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Elftes Kapitel.

»Ich erzählte Euch,« sprach Rudolf, »daß die Arnheimer Freiherren, bei ihrer Vorliebe für geheime Wissenschaften, gleich andern deutschen Adeligen, Freunde des Krieges und der Jagd waren. Herrmann von Arnheim, der Großvater Annas von mütterlicher Seite, war stolz darauf, ein glänzendes Gestüt, besonders aber das edelste Roß in ganz Deutschland zu besitzen. Es war schwarz wie Ebenholz und hatte nicht ein einziges weißes Haar vom Kopf bis zu den Füßen. Deshalb und auch wegen der Wildheit des Tieres nannte sein Herr es Apollyon; ein Umstand, der im geheimen als Beweis der bösen Gerüchte angesehen wurde, die von dem Geschlechte der Arnheime im Umlauf waren, indem Apollyon, wie man sagt, der Name des bösen Feindes wäre.

Nun begab es sich, daß an einem Novembertage der Freiherr im Forste jagte und erst mit Einbruch der Nacht die heimische Burg erreichen konnte. Er hatte keine Gäste bei sich, denn das Schloß Arnheim nahm nur solche Leute auf, von denen die Burgbewohner Vermehrung ihres Wissens hofften. Der Freiherr saß allein in seiner Halle, die mit Fackeln erleuchtet war. In der einen Hand hielt er ein Buch voll Chiffreschrift, die keinem, außer ihm selber, verständlich war. Die andere Hand stützte sich auf einen Marmortisch, auf dem eine Flasche mit Tokayerwein stand. Ein Edelknabe wartete ehrfurchtsvoll im Hintergrunde des breiten, düstern Gemaches auf seines Herrn Befehle. Kein Geräusch war zu hören, als das Sausen des Nachtwindes, der schaurig in den rostigen Panzerhemden klirrte und die zerfetzten Paniere bewegte, mit denen die Halle ausgeschmückt war. Da ließ sich plötzlich der Fußtritt eines Wesens hören, wie es hastig und scheu die Treppenstufen heraufkam. Die Tür der Halle wurde heftig aufgerissen, und in panischem Schrecken stolperte Kaspar, der Stallmeister, fast bis zu den Füßen des Tisches hin, an welchem sein Gebieter saß, und lallte: »Edler Herr, edler Herr, der Teufel ist im Stalle!«

»Was will der Narr?« rief der Freiherr, indem er ärgerlich und erstaunt über die ungewöhnliche Störung sich erhob. – »Laßt Euren ganzen Unwillen gegen mich aus, so ich nicht die Wahrheit rede,« sagte Kaspar; »Apollyon,« – hier stockte er. – »Sprich's aus, Du furchtsamer Narr,« sagte der Freiherr. »Ist mein Pferd krank? ist es verletzt?« – »Der Teufel,« lallte der Stallmeister, »ist in Apollyons Stall.« – »Narr!« rief der Edelmann, indem er seine Fackel von der Wand riß, »was kann Dir das Gehirn auf so rasende Weise verrückt haben?«

Mit diesen Worten schritt er über den Burghof, um die stattliche Reihe von Ställen zu untersuchen, die den ganzen Teil des Viereckes an der einen Seite einnahmen. Er trat ein, wo zu beiden Seiten der weiten Halle fünfzig herrliche Rosse in Reihen standen. Neben jeder Stallung hingen Waffen eines Ritters und das Lederkoller, das unter der Rüstung getragen wurde. Begleitet von etlichen Dienern, die voller Erstaunen über den ungewöhnlichen Lärm herbeigerannt waren, eilte der Freiherr zwischen seinen Rossen hin. Als er sich dem Stalle seines Leibpferdes näherte, der der letzte in der rechtsliegenden Reihe war, neigte das ehrliche Tier weder den Kopf noch schüttelte es die Mähne, stampfte auch nicht mit den Füßen, und gab überhaupt kein Freudenzeichen bei Annäherung seines Herrn; es stöhnte nur schwach, als ob es Beistand erflehte.

Herr Herrmann hielt die Fackel hoch und entdeckte nun allerdings, daß eine lange düstere Gestalt in dem Saale stand, die Hand auf des Rosses Schulter gelegt. – »Wer bist Du?« fragte der Baron, »und was willst Du hier?« – »Ich suche Zuflucht und Gastfreundschaft,« versetzte der Fremde, »und beschwöre Dich, mir solche zu gewähren, bei der Schulter Deines Rosses und der Scheide Deines Schwertes, und mögen Dir beide nie den Dienst versagen, wenn Du ihrer auf das dringendste bedarfst.« – »Du bist also ein Bruder des heiligen Feuers,« sprach der Freiherr von Arnheim, »und ich mag Dir die Zuflucht, die Du bei mir nach der Formel der persischen Magier begehrst, nicht versagen. Gegen wen und auf wie lange erheischest Du meinen Schutz?« – »Gegen diejenigen,« versetzte der Fremde, »die daher kommen werden, um mich zu suchen, bevor noch der Morgenhahn krähen wird, und auf ein volles Jahr und einen Tag, von diesem Augenblick an gezählt.«

»Ich mag es Dir,« sagte der Freiherr, »gemäß meinem Eide und meiner Ehre, nicht abschlagen. Für Jahr und Tag will ich Bürge sein für Dich, und Du sollst Dach und Kammer, Wein und Speise mit mir teilen. Dann aber mußt Du auch dem Gesetz Zoroasters gehorchen, welches nicht nur sagt: Der stärkere soll den schwächeren Bruder in Schutz nehmen, sondern auch befiehlt: Der Weisere soll den belehren, der mindere Kenntnisse besitzt. Ich bin der Stärkere, und Du sollst sicher unter meiner Obhut weilen; Du aber bist der Weisere und mußt mich einweihen in die geheimeren Mysterien.« – »Du spottest Deines Knechtes,« sprach der fremde Besucher, »so aber Danischmende etwas weiß, was Herrmann von Nutzen sein könnte, so soll es Dir mitgeteilt werden.« – »So komm denn hervor aus Deinem Zufluchtsorte,« sagte der Freiherr von Arnheim. »Ich schwöre Dir bei dem heiligen Feuer, das ohne irdische Nahrung brennt, und bei der Brüderschaft, die zwischen uns obwaltet, und bei der Schulter meines Rosses und der Scheide meines guten Schwertes, ich will Dir Bürge sein auf ein Jahr und einen Tag, insofern meine Macht sich soweit erstreckt.«

Demzufolge trat der Fremde vor; und als die Leute seine seltsame Erscheinung erblickten, wunderten sie sich nicht, daß Kaspar aufs heftigste erschrocken war, als er eine solche Gestalt im Stalle fand, die auf rätselhafte Weise hineingekommen sein mußte. Als der Fremde die erleuchtete Halle erreichte, in welche der Freiherr ihn führte, erkannte man in ihm einen hochgewachsenen Mann von würdevollem Aussehen. Seine Tracht war asiatisch, bestand aus einem langen schwarzen Kaftan, wie die Armenier ihn tragen, und einer hohen viereckigen Mütze, die mit astrachanscher Lammswolle überzogen war. Jeder Teil seiner Kleidung war schwarz, so daß der lange weiße Bart, der ihm über die Brust hinabfloß, wirksam davon abstach. Sein Gewand wurde von einem schwarzseidenen netzartigen Gürtel zusammengehalten, in welchem statt eines Dolches oder Seitengewehrs ein silbernes Kästchen steckte, ein Schreibzeug und eine Pergamentrolle enthaltend. Die einzige Ausschmückung seines Gewandes bestand in einem großen Rubin von ungewöhnlichem Glanze, der, vom Licht getroffen, in edlem Feuer erglühte. Als man ihm eine Erfrischung anbot, versetzte der Fremde: »Ich will weder Brot essen, noch meine Lippen mit Wasser benetzen, bevor der Rächer nicht an Deiner Schwelle vorübergegangen sein wird.«

Der Freiherr befahl, die Lampen zu versorgen und frische Fackeln anzuzünden, und blieb dann, nachdem er seine Hausleute zur Ruhe gesendet hatte, mit dem Fremden, seinem Schützlinge, in der Halle. Um die düstere Stunde der Mitternacht wurden die Tore der Feste Arnheim wie von einem Wirbelwind erschüttert, und eine Stimme, wie die eines Heroldes, ward vernommen, die den ihr verfallenen Gefangenen Danischmende, den Sohn Alis, verlangte. Der Turmwächter hörte dann, wie ein unteres Fenster in der Halle aufgestoßen wurde, und konnte deutlich die Stimme seines Burgherrn vernehmen, der die Person anredete, welche die Auslieferung begehrte. Allein die Nacht war so dunkel, daß er die Sprechenden nicht sehen konnte, und die Reden, die sie wechselten, waren ihm gänzlich fremd, oder doch so stark mit ausländischen Wörtern vermengt, daß er nicht eine Silbe von dem, was sie sagten, zu verstehen imstande war. Kaum waren fünf Minuten verflossen, so erhob der draußen Befindliche nochmals die Stimme und rief in deutscher Sprache: »Auf ein Jahr und einen Tag verzichte ich auf mein Recht – allein nach Ablauf dieser Frist werde ich kommen, um es einzufordern, und dann keinen längeren Widerstand finden!«

Von dieser Zeit an war Danischmende, der Perser, ein beständiger Gast auf der Feste Arnheim. Seine Belustigungen oder Studien schienen sich auf die Bücherei der Feste und auf das Laboratorium zu beschränken, wo der Freiherr bisweilen stundenlang mit ihm arbeitete. Streng hielt Danischmende die Andachtsübungen seines Glaubens inne, indem er bei dem ersten Strahl der aufgehenden Sonne auf sein Angesicht fiel und eine im schönsten Ebenmaße gefertigte silberne Lampe anzündete, die auf einem Fußgestell ruhte, in dessen Sockel Hieroglyphen gemeißelt waren. Mit welcher Flüssigkeit er dieser Lampe Flamme nährte, war allen, vielleicht nur nicht dem Freiherrn, unbekannt; allein, die Flamme brannte stetiger, reiner und glänzender, als man irgend eine je gesehen hatte. Er sprach fast nie mit jemand außer dem Freiherrn; da er aber Geld hatte und freigebig war, so begegnete ihm das gesamte Hausgesinde zwar mit Ehrfurcht, doch ohne Furcht oder Widerwillen.

Dem Winter folgte der Frühling, der Sommer brachte seine Blumen, das Spätjahr seine Früchte, als ein Edelknecht, der den Gebietern bisweilen in die geheime Werkstätte folgen mußte, um ihnen erforderlichen Falles einige Handreichung zu tun, den Perser zu dem Freiherrn sagen hörte: »Du wirst wohl tun, mein Sohn, auf meine Worte zu merken; denn meine Lehren an Dich gehen zu Ende, und keine Macht auf Erden vermag mein Schicksal länger hinauszuschieben. Ich will die Aufgabe, Dich in Deinen Studien zum Ziel zu führen, meiner Tochter übertragen, die zu dem Ende hierher kommen soll. Allein bedenke, daß, wenn die Erhaltung Deines Stammes Dir lieb ist, Du nichts anderes in ihr erblicken darfst als eine Mitarbeiterin bei Deinen Forschungen; denn so Du über die Schönheit des Mädchens die Lehrerin vergißt, so wirst Du als der letzte männliche Sprosse Deines Geschlechts begraben werden, und ferneres Unheil wird, glaube mir, sich daraus ergeben; denn solch Bündnis nimmt nimmer einen glücklichen Ausgang, wovon ich selbst ein lebendiges Beispiel bin – doch still! wir werden beobachtet!«

Als der Tag nun herankam, wo des Persers Schicksal sich vollziehen sollte, befürchtete das Hausgesinde, eine Katastrophe würde über alle hereinbrechen. Doch nichts geschah, und lange vor der Zauberstunde der Mitternacht, endete Danischmende seinen Besuch in der Feste von Arnheim, indem er in der Tracht eines gewöhnlichen Reisenden durch das Burgtor davon ritt. Man hörte und sah nie wieder etwas von ihm.

Der Freiherr war den ganzen Tag über traurig gestimmt. Ganz gegen seine Gewohnheit blieb er in der großen Halle, besuchte weder die Bücherei noch die geheime Werkstätte, wo er nicht länger der Gesellschaft seines von ihm geschiedenen Lehrmeisters sich erfreuen konnte. Bei dem Aufdämmern des folgenden Morgens rief der Freiherr seinen Edelknecht und ließ sich, während er sich sonst fast nachlässig zu kleiden pflegte, prächtige Gewänder reichen. Da er noch in der Blüte des Lebens stand und von edler Gestalt war, so hatte er Ursache, mit seinem Erscheinen zufrieden zu sein. Nachdem er seinen Anzug geordnet hatte, wartete er, bis die Sonne über dem Horizont heraufgestiegen war, und ging dann in Begleitung des Pagen zu der geheimen Werkstätte, gleich einem Menschen, der drinnen etwas Seltsames zu schauen erwartete. Er ermannte sich zum Entschlusse, drehte das Schloß auf, öffnete die Tür und trat hinein. Der Edelknecht folgte seinem Gebieter auf dem Fuße und erstaunte bis zum Entsetzen über das, was er erblickte.

Die silberne Ampel war erloschen, oder doch von dem Fußgestell weggenommen, und an der Stelle derselben stand eine überaus schöne weibliche Gestalt in einem persischen Gewande von nelkenroter Farbe. Doch trug sie keinen Turban oder sonst welche Kopfbedeckung, außer daß um ihr dunkelbraunes Haar sich ein blaues Band wand, das von einer goldenen Schnalle mit einem prächtigen Opal zusammengehalten wurde.

Die Gestalt des jungen, weiblichen Wesens war von vollendeter Schönheit, die weiten, nach morgenländischer Mode an den Knöcheln zusammengeschnürten Beinkleider ließen den schönsten, kleinsten Fuß sehen, während Arme und Hände im vollkommenen Ebenmaße zwischen den Falten des Gewandes sichtbar waren. Das Angesicht der kleinen Dame war von lebhaftem Ausdruck und bekundete Geist und Verstand; das dunkle, feurige Auge strahlte unter schön gewölbten Brauen. Das Frühlicht der aufgehenden Sonne, das durch eine dem Fußgestell gegenüber liegende Fensteröffnung fiel, erhöhte die liebliche Erscheinung dieser schönen Gestalt, die so bewegungslos blieb, als wäre sie aus Marmelstein gehauen. Daß sie den Freiherrn hatte eintreten sehen, verriet sie nur durch ein etwas schnelleres Atmen und hohes Erröten, das von einem sanften Lächeln begleitet wurde. –

Der Freiherr hatte wohl erwartet, etwas Seltsames, nicht aber etwas so hinreißend Schönes zu sehen, und er stand eine Weile außer Atem und regungslos da. Mit einemmale jedoch schien er sich zu erinnern, daß es seine Pflicht sei, die schöne Fremde auf seiner Feste zu begrüßen und sie aus ihrer gefährlichen Stellung zu erlösen. Er trat zu diesem Zweck vor, indem er Begrüßungsworte auf der Zunge trug und seine Arme ausstreckte, um das junge Mädchen von dem fast 6 Fuß hohen Gestell herabzuheben; allein die leichte, behende Fremde nahm bloß die Stütze seiner Hand an und schwebte so leise und wohlbehalten auf den Fußboden herab, wie ein Gespinst aus Sommerfäden. Auch empfand der Freiherr bloß durch einen kräftigen Händedruck, daß er es mit einem Wesen von Fleisch und Blut zu tun hätte. – »Ich bin gekommen, wie Ihr es geboten habt,« sprach sie, indem sie umherblickte. »Ihr müßt eine pünktliche und fleißige Lehrerin erwarten, so wie ich hoffe, daß Ihr einen aufmerksamen Zögling abgeben werdet.«

Nach Ankunft dieses seltsamen, lieblichen Wesens auf der Feste zu Arnheim fanden im Innern des Hauses mancherlei Umgestaltungen statt. Eine Dame von hohem Range und geringem Vermögen, die ehrsame Witwe eines mit dem Freiherrn verwandten Reichsgrafen, erhielt eine Einladung, die auch von ihr angenommen wurde, dem Hauswesen ihres Verwandten vorzustehen und durch ihre Gegenwart jeglichem Gerede vorzubeugen, zu dem die Anwesenheit der jungen, allgemein Hermione genannten Perserin hätte Anlaß geben können. Die Gräfin Waldstätten ging in ihrer Gefälligkeit so weit, daß sie fast stets in der geheimen Werkstätte, wie in der Bücherei zugegen war, wenn der Freiherr von Arnheim von der jungen und liebenswürdigen Meisterin, die auf so sonderbare Weise an die Stelle des Magiers getreten war, Unterricht empfing oder mit ihrer Hilfe Forschungen anstellte. Darf man dem Berichte der Gräfin trauen, so waren diese Forschungen von höchst absonderlicher Natur. Doch erklärte sie mit Bestimmtheit, daß der Freiherr und Hermione dabei niemals gottmißfällige Künste trieben oder die Grenzen des natürlichen Wissens überschritten. Infolge dieses Zeugnisses verstummten die finstern Nachreden, mit denen man das seltsame Erscheinen der fremden Schönen verfolgt hatte, zumal auch Hermiones liebenswürdiges Benehmen unwillkürlich das Wohlwollen eines jeden in Anspruch nahm, der sich ihr näherte.

Bald trafen Meisterin und Schüler nicht nur in der Bücherei oder der Werkstätte zusammen; sondern Garten und Hain wurden zur Belustigung, zu Jagd und Angelsport aufgesucht, auch die Abendstunden durch Tänze verkürzt, was alles darauf hindeutete, daß das Forschen nach Weisheit für eine Zeitlang dem Haschen nach Vergnügen Platz machen mußte. Der Freiherr von Arnheim und sein schöner Gast redeten aber in einer Sprache, die ganz von allen andern abwich, und konnten daher selbst mitten im Getümmel der Fröhlichkeit, das sie umgab, sich geheim unterhalten. Niemand war daher überrascht, nach wenigen Wochen der Lust die Kunde zu vernehmen, daß die schöne Perserin sich mit dem Freiherrn von Arnheim vermählen werde.

Die Sitten dieses reizenden Mädchens waren so einnehmend, ihre Unterhaltung so beseelt, ihr Witz so sprühend und doch mit so vieler Gutherzigkeit und Bescheidenheit verbunden, daß, ungeachtet ihres unbekannten Ursprunges, sie um ihr großes Glück weniger beneidet wurde, als in so absonderlichem Falle wohl hätte erwartet werden mögen. Vor allem wurden die Herzen aller, die in ihre Nähe kamen, durch des Mädchens Edelmut gerührt und gewonnen. Ihr Reichtum schien unermeßlich zu sein, denn sie verteilte viele Juwelen unter ihre hübschen Freundinnen. Diese trefflichen Eigenschaften, vor allem ihre Freigebigkeit, verbunden mit großer Einfachheit in Gedanken und Gemütsart, dazu ihr gänzlicher Mangel an Großsprecherei machten sie, trotz ihrer geheimnisvollen Wissenschaft, zum Liebling aller.

Bei den fröhlichen Tänzen war sie an Leichtigkeit und Beweglichkeit so unerreichbar, daß sie darin einem ätherischen Wesen glich. Ohne Anstrengung an sich wahrnehmen zu lassen, konnte sie dem Vergnügen sich hingeben, bis sie auch die ausdauerndsten Mittänzer ermüdet hatte. Von ebenso übernatürlicher Schnelligkeit zeigte sie sich, wenn sie im Parke mit ihren Gefährtinnen Verstecken oder ähnliche Bewegungsspiele trieb. Sie erschien unter ihren Gespielinnen und verschwand vor deren Augen mit einem an das Unbegreifliche grenzenden Grade von Beweglichkeit; und Hecken, Geländer oder ähnliche Umzäunungen wurden von ihr auf eine Art und Weise überschritten, die dem wachsamsten Blick unerkenntlich blieb, denn hatte man sie eben an der einen Seite des Zaunes wahrgenommen, so stand sie im nächsten Momente schon wieder dicht neben dem Zuschauer. In solchen Augenblicken, wo ihre Augen funkensprühend erglänzten, ihre Wangen sich röteten und ihre ganze Gestalt wundersam belebt erschien, behauptete man, daß die Opalschnalle in ihren Haarflechten, jener Schmuck, den sie nimmer ablegte, einen kleinen Strahl oder ein Flammenzünglein blicken ließ, welches jederzeit geschah, wenn Hermione sich schnell bewegte. Auf gleiche Weise glaubte man, daß, wenn im Halbdunkel der Halle die Unterredung Hermionens ungewöhnlich lebhaft war, der Edelstein heller glänzte und sogar einen flimmernden Schein ausstrahlte, der von ihm selbst auszugehen, nicht aber wie sonst, das Feuer von Edelsteinen, durch das Zurückwerfen irgend eines äußeren Lichtes zu entstehen schien. – Nach Verlauf von zwölf Monaten beschenkte die liebenswürdige Freiin von Arnheim ihren Gatten mit einer Tochter, die nach des Freiherrn Mutter Sybilla getauft werden sollte. Da das Kind vollkommen gesund war, ward die kirchliche Handlung so lange verschoben, bis die Mutter völlig von ihrer Niederkunft genesen sein würde, und viele Gäste wurden eingeladen, der Feierlichkeit beizuwohnen. Unter diesen befand sich auch eine alte Dame, die dafür bekannt war, daß sie in der menschlichen Gestalt die Rolle einer bösen Fee spielte, wie deren in den Liedern der Minnesänger erwähnt wird. Diese Dame war die Freifrau von Steinfeldt, berüchtigt in der ganzen Nachbarschaft durch ihre unersättliche Neugier und ihren unüberwindlichen Hochmut. Sie war noch nicht viele Tage auf der Burg gewesen, als sie sich bei einer Dienerin über alles unterrichtete, was von der Sonderbarkeiten der Freiin von Arnheim gehört, gesagt oder vermutet wurde. Am Morgen des Tages, der zu der Taufhandlung bestimmt worden war, als eben die ganze Gesellschaft in der Halle die Ankunft der Freiin erwartete, um sie in die Kapelle zu geleiten, entstand nun zwischen der Freifrau von Steinfeldt und der Gräfin Waldstätten ein heftiger Streit über den Vorrang beider. Dies wurde dem Freiherrn von Arnheim hinterbracht, der zugunsten der Gräfin entschied. Die Edle von Steinfeldt befahl hierauf ihrem Stallmeister, sich bereit zu halten, und ließ ihre Dienerschaft aufsitzen. »Ich verlasse diesen Ort,« sagte sie, »den ein guter Christ nimmer hätte betreten sollen; ich verlasse ein Haus, dessen Gebieter ein Zauberer, dessen Gebieterin ein Dämon ist, und dessen Wirtschafterin sich um kargen Lohn hergab, die Kupplerin zwischen einem Hexenmeister und dem eingefleischten Satan zu sein.« – Damit fuhr sie ab, Zorn auf dem Angesichte und Hohn im Herzen.

Der Freiherr von Arnheim trat nun vor und fragte die Ritter und Edlen umher, ob einer oder der andere unter ihnen wäre, der mit seinem Schwerte die schändlichen Lügen vertreten wollte, die gegen ihn, seine Gattin und Verwandte, ausgestoßen worden waren. – Allgemein lautete die Antwort, man denke nicht daran, die Reden der Freifrau von Steinfeldt zu verfechten, und alle äußerten den Glauben, daß die Edle nur im Geiste der Verleumdung und Falschheit gesprochen hätte.

»So laßt die Lüge auf den Boden fallen, die kein Mann des Mutes vertreten will,« sagte der Freiherr von Arnheim, »und alle, die gegenwärtig sind, sollen noch an diesem Morgen sich überzeugen, ob die Freiin Hermione nicht an den Gebräuchen der christlichen Kirche teilnimmt.« – Die Gräfin Waldstätten gab ihm, während er das sprach, ängstliche Zeichen und flüsterte ihm zu: »Seid nicht so vorschnell! Es ist etwas Geheimnisvolles in jenem Opal-Talisman; seid klug und laßt die Sache so hingehen.«

In diesem Augenblick trat die Freiin von Arnheim in die Halle, noch bleich von ihrer Niederkunft, was ihr Antlitz nur noch schöner erscheinen ließ. Nachdem sie die versammelten Anwesenden aufs anmutigste begrüßt hatte, fragte sie, warum die Frau von Steinfeldt nicht anwesend wäre. In demselben Augenblicke gab ihr Gemahl der Gesellschaft ein Zeichen, sich zur Kapelle zu begeben, und bot der Freiin seinen Arm, um dem Zuge voranzuschreiten. Die Kapelle wäre fast von der glänzenden Gesellschaft überfüllt worden, und aller Augen hafteten auf Wirt und Wirtin, als diesen unmittelbar vier junge Fräulein folgten, die den Täufling in einer leichten und schönen Sänfte trugen.

Als sie über die Schwelle schritten, tauchte der Freiherr seinen Finger in den Weihkessel und, um die Verleumdung der boshaften Edlen von Steinfeldt zunichte zu machen, spritzte er mit einer Miene neckender Vertraulichkeit, die in Rücksicht auf Zeit und Ort wohl keineswegs am Platze war, etliche Tropfen der an seinem Finger übriggebliebenen Flüssigkeit auf die Stirn Hermionens. Der Opal, auf den einer der Tropfen gefallen war, sprühte einen glänzenden Funken gleich einer Sternschnuppe und wurde im Augenblicke nachher licht- und farblos wie ein gemeiner Kiesel, während die anmutige Freifrau mit einem tiefen Seufzer des Kummers auf den Boden der Kapelle niedersank. Alles umringte sie in Bestürzung. Die unglückliche Hermione wurde aufgehoben und in ihr Gemach getragen; allein schon während dieser kurzen Zeit veränderten ihr Antlitz und ihr Puls sich dergestalt, daß die sie Umgebenden nur eine Sterbende in ihr erblickten. Kaum war sie in ihrem Gemache angelangt, so begehrte sie, mit ihrem Gemahl allein gelassen zu werden. Er blieb eine Stunde in dem Gemache, und als er es verließ, verschloß und verriegelte er den Eingang. Dann ging er in die Kapelle, wo er eine Stunde lang vor dem Hochaltar lag.

Mittlerweile hatten die meisten der Gäste voll Bestürzung das Schloß verlassen, obwohl etliche aus Neugierde oder Höflichkeit zurückblieben. Endlich langte ärztlicher Beistand an, und die Gräfin Waldstätten bat den Freiherrn um den Schlüssel zu dem verschlossenen Gemach der Freiin. Arnheim gab ihn ihr, fügte aber finsteren Blickes hinzu, daß alle Hilfe vergeblich sein würde, und daß er wünschte, alle Fremden möchten die Feste verlassen. Wenige von diesen hatten Lust zu bleiben, als, nachdem man das Gemach betreten, in welchem die Freifrau vor zwei Stunden erst zur Ruhe gebracht worden war, keine Spur von ihr zu finden war, außer daß eine Handvoll grauer Asche, wie von verbranntem Papiere auf dem Bette lag, auf das man die Erkrankte niedergelegt hatte. Dessenungeachtet fand ein feierliches Leichenbegängnis mit allen andern kirchlichen Gebräuchen statt; und drei Jahre später, genau an demselben Tage, wurde der Freiherr selbst in der Gruft seiner Ahnen bestattet und ihm als dem letzten männlichen Sprossen seines Hauses, Schwert, Schild und Helm auf den Sarg gelegt.«

Hier hielt der Schweizer inne; denn die Wachrunde näherte sich der Brücke des Jagdschlosses Grafenlust.


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