Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel.

Der Schrift hat Einer sich ergeben,
Der And're dem Soldatenleben;
Doch führen sie nach ihren Weisen
Den Krummstab bald, und bald das Eisen.

Butler's Hudibras.

Man hat mir erzählt, es gebe in dem Städtlein Woodstock eine recht artige Pfarrkirche; selbst gesehen habe ich sie freilich nicht, denn als ich zu Woodstock war, hatte ich kaum Zeit die gemalten Säle, die tapezirten Zimmer, und alle Pracht Blenheims zu bewundern, weil ich mich zur festgesetzten Stunde bei meinem ehrwürdigen Freunde, dem Propst von –, zum Mittagessen einfinden mußte, – und das ist, wie ein Jeder wohl aus eigener Erfahrung weiß, einer von jenen Fällen, wo Neugierde und Pünktlichkeit sich feindselig gegenüberstehen, zum größten Nachtheil des Schaulustigen. Ich habe mir zwar, für dieses Werk, die Kirche recht ausführlich beschreiben lassen; aber da ich, nicht so ganz ohne Grund, glaube, daß mein Gewährsmann es ebenso gemacht hat wie ich, so kann ich nur so viel sagen: daß sie ein ansehnliches, vor vierzig oder fünfzig Jahren fast ganz neu aufgebautes Gebäude ist, das aber noch einige Gewölbe der alten Hofkapelle enthält, die König Johann gegründet haben soll. Grade auf diesen älteren Theil der Kirche bezieht sich meine Erzählung.

An dem Jahrestage des Sieges bei Worcester am Ende des Septembers oder am Anfange des Octobers im Jahre 1652, befand sich in der alten Kapelle des Königs Johann eine ansehnliche Versammlung. Sowohl an dem Zustande der Kirche als an dem Anblick der Anwesenden konnte man die Wuth des Bürgerkrieges und des eigenthümlichen Geistes ersehen, der jene Zeit belebte.

Das heilige Haus trug überall Spuren der Zerstörung. Die Fenster, welche früher Scheiben von gemaltem Glase hatten, waren nun als Gegenstände der Abgötterei, mit Lanzen und Flinten zerschmettert worden. Alles Schnitzwerk der Kirche war beschädigt und zerstört, der Hochaltar niedergerissen, und das vergoldete Geländer, das ihn umgab, zerbrochen und hinweggeschafft worden. Die Denkmäler auf den Gräbern, welche die Heldenthaten und die ritterlichen Gesinnungen derer, welche darunter schlummerten, der Nachwelt verkünden sollten, lagen nun stückweise um die Kirche herum, herausgerissen aus ihren Nischen. Der Herbstwind heulte in den offenen Kreuzgängen; einzelne Stücke von Pfählen, zurückgelassenes Stallgeräthe, und ganze Bündel Heu und zertretenes Stroh verriethen, daß die heiligen Hallen noch vor Kurzem einem Reiterhaufen zur Lagerstätte gedient hatten.

Auch von der Gemeinde war, wie von dem Gebäude, der Glanz gewichen. Da sah man keinen der alten Kirchengänger mehr in den ausgeschnitzten Gallerien, die Hände betend da zum Himmel erheben, wo seine Väter es gethan. Umsonst suchte das Auge des Gutsbesitzers und des Bauern die ehrfurchteinflößende Gestalt des Sir Henry Lee von Ditchley; nicht mehr trat er einher in seinem gestickten Mantel, Knebel- und Backenbart wohl gestriegelt und geordnet, feierlich dahin herschreitend, begleitet von seinem treuen Jagdgefährten, der, weil er in früherer Zeit seinen Herrn durch seine Treue gerettet hatte, die Erlaubnis erlangte, ihn regelmäßig zur Kirche zu begleiten, und sich gewöhnlich so anständig wie nur irgend Einer von der Gemeinde betrug, auch vielleicht eben so erbaut wieder nach Hause ging, wie ein großer Theil der Zuhörer. Verschwunden waren die schön geputzten Cavaliere, wehklagend konnte man mit einem alten Chronikenschreiber der damaligen Zeit, dessen Manuscript wir enträthselt haben, ausrufen: »Ach wo sind die guten, alten Frauen mit ihren weißen Hauben und schwarzen Sammtröcken, wo ihre Töchter, welche die nahestehenden Jünglinge zu höherer Andacht verleiteten – wo sind nun Alle, sie, welche die Aufmerksamkeit der Männer mit dem Himmel theilten? Wo bist vor Allen du, Alexis Lee – du Liebliche und Holde, die du so herablassend bist in deiner Lieblichkeit? Ach, warum muß ich gerade von dem Umsturze deines Glückes und nicht von jener Zeit zu erzählen haben, als dein Kommen die Augen Aller auf sich zog, gleich als ob ein Engelein herabstiege, und dich schon von Ferne Segenswünsche empfingen, als wärest du ein Genius, der eine Botschaft des Heils brächte? Du bist kein Gebild der müßigen Phantasie eines Novellenschreibers, bist nicht geziert mit selbst erdachten, idealischen Vorzügen. Herzlich lieb' ich dich deiner Vollkommenheit wegen, und deine Fehler verstärken meine Liebe noch.«

Noch andere edle und hohe Familien waren mit dem Hause Lee aus der Kapelle des König Johanns verschwunden; denn die Luft, welche über Oxfords Wir halten es für unnöthig, dem verehrten Leser zu sagen, daß der Borough (Flecken) Woodstock in der Grafschaft Oxford liegt. Jetzt hat das Städtlein nur etwa noch 1500 Einwohner. Anmerk. des Uebersetzers. Thürme wehte, war dem Gedeihen der puritanischen Lehre, welche in den benachbarten Grafschaften blühte, nicht sehr günstig. Doch befanden sich unter der Versammlung einige Personen, welche ihrem Anzuge und ihrem Betragen nach, Landedelleute von Ansehen zu sein schienen, auch waren einige achtbare Bürger des Städtleins, vorzüglich Messerschmiede und Seckler, gegenwärtig, welche sich durch ihre Geschicklichkeit in ihren Handwerken ein ansehnliches Vermögen erworben hatten. Dieser achtbare, aber minder zahlreiche Theil der Versammlung hatte der Liturgie der englischen Kirche entsagt, und den presbyterianischen Glauben angenommen, den sie unter der Aufsicht und Lehre des hochwürdigen Nehemias Holdenough ausübte, der wegen seiner kräftigen aber etwas weitläufigen Predigten sehr berühmt war. Die achtbaren Frauen und die schönen Töchter dieser Bürger bildeten überdies noch einen nicht zu vergessenden Theil der Versammlung.

Aber außer diesen Personen von ehrenwerthen Ständen war der übrige Theil der Zuhörer aus den niederen Klassen der Gesellschaft, Neugierige und schmutzige Handwerker, die sich zu eben so viel Sekten bekannten, wie der Regenbogen Farben hat. Wie gewöhnlich, war auch bei ihnen Unwissenheit mit Eigendünkel gepaart; denn wo diese vorherrscht, wird jener wohl selten fehlen. Verachtung heuchelnd gegen Alles, was menschliche Anordnungen für heilig erklärten, war ihnen die Kirche nur ein Haus mit einem Thurme, der Geistliche ein Mann wie jeder andere; die Verordnungen der Kirche trockene Kleien und geschmacklose Brühen, die dem geistigen Gaumen der Heiligen nicht ziemten, und das Gebet eine Unterredung mit Gott, der man sich nach Belieben anschließen konnte oder nicht, wie Stimmung, Laune und Urtheil es eingab Sir Walter Scott ist, wie allgemein bekannt, ein Tory im strengsten Sinne des Worts. Anm. d. Uebers.. Thurmhohe Hüte beschatteten die finsteren, gerunzelten Stirnen der älteren unter ihnen, die auf den Bänken nach Bequemlichkeit liegend oder sitzend, den presbyterianischen Pfarrer mit lauernder Ungeduld erwarteten. Bei den jüngern aber war die Freiheit der Gedanken in Freiheit der Sitten ausgeartet; sie begafften die Frauenzimmer, husteten, flüsterten, aßen Aepfel und knackten Nüsse, als wären sie auf der Gallerie eines Theaters ehe das Stück beginnt.

Der bei weitem interessanteste Theil der Versammlung aber waren einige Soldaten mit Schuppenpanzer und Stahlhelmen, oder mit büffelledernen Jacken und in rothen Röcken. Diese Krieger hatten ihre Bandeliere mit Eß- und Schießbedarf um, und stützten sich auf Picken und Musketen. Auch sie hatten über die wichtigsten Punkte der Religion ihre eigenen Lehrsätze, und bei ihnen war die überspannteste Schwärmerei im Glauben, mit dem kältesten Muthe und der größten Unerschrockenheit auf dem Schlachtfelde wunderbar gepaart.

Mit nicht geringer Ehrfurcht betrachteten die Bürger von Woodstock diese kriegerischen Heiligen; denn konnte man ihnen gleich weder Gewaltthätigkeit noch Grausamkeit vorwerfen, so hatten sie doch die Macht in Händen, sie, wenn sie wollten, ungestraft auszuüben. Die friedlichen Bürger mußten sich also Allem unterwerfen, was die ungezügelte, schwärmerische Einbildungskraft der Krieger erdenken mochte Die Schilderung von dem Geiste, welcher die Independenten belebte, dürfte ein um so größeres Recht auf die Aufmerksamkeit des Lesers haben, da es dem philosophischen Beobachter der Geschichte höchst interessant sein muß zu sehen, wie der Enthusiasmus für Freiheit, welcher unsere Zeit charakterisirt und der den schwärmerischen Eifer für Religion, welcher der Vorzeit eigen war, verdrängte, bei dem Culminationspunkt mit diesem vereinigt war. Anm. d. Uebers..

Endlich kam Mr. Holdenough raschen Schrittes einher, wie Jemand, der sich verspätete und nun eilt, das Versäumte wieder einzuholen. Es war ein langer, hagerer Mann von bräunlicher Gesichtsfarbe; das Feuer seines Auges ließ auf ein jähzorniges Temperament schließen. Seine Kleidung war nicht, wie es gebräuchlich ist, von schwarzer, sondern von brauner Farbe, und ein blauer Genfer-Mantel, den er dem Calvin zu Ehren trug, flatterte um seine Schultern. Sein graues Haar war kurz geschnitten und mit einem schwarzseidenen Käppchen bedeckt, das den ganzen Kopf umgab, so daß die Ohren wie Griffe an einem Kruge hervorragten, woran man die ganze Person in die Höhe ziehen konnte. Nicht zu vergessen, daß der ehrenwerthe Pfarrer eine Brille und einen langen, hie und da ergrauten Bart trug, und eine Handbibel mit einem silbernen Schlosse in der Hand hielt. Am Fuße der Kanzel hielt er eine Minute, um wieder zu Athem zu kommen, und stieg dann, je zwei Stufen zumal nehmend, eilig die Treppe hinauf.

Aber einer der Soldaten ergriff ihn beim Mantel und hielt ihn auf. Es war ein kräftiger Mann von gewöhnlicher Größe, mit feurigem Auge und Gesichtszügen, die, wenn sie gleich Offenheit und Einfachheit verkündigten, doch die Aufmerksamkeit fesseln mußten. Seine Kleidung, zwar nicht streng nach der Ordonnanz, war doch militärisch. Er trug lange Beinkleider von Kalbleder, und ein Schwert von unverhältnißmäßiger Länge ward auf der anderen Seite von einem Dolche balancirt. In seinem saffianenen Gurt waren ein Paar Pistolen verwahrt.

Der Geistliche sah sich um und frug den Soldaten, nicht eben sehr höflich, was er wolle.

»Höre, Freund,« sagte dieser, »willst du etwa jetzt diesen Leuten predigen?«

»Ja freilich,« antwortete der Pfarrer; »denn sowohl meine Pflicht als mein Stand gebieten mir, über das Evangelium zu predigen, und ich würde mich sehr unglücklich schätzen, wenn ich es unterließe! Ich bitte dich, Freund, halte mich nicht auf!«

»Nein,« erwiederte der Krieger; »ich selbst will für heute dein Geschäft übernehmen; trete also zurück und, wenn du meinem Rathe folgen willst, so lese auch du die Brodkrümlein der heiligen Lehre mit auf, die ich ihnen sogleich ausstreuen will.«

»Hebe dich weg von mir, Satanas,« rief der Priester im Zorn, »und achte meinen Stand und meine Kleidung!«

»Ich wüßte nicht, warum ich den Schnitt und das Tuch deines Mantels mehr ehren sollte,« antwortete Jener, »als du das Meßgewand des Bischof's achtetest; das war schwarz und weiß, und du gehst blau und braun einher. Ihr seid beide schlafende Hunde, geht, legt euch nieder und schlaft, – ihr Hirten, die ihr eure Heerde verschmachten laßt, statt sie zu hüten, ihr sucht nur irdischen Gewinn; geht!«

Solche anstößige Auftritte waren zu dieser Zeit so gewöhnlich, daß es Niemand einfiel, sich in's Mittel zu legen. Stillschweigend sah die Gemeinde zu, die besseren Classen mit innerem Verdruß, die niedereren mit Lachen; wieder andere ergriffen die Partei des Geistlichen oder des Soldaten, wie es ihnen gerade einfiel. Der Streit ward unterdessen heftiger; Holdenough rief um Hülfe.

»Herr Maire von Woodstock – seid Ihr auch einer von jenen gottlosen Richtern, die das Schwert der Gerechtigkeit blos zur Zierde tragen? – Bürger, helft ihr eurem Seelsorger nicht? Ihr ehrenwerthen Rathsherren, wollt ihr mich auf der Treppe der Kanzel selbst, von diesem Sohne Belials erwürgen lassen? Aber ich werde ihn schon überwältigen und mich seiner Banden entledigen.«

Indem er das sprach, hielt sich Holdenough an dem Geländer und versuchte es, die Treppe hinauf zu steigen. Der Soldat aber hielt ihn fest am Saum des Mantels, so daß der ehrwürdige Pfarrer dem Ersticken nahe war; doch gelang es ihm, bei den letzten Worten die Schnur des Mantels geschickt zu lösen. Das Gewand gab plötzlich nach, der Soldat fiel die Treppe rücklings herab, und der erlöste Pfarrer erreichte glücklich die Kanzel, wo er einen Siegspsalm über die Niederlage des Feindes anstimmte. Aber seine Siegeshymne verhallte unter dem Tumult der Zuhörer, so daß man seinen und seines treuen Küsters Gesang nur stoßweise hören konnte, gleich dem Heulen der Eulen im Saußen des Sturmes.

Die Ursache des Aufstandes war folgende. Der Maire, ein eifriger Presbyterianer, bemerkte gleich anfangs mit großem Unwillen die Anmaßungen des Soldaten, wagte es jedoch nicht, sich mit einem bewaffneten Mann in Streit einzulassen, so lange dieser auf seinen Füßen stand und Widerstand leisten konnte. Als er aber sah, daß der Independent sich auf dem Rücken wälzte, den Genfer Mantel des Geistlichen in der Hand, da stürzte er hervor, rief, den Uebermuth dulde er nicht länger, und befahl dem Constabel, den Soldaten zu ergreifen, wobei er in seinem Zorne ausrief: »Ich will einen jeden von diesen Rothröcken verhaften lassen – ich will ihn in's Gefängniß werfen – und wäre es Oliver Cromwell selbst!« Der Zorn des ehrenwerthen Maire hatte wohl seinen Verstand umnebelt, als er sich so zur Unzeit mit seiner Autorität brüstete. Denn drei Soldaten, die bisher bewegungslos wie Bildsäulen dastanden, rückten nun vorwärts, traten zwischen die städtischen Behörden und den Soldaten, der sich eben wieder erheben wollte, und setzten, einen Zoll weit von dem podagristischen Zehen des Herrn Maire das Gewehr bei Fuß, daß es laut durch die gewölbte Kapelle wiederhallte. Der früher so entschlossene Maire, der sich in seinem Eifer für die Erhaltung der Ordnung gehindert fand, warf einen Blick auf seine Gehülfen und sah wohl, daß die Macht nicht auf seiner Seite war.

Die friedfertigen Zuhörer waren zusammengefahren, als sie hörten, daß das Eisen den Stein berühre. Der Herr Bürgermeister mußte sich also zu einer mündlichen Erklärung verstehen.

»Was wollt ihr, Gentlemen?« sagte er. »Ziemt es sich wohl für achtbare, gottesfürchtige Soldaten, die so große Thaten für das Wohl des Vaterlandes gethan haben, in der Kirche Händel anzufangen, oder einem vorwitzigen Kameraden beizustehen, der bei einem feierlichen Dankfeste den Pfarrer von seiner eigenen Kanzel reißen will?«

»Was haben wir mit deiner Kirche, wie du sie nennst, zu schaffen,« sagte Einer, welcher, der kleinen Feder am Hute nach zu schließen, der Anführer des Haufens sein mochte. »Warum sollen einsichtsvolle Männer in diesen Citadellen des Aberglaubens nicht eben so gut predigen dürfen wie Männer mit altem Flor und neuen Mänteln? Der alte Presbyterianer da soll aus dem hölzernen Schilderhäuschen heraus, und unsere Schildwache soll ihn ablösen, hinaufsteigen, und schonungslos schreien.«

»Hört, Gentlemen,« sagte der Maire, »wenn ihr das wollt, so können wir uns freilich nicht widersetzen; denn ihr seht, daß wir friedfertige, ruhige Leute sind. Laßt mich aber erst mit diesem ehrwürdigen Pfarrer Nehemias Holdenough sprechen, damit ich ihn bewege, für jetzt seinem Platze zu entsagen, damit es wenigstens kein ferneres Aergerniß gibt.«

Der friedliebende Maire unterbrach Holdenough und seinen Küster in ihren schönsten Trillern, und bat sie, ihren Plätzen für jetzt zu entsagen, weil es sonst sicherlich zum Kampfe kommen würde.

»Zum Kampf?« erwiederte der Pfarrer verächtlich. »Fürchtet nicht, mit jenen Männern in Streit zu gerathen, die es nicht wagen werden, eine so offenbare Entheiligung der Kirche, und so kühne Ketzereien zu läugnen! Sagt, hätten sich das wohl eure Nachbaren von Banbury gefallen lassen?«

»Still doch, Herr Holdenough, stille,« sagte der Maire, »Gott behüte uns vor Empörung und Kampf; wir sind nun einmal keine Männer für Krieg und Blutvergießen!«

»Mehr Blut möchte es wohl nicht kosten,« sagte der Pfarrer spöttisch, »als wenn man sich mit der Nadel sticht, was Euch ja häufig vorkommt. Aber ist nicht ein Seckler auch ein Schneider, nur daß er in Ziegenleder arbeitet? Ich verlasse Euch, denn ich verachte die Feigheit Eures Herzens, und die Schwäche Eurer Hände; ich werde wohl noch eine Heerde finden, die ihren Hirten nicht verläßt, sobald sie einen wilden Esel der Wüste schreien hört.«

Der beleidigte Geistliche verließ bei diesen Worten die Kanzel, und entfernte sich, den Staub von den Schuhen schüttelnd, eben so schnell aus der Kirche, wie er hereingekommen war. Mit Kummer und inneren Vorwürfen sahen die Bürger seine Entfernung, weil sie selbst fühlten, daß sie sich nichts weniger, als tapfer betragen hatten. Der Maire selbst und mehrere Andere verließen die Kirche, um ihm zu folgen, und ihn zu besänftigen.

Nun triumphirte der independente Prediger, der sich eben erst vom Boden erhoben hatte, führte sich selbst ohne weitere Umstände auf die Kanzel ein, zog eine Bibel aus der Tasche, und nahm den Vers des einundvierzigsten Psalm zum Text seiner Rede:

»O Held gürt an das Schwert an deine Hüfte,
Dieß ist dein Schmuck, die Majestät!
Die Majestät! – so zeuch dahin! Es glückt
Zum Schutz der Wahrheit.«

Ueber diesen Text begann er eine jener wilden Deklamationen, welche zu dieser Zeit nicht selten waren, wo man die Gewohnheit angenommen hatte, die Bibelsprache zu verdrehen, und auf neuere Begebenheiten zu beziehen. Mit diesen Worten, welche sich eigentlich auf den König David bezogen, und symbolisch auf den Messias gedeutet wurden, war nach der Auslegung des kriegerischen Predigers ohne allen Zweifel Oliver Cromwell, der sieggekrönte Feldherr der neu entstandenen Republik gemeint.

»O Held! gürt' an das Schwert an deine Hüfte!« rief der Redner mit Nachdruck aus, »und gewiß das war ein schöneres Stück Stahl, als nur je von einem Brustharnisch herabhing, oder gegen einen Sattelknopf anschlug! Ja, spitzt nur die Ohren, ihr Herren Messerschmiede von Woodstock; glaubt wohl gar, ihr verständet etwas von einem guten Jagdschwert? Habt's wohl gar geschmiedet? Ei freilich, ich denke doch. Wurde nicht etwa der Stahl mit Wasser aus dem Rosamunden-Brunnen, oder die Klinge von dem alten, erbärmlichen Priester zu Godstow eingesegnet? Ich glaube wahrhaftig, ihr wollt uns glauben machen, ihr hättet es geschmiedet, gehärtet, gewetzt und polirt, da es doch nie auf einen Woodstocker Ambos kam. Ihr hattet viel zu viel damit zu thun, Taschen- und Federmesser für die faulen Flormännchen zu Oxford zu verfertigen, und für die prahlerischen Priester, deren Augen so vom Fett verblendet waren, daß sie das Unglück nicht eher sahen, als bis es sie an der Kehle gefaßt hatte. Aber ich, meine Herrn, ich will euch sagen, wo das Schwert geschmiedet wurde, und gehärtet und geschliffen und gewetzt und polirt. Zur Zeit als ihr, wie schon gesagt, Taschenmesser machtet, für die Priester des Baal, und Dolche für liederliche Adelige, um das englische Volk damit umzubringen – da wurde es zu Long-Marston-Moor geschmiedet, wo Schlag auf Schlag schneller folgte, als der Schmiedehammer auf den Ambos – es wurde zu Naseby gehärtet in dem auserwähltesten Blute der königlich Gesinnten – es ward geschliffen in Irland an den Mauern von Drogheda – es ward gewetzt am Busen der Schottländer zu Dunbar – und neuerlich und vor kurzem wurde es polirt in Worcester, daß es hell leuchtet wie die Sonne am Firmament, und kein Licht in England ihm gleichen soll.«

Bei dieser Stelle erhob der militärische Theil der Versammlung ein Beifallsgeschrei, gleich dem »hört! hört!« im brittischen Unterhause, so daß der Enthusiasmus des Redners durch die Theilnahmsbezeugung seiner Zuhörer noch erhöht ward.

»Und nun,« so fuhr der Redner mit erhobener Stimme fort, als er die Theilnahme seines Publikums bemerkte – »was sagt der Text ferner, ›so zeuch' dahin, es glückt‹ – unaufhörlich – mache nirgends Halt – steige nicht vom Sattel – verfolge die Zerstreueten – stoße in die Posaune, nicht zum Tusch und Jubel, sondern zum Kriege – blase – fest im Sattel – zu Pferd – auf – zum Angriff jagt nach – verfolgt den Jüngling! – wir haben weder Erbe noch Antheil an ihm – jagt nach, erreicht, theilt Beute! Gesegnet seist du Oliver um deiner Ehre willen – Lauter ist deine Sache, unfehlbar dein Beruf. – Nie traf ein Unheil deinen Commandostab, nie ein Unglück dein Panier. Immer vorwärts, du Blüthe der englischen Armee! Zeuch heran in's Feld, du auserwählter Führer der Kämpfer für die Sache Gottes! Gürte deine Lenden mit Kraft, und halte fest an der Bestimmung deines hohen Berufs!«

Die alten gewölbten Hallen der Kapelle erschollen von Neuem von einem lauten anhaltenden Beifallrufen, welches dem Redner einen Augenblick Erholung gönnte. Aber die Bürger von Woodstock hörten nicht ohne Besorgniß, wie er dem Strome seiner Beredtsamkeit ein anderes Beet anwies.

»Aber wozu erzähle ich euch, ihr Männer von Woodstock, diese Dinge, da ihr ja doch keinen Antheil nehmt an unserem David, und nicht hängt an dem englischen Sohn Jesses. Ihr, die ihr, wenn schon eure Anzahl gering war, doch für den gestorbenen Mann gefochten habt, unter dem alten blutdürstigen Papisten Sir Jacob Aston – schmiedet ihr nicht etwa eben noch Complotte, oder würdet sie wenigstens schmieden, wenn ihr Gelegenheit dazu fändet, um, wie ihr sagt, den Jüngling wieder einzusetzen, den unreinen Sohn des widrigen Tyrannen – den Flüchtigen, den jedes treue englische Herz verfolgt, um ihn zu ergreifen und zu tödten. In eurem Herzen aber sprecht ihr: warum soll euer Anführer unsere Wege betreten, wir wollen nichts von ihm wissen; wir wollen uns selbst helfen, und lieber mit der eben gewaschenen Sau im Kothe der Alleinherrschaft wälzen. – So kommt her, ihr Männer von Woodstock, und laßt uns rechten, antwortet mir. Hungert ihr nach den Fleischtöpfen der Mönche von Godstow? Ihr werdet sagen, nein! Aber warum, das will ich euch sagen, weil die Töpfe zersprungen und zerbrochen sind, und das Feuer verloschen ist, an welchem man kochte. Ich frage weiter, trinkt ihr noch aus dem Buhlbrunnen der holden Rosamunde? Ihr werdet wieder sagen nein! aber warum?«

Ehe noch der Redner die Frage nach seiner eigenen Art und Weise beantworten konnte, wurde er durch eine andere sehr unerwartete überrascht, welche Jemand aus der Gesellschaft sehr kräftig einfügte: »Weil Ihr und Eure Helfershelfer uns keinen Branntwein gelassen habt, um ihn damit zu vermischen.«

Alle Augen wandten sich nach dem kühnen Sprecher, der an einem der dicken unförmlichen sächsischen Pfeiler angelehnt stand, mit dem er selbst einige Aehnlichkeit zu haben schien; denn er war von untersetzter Statur, aber stark gebaut, und seine breite vierschrötige Gestalt ruhte auf einem dicken Stabe. Er trug eine Jacke, die zwar jetzt sehr befleckt und abgeschossen war, einst aber von lincolngrüner Farbe gewesen sein mochte, und noch einige Stickereien sehen ließ. In den Mienen des Mannes lag ein Zug von unbesorgter gutmüthiger Dreistigkeit, und einige Bürger konnten bei aller Furcht vor den Soldaten sich doch nicht enthalten, ihm zuzurufen: »wohl gesprochen, Joceline Joliffe!«

»Also Joceline Joliffe nennt ihr ihn?« fuhr der Prediger fort, ohne über die Unterbrechung in Verlegenheit zu gerathen. »Ich will ihn zum gefangenen Joceline machen Das Original hat hiervon ein Wortspiel, das wir im Deutschen unmöglich wieder geben können. A. d. Uebers. wenn er mich unterbricht. Es ist gewiß einer von den Aufsehern eures Parks, die es nie vergessen können, daß sie die Buchstaben C. R. Carolus Rex, der Name des unglücklichen Königs von England, welcher in der englischen Revolution durch das Beil des Henkers starb. A. d. Uebers. auf ihren Schildern und Hüfthörnern trugen, so wie ein Hund den Namen seines Herrn am Halsband trägt. – Ein schönes Zeichen für einen Christen! Ja das unvernünftige Thier hat noch einen Vorzug vor ihnen, es trägt wenigstens sein eigenes Fell, aber der erbärmliche Sclave trägt ja den Rock seines Herrn! Ich habe jüngst so einen Burschen hängen sehen. Aber wo blieb ich doch stehen? so, ganz richtig, ich warf euch eure Abtrünnigkeit vor, ihr Männer von Woodstock. – Ihr werdet ferner sagen, ihr hättet der Papisterei entsagt, und das Prälatenwesen aufgegeben, ihr werdet euch dann den Mund gleich Pharisäern abwischen und alles um der Reinheit der Religion willen gethan haben. Aber ich sage, ihr gleicht dem Jehu, dem Sohne Nimschis, der zwar das Haus des Baals niederbrach, aber doch nicht abging von den Wegen der Söhne Jerobeams. Eßt ihr zwar am Freitag keine Fische mit den verblendeten Papisten und am 25. December keine Fleischpasteten mit den faulen Prälatisten, so schwelgt ihr doch die Nächte mit köstlichen Weinen bei euren blinden presbyterianischen Hirten, ihr verachtet die Ehrenstellen der Republik, ihr schmähet auf unsere Staatsverfassung, lobet euren Park von Woodstock und sprecht: er war der erste der eingehegt ward in England, von Heinrich, dem Sohne Wilhelms, der Eroberer genannt. – Ihr habt ein schönes Gebäude darin, und nennt es ein königliches Gebäude; ihr habt eine Eiche darin, ihr stehlt und verzehrt das Wildpret des Parks, und sagt: das ist des Königs Wild, wir wollen es mit dem Becher auf die Gesundheit des Königs würzen. Besser wir essen es, als jene rundköpfigen republikanischen Schurken. Aber hört mich an, und laßt euch warnen; denn um dieser Dinge willen kommen wir, mit euch zu streiten. Denn unser Name soll sein, ein donnernder Kanonenschuß, vor dem die Lusthäuser eures Parks in Ruinen zerfallen sollen; wir werden ein Keil sein, der die Königseiche zersplittert, um einen Backofen damit zu heizen; wir wollen euren Park zerstören, euer Wild erlegen, wollen es selbst aufessen, und nicht den geringsten Antheil sollt ihr daran haben, weder vom Schenkel noch vom Bruststück. Kein Horn sollt ihr davon bekommen, um auch nur ein Heft für ein Federmesser daraus zu machen. Nicht einmal ein paar Beinkleider sollt ihr aus dem Leder zuschneiden, soviel ihr auch Messerschmiede und Seckler sein mögt; ihr sollt keinen Trost und keine Hülfe bekommen, von dem weit heruntergesunkenen Verräther Henry Lee, der sich Jägermeister von Woodstock nennt, noch von sonst Jemanden. Denn nun kommen die, welche genannt werden Maher Schalal Hasch Bas Siehe Jesaias 8. Kap. 1. Vers. Luther übersetzt es: Raubebald und Eilebeute. A. d. Uebers. weil sie eilen werden, die Beute zu theilen.«

Hier endigte diese wilde Deklamation, deren letzter Theil die armen Bürger von Woodstock sehr beängstigte, weil er ein kürzlich verbreitetes, unangenehmes Gerücht zu bestätigen schien. Freilich war die Verbindung mit London sehr erschwert, und auf die Neuigkeiten, welche man von dort her erfuhr, konnte man sich nicht verlassen. Auch war den Gerüchten, welche durch die Hoffnungen und Besorgnisse so vieler Partheien übertrieben wurden, durchaus nicht zu trauen. Das aber, was das Städtlein Woodstock betraf, wurde allgemein und gleichförmig erzählt. Man hatte schon seit längerer Zeit erfahren, daß das Parlament den unglückseligen Beschluß gefaßt habe, den Park von Woodstock zu verkaufen, das Forsthaus zu zerstören, die Mauern niederzureißen und soviel wie möglich alle Spuren seines alten Rufs zu vertilgen. Viele Bürger mußten darunter leiden; denn mehrere genossen entweder aus Nachsicht oder aus einem Privilegium das Recht der Viehweide, des Holzfällens u. dergl. mehr in dem königlichen Jagdreviere, aber alle Einwohner des kleinen Fleckens dachten mit Schmerz daran, daß die Zierde des Ortes zerstört, und das Städtlein seinen alten wohlgegründeten Ruhm verlieren sollte. Dieses ist ein patriotisches Gefühl, das man oft an solchen Orten findet, die sich durch alten Ruhm und langgehegte theure Erinnerungen früherer Zeiten von den neueren Städten unterscheiden. Die Einwohner Woodstocks hatten bisher vor dem erwarteten Unglück gezittert. Aber als es ihnen jetzt durch den Mund eines militärischen Predigers, jener finsteren, strengen und zugleich alles vermögenden Soldaten angekündigt ward – jetzt betrachteten sie ihr Schicksal als unvermeidlich. Sie vergaßen für einen Augenblick ihre häuslichen Zwistigkeiten, als sich die Versammlung ohne Lobgesang und ohne Segen auflöste, und jeder seines Weges nach Hause ging.



 << zurück weiter >>