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Drittes Kapitel.

Der Gast wurde über den Zustand der Hausfrau unterrichtet, der als Entschuldigungsgrund für ihre Abwesenheit und all die hiermit notwendig im Zusammenhange stehenden Unzukömmlichkeiten, wie Mangel an Aufmerksamkeit bei der Bewirtung, usw. gelten mußte.

»Ich kann nicht schlafen,« sagte der Hausherr mit der Unruhe, die bei einem Vater unter solchen Umständen begreiflich und natürlich ist, »bis ich weiß, daß sie es glücklich überstanden hat, Wenn Sie nicht allzu müde sind, lieber Herr, so schenken Sie vielleicht mir und dem Magister die Ehre Ihrer Gegenwart noch? Allzulange werden wir Sie hoffentlich nicht aufhalten. Die Hebamme ist eine geschickte Person, die ihresgleichen sucht. Da war eine Dirne hier in der Gegend in Kindsnöten und ließ die Howatson-Luckie holen. Warum schütteln Sie so mit dem Kopfe und seufzen, Sampson? – die Kirchenbuße ist doch schlecht und recht von ihr bezahlt worden, und was kann solch armes Ding noch mehr tun? – Es passierte wohl, ehe sie unter die Haube kam, aber der Mann, der sie dann genommen, hält sie darum nicht weniger in Ehren – sie wohnt jetzt in Annan, an der Küste, und ich sage Ihnen, Herr Mannering, ein anständigeres, ordentlicheres Ehepaar kann man sich gar nicht vorstellen, Sie hat ein halbes Dutzend hübsche Kinder, und der kleine Krauskopf Godfrey – der Älteste, der sozusagen ohne Paß auf die Welt kam, – der ist auf einem Zollschiffe bedienstet – ich habe selbst einen Vetter auf dem Zollschiffe, den Kommissarius Bertram; er bekam die Stelle, als in der Grafschaft der große Wahlkrawall herrschte, – unter König Jakob – Sie werden ja davon gehört haben?«

Hier wurde die Geschichte, in die sich der Laird wieder zu verwickeln begann, durch lauten Gesang von jemand, der die Küchentreppe heraufkam, unterbrochen. Die hohen Töne waren zu grell für eine männliche, die tiefen schienen zu dumpf für eine weibliche Stimme zu sein. Was Mannering von dem Singsang unterscheiden konnte, lautete:

Sei der Tag beglückt gewesen!
Tät' die Frau des Kinds genesen?
Bübel oder Mädel sei's,
Beten wir und machen's Kreuz.

»Ach, die Meg Merrilies, die Zigeunerin, bei meiner Armensünder-Ehre!« sagte Bertram.

Sampson stöhnte, löste die gekreuzten Beine voneinander, zog den vorgestreckten, in der bisherigen Stellung lahm gewordenen Fuß an sich, stellte ihn senkrecht vor sich hin und legte das andere Bein darüber, während er dicke Tabakswolken aus seiner Pfeife blies.

»Warum stöhnen Sie, Magister?« fuhr ihn Bertram an. »Was die Meg Merrilies singt, ist doch nichts Schlimmes.«

»Was Gutes auch nicht,« antwortete Sampson mit einer Stimme, deren rauher Mißklang zu seiner ungeschlachten Gestalt vortrefflich paßte. Es waren die ersten Worte, die Mannering aus dem Munde des Magisters hörte, den er bis jetzt nur wie einen Automaten essen, trinken, rauchen gesehen, und da er mit gewisser Spannung darauf gewartet, ihn auch reden zu hören, machten ihm die rauhen Töne, die nun den Weg zu seinem Ohr fanden, nicht wenig Spaß.

Da ging die Tür auf, und Meg Merrilies trat herein. Mannering fuhr bei ihrem Anblick zurück. Sie war volle sechs Fuß hoch, trug einen Mannsrock über ihrem Kleide, hielt in der einen Hand einen derben Schlehdornknüttel und wies, von ihren Weiberröcken abgesehen, mehr das Aussehen eines Mannes als eines Weibes auf. Ihre tiefschwarzen, zerzausten Locken lugten unter der altmodischen Mütze, die sie auf dem Kopfe trug, wie Gorgonenhaar hervor und verschärften die energischen Züge des gebräunten Gesichts, das von ihnen verdunkelt wurde, während ihre Augen so wild rollten, daß man die Person für wirklich wahnsinnig, oder sich wahnsinnig stellend, halten konnte.

»Ei, ei, Ellangowan,« sagte sie, »was möchte wohl passiert sein, wenn die Edelfrau in die Wochen gekommen wäre, und ich wäre ohne Ahnung davon auf dem Jahrmarkte in Drumshourloch geblieben! Wer hätte die bösen Geister verjagen sollen? Wer hätte die Elfen und Hexen bannen sollen von dem lieben Bübel, das der liebe Gott segnen möge! Wer hätte der heiligen Columba Zauberspruch für ihn hersagen sollen?« und ohne auf Antwort zu warten, hub sie an:

»Kleeblatt, Taubenkraut und Dill
Hindern, was die Hexe will;
Dem ist wohl, der Fasttag macht,
Wenn Sankt-Andrestag erwacht.

Sankt Brigitta, sei uns gut;
Sankt Columbas treue Hut,
Auch Sankt Michel und sein Schwert
Halt' das Haus uns unversehrt!«

Sie sang den Spruch in wilder Weise, in hohen gellenden Tönen und machte dabei drei Sprünge, so gewandt und behende, daß sie fast die Decke der Stube berührte ... »Und wollt Ihr mir nun einschenken lassen, edler Herr?« setzte sie hinzu.

»Meth sollst Du haben, Meg! Setz' Dich dort an die Tür und erzähle mir, was Du Neues gehört hast auf dem Markte,« antwortete der Laird.

»Meiner Treu, edler Herr, da hättet Ihr sein sollen und Euresgleichen! Es war auch lustiges Weibsvolk da, außer mir; aber niemand, der einer Handgeld geben wollte!«

»Und wieviel Zigeuner sind ins Gefängnis gesteckt worden, Meg?«

»Nur drei, edler Herr, denn mehr waren ihrer nicht auf'm Jahrmarkt, außer mir, wie schon gesagt, aber ich bin ihnen aus dem Wege gegangen, denn mit dem zänkischen Volk ist nicht gut umgehen. Der Dunbog, wenn's Euch interessiert, hat den Red Rotten und den John Young vom Gute gejagt – verflucht sei sein Stamm! Kein Tropfen Edelmannsblut fließt in seinen Adern. Was liegt wohl daran, wenn ein paar arme Leute Schutz und Obdach in einem verfallenen Hause suchen oder eine dünne Birke umhauen, um sich ein bißchen Suppe zu kochen? Dem kräht doch sicher, ehe der Tag graut, der rote Hahn auf der Scheune!«

»Still, Meg, das sind schlimme Reden!«

»Was meint sie?« fragte Mannering leise den Magister.

»Brandstiftung,« versetzte der wortkarge Magister. »Wer ist die Person? und was? Sagen Sie es mir, bitte!«

»Diebin, Hexe, Zigeunerin,« versetzte Sampson mit der gleichen Wortkargheit wie vordem.

»O, fürwahr, Laird,« fuhr Meg während dieser Zwischenrede fort, »nur Leuten wie Euch kann man das Herz ausschütten. Der Dunbog, seht, ist so wenig ein Edelmann wie der Maurer, der das Haus baut. Aber wer Euch gleicht, der ist Edelmann aus einem Geschlecht, das Hunderte von Jahren alt ist, und so einer jagt arme Leute nicht von seinem Grund und Boden wie tolle Hunde, und niemand von unsern Leuten würde Euch was nehmen, und wenn Ihr soviele Kapaunen hättet, wie Blätter am Baume hängen ... Nun mag einer von euch Herren die Uhr nehmen und mir die Minute sagen, in der das Kind geboren ist, und ich will ihm wahrsagen.«

»Wir werden Eure Hilfe nicht brauchen, Meg,« sagte Bertram; »hier ist ein gelehrter Herr aus Oxford, der versteht sich besser als Ihr aufs Wahrsagen, denn er liest aus den Sternen.«

»Gewiß, Herr Bertram,« antwortete Mannering, den Einfall seines gutmütigen Wirts aufgreifend, »ich will ihm die Nativität stellen nach allen Regeln der Triplizität, die Pythagoras, Hippokrates, Diokles und Avicenna gegeben haben.«

Es war eine von Sampsons guten Eigenschaften, die ihm Bertrams Gunst gewonnen: daß er auch auf den plumpsten Versuch, ihn zum besten zu haben, nicht einging, so daß er dem Laird ein bequemes Opfer für seine Neckereien und Sticheleien abgab; Sampson stimmte tatsächlich kein Gelächter an und stimmte nie in ein Gelächter ein, das er durch seine Einfalt weckte; ja man sagte, er habe bloß einmal in seinem Leben gelacht, seine Wirtin aber dadurch in solchen Schrecken gesetzt, daß sie vor der Zeit in die Wochen kam. Merkte er ja einmal, daß man über ihn lachte, so übte das weiter keine Wirkung auf ihn, als daß er, aber ohne einen Muskel seines Gesichts zu bewegen, das Wort: »Komisch!« hervorstieß, streng in zwei Silben geschieden, und höchstens einmal noch wiederholte. Jetzt aber heftete er seinen stieren Blick auf den jungen Sterndeuter, ohne zu wissen, ob er die Antwort, die derselbe seinem Gönner gegeben, recht verstanden hätte oder nicht.

»Ich fürchte, lieber Herr,« meinte Mannering, zu Sampson gewandt, »Sie sind einer von den unglücklichen Menschen, deren Augen zu blöde sind, um in die himmlischen Sphären zu schauen und Beschlüsse des Himmels dort zu lesen, und die deshalb aus Vorurteil und Mißverstand ihr Herz der Wahrheit verschließen.«

»Allerdings,« antwortete Sampson, »ich glaube mit Sir Isaak Newton, weiland königlicher Majestät Münzmeister, daß die angebliche Wissenschaft der Sterndeutung töricht, eitel und müßig ist.« Und damit setzte er sein Kinnbacken-Orakel wieder in Ruhestand.

»Es tut mir wirklich leid,« nahm der Reisende wieder das Wort, »einen Mann von Ihrer Gelehrsamkeit und Würde in so seltsamer Verblendung und Täuschung befangen zu sehen. Wollen Sie den trocknen neuen Namen Isaak Newton gegen die ernsten wohllautenden Namen Benatus, Ptolomäus, Haly, Etzler, Harfurt, Agrippa, Maginus, Argel stellen? Haben nicht Christen und Heiden, Juden und Ungläubige, Dichter und Weltweisen, einstimmig den Einfluß der Sterne zugegeben?«

» Communis error, ein allgemeiner Irrtum!« antwortete Sampson, sich nicht beirren lassend.

»Nicht doch,« hob der Engländer wieder an, »ein allgemeiner, wohlbegründeter Glaube.«

»Es ist das Hilfsmittel der Betrüger und Schelme,« sprach Sampson.

»Mißbrauch kann rechtmäßigen Gebrauch nicht aufheben,« versetzte Mannering.

Während dieses Wortwechsels zeigte Laird Ellangowan das Bild einer Schnepfe, die sich in ihrer eigenen Schlinge gefangen hat, und faßte abwechselnd die beiden Leute, die den Wortwechsel führten, ins Auge. Aus dem Ernst, womit Mannering wider seinen Gegner kämpfte, und aus der Gelehrsamkeit, die er dabei verriet, meinte er fast folgern zu sollen, daß es sich um eine ernste Sache dabei drehte. Die Zigeunerin heftete einen verwirrten Blick auf den Sterndeuter, denn dessen Sünde, die sich noch geheimnisvoller als ihre eigene anhörte, versetzte sie in Schreck und Bestürzung.

Mannering nahm seinen Vorteil wahr und tischte alles von Fach- und Kunstausdrücken auf, was ihm sein gutes Gedächtnis zur Verfügung stellte und in dessen Besitz er durch Umstände, die wir im Verlaufe dieser Erzählung noch erfahren werden, schon in früher Jugend gelangt war.

Endlich wurde die Unterhaltung durch die fröhliche Botschaft aufgehoben, daß die Edelfrau ihrem Gemahl einen hübschen Jungen zum Präsent gemacht habe. Bertram eilte in die Wochenstube, Meg Merrilies lief in die Küche, um sich ihren Anteil von der milden Spende zu holen, die es bei solchen Gelegenheiten zu setzen pflegt, und als Mannering auf seine Uhr gesehen und Stunde und Minute der Geburt festgestellt hatte, bat er mit gemessenem Ernste den Magister, ihn auf irgend einen Platz zu führen, von wo aus er die Gestirne überschauen könnte.

Ohne ein Wort zu sagen, erhob sich Sampson und öffnete eine halb mit Glasscheiben versehene Tür, die hinter dem neuen Hause auf einen Erdwall führte, der mit der Anhöhe zusammenhing, worauf die Trümmer des alten Schlosses lagen. Der Nachtwind verjagte die Wolken, die bisher den Himmel verhüllten. Der Vollmond stand hoch, und alle Sterne funkelten in ungetrübtem Glanze. Die Landschaft, die Mannering in ihrem Lichte sah, bot ein Bild von überraschender Großartigkeit.

Wir haben früher erzählt, daß Mannering an den Strand gekommen war, ohne zu wissen, wie nahe. Nun aber sah er, daß die Trümmer des Schlosses Ellangowan auf einem vorspringenden Felsen standen, der eine kleine, stille Bai begrenzte. Das kleine Gebäude lag, obgleich dicht an dem alten, doch tiefer, und der Boden dahinter war ein sanft abfallender grüner Hang, der sich in natürlichen Terrassen, auf denen hohe alte Bäume standen, in dem sandigen Gestade verlor. Die andere Seite der Bai wurde von einem abschüssigen Vorgebirge eingeschlossen, zum großen Teile mit Buschholz bestanden, das auf diesem Strande fast bis zur Fluthöhe reicht. Eine Fischerhütte blickte aus den Bäumen hervor. In dieser späten Nachtstunde bewegten sich noch Lichter am Strande; allem Anscheine nach wurde dort das Fahrzeug eines Schleichhändlers von der Insel Man, das in der Bai lag, ausgeladen. Als man ein Licht in der Glastür des Hauses bemerkte, rief jemand vom Schiffe her: »Vorgesehen! Licht weg!« und alsbald ließen diejenigen, die am Ufer waren, die Lichter verlöschen.

Es war eine Stunde nach Mitternacht. Eine anmutige Aussicht öffnete sich vor unserm Reisenden, Die grauen Türme der Schloßtrümmer, teils noch unversehrt, teils zerrissen, hier verwittert, dort zum Teil mit Efeu bekleidet, krönten den Gipfel des dunklen Felsens, der zu Mannerings Rechten sich erhob. Vor ihm lag die stille Bucht, deren kleine Wogen, in den Strahlen des Mondes schimmernd, die Oberfläche kräuselten und mit murmelndem Plätschern an dem silberweißen Sandufer sich brachen. Links zum Strande hinab stieg der Wald, dessen Wipfel im Mondlichte mannigfaltig wogten, und jene Abwechslung von Licht und Schatten, jenes anziehende Gemisch von lichten Stellen und dunklem Dickicht zeigten, auf dem man so gern den Blick ruhen läßt, entzückt über dasjenige, was man sieht, und angezogen von den Geheimnissen in der Tiefe der Waldlandschaft. Hoch an dem blauen Himmelsgewölbe wandelten die Gestirne, jedes durch seinen eigenen Lichtkreis unterschieden von kleineren oder entfernteren Sternen. So wunderbar vermag die Einbildung selbst diejenigen zu täuschen, die sich willig ihrem Fluge überlassen, daß Mannering, während er die glänzenden Himmelskörper betrachtete, sich dem Glauben an ihren Einfluß auf die menschlichen Schicksale zwanglos hingab. Er war jung, er liebte, und vielleicht stand er unter dem Einfluß jener Empfindungen, denen ein Dichter Schiller, im Wallenstein (Piccolomini, 3ter Aufzug, 4ter Auftritt). in den folgenden Zeilen Ausdruck gegeben:

Die Fabel ist der Liebe Heimatwelt;
Gern wohnt sie unter Feen, Talismanen,
Glaubt gern an Götter, weil sie göttlich ist.
Die alten Fabelwesen sind nicht mehr;
Das reizende Geschlecht ist ausgewandert.
Doch eine Sprache braucht das Herz, es bringt
Der alte Trieb die alten Namen wieder,
Und an dem Sternenhimmel gehn sie jetzt,
Die sonst im Leben freundlich mitgewandelt.
Dort winken sie dem Liebenden herab,
Und jedes Große bringt uns Jupiter
Noch diesen Tag, und Venus jedes Schöne.

In solche Träumereien sich verlierend, sprach er zu sich selbst: »Mein guter alter Lehrer, der sich so gern in Diskussionen über Sterndeutung einließ, möchte wohl dieses Bild mit ganz andern Augen betrachten, und allen Ernstes versucht gewesen sein, aus der Stellung dieser Himmelskörper ihren Einfluß auf die Schicksale des neugeborenen Kindes zu ergründen, gleich als ob die Bewegungen oder Ausflüsse der Gestirne die Beschlüsse der göttlichen Vorsehung aufheben oder doch vereint mit ihr wirken könnten. Doch Ruhe seiner Asche! Er hat mir genug von seiner Wissenschaft mitgeteilt, eine kunstgerechte Nativität zu stellen. Wohlan, so soll es einen Versuch gelten!« Darauf schrieb er die Stellung der Hauptplaneten nieder und begab sich in das Wohnhaus zurück. Der Burgherr begegnete ihm im Wohnzimmer, sagte ihm, daß er Vater eines kerngesunden Knaben geworden, und schien willens, seinem Gaste noch eine Weile bei der Flasche Gesellschaft zu leisten, ließ aber Mannerings Entschuldigung gelten und führte seinen müden Gast in das Schlafgemach.


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