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Zweites Kapitel.

Die Gesellschaft im Wohnzimmer zu Ellangowan bestand aus dem Gutsherrn selbst, und einem Manne, der wie ein Dorfschulmeister oder wie ein Pfarrgehilfe aussah; in ihm den Dorfpfarrer selbst zu vermuten, dazu war sein Äußeres zu armselig, denn der hätte sich zu einem Besuch im Schlosse wohl anständiger gekleidet.

Der Laird war ein Landedelmann zweiten Ranges. Ein Zug von gutmütiger Sorglosigkeit war der einzige Ausdruck, der in seinem Gesicht auffiel, das eher hübsch als unangenehm aussah, aber so recht all jene Leere zum Ausdruck brachte, die in seinem ganzen Leben geherrscht hatte.

Godfrey Bertram von Ellangowan zählte viele Ahnen, aber wenig Einkünfte, wie mancher Gutsherr seiner Zeit. Die Reihe seiner Väter stieg so hoch hinauf, daß an seinem Stammbaume, außer den Kreuzfahrernamen der Gottfriede, Gilberte und Rolande, auch noch die heidnischen Früchte einer weit dunklern Zeit hingen. Sie waren vordem die unruhigen Gebieter eines öden, aber ausgedehnten Besitztums und die Häuptlinge eines zahlreichen Stammes, namens Mac Dingawaie, der späterhin mit dem normannischen Zunamen Bertram vertauscht wurde. Sie hatten Kriege angefangen, Aufstände angezettelt, waren geschlagen, geköpft und gehängt worden, wie es sich Jahrhunderte lang für ein angesehenes Geschlecht ziemte. Allmählich aber verloren sie an Ansehen, und die Herren von Ellangowan, einst Häupter und Rädelsführer von Verschwörungen, sanken zu untergeordneten Parteigängern herab. Ihre unglücklichste Zeit fiel in das siebzehnte Jahrhundert, wo der böse Geist des Widerspruches sie mit den Machthabern in ewigen Hader brachte. Allan Bertram, der zur Zeit Karls des Ersten lebte, war ein standhafter Königsfreund, verband sich mit dem tapfern Monrose und andern eifrigen, ehrenwerten Vaterlandsfreunden und erlitt große Verluste. Der König verlieh ihm zwar die Ritterwürde, aber nach dem Sturze wurde er als Uebelgesinnter hart verfolgt. Sein Sohn heiratete die Tochter eines einflußreichen Schwärmers, der dem Staatsrate angehörte und dadurch den letzten Rest des Stammgutes rettete. Zu seinem Unglück aber begeisterte er sich für die Anschauungen seiner Gemahlin ganz ebenso wie für ihre Reize, und als er unter Karl dem Zweiten im Namen der Gutsbesitzer der westlichen Grafschaften beim Staatsrat eine Beschwerdeschrift über Landbedrückungen einreichte, wurde er zu einer harten Geldbuße verurteilt, die ihn zur Verpfändung seines halben Erbteils nötigte. Durch Sparsamkeit hätte sich dieser Verlust wohl ersetzen lassen: aber als es bald nachher zu einem neuen Aufstande kam, machte sich Bertram abermals verdächtig, wurde verhaftet und brach bei einem Versuche, aus dem Kerker zu entspringen, den Hals. Der Hypotheken-Gläubiger setzte sich in Besitz des Anwesens, und der junge Erbe von Ellangowan, Donohoe Bertram, übernahm nun das stark verkümmerte Stammgut. Er warf den Kaplan seiner Mutter aus dem Hause, weil beide, wie die Sage geht, um eines Milchmädchens willen in Streit geraten waren, betrank sich täglich bei den vielen Gesundheiten, die er auf König, Staatsrat und Bischöfe ausbrachte, und ging im Tressen bei Killiekrankie zu Clavers über. Bald nachher schoß ihn ein Cameronianer in einem Gefechte mit einem silbernen Knopfe tot; denn man hielt ihn für kugel- und stichfest. Sein Grab heißt noch immer »das Lager des schlimmen Laird.«

Sein Sohn Lewis war klüger als seine andern Stammesglieder und suchte zu erhalten, was vom Stammgute auf ihn gekommen war, obgleich auch er, vom Verhängnis ergriffen, das über den Herren von Ellangowan feindselig waltete, sich in die politischen Parteien mischte, die sich 1715 zu gunsten des vertriebenen Hauses Stuart bildeten: aber er verlor doch nicht alles, sondern verkaufte einen Teil seiner Ländereien, räumte das alte Schloß, wo seine Voreltern gewohnt hatten, und erbaute von einem Teile seiner ehrwürdigen Trümmer ein kleines Haus, dessen Vorderseite wie eine Grenadiermütze aussah; das war der neue Edelhof, worin er seinen Sitz aufschlug, und hier war er immer dafür besorgt, den Wohlstand seines Hauses wieder zu erheben. Er nahm einige Ländereien von benachbarten Gutsbesitzern in Pacht, kaufte und verkaufte hochländisches Rindvieh und Cheviot-Schafe, ritt auf Jahrmärkte und Sammelplätze und half sich in der Not, so gut es gehen wollte. Was er aber an Geld gewann, verlor er an Ansehen; denn alle landwirtschaftliche und kaufmännische Betriebsamkeit wurde von seinen Standesgenossen, die nur für Hahnenkämpfe, Jagd und Wettrennen Sinn hatten, mit sehr ungünstigen Augen angesehen. Dadurch sah sich der neue Herr von Ellangowan gezwungen, ihre Gesellschaft zu meiden und einer von den »fürnehmen Pachtherren« zu werden, was aber damals in Schottland kein angesehener Stand war.

Als das dürftige Erbe auf seinen einzigen Sohn, den Wirt unseres Reisenden, überging, trat die gefährliche Natur der väterlichen Spekulationen sehr bald zu Tage. Es fehlte an der selbständigen Oberaufsicht, die der Vater geführt hatte, so daß alles, was der Sohn angriff, mißlang. Ohne einen Funken von eigener Kraft, den hieraus erwachsenden Schaden gut zu machen, verließ er sich auf einen Verwalter, unter dessen Händen kleine Schulden zu großen wurden, Zinsen sich auf Zinseszinsen häuften, ablösliche Lasten zu erblichen wurden, bis der brave Laird, der durchaus kein Freund von Zank und Streit war, aus den Prozessen nicht mehr herauskam, aber von ihnen zumeist erst dann hörte, wenn das Gericht die Kosten beitrieb. Die Nachbarn sahen seinen Untergang voraus, und während die Vornehmern ihn schon, nicht ohne Schadenfreude, als »bankerotten Standesgenossen« ansahen, fühlten die Niedern, die seine Lage nicht neidenswert fanden, in gewissem Maße Mitleid mit ihm. Bei mancher öffentlichen Zusammenkunft, wenn von Bedrückungen der adeligen Gutsherren die Rede war, hieß es dann wohl bei diesen letztern: »Ja, wenn der ehrliche Ellangowan noch die Macht seiner Voreltern besäße, ließe er arme Leute nicht so unter die Füße treten.« Aber trotz dieser guten Meinung von ihm, machte man sich doch kein Bedenken daraus, bei jeder Gelegenheit Nutzen aus seinen Verlegenheiten zu ziehen, das Vieh in sein Gebüsch zu treiben, Holz aus seinen Beständen zu stehlen und Wild von seinen Fluren wegzuschießen; Hausierer, Zigeuner, Kesselflicker und allerhand fahrendes Volk schlug sein Lager in der Nähe seines Schlosses auf oder herbergte gar in seiner Küche; der Gutsherr aber, der, wie fast immer Schwächlinge unter den Menschen, ein Freund vom Klatsche war, fand den Lohn für seine Gastfreiheit in der Gelegenheit, seine Gäste nach den Neuigkeiten im Lande zu fragen.

Auf dem geraden Wege zum Untergange wurde der Gutsherr durch die Mitgift von viertausend Pfund Sterling, die ihm seine Braut brachte, noch einmal aufgehalten. Niemand in der Gegend konnte begreifen, warum ihre Wahl auf ihn gefallen, warum sie ihm ihr Geld in die Hände gab, wenn sie sich nicht gerade durch seine schlanke hübsche Gestalt, sein freundliches Gesicht und Benehmen und sein gutmütiges Temperament hatte fesseln lassen. Vielleicht hat bei ihr auch mitgesprochen, daß sie in dem bedenklichen Alter von achtundzwanzig Jahren stand und keine näheren Verwandten hatte, die Einspruch gegen ihre Wahl hätten erheben können. Sie stand nun vor ihrer ersten Entbindung, und eben um ihretwillen war in der Nacht, da Mannering eintraf, der Eilbote nach Kippletringan gesandt worden.

Des Gutsherrn Gesellschafter war Abel Sampson, gewöhnlich als Jugendlehrer »Magister Sampson« genannt. Er war von niederer Herkunft, war aber seit seiner frühesten Kindheit ein so ernster Streber gewesen, daß seine armen Eltern sich zu der Hoffnung berechtigt hielten, ihr Junge werde den Weg auf die Kanzel finden. Infolgedessen darbten sie sich alles ab, standen früh auf und gingen spät zu Bett, aßen trocknes Brot und tranken kaltes Wasser, um ihrem kleinen Abel die Mittel zum Studium zu schaffen. Aber der arme Sampson war von langer, häßlicher Figur, und von schweigsamem, ernstem Wesen, hatte auch die seltsame Gewohnheit an sich, mit Armen und Beinen zu schlenkern und Gesichter zu schneiden, wenn er seine Aufgabe hersagte, und wurde hierdurch allen Schulknaben zum Gelächter. Nicht besser erging es ihm auf der hohen Schule von Glasgow. Die halbe Gassenjugend lief gewöhnlich zusammen, wenn »Magister Sampson« – diesen Ehrentitel besaß er schon – mit seinem Wörterbuch unter dem Arme aus dem griechischen Unterricht kam, die langen, ungefügigen Beine spreizend, die seltsamen Takt hielten mit dem Spiele der mächtigen Schulterblätter, über denen der weite, fadenscheinige schwarze Rock, sein gewöhnlicher und einziger Anzug, sich hob und senkte. Wenn er redete, waren vollends alle Bemühungen des Lehrers, das unauslöschliche Gelächter der Schüler zu unterdrücken, umsonst; ja es fiel ihm selbst schwer, ernsthaft zu bleiben. Das lange, bleiche Gesicht, die stieren Augen, der große Unterkiefer, der nicht willkürlich sich zu öffnen und schließen, sondern wie durch einen im Leibe arbeitenden Mechanismus auf- und niederzuklappen schien, die rauhe, überlaute Stimme und die an Geheul erinnernden Töne, wenn er ermahnt wurde, deutlicher zu sprechen – alles dieses reizte noch mehr zum Lachen! dazu kamen noch der zerlumpte Rock und die zerrissenen Schuhe, die Stoff zum Spott gegen den armen Gelehrten seit Juvenals Zeiten gegeben haben. Daß Sampson je darüber aufgebracht gewesen wäre oder an seinen Quälgeistern sich zu rächen gesucht hätte, davon hatte noch kein Mensch im Leben gehört. Er schlich auf den einsamsten Pfaden, die er finden konnte, aus der Schule in seine armselige Wohnung, wo er, für achtzehn Pense wöchentlich, auf einem Strohsacke schlafen und, wenn seine Wirtin gut gelaunt war, an ihrem Feuer seine Aufgaben lernen konnte. Mitten in diesen bedrängten Umständen erwarb er sich jedoch gute Kenntnisse im Griechischen und Lateinischen und blieb auch in den Wissenschaften kein Fremdling. Mit der Zeit wurde er Predigtamtskandidat. Aber ach! auf der Kanzel stand ihm nicht bloß seine Schüchternheit im Wege, sondern die ganze Gemeinde geriet bei seinem ersten Predigtversuche in eine so fidele Stimmung, daß dem armen Kandidaten die Worte im Halse stecken blieben. Er keuchte, zeigte die Zähne, rollte furchtbar die Augen, schlug die Bibel zu, stolperte die Kanzeltreppe hinab und rannte die alten Weiber, die hier gewöhnlich ihren Platz hatten, dabei fast über den Haufen. Seitdem hieß er nur »der Prediger, der nicht weiter kann.« Nach diesem trübseligen Debüt kehrte er wieder in seine Heimat zurück mit verlorenen Hoffnungen und Aussichten, und teilte dort die Armut seiner Eltern. Da er nun weder Freunde noch Kameraden, ja nicht einmal einen Bekannten hatte, konnte es niemand recht fassen, wie er über das Malheur wegkam, das dem Städtchen, in welchem er als Prediger aufgetreten war, acht Tage lang Stoff zur Unterhaltung gab. Wahrscheinlich aber ist sein Gleichmut dadurch nicht erschüttert worden. Durch Stundengeben suchte er so viel zu verdienen, daß er seine Eltern unterstützen konnte, und hatte wohl bald Schüler genug dazu, aber der Einnahmen aus dieser Tätigkeit herzlich wenig. Pächterssöhne durften ihm nach Belieben geben, von den Armen nahm er aber nichts, und für die erstern war es eben nicht viel Ehre, daß der arme Lehrer keinen Tag so viel verdiente wie ein geschickter Knecht hinter dem Pfluge. Er schrieb eine gute Hand, und eine kleine Einnahme wurde ihm von seiten des Herrn von Ellangowan, für den er Rechnungen schrieb oder Briefe entwarf. Auf diese Weise fand dieser mit der Zeit immer mehr vereinsamende Gutsherr nach und nach Behagen an Sampsons Gesellschaft. Von Unterhaltung konnte dabei freilich nicht viel die Rede sein, aber der Magister war ein guter Zuhörer, wußte das Kaminfenster gut imstande zu halten, versuchte sich wohl auch in der Kunst des Lichtputzens; als es ihm aber dabei passierte, daß er zweimal hintereinander die Wohnstube in tiefes Dunkel setzte, gab er weitere Versuche in dieser Richtung auf und beschränkte seine Dienstleistung hinfort darauf, sein Bierglas gleichzeitig mit dem Burgherrn von Ellangowan in die Hand zu nehmen und dessen endlose Erzählungen mit unverständlichem Beifallgemurmel zu begleiten.

Bei einer solchen Gelegenheit bekam unser Reisender zum erstenmal Magister Sampsons langes, mageres, ungeschlachtes Knochengerippe in dem alten, schäbigen schwarzen Rocke, zu dem ein buntes, nichts weniger als sauberes Halstuch, ein Paar graue Beinkleider und dunkelblaue Strümpfe sowie ein Paar klobige Schuhe mit genagelten Sohlen, durch kleine kupferne Schnallen über dem Spann zusammengehalten, eine schickliche, nicht aber vorteilhafte Ergänzung bildeten, zu Gesicht.


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