daß eine Aufgabe, die Ihr nicht lösen könnt, auch zu schwer für sie sein würde.« – »Wohlgesprochen,« antwortete Arnold Biedermann, »und der Fremde? spannte er den Bogen?« – »Er tat es, mein Oheim, doch zuvor schrieb er etwas auf ein Blatt Papier und legte es mir in die Hand.« – »Und dann schoß er und traf das Ziel?« fragte der überraschte Schweizer. – »Zuvor,« antwortete Anna, »setzte er den Pfahl um hundert Ellen weiter von dem Orte zurück, wo er zuerst gestanden.« – »Sonderbar,« fügte der Landammann, »das ist das Doppelte der gewöhnlichen Entfernung.« – »Dann zog er den Bogen an und schoß nacheinander mit unglaublicher Schnelligkeit die drei Pfeile, die er in seinen Gürtel gesteckt hatte. Der erste Pfeil drang in den Pfahl, der zweite zerschoß das Band der Taube, der dritte tötete das arme Tier, als es in die Lüfte flatterte.« – »Bei unserer heiligen Mutter zu Einsiedeln!« sagte der alte Mann, indem er verwundert aufblickte, »so Eure Augen dies wirklich sahen, so sahen sie ein Bogenschießen, wie es in den Waldstätten zuvor nimmer gesehen ward.« – »Ich sage Nein dazu, mein verehrter Herr und Vetter,« rief Rudolf von Donnersberg in unverhohlenem Verdruß; »es war bloßer Zufall, wenn nicht gar Augenverblendung oder Hexerei.«

»Was sagst Du selbst dazu, Arthur,« fragte Philippson halb lächelnd, »trafst Du aus Zufall oder dank Deiner Geschicklichkeit?« – »Mein Vater,« sprach der Jüngling, »ich brauche Euch nicht zu sagen, daß ich nur tat, was jeder gewöhnliche englische Bogenschütze kann. Auch rede ich nicht, um jenem dummstolzen, unwissenden Jüngling zu antworten. Allein unserm würdigen Gastfreund und seinen Hausgenossen gebe ich Bescheid. Dieser junge Mann klagt mich an, ich hätte der Leute Augen verblendet oder das Ziel nur zufällig getroffen. Eine Täuschung ist unmöglich, denn Ihr seht dort den angeschossenen Pfahl, das zerschnittene Band und den getöteten Vogel; und wenn überdies das hübsche Mädchen dort den Zettel öffnen will, den ich ihr in die Hand legte, so wird sie darin lesen, daß ich noch vorm Bogenspannen genau bestimmte, in welcher Reihenfolge ich treffen wollte.« – »Zeige das Papier, liebe Nichte,« sagte ihr Oheim, »und ende den Zwist.« – »Mit Eurer Erlaubnis, nein, mein werter Gastfreund,« sprach Arthur, »es enthält nur etliche kleine Reime, die an des Mägdleins Augen gerichtet sind.« – »Und mit Eurer Erlaubnis, ja, mein junger Herr,« entgegnete der Landammann. »Was für meiner Nichte Augen sich schickt, das mag auch mein Ohr erreichen,«

Er nahm das Papier aus der Hand seiner Nichte, die es errötend hingab. Die Buchstaben auf dem Zettel waren so schön geschrieben, daß der Landammann überrascht ausrief: »Kein Schreiber von St. Gallen hätte zierlicher schreiben können. – Sonderbar,« setzte er hinzu, »daß eine Hand, die so fest eine Bogensehne anzuziehen vermag, leicht genug ist, so niedliche Buchstaben zu malen!« Dann rief er aus: »Aha! Verse! Bei der heiligen Jungfrau, Verse! Was, haben wir Minnesänger hier, die sich als Handelsleute verkleideten?« Dann las er folgende Zeilen von dem Papier:

»Treff ich den Pfahl dort sowie Band und Taube,
Wort hielt ein Schütz aus England dann, das glaube!
Ach, holdes Mädchen, zieltest Du nach mir,
Ein Blick tät mehr als die drei Pfeile hier.«

»Das sind Reime, mein werter Gast,« sprach der Landammann kopfschüttelnd, »schöne Worte, um hübschen Mädchen den Kopf zu verdrehen. Doch entschuldigt Euch deshalb nicht, es ist das so Sitte in Eurem Lande, und wir verstehen uns darauf, es als solche Modesitte zu behandeln.« – Und ohne weiter auf die Verse anzuspielen, deren Lesung den Dichter wie das Mädchen, dem sie galten, in nicht geringe Verlegenheit brachte, fügte Herr Arnold ernsthaft hinzu: »Ihr müßt eingestehen, Rudolf von Donnersberg, daß der Fremde auch wirklich die drei Punkte traf, die er sich zum Ziele setzte.« »Daß er sie traf, liegt am Tage,« antwortete der Angeredete; »Allein, daß er sie wacker traf, mag zu bezweifeln sein, sobald es Dinge wie Hexerei und Zauberei auf dieser Welt gibt.« – »Schämt Euch, schämt Euch, Rudolf, können Wahn und Neid, einen so wackeren Jüngling, wie Ihr seid, beeinflussen, einen Jüngling, von dem meine Söhne Mäßigung, Schonung, Aufrichtigkeit und männliche Tapferkeit lernen sollten?« – Der Berner errötete, als ihm dieser Vorwurf gemacht wurde, und gab keine Antwort. Aber während Arnold und der ältere Philippson hinwegschritten und die Jünglinge sich wieder ihren Spielen widmeten, trat er an Arthur heran und flüsterte ihm rasch zu: »Ihr Handelsleute verkauft Handschuhe – habt Ihr jemals einzelne verkauft, oder setzt Ihr sie nur paarweise ab?« – »Ich verkaufe Handschuhe nicht einzeln,« versetzte Arthur, der den Sinn der Frage sofort verstand und dem es sehr willkommen war, den Berner für die beleidigende Verdächtigung von vorhin zu strafen. »Doch bin ich jederzeit bereit, mein Herr, einen einzelnen Handschuh einzutauschen.« – »Ihr seid schlau, wie ich sehe,« sagte Rudolf; »blickt auf die Spieler, während ich rede, sonst argwöhnt man, was wir vorhaben. Wenn wir unsere Handschuhe austauschen, wie soll jeder den seinigen wieder einlösen?« – »Durch unsere guten Schwerter,« versetzte Arthur Philippson. – »In Rüstung, oder so, wie wir hier sind?« – »Ei, wie wir hier sind,« sagte Arthur. »Mir ist kein anderes Gewand gerecht als dieses Wams, so wie keine andere Waffe als mein Schwert. – Nennt Zeit und Ort!« –

»Bei Sonnenaufgang im alten Schloßhof des Geiersteins,« erwiderte Rudolf, »hier ist mein Handschuh!« – »Und hier ist der meinige!« sagte Arthur.


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