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Vierzehntes Kapitel.

Dies Wandervolk, getrennt von andern Menschen,
Rühmt sich der Kenntniß hoher Künste doch.
Von Seen, Wäldern, Wüsten, wo sie hausten,
Lernten sie die geheimen Schätze kennen;
Bescheid'ne Kräuter, Blumen sammeln sie,
Und brauchen ihre nie gekannten Kräfte.

Der Jude.

Unsere Geschichte muß jetzt einige Schritte zurückkehren, um dem Leser zum Verständniß des Restes dieser wichtigen Erzählung Einiges aufzuhellen. Seine eigenen Muthmaßungen werden schon darauf gefallen sein, daß, als Ivanhoe zu Boden sank und von aller Welt verlassen schien, Rebecca es war, deren Bitten den Vater vermochten, den jungen, tapfern Kämpfer aus den Schranken in das Haus bringen zu lassen, welches damals die Juden in der Vorstadt von Ashby inne hatten.

Unter andern Umständen würde es nicht schwer gewesen sein, Isaac zu diesem Schritte zu überreden, denn er war eigentlich mild und dankbar von Natur, allein er nährte doch auch die Vorurtheile und furchtsamen Bedenklichkeiten seiner Nation, und diese mußten erst besiegt werden.

»Heiliger Abraham!« rief er, »es ist wohl ein guter Junge, und das Herz blutet mir, das Blut durch seinen reichgestickten Koller dringen zu sehen – aber ihn in unser Haus nehmen! Mädchen, hast Du das wohl bedacht? Er ist ja ein Christ, und nach unsern Gesetzen dürfen wir mit den Fremden und Heiden nichts zu thun haben, außer zum Vortheil unsers Handels.«

»Redet nicht so, theurer Vater,« versetzte Rebecca, »freilich dürfen wir uns nicht mit ihnen vermischen bei Fest und Fröhlichkeit, doch in Wunden und Elend wird der Heide des Juden Bruder.«

»Ich wollte, ich wüßte, was der Rabbi Jacob Ben Tudela davon denken würde, – indeß der gute Jüngling darf sich nicht zu Tode bluten; laß Seth und Ruben ihn nach Ashby tragen.«

»Laßt sie ihn lieber hier in meine Sänfte legen,« sagte Rebecca, »ich besteige einen von unsern Zeltern.«

»Das hieße dich ja den Blicken dieser Hunde von Ismael und Edom aussetzen,« lispelte Isaac mit bedenklichem Blicke auf die Menge von Rittern und Knappen umher. Allein Rebecca war bereits beschäftigt, ihren edlen Vorsatz in's Werk zu richten, und hörte nicht auf das, was Isaac sagte, bis er sie am Aermel faßte und mit hastiger Stimme rief: »Bei Aaron's Bart! wenn nun der Jüngling stirbt, wenn er bei uns stirbt? wird man uns nicht schuldig finden an seinem Blute und wird uns nicht der Haufe in Stücke zerreißen?«

»Er wird nicht sterben,« sagte Rebecca, sich sanft von Isaac losmachend, »er wird nicht sterben, wenn wir ihn nicht verlassen; thun wir aber das, dann sind wir vor Gott und Menschen schuldig an seinem Blute.«

»Ach!« sagte Isaac, »mich schmerzten die Tropfen seines jungen Blutes, als wenn es goldene Byzantiner wären, die ich aus meinem eigenen Beutel fallen sähe. Ich weiß es wohl, daß der Unterricht von Miriam, der Tochter des Rabbi Manasses von Byzanz, dessen Seele im Paradiese ist, Dich sehr geschickt gemacht hat in der Heilkunst, und daß Du die Kraft der Kräuter kennst, die Kraft der Elixire. Thue also, was Dein Herz Dir sagt, Du bist ein gutes Mädchen! Ein Segen, eine Krone, ein Freudengesang für mich und mein Haus, und für das Volk unserer Väter!«

Isaac's Befürchtungen waren indeß nicht ganz ungegründet; und der edelmüthige Eifer seiner Tochter setzte sie bei ihrer Rückkehr den unheiligen Blicken von Brian de Bois-Guilbert aus. Der Templer ritt unterwegs zweimal an ihnen hin und her, seine kühnen und brennenden Blicke auf die reizende Jüdin heftend, und wir haben bereits auch die Folgen der Bewunderung gesehen, wozu ihn ihre Reize entflammten, als der Zufall sie in die Gewalt dieses Wollüstlings fallen ließ.

Rebecca verlor keine Zeit, den Kranken in ihre einstweilige Wohnung bringen zu lassen, und untersuchte sogleich mit eigenen Händen seine Wunden, welche sie hierauf verband. Der jüngste Leser von Romanen und romantischen Balladen muß sich erinnern, daß oftmals Frauen, in jenen finstern Zeiten, wie man sie zu nennen pflegt, in die Geheimnisse der Wundarzneikunst eingeweiht waren, und daß ein tapferer Ritter nicht selten seine Wunden der Pflege einer Dame unterwarf, deren Augen sein Herz dann noch tiefer verwundeten.

Die Juden aber, sowohl Männer wie Frauen, verstanden und übten die Heilkunde in allen ihren Zweigen, und Monarchen und mächtige Herren jener Zeit vertrauten sich in Krankheiten und bei Verwundungen der Sorge eines erfahrenen Weisen aus diesem verachteten Volke an. Die Hülfe jüdischer Aerzte wurde deshalb nicht weniger aufgesucht, daß man allgemein glaubte, die jüdischen Rabbiner wären tief in verborgene Wissenschaften eingeweiht, besonders aber in jene cabalistische Kunst, welche ihren Namen und ihren Ursprung den Studien der Weisen in Israel zu danken hat. Die Rabbiner widerlegten auch diese Meinung von ihrer Bekanntschaft mit übernatürlichen Wissenschaften keineswegs, denn der Haß, womit man ihre Nation betrachtete, konnte sich unmöglich vergrößern, da sie hingegen die Verachtung, womit er vermischt war, gar sehr vermindern mußte. Ein jüdischer Zauberer wurde zwar eben so verabscheut, wie ein jüdischer Wucherer, allein er konnte nicht so verachtet werden. Es ist überdies nicht unwahrscheinlich, daß, wenn man die wunderbaren Kuren, welche die Juden vollbracht haben sollen, bedenkt, sie wohl im Besitze gewisser Geheimnisse der Heilkunst gewesen sein mögen, die sie mit dem aus ihrer Lage selbst entspringenden, ausschließenden Geiste auf alle Weise vor den Christen geheim hielten.

Die schöne Rebecca war mit aller Sorgfalt in allen Kenntnissen unterrichtet worden, die ihrer Nation eigen waren, und ihr talentreicher, höchst fähiger Geist hatte sie auf eine solche Art sich angeeignet, geordnet und erweitert, daß es weit über ihre Jahre, ihr Geschlecht und selbst das Zeitalter ging, worin sie lebte. Ihre medicinischen Kenntnisse hatte sie unter der Anleitung einer alten Jüdin, der Tochter eines ihrer berühmtesten Lehrer, erworben, denn diese leitete Rebecca als Tochter, und man glaubte, sie habe derselben selbst Geheimnisse mitgetheilt, die ihr von ihrem Vater zur selben Zeit und unter denselben Umständen hinterlassen worden waren. Miriam war zwar als ein Opfer des Fanatismus jener Zeit gefallen, allein ihre Geheimnisse lebten in ihrem geschickten Zögling fort.

Rebecca, ebenso durch Kenntnisse als durch Schönheit ausgezeichnet, wurde von ihrem eigenen Stamme, der sie fast als eine jener hochbegabten Frauen betrachtete, deren die heilige Geschichte erwähnt, mit allgemeiner Bewunderung und Verehrung betrachtet. Ihr Vater selbst, abgesehen von der Verehrung ihrer Talente, die sich unwillkürlich in seine gränzenlose Zärtlichkeit mischte, gestattete dem Mädchen eine größere Freiheit, als man in der Regel, nach der Sitte ihres Volkes, ihrem Geschlechte zu gestatten gewohnt war, auch ließ er sich, wie wir gesehen haben, durch ihre Meinung so leiten, daß er sie der seinigen selbst vorzog.

Als Ivanhoe die Wohnung Isaac's erreicht hatte, befand er sich noch immer in einem Zustande von Bewußtlosigkeit wegen des Blutverlustes, den er während seiner Anstrengungen in den Schranken sich zugezogen hatte. Rebecca untersuchte seine Wunden, und nachdem sie die zweckmäßigsten Mittel angewendet hatte, meldete sie ihrem Vater, daß, wenn das Fieber entfernt werden könnte, welches sie den Umständen nach wohl hoffen dürfe, und wenn Miriam's Heilbalsam seine Kraft bewähre, für ihres Gastes Leben nichts zu fürchten sei, und daß er mit ihnen den folgenden Tag ohne Schaden nach York werde reisen können. Isaak wurde bei dieser Gelegenheit ein wenig blaß. Gern würde seine Milde es damit haben bewenden lassen oder den verwundeten Christen höchstens in dem Hause gelassen haben, wo er sich jetzt befand, mit der Versicherung, daß der Jude, dem es gehörte, alle aufzuwendenden Kosten redlich vergütet erhalten sollte; allein Rebecca hatte dagegen einige Gründe geltend zu machen, von denen wir nur zwei anführen wollen, welche bei Isaac von vorzüglichem Gewichte waren. Der eine war der, daß sie auf keine Weise sich entschließen könne, die Schale mit dem köstlichen Balsam in den Händen eines andern Wundarztes, auch von ihrem Volke, zu lassen, weil sonst das wichtige Geheimniß leicht verrathen werden könnte. Der andere war der, daß der verwundete Ritter, Wilfred von Ivanhoe, ein großer Günstling von Richard Löwenherz sei, und daß, im Falle der Rückkehr des Monarchen, Isaac, der den Bruder desselben, Johann, mit seinen Schätzen unterstützt habe, um seine rebellischen Pläne auszuführen, eines mächtigen Beschützers, der Richard's Gunst genieße, gar sehr von Nöthen habe.

Isaac fühlte das Gewicht, besonders des letzten Grundes in tiefer Seele, und ergab sich daher dem Rathe seiner Tochter, den verwundeten Ritter mit nach York zu nehmen, bis er vollkommen hergestellt sein würde. Auch meinte er, werde derselbe, da er so gut gesinnt sei, im Fall Richard nicht zurückkehren sollte, ihm alle Ausgaben wohl ersetzen, denn er habe ja gezeigt, was er mit Schwert und Lanze vermöge.

Erst gegen Einbruch der Nacht erhielt Ivanhoe das Bewußtsein wieder. Er erwachte wie aus einem tiefen Schlafe und Alles, was er den Tag zuvor erlebt und gethan hatte, ehe er in den Schranken zu Boden sank, kam ihm wie ein Traum vor. Nur seine Wunden und seine Schwäche überzeugten ihn von der Wirklichkeit. Mit Mühe versuchte er es, den Vorhang seines Lagers zurückzuziehen. Es gelang, und zu seiner großen Verwunderung fand er sich in einem kostbar meublirten Gemache, welches jedoch so viel Morgenländisches zeigte, daß er fast glaubte, während seines Schlummers nach Palästina entrückt worden zu sein. Dieser Eindruck wurde dadurch noch vermehrt, daß auf einmal durch eine Tapetenthür eine weibliche Gestalt eintrat, reich gekleidet, jedoch mehr im morgenländischen, als europäischen Geschmacke, welcher zwei schwarzbraune Diener folgten.

Der Ritter wollte sogleich die schöne Erscheinung anreden, allein sie legte einen ihrer niedlichen Finger auf die Rosenlippen und deutete ihm Schweigen an, indeß einer der Diener sich Ivanhoe näherte und seine Seite aufdeckte, worauf denn die schöne Jüdin selbst sich überzeugte, daß der Verband gut liege und die Wunde in gutem Zustande sei. Sie vollzog ihr Geschäft mit so anmuthsvoller und edler Einfalt und Bescheidenheit, daß dadurch, auch in feinen, gebildeten Zeiten, Alles entfernt worden wäre, was der weiblichen Delicatesse widerstrebend hätte geachtet werden können. Die Vorstellung eines jungen, reizenden, weiblichen Geschöpfs, beschäftigt am Krankenbett oder die Wunden eines Leidenden vom andern Geschlecht behandelnd, verlor sich gänzlich in der eines wohlthätigen Wesens, welches durch wirksame Hülfe Schmerzen linderte und dem Tode ein Opfer entriß. Rebecca gab ihre wenigen und kurzen Anweisungen dem alten Diener in hebräischer Sprache, und er, der ihr oft schon in ähnlichen Fällen zur Hand gewesen war, befolgte sie ohne alle Widerrede.

Die Töne einer unbekannten Sprache, so rauh sie auch aus einem andern Munde würden geklungen haben, hatten, da sie von der schönen Rebecca kamen, ganz das Romantische und Einschmeichelnde, was die Phantasie den Zauberformeln zuschreibt, welche irgend eine wohlthätige Fee ausspricht, unverständlich zwar dem Ohre, doch, wegen der Milde des Klanges und des sie begleitenden, erfreuenden Anblicks, rührend und besänftigend für das Herz. Ohne den Versuch einer fernern Antwort zu wagen, duldete Ivanhoe nun schweigend alle Maßregeln, die man zu seiner Herstellung nöthig finden mochte; und erst als man damit zu Ende war, und der reizende Wundarzt sich wieder, wie er gekommen, entfernen wollte, vermochte der Ritter seine Neugier nicht länger zu bezähmen.

»Reizendes Mädchen,« sagte er in arabischer Sprache, – denn diese hatte er während seines Aufenthaltes im Morgenlande erlernt, und er glaubte, daß sie von der Fremden mit dem Turban und Kaftan, welche vor ihm stand, am ersten verstanden werden würde, – »ich bitte Dich, reizendes Mädchen, Deine Artigkeit« –

Hier wurde er aber von dem schönen Wundarzte unterbrochen, auf deren Gesichte, dessen Ausdruck im Allgemeinen der einer sinnenden Schwermuth war, jetzt auf einen Augenblick ein sanftes Lächeln dämmerte: »Ich bin aus England, Herr Ritter, und spreche englisch, obgleich meine Kleidung und meine Gesichtszüge einem andern Himmelsstriche angehören.«

»Edles Mädchen,« begann Ivanhoe von Neuem, wurde aber schnell wieder von Rebecca unterbrochen.

»Ertheilt mir nicht das Beiwort edel, Herr Ritter,« sagte sie; »Ihr müßt schnell erfahren, daß Eure Dienerin eine arme Jüdin ist, die Tochter Isaac's von York, gegen den Ihr Euch vor Kurzem als einen so guten und freundlichen Herrn bewiesen habt. Es ziemt ihm und den Gliedern seines Hauses wohl, Euch allen Beistand zu leisten, den Eure jetzige Lage erfordert.«

Wir wagen es nicht zu bestimmen, ob die schöne Rowena mit der Art von Rührung, womit der ihr geweihte Ritter bisher das schöne Gesicht, die reizende Gestalt und die glänzenden Augen der liebenswürdigen Rebecca, Augen, deren Glanz, gleich als bedürfe er einiger Milderung, durch lange, seidene Wimpern beschattet wurden, und die ein Minstrel wohl mit dem Abendstern verglichen haben würde, dessen Strahlen durch eine Jasminlaube brechen, betrachtet hatte, ganz zufrieden gewesen wäre. Allein Ivanhoe war ein zu guter Christ, dieselben Gefühle auch gegen eine Jüdin zu nähren. Dieses hatte Rebecca vorausgesehen, und zu dem Ende eilte sie ihres Vaters Namen und Abstammung dem Ritter bekannt zu machen. Indessen war die weise und schöne Tochter Isaac's nicht ohne einige Züge weiblicher Schwäche, denn sie mußte doch innerlich seufzen, da der Blick achtungsvoller Bewunderung, nicht ohne einige Beimischung von Zärtlichkeit, womit Ivanhoe noch kurz vorher seine unbekannte Wohlthäterin betrachtet hatte, auf einmal durch ein kaltes, abgemessenes, gesammeltes und von keinem tiefern Gefühl zeugendes Benehmen verdrängt wurde. Nicht, daß Ivanhoe's früheres Betragen mehr als jene ehrerbietige Huldigung ausgedrückt hätte, welche die Jugend immer so gern der Schönheit zollt, – es war nur kränkend, daß ein einziges Wort gleich einer Zauberformel wirken konnte, um die arme Rebecca, der man doch nicht zutrauen durfte, daß sie gar nicht um ihr Recht zu solcher Huldigung wissen sollte, auf einmal in eine so entwürdigte Klasse zu setzen, der diese nicht ehrenvoll erwiesen werden mochte.

Allein Rebecca's edles und zartes Gemüth rechnete es dem Ivanhoe nicht zur Schuld an, daß er das allgemeine Vorurtheil seines Zeitalters und seiner Religion theilte. Im Gegentheil hörte die schöne Jüdin, obgleich sie bemerkte, daß ihr Kranker sie nun als eine Person von einem verworfenen Geschlechte betrachtete, mit der er, ohne sich zu entehren, keinen andern, als den allernothwendigsten Verkehr haben dürfe, nicht auf, seiner Genesung und Herstellung dieselbe ergebene und duldende Sorge zu widmen. Sie meldete ihm, daß sie sich nothwendig nach York begeben müßten, daß ihr Vater entschlossen sei, ihn dorthin bringen zu lassen und in seinem Hause zu behalten, so lange, bis seine Gesundheit vollkommen wiederhergestellt sei. Ivanhoe zeigte großen Widerwillen gegen diesen Plan, den er darauf gründete, daß er seinen Wohlthätern doch nicht gern so lange beschwerlich fallen wollte.

»Wäre denn nicht,« sagte er, »zu Ashby oder in dessen Nähe ein sächsischer Freisasse, oder irgend ein wohlhabender Bauer, der sich mit einem verwundeten Landsmann so lange belasten wollte, bis er wieder im Stande wäre, die Rüstung zu tragen? Wäre denn kein Kloster sächsischer Stiftung hier, wo er aufgenommen werden könnte? Oder könnte man ihn nicht nach Burton bringen, wo er sicher sein würde bei Waltheoff, dem Abte von St. Withold, mit dem er verwandt sei, gastfreundliche Aufnahme zu finden?«

»Allerdings,« sagte Rebecca mit melancholischem Lächeln, »würde die schlechteste dieser Herbergen zu Eurer Aufnahme geschickter sein, als das Haus eines verachteten Juden, indessen, Herr Ritter, wenn Ihr nicht Euren Wundarzt von Euch entfernen wollt, so dürft Ihr Eure Wohnung nicht verändern. Unsere Nation, das wißt Ihr sehr wohl, vermag Wunden zu heilen, ohne daß sie dergleichen schlägt; und in unserer Familie besonders befinden sich seit Salomo's Zeiten Geheimnisse, deren wohlthätige Wirkung Ihr bereits erfahren habt. Kein Nazarener – Ihr müßt mir dieses verzeihen – kein Christ innerhalb der vier Meere Britanniens würde im Stande sein, Euch binnen Monatsfrist zur Tragung der Rüstung geschickt zu machen.«

»Und binnen welcher Zeit getraust Du Dir dieses zu bewirken?« sagte Ivanhoe angelegentlich.

»Binnen acht Tagen, wenn Du Dich geduldig meinen Anordnungen überlassen willst,« versetzte Rebecca.

»Bei der heiligen Jungfrau,« sagte Wilfred, »wenn es nicht Sünde ist, hier ihren Namen zu nennen, es ist jetzt keine Zeit für mich oder sonst einen treuen Ritter, bettlägerig zu sein, und wenn Du Dein Versprechen erfüllst, so bezahle ich Dich mit einem ganzen Helme voll Kronen, mag ich dazu kommen, wie ich will.«

»Ich werde mein Versprechen erfüllen,« sagte Rebecca, »und Du sollst Deine Rüstung am achten Tage von heute an tragen können, indessen mußt Du mir statt Deines Silbers eine andere Gefälligkeit versprechen.«

»Wenn es in meiner Macht steht und sie ein christlicher Ritter Jemandem von Deinem Volke erweisen darf, so verspreche ich's Dir mit dankerfülltem Herzen.«

»Nun,« versetzte Rebecca, »so bitte ich Dich von nun an zu glauben, daß ein Jude einem Christen wohl einen Dienst zu leisten vermag, ohne einen andern Lohn zu erwarten, als das Wohlgefallen des großen Vaters, der beide, Jude und Nichtjude, erschuf.«

»Es wäre Sünde, Mädchen, daran zu zweifeln,« erwiederte Ivanhoe, »und ich überlasse mich ganz Deiner Geschicklichkeit ohne fernere Fragen und Zweifel. Und nun, mein freundlicher Arzt, laß mich nach andern Nachrichten fragen. Was hört man von dem edlen Sachsen Cedric und seinen Hausgenossen? Was von der liebenswürdigen Lady« – Hier hielt er inne, gleich als wollte er nicht gern Rowena's Namen in dem Hause eines Juden aussprechen: »Ich meine die,« fuhr er fort, »welche im Turniere zur Königin ernannt wurde.«

»Und die Ihr zu dieser Würde erwähltet, Herr Ritter, mit so richtigem Urtheil, welches ebenso bewundert wurde, wie Eure Tapferkeit,« versetzte Rebecca.

Der bedeutende Blutverlust hatte Ivanhoe doch nicht verhindert, ein wenig zu erröthen, da er fühlte, daß er unbedachter Weise sein Interesse an Rowena, gerade durch die Anstrengung, es zu verhehlen, am deutlichsten verrathen hatte.

»Ich wollte nicht sowohl von ihr sprechen,« sagte er, »als von dem Prinzen Johann, auch möchte ich gern etwas wissen von meinem treuen Knappen, und warum ich ihn nicht bei mir sehe?«

»Laßt mich mein Ansehn als Arzt geltend machen,« entgegnete Rebecca, »und Euch jetzt Schweigen und Ruhe gebieten; ich will Euch sagen, was Ihr zu wissen begehrt. Prinz Johann ist vom Turniere aufgebrochen und in aller Eile nach York gezogen, begleitet von den Edlen, Rittern und Geistlichen seiner Partei, nachdem er von denen, die man für die Reichsten im Lande hält, so viel Geld, als sich nur erpressen ließ, zusammengebracht hatte. Man sagt, er habe den Plan, sich seines Bruders Krone auf's Haupt zu setzen.«

»Doch nicht ohne einen Versuch zur Vertheidigung derselben,« sagte Ivanhoe, sich von seinem Lager gewaltsam erhebend, »und wenn es auch nur Einen getreuen Unterthan in England geben sollte. Ich will für Richard's Rechte fechten mit den Besten von ihnen – sei es auch Einer gegen Zwei in diesem gerechten Streite.«

»Allein damit Ihr dies vermögt,« sagte Rebecca, indem sie seine Schulter mit ihrer Hand berührte, »so müßt Ihr meine Anweisungen treulich befolgen, und jetzt ruhig bleiben.«

»Du hast Recht, Mädchen,« sagte Ivanhoe, »so ruhig, als diese unruhigen Zeiten es nur erlauben. Aber Cedric und seine Hausgenossen?«

»Sein Haushofmeister kam vor Kurzem mit vieler Eile hierher,« sagte die Jüdin, »um von meinem Vater Geld zu holen, den Preis der Wolle, die noch auf Cedric's Schafen wächst, und von ihm erfuhr ich, daß Cedric und Athelstane von Coningsburgh des Prinzen Hoflager sehr mißvergnügt verlassen haben, und im Begriff waren, nach Hause zurückzukehren.«

»Kam denn eine Dame mit ihnen zum Bankette?« fragte Wilfred.

»Lady Rowena,« sagte Rebecca, die Frage bestimmter beantwortend, als man sie gethan hatte, – »Lady Rowena kam nicht mit zu des Prinzen Feste, und wie uns der Hausmeister gesagt hat, ist sie jetzt nach Rotherwood unterwegs mit ihrem Vormunde Cedric. Euren treuen Knappen Gurth anlangend –«

»Wie?« rief der Ritter, »kennst Du diesen Namen? – Ja,« setzte er sogleich hinzu, »Du kennst ihn, denn aus Deiner Hand und von Deiner Großmut empfing er ja gestern, wie ich glaube, die hundert Zechinen.«

»O!« versetzte Rebecca erröthend, »erwähne doch das nicht, ich sehe, wie leicht die Zunge das verräth, was das Herz so gern verbergen möchte.«

»Aber,« sagte Ivanhoe ernst, »meine Ehre ist dabei interessirt, Deinem Vater diese Geldsumme wieder zu erstatten.«

»Nach acht Tagen halte es, wie Du willst,« entgegnete Rebecca, »aber denke jetzt an nichts, was Deine Herstellung verzögern könnte.«

»Es sei, edles Mädchen,« sagte Ivanhoe, »es würde undankbar sein, Deinen Befehlen widerstreben zu wollen. Allein nur noch ein Wort wegen Gurth, und ich frage Dich nichts mehr.«

»Ich sage Euch ungern, Herr Ritter, daß er sich in Cedric's Gewahrsam befindet –« und indem Rebecca den Kummer bemerkte, den dies Wilfred machte, setzte sie augenblicklich hinzu: »Aber der Haushofmeister Oswald sagt, wenn seines Herrn Unzufriedenheit durch nichts Neues erregt werde, so würde er ihm leicht verzeihen als einem treuen Diener, den er sehr hoch halte, und der doch seinen Fehler nur aus Liebe zu Cedric's Sohne begangen habe. Auch sagte er noch, er und seine Kameraden, vornämlich Wamba der Narr, wären entschlossen, Gurth zur Flucht behülflich zu sein, im Fall Cedric's Zorn durch nichts besänftigt werden könnte.«

»Möchten sie doch ihren Vorsatz ausführen,« sagte Ivanhoe, »allein es scheint, als ob ich Alle unglücklich machen müßte, welche mir auf irgend eine Art sich wohlthätig bewiesen haben. Mein König, der mich ehrte und auszeichnete, ist, wie Du siehst, in Gefahr, von dem eigenen Bruder, den er sich sehr verpflichtet hat, um seine Krone gebracht zu werden; mein Blick hat der schönsten ihres Geschlechts Zwang und Verlegenheit gebracht, und jetzt will mein Vater seinen treuen Leibeigenen, weil er mich liebt, voll Unwillen mißhandeln. Du siehst also, Mädchen, welch ein vom Schicksal verfolgter Unglücklicher ich bin; sei also weise, laß mich, ziehe Deine Hand von mir ab, ehe ich Dich auch mit in mein unseliges Geschick verwickele.«

»O!« versetzte Rebecca, »Deine Schwäche und Dein Kummer lassen Dich die Absichten des Himmels mißverstehen. Du bist Deinem Vaterlande wiedergegeben worden zu einer Zeit, wo es des Beistandes eines treuen und kräftigen Gemüthes am meisten bedurfte, und Du hast den Stolz Deiner Feinde und der Feinde Deines Königs gedemüthigt, als er sich gerade am drückendsten erhob, und siehst Du nicht, daß für das Uebel, welches Dich betroffen, der Himmel Dir einen Arzt und Helfer gesandt hat, selbst aus den Verachtetsten des Landes? Sei also gutes Muthes, und glaube, Du seiest zu einem großen Werke bestimmt, das Dein Arm im Angesichte Deines Volkes ausführen soll. Lebe wohl, und wenn Du die Arznei genommen hast, die ich Dir durch Ruben senden werde, so suche Dich zu beruhigen, damit Du die Reise des morgenden Tages desto leichter zu überstehen vermagst.«

Ivanhoe wurde durch diese Rede überzeugt und fügte sich Rebecca's Verordnungen. Der Trank, den ihm Ruben brachte, war beruhigend und stärkend zugleich, und verschaffte dem Kranken einen gesunden und ungestörten Schlaf. Am andern Morgen fand ihn sein milder Arzt frei von allen Symptomen des Fiebers, und im Stande den Beschwerden der Reise sich zu unterziehen.

Er wurde in die Sänfte getragen, in der er auch aus den Schranken gebracht worden, und man wandte jede mögliche Vorsicht an, um ihm die Reise leicht und bequem zu machen. In einer einzigen Hinsicht waren Rebecca's Bemühungen nicht im Stande für die Abwartung des verwundeten Reisenden hinlänglich zu sorgen. Isaac hatte nämlich, gleich dem Reisenden in Juvenal's zehnter Satyre, immer die Furcht vor Beraubung in sich, denn er wußte wohl, daß er von den herumstreifenden und plündernden Normännern, so wie von den sächsischen Geächteten für ein recht schönes Wildpret gehalten wurde. Er reiste daher mit großer Eile, machte kurze Ruhepunkte und noch kürzere Mahlzeiten, so daß er Cedric und Athelstane zuvorkam, die einige Stunden hinter ihm zurückgeblieben, zumal da sie sich auch im Kloster des heiligen Withold beim Mahle länger aufgehalten hatten. Miriam's Balsam hatte entweder solche Kraft oder Ivanhoe's Constitution solche Stärke, daß er auch von der Reise keine der Unbequemlichkeiten litt, welche sein freundlicher Arzt davon für ihn gefürchtet hatte.

In einer andern Hinsicht zeigte sich indessen des Juden Eilfertigkeit nicht von so guten Folgen. Sie erzeugte nämlich zwischen ihm und den Leuten, welche er als Bedeckung gemiethet hatte, mehrere Uneinigkeiten. Diese Leute waren Sachsen und keinesweges frei von der Neigung zu gutem Essen und Trinken, welche die Normänner mit dem Namen der Freßgier bezeichneten. In umgekehrtem Verhältnisse Shylock's hatten sie ihr Geschäft blos in der Hoffnung übernommen, sich an dem reichen Juden zu mästen, und waren höchst unzufrieden, als sie sich getäuscht sahen, indem er so unablässig auf die höchste Eile drang. Sie stellten ihm auch die Gefahr vor, worein ihre Pferde durch diese Eilmärsche kommen müßten, und endlich erhob sich ein höchst ernsthafter Streit zwischen Isaac und seiner Wache in Hinsicht auf die Quantität von Wein und Bier, die bei jeder Mahlzeit gereicht werden sollte. Daher kam es denn, daß er im Augenblicke der Entscheidung, den er gefürchtet hatte, von den unzufriedenen Miethlingen verlassen wurde.

In dieser hülflosen Lage wurde, wie schon berichtet, der Jude mit seiner Tochter und dem verwundeten Kranken von Cedric gefunden, und späterhin fiel er dann in die Hände de Bracy's und seiner Gefährten. Anfangs bekümmerte man sich nicht viel um die Sänfte, und vielleicht hätte man sie gänzlich stehen lassen, hätte nicht de Bracy hineingeschaut, in der Meinung, der Gegenstand seiner Wünsche befinde sich darin. Wie groß aber war de Bracys Erstaunen, als er den verwundeten Mann erblickte, der, da er meinte in die Hände sächsischer Geächteter gefallen zu sein, bei denen sein Name ihm und seinen Freunden ein Schutz werden konnte, sich offen und frei als Wilfred von Ivanhoe zu erkennen gab.

Die Ideen von ritterlicher Ehre, welche, trotz allen Leichtsinns und aller Verwilderung, de Bracy nicht ganz aufgegeben hatte, ließen ihn dem Ritter keine Beschimpfung zufügen und ihn nicht an Front-de-Boeuf verrathen, der in keiner Hinsicht Bedenken gefunden haben würde, den Nebenprätendenten auf das Lehn von Ivanhoe dem Tode zu weihen. Allein einen von Lady Rowena begünstigten Nebenbuhler in Freiheit zu setzen, ging, nachdem die Begebenheiten auf dem Turniere und Wilfred's frühere Verbannung aus dem väterlichen Hause allgemein bekannt geworden waren, doch über de Bracy's Großmuth. Er vermochte daher weiter nichts als einen Mittelweg einzuschlagen, und so befahl er zwei von seinen Knappen sich dicht neben der Sänfte zu halten, und Niemanden sich derselben nähern zu lassen. Auf alle Fragen waren sie angewiesen zu sagen, die leere Sänfte der Lady Rowena habe man zur Fortbringung eines ihrer im Kampf verwundeten Kameraden benutzt. Bei der Ankunft zu Torquilstone wurde Ivanhoe von de Bracy's Knappen, indeß der Templer und der Herr des Schlosses ihre Pläne verfolgten, in ein entferntes Gemach gebracht. Front-de-Boeuf erfuhr auf seine Fragen, warum de Bracy's Knappen nicht auf der Mauer erschienen wären, als der Lärm sich gezeigt, auch nichts weiter, als daß sie einen verwundeten Kameraden weggebracht hätten.

»Einen verwundeten Kameraden!« rief er voll Erstaunen und Zorn. »Kein Wunder, daß Bauern und Yeomen sich vor die Schlösser legen, und daß Schweinehirten und Narren Ausforderungen schicken, wenn sich Krieger zu Krankenwärtern hergeben und Freitruppen sich als Hüter an Sterbebetten stellen lassen, indeß das Schloß in Gefahr ist, erstürmt zu werden. Auf die Mauern, ihr faulen Schurken! sag ich.« Von dem Tone seiner Stentorstimme erbebten die Gewölbe, indem er immer fort schrie: »Auf die Mauern, auf die Mauern, oder ich zerschlage Euch die Gebeine mit diesem Stabe.«

Die Leute erwiederten, sie wünschten auch nichts mehr als auf die Mauern zu kommen, nur sollte Front-de-Boeuf sie bei ihrem Herrn vertreten, der ihnen ausdrücklich befohlen habe, des sterbenden Mannes sich anzunehmen.

»Des sterbenden Mannes?« entgegnete der Baron, »ich sage Euch, wir werden alle sterbende Männer, wenn wir uns nicht recht fest dagegen stemmen. Aber Euer Kamerad soll sogleich eine andere Wartung erhalten.« Er rief Urfried, und befahl ihr, sich zum Lager des Sterbenden zu begeben. Den Knappen aber reichte er Armbrüste und Bolzen. Diese eilten gern zum Kampfe, und Urfried, oder Ulrica, deren Kopf mit Erinnerung erlittner Beschimpfung und Hoffnungen der Rache erfüllt war, ließ sich leicht bereden, die Pflege ihres Kranken auf Rebecca überzutragen.



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