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Das Opfer stehet hier – dort der Verführer –
Der Hirschkuh gleich, erlegt von schnellen Hunden,
Die zu des stolzen Jägers Füßen liegt,
Der einer hohen Dame, der Diana
Der Jagd, von der er eine Huld erwartet,
Sein scharfes Schwert anbietet, um die Kehle
Ihr abzuschneiden.
Der Jäger.
Wir kehren jetzt in das Mervynzimmer zurück, wo sich die unglückliche Gräfin von Leicester aufhielt, die eine Zeitlang ihre Ungewißheit und Ungeduld bezähmte. Sie wußte wohl, daß es bei dem Tumult des Tages lange währen könne, ehe der Brief sicher in Leicesters Hände gelange, und daß noch einige Zeit vergehen werde, ehe er sich von der Nothwendigkeit würde losmachen können, um sie in ihrer Verborgenheit zu besuchen. – »Ich darf ihn erst in der Nacht erwarten,« sagte sie, – »er kann sich nicht von seinem königlichen Gaste entfernen, um mich zu besuchen. Ich weiß, er wird früher kommen, wenn es möglich ist, doch will ich ihn nicht vor der Nacht erwarten.« – Und doch erwartete sie ihn die ganze Zeit über, und während sie versuchte, zu der entgegengesetzten Ueberzeugung zu kommen, tönte ihr jedes hastige Geräusch, welches sie hörte, gleich Leicesters eiligen Schritten auf der Treppe, welcher komme, sie in seine Arme zu drücken.
Die Ermüdung des Körpers, sowie die Gemüthsaufregung, die in einem solchen Zustande der Ungewißheit natürlich war, griffen ihre Nerven heftig an, und sie fürchtete schon, nicht im Stande zu sein, die nöthige Selbstbeherrschung zu bewahren. Doch Emma besaß von Natur große Seelenstärke, und ihr Körper war vermöge der Jagdbelustigungen, die sie in Gesellschaft ihres Vaters getrieben, ungewöhnlich kräftig und gesund. Da sie wohl wußte, wie sehr der Ausgang ihres Schicksals von ihrer Selbstbeherrschung abhängig sei, so bat sie den Himmel um Körper- und Seelenstärke, und entschloß sich zu gleicher Zeit, sich keiner nervösen Aufregung hinzugeben, wodurch beide könnten geschwächt werden.
Doch als die große Glocke des Schlosses, die sich auf dem Cäsarsthurme in nicht weiter Entfernung von ihrem Aufenthalte befand, zu läuten begann, als Zeichen der Ankunft des königlichen Zuges, da war der Schall so schmerzlich für ihre Ohren, daß sie kaum umhin konnte, vor Angst aufzuschreien.
Bald darauf, als das kleine Zimmer plötzlich von den künstlichen Feuern erleuchtet ward, womit die Luft sich füllte, und die sich gleich feurigen Geistern durchkreuzten, wovon jeder seiner eigenen Sendung folgt, oder gleich Salamandern, welche in der Region der Sylphiden einen Festtanz aufführen, war es der Gräfin Anfangs, als ob jede Rakete dicht an ihren Augen vorüberführe, und ihre Funken so nahe von sich sprühe, daß sie die Hitze empfinden könne. Doch sie bekämpfte diesen phantastischen Schrecken und zwang sich aufzustehen, am Fenster zu verweilen, und ein Schauspiel anzusehen, welches ihr zu einer andern Zeit zugleich interessant und furchtbar erschienen sein würde. Die prachtvollen Thürme des Schlosses waren in Guirlanden künstlichen Feuers eingehüllt, oder mit blassem Rauche bedeckt. Die Oberfläche des See's glühte wie geschmolzenes Eisen, während viele Feuerwerke, die man damals für wunderbar hielt, obgleich sie jetzt gewöhnlich sind, auf dem widerstrebenden Elemente zu sprühen fortfuhren, untertauchten und wieder aufstiegen, zischten und knallten, gleich bezauberten Drachen, die auf einem brennenden See ihr Wesen treiben.
Selbst Emma interessirte sich einen Augenblick für die ihr so neue Scene. »Ich würde es für Zauberei gehalten haben,« sagte sie, »doch der arme Tressilian lehrte mich dergleichen Dinge ansehen, wie sie wirklich sind. Großer Gott! gleicht nicht dieser eitle Glanz meinem gehofften Glück? – Ein einziger Funke, der augenblicklich von der Dunkelheit umher verschlungen wird, – ein augenblickliches Glühen, welches sich in die Luft erhebt, um nur desto tiefer zu fallen. O, Leicester! nach Allem, was Du gesagt und geschworen hast – daß Emma Deine Liebe, Dein Leben sei – kannst Du der Zauberer sein, auf dessen Wink diese Wunder sich erheben, welche sie als eine Ausgestoßene, wenn nicht gar als eine Gefangene mit ansieht?«
Die Musik, welche von verschiedenen Richtungen her ertönte, machte denselben schmerzlichen Eindruck auf sie. Während einige Töne in der Ferne hinstarben, als hätten sie Mitleid mit ihrem Schmerz, ertönten andere ganz in ihrer Nähe, als spotteten sie über ihr Elend mit ungebundener Frechheit. »Diese Töne,« sagte sie, »sind die meinigen – sie sind die meinigen, weil sie die seinigen sind; doch ich kann nicht sagen: Schweigt! Diese lauten Ausbrüche sind mir zuwider; und die Stimme des niedrigsten Bauers, der sich in den Tanz mischt, hat mehr Macht über die Musik, als der Befehl der Herrin selbst.«
Nach und nach schwiegen die lauten Töne, und die Gräfin zog sich vom Fenster zurück, wo sie gesessen, und denselben zugehört hatte. Es war Nacht, doch der Mond schien hell in's Zimmer, so daß Emma im Stande war, die nöthigen Anordnungen zu treffen. Sie hegte die Hoffnung, daß Leicester in ihr Zimmer kommen werde, sobald der Lärm im Schlosse sich gelegt habe; doch war sie auch in Gefahr durch irgend einen Fremden gestört zu werden. Sie verließ sich nicht mehr auf den Schlüssel, da Tressilian so leicht eingetreten war, obgleich sie die Thür von Innen verschlossen hatte. Alles, was sie thun konnte, war, den Tisch vor die Thüre zu stellen, damit sie von dem Geräusch erwachen möge, wenn irgend Jemand einzutreten wagen sollte. Nachdem die unglückliche Dame diese Vorsichtsmaßregel getroffen, legte sie sich auf ihr Lager und zählte in ängstlicher Erwartung mehr als eine Stunde nach Mitternacht, bis ihre Erschöpfung für die Liebe, für den Kummer, für die Furcht, ja selbst für die Ungewißheit zu stark wurde, und sie einschlief.
Ja sie schlief. Der Indier schläft auf der Folter, in der Zwischenzeit seiner Qualen; und Seelenqualen erschöpfen auf gleiche Weise durch lange Fortsetzung die Empfindlichkeit des Leidenden, so daß nothwendig ein Zwischenraum todähnlicher Ruhe eintreten muß, ehe die Qualen wieder erneuert werden können.
Die Gräfin schlief dann mehrere Stunden und es träumte ihr, sie sei in dem alten Hause zu Cumnor Place und horche auf das leise Pfeifen, womit Leicester seine Ankunft im Hofplatz anzukündigen pflegte. Doch diesmal hörte sie statt des Pfeifens den eigenthümlichen Ton eines Waldhorns, welches ihr Vater beim Fall des Hirsches zu blasen pflegte. Sie eilte, wie es ihr vorkam zu einem Fenster, welches in den Hofplatz hinausging, und dieser war von Männern in Trauerkleidung angefüllt. Der alte Pfarrer schien bereit, eine Leichenrede zu halten. Mumblazen in einer alterthümlichen Kleidung, gleich der eines Herolds, hielt ein Wappen empor, mit den gewöhnlichen Verzierungen von Schädeln, Gebeinen und Stundengläsern, welche eine Waffenrüstung umgaben, wovon sie weiter nichts unterscheiden konnte, als daß sich darüber eine Grafenkrone befand. Der alte Mann blickte sie mit einem grausigen Lächeln an, und sagte: »Emma, ist die Anordnung des Wappens nicht richtig getroffen?« Gerade, als er sprach, ertönte das Waldhorn wieder und sie erwachte.
Die Gräfin erwachte, um ein wirkliches Waldhorn, oder vielmehr den vereinten Ton vieler Waldhörner zu hören, welche die Bewohner des Schlosses Kenilworth zum Beginn einer prächtigen Hirschjagd im benachbarten Park aufforderten. Emma fuhr von ihrem Lager auf, horchte auf den Ton, erblickte die ersten Strahlen des Sommermorgens, welche durch ihr Fenster schimmerten, und erinnerte sich mit qualvollem Herzen, wo sie sei und in welcher Lage sie sich befinde.
»Er denkt nicht an mich,« sagte sie – »er will nicht zu mir kommen! Eine Königin ist bei ihm zu Gaste, und was liegt ihm daran, in welchem Winkel seines ungeheuren Schlosses sich eine Elende in Qual und Verzweiflung verzehrt?« Plötzlich erfüllte sie ein Geräusch an der Thür, als ob Jemand sie leise zu öffnen versuche, mit einer unaussprechlichen Mischung von Freude und Furcht. Als sie den Tisch vor der Thür wegnahm und dieselbe aufschloß, hatte sie die Vorsicht zu fragen: »Bist du es mein Lieber?«
»Ja, meine Gräfin,« war die Antwort.
Sie öffnete rasch die Thür, rief: »Leicester!« und schlang ihre Arme um den Nacken des Mannes, welcher in einen Mantel gehüllt draußen stand.
»Noch nicht ganz Leicester,« antwortete Michael Lambourne, denn er war es, indem er die Liebkosung mit Heftigkeit erwiderte, – »nicht ganz Leicester, meine liebenswürdige und geliebteste Herzogin; aber doch ein ebenso guter Mann.«
Mit einer Kraftanstrengung, deren sie sich zu anderer Zeit nicht für fähig gehalten hätte, befreite sich die Gräfin aus der entweihenden Umarmung des betrunkenen Wüstlings, und zog sich in die Mitte des Zimmers zurück, wo die Verzweiflung ihr Muth gab, still zu stehen.
Als Lambourne beim Eintreten den Mantel vom Gesichte nahm, erkannte sie Varney's ausschweifenden Diener – die letzte Person außer seinem verabscheuten Herrn, von der sie entdeckt zu werden wünschte. Doch sie war noch dicht in ihre Reisekleidung verhüllt, und da Lambourne zu Cumnor Place fast nie vor sie gelassen worden war, hoffte sie, ihre Person werde ihm nicht so bekannt sein, wie ihr die seinige, weil Jeannette ihr ihn gezeigt, wenn er über den Hofplatz gegangen war, und Geschichten von seiner Verworfenheit erzählt hatte. Sie würde noch größere Zuversicht zu ihrer Verkleidung gehegt haben, hätte ihre Erfahrung sie in den Stand gesetzt zu entdecken, daß er sehr betrunken war; doch dies hätte sie schwerlich wegen der Gefahr beruhigen können, der sie von einem solchen Menschen zu solcher Zeit, an diesem Orte und unter solchen Umständen ausgesetzt war.
Lambourne warf die Thüre hinter sich zu, als er eintrat, faltete seine Arme über die Brust zusammen, als spotte er über die trostlose Stellung, welche Emma angenommen hatte, und fuhr fort: »Hört meine schönste Kallipolis – oder meine schönste Lumpengräfin und die göttliche Herzogin der dunklen Winkeln – wenn Du Dir so viele Mühe machst, Dich wie einen gescheuchten Vogel zusammenzukauern, damit man um so mehr Mühe habe, ihn zu fangen, so sage ich Dir, daß Du Dir die Mühe ersparen kannst – mir gefiel Dein erstes freies Benehmen besser, – das gegenwärtige gefällt mir so wenig« – er that einen Schritt auf sie zu und taumelte – »so wenig, als – ein verflucht unebener Fußboden, wo ein Cavalier sich den Hals brechen kann, wenn er nicht so gerade geht, wie ein Seiltänzer.«
»Zurück!« rief die Gräfin, »komm nicht näher, oder es wird Dir den Tod bringen.«
»Tod! – zurücktreten! – wie Madame? wollt Ihr noch einen besseren Liebsten haben, als Michael Lambourne? Ich bin in Amerika gewesen, mein hübsches Kind, wo das Gold wächst, und habe mir eine solche Ladung davon mitgebracht –«
»Guter Freund,« sagte die Gräfin in großem Schrecken über das kühne und entschlossene Wesen des Schurken, »ich bitte Dich, geh' und verlaß mich.«
»Das will ich, mein hübsches Kind, sobald wir einander überdrüssig sind, – aber keinen Augenblick früher.« Er ergriff ihren Arm, während sie, zu weiterer Vertheidigung unfähig, laut aufschrie. »Ja schreie nur, wenn's Dir Spaß macht,« sagte er, indem er sie noch immer festhielt; »ich habe die See gehört, wo sie am lautesten tobte, und kümmere mich nicht mehr um das Schreien eines Weibes, als wenn eine Katze miaut. – Verdamm mich! – ich habe Fünfzig, oder Hundert zugleich schreien hören, wenn eine Stadt erstürmt wurde.«
Das Geschrei der Gräfin brachte ihr indeß unerwartete Hülfe in der Person des Lorenz Staples, der ihren Ruf unten in seinem Zimmer gehört hatte, und noch zur rechten Zeit eintrat, um sie vor der Entdeckung, oder noch schrecklicherer Gewaltthat zu schützen. Auch Lorenz war betrunken wegen der Ausschweifung in der vergangenen Nacht, doch glücklicherweise hatte die Trunkenheit bei ihm eine andere Stimmung, als bei Lambourne, hervorgebracht.
»Was ist das für ein Teufelslärm hier im Thurm?« sagte er. – »Mann und Weib zusammen in derselben Zelle? das ist gegen die Regel. Beim heiligen Petrus in Fesseln! ich will Anstand in meiner Herrschaft haben.«
»Hinunter mit Dir, Du betrunkens Vieh,« sagte Lambourne, »siehst Du nicht, daß diese Dame und ich allein sein wollen?«
»Guter Herr,« sagte die Gräfin zu dem Gefangenwärter, »befreie mich von ihm um des Himmels willen!«
»Das ist ein billiges Verlangen,« sagte der Gefangenwärter, »und ich will ihre Partei ergreifen. Ich liebe meine Gefangenen und habe so gute Leute unter meiner Obhut gehabt, wie sie nur je in Newgate gewesen. Und da sie eine von meinen Lämmern ist, wie ich zu sagen pflege, so soll sie Niemand in ihrer Hürde belästigen. Laß das Frauenzimmer los, oder ich schlage Dir mit meinem Schlüsselbund den Kopf entzwei.«
»Ich will vorher einen Blutpudding aus Deinem Zwerchfell machen,« antwortete Lambourne, der mit der linken Hand nach seinem Dolche griff, während er die Gräfin noch immer mit der rechten festhielt. »Nimm Dich in Acht, Du alter Strauß, der allein von einem Bunde eiserner Schlüssel lebt.«
Lorenz ergriff Michaels Arm und verhinderte ihn seinen Dolch zu ziehen, und während Lambourne bemüht war, sich von ihm loszumachen, gelang es der Gräfin, ihre Hand aus dem Handschuh zu ziehen, an dem der Schurke sie festhielt. Sie sah sich von ihm befreit, eilte aus dem Zimmer und die Treppe hinunter, während sie in demselben Augenblick beide Streitenden mit solchem Geräusch auf den Boden fallen hörte, daß dadurch ihr Schrecken noch vermehrt wurde. Die äußere Thüre stellte ihrer Flucht kein Hinderniß entgegen, da sie geöffnet worden war, um Lambourne einzulassen. So gelangte sie die Treppe hinunter und floh über den freien Platz, dem Garten zu, wo sie ihrer Meinung nach vor der Verfolgung am sichersten sein werde.
Inzwischen wälzten sich Lorenz und Lambourne am Boden herum und hatten sich fest umschlossen. Glücklicherweise war es keinem von Beiden möglich, den Dolch zu ziehen. Doch gelang es Lorenz, Michael mit den schweren Schlüsseln in's Gesicht zu schlagen, und Michael faßte dagegen den Gefangenwärter so heftig an der Kehle, daß ihm das Blut aus Mund und Nase hervordrang. So waren Beide blutig und entstellt, als einer von den Hausbeamten, von dem Lärm herbeigeführt, in's Zimmer trat, und die Kämpfenden mit einiger Schwierigkeit von einander trennte.
»Der Teufel hole Euch Beide!« sagte der Friedensstifter, »und besonders Euch, Herr Lambourne, was zum Henker liegt Ihr hier und kämpft am Boden mit einander, gleich zwei Metzgerhunden bei den Fleischbänken?«
Lambourne stand auf, etwas nüchtern geworden durch das Dazwischentreten eines Dritten, und erwiderte mit geringerer Unverschämtheit, als ihm sonst eigen war: »Wir kämpften um eine Dirne, wenn Du es wissen mußt.«
»Um eine Dirne! wo ist sie?« fragte der Diener.
»Verschwunden, glaube ich,« sagte Lambourne, indem er sich umsah, »wenn Lorenz sie nicht vielleicht verschlungen hat. Sein Bauch verschlingt so viele unglückliche Dämchen und verfolgte Waisen, wie nur je ein Riese in König Arthurs Geschichte. Sie sind seine hauptsächlichste Nahrung, er verschlingt Leib und Seele.«
»Ja, ja, das thut nichts,« sagte Lorenz, indem er seine unförmliche Gestalt vom Boden erhob; »doch ich habe schon bessere Leute, als Ihr, Herr Michael Lambourne, unter meinem Verschlusse gehabt, und werde Dich am Ende auch noch in meine Klauen bekommen. Die Unverschämtheit Deiner Stirn wird Deine Schienbeine nicht immer aus dem Eisen befreien, und Deine durstige Kehle aus dem hanfenen Stricke.« – Sobald er diese Worte ausgesprochen hatte, stürzte Lambourne wieder auf ihn zu.
»Nein, fangt nicht noch ein Mal an,« sagte der Diener, »oder ich rufe Jemand herbei, der Euch zähmen wird, nämlich Herrn Varney – Sir Richard wollte ich sagen – er ist schon auf, ich versichere Euch – ich sah ihn eben über den Hof gehen.«
»Wirklich?« sagte Lambourne, indem er das Waschbecken und Handtuch ergriff, welches sich im Zimmer befand; »dann thue Dein Werk, Element – ich glaubte in der letzten Nacht schon genug von Dir zu haben, als ich, wie Orion, gleich einem Kork auf dem Bierfasse herumschwamm.«
Hierauf machte er sich an's Werk, die Zeichen des Kampfes aus seinem Gesichte und von seinen Händen zu entfernen, und seinen Anzug in Ordnung zu bringen.
»Was hast Du ihm gethan?« sagte der Diener leise zu dem Gefangenwärter, »sein Gesicht ist furchtbar angeschwollen.«
»Es ist nur der Abdruck des Schlüssels zu meinem Cabinet – ein zu gutes Zeichen für seine Galgenphysiognomie. Niemand soll meine Gefangenen beleidigen, oder ihnen Etwas zu Leide thun; sie sind meine Juwelen, und daher verschließe ich sie in sichern Behältern. – Nun, mein liebes Kind, laßt Euer Wehklagen – ei zum Henker, es war doch ein Frauenzimmer hier!«
»Ich glaube, Ihr seid diesen Morgen alle Beide toll,« sagte der Diener; »das Gefängniß ist erbrochen, das ist Alles.«
»Ja, das Gefängniß zu Kenilworth ist erbrochen, welches das festeste Gefängniß war zwischen hier und den walisischen Ebenen,« schrie der Gefangenwärter, – »ja, und ein Haus, worin Ritter, Grafen und Könige geschlafen haben, so sicher, als wären sie im Tower in London gewesen. Es ist erbrochen, die Gefangenen sind entflohen, und der Gefangenwärter befindet sich in einiger Gefahr gehangen zu werden.«
Mit diesen Worten begab er sich in sein eigenes Gemach, um seine Klagen zu beenden, oder seinen Rausch vollends auszuschlafen. Lambourne und der Diener folgten ihm, und es war gut, daß sie es thaten, denn der Gefangenwärter war aus Gewohnheit im Begriff, die Thür auf der Treppe hinter sich zu verschließen, und hätten sie ihn nicht daran verhindert, so hätten sie das Vergnügen haben können, auf dem Thurmzimmer eingeschlossen zu werden, aus dem die Gräfin soeben entsprungen war.
Sobald die unglückliche Dame sich in Freiheit sah, eilte sie, wie wir bereits erwähnt haben, auf den Platz vor dem Garten. Sie hatte diesen reich verzierten Raum bereits von ihrem Fenster aus gesehen, und in dem Augenblicke ihrer Flucht fiel es ihr ein, daß sie unter den zahlreichen Baumgängen, Lauben, Fontainen, Statuen und Grotten einen Ort finden möge, wo sie sich verstecken könne, bis sich ihr die Gelegenheit darbiete, einen Beschützer anzusprechen, dem sie Einiges von ihrer unglücklichen Lage bekannt machen, und durch dessen Vermittelung sie zu einer Unterredung mit ihrem Gemahl gelangen könne.
»Wenn ich nur meinen Führer auffinden könnte,« dachte sie, »so würde ich erfahren, ob er meinen Brief abgegeben hat. Selbst wenn Tressilian mir begegnete, wäre es besser, auf die Gefahr hin, mir Dudley's Zorn zuzuziehen, einem Manne meine ganze Lage anzuvertrauen, der die Ehre selbst ist, als mich den weiteren Beleidigungen der unverschämten Diener dieses schlecht beaufsichtigten Ortes auszusetzen. Ich will mich nicht wieder in ein verschlossenes Zimmer wagen, ich will warten, – unter so vielen menschlichen Wesen muß doch ein gütiges Herz sein, welches mitempfinden kann, was das meinige erduldet.«
In der That ging mehr als eine Gruppe über den Platz; doch bestanden sie immer aus mehreren Personen, welche in der Fröhlichkeit ihres Herzens scherzten und lachten.
Vermöge des Verstecks, den sie gewählt, war es ihr leicht, der Beobachtung zu entgehen. Sie durfte nur in den fernsten Winkel der Grotte zurücktreten, welche mit Moossitzen versehen und mit einem Springbrunnen beschlossen war, und konnte sich leicht verstecken, oder sich einem einsamen Wanderer entdecken, dessen Neugierde ihn in diese romantische Einsamkeit führen mochte. In Erwartung einer solchen Gelegenheit blickte sie in das klare Bassin, welches wie ein Spiegel vor ihr lag, erschrack über ihr Aussehen und war zweifelhaft, ob irgend eine Dame sich mit einem so verdächtigen Gegenstande in ein Gespräch einlassen werde. So dachte sie, gleich einem Frauenzimmer, dem die äußere Erscheinung fast nie unwichtig ist, und gleich einer Schönheit, die einiges Vertrauen auf die Macht ihrer Reize setzt, legte sie ihren Reisemantel ab, behielt ihn aber in der Nähe, so daß sie ihn im Augenblick wieder anlegen konnte, im Fall, daß Varney oder Lambourne komme, und eine solche Verkleidung nothwendig machen sollte. Der Anzug, den sie unter diesem Mantel trug, hatte ein theatralisches Ansehen, als hätte sie eine Rolle in den Vorstellungen spielen wollen. Wayland hatte ihr denselben am zweiten Tage ihrer Reise verschafft, da er geglaubt, daß sie unter diesem Charakter am sichersten reisen würde. Emma bediente sich der Quelle, um sich darin zu waschen und zu spiegeln, nahm das kleine Juwelenkästchen in die Hand, weil sie glaubte, daß ihr dasselbe nützlich sein könne, zog sich in den dunkelsten Winkel zurück, setzte sich auf eine Moosbank nieder, und erwartete, ob ihr das Schicksal nicht eine Gelegenheit zur Rettung, oder einen Beschützer senden werde.