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Der hohe Thurm erbebt – sie kommt – sie kommt! –
Redet für uns, ihr Glocken – ihr Trompeten,
Mit heller Zung'; halt, Kanonier, bereit
Den Luntenstock und gib ein solches Feuer,
Als käm' der Türk' in hohen Turbanreihen,
Die Wälle zu erstürmen. Schauspiele
Gibt's auch zu sehen – doch das erfordert Witz,
Und ich bin nur ein rauher Krieger. –
Die jungfräuliche Königin.
Eine Tragikomödie.
Als Wayland Tressilian verlassen hatte, wie im letzten Kapitel erwähnt wurde, war dieser unschlüssig, was er zunächst thun solle, als Raleigh und Blount Arm in Arm auf ihn zukamen, und ihrer Gewohnheit nach lebhaft mit einander stritten. Bei dem gegenwärtigen Zustande seiner Gefühle hegte Tressilian kein großes Verlangen nach ihrer Gesellschaft, doch war es unmöglich, ihnen auszuweichen; auch fühlte er, daß es bei seinem Versprechen, sich Emma nicht zu nähern, oder ihretwegen einen Schritt zu thun, das Beste sein würde, sich unter die Gesellschaft zu mischen, und die Qual und Ungewißheit, die ihm schwer auf dem Herzen lag, so wenig als möglich in seinem Aeußeren zu erkennen zu geben. Er machte daher aus der Noth eine Tugend und begrüßte seine Kameraden mit den Worten: »Ihr scheint sehr vergnügt, meine Herren. Woher kommt Ihr?«
»Von Warwick,« sagte Blount; »wir mußten nothwendig nach Hause, um unsere Anzüge zu verändern, gleich armen Schauspielern, die dem Scheine nach durch Umkleidung ihre Personen vervielfältigen. Es wäre gut, wenn Du es auch thätest, Tressilian.«
»Blount hat Recht,« sagte Raleigh; »die Königin liebt dergleichen Zeichen der Achtung, und betrachtet es als Mangel an Respect, wenn Jemand in beschmutzten und zerdrückten Reisekleidern in ihrer unmittelbaren Nähe erscheint. Aber sieh doch nur Blount an, Tressilian, wie sein Schurke von Schneider ihn aufgeputzt hat – in Blau, Grün und Carmoisin, mit rosenrothen Bändern und gelben Rosen auf den Schuhen!«
»Nun, was willst Du damit?« sagte Blount. »Ich sagte dem krummbeinigen Kerl, er solle sein Möglichstes thun, und keine Kosten sparen. Mich dünkt auch, daß dieser Kram bunt genug ist – ja sogar bunter als Dein Anzug – Tressilian soll's beurtheilen.«
»Ich willige ein,« sagte Raleigh. »Urtheile zwischen uns, Tressilian.«
So aufgefordert blickte Tressilian Beide an, und sah auf den ersten Blick, daß der ehrliche Blount sich auf Anrathen des Schneiders mit allzubunten Kleidern beladen hatte und wegen der vielen Besätze und Bänder in Verlegenheit war, wie ein Bauer im Sonntagsstaat, während Raleighs Anzug reich und geschmackvoll war, und zu seinem zierlichen Wuchse sehr gut paßte. Tressilian sagte daher, Blounts Anzug sei der feinste, aber Raleighs Anzug der geschmackvollste.
Blount war mit dieser Entscheidung zufrieden. »Ich wußte wohl, daß mein Anzug der feinste sei,« sagte er. »Hätte mir der Schurke von Schneider ein so einfaches Wams gebracht, wie Raleigh da anhat, so hätte ich ihm mit seinem eigenen Bügeleisen den Kopf entzwei geschlagen. Wenn wir doch einmal Narren sein müssen, so wollen wir auch Narren erster Größe sein.«
»Aber warum hast Du Dich nicht besser angezogen, Tressilian?« sagte Raleigh.
»Ich bin durch ein thörichtes Versehen aus meinem Zimmer gedrängt,« sagte Tressilian, »und für jetzt kann ich nicht zu meinem Gepäck. Ich war im Begriff, Dich aufzusuchen, und Dich zu bitten, mich mit in Deine Wohnung aufzunehmen.«
»Du bist mir willkommen,« sagte Raleigh; »ich habe eine treffliche Wohnung. Mylord von Leicester hat uns fürstlich einquartiert. Wenn ihm diese Höflichkeit auch wider Willen abgedrungen ist, so hat sie sich doch weit erstreckt. Ich möchte Euch rathen, dem Kämmerer des Grafen Eure Verlegenheit mitzutheilen – er wird Euch augenblicklich aushelfen.«
»Da Du mich aufnehmen kannst, so ist es nicht der Mühe werth,« versetzte Tressilian – »ich möchte Niemand lästig sein. – Hat Euch Jemand hierher begleitet?«
»Ja,« sagte Blount, »Varney und ein ganzer Zug von Leicesters Anhängern, und außerdem ein Dutzend von unsern Leuten. – Wie es scheint, sollen wir Alle die Königin an dem sogenannten Galleriethurme empfangen, dort einigen Tollheiten beiwohnen, und dann der Königin in der großen Halle aufwarten, bis die jetzigen Begleiter Ihrer Majestät ihre Reisekleider abgelegt haben. Der Himmel helfe mir! sollte Ihre Majestät mit mir reden, so würde ich kaum wissen, was ich zu antworten hätte.«
»Und was hat sie so lange zu Warwick aufgehalten?« fragte Tressilian, der nicht wollte, daß sich die Unterhaltung wieder zu seinen eigenen Angelegenheiten wende.
»Eine solche Reihe von Tollheiten, wie man sie noch nie auf dem Bartholomäusjahrmarkte sah,« entgegnete Blount. »Da waren Redner und Schauspieler, Hunde und Bären, Männer, welche Affen vorstellten, und Weiber in ihren eigenen Rollen. – Es wundert mich, daß die Königin es aushalten konnte. Hin und wieder kam auch Etwas von dem lieblichen Lichte ihres gnädigen Gesichts vor, und dergleichen Zeug. Ach! die Eitelkeit macht auch die Weisesten zu Narren. Aber kommt und laßt uns zu diesem Galleriethurme eilen, obgleich ich nicht einsehe, wie Du, Tressilian, in Stiefeln und Reitanzug dorthin gehen kannst.«
»Ich will mich hinter Dich stellen, Blount,« sagte Tressilian, welcher sah, daß der ungewöhnliche Putz seines Freundes seine Phantasie sehr in Anspruch genommen habe; »Deine große Gestalt und hübsche Kleidung soll meine Fehler verdecken.«
»So soll es sein, Edmund,« sagte Blount. »In der That, es ist mir lieb, daß Dir meine Kleidung gefällt, was auch Herr Wittypate dagegen sagen mag; denn wenn man einmal etwas Thörichtes thut, so muß es auch auf hübsche Weise geschehen.«
Mit diesen Worten setzte Blount sein Baret zurecht, streckte sein Bein aus, und marschirte mannhaft vorwärts, als ginge er an der Spitze einer Brigade von Lanzenträgern, während er hin und wieder einen wohlgefälligen Blick auf seine rothen Beinkleider und die ungeheuren gelben Rosen auf seinen Schuhen warf. Tressilian folgte, in seine eigenen schwermüthigen Gedanken gehüllt, und beachtete Raleigh kaum, dessen lebhafte Phantasie sich über die seltsame Eitelkeit seines achtbaren Freundes ergötzte und seine Scherze Tressilian in's Ohr flüsterte.
Auf diese Weise schritten sie über die lange Brücke und stellten sich mit andern Herren von Stande vor dem äußern Thore des Galleriethurmes auf. Im Ganzen waren es etwa vierzig Personen, zu jeder Seite des Thores in doppelten Reihen aufgestellt, gleich einer Ehrenwache innerhalb des dichten Spaliers, welches Leicesters Lanzenträger bildeten. Außer Schwertern und Dolchen trugen diese Herren keine Waffen. Alle waren auf's Zierlichste gekleidet, und in Folge der Mode jener Zeit sah man nichts als Sammet, Gold- und Silberstoff, Bänder, Federn, Edelsteine und goldene Ketten. Ungeachtet seiner ernsteren Veranlassungen zur Traurigkeit konnte Tressilian nicht umhin, zu fühlen, daß sein Reitanzug, so schön derselbe auch sein mochte, eine unwürdige Figur unter dieser prunkenden Umgebung spiele, um so mehr, da seine Freunde sich über seine nachlässige Kleidung wunderten und Leicesters Anhänger darüber spotteten.
Obgleich dies nicht mit Tressilians ernstem Charakter übereinzustimmen scheint, so haben wir dies doch nicht verschweigen können; denn die Berücksichtigung des äußern Erscheinens ist eine Art von Eigenliebe, von der auch die Weisesten nicht frei sind, und woran das Gemüth so instinktmäßig hängt, daß nicht blos der Soldat, der dem fast unvermeidlichen Tode entgegengeht, sondern auch der verurtheilte Verbrecher, der zur Hinrichtung geführt wird, besorgt ist, seine Person auf's Vortheilhafteste darzustellen.
Es war in der Dämmerung eines Sommerabends (am 9. Julius 1575), die Sonne war schon eine Zeitlang untergegangen, und Alle erwarteten die unmittelbare Ankunft der Königin. Die Menge war schon mehrere Stunden versammelt gewesen, und ihre Zahl nahm noch immer zu. Erfrischungen nebst geröstetem Ochsenfleisch und Bier wurden an verschiedenen Punkten des Weges verschwenderisch ausgetheilt, und hatten die Volksmasse in vollkommener Liebe und Treue gegen die Königin und ihren Günstling erhalten, die vielleicht etwas würde nachgelassen haben, hätten sie bei ihrem Warten auch noch fasten müssen. Sie brachten daher die Zeit mit den gewöhnlichen Volksbelustigungen zu, schrieen und riefen, spielten rohe Possen mit einander, und bildeten den Chor unharmonischer Töne, der bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich ist. Dies geschah auf den mit Menschen angefüllten Wegen und Feldern, und besonders außerhalb des Parkthores, wo die größere Menge des geringeren Volkes sich aufgestellt hatte, als man plötzlich eine Rakete aufsteigen sah, und im Augenblicke die große Glocke des Schlosses über Feld und Wald dahin tönte.
Augenblicklich trat eine Todtenstille ein, worauf ein Gemurmel der Erwartung folgte – die vereinigte Stimme vieler Tausende, wovon Niemand laut sprach, oder um einen bezeichnenden Ausdruck anzuwenden, das Geflüster einer ungeheuren Menge.
»Jetzt kommen sie gewiß,« sagte Raleigh zu Tressilian, »das ist ein großartiger Ton. Wir hören ihn aus der Ferne, wie Seeleute nach einer langen Reise die Brandung an ein fernes und unbekanntes Gestade anschlagen hören.«
»Mir kommt es eher vor, als hörte ich meine Kühe brüllen, wenn sie von der Weide nach Hause getrieben werden,« antwortete Blount.
»Er wird wahrhaftig gleich zu grasen anfangen,« sagte Raleigh zu Tressilian; »er denkt an nichts, als an fette Ochsen und fruchtbare Weiden – er ist wenig besser, als seine eigenen Ochsen, und wird nur kühn, wenn man ihn zum Stoßen und Brüllen reizt.«
»Wir werden ihn gleich dazu bringen,« sagte Tressilian, »wenn Du Deinen Witz nicht bändigest.«
»Ei, es liegt mir Nichts daran,« antwortete Raleigh; »aber auch Du, Tressilian, hast Dich in eine Eule verwandelt, die nur bei Nacht ausfliegt; hast Deine Gesänge mit unheimlichem Gekreisch vertauscht, und gute Gesellschaft mit einem Epheukranz.«
»Aber, was für eine Art von Thier bist Du selber, Raleigh,« sagte Tressilian, »da Du uns Alle so über die Achsel ansiehst?«
»Nun, ich?« versetzte Raleigh. »Ein Adler bin ich, der niemals an die Erde denken wird, so lange es noch einen Himmel gibt, zu dem er aufsteigen, und eine Sonne, die er anblicken kann.«
»Beim heiligen Barnabas! Du bist ein Prahler,« sagte Blount; »aber guter Herr Adler, hüte Dich vor dem Käfig und vor dem Vogelsteller. Schon viele Vögel sind so hoch geflogen, und doch habe ich sie mit Stroh ausgestopft gesehen, und aufgehängt, um Habichte zu verscheuchen. – Aber horch, welche Stille ist plötzlich eingetreten!«
»Der Zug hält am Parkthore an,« sagte Raleigh, »wo eine Sibylle der Königin begegnet, um ihr wahrzusagen. Ich sah die Verse; es ist wenig Geschmack darin, und Ihre Majestät ist schon mit solchen poetischen Complimenten genug belästigt worden. Während der Rede des Registrators dort bei Warwick flüsterte sie mir zu, sie sei des langweiligen Geschwätzes überdrüssig!«
»Die Königin flüsterte ihm zu!« sagte Blount zu sich selber; »guter Gott, was wird aus dieser Welt werden!«
Seine weiteren Betrachtungen wurden durch einen Beifallruf der Menge unterbrochen, der so laut war, daß man ihn meilenweit vernahm. Die an dem Wege aufgestellte Garde setzte den Ruf fort, so daß Allen innerhalb des Schlosses angekündigt wurde, daß die Königin Elisabeth in den königlichen Park zu Kenilworth eingetreten sei. Die ganze Musik des Schlosses ertönte zugleich, auf den Mauern wurden Kanonen abgefeuert, nebst einer Salve des kleinen Geschützes; doch bei dem Gebrüll des wiederholten Willkommenrufes der Menge wurden die Trommeln und Trompeten und selbst die Kanonen nur schwach gehört.
Als der Lärm nachzulassen begann, sah man einen hellen Lichtschein von dem Parkthore her, der immer heller wurde, je näher er kam. Die zu beiden Seiten des weiten Baumganges aufgestellten Lanzenträger des Grafen von Leicester riefen einander zu: »Die Königin! Die Königin! Steht still und schweigt!« dann kam eine Reiterschaar von zweihundert Mann, welche sämmtlich dicke Wachsfackeln in den Händen trugen, wovon die ganze Prozession so hell erleuchtet wurde, wie am Tage, besonders aber die vorzüglichste Gruppe, worunter sich die Königin befand, die auf's Prächtigste gekleidet war, und von Juwelen strotzte. Sie saß auf einem milchweißen Pferde, welches sie mit großer Anmuth und Würde regierte, und an ihrem edlen und majestätischen Benehmen bemerkte man, daß sie von einer langen Reihe von Königen abstammen müsse.
Die Hofdamen, welche neben der Königin ritten, hatten Sorge getragen, in ihrem Aeußeren nicht glänzender zu erscheinen, als ihr Rang es verlangte, so daß ein weniger glänzender Sternenkreis die Sonne umgab. Ihre persönlichen Reize, und die Pracht, durch die sie sich ungeachtet der klugen Zurückhaltung nothwendig auszeichneten, stellten sie als die Blüthe eines Reiches dar, welches wegen seiner Pracht und Schönheit so berühmt war. Den Hofleuten war kein solcher Zwang aufgelegt, wie den Damen, und daher war der Glanz ihres Aeußern unbeschränkt.
Leicester, welcher wie ein goldenes Götzenbild von Goldstoff und Juwelen glänzte, ritt zur rechten Hand der Königin, in der Eigenschaft ihres Wirthes und ihres Stallmeisters. Das schwarze Pferd, welches er ritt, hatte kein einziges weißes Haar am Leibe. Es war einer der berühmtesten Renner in Europa, und der Graf hatte es zu diesem Zwecke für eine große Summe gekauft. Das edle Roß war ungeduldig wegen des langsamen Schrittes der Prozession, bog seinen schönen Hals, nagte an dem silbernen Gebiß, welches es zurückhielt, und der Schaum seines Mundes besprengte seine schön gebildeten Glieder, wie mit Schneeflocken. Der Reiter machte der ausgezeichneten Stelle, die er einnahm, und dem stolzen Thiere Ehre, welches er ritt; denn kein Mann in England, oder vielleicht in Europa, war in der Reitkunst und allen dazu gehörigen Fertigkeiten geschickter, als Dudley. Sein Haupt war unbedeckt, so wie das aller Hofleute in dem Zuge, und das rothe Fackellicht schien auf seine langen, dunkeln Locken und auf seine edlen Züge, denen selbst die strengste Kritik nur den einzigen fürstlichen Fehler, wie man ihn nennen könnte, vorzuwerfen vermochte, nämlich, daß seine Stirn etwas zu hoch war. An jenem stolzen Abend zeigten diese Züge die ganze dankbare Bekümmerniß eines Untertanen, welcher sich der hohen Ehre bewußt war, welche die Königin ihm anthat, so wie den ganzen Stolz, der sich für einen so ruhmvollen Augenblick ziemte. Obgleich weder das Auge, noch die Züge des Grafen etwas Anderes, als Gefühle verriethen, die für diese Gelegenheit geeignet waren, so bemerkten doch einige von den nächsten Dienern des Grafen, daß er ungewöhnlich blaß sei, und sprachen gegen einander die Besorgniß aus, daß er sich mehr anstrenge, als seiner Gesundheit zuträglich sei.
Varney folgte dicht hinter seinem Herrn, als der erste aufwartende Stallmeister, und hatte das schwarze Sammetbaret seines Herrn in Verwahrung, welches mit einer Agraffe von Diamanten und einer weißen Feder versehen war. Sein Auge war beständig auf seinen Herrn gerichtet; und aus Gründen, womit der Leser nicht unbekannt ist, war er unter Leicesters zahlreichen Dienern derjenige, der am meisten wünschte, daß die Kraft und Entschlossenheit seines Herrn ihm an diesem Tage nicht fehlen möchte; denn obgleich Varney keiner von Denen war, – keiner von den wenigen moralischen Ungeheuern, welche versuchen, die Reue in Schlaf zu lullen, die sie in ihrer eigenen Brust empfinden, und durch Atheismus in moralische Gefühllosigkeit versetzt werden, wie man die in Todesqual Liegenden mit Opium einschläfert, so wußte er doch, daß in der Brust seines Patrons bereits das Feuer erweckt sei, welches niemals erlischt, und daß sein Herr bei allem Pomp und aller Pracht, die wir bereits beschrieben haben, das Nagen des Wurmes empfand, der nicht stirbt. Da Graf Leicester indeß von Varney die Versicherung erhalten hatte, daß die Gräfin an einer Unpäßlichkeit leide, die eine genügende Entschuldigung für ihr Nichterscheinen in Kenilworth bilde, so glaubte sein ränkevoller Diener, daß keine Gefahr vorhanden sei, ein so ehrgeiziger Mann werde sich dadurch verrathen, daß er seine Schwäche deutlich an den Tag lege. Die männliche und weibliche Begleitung der Königin war natürlich unter den Tapfersten und Schönsten ausgesucht, – es waren da die vornehmsten Adeligen und die weisesten Rathgeber jener ausgezeichneten Regierung, deren Namen hier zu wiederholen den Leser nur ermüden würde. Hinter der nächsten Umgebung der Königin folgte eine große Schaar von Rittern und Edelleuten, deren Rang und Geburt zwar ausgezeichnet war, die aber durch die Vorausgehenden in Schatten gestellt wurden.
So näherte sich der Zug dem Galleriethurme. Jetzt war der riesenhafte Pförtner an der Reihe vorzutreten; doch waren seine Geisteskräfte durch den Inhalt eines großen Bierkruges, den er eben geleert hatte, um sein Gedächtniß zu stärken, so sehr in Verwirrung gerathen, daß er nur kläglich stöhnte und auf seiner steinernen Bank sitzen blieb. Die Königin würde ohne Gruß vorübergeritten sein, hätte nicht der geheime Verbündete des riesenhaften Pförtners, Flibbertigibbet, welcher hinter ihm versteckt lag, eine Nadel durch seine Kleider in sein Fleisch gebohrt.
Der Pförtner stieß ein Geheul aus, welches nicht übel zu seiner Rolle paßte, sprang mit seiner Keule auf, führte einige kräftige Schläge nach jeder Seite hin, und fiel dann, wie ein von Sporen angetriebenes Kutschpferd, plötzlich in seine Anrede hinein, während Dickie Sludge ihm sufflirte. Die Rede, welche er mit riesenhafter Betonung vortrug, mag hier in der Abkürzung einen Platz finden. Die ersten Verse waren an die Volksmenge gerichtet, die sich dem Thore näherte, der Schluß an die Königin, bei deren Anblick der riesenhafte Wächter, wie von einer himmlischen Erscheinung überrascht, seine Keule sinken ließ, und die Göttin der Nacht und ihren ganzen prachtvollen Zug einließ.
»Welch' ein Lärmen, welch' gewaltig Drängen?
Zurück, Ihr Herren, hütet Eure Glieder!
Ich bin der Pförtner und kein Mann von Stroh.
Seht, meine Stimme muß hier Ordnung halten,
Und meine Keule schreibt Gesetze vor.
Doch, was bedeutet die Erscheinung hier?
Wer ist die unvergleichliche Gestalt?
Das liebenswürdigste Gesicht, das hier
In diesen Reihen wie ein Diamant
Erscheint, der hell aus reinem Golde strahlt?
Geblendet geb' ich meinen Posten auf:
Hier auf den Knieen reich' ich Dir den Schlüssel.
Erhabene, zieh' ein in Freud' und Segen! –
Verflucht das Thor, das sich vor Dir nicht öffnet!«
Elisabeth nahm die Huldigung des riesenhaften Pförtners sehr gnädig auf, erwiderte seinen Gruß mit einem Kopfnicken und ging durch den von ihm bewachten Thurm, von dessen Gipfel kriegerische Musik erschallte, die von andern Musikchören beantwortet wurde, welche auf verschiedenen Punkten der Schloßmauern und im Park aufgestellt waren.
Bei diesem Spiel der Instrumente, welches wie ein Zauberwerk, bald ganz nah, bald in weiter Ferne, bald klagend, bald lieblich ertönte, gelangte Elisabeth durch den Galleriethurm und kam auf die lange Brücke, die sich von dort bis zum Mortimerthurme erstreckte, und fast so hell erleuchtet war, wie am Tage, indem man an den Palissaden zu jeder Seite eine große Menge von Fackeln angebracht hatte. Hier stiegen die meisten Cavaliere ab, schickten ihre Pferde in das benachbarte Dorf Kenilworth und folgten der Königin zu Fuß, was auch die Herren thaten, die am Galleriethurme gestanden hatten, um die Königin zu empfangen.
Bei dieser Gelegenheit, so wie mehrmals während des Abends, redete Raleigh Tressilian an, und war nicht wenig erstaunt über seine unbestimmten und ungenügenden Antworten, die ihn zu der Vermuthung brachten, daß sein Freund an einer Geistesabwesenheit leide.
Als die Königin die Brücke betreten hatte, bot sich ihr ein neues Schauspiel dar. Sobald die Musik das Zeichen gab, daß sie so weit vorgeschritten sei, trieb ein Floß, welches so eingerichtet war, daß es einer schwimmenden Insel glich, langsam dem andern Ende der Brücke zu. Die Insel war von einer großen Menge Fackeln erleuchtet, und von schwimmenden Figuren umgeben, welche Seepferde vorstellten, worauf Tritonen, Nereiden und andere fabelhafte See- und Flußgottheiten saßen.
Auf der Insel befand sich ein schönes Frauenzimmer, in einem lichtblauen seidenen Mantel, mit einem breiten Gürtel versehen. Ihre Füße und Arme waren bloß; ihre Handgelenke und Knöchel mit goldenen Ringen von ungewöhnlicher Größe geziert. Auf ihrem langen schwarzen Haar trug sie eine Krone und in der Hand einen Stab von Ebenholz mit Silber beschlagen. Sie war von zwei Nymphen begleitet, welche dieselbe alterthümliche und mystische Kleidung trugen.
Das Ganze war so gut eingerichtet, daß diese Dame der schwimmenden Insel, nachdem sie ihre Reise mit malerischem Effect vollendet hatte, gerade mit Elisabeth zugleich am Mortimerthurme ankam. Dann kündigte sich die Fremde in einer wohlgesetzten Rede als das berühmte Mädchen vom See an, die in den Sagen vom König Arthur vorkommt, die den berühmten Ritter Lancelot erzogen, und deren Schönheit selbst der Weisheit und der Zauberei Merlins zu mächtig gewesen. Seit jener frühen Zeit sei sie im Besitz ihres crystallenen Reiches gewesen, sagte sie, ungeachtet der verschiedenen ruhmvollen und mächtigen Männer, welche nach und nach Kenilworth bewohnten. Die Angelsachsen, die Dänen, die Normannen, die Saintlowes, die Clintons, die Mountforts, die Mortimers, die Plantagenets, so groß sie auch in den Waffen und an Pracht gewesen, sagte sie, hätten sie niemals veranlaßt, ihr Haupt aus den Wassern ihres crystallenen Palastes zu erheben. Doch ein größerer Name, als alle diese großen Namen, sei jetzt erschienen, und sie komme, die unvergleichliche Elisabeth demüthigst und pflichtschuldigst mit allen Lustbarkeiten zu bewillkommnen, welche das Schloß und die Umgegend, welche der See und das Land gewähren könnten.
Auch diese Anrede nahm die Königin mit großer Höflichkeit auf, und antwortete scherzend: »Wir glaubten, dieser See gehöre zu Unserer Herrschaft, schöne Dame; doch da eine so berühmte Dame ihn als den ihrigen in Anspruch nimmt, so wollen Wir zu einer andern Zeit über Eure Ansprüche mit Euch verhandeln.«
Mit dieser Antwort verschwand das Mädchen vom See, und Arion, der sich unter den Seegottheiten befand, erschien auf seinem Delphin. Aber Lambourne, der in Waylands Abwesenheit die Rolle übernommen und sich im Wasser erkältet hatte, wußte seine Rede nicht auswendig und es fehlte ihm ein Souffleur, wie der Pförtner einen gehabt. Er riß seine Maske herunter und fluchte: »Zum Henker! Ich bin weder Arion noch Orion, sondern der ehrliche Michel Lambourne. Vom Morgen bis zum Abend habe ich auf die Gesundheit Ihrer Majestät getrunken, und bin gekommen, Euch in dem Schlosse Kenilworth herzlich willkommen zu heißen!«
Diese unüberlegte Rede entsprach ihrem Zwecke besser, als die vorgeschriebene würde gethan haben. Die Königin lachte herzlich, und schwur ihrerseits, dies sei die beste Rede, die sie den ganzen Tag über gehört habe. Lambourne, welcher sah, daß dieser Scherz gut aufgenommen wurde, sprang an's Ufer, gab seinem Delphin einen Stoß, und erklärte, er wolle nichts wieder mit Fischen zu thun haben, außer beim Mittagessen.
Zu derselben Zeit, wo die Königin im Begriffe war in's Schloß zu treten, fand jenes denkwürdige Feuerwerk zu Wasser und zu Lande statt, bei dessen Beschreibung Herr Laneham alle seine Beredtsamkeit aufwendete.