Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Der Vogt von La Ferette stand an der Brustwehr des östlichen Eingangsturmes und schaute hinaus auf die Straße, die nach Basel führte, als zuerst der Vortrab der Schweizer Gesandtschaft, dann deren Mitte und Nachtrab heranzogen. In demselben Augenblick machte der Vortrab Halt, die Mitte schloß sich ihm an, zusamt den Frauen, dem Gepäck und den Lasttieren, so daß sich alle zu einer Gruppe vereinigten.
Dann schritt ein Bote vorweg und blies in eines der gewaltigen Hörner, die der Auerstier liefert, welcher so häufig im Kanton Uri ist, daß es heißt, dieses Tier habe dem Kanton diesen Namen gegeben.
»Sie verlangen Einlaß,« sagte der Leibknapp. – »Sie sollen ihn haben,« antwortete der Vogt. »Traun! wie sie wieder hinauskommen, ist eine andere Frage.« – »Bedenkt Euch einen Augenblick, Herr,« fuhr Kilian fort, »erwägt, diese Schweizer sind Teufel im Gefechte und haben überdies keine Beute zu liefern, um den Sieg zu bezahlen – nichts als elende Ketten von gutem Kupfer oder höchstens von verfälschtem Silber. Ihr habt das Mark gesogen – verderbt Euch die Zähne nicht durch den Versuch, die Knochen zu zermalmen.« – »Du bist ein Narr,« antwortete der Hagenbacher: »und wohl ein feiger Hund obendrein. Die Ankunft von ein paar Dutzend Schweizer Partisanen läßt Dich die Hörner einziehen wie eine Schnecke, wenn der Finger eines Kindes sie berührt! – Bedenk, Du furchtsame Seele, wenn die Schweizer Abgeordneten, wie sie sich anmaßend nennen, frei durchgelassen werden, so hinterbringen sie dem Herzog Kunde von Handelsleuten, die an seinen Hof ziehen wollten und mit kostbaren, wahrscheinlich für seine Hoheit bestimmten Waren versehen waren. Indem hat Karl alsdann die Gegenwart der Gesandten zu erdulden, die ihm verächtlich und zuwider sind, und erfährt von ihnen, daß der Vogt zu La Ferette diejenigen durchließ, die dem Herzog ein Greuel sind, während er diejenigen, die Karl gern gesehen hätte, aufhielt; denn welcher Fürst würde nicht huldreich solchen Schmuck willkommen heißen, wie der ist, den wir jenen herumstreifenden Krämern abgenommen haben?« – »Ich sehe nicht ein, wie der Angriff auf diese Abgeordneten die Plünderung rechtfertigen soll, die Ihr an den Engländern begangen habt, edler Ritter,« sagte Kilian. – »Weil Du ein blindes Mondkalb bist,« antwortete der Vogt. »Hört Burgund von einem Angriff zwischen meiner Besatzung und den Schurken vom Gebirge, die Karl haßt und verhöhnt, so wird man darüber die beiden Krämer vergessen, und annehmen, sie seien im Handgemenge umgekommen. Sollte Nachfrage geschehen, so kann ein Ritt von einer Stunde mich mit meinen Vertrauten in die kaiserlichen Lande bringen, wo ich, obwohl der Kaiser ein vernunftloser Narr ist, mit der reichen Beute, die ich diesen Eilandsbewohnern abnahm, mich eines guten Empfanges versichert halten kann.«
»Ich stehe zu Euch, Herr Ritter, bis auf den letzten Mann,« entgegnete der Knappe, »und Ihr sollt mit eigenen Augen schauen, daß ich kein Feigling bin.« – »Niemals hielt ich Dich für einen solchen, wenn es zu Faustschlägen kam,« sagte der Hagenbacher, »aber wo es Klugheit gilt, bist Du scheu und unentschlossen. Reiche mir meine Rüstung, Kilian, und schnalle sie mir sorgfältig an; denn die Schweizer Piken und Schwerter sind keine Wespenstacheln.« – »Mögt Ihr sie mit Ehren und Nutzen tragen, edler Herr,« sagte Kilian; und gemäß seinem Amte schnallte er seinem Gebieter die vollständige Rüstung eines Reichsritters an. Dann verbeugte er sich und zog ab.
Das Urihorn der Schweizer hatte zu wiederholten Malen seinen hohlen Ton, gleich als wäre es ärgerlich ob des fast halbstündigen Zögerns, hören lassen, ohne Antwort vom Wartturm zu La Ferette zu erhalten, und jeder Ruf drückte mit seinem weithin schallenden Echo die steigende Ungeduld derer aus, die mit der Stadt zu reden begehrten. Endlich erhob sich das Fallgitter, die Zugbrücke fiel, und Kilian, in der Knappenrüstung wie zum Kampf bereit, ritt im Schritt heran.
»Was für kühne Männer seid Ihr, Ihr Herren,« sprach Kilian, »die Ihr in Waffen vor der Feste von La Ferette erscheint, welche nach Recht und Herrschaft dem dreifach edlen Herzoge von Burgund und Lothringen gehört und in seiner Sache von dem lobesamen Grafen Archibald, Herrn zu Hagenbach, besetzt gehalten wird?«
»Erwägt, Knappe,« sagte der Landammann, »denn für einen solchen halte ich Euch wegen der Feder auf Eurem Barette, daß wir hier nicht in feindseliger Absicht erscheinen. Wir tragen nur Waffen, um uns auf gefährlicher Reise zu schützen.« – »Was ist denn Euer Stand und Eure Absicht?« sagte Kilian, der gelernt hatte, in Abwesenheit seines Herrn den barschen und groben Ton des Vogts selbst anzuschlagen. – »Wir sind,« antwortete der Landammann mit ruhiger und sich gleich bleibender Stimme, ohne sich merken zu lassen, daß ihn das unhöfliche Benehmen des Knappen verdroß, »Abgeordnete der freien und vereinigten Kantone des Schweizerlandes und der guten Stadt Solothurn, und bevollmächtigt, zu Seiner Erlaucht, dem Herzoge von Burgund, zu ziehen, um mit ihm einen sichern und standfesten Frieden unter solchen Bedingungen abzuschließen, wie sie der gegenseitigen Ehre und dem gemeinschaftlichen Nutzen beider Länder entsprechen.«
»Zeigt mir Eure Beglaubigungsbriefe,« sagte der Leibknapp. – »Wollt vergeben, Herr Knapp,« erwiderte der Landammann, »es wird Zeit genug sein, dieselben vorzulegen, wenn wir vor Eurem Herrn, dem Vogte, stehen.« – »Das heißt soviel, als Ihr wollt sie nicht zeigen. Wohl, meine Herren, so mögt Ihr denn diesen Rat von Kilian von Kersberg hinnehmen: besser ist's bisweilen, sich auf den Heimweg zu begeben, als fürbaß zu schreiten. Mit meinem Herrn und seinen Leuten ist nicht so gut Kirschen essen wie mit den Krämern zu Basel, denen Ihr Euern Käse verkauft. Kehrt heim, ehrliche Leute, kehrt heim! auf dem Rückweg sollt Ihr nicht behelligt werden!«
»Wir danken Dir für Deinen Rat,« sagte der Landammann, indem er den Bannerträger von Bern unterbrach, der eine ärgerliche Antwort auf der Zunge hatte, »indem wir ihn für gutgemeint halten; ist es nicht so, so ist ein unhöflicher Scherz gleich wie ein überladener Schießmörser, der auf den zurückwirkt, der ihn abfeuert. Unser Weg liegt vor uns und führt durch La Ferette, und vorwärts gedenken wir zu gehen, komme, was wolle!« – »So geht vorwärts, in des Teufels Namen!« rief der Knappe, der im stillen gehofft hatte, die Wanderer zur Umkehr zu bestimmen.
Die Schweizer zogen in die Stadt ein, und aufgehalten durch die Wagenburg, die der Vogt etwa zwanzig Ellen fern von dem Tore quer durch die Straße hatte ziehen lassen, stellten sie sich in kriegerischer Ordnung auf, indem sie ihre kleine Schar in drei Reihen formierten, so daß die beiden Frauenzimmer und die Gesandtschaftsväter in der Mitte waren. Während die Schweizer hier warteten, erschien durch eine Seitentür des Turmes unter dem Bogen, durch welchen sie in die Stadt gezogen waren, ein Ritter in vollständiger Rüstung. Sein Visier war aufgezogen, und er schritt an der von den Schweizern gebildeten Linie mit düsterer und grimmer Gebärde entlang.
»Wer seid Ihr,« sprach er, »die Ihr in Waffen so weit zu einer burgundischen Besatzung vordringt?« – »Mit Eurer Erlaubnis, Herr Ritter,« sagte der Landammann, »wir sind Männer, die mit friedlicher Botschaft kommen, obwohl wir Waffen zur Gegenwehr tragen. Abgeordnete sind wir von den Städten Bern und Solothurn, den Kantonen Schwyz, Uri und Unterwalden, und haben Wichtiges mit dem erlauchten Herzoge von Burgund und Lothringen zu verhandeln.« – »Was Städte, was Kantone!« sagte der Vogt zu La Ferette. »Ich habe keine solchen Namen unter den freien Städten Deutschlands je gehört – Bern? Ei doch, seit wann ward Bern eine freie Stadt?« – »Seit dem einundzwanzigsten Tage des Junimondes,« sprach Arnold Biedermann, »und im Jahr der Gnade eintausendeinhundertneununddreißig, an welchem die Schlacht bei Lauffen geschlagen ward.«
»Hinweg, eitler, alter Knabe,« sagte der Ritter, »denkst Du, solch unnützer Selbstruhm könnte Dir hier nützen? Freilich haben wir gehört, wie etliche aufrührerische Dörfer und Volksgemeinden auf und zwischen den Alpen sich dem Kaiser widersetzten und durch die Vorteile von Felsbollwerken, von Hinterhalten und Schlupfwinkeln es dahin brachten, verschiedene Ritter und Edle zu ermorden, die vom österreicher Herzog gegen sie ausgesendet worden waren. Doch vermeinten wir nie, solche jämmerlichen Bauern könnten die Frechheit haben, sich freie Staaten zu nennen und mit einem mächtigen Fürsten, wie Karl von Burgund ist, unterhandeln zu wollen. Was? wollt Ihr hier eine freche Miene der Freiheit und Unabhängigkeit aufsetzen? Ich will Euch mit meinem eisenbeschlagenen Ritterstiefel zertreten.« – »Wir sind keine Männer, die sich zertreten lassen,« sagte Arnold Biedermann ruhig. »Herr Ritter, legt für eine Weile diese hochfahrende Sprache beiseite, denn sie führt nur zu Hader, und hört auf die Worte des Friedens. Gebt unsern Gefährten, den englischen Handelsmann Philippson los, an welchen Ihr heute früh widersetzlich Hand angelegt, laßt ihn eine beträchtliche Summe als Lösegeld zahlen, und wir, die wir vor des Herzogs erlauchtes Antlitz ziehen, wollen ihm günstigen Bericht von seinem Vogt zu La Ferette erstatten.« – »Ihr wollt so großmütig sein? Wollt Ihr?« sagte Archibald in hohnlachendem Tone. »Und welches Unterpfand wird mir von Euch, daß Ihr so gütig an mir tun werdet, wie Ihr sagt?« – »Das Wort eines Mannes, der nie seine Zusage brach,« antwortete der unerschütterliche Landammann.
»Grober Kerl,« versetzte der Ritter, »willst Du Dein Lumpenwort bieten zwischen dem Herzoge von Burgund und Archibald von Hagenbach? Wisse, daß Ihr nimmer gegen Burgund zieht; es sei denn, Ihr zöget dahin mit Ketten an Euren Händen, und Halftern um Eure Hälse – Hussahoh! Burgund zur Rettung!«
Augenblicklich, wie er dies sagte, zeigten sich burgundische Kriegsknechte, hinter und rings um den engen Raum, in welchem die Schweizer sich aufgestellt hatten. Die Brustwehren der Stadt waren mit bewährten Männern besetzt, Bewaffnete erschienen an der Tür jedes Hauses, während andere an den Fenstern sich mit Donnerbüchsen, Zielbogen und Armbrüsten blicken ließen. Die Kriegsknechte, welche die Wagenburg besetzt hielten, erhoben sich ebenfalls und schienen die Schweizer am Weiterschreiten hindern zu wollen. Die kleine Schar in solcher Enge, solcher Uebermacht gegenüber, zeigte weder Bestürzung noch Mutlosigkeit, sondern blieb fest auf ihrem Platze, und die Feinde erkannten wohl, daß es keine leichte Arbeit wäre und viel Blut kosten würde, diese Handvoll entschlossener Männer selbst mit fünfmal überlegener Mannschaft zu bezwingen. Dieser Gedanke mochte auch Herrn Archibald davon abhalten, den Befehl zum Angriff zu geben, als plötzlich sich von fern das Geschrei: »Verräterei! Verräterei!« vernehmen ließ.
Ein Soldat stürzte, mit Schlamm bedeckt, auf den Vogt zu und erzählte atemlos, er hätte versucht, einen Gefangenen festzunehmen, der kurz vorher die Flucht ergriffen haben müßte, und sei dabei von den Bürgern auf dem Stadtwalle angefallen und fast ertränkt worden. Er fügte hinzu, daß die Bürger eben jetzt den Feind in die Stadt hineinließen.
»Kilian,« sprach der Ritter, »nimm eine Rotte von zwanzig Mann, eile ans nördliche Ausgangspförtchen und haue nieder, was Du an Waffen antriffst, ob Bürger oder Fremde. Mich laß hier, um mit diesen Bauern wohl oder übel fertig zu werden!«
Allein ehe noch Kilian dem Befehl seines Herrn Folge leisten konnte, erklang dicht hinter ihnen das Jubelgeschrei: »Basel! Basel! Freiheit! Freiheit! Der Tag ist unser!« – Und heran rückten die Baseler Jünglinge, die Rudolf noch rechtzeitig hatte zurückrufen können, heran kamen manche Schweizer, denen nach solch einem Stück Arbeit gelüstete, und heran kamen die bewehrten Einwohner von La Ferette, die, empört über die Tyrannei des Hagenbachers, die Waffen ergriffen und die Baseler zu dem Ausgangspförtchen hereingelassen hatten, durch welches der jüngere Philippson vorher entflohen war.
Die Besatzung, die schon beim Anblicke der zur Gegenwehr entschlossenen Schweizer den Mut zu verlieren begonnen hatte, geriet bei diesem neuen, unerwarteten Aufstande völlig in Verwirrung. Die meisten der Kriegsknechte wollten lieber fliehen und sprangen einfach von den Brustwehren herab. Kilian und andere, zu stolz, um zu fliehen, oder sich zu ergeben, kämpften mit der Wut der Verzweiflung und blieben tot auf dem Platze. Inmitten dieser Verwirrung stand die Schar des Landammanns unbeweglich; denn er gestattete keinem, Anteil an dem Kampfe zu nehmen, solange sich nicht ein Feind an ihnen vergriffen hätte.
»Steht still alle,« erscholl die tiefe Stimme Arnold Biedermanns, längs seinen Reihen. – »Wo ist Rudolf? – Wahrt Euer Leben, doch nehmt es keinem! – Was? Wohin, Arthur Philippson? Auf dem Platz geblieben, sagt' ich!« – »Ich kann nicht müßig hier stehen,« sprach Arthur, der eben aus den Reihen trat. »Ich muß meinen Vater im Kerker suchen; man könnte ihn inzwischen erschlagen!« – »Bei Unserer heiligen Mutter von Einsiedeln, Du sprichst wahr!« antwortete der Landammann. »Ich werde Dir suchen helfen, Arthur, – das Gefecht scheint fast zu Ende. He, Herr Bannermann, würdiger Adam Zimmermann und Ihr, mein werter Freund, Nikolaus Bonstetten, laßt Eure Mannschaft sich still verhalten. – Habt nichts zu schaffen mit diesem Aufruhr, sondern überlaßt es den Männern von Basel, ihre Taten selber zu verantworten! Ich bin in wenigen Minuten zurück.«
Indem er dies sagte, eilte er Arthur Philippson nach, der, durch sein gutes Gedächtnis geleitet, ihn an die Kerkertreppe führte. Hier trafen sie einen schielenden Gesellen, in dem sie an einem Bund verrosteter Schlüssel den Kerkermeister erkannten. – »Zeige mir den Kerker des englischen Kaufmannes,« sagte Arthur Philippson, »oder Du stirbst von meiner Hand.« – »Wen von beiden wünscht Ihr zu sehen?« fragte der Kerkermeister, »den alten oder den jungen?« – »Den alten,« sprach Arthur, »sein Sohn ist Dir entschlüpft,« – »So geht nur hinein, Ihr Herren,« sagte der Mann mit den Schlüsseln, indem er den Riegel einer schweren Eisentür öffnete.
Oben am Ende des Gemaches lag der Mann, den sie suchten und sofort aufhoben und herzlich umarmten. – »Mein teurer Vater!« – »Mein werter Gast!« riefen zu gleicher Zeit sein Sohn und sein Freund. »Wie steht es um Euch?« – »Wohl,« antwortete der ältere Philippson, »so Ihr, mein Freund und mein Sohn, wie ich aus Euren Waffen und Eurem Aussehen schließe, als Sieger und in Freiheit kommt; übel, so Ihr kommt, meine Haft zu teilen.«
»Seid ohne Sorge,« sagte der Landammann, »wir sind in Gefahr gewesen, wurden aber wundersam aus ihr befreit. Die schlechte Luft hier hat Euch betäubt; lehnt Euch an mich, mein edler Gast, und laßt mich Euch in ein besseres Quartier führen.«
– Hier ward er von einem Dröhnen unterbrochen, das ganz anders erklang als das ferne Getöse des Volksaufruhrs, das durch die Straßen hallte.
»Bei St. Peter und seinem Schlüssel!« sagte Arthur, der sofort wußte, was geschehen war. »Der Kerkermeister hat die Tür des Gefängnisses zugeworfen. Wir sind eingesperrt. – Halloh, Hund von einem Kerkerknecht! Schurke! Tu auf, es kostet sonst Dein Leben!« – »Er ist wahrscheinlich zu weit entfernt, um Deine Drohungen zu hören,« sagte der ältere Philippson, »und Dein Schreien hilft Dir nichts. Allein, wenn Ihr gewiß seid, daß die Schweizer im Besitz der Stadt sind, so werden Eure Begleiter Euch bald auffinden. Ihr, Arnold Biedermann, seid ein zu wichtiger Mann, als daß man Euch nicht vermissen sollte.« – »Das hoffe ich,« sagte der Landammann, »doch sieh zu, Arthur, mein wackerer Bursch, ob sich der Riegel nicht zurückschieben läßt.« Arthur, der sorglich das Schloß untersucht hatte, erwiderte verneinend und fügte hinzu, daß sie wohl oder übel sich in Geduld fassen und ruhig auf Befreiung warten müßten, da sie selber nichts dazu beitragen könnten.
Sie brauchten jedoch nicht lange zu warten, so sprang der Riegel zurück, und die Tür wurde von einer Person geöffnet, die sofort wieder die Treppe hinaneilte, bevor die in Freiheit Gesetzten ihren Befreier auch nur mit einem einzigen Blicke hätten sehen können. – Sie stiegen die steile Treppe hinan und gelangten an den Ausgang des Wachthausturmes, wo ein seltsames Schauspiel ihrer harrte. Die Schweizer Abgeordneten und ihre Mannen standen noch still und unbeweglich an eben der Stelle, wo Hagenbach sie hatte wollen angreifen lassen. Etliche wenige Kriegsknechte des Vogts, die sich vor den empörten, jetzt in großer Zahl die Straßen füllenden Bürgern fürchteten, standen mit gesenkten Blicken hinter den Bergbewohnern, wo sie sich am sichersten glaubten. Allein, dies war nicht alles.
Die Karren, die eben noch dazu gedient hatten, die Straße zu sperren, waren jetzt anders zusammengeschoben und mit Brettern belegt, so daß in Eile daraus ein Schafott gebildet worden war. Auf diesem befand sich ein Sessel, in welchem ein langer Mann mit entblößtem Haupte, Nacken und Schultern, doch noch in glänzender Rüstung, saß. Sein Antlitz war bleich, wie das eines Toten, jedoch der junge Philippson erkannte in dem Manne sogleich den hartherzigen Vogt, den Ritter Archibald von Hagenbach. Er schien auf dem Stuhle festgebunden zu sein.
Zu seiner Rechten dicht neben ihm stand der Pfarrherr von Sankt Paul, das Brevier in der Hand, während ihm zur Linken, etwas hinter dem Gefangenen, eine hohe Gestalt in rotem Mantel sich mit beiden Händen auf ein entblößtes Schwert lehnte. In dem Augenblicke, als Arnold Biedermann aus dem Turme heraustrat, und ehe der Landammann noch die Lippen öffnen konnte zu der Frage, was dieser Anblick bedeutete, zog der Priester sich zurück, der Nachrichter schritt vor, das Schwert wurde geschwungen, der Streich geführt, und das Haupt des Missetäters rollte hin auf das Schafott. Allgemeiner Beifall und Händeklatschen wurden hörbar, wie es wohl vor einer Schaubühne zu geschehen pflegt, wenn beliebten Darstellern Lob gezollt wird. Während Blutströme aus den Adern des enthaupteten Rumpfes flossen und von den Sägespänen verschluckt wurden, mit denen das Schafott bestreut worden war, verneigte der Nachrichter sich mit Anstand nach allen vier Ecken des Gerüstes hin gegen die Beifall spendende Menge.
»Edle Ritter, Herren aus freigeborenem Blute und werte Bürger,« sprach er, »die Ihr dieser hohen Gerichtsvollstreckung beigewohnt habt, ich bitte Euch, mir zu bezeugen, daß diese Hinrichtung nach aller Form des Urteils auf einen einzigen Streich und ohne allen Fehl- oder Doppelhieb ausgeführt wurde.« – Der Beifall wiederholte sich. – »Lange lebe unser Scharfrichter Steinherz, und möge er noch an manchem sein Amt vollführen.«
»Edle Freunde,« sagte der Nachrichter mit tiefster Untertänigkeit, »ich habe jetzt noch ein Wort zu sagen, und zwar ein kühnes. – Gott verleihe seine Gnade der Seele des guten und edlen Ritters, des Herrn Archibald von Hagenbach. Er war der Schutz meiner Jugend und mein Führer auf der Bahn der Ehren. Acht Schritte zu Freiheit und Adelsrecht hatte ich durch die Köpfe freigeborener Edlen und Ritter getan, die auf sein Geheiß durch mich fielen, und der neunte Schritt, durch den ich an mein Ziel gelange, geschah durch sein eigen Haupt, und ich will zu dankbarem Andenken dessen diese Börse mit Gold, die er mir erst vor einer Stunde schenkte, zu Seelenmessen für ihn spenden. Ihr edlen Herren und Freunde und jetzt Meinesgleichen! La Ferette hat einen Edelmann verloren und einen anderen dafür gewonnen. Unsere heilige Mutter sei gnädig dem hingeschiedenen Ritter, Herrn Archibald von Hagenbach, und segne und beglücke das Tun des Stefan Steinherz vom Blutacker, der nun ein Mann vom Adel geworden ist.« Mit diesen Worten nahm er die Feder ab von dem Helme des Gerichteten, der blutbefleckt neben dem Leichname auf dem Gerüste lag, und empfing, als er sie auf seine Amtsmütze steckte, die Huldigung der Menge in lautem Hurrahgeschrei, das teils im Ernst, teils im Scherze erklang, wie das bei dergleichen Gelegenheiten der Fall zu sein pflegt.
Endlich fand Arnold Biedermann Worte. Das Uebermaß seines Erstaunens schien ihn der Sprache beraubt zu haben; auch hatte die Hinrichtung zu schnell ihr Ende erreicht, als daß der Landammann sich hätte ins Mittel legen können, »Wer hat es gewagt, diese Greueltat anzuordnen?« fragte er voller Unwillen. »Und mit welchem Rechte hat sie stattgefunden?«
Ein reich in Blau gekleideter Edler erwiderte auf die Frage: »Die freien Bürger von Basel haben nach ihrem Ermessen so gehandelt, wie die Väter der schweizerischen Freiheit ihnen das Beispiel gaben; und der Tyrann Archibald von Hagenbach ist mit demselben Recht gefallen, nach welchem der Tyrann Geßler fiel. Wir duldeten ihn, bis sein Becher zum Rande gefüllt war; länger dulden wir nicht!« – »Ich spreche nicht, daß er den Tod nicht verdiente,« entgegnete der Landammann, »allein um Eurer selbst und der Eurigen willen, hättet Ihr seiner schonen sollen, bis der Herzog seinen Willen kundgetan.« – »Was redet Ihr uns vom Herzog?« antwortete Lorenz Neipberg, der nämliche Blaue, den Arthur bei der Zusammenkunft der Baseler Bürger in Rudolfs Gesellschaft gesehen hatte. »Wir sind keine burgundischen Untertanen! Der Kaiser ist unser alleiniger rechtmäßiger Herr und hatte nicht das Recht, die Stadt und Feste La Ferette, die ein Grundeigentum Basels ist, zum Nachteil unserer freien Stadt zu verpfänden. Zieht indessen Eures Weges, Herr Landammann von Unterwalden! So unser Tun Euch mißfällt, schwört es ab vor dem Herrschersitze Karls von Burgund, allein, indessen Ihr solches tut, verschwört auch zu gleicher Zeit das Andenken an Wilhelm Tell und Stauffacher, an Walter Fürst und Arnold von Melchthal, an die Väter der helvetischen Freiheit.«
»Ihr sprecht die Wahrheit,« sagte der Landammann, »allein Ihr tut es zu übelgewohnter und unglücklicher Stunde. Geduld würde Euern Uebeln abgeholfen haben, die keiner tiefer fühlt und bereitwilliger aus der Welt geschafft hätte, als ich, Ihr habt, unkluger Jüngling, die Bescheidenheit Eures Alters und die Unterwürfigkeit, die Ihr Euren Altvordern schuldig seid, hintangesetzt. Wilhelm Teil und seine Genossen waren bejahrte und erfahrene Männer, Ehegatten und Hausväter, die ein Recht besaßen, im Rate gehört zu werden, und die ersten zur Tat zu sein! Genug, ich überlasse es den Vätern und Vorgesetzten Eurer Stadt, Euer Tun zu billigen oder zu verwerfen. – Ihr aber, meine Freunde – Ihr, Bannerherr von Bern – Du, Rudolf – vor allem aber Du, Nikolaus von Bonstetten, mein Kamerad und Freund, warum nahmt Ihr jenen elenden Mann nicht in Schutz?« – »So wahr ich vom Brot lebe,« antwortete Nikolaus Bonstetten, »ich gedachte Euren Verfügungen bis auf den kleinsten Punkt nachzukommen; und das dergestalt, daß ich einmal den Gedanken hegte, loszubrechen und den Mann zu beschützen, allein Rudolf von Donnersberg erinnerte mich, daß Euer letzter Befehl lautete, mich still auf dem Platze zu verhalten und die Männer von Basel ihr Tun selbst vertreten zu lassen. Fürwahr, sprach ich da zu mir selbst, mein Gevatter Arnold weiß besser, als irgend einer von uns, was uns zu tun gebührt.«
»Ach, Rudolf, Rudolf!« rief der Landammann, indem er mit Mißfallen auf ihn blickte, »schämtest Du Dich nicht, einen Greis zu betrügen?«
»Zu sagen, daß ich ihn betrog, ist eine schwere Anklage,« sprach der Berner mit seiner gewöhnlichen Ehrerbietung; »jedoch von Euch, Landammann, nehme ich alles hin. Ich will nur sagen, daß ich als Mitglied dieser Gesandtschaft mich dem Ganzen unterordnen mußte und nicht selbständig handeln durfte, besonders wo derjenige nicht gegenwärtig war, der Weisheit genug besitzt, uns alle zu lenken und zu leiten.« – »Deine Worte sind allezeit schön, Rudolf,« erwiderte Arnold Biedermann, »und ich hoffe, Du meinst es auch so. Doch Streit beiseite und gebt mir Euren Rat, meine Freunde. Zu diesem Zwecke wollen wir dahin gehen, wo es sich am besten schickt, also zuerst in die Kirche, um für unsere Errettung vom Meuchelmorde zu danken und dann Rat zu halten, was zunächst zu tun sei.«
Der Landammann eröffnete den Weg zur St. Pauluskirche, während seine Gefährten und Genossen ihm folgten. Rudolf, der als Jüngerer die Alten voranschreiten ließ, bekam dadurch Gelegenheit, den ältesten Sohn des Landammannes, Rüdiger, zu sich zu winken, und ihm ins Ohr zu flüstern, er möchte zusehen, daß man sich der beiden englischen Kaufleute entledigen könne. »Hinweg, mit Ihnen, mein lieber Rüdiger,« sprach er, »und womöglich auf freundliche Weise! Dein Vater ist wie vernarrt in diese beiden englischen Marktkrämer und wird auf keinen andern Rat hören, und Du weißt, lieber Rüdiger, so wie ich, Männer, wie diese sind untauglich, freigeborenen Schweizern Vorschriften zu machen. Schaff die Siebensachen, die man ihnen geraubt – oder so viel davon noch vorhanden ist, so schnell herbei, als Du kannst, und schicke sie in des Himmels Namen auf die Reise!«
Rüdiger nickte bejahend und ging. Der einsichtsvolle Handelsmann wünschte ebenso dringend, wie die jungen Schweizer, diesem Schauplatze der Verwirrung zu entrinnen, und wartete nur noch darauf, das Kästchen zurückzuerhalten, das der Hagenbacher ihm abgenommen hatte. Rüdiger Biedermann stellte Nachforschungen an, die um so mehr Aussicht auf Erfolg hatten, da die schlichten Schweizer schwerlich den wahren Wert jener Edelsteine zu schätzen wußten. Sofort wurde der Leichnam des Vogts untersucht, allein man fand weder bei ihm, noch bei denen, die vor und während der Hinrichtung in seiner Nähe geweilt oder zu seinen Lebzeiten des Vogts Vertrauen genossen hatten, die geringste Spur von dem kostbaren Päckchen.
Der junge Arthur Philippson hätte herzlich gern ein paar Augenblicke benützt, um Anna von Geierstein Lebewohl zu sagen. Allein der graue Schleier war nicht mehr unter den Reihen der Schweizer zu sehen, und ziemlich gewiß war anzunehmen, daß bei der Verwirrung, die der Hinrichtung folgte, und bei dem Fortzug der kleinen Schar das Mädchen sich in eines der naheliegenden Häuser zurückgezogen hatte, während die schweizerischen Krieger, durch die Gegenwart ihrer Hauptleute nicht mehr gehindert, sich zerstreut hatten, teils um nach den den Engländern geraubten Waren zu suchen, teils sich mit den jubelnden siegreichen Baseler und den Bürgern von La Ferette zu vereinigen.
Allgemein ging das Geschrei, daß Ferette, ein Ort, der so lange Zeit als Hemmschuh der Schweizer Eidgenossenschaft und als Schranke des helvetischen Handels gegolten hatte, fortan von ihnen zum Schutze gegen die Eingriffe und Erpressungen des Herzogs von Burgund und dessen Beamten gehalten werden sollte, und der ganze Ort gab sich einem wilden, jedoch fröhlichen Jubel hin. Inmitten all dieser Verwirrung war es für Arthur unmöglich, seinen Vater zu verlassen, auch wenn sich Gelegenheit geboten hätte, einen Augenblick nur sich selbst zu genügen. Traurig, gedankenvoll und sorgenbeladen mitten unter all den Fröhlichen, blieb er bei dem Vater, den zu lieben und zu ehren er so gewichtige Ursache hatte. Er half ihm, das Maultier mit den Waren in Sicherheit zu bringen, die sie durch die ehrlichen Schweizer nach Hagenbachs Tode wiedererhalten hatten. Dieser Auftritt hatte kaum zehn oder fünfzehn Minuten gedauert, als Rudolf von Donnersberg sich dem älteren Philppson näherte und im Tone der größten Höflichkeit ihn einlud, sich an der Beratung der Gesandtschaft zu beteiligen, die in einer so unerwarteten schwierigen Lage keine Schritte tun wolle, ohne die Meinung des erfahrenen Handelsmannes anzuhören. Der ältere Philippson machte sich sogleich mit Donnersberg auf den Weg; der junge Kämpe nahm ihn vertraulich beim Arm und flüsterte ihm unterwegs ins Ohr: »Ich denke, ein Mann von Eurer Einsicht wird uns kaum raten, uns der Laune des Herzogs von Burgund preiszugeben, nachdem dieser durch die Wegnahme seiner Feste und die Hinrichtung seines Vogts eine schwere Beleidigung von uns erfahren hat.« – »Ich werde nach besten Kräften meinen Rat erteilen,« antwortete Philippson, »sobald ich genau über die Umstände unterrichtet bin, unter denen man ihn von mir verlangt.«
In einer kleinen, an die Kirche grenzenden, dem heiligen Magnus gewidmeten Kapelle waren die vier Abgeordneten zu geheimer Beratung versammelt. Auch der Pfarrer von St. Paul war gegenwärtig. Als Philippson eintrat, schwiegen alle für einen Augenblick, bis der Landammann ihn folgendermaßen anredete: »Herr Philippson, wir schätzen Euch als einen Mann, der weit gereist, wohl vertraut mit den Sitten fremder Länder und bekannt mit den Verhältnissen des Herzogs von Burgund ist; weshalb Ihr wohl befähigt seid, uns in einer Sache von großer Wichtigkeit zu raten. Ihr wißt, mit welcher Sehnsucht nach Frieden wir unsere Sendung übernahmen, wißt auch, was sich heute ereignet hat, und daß dies wahrscheinlich dem Herzoge in schwärzestem Lichte vorgestellt wird; würdet Ihr in solchem Falle uns raten, nach diesem Vorfall vor den Herzog zu treten, oder täten wir besser, heimzukehren und zum Krieg mit Burgund uns zu rüsten?«
»Welche Meinungen hegt Ihr selbst über diesen Gegenstand?« fragte der vorsichtige Engländer.– »Unsere Meinungen sind geteilt,« antwortete der Berner Bannermann. »Ich habe das Banner dreißig Jahre lang gegen die Feinde getragen und will es lieber gegen die Lanzen der Ritter Lothringens und des Hennegaus tragen, als mich der rohen Aufnahme aussetzen, die wir am Throne des Burgunders zu erwarten haben.« – »Wir stecken unsere Köpfe selbst in des Löwen Rachen, so wir hinziehen,« sagte Zimmermann von Solothurn; »darum bin ich für die Rückkehr.« – »Ich möchte das nicht anraten,« sagte Rudolf von Donnersberg, »wenn es mein Leben allein beträfe; der Landammann von Unterwalden ist der Vater der vereinigten Kantone, und es würde Vatermord sein, so ich dafür stimmte, sein Leben in Gefahr zu bringen. So rate ich denn auch, umzukehren, damit die Eidgenossenschaft sich zum Kampfe anschicke.« – »Meine Meinung ist anderer Art,« sagte Arnold Biedermann, »auch würde ich es keinem vergeben, der, ob aus wirklichem oder erheucheltem Freundschaftsgefühle, mein geringes Leben mit der Wohlfahrt der Kantone auf die Wagschale legte. Gehen wir vorwärts, so wagen wir unsere Köpfe – sei dem so! Allein kehren wir zurück, so verwickeln wir unser Vaterland in Krieg mit einer der ausgezeichnetsten Mächte Europas. Würdige Mitgenossen! Ihr seid tapfer im Gefechte – zeigt Euch jetzt so kühn wie tapfer und zaudert nicht jeglicher persönlichen Gefahr, die unser warten möchte, entgegenzugehen, sobald wir dadurch unserm Lande den Frieden erhalten können. – »Ich denke und stimme wie mein Nachbar, Arnold Biedermann,« sagte der lakonische Abgeordnete von Schwyz. – »Ihr hört, wie geteilt unsere Meinungen sind,« sagte der Landammann zu Philippson. »Sagt uns jetzt die Eurige.«
»Zuvor möchte ich fragen,« sprach der Engländer, »inwiefern Ihr an der Erstürmung einer vom Herzog besetzten Stadt und an der Hinrichtung des Vogts Anteil nahmt?« – »So wahr mich der Himmel schützt,« versetzte der Landammann, »ich wußte nichts von der Erstürmung bis zu dem Augenblicke, wo sie stattfand.« – »Und was die Hinrichtung Hagenbachs betrifft,« sagte der schwarze Priester, »so schwör ich Euch bei meinem heiligen Amte, sie wurde unter der Leitung eines gültigen Gerichtshofes vollführt, dessen Spruch selbst Karl von Burgund anerkennen muß und dessen Beschluß die Schweizer Abgeordneten weder fördern noch hindern konnten.«
»Wenn das der Fall ist und Ihr wirklich keinen Anteil an den Vorgängen hattet,« äußerte Philippson, »die der Herzog freilich höchst übel aufnehmen wird, so möchte ich Euch allerdings raten, Eure Reise fortzusetzen, indem ich gewiß bin, daß Ihr bei jenem Fürsten gerechtes und unparteiisches Gehör und, wie zu hoffen steht, günstige Antwort erhalten werdet. Ich kenne den Herzog Karl von Burgund, ja ich darf wohl sagen, daß ich ihn genau kenne. Wenn Ihr im Verlauf der Untersuchung imstande seid, Euch von allen Anschuldigungen zu reinigen, so wird seine Gerechtigkeitsliebe zu Euren Gunsten entscheiden. Doch muß Eure Sache dem Herzog gehörig dargelegt werden, und zwar von einem Munde, der besser mit der Sprache der Königshöfe vertraut ist als der Eurige; und solch eine freundliche Fürsprache möchte ich wohl für Euch tun, wäre ich nicht des wertvollen Päckchens beraubt worden, das ich bei mir trug, um es dem Herzoge zu überreichen, und das zugleich als Zeugnis meiner Sendung an ihn galt.«
»Dieses wichtige Kästchen soll auf das strengste gesucht und Euch sorgfältig zurückerstattet werden,« sagte der Landammann. »Was uns Schweizer betrifft, so kennt keiner den Wert seines Inhaltes; und, wenn es sich in den Händen eines der Unsrigen befinden sollte, so wird er es als Spielwerk, worauf er keinen Wert legt, gern zurückgeben.«
Als er so sprach, wurde heftig an die Tür geklopft. Rudolf, der ihr zunächst stand, bemerkte mit einem Lächeln, das er jedoch gleich unterdrückte, da es den Landammann hätte beleidigen können: »Es ist Sigismund, der gute Junge – soll ich ihn zu unserer Beratung einlassen?« – »Was soll der einfältige Bursch?« fragte Arnold mit bekümmertem Lächeln. – »Doch laßt mich ihm öffnen,« nahm Philippson das Wort: »er fordert dringend Einlaß und bringt vielleicht Nachrichten. Ich habe wahrgenommen, Herr Landammann, daß dieser junge Mann, wiewohl langsam von Gedanken und Ausdruck, doch streng in seinen Grundsätzen und bisweilen glücklich im Auffassen ist.«
Somit ließ er Sigismund herein, und dieser trat voll Selbstvertrauen näher und hatte vollauf Recht dazu, indem er dem älteren Philippson das Diamant-Halsgeschmeide samt dem dazu gehörigen Kästchen überreichte.
»Dies hübsche Ding gehört Euch,« sprach er, »ich vernahm von Eurem Sohne Arthur, daß Ihr erfreut sein werdet, es zurückzuerhalten.« – »Ich danke Dir auf das herzlichste,« antwortete der Handelsmann. »Der Schmuck ist allerdings mein; das heißt das Kästchen war unter meine Obhut gegeben und ist mir um so mehr wert, da es mir als Pfand und Ausweis zur Ausführung eines wichtigen Auftrages dient. – Wie bist Du denn, mein junger Freund,« sprach er zu Sigismund, »so glücklich gewesen, das wiederzufinden, was wir vergebens so emsig suchten? Laß mich Dir nochmals herzlich danken, und halte mich nicht für neugierig, wenn ich frage, wie das Kästchen in Deine Hände kam.« – »Nun,« sagte Sigismund, »die Geschichte ist bald erzählt. Ich hatte mich dem Schafotte so nahe gestellt, wie ich nur konnte, indem ich noch nie eine Hinrichtung gesehen hatte. Da gewahrte ich denn, wie der Scharfrichter, der, wie ich meine, sein Amt gar geschickt verwaltete, in dem Augenblicke, wo er das Tuch über den Leichnam Hagenbachs breitete, etwas unter des toten Mannes Harnisch hervorzog und es hastig in seinen eigenen Busen steckte. Als nun das Gerücht ging, es werde ein wertvoller Gegenstand vermißt, eilte ich dem Kerl nach, um ihn in Untersuchung zu nehmen. Ich fand, daß er zum Messelesen hundert Krontaler auf den Hochaltar der Sankt Paulskirche niedergelegt hatte, und verfolgte seine Spur bis in die Schenke des Fleckens, wo etliche widerwärtige Gesichter ihm als einem Freisassen und Edelmanne jubelnd zutranken. So trat ich mit meiner Partisane mitten unter sie und begehrte von seiner Herrlichkeit entweder das herauszugeben, was er dort sich genommen hatte, oder die Schwere meiner Waffe zu erproben. Seine Gnaden, der Herr Hängemann, zauderte und wollte allerlei Einrede versuchen. Ich aber war etwas kurz angebunden, und so hielt er es dann für das beste, mir das Päckchen einzuhändigen. Das ist die ganze Geschichte.«
»Du bist ein braver Bursch,« sagte Philippson, »und bei einem stets richtigen Gefühle kann der Kopf selten unrecht haben. Eile, mein guter Junge, und gib meinem Sohne Arthur dies inhaltsschwere Kästchen.« – Mit stillem Frohlocken, Beifall erhalten zu haben, der ihm so selten ward, verließ Sigismund die Kapelle.
Einen Augenblick herrschte Stille; denn der Landammann freute sich im geheimen von Herzen über das einsichtsvolle Verhalten des sonst so tölpelhaften Sigismund, dessen Geistesarmut ihn stets mit Besorgnis erfüllt hatte. Als er wieder zu Worten gelangen konnte, sprach er mit seiner gewöhnlichen Aufrichtigkeit und männlichen Festigkeit zu Philippson.
»Herr Philippson, ich frage Euch jetzt, ob, nachdem Ihr in so glücklicher und unerwarteter Weise wieder in den Besitz dessen gelangtet, was, wie Ihr sagtet, Euch beim Herzoge von Burgund als Kreditiv dienen soll, Ihr noch geneigt seid, Fürsprache unseretwegen bei dem Burgunder zu tun, wie Ihr uns vorhin angeboten habt?« – »Landammann,« versetzte Philippson, »Ihr sagt es, und ich glaube es, daß Ihr von der Erstürmung von La Ferette nichts wußtet. Auch sagt Ihr, daß Hagenbach durch einen Rechtsspruch ums Leben kam, den Ihr weder fördern noch hindern konntet. – Laßt eine Vernehmungsschrift aufsetzen, die über diese Punkte Licht gibt und dieselben soviel wie möglich beweist. Vertraut sie mir, versiegelt so Ihr wollt, und wenn das alles so geschehen, so gebe ich Euch mein Wort als – als – ehrlicher Mann und echtgeborener Engländer, daß der Herzog von Burgund Euch nimmer eine Schmach wird antun, noch antun lassen. Auch hoffe ich, diesem Fürsten ein Freundschaftsbündnis zwischen Burgund und den vereinigten Kantonen sehr ans Herz zu legen. Doch ist es möglich, daß mir dieser letzte Punkt mißlingt, jedenfalls aber bürge ich Euch dafür, daß Ihr unbehelligt den herzoglichen Hof erreichen und ungehindert heimkehren werdet, widrigenfalls mein Leben und das meines einzigen und geliebten Sohnes das Lösegeld sein möge, womit ich mein allzuhoch gesteigertes Vertrauen zu des Herzogs Gerechtigkeit und Ehrfurcht büßen werde.«
Die Abgeordneten schwiegen und blickten auf den Landammann; nur Rudolf von Donnersberg nahm das Wort: »Sollten wir denn unser Leben und, was noch teurer ist, das Leben unseres vielgeehrten Genossen, des Herrn Arnold von Biedermann, dem schlichten Worte eines fremden Handelsmanns vertrauen? Wir alle kennen die Gemütsart des Herzogs, und wie rachsüchtig und unversöhnlich er sich stets gegen unser Land bewies.
Mich will bedünken, dieser englische Kaufmann sollte seine eigene Beziehung zu dem burgundischen Hofe deutlicher kund geben, wenn er von uns erwartet, daß wir ihm unbedingtes Vertrauen schenken sollen.« – »Das zu tun, Herr Rudolf von Donnersberg,« versetzte Philippson, »gebricht es mir an Freiheit. Ich dringe nicht in Eure Geheimnisse, sie mögen einem einzelnen oder mehreren unter Euch angehören. Meine Geheimnisse sind mir heilig. Erwog ich bloß meine eigene Sicherheit, so wäre es höchst weise getan, mich hier von Euch zu trennen. Allein unsere Botschaft ist Friede: Eure plötzliche Rückkehr nach dem, was in La Ferette vorfiel, würde unvermeidlichen Krieg zur Folge haben. Mich dünkt, ich kann Euch freies und sicheres Gehör bei dem Herzoge versprechen, und ich bin bereit, eines christlichen Friedens willen jeglicher sich mir deshalb entgegenstellenden persönlichen Gefahr Trotz zu bieten.«
»Nichts mehr, würdiger Philippson,« sprach der Landammann. »Ihr seid die Redlichkeit in Person, und der ist zu beklagen, der das nicht auf Eurer männlichen Stirn lesen kann! Wir ziehen fürbaß, bereit, unsere Wohlfahrt lieber der Hand eines despotischen Fürsten zu überantworten, als die Botschaft unausgerichtet zu lassen, die unser Vaterland uns auftrug. Der ist nur zur Hälfte ein braver Mann, der sein Leben bloß auf dem Schlachtfelde wagt. Es gibt noch andere Gefahren, denen zu begegnen ein ehrenwertes Amt ist, und da das Wohl des Schweizerlandes verlangt, daß wir solchen Gefahren entgegengehen sollen, so wird keiner von uns zögern, diesen Schritt zu wagen.«
Die übrigen Mitglieder der Gesandtschaft stimmten ein, und die Versammlung brach auf, um ihre Weiterreise nach Burgund vorzubereiten.
Ende.