Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
– – – Aufrichtigkeit,
Du erste aller Tugenden! laß keinen
Der Sterblichen den graden Weg verlassen –
Sollt' auch die Erd' sich öffnen, aus dem Abgrund
Der Höll' Zerstörung brüllen – der Verstellung
Gewund'nen Weg zu wählen.
Douglas.
Erst nach einer langen und glücklichen Jagd und einem Festmahle, welches nach der Rückkehr der Königin in das Schloß eingenommen wurde, fand sich Leicester endlich mit Varney allein, von dem er jetzt alle Einzelheiten in Betreff der Flucht der Gräfin erfuhr, wie Foster dieselben nach Kenilworth gebracht, der sich in seinem Schrecken wegen der Folgen sogleich auf den Weg gemacht hatte. Da Varney bei seiner Erzählung besondere Sorge trug zu verschweigen, daß man die Gesundheit der Gräfin habe gefährden wollen, was sie zu dem verzweifelten Entschlusse getrieben, war Leicester sehr aufgebracht über den Leichtsinn seiner Gattin, womit dieselbe seine strengsten Befehle übertreten und ihn Elisabeths Rache ausgesetzt hatte, weil er es sich nicht anders denken konnte, als daß sie diesen verzweifelten Schritt aus eifersüchtiger Ungeduld gethan habe, ihren rechtmäßigen Rang einzunehmen.
»Ich habe dieser Tochter eines unbekannten Ritters zu Devonshire den stolzesten Namen in England gegeben,« sagte er. »Ich habe sie zur Theilnehmerin meines Glückes gemacht. Ich verlange nur ein wenig Geduld von ihr, ehe sie sich auf den vollen Strom ihrer Größe hinauswagt, und das thörichte Weib setzt lieber sich und mich dem Schiffbruch aus, verwickelt mich in tausend Wirbel, und zwingt mich zu tausend Täuschungen, die mir in meinen eigenen Augen Schande bringen, als noch eine kurze Zeit länger in der Dunkelheit zu verweilen, für welche sie geboren war. – So liebenswürdig, so zärtlich, so treu zu sein – und doch in einer so wichtigen Sache nicht so viel Geduld zu haben, wie man von dem einfältigsten Narren erwarten sollte – dabei reißt meine Geduld.«
»Ihr werdet noch gut genug durchkommen,« sagte Varney, »wenn Mylady sich nur leiten läßt, und den Charakter annimmt, den der Augenblick erfordert.«
»Es ist nur zu wahr, Sir Richard,« sagte Leicester, »es gibt in der That kein anderes Mittel. Ich habe sie in meiner Gegenwart Dein Weib nennen hören, ohne zu widersprechen. Sie muß den Titel behalten, bis sie weit von Kenilworth entfernt ist.«
»Und noch weit später,« sagte Varney, und setzte dann augenblicklich hinzu; »denn ich muß hoffen, daß es noch ziemlich lange währen wird, ehe sie den Titel Lady Leicester führen kann – ich fürchte, es wird schwerlich während der Lebenszeit der Königin mit Sicherheit geschehen können. Doch Ew. Herrlichkeit sind der beste Richter, da Ihr allein wißt, wie weit Ihr in Eurem Liebesverhältnisse mit Elisabeth gekommen seid.«
»Du hast Recht, Varney,« sagte Leicester, »ich habe diesen Morgen zugleich als ein Narr und als ein Schurke gehandelt, und wenn Elisabeth von meiner unglücklichen Verheirathung hört, so muß sie sich mit der vorbedachten Verachtung behandelt wähnen, welche die Frauen nimmer verzeihen. Wir sind heute dem Bruch sehr nahe gewesen, und müssen, wie ich fürchte, zu diesem Punkte zurückkehren.«
»Ist ihre Rache denn so unerbittlich?« fragte Varney.
»Weit entfernt,« versetzte der Graf; »heute ist sie nur zu herablassend gewesen, mir Gelegenheit zu geben, mein hitziges Temperament zu besänftigen.«
»Ja,« antwortete Varney, »die Italiener sagen mit Recht: in Streitigkeiten zwischen Liebenden ist die Partei, welche am meisten liebt, immer am meisten geneigt, die größte Schuld auf sich zu nehmen. – Wenn also die Heirath mit jener Dame könnte verheimlicht werden, so steht Ihr mit Elisabeth, wie früher.«
Leicester seufzte und schwieg einen Augenblick, ehe er antwortete:
»Varney, ich glaube, Du bist mir treu, und ich will Dir Alles sagen. Ich stehe nicht, wo ich stand. Ich habe mit Elisabeth gesprochen – ich weiß nicht, unter welchem tollen Einflusse – über einen Gegenstand, den man nicht beseitigen kann, ohne jedes weibliche Gefühl lebhaft zu berühren, was ich aber nicht fortsetzen kann und darf. Sie kann mir nimmer verzeihen, daß ich sie veranlaßt habe, diese menschlichen Leidenschaften an den Tag zu legen.«
»Wir müssen indeß doch etwas thun,« sagte Varney, »und zwar sehr bald.«
»Es ist nichts zu thun,« antworte Leicester verzweiflungsvoll. »Ich gleiche einem Manne, der lange Zeit eine gefahrvolle Klippe hinaufgeklettert ist, und wenn er nur noch einen Schritt von dem Gipfel entfernt ist, plötzlich sein Fortschreiten gehemmt sieht, während ihm auch die Rückkehr abgeschnitten ist. Ich sehe über mir den Gipfel, welchen ich nicht erreichen kann – unter mir den Abgrund, in den ich hinabstürzen muß, sobald ich meine Hand loslasse und mein schwindliches Gehirn noch mehr dazu beiträgt, mich von meinem gegenwärtigen Standpunkte herabzustürzen.«
»Denkt besser von Eurer Lage, Mylord,« sagte Varney – »laßt uns den Versuch wagen, wozu Ihr eben jetzt Eure Einwilligung gegeben. Wenn Elisabeth von Eurer Heirath keine Kunde erhält, so kann Alles noch gut gehen. Ich will sogleich selber zu der Dame, sie haßt mich, weil ich bei Eurer Herrlichkeit, wie sie mit Recht argwöhnt, dem widersprochen habe, was sie ihre Rechte nennt. Mir liegt nichts an ihren Vorurtheilen – sie soll mich anhören; und ich will ihr solche Gründe vorlegen, dem Drange der Umstände nachzugeben, daß ich nicht zweifle, ihre Einwilligung zu allen Maßregeln zurückzubringen, welche die Umstände nur immer verlangen mögen.«
»Nein, Varney,« sagte Leicester; »ich habe bedacht, was zu thun ist, und will selber mit Emma reden.«
Jetzt war Varney an der Reihe, um seiner selbst willen den Schrecken zu empfinden, an dem er sich stellte allein seines Patrons wegen Theil zu nehmen. »Ew. Herrlichkeit wollen doch nicht selber mit der Dame reden?«
»Es ist mein fester Vorsatz,« sagte Leicester; »hole mir einen von den Livreemänteln, ich will als Dein Diener an der Schildwache vorbei. Du hast ja freien Zutritt zu ihr.«
»Aber Mylord –«
»Ich will kein Aber,« versetzte Leicester; »so soll es sein und nicht anders. Hunsdon schläft im Saintlowe-Thurme, wie ich glaube. Wir können von diesem Zimmer auf einem geheimen Gange dorthin gehen, ohne die Gefahr, irgend Jemandem dort zu begegnen. Und wenn mich auch Hunsdon sähe, er ist mehr mein Freund als mein Feind, und hartköpfig genug, um Alles zu glauben, was man ihm vorsagt. Hole mir augenblicklich den Mantel.«
Varney hatte keinen andern Ausweg, als zu gehorchen. In wenig Minuten war Leicester in den Mantel gehüllt, zog seine Mütze über die Augenbrauen, und folgte Varney den geheimen Gang dahin, welcher mit Hunsdons Zimmern in Verbindung stand, wo kaum zu befürchten war, Jemandem zu begegnen, und kaum Licht genug, um seine Neugierde zu befriedigen. Sie kamen aus einer Thür heraus, wo Lord Hunsdon mit militärischer Vorsicht eine Schildwache aufgestellt hatte, einen von seinen Dienstleuten aus dem nördlichen England, welcher Sir Richard Varney und seinen Begleiter sogleich einließ, und nur in seinem nördlichen Dialecte sagte: »Ich wollte nur, Du könntest die wahnsinnige Dame dort zur Ruhe bringen, denn ihr Gestöhn ist meinen Ohren so unangenehm, daß ich lieber auf einem Schneehügel zu Catlow die Schildwache stehen wollte.«
Sie traten hastig ein und machten die Thüre hinter sich zu.
»Nun möge der Teufel, wenn es einen gibt,« sagte Varney zu sich selber, »seinem Anhänger in Todesgefahr beistehen, denn mein Boot ist unter die Klippen gerathen.«
Die Gräfin Emma saß mit aufgelöstem Haar und ungeordneten Kleidern in tiefster Niedergeschlagenheit auf einem Lager, und wurde aus diesem Zustande durch das Oeffnen der Thür erweckt. Sie drehte sich schnell um, richtete ihr Auge auf Varney und rief: »Elender! bist Du gekommen, einen neuen schändlichen Plan zu schmieden?«
Leicester unterbrach ihre Vorwürfe, indem er vortrat, seinen Mantel fallen ließ, und mehr mit gebieterischer, als zärtlicher Stimme sagte: »Mit mir, Madame, nicht mit Sir Richard Varney habt Ihr zu verhandeln.«
Wie auf einen Zauberschlag veränderte sich das Gesicht und das Benehmen der Gräfin. »Dudley!« rief sie »Dudley! bist Du endlich gekommen?« Und mit Blitzesschnelle eilte sie auf ihren Gatten zu, umschlang seinen Hals und überhäufte ihn mit Liebkosungen, ohne auf Varney's Gegenwart zu achten, während sie sein Gesicht mit einem Thränenstrome benetzte, und zu gleicher Zeit die zärtlichsten Ausdrücke murmelte, welche die Liebe ihre Anhänger lehrt.
Leicester glaubte Grund zu haben, auf seine Gattin zu zürnen, weil sie seine Befehle überschritten und ihn in die gefährliche Lage gebracht hatte, worin er sich diesen Morgen befunden. Doch wie konnte das Mißfallen bei diesen Beweisen der Zärtlichkeit Stand halten, die ihm von einem, selbst bei der Nachlässigkeit ihrer Kleidung, und den ungünstigen Wirkungen der Furcht und des Kummers so liebenswürdigen Wesen zu Theil wurden?
Er empfing und erwiderte ihre Liebkosungen mit Zärtlichkeit, die mit Schwermuth gemischt war; doch schien sie die letztere kaum zu bemerken, bis das erste Entzücken ihrer Freude vorüber war, als sie ihm ängstlich in's Gesicht sah und fragte, ob er krank sei?
»Körperlich nicht, Emma,« war seine Antwort.
»Dann werde auch ich wieder wohl sein. – O, Dudley! ich bin krank gewesen, seit wir uns zuletzt gesehen! – Denn ich nenne die schreckliche Begegnung an diesem Morgen kein Wiedersehen. Ich bin in Krankheit, Kummer und Gefahr gewesen. – Aber Du bist da, und Alles ist wieder Freude, Gesundheit und Sicherheit.«
»Ach, Emma,« sagte Leicester, »Du hast mich zu Grunde gerichtet!«
»Ich, Mylord?« sagte Emma, indem das freudige Roth plötzlich von ihrer Wange wich – »wie konnte ich Dem Leid zufügen, den ich mehr liebe, als mich selbst?«
»Ich will Dir keine Vorwürfe machen, Emma,« versetzte der Graf; »aber bist Du nicht hier gegen meinen ausdrücklichen Befehl – und bringt Deine Gegenwart nicht Dich und mich in Gefahr?«
»Ist das wirklich der Fall?« rief sie lebhaft; »warum bin ich da noch einen Augenblick länger hier? O, wenn Du wüßtest, welche Furcht mich trieb, Cumnor Place zu verlassen! – Doch ich will nichts von mir selber sagen – nur wenn es anders sein könnte, möchte ich nicht gern dorthin zurückkehren; doch wenn Eure Sicherheit davon abhängt –«
»Wir wollen an einen andern Aufenthaltsort denken, Emma,« sagte Leicester, »und Du sollst auf eins meiner nördlichen Schlösser, und zwar, was auf einige Tage nöthig sein wird, als Varney's Gattin.«
»Wie, Mylord von Leicester?« sagte die Dame, indem sie sich aus seiner Umarmung losmachte, »Eurem Weibe gebt Ihr diesen entehrenden Rath, sich für die Gattin eines Andern auszugeben, und noch dazu für die Gattin dieses Varney?«
»Madame, ich spreche im Ernst, – Varney ist mein treuer und ergebener Diener, und in meine tiefsten Geheimnisse eingeweiht. Ich möchte lieber meine rechte Hand, als seinen Beistand in diesem Augenblicke verlieren. Ihr habt keine Ursache, ihn so zu verachten, wie Ihr thut.«
»Ich könnte einen Grund angeben, Mylord,« versetzte die Gräfin, »und ich sehe, wie selbst er seine Fassung verliert. Doch er, der zu Eurer Sicherheit so nöthig ist, wie Eure rechte Hand, ist vor jeder Anklage von mir geschützt. Möge er Euch treu sein; und damit er Euch treu bleiben möge, so vertraut ihm nicht zu viel an. Doch es ist genug gesagt, daß ich nicht anders, als mit Gewalt mit ihm gehe, auch würde ich ihn nicht als meinen Gatten anerkennen, und wären alle –«
»Es ist eine kurze Täuschung, Madame,« sagte Leicester, aufgebracht über ihren Widerstand, »die für uns Beide nöthig ist, da Ihr mich durch Eure weibliche Laune, oder den voreiligen Wunsch in Gefahr gebracht habt, Euch eines Ranges zu bemächtigen, wozu ich Euch das Recht gab nur unter der Bedingung, daß unsere Heirath zur Zeit geheim bleiben sollte. Wenn mein Vorschlag Euch mißfällt, so muß ich Euch sagen, daß Ihr es seid, die denselben nothwendig macht. Es ist kein anderes Mittel vorhanden, – Ihr müßt thun, was Eure eigene ungeduldige Thorheit nothwendig gemacht hat, und ich befehle es Euch an.«
»Ich kann Eure Befehle nicht mit denen der Ehre und des Gewissens in die Wagschale legen, Mylord,« sagte Emma. »In diesem Falle will ich Euch nicht gehorchen. Ihr möget zu Eurer Schande gelangen, wohin diese krummen Wege unvermeidlich führen müssen; doch ich will nichts thun, was meine Ehre verletzen könnte. Wie könntet Ihr, Mylord, mich wieder als eine reine und keusche Gattin anerkennen, würdig Euren Rang zu theilen, wenn ich unter diesem Charakter, als das vorgebliche Weib eines so verworfenen Menschen, wie Euer Diener Varney ist, durch's Land gezogen wäre?«
»Mylord,« sagte Varney dazwischentretend, »Mylady ist unglücklicherweise zu sehr gegen mich eingenommen, um auf meinen Vorschlag zu hören; doch wahrscheinlich weiß sie einen bessern Vorschlag. Sie hat viel Einfluß bei Herrn Edmund Tressilian, und könnte ihn ohne Zweifel leicht bewegen, sie nach Lidcote Hall zu begleiten, wo sie so lange bleiben könnte, bis die Zeit die Enthüllung dieses Geheimnisses gestattet.«
Leicester schwieg, und blickte Emma lebhaft an, während sich plötzlich Verdacht und Mißvergnügen in seinem Gesichte zu zeigen schien.
Die Gräfin sagte nur: »Wollte Gott, ich wäre in meines Vaters Hause! – Als ich es verließ, dachte ich nicht daran, daß ich Seelenruhe und Ehre zurücklassen müsse.«
Varney fuhr mit bedächtigem Tone fort: »Ohne Zweifel wird dies die Nothwendigkeit herbeiführen, Fremde in Mylords Geheimniß einzuweihen; doch wird die Gräfin für die Ehre des Herrn Tressilian Bürgschaft leisten müssen, und für solche von der Familie ihres Vaters –«
»Still, Varney,« sagte Leicester, »beim Himmel, ich stoße Dir den Dolch durch den Leib, wenn Du Tressilian noch ein Mal als den Theilnehmer meiner Geheimnisse nennst!«
»Und warum nicht?« fragte die Gräfin; »wenn diese Geheimnisse nicht vielleicht besser für einen Mann, wie Varney, passen, als für einen von unbefleckter Ehre und Redlichkeit. – Mylord, Mylord, richtet keine zornigen Blicke auf mich, – es ist Wahrheit, und ich bin es, die sie redet. Ich that Tressilian einst um Euretwillen Unrecht, – ich will ihm kein weiteres Unrecht thun, indem ich schweige, wenn seine Ehre in Frage gezogen wird. Ich kann es unterlassen,« setzte sie zu Varney gewendet hinzu, »dem Heuchler die Maske vom Gesicht zu reißen, doch kann ich nicht zugeben, daß die Tugend in meiner Gegenwart geschmäht werde.«
Es trat eine lange Pause ein. Leicester stand mißvergnügt aber unentschlossen da, und war sich nur zu sehr der Schwäche seiner Sache bewußt, während Varney mit heuchlerischer Niedergeschlagenheit und Demuth seine Augen auf den Boden richtete.
Da zeigte die Gräfin Emma bei all' ihrem Kummer und ihrer mißlichen Lage die natürliche Energie ihres Charakters, die sie, hätte das Schicksal es ihr gestattet, zu einer ausgezeichneten Zierde des Ranges, den sie einnahm, würde gemacht haben. Sie ging mit festem Schritte, mit würdevoller Miene und mit Blicken auf Leicester zu, worin mächtige Zärtlichkeit vergebens die Festigkeit der bewußten Wahrheit und der richtigen Grundsätze zu erschüttern versuchte. »Ihr habt Euren Willen hinsichtlich dieser Schwierigkeiten ausgesprochen, Mylord,« sagte sie, »womit ich unglücklicherweise nicht übereinstimmen kann. Dieser Herr – dieser Mensch, wollte ich sagen – hat einen andern Plan angegeben, wogegen ich nichts weiter einzuwenden habe, als daß er Euch mißfällt. Wollen Euer Herrlichkeit geneigt sein anzuhören, was ein junges und schüchternes Weib, aber zugleich Eure zärtliche Gattin, in der gegenwärtigen Verlegenheit vorzuschlagen hat?«
Leicester schwieg, neigte aber seinen Kopf zu der Gräfin hin, als Zeichen, daß sie die Freiheit habe fortzufahren.
»Es ist nur eine Veranlassung zu allem diesem Uebel,« fuhr sie fort, »nämlich die geheimnißvolle Doppelsinnigkeit, womit Ihr Euch zu umgeben genöthigt gewesen. Macht Euch auf ein Mal von der Tyrannei dieser entehrenden Netze los. Handelt gleich einem wahren englischen Cavalier, Ritter und Grafen, welcher die Wahrheit für die Grundlage der Ehre hält, und dem die Ehre so theuer ist, wie der Athem seines Mundes. Nehmt Euer unglückliches Weib an die Hand, führt sie vor Elisabeths Thron, – sagt, daß Ihr in einem Augenblick der Bethörung, durch vermeintliche Schönheit gereizt, wovon vielleicht jetzt Niemand mehr die Spuren auffinden kann, dieser Emma Robsart Eure Hand reichtet. – Dann habt Ihr mir und Eurer Ehre Gerechtigkeit angethan, Mylord, und sollte das Gesetz oder die Macht fordern, Euch von mir zu trennen, so will ich nichts dagegen haben, weil ich dann mit Ehre ein gekränktes und gebrochenes Herz in jenen Schatten bergen kann, aus dem Eure Liebe mich hervorzog.«
Es lag so viel Würde, so viel Zärtlichkeit in den Vorstellungen der Gräfin, daß Alles, was edel und großmüthig in der Seele ihres Gatten war, dadurch angeregt wurde. Wie Schuppen fiel es ihm von den Augen, und die schwankende Handlungsweise, deren er sich schuldig gemacht, erfüllte ihn mit Reue und Scham.
»Ich bin Deiner nicht werth, Emma,« sagte er; »was kann der Ehrgeiz mir, anstatt eines solchen Herzens, wie das Deinige, bieten? Ich habe eine schwere Aufgabe vor mir, mich vor höhnenden Feinden aus allen Maschen meiner trüglichen Politik loszumachen. – Und die Königin, – doch möge sie meinen Kopf nehmen, wie sie mir gedroht hat.«
»Euren Kopf, Mylord?« sagte die Gräfin, »weil Ihr die Freiheit jedes englischen Unterthanen angewendet habt, Euch selber ein Weib zu wählen? Pfui, ist es dieses Mißtrauen auf die Gerechtigkeit der Königin, diese Furcht vor der Gefahr, die nicht anders als eingebildet sein kann, die Euch, gleich einer Vogelscheuche, bewogen hat, den geraden Weg zu verlassen, der, sowie er der beste, auch zugleich der sicherste ist?«
»Ach, Emma, Du weißt nicht!« sagte Dudley, hielt aber sogleich inne, und setzte hinzu: »Doch sie soll in mir kein leichtes Schlachtopfer ihrer willkürlichen Rache finden. – Ich habe Freunde, – ich habe Verbündete, – ich will mich nicht wie Norfolk, wie ein Schlachtopfer zum Block schleppen lassen. Fürchte nichts, Emma, Du sollst sehen, Dudley wird sich seines Namens würdig benehmen. Ich muß sogleich mit einigen dieser Freunde verhandeln, auf die ich mich am Besten verlassen kann; denn so, wie die Sachen stehen, kann man mich in meinem eigenen Schlosse gefangen setzen lassen.«
»Mein guter Lord,« sagte Emma, »bildet keine Partei in einem friedlichen Staate! Kein Freund kann uns so gut helfen, wie unsere eigene Aufrichtigkeit und Ehre. Stehen die Euch nur bei, so seid Ihr sicher unter einer ganzen Armee von neidischen und boshaften Menschen. Laßt diese hinter Euch, und alle andere Vertheidigung wird fruchtlos sein. – Wahrheit, mein edler Lord, wird mit Recht unbewaffnet gemalt.«
»Aber die Weisheit, Emma,« antwortete Leicester, »ist in eine erprobte Waffenrüstung gekleidet. Rede mir nicht von der Art und Weise, wie ich meine Beichte ablegen soll, – da wir es doch einmal so nennen müssen, – es wird Gefahr genug damit verbunden sein, ich mag sie nun ablegen, auf welche Weise ich will. – Varney, wir müssen fort. – Lebe wohl, Emma, die ich als die Meinige anerkennen will, um einen Preis und auf eine Gefahr hin, deren Du allein würdig sein kannst. Du sollst bald mehr von mir hören.«
Er umarmte sie zärtlich, hüllte sich wieder in den Mantel und folgte Varney aus dem Zimmer. Als der Letztere sich entfernte, verbeugte er sich tief und sah Emma mit einem eigenthümlichen Ausdrucke an, als wünsche er zu wissen, in wiefern seine Verzeihung in die Aussöhnung mit eingeschlossen sei, welche zwischen ihm und ihrem Gemahl stattgefunden. Die Gräfin blickte ihn fest an, schien sich aber nicht mehr seiner Gegenwart bewußt, als wäre nichts weiter als leere Luft auf der Stelle gewesen, wo er stand.
»Sie hat mich auf's Aeußerste gebracht,« murmelte er, – »sie oder ich, Eines von uns Beiden ist verloren. Es bestimmte mich Etwas, die unglückliche Entscheidung zu vermeiden, – ich weiß nicht, ob es Furcht oder Mitleid war. Jetzt ist es entschieden, – sie oder ich muß zu Grunde gehen.«
Während er so dachte, bemerkte er mit Erstaunen, daß ein Knabe, den die Schildwache zurückgewiesen hatte, auf Leicester zuging und mit ihm sprach. Varney war einer von denjenigen Politikern, deren Beobachtung nicht das Geringste entgeht. Er fragte die Schildwache, was der Knabe von ihm gewollt, und erhielt zur Antwort, er habe ein Paket an die wahnsinnige Dame abgeben wollen, doch habe er sich nicht damit befassen wollen, da dergleichen Aufträge außer seinem Berufe lägen. Als er seine Neugierde so weit befriedigt hatte, näherte er sich seinem Patron, und hörte ihn sagen: »Gut, Knabe, das Paket soll besorgt werden.«
»Ich danke Euch, mein guter Herr Dienstmann,« sagte der Knabe, und war ihm im Augenblicke aus dem Gesichte.
Leicester und Varney kehrten mit hastigen Schritten auf demselben Wege in des Grafen Zimmer zurück.