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O Vater an der Tochter Seite
Fühlst du nur halb des Lebens Müh'n;
Dienst du dem Schicksal selbst zur Beute,
Du siehst dich in der Tochter blüh'n.
Als der militärische Redner seine Predigt geendigt hatte, wischte er den Schweiß von der Stirne; denn des kühlen Wetters ungeachtet war er von der Heftigkeit seiner Rede und seiner Bewegungen erhitzt. Dann stieg er von der Kanzel herab und wechselte einige Worte mit dem Korporal, der den Haufen anführte. Dieser nickte als wäre er damit einverstanden, zog seine Leute zusammen und ließ sie in Ordnung nach ihren Quartieren in der Stadt abmarschiren.
Der Redner selbst aber verließ die Kirche, als wäre gar nichts Außergewöhnliches vorgefallen, und spatzierte durch die Straßen von Woodstock mit dem Wesen eines Fremden, der eine Stadt besieht. Auch ließ er sich es gar nicht merken, daß er sehr wohl sehe, wie ängstlich ihn die Bürger beobachteten, und sich gegenseitig zuwinkten, als wollten sie damit sagen, man müsse sich vor ihm als vor einem gefährlichen und verdächtigen Menschen in Acht nehmen.
Er aber schritt feierlich und steif einher, und seine Züge verriethen einen Menschen, der über die irdischen Dinge, die sich ihm aufdringen, unwillig scheint, weil sie seine Gedanken für einen Augenblick den geistigen Betrachtungen entziehen. Denn diesen Leuten waren selbst unschuldige Vergnügungen verdächtig, und unschuldige Fröhlichkeit war ihnen zum Greuel. Wenn diese Gemüthsstimmung, anstatt im Geheimen dazu zu dienen, nur um so viel besser seine Leidenschaften zu befriedigen, sich mit einem uneigennützigen Charakter paarte, so war sie wohl im Stande, große und tapfere Männer zu bilden. So waren auch freilich viele dieser Leute Heuchler, welche nur den Mantel der Religion zum Deckmantel ihres Ehrgeizes gebrauchten; aber viele besaßen wirklich die andächtige Gemüthsstimmung, die strenge republikanische Tugend, welche die andern blos heuchelten. Aber wie immer schwebte die größere Anzahl zwischen beiden Extremen, fühlte bis auf einen gewissen Punkt die Macht der Religion, und indem sie sich in den Geist der Zeit fügten, diente ihnen dennoch ein großer Theil dieses Gefühls zum blosen Schaugepränge.
Der Mann also, dessen Gesicht und Gang seine Ansprüche an Heiligkeit verriethen, und der zu der oben erzählten Unordnung Anlaß gegeben hatte, erreichte endlich das Ende der Hauptstraße, wo diese an den Park von Woodstock gränzt. Ein gothisches Portal bezeichnete den Eingang. Es war von gemischter Bauart, da es zu verschiedenen Zeiten je nach dem Styl der jedesmaligen Architectur Veränderungen erlitten hatte; im Allgemeinen aber machte es einen großen imposanten Eindruck. Ein ungeheures eisernes Gitterthor mit allerlei Verzierungen und oben mit den verhängnißvollen Namenszügen C. R. geschmückt, war theils von Rost, theils von gewaltsamen Angriffen, seinem Verfallen nahe. Der Fremde blieb stehen, als schwanke er, ob er den Eingang erbitten, oder selbst versuchen sollte. Durch das Gitter blickend, sah er eine mit majestätischen Eichen besetzte Auffahrt, welche mit kühnen Krümmungen in einen großen alten Forst zu führen schien. Aus Versehen war das Pförtchen an dem großen eisernen Thore offen geblieben, was den Soldaten zu der Versuchung reizte, hinein zu gehen, doch schien er sich erst zu bedenken, wie Jemand, der in einen wahrscheinlich verbotenen Ort eindringen will, so daß sein Benehmen mehr Ehrfurcht für den Platz verrieth, als man von seinem Charakter hätte erwarten sollen. Er verzögerte seinen feierlich abgemessenen Schritt, blieb endlich ganz stehen, und sah sich um.
Nicht weit vom Thore erblickte er ein paar alte ehrwürdige Thürme, welche sich mit ihren künstlichen Fähnlein in den Strahlen der herbstlichen Sonne über die Bäume erhoben. Sie bezeichneten das alte Jägerhaus, welches zur Zeit Heinrichs II. hie und da dem englischen Monarchen zum Aufenthalt gedient hatte, wenn er die Wälder von Oxford besuchte, welche damals, dem alten Fuller nach, so reich an Wildpret waren, daß sich die Jäger nirgends besser befanden. Das Jägerhaus lag auf einem flachen Boden, der jetzt mit Sykomoren bepflanzt ist Ficus sycomorus, die egyptische Feige. (Linnée.) A. d. Uebers., und nicht weit vom Eingang zu jenem herrlichen Platze liegt, wo man sich zuerst aufhält, um Blenheim zu betrachten, sich an Marlboroughs Siege zu erinnern, und den prächtigen aber schwerfälligen Styl Vanbrughs zu loben oder zu tadeln.
Auch unser kriegerischer Prediger blieb hier ein wenig stehen, aber eines ganz anderen Zweckes willen, als um die Gegend zu bewundern. Er stand noch nicht lange, als er zwei Personen von verschiedenem Geschlecht langsam herbeikommen sah, welche so in ihr Gespräch vertieft zu sein schienen, daß sie den Unbekannten, der vor ihnen stand, gar nicht bemerkten. Der Soldat benützte ihre Träumerei und schlüpfte, um sie unbemerkt zu belauschen, unter einen der großen Bäume, der am Wege stand, und dessen Zweige, welche bis auf den Boden streiften, ihn, wenn nicht allenfalls eine völlige Untersuchung angestellt werden sollte, vor Entdeckung sicherten.
Der Herr und die Dame näherten sich unterdessen und nahmen ihren Weg nach einem ländlichen Sitze, der sich noch der Sonnenstrahlen erfreute, und nahe an dem Baume war, wo sich der Fremde versteckt hatte. Der Mann war schon bei Jahren, schien jedoch mehr von Kummer und Krankheit, als vom Alter gebeugt zu sein. Ueber einem schwarzen Kleide trug er einen Trauermantel, welcher jenen malerischen Faltenwurf beschrieb, den Vandyk verewigt hatte. War schon das Kleid sogar schön zu nennen, so war es doch so nachlässig angelegt, daß man daraus das Uebelbefinden des Mannes errathen konnte. Seine Züge trugen zwar den Stempel seines Alters, waren aber noch sehr lieblich, und verriethen so wie sein Anstand und seine Kleidung den Mann von Stand und Würde. Auffallend war es, daß er einen langen weißen Bart trug, der weit über die Brust und das ausgeschnittene Kleid herabfiel, und sonderbar mit der Farbe seines Anzugs contrastirte.
Die junge Lady, welche diesen ehrwürdigen Herrn gewissermaßen zu unterstützen schien, da sie Arm in Arm gingen, war eine schlanke, sylphenartige Gestalt, von so zartem Bau und so schöner Gesichtsbildung, daß die Erde, auf welcher sie einherwandelte, für ein so ätherisches Wesen ein zu schwerfälliger, grober Boden zu sein schien. Aber von den menschlichen Bekümmernissen ist auch die Schönheit nicht befreit. Thränen glänzten im Auge des schönen Wesens; sie erröthete höher, als sie ihrem bejahrten Begleiter zuhörte; aus ihren schwermüthigen, mißvergnügten Mienen konnte man abnehmen, daß die Unterredung für beide gleich betrübend war. Als sie sich auf die Bank niederließen, konnte der horchende Soldat die Rede des alten Herrn leicht verstehen, aber die Antworten der jungen Dame hörte er nicht so deutlich: »Nein es ist zu arg,« sagte der Alte mit Heftigkeit; »es könnte einen armen gelähmten Mann in Zorn bringen, um selbst einen Soldaten zu erschrecken; denn alle meine Leute sind mir abtrünnig geworden. Bin aber den armen Burschen nicht böse darüber, was sollen sie thun? – die Speisekammer hat ja kein Brod, und der Keller kein Bier mehr für sie. Doch bleiben uns noch einige rauhe Förster von dem alten guten Woodstocker Schlag, freilich sind sie meistens so alt, wie ich selbst, doch was thut das? Altes Holz wird auch nicht leicht feucht, ich will also das alte Haus vertheidigen. Es ist nicht das erstemal, daß ich es gegen eine zehnmal stärkere Macht behauptet habe.«
»Ach, mein theurer Vater,« – sagte das junge Frauenzimmer, mit einem Tone, der anzudeuten schien, daß nur gänzliche Verzweiflung ihm diesen Vertheidigungs-Plan eingegeben hatte.
»Was soll das Ach,« antwortete er ärgerlich; »ist es denn eine so gefährliche Sache, wenn ich mein Thor vor zwanzig oder vierzig von diesen blutdürstigen Heuchlern verschließe?«
»Wenn aber die Befehlshaber wollen, so können sie leicht ein Regiment oder eine ganze Armee schicken,« erwiederte die Dame, »und Ihre Vertheidigung würde dann zu nichts nützen, würde sie nicht abhalten können, den Park zu verheeren, und nur ihren Zorn reizen.«
»Das kann sehr leicht sein, Alexis,« sagte ihr Vater, »aber ich habe meine Zeit gelebt, und noch drüber. Meine gütigen königlichen Herren sind vor mir dahin gegangen, was soll ich noch auf Erden seit jenem unglückseligen 13. Januar? Der Mord, welcher an jenem Tage verübt ward, fordert alle treue Diener Carl Stuarts auf, seinen Tod zu rächen, oder für ihn zu sterben wie er.«
»Nicht doch mein Vater,« sagte Alexis Lee, »es ziemt einem Mann von Ihrem Werthe und Ihrem Alter nicht, sein Leben wegzuwerfen, das noch seinem Könige und seinem Vaterlande nützlich sein kann. Es kann nicht immer so bleiben. England wird diese Herrscher nicht lange ertragen, welche die schlimmen Zeiten ihm aufgedrungen haben. Indessen (hier konnte der Horcher einige Worte nicht verstehen) – vor Ungeduld, die das Uebel nur verschlimmern würde.«
»Verschlimmern!« rief der Alte ungeduldig aus; »Was kann noch schlimmer werden, ist es nicht schon am allerschlimmsten? Diese Leute werden uns aus dem einzigen Obdach vertreiben, das uns noch geblieben ist, werden das königliche Eigenthum zerstören, das meiner Aufsicht anvertraut wurde, werden einen königlichen Pallast zu einer Diebshöhle machen, und Gott noch danken, als hätten sie ein gutes Werk gethan.«
»Dennoch aber,« sagte die Tochter, »bleibt uns die Hoffnung, daß der König jetzt außer dem Bereich ihrer Macht ist, auch dürfen wir mit Grund das Beste von der Sicherheit meines Bruders Albert hoffen.«
»Ach Albert,« sagte der Vater mit wehmüthigem Tone. »Der ist dort droben. Wenn es nicht um deiner Bitten willen geschehen wäre, so hätte ich mich selbst aufgemacht, und wäre nach Worcester gegangen; so aber muß ich hier liegen während der Jagd, wie ein unnützer Hund, da ich doch vielleicht wichtige Dienste hätte leisten können. Auch der Kopf eines alten Mannes kann zuweilen nützlich sein, wenn auch sein Arm nur wenig mehr vermag. Aber ihr Beide wünschtet so sehr, daß er allein gehen sollte; wer kann mir nun sagen, was aus ihm geworden ist?«
»Nein, mein Vater,« sagte Alexis, »wir können mit Grund hoffen, daß Albert jenem Unglückstag entkam. Der junge Abney sah ihn eine Meile vom Schlachtfeld.«
»Ich glaube, der junge Abney log,« sagte der Vater widersprechend. »Die Zunge des jungen Abney scheint schneller als seine Hände, und langsamer als die Hufe seines Pferdes, wenn er vor den Stutzköpfen flieht. Besser wäre es, Alberts Leiche läge zwischen Carl und Cromwell, als daß er so früh flüchtete, wie der junge Abney.«
»Mein geliebtester Vater,« sagte das junge Frauenzimmer mit Thränen, »was kann ich noch zu Ihrem Troste hinzufügen?«
»Zu meinem Troste, Mädchen? ich bin ganz krank von Trost. Ein ruhmvoller Tod und die Ruinen von Woodstock zu meinem Denkmal, das wäre der einzige Trost für den alten Henry Lee. Ja bei dem Andenken meines Vaters, ich will die Waldhütte gegen die rebellischen Räuber vertheidigen.«
»Fügen Sie sich doch in die Verhältnisse, geliebtester Vater,« sprach das Mädchen, »ergeben Sie sich doch willig in das, wo Widerstreben unnütz ist. Mein Oheim Everard –«
Der Vater fiel ihr in's Wort: »Dein Onkel Everard, Mädchen! – Schön, nur weiter, was gibts denn mit Deinem herrlichen, geliebten Onkel Everard?«
»Nichts Vater,« sagte sie, »wenn Ihnen der Gegenstand unangenehm ist.«
»Unangenehm? warum sollte er mir unangenehm sein. Und wenn es so wäre, was würde es dich oder sonst Jemanden kümmern. Was soll noch geschehen, das uns erfreuen könnte?«
»Das Schicksal könnte,« antwortete sie, »die Wiedereinsetzung unseres so sehr verkannten Regenten beschlossen haben.«
»Zu spät für mich, Alexis,« sagte der Ritter. »Gibt es noch ein weißes Blatt in dem himmlischen Buche des Schicksals, so wird es aufgeschlagen werden, lange nach meiner Zeit. – Aber du willst mir ausweichen, sprich, was gibts mit deinem Onkel Everard?«
»Mein Vater,« sagte Alexis, »Gott weiß es, lieber wollte ich schweigen für jetzt und immerdar, als etwas sprechen, das Ihre jetzige üble Stimmung vermehren könnte.«
»Meine üble Stimmung,« sagte der Vater unmuthig, »ja du bist mir ein lieber Arzt, willst mir wahrscheinlich Balsam und Honig und Oel einträufeln, für meine üble Stimmung, wenn das der passende Name für das Leiden eines Greises ist, dem der Kummer fast das Herz zerbricht. – Noch einmal, was gibts mit deinem Onkel Everard?«
Diese letzteren Worte sprach er in heftigem, unmuthigem Tone, Alexis beantwortete sie mit zitternder, demuthsvoller Stimme.
»Was ich sagen wollte, mein Vater, war – daß ich überzeugt wäre, daß wenn wir diesen Ort verlassen, mein Onkel Everard –«
»Aha, das heißt, wenn wir zu den spitzohrigen großsprecherischen Schurken, zu denen er gehört, hinausgestoßen werden. Aber weiter von deinem gütigen Oheim! Nun, was würd' er dann thun? Er wird uns die Ueberreste seiner andächtigen sparsamen Wirthschaft geben, zweimal in der Woche die übriggebliebenen Knochen eines magern Hühnchens, und die andern fünf Tage ein reichliches Fasten. Vielleicht wird er uns sogar Betten geben neben seinem dürren Klepper, oder eine kleine Streu, damit der Gatte seiner Schwester – o daß ich doch meinen entschlafenen Engel nennen muß, neben einem solchen Namen – und seiner Schwester Tochter nicht auf den Steinen schlafen müssen. Vielleicht wird er auch Jedem von uns mit sorgsamen Ermahnungen zur Sparsamkeit einen Rosenobel schenken, und dabei sagen, daß es ihm noch nie so schwer geworden sei, baares Geld aufzutreiben. Oder was wird wohl dein Onkel Everard sonst für uns thun, will er uns vielleicht einen Bettelbrief verschaffen? Das kann ich auch.«
»Sie denken sehr schlimm von ihm,« antwortete Alexis lebhafter als bisher. »Aber fragen Sie Ihr eigenes Herz, und es wird Ihnen sagen, daß Ihre Zunge (mit aller Ehrfurcht sei es gesagt) Etwas ausspricht, was Ihr Verstand nicht billigen kann. Mein Oheim Everard ist weder ein Geizhals noch ein Heuchler, noch ein solcher Freund der weltlichen Güter, daß er nicht unserem Mangel reichlich steuern sollte. Auch ist er nicht so schwärmerisch, daß er die christliche Liebe zu andern Religionssecten bei Seite setzen würde.«
»Ja ja, sonder Zweifel ist bei ihm, und vielleicht auch bei dir, Alexis, die englische Kirche nur eine Secte. Ist ein Mugglatonianer oder ein Brownist nicht auch ein Sectiker? Doch setzt sie dein Ausdruck Alle, den Jack Presbyter selbst, in eine Classe mit unseren gelehrten Prälaten und frommen Geistlichen! Aber es ist ja die Modesprache der Zeit, in der du lebst, so sprich nur in Gottesnamen wie eine der weisen Jungfrauen und der psalmsingenden Mädchen, denn obgleich du die Tochter eines alten unheiligen Royalisten bist, so nennt dich doch der Onkel Everard seine leibliche Nichte.«
»Was kann ich Ihnen antworten, mein theuerster Vater, wenn Sie aus diesem Tone sprechen? Hören Sie mich doch nur einen Augenblick an, bis ich den Auftrag meines Oheims ausgerichtet habe.«
»So, also ein Auftrag ist es? Bei meiner Ehre, das dachte ich gleich. Ja ja, es ahndete mir auch Etwas in Betreff des Gesandten. Nun, mein Fräulein, entledigen Sie sich ihrer Botschaft, ich werde Sie mit Geduld anhören.«
»Also, mein theurer Vater, mein Onkel Everard wünscht, Sie möchten sich doch gegen die Commissäre, welche hieher kommen, um den Park und das Eigenthum in Beschlag zu nehmen, höflich betragen, oder sich wenigstens hüten, Widerstand zu leisten. Es müßte selbst nach Ihren Grundsätzen thöricht gehandelt sein, und würde nur einen Vorwand darbieten, Sie als einen königlich Gesinnten zu verfolgen, was außerdem verhütet werden könnte. Ja, er hegt die Hoffnung, daß es ihm, wenn Sie seinen Rath befolgen, gelingen könnte, durch den Einfluß, den er besitzt, die Commission zu bewegen, die Beschlagnahme Ihrer Güter in eine mäßige Geldstrafe zu verwandeln. So spricht mein Oheim, und nachdem ich Ihnen seinen Rath mitgetheilt habe, will ich Ihre Geduld nicht weiter in Anspruch nehmen.«
»Du hast auch ganz recht, daß du es nicht thust,« erwiederte Ritter Lee mit unterdrücktem Unwillen; »denn ich schwöre es dir beim heiligen Kreuze, ich hätte dich dann nicht mehr für meine Tochter gehalten. – Ach meine vielgeliebte Gattin, die du nun hoch erhaben bist über die Sorgen und Leiden dieser Welt, du hättest es wohl nicht gedacht, daß die Tochter, die du unter deinem Herzen trugst, wie das gottlose Weib Hiobs, in der Stunde des Unglücks ihren Vater in Versuchung führen und ihm rathen würde, sein Gewissen seinem Vortheil aufzuopfern, und aus den bluttriefenden Händen der Mörder seines Königes, und vielleicht auch seines Sohnes, die armseligen Ueberbleibsel des geraubten Eigenthums zu erbetteln? Mädchen, wenn ich einmal betteln muß, glaubst du allenfalls, ich würde zu denen gehen, die mich zum Bettler gemacht haben? Nein, nie werde ich mein Haar, das im Kummer über den schmählichen Tod meines Königes ergraute, entblößen, um das Mitleid eines stolzen Sequestrators zu erregen, der vielleicht selbst ein Königsmörder war. Nein, gewiß nicht; wenn Henry Lee seinen Lebensunterhalt erbetteln muß, so wird er zu einem treuen Royalisten gehen, wie er selbst ist, der, wenn ihm nur ein halber Laib Brod übrig blieb, selbst dieses Wenige gern mit ihm theilen wird. Seine Tochter aber mag ihren eigenen Weg gehen, und bei ihren rundköpfigen reichen Verwandten eine Zufluchtsstätte suchen. Aber die nenne mich nicht mehr ihren Vater, die sich weigert, seine ehrenvolle Armuth zu theilen.«
»Mein Vater, Sie thun mir Unrecht, Gott weiß es, bitteres Unrecht,« antwortete Alexis mit leidenschaftlicher aber doch zitternder Stimme. »Ihr Weg ist auch der meinige, selbst wenn er zur Armuth, wenn er zum Verderben führt; und so lange Sie darauf wandeln, soll mein Arm Sie unterstützen, wenn Sie eine so schwache Hülfe nicht zurückweisen wollen.«
»Du sagst mir, Mädchen,« erwiederte der alte Ritter, »wie Shakespeare sagt: ich will dir meinen Arm leihen, aber im Hintergrunde deiner Seele denkst du, ich will mich an den des Markham Everard hängen.«
Die Tochter erwiederte tiefbewegt: »Mein Vater! welches unglückliche Verhängniß hat Ihr väterliches Herz so sehr verändert, Ihren tiefblickenden Verstand so sehr verblendet? – Ach, es sind diese bürgerlichen Unruhen, die nicht allein den Körper zerstören, sondern auch die Seele auf falschem Wege lenken, so daß die Edlen, die Milden und die Großmüthigen unedel, hart und argwöhnisch werden! Was wollen Sie von Markham Everard? Seitdem Sie ihn aus meiner Nähe verbannten, habe ich ihn weder gesehen noch gesprochen; was kann Sie also zu dem Glauben bewegen, daß ich diesem Jünglinge meine Pflicht aufopferte. Wenn ich dessen fähig wäre, mein Vater, so würde Markham Everard der erste sein, der mich deßhalb verachtete.«
Sie verbarg ihre Augen in das Taschentuch, konnte aber ihr Schluchzen nicht verbergen. Der alte Mann ward dadurch gerührt.
»Wahrlich, ich weiß nicht,« sagte er, »was ich davon denken soll. Du scheinst von Herzen zu sprechen, und warest immer meine gute, liebe Tochter. Ich kann gar nicht begreifen, wie sich der Rebelle in dein Herz einschleichen konnte. Vielleicht geschiehet es zu meiner Strafe, daß ich die Bürgertreue meines Hauses für unbefleckt hielt, gleich der Sonne. Aber der schönste Edelstein, meine theure Alexis, ist leider getrübt. Aber höre auf zu weinen, wir haben schon außerdem Bekümmerniß genug. Wo steht doch gleich die Stelle im Shakespeare?
»– – – – Geliebte Tochter,
Ach geh mit mir den rauhen Pfad des Lebens!
Sei unbekümmert um den Geist der Zeiten,
Und kränke nicht den Percy so wie er.«
»Es freut mich, Vater, daß Sie Ihren Liebling wieder citiren, unsere kleinen Streitigkeiten nahen sich immer ihrem Ende, wenn Shakespeare erwähnt wird.«
»Seine Werke waren die vertrautesten Gesellschafter meines verblichenen Herrn,« sagte der Ritter Henry Lee. »Nächst der Bibel (wenn ich sie zusammen nennen darf) fand er immer größeren Trost in ihnen, als in irgend einem andern Werke. Da ich nun an derselben Krankheit leide, so ist es natürlich, daß ich zu demselben Arzneimittel meine Zuflucht nehme. Doch getraue ich mir nicht, die dunkeln Stellen zu erklären, wie mein Herr, der König; denn ich bin ein rauher Mann, erzogen zu den Waffen und zu der Jagd.«
»Nicht wahr, Sie haben Shakespeare gesehen, lieber Vater?« sagte Alexis.
»Thörichtes Kind, ich habe dir schon zwanzigmal gesagt, daß er starb, als ich noch ein kleines Bübchen war. Aber ich verstehe dich wohl, du möchtest mich gern von andern Gegenständen ablenken. Nun gut, wenn ich schon nicht blind bin, so kann ich doch auch die Augen schließen, und mich blind stellen. Ben Jonson habe ich dafür gekannt, und ich wollte dir von unsern Zusammenkünften im Gasthaus zur Wassernymphe, wo es guten Wein aber auch guten Witz gab, manche Geschichte erzählen. Der alte Ben Jonson nahm mich als einen seiner Söhne unter die Zöglinge der Musen auf. Hab' ich Dir nicht schon die Verse gezeigt: ›An meinen geliebten Sohn, den ehrenwerthen Sir Henry Lee von Ditchley, Knight und Baronet?‹«
»Ich erinnere mich ihrer gerade nicht mehr,« antwortete die Tochter.
»Ich fürchte, Mädchen, du lügst, aber es hilft nichts, du kannst mich zu keinen weiteren Thorheiten mehr verleiten. Der böse Geist ist auf Saul, wir müssen nun darauf denken, ob wir Woodstock verlassen, oder ob wir es vertheidigen sollen.«
»Können Sie denn noch immer die Hoffnung hegen, den Platz zu vertheidigen, mein theurer Vater?« sagte Alexis.
»Ich weiß es eigentlich selbst nicht, Mädchen, nur möchte ich ihnen gern einen Schlag zum Abschied beibringen; denn wer weiß, wie es das Glück fügen kann? Freilich muß ich bekennen, daß mir der Gedanke, daß meine armen Leute mit mir an einem so hoffnungslosen Streite Theil nehmen müssen, sehr wehe thut.«
»Ach, denken Sie doch nicht daran,« erwiederte Alexis, »es sind Soldaten in der Stadt, und zu Oxford liegen drei Regimenter.«
»Ach armes Oxford,« rief der alte Lee aus, dessen schwankender Gemüthszustand durch ein jedes Wort auf einen neuen Gegenstand geleitet wurde. »Ach armes Oxford, Sitz der Gelehrsamkeit und des Rechts! Unpassende Bewohner sind diese rohen Soldaten für die Säle deiner Gelehrten und die Zimmer deiner Dichter. Dennoch aber wird deine glänzende Lampe stets hell brennen, und wenn auch der giftige Samum dieser Lotterbuben wie der Nordwind auf dich losstürmte. Der brennende Busch wird, wie bei Mose, nicht verzehrt werden, trotz der Hitze der Verfolger.«
»Das ist ganz wahr, lieber Vater,« sagte Alexis, »und sollte jedem Royalisten eingedenk sein, daß ein Aufstand in dem jetzigen Zeitpunkte nur eine größere Härte gegen die Universität bewirken würde, welche als das Hauptrad von Allem betrachtet wird, was sich in diesen Gegenden für den König in Bewegung setzt.«
»Es ist leider nur zu wahr, meine Tochter,« erwiederte der Ritter, »und die geringste Ursache würde hinreichen, die Schurken zu bewegen, das Wenige, das die Bürgerkriege dem Collegium gelassen haben, in Beschlag zu nehmen. Wenn ich das bedenke, und die Gefahr meiner armen Leute – in Gottes Namen – Mädchen, du hast mich entwaffnet! Ich will geduldig und gelassen sein, wie ein Märtyrer.«
»Wenn nur Gott gibt, daß Sie Ihr Wort halten können, lieber Vater,« sagte Alexis, »aber der Anblick dieser Männer setzt Sie immer so sehr in Bewegung, daß –«
»Glaubst du, ich wäre ein Kind, Alexis, glaubst du, ich könnte keine Natter oder keine Kröte ansehen, ohne mehr als Ekel zu empfinden? Und wenn gleich ein Rundkopf und besonders ein Rothrock in meinen Augen viel giftiger scheint, als eine Natter, viel ekelhafter als eine Kröte, so kann ich mich doch so viel überwinden, daß du selbst sehen solltest, wie höflich ich sie behandeln wollte, wenn Einer von ihnen in diesem Augenblicke erschiene.«
Kaum hatte er ausgesprochen, als der militärische Prediger hervortrat und unerwartet dem alten Ritter gegenüberstand, der ihn anstarrte, als glaube er, seine Herausforderung hätte den leibhaftigen Teufel herbeigerufen.
»Wer bist du?« fragte endlich Sir Henry Lee mit erhobener zorniger Stimme; während seine Tochter sich bleich vor Schrecken an seinen Arm anklammerte, fürchtend, daß die friedlichen Gesinnungen ihres Vaters schon in diesem Augenblick zu nichte werden würden.
»Ich bin,« erwiederte der Soldat, »ein Mann, der sich weder fürchtet noch schämt, sich einen armen Handlanger bei dem großen Werke der Wiedergeburt Englands zu nennen. Ich bin ein eifriger, einfacher Vertheidiger der guten Sache.«
»Und was Teufel suchst du denn hier?« frug der alte Ritter heftig.
»Den Empfang, der einem Oberbeamten der Lordcommissäre gebührt!« erwiederte der Soldat.
»Nun, so sei denn willkommen wie Rauch den Augen,« sagte der Ritter. »Aber nennt mir doch erst Eure Commissäre, Freund!«
Unhöflich genug reichte ihm der Soldat eine Rolle hin, welche der alte Ritter Lee nur mit dem Zeigefinger und dem Daumen berührte, als käme sie aus einem Pesthospital, und die er so weit von seinen Augen hielt, als er nur konnte. Indem er nun die Namen der Commissäre ablas, fügte er zu einem jeden einige Randglossen hinzu, die er zwar an Alexis richtete, welche aber laut genug gesagt wurden, daß es anzeigte, wie wenig er sich darum kümmerte, wenn auch der Soldat es höre.
» Desborough – so, der Bauer Desborough – ein gemeiner Ackersmann wie nur einer in England – der Kerl blieb auch gescheidter zu Hause, wie ein alter Scythe hinter seinem Pflug. Verdammt sei der Kerl! Harrison – das ist ja der blutige Schwärmer, der, wenn er die Bibel liest, nur einen Text sucht, um einen Mord zu rechtfertigen; der Teufel hol' ihn ebenfalls! Bletson, das ist ein ächter Republikaner, so einer aus Harrisons Rota Club, der das Gehirn immer voller Neuerungsgedanken hat, und der gerne den Schweif an den Kopf befestigen möchte; so ein Kerl, der die Rechte und Gesetze von Alt-England nicht kennt, aber gar viel von Rom und Griechenland zu schwatzen weiß; der in Westmünster-Hall den Areopagus Sitzungen halten sieht, und der den alten Cromwell für einen römischen Consul hält; – nun ja, er wird wohl auch noch Diktator werden. Meinetwegen, der Teufel hol' auch ihn!«
»Mein Freund,« fiel der Soldat ein, »ich wollte mich gerne höflich gegen Euch betragen, aber meine Pflicht duldet es nicht, daß ich von den heiligen Männern, in deren Diensten ich bin, so unehrerbietig sprechen höre. Und wenn ihr Uebelgesinnten euch auch das Recht herausnehmt, über Jedermann die Verdammniß auszusprechen, die ihr austheilt, als wäre sie euch ganz besonders zum Antheil zugefallen, so unterlaßt es doch, Andere damit zu belegen, die bessere Hoffnungen in ihrem Herzen, und bessere Worte in ihrem Munde tragen.«
»Du bist ein geschwätziger Bursche,« versetzte der Ritter, »hast aber doch in gewisser Hinsicht Recht. Wozu wäre es nöthig, Menschen zu verfluchen, die ohnehin schon so schwarz sind, wie der Rauch der Hölle selbst.«
»Ich bitte dich, Freund, halte ein,« sagte der Soldat, »wenn nicht um deines Gewissens, doch um des Wohlanstandes wegen; solche schreckliche Flüche stehen schlecht zu einem grauen Bart.«
»Höre, das ist einmal wahr, und wenn es auch der Teufel spräche,« versetzte der Ritter, »und Gott sei Dank, ich kann gutem Rathe noch folgen, und wenn ihn selbst der Satan gibt. Was also diese Commissäre betrifft, so überbringe ihnen folgende Botschaft: Sir Henry Lee, der Aufseher des Parks zu Woodstock, hat ein so vollständiges Recht an den Waldungen, dem Wild, der Weide und allem Zugehör dieses Forstes, wie Einer von ihnen ein Recht an sein Vermögen und an sein Eigenthum hat, nämlich, wenn sie etwas besitzen, das sie nicht ehrlichen Leuten geraubt haben. Dennoch aber will er denen nachgeben, die die Gewalt zum Recht gemacht haben, und will das Leben rechtschaffener Männer nicht gefährden, wo das Verhältniß der Streitkräfte ungleich ist. Er behält sich aber ausdrücklich vor, daß diese Uebergabe nicht geschehe, weil er die Gesetzmäßigkeit der sogenannten Herrn Commissäre anerkenne, oder für sich selbst ihre Macht fürchte, sondern bloß um englisches Blut zu schonen, dessen in diesen letzteren Zeiten so viel vergossen wurde.«
»Das ist vernünftig gesprochen,« sagte der Soldat; »ich bitte Euch also, mit mir in das Haus zu gehen, und mir die Gefäße, den Gold- und Silberschmuck und alles das zu überliefern, was dem Pharao gehörte, und was er dir zur Aufsicht übergab.«
»Was für Gefäße?« rief der alte feurige Ritter, »und wem sollen sie gehören? Niedriger Hund, sprich in meiner Gegenwart ehrfurchtsvoller von dem königlichen Märtyrer, oder ich will etwas thun, das mir gegen deinen niedrigen Körper nicht ziemen möchte.« Er riß seinen Arm von der Tochter los, und legte die Hand an's Schwert. Ganz ruhig aber blieb sein Gegner, der mit der Hand winkte, und mit einer Gelassenheit, die den Ritter noch mehr aufbrachte, zu ihm sagte:
»Guter Freund, ich bitte dich, bleib doch ruhig, und streite nicht mit mir. – Einem Manne mit grauen Haaren und mit schwachen Armen ziemt es nicht, wie ein Betrunkener zu schimpfen und zu toben. Zwinge mich nicht dazu, zu meiner Vertheidigung fleischliche Waffen zu gebrauchen, sondern horch auf die Stimme der Vernunft. Siehst du es denn nicht ein, daß der Herr diesen großen Streit zu unsern und der Unsrigen Gunsten gegen dich und die Deinigen entschieden hat? Entsage daher ruhig deiner Stelle, und überliefere mir das Eigenthum jenes Mannes Carl Stuart.«
»Die Geduld ist ein gutes Pferd, aber am Ende reißt es aus!« sagte der Ritter, der nun seinen Zorn nicht länger mehr meistern konnte. Er gab dem Soldaten einen tüchtigen Schlag mit der Scheide, zog dann den Degen im Augenblick und bereitete sich zum Kampf. Der Gegner warf seinen langen Mantel von der Schulter, zog sein Schwert und stellte sich zur Wehr. Laut klirrten die Schwerter, und Alexis rief erschrocken nach Hülfe. Aber der Kampf dauerte nicht lange, der alte Ritter hatte einen Mann angegriffen, der so geübt, oder wohl noch geübter im Fechten war, wie er, und der zugleich, die Kraft und die Behendigkeit ungerechnet, welche die Zeit dem Sir Lee geraubt hatte, auch noch eben so ruhig, wie sein Gegner leidenschaftlich war. Sie waren kaum dreimal ausgefallen, als das Schwert des Ritters in die Luft flog, als wollte es die Scheide aufsuchen, die er schon früher weggeworfen hatte. Da stand nun Sir Henry Lee, der Gnade seines Feindes überlassen, entwaffnet und glühend vor Schaam und Aerger. Indessen schien der Republikaner seinen Sieg nicht mißbrauchen zu wollen; weder im Gefechte noch im Siege wich die finstere, ernste Ruhe von seinem Gesichte, und ein Kampf auf Leben und Tod schien ihn ebensowenig zu erschrecken, wie ein Gang mit dem Rappier.
»Nun bist du in meiner Gewalt,« sagte er, »und wenn ich das Recht der Waffen gebrauchen wollte, so könnte ich dir unter die fünfte Rippe stoßen, so wie Asahel umgebracht wurde von Abner, dem Sohne Nun's, als er der Jagd folgte, auf dem Wege zum Berge Ammah, welcher vor Giah liegt, unweit der Einöde von Gibeon; allein es sei ferne von mir, das wenige Blut zu verspritzen, das noch in deinen Adern fließt. Es ist zwar wahr, du bist der Gefangene meines Schwertes und meines Speeres; da du aber noch zurückkehren könntest von deinem bösen Wege, wenn der Herr dir eine Frist setzt, zur Buße und zur Besserung, warum sollte sie dir ein armer sündiger Sterblicher verkürzen wollen, der in Wahrheit nur ein Wurm ist, wie du.«
Bestürzt und unfähig zu reden, blieb der Ritter stehen, als eine vierte Person hinzukam, welche das Hülfsgeschrei der Alexis herbeigezogen hatte, es war Joceline Joliffe, ein Unteraufseher des Parks. Als dieser den Stand der Dinge sah, schwang er seinen Stab, eine Waffe, von der er sich nie zu trennen pflegte, und nachdem er denselben eine arabische Achte in der Luft hatte beschreiben lassen, hätte er ihn wahrscheinlich fluchend auf den Kopf des Commissions-Beamten fallen lassen, wenn nicht der Ritter Lee es verhindert hätte.
»Joceline, wir müssen jetzt Fledermäuse fangen, die Zeit des Dreinschlagens ist vorbei. Man kann nun einmal nicht gegen den Strom schwimmen, der Teufel führt das Regiment, und macht unsere Diener zu unseren Herrn.«
In diesem Augenblicke kam aus dem Gebüsche dem Ritter ein anderer Beistand zu. Es war der schon oben erwähnte große Wolfshund, der stark war wie ein Bullenbeißer, und schlank und flüchtig wie ein Windhund. Bevis war das edelste Thier seiner Gattung, das je einen Hirsch zu Boden riß; er war dunkelgelb wie ein Löwe, und hatte eine schwarze Schnauze und schwarze Füße mit einer weißen Linie um die Zehen. Doch war er ebenso folgsam, als er stark und kühn war. Er wollte grade auf den Soldaten losfahren, als Lee's Worte, »ruhig Bevis« den Löwen in ein Lamm verwandelten; statt also den Soldaten zu Boden zu reißen, schlich er um ihn herum und schnöberte, als wolle er entdecken, wer wohl der Fremde sein möchte, gegen den er, seines zweideutigen Ansehens ungeachtet, Nachsicht haben sollte. Doch schien ihn der Erfolg zu befriedigen; denn er gab seine bedenkliche, drohende Stellung auf, senkte die Ohren, glättete sein gesträubtes Fell wieder, und wedelte mit dem Schweife.
Ritter Lee, der die Spürkraft seines Lieblings sehr hochachtete, flüsterte seiner Tochter zu: »Siehst du, auch Bevis ist deiner Meinung, und räth mir zu, mich zu unterwerfen. Das ist ein Fingerzeig Gottes, um den großen Fehler meines Hauses, den Stolz zu bestrafen.«
»Freund,« fuhr er fort, indem er sich zu dem Soldaten wandte, »du hast mir eine Lehre kräftig versinnlicht, welche nach zehn Jahren des Mißgeschicks und des Unglücks noch immer nicht recht bei mir keimen wollte. Du hast mir nämlich die Thorheit der Meinung gezeigt, als ob eine gute Sache einen schwachen Arm stärken könnte! Gott verzeihe mir den Gedanken, aber fast möchte ich meinen Glauben verlieren, und denken, daß des Himmels Segen nur immer den Stärksten begleitete, doch wird es hoffentlich nicht immer so bleiben. Gott hat gewiß ein Ziel gesetzt. – Joceline reiche mir meine Toledo-Klinge, dort liegt sie, und siehe einmal, wo die Scheide am Baum hängt; Alexis, zerre doch nicht so an meinem Mantel, mache doch kein so jämmerlich erschrockenes Gesicht. Ich schwör' es dir zu, ich werde nicht wieder sobald etwas mit dem blanken Eisen zu thun haben. – Was dich betrifft braver Kriegskamerad, so will ich deinen Gebietern ohne Streitigkeiten und ohne Umstände diesen Platz überlassen. Joceline Joliffe steht deinem Stande näher als ich, der wird dir das Forsthaus und alles dazu Gehörige überliefern. Behalte nichts zurück, Joliffe, sie sollen Alles haben. Ich aber will die Schwelle nie wieder betreten; aber wo finde ich eine Ruhestätte für diese Nacht? In Woodstock möchte ich Niemanden zur Last fallen. Nun ja – so sei es, Alexis und ich wollen in deiner Hütte am Rosamunden-Brunnen übernachten; Joliffe, wir wollen uns eine Nacht unter deinen Schutz begeben. Nicht wahr, du nimmst uns gerne auf? – Doch was ist das – ein finsteres Gesicht?«
Wirklich sah Joceline äußerst verlegen aus, betrachtete erst Alexis, dann den Himmel, dann die Erde und brummte halblaut: »Ohne Zweifel, das ist gar keine Frage, wenn ich nur hinunterlaufen könnte, um das Haus in Ordnung zu bringen.«
»Ach, was braucht's viel Ordnung,« erwiederte der Ritter, »für Leute, die mit einer reinlichen Streu in einer Scheune vorlieb nehmen; fürchtest du dich aber, gefährlich- oder übelgesinnte Personen, wie man es nennt, unter deinem Dache zu beherbergen, so schäme dich nicht, und sage es frei heraus, mein Freund. Freilich nahm ich dich in mein Haus auf, als du nur ein zerlumpter Bursche warst, machte einen Aufseher aus dir, und that dir noch manches Andere. – Aber was hat das zu sagen? Kein Matrose denkt mehr an den Wind, der ihn vorwärts gebracht hat. Schwimmen doch die Großen mit dem Strome, warum nicht auch ein armer Teufel wie du?«
»Möchte Gott Ew. Gnaden Ihr ungerechtes Urtheil verzeihen,« sagte Joceline. »Die Hütte gehört Ihnen, so wie sie ist, und wäre sie ein königliches Schloß, so wäre es mir um Euer Gnaden willen nur noch lieber. – Nur möchte ich gerne, wenn Ihr es erlaubtet, einmal hinunter gehen, vielleicht ist ein Nachbar dort, oder viel– vielleicht – könnte ich die Sachen für Fräulein Alexis und Ihre Gnaden ein wenig ordnen, um es ein wenig stattlicher einzurichten.«
»Es ist gar nicht nöthig,« sagte der Ritter, während Alexis nur mit Mühe ihre Gemüthsbewegung zu verbergen suchte. »Wenn dein Hüttlein unansehnlich ist, so paßt es um so viel besser für einen zu Grunde gerichteten Edelmann. Ist es unordentlich, nun, dann gleicht es der übrigen Welt, wo es auch außer der Ordnung zugeht. Begleite diesen Mann, wie heißt du, Freund?«
»Joseph Tomkins ist mein Name,« sagte der Beamte, »man nennt mich gewöhnlich den ehrlichen Joc, oder den getreuen Tomkins.«
»Nun, wenn du bei deinem Handwerke den Namen verdienst, so bist du wirklich ein Juwel,« sagte der Ritter. »Ist das aber nicht der Fall, so brauchst du deßwegen nicht zu erröthen, Joseph; denn da Titel und Wahrheit schon so lange getrennt sind, so kannst du doch hoffen, deinen Ruf zu behaupten, selbst wenn du ihn nicht verdienst. Leb' wohl, und du, mein liebes Woodstock, auch du, lebe wohl!«
Der alte Ritter sprach's, wandte sich um, stützte sich auf seine Tochter, und so durchwanderten sie den Park, wie wir es im Anfang des Kapitels beschrieben haben.